Читать книгу Der Regulator und ich - Peter J. Gnad - Страница 9
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Hier musste ich die Lektüre von Hans Maiers Aufzeichnungen unterbrechen, mir schwirrte der Kopf. Es war eine Art Vermächtnis, was ich da in der Hand hielt. Mir war ganz und klar unklar, was ich mit dem Manuskript anfangen sollte. Hans hatte es mir ja nicht gegeben, um damit zur Polizei zu gehen. Abgesehen davon, würde man diese Geschichten überhaupt glauben, oder sie als bloße Hirngespinste eines Autors abtun, der seiner Fantasie freien Lauf gelassen hatte. Die Idee eines "Zorro'" war ja nicht unbedingt neu, auch der originale Zorro war ja ein Rächer, der die Reichen beraubte oder "erledigte", gewissermaßen ein edler Ritter, der den Armen und Unterdrückten half, ein mexikanischer Robin Hood. Wahrscheinlich würde man ihm raten, einen Verlag zu suchen und die Mär zu veröffentlichen, vielleicht fand sich ja eine Leserschaft.
Man hatte mir mitgeteilt, seitens des Rechtsanwaltes, dass Hans Maier in Kalamata, Griechenland, am Peloponnes, vor einer Woche verstorben war, ganz plötzlich.
Man hatte ihn gefunden, im Badezimmer seines Hotelzimmers, er war wohl offensichtlich vom WC gefallen, lag mit heruntergezogener Hose daneben. Ein Gehirnschlag, ein Aneurysma, wie der medizinische Bericht des Arztes der den Totenschein ausgestellt hatte, besagte. Eine Ader im Gehirn, die durch den Überdruck geplatzt war. Ganz allgemein, statistisch gesehen, eine durchaus häufige Todesursache, ob nun im Bauch die Hauptschlagader oder im Kopf auch nur ein kleines Blutgefäß platzte, das Endergebnis war meist dasselbe.
Dass Hans ausgerechnet so gestorben war, erschien mir da nicht unbedingt zweifelhaft. Das gab es. Erst viel später fiel mir dann auf, dass Hans diesen ganz speziellen Tod, auf dem WC, vielleicht doch etwas zu oft im Mund gehabt hatte. Das Thema war, vor allem bei fortgeschrittener Stunde, schon des Öfteren in Erwähnung geraten, das sei "das Letzte". Hans hatte immer gelacht, dabei.
Und nun, genau dies als seine eigene Todesursache, es war fast schon aberwitzig. Hans hätte wahrscheinlich auch darüber noch gelacht, so wie ich ihn gekannt hatte.
Es war mir schwer ums Herz, als ich seine Urne in der Hand hielt, als wir ihn formal "beerdigten", oder besser, seine Asche in einer Trauerwand deponierten.
Ich würde nicht wollen, dass man meine Überreste in einer Wand abstellte. Sollte doch der Wind sie davontragen oder ein Fluss sie ins Meer bringen, aber nicht so banal, wie hier, in einer Wand zu enden, irgendwie geradezu schändlich oder mickrig.
Aber nun habe ich wohl schon etwas zu weit vorgegriffen. Denn als Hans aus Tibet zurückkam, fing ja die ganze Geschichte erst zu laufen an. Was ich allerdings, zu diesem Zeitpunkt, nicht erahnen konnte, naiv, wie ich war, wie ein neugeborenes Lamm. Auf der anderen Seite, wer konnte schon so eine Geschichte erahnen, es war zu abgehoben, was ich später noch herausfand, und ich zweifelte, ob nicht doch alles nur Wunschdenken des Autors, eine Projektion war. Man stelle sich vor, in meiner Position zu sein, das Manuskript in Händen zu halten, samt aller Verantwortung, aber den posthumen Schutz des Freundes ebenfalls im Visier zu behalten. Ein "guter Mörder", gab es so etwas ? Gab es diese Position des Rächers, war sie legitim, und wer hatte den betreffenden auf diese Ebene gehoben, autorisiert anderen Menschen das Leben zu nehmen. Es fiel mir nicht leicht, meinen alten Freund in solch einem Licht sehen zu müssen. Der liebe, harmlose, kleine "Hansi", ein Mörder, ein kaltblütiger Killer, das konnte doch nicht sein !
Ich traf Hans Maier auf der Straße wieder. Mehr zufällig als geplant, obwohl ich automatisch alle unsere Treffpunkte aufsuchte. Ein irischer Pub, gleich in der Nähe oder wahlweise, wenn schönes Wetter war, ein italienisches Café auf der Promenademeile, wo man sich blicken ließ. Es war Sommer und ich wusste um Hans' optische Faszinationen, er beobachtete leidenschaftlich gern, was ihm generell, auch in seinem Beruf natürlich zugutekam. Er war ein guter Spürhund, wenn es sein musste.
Und da saß er dann auch, im "Cafè Gattopardo", unserer alten Mafiosokneipe, mitten auf der "Meile", hatte einen weißen, etwas breitkrempigen Hut auf dem Kopf, dunkle Sonnenbrillen und eine Zigarre in der Hand, sah selbst aus wie ein "Pate". Drei Zeitungen lagen auf dem Tisch, er blätterte gelangweilt in deren Seiten, ohne wirkliches Interesse, sah hoch, als ich näher kam.
"Ah, Herr Baron, setzen Sie sich doch, erweisen sie mir die Ehre, darf ich Sie auf ein Gläschen einladen ?"
Ich schlug ihm auf die Schulter, grinste ihn an, freute mich den alten Schulfreund wohlbehalten und quicklebendig wiederzusehen.
"Ich habe deine Reportage gesehen, über das tibetische Kloster, hat mir sehr, sehr gut gefallen. Du findest immer wieder einen besonderen Zugang zu den Geschichten, die du dann schreibst oder machst, wie jetzt, da beim Fernsehen."
Er grinste mich breit an, sog an seiner Zigarre, die eigentlich viel zu groß für den kleinen Mann aussah, ein bisschen überdimensioniert oder war er unterdimensioniert.
"Du das war ganz leicht, das ist so anders das Leben und die Philosophie, die Realitäten, alles sehr grundsätzlich und auch ungestört – ich habe sehr viel da gelernt."
"Das glaube ich, lieber Freund, ich beneide Dich noch immer, Tibet war schon immer eine meiner ungestillt gebliebenen Sehnsüchte ".
"Dabei könntest du da schon hinfahren, da kannst du eine richtige Tour buchen, im chinesischen Reisebüro."
"Ich will das aber doch lieber ohne chinesische Reiseführer machen !"
Er lachte aus vollem Hals, verschluckte sich fast an dem Zigarrenrauch, warf den dicken Glimmstängel zielsicher in einen Gulli am Straßenrand.
"Ich habe keinen einzigen Chinesen gesehn, dort wo ich war. Es ist aber auch ein gut versteckter Ort, ich weiß nicht, ob ich da allein noch mal hinfände – bei der Anreise hatte man mir sogar die Augen verbunden."
"Ja, gut, das war in den griechischen Klöstern auch so, die wollten auch ganz ungestört bleiben, bevor sie draufgekommen sind, dass man mit den Touristen verdammt viel Geld verdienen konnte. Seitdem sind die Mönche dicker geworden !"
"Das könnte diesen Mönchen in dem Kloster, wo ich war, nicht geschehen, sie sind moralisch gefestigt und nicht mit westlichem Tand zu verführen. Nie im Leben."
"Naja, weißt Du, ich bin da ein wenig vorsichtiger, der Mensch ist ganz schnell korrumpierbar, wenn es um seinen eigenen kleinen Vorteil geht, das war schon immer so und ich fürchte es wird auch so bleiben."
"Wenn Du diese Menschen kennengelernt hättest, wärest Du anderer Meinung, aber, ansonsten gebe ich Dir schon recht, es ist wohl wahr, wir werden von hinten bis vorn belogen, betrogen und ausgenommen wie Schneegänse. Wir müssen damit zurande kommen, das ist oft nicht so einfach, wenn man direkt betroffen ist und sich dann auch ganz persönlich verarscht fühlt."
"Oder auch nicht zurandekommen… klar, niemand hat uns einen Rosengarten versprochen, aber das heißt doch nicht, dass wir alles fressen müssen, was uns dieses korrupte System auferlegt. Es braucht eine kleine Revolution oder so, diese Gauner sollte man an Fahnenmasten aufhängen, als abschreckendes Beispiel !"
"Ein frommer Wunsch, mein Lieber, aber halt leider nur ein Wunschtraum, Korruption hat es zu allen Zeiten gegeben. Söhne haben ihre Eltern verkauft, Wachen den König ermordet, den Bruder verraten, welcher die Schwester versklavte, die aber auch ihrerseits immer einen Dolch im Gewand trug - alles das gab und gibt es noch immer – für eine Hand voll Dollar oder so."
"Schade, dass es keine Instanz gibt, irgendwer die Initiative ergreift und auch Gegenmaßnahmen einleitet - ein Regulator !"
"Ah, ein Regulator, der die Dinge wieder ins Lot bringt, jemand der die Ungerechtigkeit und die Ausbeutung 'reguliert' – na Du hast ja fromme Wünsche. Du weißt, dass man das in unserer Gesellschaft als Selbstjustiz bezeichnet, ein Regulator würde automatisch als Mörder gebrandmarkt und alle wären hinter ihm her, ob Justiz oder Presse. Darauf warten die doch nur, dass man den dann öffentlich ausstellen könnte, wenn man ihn hätte.
"Ja, schon klar, ich würde auch nicht wollen, dass da ein selbst ernannter Rächer herumrennt und andere Menschen umbringt, nach dessen eigener, subjektiver Maßgabe - obwohl, bei manchen wär's ja ein Segen, wenn sie vom Erdboden verschwänden."
"Ah… und an wen denkst du im Speziellen ?"
Hans trug nun ein sarkastischess Lächeln im Gesicht, sah mich nun durchaus amüsiert an, legte seinen Kopf schief.
"Naja, jetzt musst Du aber schon ein paar Beispiele bringen, wer denn Deiner Meinung nach 'den Tod' verdient hätte – wenn Du Richter und Henker wärest, wen würdest Du eliminieren wollen, natürlich nur zum Besten der Menschheit und in edelster Absicht."
Eine schwierige Frage, ich versuchte mich in einen übergeordneten Richter zu versetzen, wie denn ein solcher möglicherweise dachte, welche Kriterien er anlegte, welche Grade von Erschwernis es gab, welchen Strafrahmen man anlegen musste und wann die Todesstrafe denn überhaupt anzuwenden sei. Es war still geworden an unserem Tisch, wir hingen unseren eigenen Gedanken nach, auch Hans blickte in die Ferne, auf irgendeinen imaginären Punkt.
"Ich weiß nicht, das ist sehr schwer. Man spielt da ja gewissermaßen 'Gott', also Herr über Leben und Tod – ich weiß nicht, ob ich diese Position innehaben möchte, das ist mir zu viel Verantwortung, wahrscheinlich sähe ich dann vorm Einschlafen immer die Gesichter der von mir Verurteilten – nein, das ist mir zu… abgehoben, das könnte ich wohl nicht ausüben, so ein Amt – ich möchte ein reines Gewissen haben."
Hans gab keine Antwort, lächelte ein fast schmerzliches Lächeln, drehte seinen Kopf weg, winkte nach der Kellnerin, bestellte noch ein Bier. Es war heiß, die Luft schien zu stehen, es waberte über dem dampfenden Asphalt, selbst die Zeit schien träge zu zerfließen, man wünschte sich jemand mit einem großen Fächer, der ein wenig Luft herumschaufelte, frische Luft war es, was man brauchte. "Ich mache nächste Woche eine Reportage über einen Kindsmörder und Vergewaltiger. Am Dienstag wird er entlassen, mit psychiatrischem Urteil, ein Freibrief, der ihm eine Wandlung seines Verhaltens attestiert, er ist dann wieder frei."
"Oh, Du meinst, ob ich so ein Schwein umbringen würde – das käme ganz auf die Umstände an – aber prinzipiell, ja, ich denke schon, dass ich da wenig Mitleid hätte, bräuchte nur an die toten und vergewaltigten kleinen Mädchen denken."
"Könntest Du ihn denn auch selbst exekutieren, umbringen… was weiß ich, erschießen, aufhängen, garottieren, guillotinieren, runter mit der Rübe, irgend so etwas ?"
Ich wehrte mich gegen die Vorstellung, jemand anderem das Leben zu nehmen, das war starker Tobak, so weit ging mein Gerechtigkeitsgefühl dann doch wieder nicht, dass ich selbst Hand anlegen wollte. Dafür gab es Henker. Ich wand mich sichtlich um eine Antwort, Hans lächelte mir breit ins Gesicht, genoss die Situation, mich mit der Frage aufs Glatteis zu führen.
"Du musst das sehen, als ob du der 'Erlöser' bist, derjenige, der die Welt vor einem Übel bewahrt, die Welt vor diesem Bösewicht beschützt, ihn unschädlich macht – es sollen keine weiteren kleinen Mädchen mehr in Gefahr geraten oder gar durch seine Hand sterben – er hat sein Leben verwirkt." "Ich weiß nicht, ich könnte das nicht – ich könnte niemand das Leben nehmen, dieses Recht habe ich nicht, ich bin nicht Gott und…"
"Herrgott, jetzt hör' mal mit Deinem 'Gott' auf, wenn es den gibt, muss das ein ganz schön perverser Typ sein und ohne jegliches Gewissen."
Ich lachte laut auf, kannte den alten Ketzer ja, der hatte keinerlei Respekt vor spirituellen oder religiösen Ebenen. Für ihn waren das alles Märchen aus "Tausend und einer Nacht", die Bibel nur ein zusammengepanschtes Konglomerat, aus allen möglichen Weisheiten, aus anderen Religionen oder Philosophien. Man hatte aus allen Windrichtungen kopiert und eingefügt – copy and paste – wie es so schön in der Internetsprache hieß. An der Bibel war nicht viel Originäres zu finden, all die Geschichten waren bereits bekannt, aus anderen Erzählungen. Soviel war selbst mir klar. Hans Maier ging da immer noch einen Schritt weiter, "Jesus hat nie gelebt", sagte er provokant und laut, vornehmlich gern, wenn irgendwelche Pfaffen zuhörten.
"Du weißt aber schon, dass man auch diesem erfundenen Jesus Worte von Gewalt in den Mund gelegt hatte - das haben die in der Planung übersehen zu eliminieren. Kannst du gern im Internet nachsehen, verifizieren, er sagt: "Ich bin nicht gekommen um Frieden zu bringen, sondern das Schwert !" und dann weiter, wenn jemand keines hat, soll er seinen Mantel verkaufen und ein Schwert kaufen, und dass er Unfrieden bringen will, in den Familien… dass es normal sei, die Eltern zu hassen und so weiter, lauter geballten Unsinn – was man den Menschen nicht alles auftischen kann und die 'glauben' das auch noch, was man ihnen da vorbetet, Hauptsache scheinheilig!"
Hans Maier war nicht nur ungläubig, völlig ungläubig, wie er einmal sagte, sondern auch offener Ketzer, hatte auch schon mehrfach Zusammenstöße mit einigen Kirchengranden hinter sich, er wusste, dass man ihn am liebsten am Scheiterhaufen brennen sähe.
"Die Zeiten sind vorbei, Herr Bischof, dass Sie jemand 'exkommunizieren' lassen konnten und der sich deshalb in seine Hosen machen musste."
Der Bischof saß mit hochrotem Kopf und halb geöffnetem Mund auf dem Sofa, wusste keine andere Antwort zu geben, als ein mattes, kläglich-verzweifeltes "Jesus vergibt Dir, mein Sohn, er liebt ja gerade die Zweifler !"
Ich hatte es selbst gesehen, im Fernsehen, anlässlich einer Diskussion um Kirchenprivilegien, auch um das längst als überfällig einzustufende "Konkordat" – eine Art Staatsvertrag mit dem Vatikan. "Also ein rechtmäßig gültiger Vertrag mit einem Märchenverein – und alle Staatsbürger, ob ihrem Glauben zugehörig oder nicht, müssen dafür bezahlen – das ist wahrlich frech !"
Diesmal antwortete der Bischof ziemlich unfreundlich und harsch.
"Das geht sie einen Dreck an, was die Kirche tut, welche Verträge sie schließt oder nicht und… warten sie nur ab, Gott wird schon seine gerechte Strafe für Sie finden, mein Sohn, da bin ich mir ganz sicher !"
"Ich bin nicht ihr 'Sohn', sie dürfen doch gar nicht zeugen, sie haben doch ihr Geschlechtsorgan, offiziell, nur zum Wasserlassen, was reden sie da von "Sohn' ?"
Der Bischof war schließlich wutentbrannt aufgestanden, hatte die Diskussion stampfenden Schrittes verlassen. Nur allzu schnell war man zu einem anderen Thema gesprungen, der Sender wollte weitere Provokationen vermeiden, ließ sogar einblenden, dass die im Beitrag geäußerte Meinung nicht die offizielle, tolerante Haltung des Senders reflektierte. Das musste so sein. Hans machte es nichts aus, er lächelte. Immerhin meinte sogar der Moderator, wenn man in die Küche komme, dann müsse man auch mit Hitze rechnen.
"Das war eine lustige Diskussion damals, schade, dass das erst so spät in der Nacht gesendet wurde, das haben halt leider nur wenige Zuschauer gesehen."
"Ist ja immer so, oder… die interessanten Sachen werden versteckt, damit nicht so viele kapieren, was abläuft, sonst könnte es ja zu sozialen 'Verwerfungen' kommen, Unruhe im Volk. Da ist es schon besser, wenn alle an den Märchenonkel mit dem weißen Bart, auf Wolke-Sieben glauben und zu ihm beten. Lieber Herrgott, mach mich fromm, auf dass ich in den Himmel komm' !"
Ich lachte aus vollem Hals. Hans war auch ein sehenswerter Darsteller, wenn er sich aufregte oder sich rhetorisch in einem Thema verhakte. Seine Augen blitzten, er gestikulierte, schnitt Grimassen, deklamierte seine Texte manchmal, sodass auch ja alle mitbekamen, was er sagen wollte. Auch jetzt blickte er zu den Nachbartischen, eine mittelalterliche Dame sah ihn befremdet an. Hans verbeugte sich, sagte "Weil's wahr ist !" und lächelt ihr freundlich zu.
Ich fühlte mich berufen einzugreifen, wandte mich nun auch an sie.
"Sie müssen schon entschuldigen, aber, mein Freund, der ist komisch, der meint das so…"
Wir lachten gemeinsam, als sie sich indigniert abwandte, wir lachten wie zwei Schuljungen, die einer alten Schachtel einen Streich gespielt hatten. Kindisch, wie eh und je, nichts hatte sich verändert, man verstand sich instinktiv, auch wenn die Kindheit nun schon drei Jahrzehnte hinter ihnen lag - sie waren beide etwa gleich alt, um die fünfundvierzig Jahre, so viele waren es nun schon geworden, mittlerweile.
"Schau Dir diese Exemplare an, es ist zum… verrückt werden, Herden von wippenden Ärschen und durch den Stoff bohrenden Brustwarzen und diese Luft noch dazu, ich kann die förmlich riechen, so riecht die Verlockung… mmhhh, Wahnsinn!"
Ja, es war nicht unangenehm, hier im Schatten zu sitzen und der Fleischbeschau beizuwohnen. Nicht, dass ichgerade persönliches Interesse hatte, aber schon die Optik allein war eine einzige Herausforderung,es war eben Sommer und man entkam dieser Optik nicht, egal ob man wollte oder nicht, Augen waren zum Schauen da !
Dann gingen wir dazu über Cocktails zu trinken, einige gewagte Kombinationen kamen auf den Tisch, auch immer sehr bunt, mit Schirmchen oder anderen Beigaben. Die Kellnerin hatte auch ihre Reize, klar, wenn man hier auf der Meile arbeitete. Ihr Röckchen war schwarz, kurz und ihr Höschen klein und weiß, blitzte keck hervor.
Als es dunkel wurde hatten wir beide bereits einen "Spitz", wie der Volksmund sagte, "einen in der Krone" könnte man auch sagen, aber es ging uns gut, wir lachten noch immer viel. Hans war ein sehr unterhaltender Mensch, wenn er gelöst und frei war, unbeschwert und etwas betrunken. Ich kannte das schon von ihm. Wenn er "drauf" war, dann konnte er schon auch mal eine ganze Gesellschaft unterhalten, den Clown machen, aber immer auf hohem Niveau. Die Leute bewunderten seinen Scharfsinn, seine spitze Zunge, seine Eloquenz und seine rasche Auffassungsgabe, gepaart mit schnellen intelligenten und auch oft witzigen Antworten. Hans war schnell in Kopf.
Wir trennten uns, als sich die Tische um uns leerten, Hans wollte noch weiter "um die Häuser ziehen", aber ich konnte nicht länger bleiben, ich musste ins Bett, musste ja am nächsten Tag aufstehen und zur Arbeit fahren. Hans musste das nicht, er hatte frei, die ganze Woche noch. Vielleicht hätte ich doch auch Journalist werden sollen, ohne Antrittszeiten, wie auf einem Kasernenhof, mit Morgenappell.
Ich sah nur noch, wie er sich zu einem Nebentisch begab, wo zwei hübsche Damen saßen, ganz allein, ohne männliche Begleitung. Zwei Lesben, die ihn auch gleich wieder vertrieben, wie er mir am nächsten Tag lachend, am Telefon, erzählte. Er sei dann auch nach Hause gegangen.
Es sollte einige Wochen dauern, bis man einander wieder über den Weg lief, an ganz anderer Stelle, unter gänzlich anderen Umständen.