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Kapitel I

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Er konnte den Mann riechen, bevor er ihn sah oder hörte, erkannte den penetranten, strengen Geruch sofort wieder. Er war ihnen im Dorf begegnet, als sie einige Nahrungsmittel einkaufen hatten wollen. Der Mann wollte sich als lokaler Führer anbieten, aber sie hatten abgelehnt, sie brauchten hier keinen Führer, keinen Ortskundigen, sie wollten ja nur für eine Nacht bleiben, ihre Reise morgen fortsetzen.

Der Mann war ihm gleich verdächtig erschienen, hatte einen bestimmten Glanz in seinen Augen gehabt, als er sie, vermeintlich unbemerkt, beobachtete. Außerdem hatte er dabei auch noch ihr Gepäck verdächtig lange und eingehend gemustert, sie mehrfach umkreist.

Die fast mondlose Nacht schien undurchdringlich, nur ganz schwache Schatten waren gegen den schwarzblauen Himmel erkennbar, als der Mann einen Prügel zum Schlag erhob, auf den Kopf seines potenziellen Opfers zielte.

Als der Prügel hoch über ihm in der Luft zu verweilen schien, trat Felsberg mit aller Kraft zu, der Körper im Halbdunkel schien in der Mitte zusammenzuklappen. Ein zweiter Tritt gegen den Kopf des Mannes beendete die akute Bedrohung. Mit einem unterdrückten Schrei der Überraschung stürzte der Mann hintenüber, fiel den Abhang hinunter, gab anschließend keinen Laut mehr von sich.

"Mika, Mika…" zischte eine Stimme links von ihm aus dem Dunkel."Bist du… okay ??"

"Jaaa" sagte Felsberg "Du bist mir ja ein toller Wächter… Um ein Haar hätte der Matsch aus meiner Birne gemacht…"

Mirwais, sein Begleiter kletterte vorsichtig zu dem Gestürzten hinunter. Er hatte eine Pistole in der Hand, blickte angestrengt in die Dunkelheit, schließlich war es gut möglich, dass der Mann nicht allein war, einen etwaigen Komplizen bei sich gehabt hatte. Aber alles blieb ruhig, nichts regte sich.

Mirwais kam den Berg wieder hochgeklettert, keuchte heftig, als er Felsberg berichtete.

"Al Hamdulillah, diese Ratte ist so tot, wie Stein !"

"Mmmmh… mir wäre es lieber gewesen, er lebte, dann hätten wir ihn noch etwas befragen können…"

"Ah, dieser Hund… es ist besser für ihn schon tot zu sein, sonst hätte ich ihm den Weg gewiesen… der Shaitan soll ihn unendlich quälen !"

Felsberg lauschte angestrengt in das undurchdringliche Dunkel, das sie umgab. Mirwais ging weg, kam umgehend mit seinem Schlafsack und seinem Gepäck zurück, verpackte alles, machte sich zum Aufbruch bereit.

"Was ist denn jetzt los, wohin willst du ?"

"Wir müssen weg hier, sonst haben wir morgen das ganze Dorf auf unserer Fährte…"

"Und wo willst du jetzt hin, mitten in der Nacht… wir werden uns alle Knochen brechen !"

"Keine Sorge, ich kenne eine Höhle hier… ist nicht weit… nur einige wenige Kilometer !"

"Das kenne ich schon… nur ein paar Kilometer… und dann machen wir fast eine "Hadj", von Mekka nach Medina…"

Murrend machte sich Felsberg daran, seinen Schlafsack zusammenzurollen, auf seinen Rucksack zu binden. Kurz darauf befanden sie sich bereits in einer Felsenrinne, stiegen langsam aber unaufhaltsam den Berg hinan.

Felsberg musste mehrmals rasten, seine schlechte Kondition machte sich gnadenlos bemerkbar, zu viele Zigaretten und durchgemachte Nächte, zu viel mutwillige Verschwendung seiner Kräfte.

Mirwais lachte ihn oft genug aus, deshalb, kletterte selbst wie eine Bergziege, musste immer wieder auf ihn warten. Er saß ganz ruhig lächelnd da, kein Schnaufen in seinem Atem, dafür aber ein spöttisches Blinken in seinen Augen.

"Ah, Mika jan, du solltest aufhören zu rauchen, das ist ungesund !"

Woraufhin sich Felsberg zu ihm setzte und trotz seines pfeifenden Atems, sofort eine Zigarette anzündete. Der darauf folgende Hustenanfall ließ ihn den Glimmstängel aber schnell wieder wegwerfen. Mirwais lachte hemmungslos !

Als sie endlich, nach fast zwei Stunden auf der Höhe des Bergrückens ankamen, war Felsberg triefend nass vor Schweiß, ließ sich kraftlos auf die Erde fallen, versuchte seine Atmung zu beruhigen.

"Morgen… Morgen höre ich mit dem Rauchen auf, ich schwör's…"

"Aaaaah… aber das hatten wir doch schon mal, weißt du noch…als wir den ersten Berg erstiegen haben auf unserem Weg… in der Nähe des Koh-e-Baba… auf dem Weg zurück… da hast du auch gesagt, du hörst auf !"

"Jajaaa… Mensch… ich bin auch nur ein Mensch… mit Schwächen !"

Als sie sich auf der anderen Seite an den Abstieg machten, hatten sie Glück, die schmale Mondsichel kam wieder hinter den Wolken hervor, beleuchtete wenigstens notdürftig ihren Weg. Felsberg hatte richtig weiche Knie, als sie endlich die von Mirwais angekündigte Höhle erreichten. Er hätte den Eingang nie gefunden. Er lag in einer Lücke, den ein herabgestürzter einzelner Felsen, der genau vor der Felswand zu liegen gekommen war, gelassen hatte, eine perfekte Tarnung.

Erst als Mirwais sich durch die Engstelle gequetscht hatte und bereits darin verschwunden war, sah er den Durchlass, folgte dem Freund.

Die Höhle war sehr geräumig, bildete eine hohe Kuppel, endete in einem weiteren Schlund, in dem außer tiefster Finsternis absolut nichts mehr zu erkennen war, trotz des Scheins der Fackel, einem entzündeten Ast. Felsberg nahm einen Stein und warf ihn in die Tiefe. Es dauerte mehrere Sekunden, bevor ein leises Klicken den Aufprall des Steins anzeigte. Er blickte zu Mirwais, deutete auf das schwarze Loch.

"Hhmmm, da sollte man besser nicht hineinfallen !"

"Nein", antwortete Mirwais, "aber es gibt einen Weg hinunter, und noch einen Ausgang."

Kurz darauf hatte Mirwais ein Feuer entfacht, die Flammen verbreiteten ihr Licht und Felsberg war schnell näher herangerückt an die Wärmequelle. Schließlich waren sie etwa dreitausend Meter über dem Meeresspiegel, hier oben wurde es nie richtig warm, erst recht nicht in der Nacht.

Felsberg hatte verwundert festgestellt, dass sich die Höhle nicht mit Rauch füllte, sondern vielmehr völlig frei blieb. Woraufhin Mirwais nach oben gedeutet hatte, in die Kuppel.

"Diese Höhle verzweigt sich mehrmals, da oben ist eine Spalte, da zieht der Rauch ab !"

"Aber irgendwo muss er dann auch wieder raus kommen !"

"Ja, ich weiß auch wo… wir haben so immer feststellen können, ob die Höhle besetzt war oder nicht, damals im Krieg !"

Da war es wieder, dieses… "damals im Krieg!".

Felsberg hatte es schon so oft gehört, seit sie sich, vor einigen Wochen zusammen auf den Weg gemacht hatten. Er war schon etwas müde geworden, ständig und immer wieder Horrorgeschichten erzählt zu bekommen. Es war wie im Fernsehen, wenn es genug war, drehte man es einfach ab.

Dabei hatte alles so harmlos begonnen, mit einem Scherz am Rande. Man war in einem Straßencafé gesessen, im frühlingshaften München, Leopoldstraße, gleich bei der Universität. Mirwais, ein Taxifahrer, war zu ihnen an den Tisch gekommen, in einer Fahrpause. Man kannte einander von einer nächtlichen Fahrt, bei der sie gemeinsam einen Kampf ausgefochten hatten, gegen eine vermeintliche Übermacht von vier Gegnern. Die hatten aber nicht mit Mirwais gerechnet. Der war nämlich ein ehemaliger, afghanischer Mujahed gewesen und die Kämpfer, die es sogar geschafft hatten, die Russen aus dem Land zu vertreiben, die Mujaheddin, galten nicht zu unrecht als unbesiegbar.

Mirwais hatte bei der Schlägerei drei der Gegner im Alleingang erledigt. Der Vierte war Felsberg in die Faust gerannt, als er Mirwais von hinten anspringen hatte wollen. In Folge war der letzte Angreifer, angesichts seiner bereits ausgeschalteten Kumpel, dann einfach davongelaufen. Mirwais hatte Felsberg anerkennend auf die Schulter geschlagen, ihn gelobt, sein Schlag habe gut gesessen. Die Knöchel von Felsbergs rechter Hand hatten noch wochenlang geschmerzt.

Man hatte sich immer wieder getroffen, danach. Mirwais konstatierte, dass es ganz selten sei, dass er – als Taxifahrer – privaten Kontakt mit Fahrgästen habe. Michael sei die große Ausnahme von der Regel.

Mirwais hatte sich als guter Freund erwiesen, hatte immer geholfen, wenn es zu helfen galt, ob mit seinem Taxi oder, beispielsweise, auch beim Tragen eines neuen Schrankes, hinauf ins zweite Stockwerk.

Man war einander nähergekommen, hatte gemeinsam schon auch die eine oder andere Flasche Bier geleert, obwohl Mirwais offiziell Moslem war.

"Ich bin kein echter Moslem, bin es genauso, wie du vielleicht ein 'Christ' bist… oder auch nicht. Alle Afghanen sind Moslems, das geht gar nicht anders. Aber ich war schon seit Jahren in keiner Moschee mehr !"

Woraufhin Michael nur milde gelächelt hatte.

"Ich war schon seit meinem zwölften Lebensjahr in keiner Kirche mehr. Ich kann einfach nicht an diesen Humbug glauben, das sind Märchen, sonst nichts!"

Sie hatten gelacht und "Gott einen guten Mann sein lassen", wenn es ihn denn gab. Es war kein Thema zwischen ihnen und bedurfte fortan auch keinerlei wiederholter Bestätigung. Sie waren ziemlich ähnlich "gestrickt", trotz ihrer so verschiedenartigen Erziehung - Mirwais in Afghanistan und Felsberg mitten in Europa !

Nach und nach hatte Mirwais sich geöffnet, Felsberg als Freund angenommen, als "einzigen Freund" aus dem Lande der Ungläubigen.

"Der Islam sagt, ich solle mir keine Freunde unter den Ungläubigen suchen !"

Sie hatten beide lauthals gelacht und dann mit einer Flasche Bier auf ihre Freundschaft angestoßen. Es hatte aber noch einiger Treffen bedurft, bevor Mirwais schließlich langsam begann, mit seiner Geschichte herauszurücken.

Er war als Zweiundzwanzigjähriger, nach sieben Jahren des Kampfes gegen die russischen Invasoren, mit seiner jungen Frau und einem kleinen Kind nach Deutschland geflüchtet, hatte Glück gehabt, einen guten Job gefunden, als Elektriker, hatte anschließend fünfzehn Jahre in Kassel gelebt.

Als sein Vater, im Kampf verwundet, in seinen Armen starb, hatte er versprechen müssen, die Rolle des Anführers zu übernehmen. Da war er gerade mal fünfzehn Jahre alt gewesen. Aber auch vorher schon, hatte er es sich schon nicht nehmen lassen, die Kämpfer auf ihren Streifzügen zu begleiten. Später, hatten sie seine Führungsrolle ohne jeglichen Widerspruch akzeptiert, gerade weil er eben schon einer von ihnen war. So waren die Stammesgesetze - er, als ältester Sohn musste die Pflichten eines Familienoberhauptes übernehmen, und auch als Clan-Oberhaupt agieren.

Die Jahre gingen dahin, er hatte zwei Verletzungen erlitten. Einmal ein Granatsplitter und einmal der Schuss eines Scharfschützen, der seine Aufgabe offensichtlich – zu Mirwais Glück - noch nicht sehr professionell ausgeführt hatte.

Als die Russen dann schließlich ihre letzten Soldaten über die berüchtigte "Freundschaftsbrücke", bei Termez, nach Uzbekistan abzogen, hatte Mirwais keinen Grund mehr gesehen, noch länger im Land zu bleiben. Noch dazu wo sich bereits abzeichnete, dass nun Grabenkämpfe zwischen den Fraktionen stattfänden und daran teilzunehmen hatte er überhaupt keine Lust verspürt. Da ging es Bruder gegen Bruder, Onkel gegen Cousin, ehemalige Freunde, die nun auf verschiedenen Seiten standen, jeweils auf Seiten ihrer "Warlords", die von diesem Zeitpunkt an, alles Geschehen diktieren sollten.

Mirwais hatte seine Zelte abgebrochen, seine junge Frau und seinen kleinen Sohn mitgenommen. Zuerst nach Pakistan, wo Verwandte lebten und von dort aus direkt nach Deutschland, nach Hamburg. Auch da gab es einige entfernte Verwandte, die ihm die erste Zeit zu überstehen halfen. Bei ihnen hatte er auch erst einmal Frau und Kind untergebracht, bis eine Basis geschaffen war, wo man gemeinsam leben konnte.

Nach einer Zeit der Frustration und des Wartens auf Arbeitsgenehmigung und einem beträchtlichen bürokratischen Aufwand, einem Hürdenlauf ähnlich, hatte er sich entschlossen, nach München zu gehen. Das Flüchtlingswerk half ihnen, eine geeignete Behausung zu finden. Natürlich hatte es ihm sehr geholfen, dass er, in Kabul, auf die Amani-Highschool gegangen war, eine deutsche Schule, auf der man selbstverständlich auch die deutsche Sprache erlernte. Schon nach kurzer Zeit der Eingewöhnung, gab dann auch logischerweise, keinerlei sprachlichen Schwierigkeiten mehr.

Auch die Prüfung war kein Problem gewesen und seit damals saß Mirwais eben hinterm Lenkrad und kutschierte Leute durch die städtische Landschaft. Mittlerweile, über die Jahre, hatte seine Sprache dann auch schon einen durchaus bayrischen Einschlag bekommen und er fühlte sich gut integriert.

"Ah da kommt er ja wieder, der Saupreiß, der afghanische…"

Man hänselte ihn liebevoll, jeder mochte ihn, den geraden, aufrechten, ehrlichen und unbeugsamen Kämpfer. Nur in letzter Zeit bekam er auch oft die Frage gestellt, ob er denn auch ein "Taliban" sei. Da konnte er schon auch richtig ärgerlich und aggressiv werden, seine Augen blitzten.

"Das ist ungefähr so, als ob ich sagte, du bist Deutscher, bist du auch ein Nazi ?"

Dann kam der Tag als er, eher Scherzhaft als im Ernst, zu Felsberg jenen bedeutsamen Satz sprach, der sie in weiterer Folge dann, auch tatsächlich nach Afghanistan expedieren sollte.

Man hatte über Perspektiven gesprochen, über die Zukunft, über Absichten, endlich etwas anderes zu machen. Die alten Pfade waren ausgetreten, ausgelatscht, eingegrabene Laufspuren, immer im Kreis, immer hinter der Karotte her. Sie waren nicht besser als Esel.

"Wenn man Abenteuer sucht, wenn man eine Chance sucht, dann ist Afghanistan das richtige Land !"

"Ja, das richtige Land um den Kopf zu verlieren !"

Aber dann hatte Mirwais sein Wissen geoffenbart. Es gäbe da jede Menge Edelsteine, aber keiner der sie rausbringt, keiner der sie richtig vermarktet. Er, Mirwais, habe die besten Verbindungen, zu verschiedenen Warlords. Die warteten wahrscheinlich sehnsüchtig auf jemand wie sie, der das Heft in die Hand nahm.

Michael Felsberg hatte mehr als nur ein offenes Ohr gehabt. Er war in die Idee geradezu hineingefallen, hatte sie adoptiert, auch zur eigenen Perspektive gemacht.

Ein Monat später, im Juni, war der Gedanke bereits breit ausgearbeitet. Man stürzte sich, alles rein theoretisch noch, in die Details, entwickelte einen regelrechten Schlachtplan.

"Im Panjshir-Tal, da gibt es zum Beispiel, einen Berg, das ist der "Emerald-Mountain", da hat einer der Warlords - sie beauftragen Leute da raufzusteigen und in der Mine zu ackern – einen Smaragd gefunden, der später, am Markt, über sechs Millionen Dollar Erlös gebracht hatte !"

Felsberg hörte die Geschichten mit offenem Mund, es war wie ein Märchen aus "Tausend und einer Nacht", nur dass es eben keine Märchen waren. Mirwais war nicht der Mensch, dem man nicht glaubte, was er sagte. Und mit den Verbindungen, die er nach wie vor hatte, als ehemaliger "Commander". Man erzählte noch immer Legenden, von ihm, von seinen Taten, im Krieg gegen die Russen. Einige dieser Geschichten kannte auch Felsberg. Wie zum Beispiel jene, als Mirwais ganz allein einen Panzer "erlegte". Er hatte hinter einem Felsen gelauert, war dem Panzer - mit einer scharfen Handgranate zwischen den Zähnen - auf die hintere Fläche gesprungen, hatte die Luke geöffnet und die Handgranate hineingeworfen. Die Explosion hatte die Luke dann weggefetzt.

"Es war Krieg und du hättest sehen sollen, wie unsere Leute, Zivilbevölkerung, aussahen, nachdem die Russen mit Brandbomben, Flammenwerfern und Feuerstürmen über uns kamen. Wir haben die Toten nicht einmal mehr identifizieren können."

Im Juli wurde der Beschluss gefasst, das Unternehmen "durchzuziehen". Die Weichen wurden gestellt, alles Notwendige veranlasst. Mirwais Frau war nachsichtig, sie konnte seinen Hunger nach der Heimat, seine Sehnsucht gut verstehen. Außerdem wusste sie, dass nichts und niemand ihren Mirwais von einem Plan abbringen konnte, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte. Sie zog, mit ihrem Sohn, der nun, neunzehn Jahre alt, die Schule mit gutem Notendurchschnitt absolviert, ein Stipendium bekommen hatte, ohnedies nach Hamburg gewollt hatte, eben dorthin. Da war sie auch nicht alleine, konnte endlich wieder mit ihren Verwandten zusammen sein.

Als der August kam, wurden die Tickets gebucht, man wollte nach Duschanbe , Tadschikistan fliegen und von dort, auf dem Landweg nach Afghanistan einreisen.

"Das ist sicherer, man weiß nie, wer da am Flughafen sitzt und wem derjenige dann möglicherweise Bericht erstattet, das kann zu Verwicklungen führen. Wir sollten möglichst unerkannt einreisen !"

Ende des Monats war es dann soweit, der Vogel hob ab und landete ohne Zwischenfälle, einige Stunden später, problemlos in Duschanbe.

Ein paar Tage später waren sie dann, ganz normal, mit einem Taxi, an die Grenze gefahren, hatten ihre Papiere ordentlich vorgezeigt, auch dass sie ein Visum besaßen, alles wie geplant. Mirwais hatte tief eingeatmet, als sie dann offiziell afghanischen Boden betraten.

"Es kommt immer anders, als man denkt… ganz besonders in Afghanistan !"

Michaels Freunde, in Deutschland, hatten alle nur mehr den Kopf geschüttelt, ihn einen hoffnungslosen Träumer genannt, als er das erste Mal seine Absichten erwähnte. Ronnie, sein bester alter Freund, war die einzige Ausnahme gewesen, hatte ihm sogar noch etwas Geld zugesteckt, und gesagt, dass wenn er mal in ernsthafte Schwierigkeiten geriete, "aber nur wenn wirklich schon der Hut brennt !", dann solle er dazu sehen, ihm irgendwie Nachricht zukommen zu lassen, er hätte da "einen Mann" im Außenministerium, einen alten Freund, aus Kindertagen, der dann eventuell noch helfen konnte, wenn alle anderen Möglichkeiten versagten.

"Aaach… mir passiert schon nix, wirst schon sehen, eines Tages steh' ich wieder vor deiner Tür… Unkraut vergeht nicht !"

Ein anderer Freund hatte ihn gleich direkt gefragt, ob er denn Lebensmüde sei ? Ganz im Ernst, ob er denn, weil er mit seinem Leben irgendwie nicht zurechtkam, nun zum Sterben nach Afghanistan fahre ??

Felsberg dachte noch lange über diese Frage nach, sie hatte ihn getroffen !

Natürlich dachte er mit keiner Faser seines Gehirns ernsthaft an eine Art Selbstmord, aber an der Frage war etwas dran.

Was hatte er in seinem Leben nicht alles versucht, angegangen und dann doch wieder abgebrochen, weil ihm irgendetwas nicht passte.

Ein andauernder Zickzack Kurs, ein schlingerndes Schiff, ständig in Gefahr im tobenden Sturm zu kentern und abzusaufen.

Als sie dann in Kabul gelandet waren, er erstmals die heiße Luft in seine Lungen sog, wenige Sekunden später bereits den ersten Schweißausbruch auf seiner Stirn konstatierte, den Geruch der Stadt einsaugte, auch eine gewisse Vertrautheit feststellte, schwanden seine Selbstzweifel, machten nun endgültig den vor ihnen liegenden Abenteuern Platz.

Als Erstes war ihm aufgefallen, dass alles in der Stadt mit einer dicken Schicht Staub bedeckt war, jedes Blatt auf jedem Baum, jede Fläche, überall. Staub überall, auch in der Luft, im Wasser, in den Häusern, es gab keine Möglichkeit diesen Staub abzuhalten, er kroch durch Ritzen und Löcher, war einfach überall.

Und der Gestank, der über der Stadt lag. Eine wahrlich atemberaubende Mischung von allen möglichen Gerüchen. Abfall, Abwässer, Exkremente, Verfaulendes, alles zusammen, ein Pest-Odem, dem man so schnell wie möglich zu entkommen suchte.

"Morgen wirst du einen Freund von mir kennen lernen, ein General der siegreichen Kämpfer, ein Volksheld, fast so wie Massoud !"

Felsberg war da aber bereits in einer Art Trance gewesen, das Essen, die Schmerzen in seinem Bauch, das ununterbrochene Laufen zur "Toilette", einem Loch im Boden eines Raums, der ständige Energieverlust.

Auch am nächsten Tag dann, beim Besuch von Mirwais Freund, einer imposanten Figur in Kampfanzug, blieb es ihm nicht erspart mehrmals die Toilette zu besuchen. Die "Rache Montezumas" war auch in hier wirksam. Nun war er tatsächlich in Kabul angekommen.

General Habibullah war später dann, angesichts Felsbergs Nöten, wortlos aufgestanden, hatte einem seiner Soldaten einen leisen Befehl erteilt und sich wieder zu seinen Gästen gesetzt. Kurze Zeit darauf war der Soldat zurückgekommen, hatte dem General etwas in die Hand gedrückt und war wieder zurück auf seinen Posten gegangen.

Der General hatte ihm anschließend ein Glas Tee gereicht, dazu eine kleine dunkelbraune Kugel, hatte ihm bedeutet diese zu schlucken, was Felsberg umgehend tat. Es konnte nicht mehr schlimmer werden.

"Das war Opium, was du da gerade geschluckt hast !"

"Opium ??"

"Jaa, das ist gut gegen deinen Dünnschiss… funktioniert genauso gut wie andere Medizin, genau so gut."

"Schmeckt aber richtig widerlich !"

"Man muss das Zeug schnell schlucken, einfach runter damit und viel nachtrinken !"

"Und… werde ich jetzt in einen Opium-Rausch verfallen… dann musst du mich wenigstens ins Bett bringen, okay !"

"Nein, das kommt in deinem Gehirn so nicht an, das lähmt deine Darmtätigkeit, beruhigt dein System, und in zwei Tagen ist wieder alles gut !"

Aber es war ein ganz anderes Thema, das anschließend Felsbergs Aufmerksamkeit erregte, auf einmal lag ein großer Brocken eines blauen Steins auf dem Tisch. Der Hausherr legte den Brocken auf ein Teller, goss eine Schale mit Wasser darüber, so dass der Stein mit einem Mal in einem leuchtenden und doch dunklen Blau erstrahlte.

"Lapis Lazuli, der Stein der Götter, schon die alten Pharaonen ließen sich diese Steine direkt aus Afghanistan kommen, um ihre Schätze und Kunst- oder Kultgegenstände damit zu veredeln."

"Hmmm… ja, habe schon gehört von dem Stein, aber das ist meinen erste Begegnung, wo findet man die ?"

"Es gibt weltweit, nur ein Vorkommen, im Norden von Afghanistan. In den Bergen, über die Grenze, in Pakistan, gibt es zwar auch noch ein Vorkommen, aber die Qualität der Steine von dort ist schlecht, sie sind stark durchsetzt, vermischt mit anderem Gestein, eben unsauber, wie Pakistan."

"Wieso magst du keine Pakistani ?"

"Diese schmutzigen, schleimigen Parasiten haben den Krieg in Afghanistan überhaupt erst geschürt, wollten Afghanistan zu einer ihrer Provinzen machen, der Geheimdienst ISI hatte seine schmierigen Hände tief in diesem blutigen Spiel. Afghanistan wird nie vergessen, was Pakistan uns angetan hat, so wie wir auch die Russen nie vergessen werden… und die Engländer, die wir gleich zweimal vernichtend geschlagen haben !!"

"Das war ja auch gut so, was hatten Engländer in Afghanistan verloren…??"

"Was hatten die Russen hier verloren… sie wollten uns nur benutzen, für ihre 'geo-strategische Position'… einen Keil hier in diese Region treiben, Afghanistan selbst interessierte sie überhaupt nicht !"

"Aber die Taliban waren doch eure eigenen Leute !"

"Aaaah… jaaaa, schon, hauptsächlich unsere 'Brüder' aus dem Süden unseres Landes, die Pashtunen, auch das hat Geschichte, sie wollten schon immer die anderen Volksgruppen unterdrücken… außerdem waren sie von den Amerikanern finanziert, und von Pakistan, das mit seinem Geheimdienst schon von Anfang an beteiligt war… jaja, die Amerikaner haben eigentlich die Taliban mit-kreirt…und auch finanziert, das ist eine bewiesene Tatsache…dazu kamen dann erst später arabische und andere extremistische Einflüsse, Ikhwanis und so weiter…"

Mirwais keuchte heftig, als er diese Sätze hervorstieß, man konnte seinen schwelenden Hass fast körperlich spüren.

Felsberg beobachtete ihn genau, der Mann besaß zweifellos eine eigenständige Meinung und kannte seine Pappenheimer genau, er zeigte Rückgrat und Haltung, ein stolzer Afghane.

Als der General dann das Angebot gemacht hatte, doch mit ihm nach Norden zu kommen, in eben jene Provinz, wo der Lapis Lazuli "wuchs", hatte Felsberg keine Sekunde gezögert und das Angebot sofort angenommen. Was hätte ihnen Besseres geschehen können, als unter Bewachung einer ganzen Gruppe von Mujaheddin, mit ihrem "General", nach Norden zu fahren. Und vielleicht konnte man ja tatsächlich irgendetwas mit diesen blauen Steinen machen… Irgendetwas, was ihn, zur Abwechslung, auch einmal etwas Geld verdienen ließ. Zumindest eine doppelte Motivation, der General hatte sicherlich auch seine Hintergedanken, hatte nicht zufällig von den Edelsteinen erzählt, er wollte irgendetwas von ihnen.

Diese Szenen hatten sich vor zwei Wochen begeben, und man hatte nur einen kleinen Umweg eingeplant, nämlich zuerst noch einen Abstecher nach Bamyian zu machen, General Habibullah war gebürtiger Hazara, das war die Volksgruppe die in der Mitte Afghanistans lebte, direkte Nachkommen der mongolischen Horden unter Djinghis Khan, die das Land mehrfach und dauerhaft erobert hatten. Davor hatte schon Alexander der Große seine Spuren im Land hinterlassen und auch die Gene seiner griechischen Soldaten, sowie nach Djinghis Khan auch noch der uzbekische Eroberer Tamerlan, oder Timur Lengh, was nichts anderes als "Hinkefuß" hieß.

Am nächsten Tag waren sie in die Stadt gefahren, hatten in der großen, langen Shahra-ra-road Stoff gekauft, dunkleres Blau, hatten gleich nebenan einen Schneider-Laden gefunden und für Felsberg eine traditionelle afghanische Kleidung, einen "Peran Tunban", auch "Shalwar Kameez" genannt, anfertigen lassen. Anschließend waren sie noch zum Basar gefahren, hatten nahe der großen Moschee, zwei neue "Pakols" gekauft, wie die üblichen Kopfbedeckungen in diesen Regionen hießen. Man wollte nicht gleich als westliche Besucher erkannt werden, denn selbst Mirwais, als Afghane, wurde sofort als Emigrant erkannt, galt somit auch schon fast als "Feringhi", als Fremder.

Der Peran Tunban stand Felsberg ausgesprochen gut, der Pakol saß wie angegossen auf seinem Kopf, wenn er dazu noch Sonnenbrillen trug, dauerte es zumindest einige Sekunden, bevor er doch als Feringhi erkannt wurde, aber Sekunden konnten manchmal entscheidend sein. Er wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie sehr er mit dieser Sicht der Dinge Recht behalten sollte.

"Mika Kamar… das heißt auf Farsi, oder besser auf Dari, Mika der Felsen… genauer wäre es Koh-e-Kamar… Berg der Felsen, Felsenberg, Felsberg… Mika Kamar… ist aber noch immer zu lang… und unafghanisch… ich werde dich einfach 'Kamar' nennen… Kamar Khan, denn für afghanische Verhältnisse bist du ein 'Khan', ein 'Herr' !"

"Naja, wenn's dir Spaß macht… okay, dann halt 'Kamar' !"

Drei Tage später waren sie im Konvoi, ein Kleinbus und zwei Geländewagen, aufgebrochen, über die Hügel im Norden Kabuls, die löcherige, holperige Straße entlang, die die berühmten und heiß umkämpften "Shamali Plains" in zwei Hälften teilte, eine äußerst fruchtbare Ebene, die aber eben leider, heftigst umkämpft, von allen beteiligten Parteien gnadenlos vermint worden war, so dass es zum gewohnten Bild gehörte, überall Leuten, Kindern zu begegnen, die sich nur mehr mir Krücken fortbewegen konnten, späte Opfer der Minenfelder.

Bei Charikar hatten sie die erste Panne, man musste den Reifen sofort flicken lassen, nichts riskieren, denn schon einen Kilometer später, konnte auch der Ersatzreifen platt sein, und dann war die Fahrt erst mal für länger unterbrochen.

Der General saß bereits in der nächst erreichbaren Chaikhana, immer von mindestens zwei seiner Bodyguards begleitet, deren Lächeln eher an das Zähnefletschen von Raubtieren erinnerte. Zwei finstere Gestalten, von denen jeder Einzelne so an die hundert Feinde eigenhändig vom Leben zum Tode "erlöst" hatten, wie sie sich ausdrückten. Jallander, einer der Bodyguards war berühmt geworden, weil er nie Gefangene gemacht hatte. Es war genau Jallander, der sich nun mühte, ihn freundlich anzulächeln. Konnten zum Sprung bereite Panther noch lächeln ?

"Wherr arr yu fromm !" fragte ihn die raue Stimme in hartem Englisch.

"Germania… Alleman… Deutschland !"

"Aaaah… Germania… I have broder Hamburg !"

Er grinste noch breiter, sein Kollege, der zweite Bodyguard mischte sich ein, versuchte sich ebenfalls in einer Grimasse, die eigentlich ein Lächeln darstellen sollte.

"German ha wa afghan ha brother hai aryaee hastand !"

Die Deutschen sind die arischen Brüder der Afghanen. Woraufhin sich auch noch der General einmischte, grinsend auf Felsberg deutete und seinen Wächtern erklärte, dass dieser ein "Bacha e Hitler" wäre. Und Hitler sei ein großer "Dost" des afghanischen Volkes gewesen.

"Hitler khaile khub !"

Felsberg lächelte etwas gezwungen in die Runde, mit Hitler identifiziert zu werden, war ja nicht gerade sein Ding, eher ganz im Gegenteil. Aber es hatte keinen Sinn die Afghanen nun in tiefe Verwirrung zu stürzen, für sie war Hitler ein Held, ein "starker Mann", dafür bewunderten sie ihn, nicht wegen seiner Gräueltaten.

Man fuhr weiter nach Norden, an Jebel Saraj vorbei, bog dann nach links, von der Hauptstraße ab, weiter nach Westen, in Richtung Bamyian, der Hauptstadt des Hazara-Landes. Dorthin wo ehemals, vor drei Jahren noch die riesigen Buddha Statuen gestanden hatten. Bevor sie im Frühjahr 2001 endgültig von den Taliban gesprengt worden waren.

Die Fahrt ging endlos langsam über die rohe und auch noch zerstörte Landstraße, durch enge finstere Täler, Felsbergs Rücken schmerzte von andauernden Gerüttel, den Schlägen die nicht nur die Achsen der Fahrzeuge verkraften mussten.

Als sie endlich, am Abend desselben Tages, nach 12 Stunden Fahrt von Kabul, vor den leeren Höhlen stand, in denen damals die Buddha-Statuen das Tal überblickten, bis hin zu den Ruinen der Festung Ghol-Ghola, dem "Red Fort", in dem schon Alexander der Große blutige Ernte unter den Menschenkindern dieser Region gehalten hatte, war er tief traurig.

Abends in der Chaikhana an der Hauptstraße Bamyians erzählte er Mirwais von seinem ersten Besuch in Bamyian, damals 1975. Er war mit einem Freund zusammen durch die Höhlen gestiegen, bis zum Hinterkopf des großen Buddhas, wo man durch eine Öffnung sogar auf den Kopf des Buddhas springen konnte. Sie waren dann da gesessen und hatten auf dem Kopf des Buddhas ein dickes Rohr geraucht, Haschisch, so wie es Tausende anderer Hippie-Touristen in den Siebziger-Jahren gemacht hatten. "Schwarzer Afghane" hieß das Zauberwort.

Die Aussicht war grandios gewesen, und mit ein wenig Phantasie konnte man sich ohne Weiteres die historischen Schlachten vorstellen, die auf diesem Boden stattgefunden hatten.

Nun aber gab es den Buddha nicht mehr, ein 1200 Jahre altes Denkmal, einfach gesprengt, weg, aus, vorbei ! Die Kultur des Nichts hatte die Oberhand. Man dachte zwar über eine Restauration nach, aber es würde nie mehr das werden, was es vorher einstmals gewesen war.

Mirwais übersetzte seine Erzählungen für die anderen Leute in der Chaikhana, alle lächelten ihn freundlich an, klopften ihm anerkennend auf die Schulter. Die Bamyianis betrachteten ihn von da an mit anderen Augen, sahen ihn nun als alten Freund, der wieder einmal auf Besuch gekommen war.

Am Abend kam dann auch der Mann, auf den der General gewartet hatte, weshalb man ja eigentlich nach Bamyian gefahren war.

Er hieß Said und ließ, nach allen Begrüßungsformalitäten, auch gleich einmal die Katze aus dem Sack, warf mit lautem Klatschen einen Leinenbeutel auf den Boden, vor die Versammlung.

Der General öffnete den Sack eigenhändig, leerte den Inhalt auf den Teppich. Blaugrüne Steine purzelten in Mengen hervor, klirrten aneinander.

"Das ist Türkis… kommen aus den Bergen im Westen Afghanistans, nahe der Grenze zu Persien."

Felsberg nahm einen der größeren Stücke in die Hand, besah ihn sich näher. Aller Augen lagen gespannt auf ihm.

"Ich dachte immer Türkise gibt es nur in Mashad, in Persien…"

Mirwais grinste. "Ja, das ist auch so, dort werden sie verkauft, dort ist das Zentrum des Türkis-Handels.., aber gefunden werden die Steine in den Bergen… auch über der Grenze in Afghanistan… schön, nicht ?"

"Wunderschön… obwohl mir eigentlich die Gebrochenen, mit Adern, besser gefallen… Ich weiß schon, dass die Makellosen auch die Wertvolleren sind !"

Man besah sich die Steine im Einzelnen, es waren wahrhaft prächtige Stücke darunter, und es musste eine ordentliche Summe an Wert darstellen, was da vor ihnen lag.

Gemächlich sammelte man die Steine wieder zusammen, tat sie zurück in den Leinensack. Der General warf ihn einem seiner Leibwächter zu, der damit aus dem Raum verschwand.

"Du musst erst noch die Steine im Norden des Landes sehen, da ist Türkis dagegen nur ein… ein… äh, Billigprodukt !"

"Ja-ah, ich weiß, euer Lapis…"

"Mmmmh, aber nicht nur - auf dem Rückweg vom Norden, gehen wir über den Anjuman-Pass ins Panjshir-Tal. Da wo Massoud herkam, unser Nationalheld des Freiheitskampfes !"

"Ich kenne Massoud, er ist auch bei uns bekannt geworden… leider erst nach seinem Tod… aber, was für Dinger gibt’s denn dort ?"

"Smaragde - bei Safid Cher, einem Dorf in der Mitte des Panjshir, geht ein Seitental ab, dort ist der Koh-i-Samarod, der Smaragd-Berg !"

"Und da kommst du so ohne Weiteres ran ??"

"Du vergisst, dass ich damals auch ein Mujahed war… und zu Beginn der achtziger Jahre war ich fast ein ganzes Jahr in einer Gruppe von Kämpfern um Ahmad Shah Massoud - er selbst hat mich damals weggeschickt, nach Deutschland, meine Frau bekam das zweite Kind, es war zu unsicher für sie, die Russen kamen mit Flugzeugen und Helikoptern, Panzern und Raketen !"

"Aber du warst siebzehn Jahre weg von zu Hause, kennen sie dich noch ?"

Mirwais lachte laut auf, kratzte seinen Kopf, versank in den Bildern, die auf einmal wieder vor seinen Augen standen.

"Es gibt vieles, das du noch nicht weißt, ich war selbst auch ein "Qomandon", ein "Commander"… und Afghanen vergessen nicht, auch nicht nach hundert Jahren. Ich vergesse auch nicht, mein Bruder ist neben mir gestorben, sowie auch weitere 5 Mitglieder meiner Familie ums Leben kamen, in den Lagern der Russen, später dann Lager der radikalen "Hezb-e-Islami" Gruppe, noch später dann in Lagern der Taliban… Nein, ich werde nie vergessen !"

Felsberg legte ihm kurz die Hand auf die Schulter, drückte sie in stummer Anteilnahme, aber Mirwais schüttelte ihn schnell ab, wollte an dieser Stelle keine weiteren Emotionen, keine Schwäche aufkommen lassen.

"Die Feinde sind noch immer da, sie haben sich nur wie feige Hunde verkrochen. Ich meine jetzt nicht in irgendwelche Höhlen, nein, sie haben einfach ihre Bärte abgeschnitten, andere Kleidung angezogen und gebärden sich als treue Afghanen. Aber wir kennen ihre Gesichter und auch ihre Namen. Sie werden ihrer gerechten Strafe nicht entgehen, das afghanische Volk wird Gerechtigkeit fordern !"

Er war zutiefst ernst geworden, blickte Felsberg finster an, verschwand für eine Weile in der Dunkelheit. Felsberg war gerade in seinen –Schlafsack geschlüpft, als Mirwais wieder eintrat.

"Du wirst sehen, wie wir dort begrüßt werden, im Panjshir…" setzte er die Unterhaltung nahtlos fort, schwieg dann aber, legte sich ebenfalls zum Schlafen nieder.

Am nächsten Tag war man schon in aller Frühe auf den Beinen, der Muezzin hatte gerade zum Morgengebet gerufen, man wollte schnell nach Norden, über den Salang-Pass, durch den berühmt-berüchtigten Tunnel. Auf dreitausend Meter hatten die Russen, damals, in ihrer Zeit, diesen Weg nach Süden durch den Berg geschlagen, über sich die Spitze des Salang, mehr als fünftausend Meter hoch. Der Tunnel, ein bemerkenswertes Bauwerk, war natürlich auch im Krieg zu einer Schlüsselstelle geworden. Schlachten waren hier geschlagen worden, von allen möglichen Beteiligten.

Aber zuerst musste man neuerlich die beschwerliche Reise zurück zur Hauptstraße antreten. Felsberg hatte, mit Rücksicht auf seinen schmerzenden Rücken, gebeten in einem der Geländewagen fahren zu dürfen, Mirwais gesellte sich auch noch hinzu. Der General saß ausnahmsweise auch in einem der Geländewagen, dem ersten in der Kolonne, der Bus in der Mitte war ausschließlich von seinen Soldaten besetzt.

"Heute fahren wir bis nach Kunduz, zu einem andern General, dem Gouverneur der Provinz." hatte General Habibullah noch gesagt, bevor er die Wagentür schloss, sich die Fahrzeuge endlich in Bewegung setzten.

Es war eine quälende Fahrt geworden, trotz der besseren Federung des Geländewagens, noch dazu waren sie die Letzten im Konvoi, was hieß, dass sie die Fenster besser geschlossen hielten, wollten sie nicht den Staub der vorderen Fahrzeuge schlucken.

Die Augustsonne war unbarmherzig, schon um neun Uhr morgens war das Fahrzeug innen heiß wie ein Ofen.

Felsberg bat um einen kurzen Stopp, als die Straße dem Fluss wieder einmal nahe kam. Er lief zum Flussufer hinunter, wusch sein verklebtes Gesicht, machte seine Haare nass, füllte eine leere Plastikflasche mit dem kühlen Nass und stoplerte zurück zum Fahrzeug.

"Dir ist schon klar, dass diese Flussufer hier vermint sind… von den Taliban…"

Mirwais zog seine linke Augenbraue nach oben gezogen, hattelächelte Felsberg unsicher, mit gemischten Gefühlen angelächelt. Felsberg hatte ihn nur angesehen, schweigend, bis er dann trockenen Tones sprach.

"Also, das nächste Mal, so es eines gibt, würde ich dich bitten, mir so etwas gefälligst vorher mitzuteilen, so dass ich meine Planung demnach gestalten kann !"

"Kann ich einen Schluck Wasser haben ?"

"Natürlich, sicher - hier, trink nur… das nächste Mal gehst dafür dann du Wasser holen !"

Sie hatten gerade wieder losfahren wollen, mit geöffneten Fenstern, die anderen waren nun ja schon vorausgefahren, da war es ganz plötzlich passiert.

Erst eine Explosion und kurz darauf noch eine zweite. Teile flogen durch die Luft, man konnte einen großen Rauchpilz hinter dem nächsten Felsvorsprung aufsteigen sehen. Maschinengewehrfeuer, mehrere Waffen "sprachen" zugleich, einige aus der Entfernung, andere ganz nah, da war ganz plötzlich ein Kampf ausgebrochen.

Die drei Soldaten in Felsbergs Geländewagen hatten ihre Maschinenpistolen gepackt, sprangen sofort aus dem Wagen, liefen geduckt auf den schützenden Felsvorsprung zu, hielten sich in Deckung, spähten um die Ecke.

Mirwais hatte dann im Geländewagen nach weiteren Waffen gesucht, tatsächlich auch noch eine Kalashnikoff gefunden, hatte noch "Du wartest hier !" gerufen und war ebenfalls geduckt auf den Felsen zugelaufen.

Felsberg wusste, völlig perplex, momentan nicht, wie er sich verhalten sollte, im Wagen sitzen zu bleiben konnte entschieden keine Lösung sein. Also war dann er auch ausgestiegen, hatte sich auch schon dem Felsen nähern wollen, sich dann aber dann doch dafür entschieden den kleinen Abhang hinauf zu klettern, vielleicht konnte man ja von oben besser überblicken, was da im Gange war.

Zum Glück war der Boden so felsig, dass er seine Gedanken an etwaige Minen vergaß und sich langsam aber stetig auf die Bergkuppe zubewegte.

Die Sicht ins Tal offenbarte dann auch das volle Ausmaß der Katastrophe. Beide Fahrzeuge mussten von Raketen getroffen worden sein, das Zweite allerdings etwas später, so dass einige der Soldaten im Bus noch herausspringen hatten können, aber nicht viel mehr. Ihre Leichen lagen auf der Straße verstreut, da regte sich keiner mehr. Das erste Fahrzeug, mit dem General, musste voll von der Rakete getroffen worden sein, es war förmlich in Stücke gerissen, von den Passagieren keinerlei Spur, wie in Luft aufgelöst oder vom Erdboden verschluckt.

Tief unter ihm, knapp hinter dem Felsen, die Leichen der drei Soldaten, die mit ihm im Fahrzeug gesessen hatten. Nur eine Waffe hatte noch weitergefeuert, schwieg dann aber ebenfalls. Felsberg hatte gerade noch sehen können, dass Mirwais sich wieder hinter den Felsen zurückzog und nun wieder auf der sicheren Seite der Straße war.

Er hatte einen gedämpften Zischlaut ausgestoßen, Mirwais brachte sofort seine Kalashnikoff in Anschlag, sah zum Glück aber gerade noch rechtzeitig den heftig winkenden Felsberg hinter seiner Deckung.

So schnell es sein Atem zuließ kletterte Mirwais zu ihm auf die Anhöhe, samt seiner Last, von mittlerweile zwei Maschinenpistolen, einige Magazinen und auch eine Pistole.

"Wer weiß, vielleicht brauchen wir die noch…" Er atmete heftig, als er auch schon wieder daran machte wieder zur Straße hinunter zu klettern.

"Gib mir Feuerschutz… !!"

Gut gesagt, hatte Felsberg noch gemurmelt. Er hatte in seinem Leben noch nie zuvor eine Maschinenpistole in der Hand gehalten, hätte auch gar nicht gewusst, wie man sie bedient, dies war ja nicht irgendein Heldenepos auf der Kinoleinwand und sein Name war auch nicht Rambo.

Hoffend, dass seinem Kumpan nichts geschähe, saß er hinter seinem kleinen Felsen, und musste zu seinem Schrecken beobachten, wie sich auf der anderen Seite des Tales, eine Gruppe von Gestalten an den Felsvorsprung anpirschte, um Einblick und damit auch Möglichkeit zu bekommen, neuerlich zu feuern.

Aber da war Mirwais auch schon wieder zurückgekommen, hatte ihm eine der Waffen abgenommen und schnell ein paar Einzelschüsse abgegeben, um den weiteren Vormarsch der Gegner zu stoppen oder zumindest zu verzögern. Solange bis sie weiter den Berg hinangestiegen waren, außer Sichtweite der Straße.

Ächzend hatte sich Felsberg auf die Erde fallen lassen, verschnaufte erst einmal, bevor er Mirwais fragend anblickte.

"Die anderen sind alle tot… elf Mann, einschließlich des Generals ?"

"So tot, wie man nach einem Raketenangriff nur sein kann !"

"A-aber wer war das, ich habe gedacht wir befinden uns hier auf "sicherem Gebiet", dabei ist auf einmal Krieg !"

Mirwais hatte einen kleinen Rundgang über das Plateau hinter sich, als er zu Felsberg zurückkehrte.

"Das kann alles Mögliche gewesen sein, ich weiß es auch nicht, nur soviel, dass natürlich auch General Habibullah seine ganz persönlichen Feindschaften hier hat. Das können sowohl versprengte Banditen sein, marodierende Banden der Taliban, es können die oder die oder die gewesen sein… vielleicht finden wir das ja noch heraus…"

"Pfffff… Wahnsinn, ich habe mir fast in die Hosen gemacht !"

"Mach dir nichts daraus, du wärest nicht der Erste, der sich wirklich in die Hosen macht… Krieg stinkt… nicht nur nach Tod und Verwesung… sondern auch nach Scheiße… manchmal sogar nach der eigenen !"

Später dann, als der Mond aufgegangen war, hatten sie sogar gewagt in einer natürlichen Vertiefung im Boden ein kleines Feuer zu entfachen, wenigstens etwas Wärme abzubekommen, die Temperaturen auf den Bergen, noch dazu in der Nacht, waren trotz des herrschenden Sommers schneidend kalt.

Sie hatten sich die Nachtwache aufgeteilt, nachdem ihm Mirwais nochmals ganz genau erklärt hatte, wie die Kalashnikoff funktionierte. Die ersten vier Stunden war Felsberg mit der "Puschka" hinter den Felsen gesessen, hatte konzentriert in die dunkle Schlucht unter sich gestarrt, hoffend, dass keiner der Banditen, wie Mirwais sagte, auftauchte und er vielleicht sogar hätte schießen müssen.

Etwa um Mitternacht, als er Mirwais hatte wecken wollen, war dieser verschwunden gewesen, nicht mehr bei der Feuerstelle, obwohl er sich dort zum Schlafen hingelegt hatte.

Ein zartes Rascheln hinter sich, ließ Felsberg erschrocken auf den Fersen herumwirbeln, aber Mirwais hatte schon lächelnd die Hände erhoben, trat in den schwachen Schein des Feuers.

"Nicht schießen, großer Krieger… hättest du dir auch nicht gedacht, dass du in deinem Alter noch einmal zum "Mujahed" wirst."

"Ich habe ehrlich gesagt kein gesteigertes Interesse in dieser Richtung !"

"Glaubst du wir hatten eine Wahl, genauso war es damals, da ist auf einmal einfach jemand dahergekommen und hat begonnen auf uns zu schießen… und nachdem einige gestorben waren nahmen wir auch die Waffen auf und schossen halt zurück und dann war Krieg !"

"Ja,jaa… ich verstehe schon… da hätte ich wahrscheinlich auch zur Waffe gegriffen…"

Als Felsberg einige Minuten später, in seinem Schlafsack lag und am Einschlafen gewesen war, hatte er tiefe Dankbarkeit für Mirwais empfunden, dass dieser trotz der drohenden Gefahr nochmals zum Wagen hinuntergestiegen war, um einige Sachen zu holen, unter anderem auch ihrer beider Schlafsäcke.

Er hatte gerade irgendetwas von einer reizvollen Frau geträumt, als Mirwais ihn unsanft rüttelte.

"Sie sind da… wir müssen sofort von hier weg !"

"Wie, sie sind da… wo sind sie ?" Felsberg war aus seinem Schafsack gesprungen, hatte ihn in drei Sekunden zusammengerollt, und in der nächsten Sekunde nach der zweiten Kalashnikoff gegriffen.

"Sie steigen gerade schön langsam zu uns herauf, ich schätze sie sind in einer halben Stunde da !"

Auch Mirwais hatte nun seine sieben Sachen gepackt, man machte sich umgehend an den Abstieg, die andere Seite des Berges abwärts, ohne vorher zu vergessen, noch ein paar gezielte Schüsse auf ihre Verfolger abzugeben. Dies würde sie wenigstens noch etwas länger aufhalten, bevor sie dann herausgefunden hatten, dass hier niemand mehr war.

"Wir müssen dorthin, in diese Richtung, dort verläuft die Straße nach Norden, wir müssten zwangsläufig auf sie stoßen !"

"Was nichts anders heißt, als dass du keinerlei Ahnung hast, wo wir hier sind, beziehungsweise, wie wir gehen müssen."

Mirwais hatte laut aufgelacht und war lachend weitergegangen, Felsberg, stolpernd, hinter ihm nach, seine Kräfte waren zusehends im Schwinden. Die Aussicht, wenn sie neuerlich eine Höhe erklommen hatten, war umwerfend, aber Felsberg plagten andere Sorgen. Das Meer der Berge das vor ihnen lag, erschien ihm endlos und man kannte das ja, dass Leute manchmal auch im Kreis liefen, wenn sie sich verirrten.

Die folgende Nacht, gezwungenermaßen in einem engen Tal verbringend, schlief man ohne wärmendes Feuer. Der Wasserfall am Ende der Schlucht hatte ihren weiteren Abstieg in der Dunkelheit verhindert.

Der Morgen danach war mit einem lauten Knall gekommen, einem Knall aus Mirwais' Waffe. Sofort war er hellwach gewesen, hatte nach seiner neben ihm liegenden Maschinenpistole gegriffen und war zu Mirwais hingerobbt.

"Wir müssen sofort hier weg, sie sind zu fünft, ich habe sie alle gesehen, wollte sie nur noch näher kommen lassen."

Neuerlich riss er die Waffe hoch, gab einen schnellen Schuss ab. Ein verhaltener Schrei aus der Richtung der Verfolger, zeigte an, dass er wohl getroffen haben musste.

"Da waren es nur mehr vier… altes deutsches Märchen, kennst du …?"

"Zehn kleine Negerlein, jaja…"

Sie hatten beide ein grimmiges Grinsen in ihren Gesichtern, als sie einander anblickten.

Eine Minute später waren sie bereits wieder auf dem Weg, durch einen engen halb verdeckten Durchlass, am Wasserfall vorbei, weiter hinunter, in ein anderes etwas weiteres Tal.

"Auf der anderen Seite werde ich eine Weile warten, auf unsere 'Freunde', die müssen, wenn sie uns weiter verfolgen, auch durch diese Engstelle !"

"Aaah, Wilhelm Tell - durch diese hohle Gasse muss er kommen…"

"Wilhelm, wer ??"

"Vergiss es, geh weiter."

Das Tal, das sich ihnen nun öffnete, barg eine erfreuliche Überraschung für sie. Es war übersät mit Hunderten von großen Felsbrocken, als ob hier Riesen Felsenschlacht veranstaltet hätten. Ideal um dahinter in Deckung zu gehen und jemand aufzulauern, denn genau das hatten sie vor.

"Entweder sie oder wir!" waren die letzten Worte gewesen, die ihm Mirwais zugerufen hatte, dann war er hinter dem nächsten Felsen verschwunden gewesen.

Felsberg lag auch hinter einem der Brocken, aber Mirwais hatte ihm dringend eingeschärft, nicht zu schießen, er könne das besser, er sei der Kämpfer hier.

Dann hatte es einmal, zweimal, dreimal gekracht, kurz hintereinander, Explosionen von Hangranaten und darauf folgend ein einzelner Schuss, ein Schrei, der als Schall durch das Tal trieb und irgendwohin verschwand.

"Da waren's nur mehr drei…" hatte Mirwais trocken konstatiert, als er wieder an seiner Seite war, und sie weiter gingen, immer in Deckung der großen Steine.

"Sind die beiden tot ?" Felsberg war unangenehm berührt, aber Mirwais zuckte nur mit seinen Achseln, blieb nicht stehen, sprach mit leiser Stimme.

"Schau mal, der Erste ist garantiert am Leben, ich habe gesehen, wie er in Deckung gekrochen ist - ich hatte ihn ins Bein getroffen, auch darauf gezielt… Der Zweite ist vom Felsen gefallen, als ich ihn ebenfalls ins Bein traf… ich glaube der ist aber tot, er bewegte sich nicht mehr !"

Sie waren lange schweigend weitergegangen, bevor Felsberg eine Art Antwort als Frage formulierte.

"Und, wie ist das eigentlich, wenn man weiß, dass man einen Menschen getötet hat ? Wie viele hast du persönlich getötet ?"

"Himmel, Arsch und Zwirn… bitte, kriege es in deinen Kopf, wir haben das nicht freiwillig gemacht, wir sind in diese Situationen hinein gezwungen worden. Zuerst die Russen, dann die verschiedenen Fraktionen unserer eigenen Banditen, die sich allesamt hinter dem Islam versteckten, ihn als Schild vor sich her trugen, dahinter verbargen sich aber eigentlich ebenfalls nur Banditen… und dann kamen die Über-Banditen, die Taliban, die gleich glaubten den Islam neu erfunden zu haben und alles und jeden unterdrückten !"

"Jajaaa, ich kenne ja alle diese Geschichten, es war ja auch nicht zu vermeiden, das Fernsehen, Zeitungen, Journale… wir waren ja gewissermaßen schon überfüttert, mit alle den Katastrophenmeldungen aus Afghanistan !"

"Ich auf jeden Fall, bin kein Muslim mehr. Und wenn du mich hier in Afghanistan einmal zufällig beten sehen solltest, so tue ich dies nur aus Respekt gegenüber meinen alten Freunden… die es nicht verstehen könnten, dass ich auf einmal ein "Kafir" geworden bin, ein Ungläubiger !"

Am nächsten Morgen, die Sonne hatte gerade ihre ersten Strahlen über die Bergkante gesandt, als sie ein weit offenes Tal überqueren wollten, bemerkten sie, ganz ohne Knalleffekt, dass sie noch immer verfolgt wurden. Ganz plötzlich hatte nämlich die Erde neben ihnen aufgespritzt, Felsberg hatte sich noch niedergebeugt, um zu untersuchen, was denn das gewesen sei, als ihn Mirwais schon mit einer schnellen Bewegung zu Boden warf.

"Scharfschützen, zum Glück schießen sie schlecht - der Knall kommt erst nach, den hörst du nicht mehr, bist schon tot…"

Mirwais sah sich vorsichtig um, suchte einen Fluchtweg. Er deutete auf das Flußbett, einer der vielen trockenen Wasserläufe. Er packte Felsberg einfach an der Schulter und zog ihn auf dem Boden mit sich, bis hinunter in den Wadi.

"Puuuh, das war richtig knapp… wenn das einer von unseren Leuten, damals, gewesen wäre, dann wären wir jetzt bereits im Paradies !"

"Jaaa… ihr Moslems habt da ja auch zweiundsiebzig Jungfrauen warten und sonst noch so einiges, deshalb seid ihr ja auch so scharf drauf ins Paradies zu kommen !"

"Und ich hatte dir vorhin gerade erzählt, dass ich kein Muslim mehr bin, nicht mehr an diese dumme Religion glaube !"

"Aber damals warst du's noch…"

"Damals, da war vieles anders… da war ich auch noch jung, dumm und gefräßig, aber nicht viel mehr."

Sie grinsten einander an, verstanden einander auch schon ohne große weitere Worte, man umarmte einander kurz.

Sie folgten dem Flusslauf, im Flussbett, er führte stetig leicht abwärts, mäanderte durch ein weiteres Tal, ergoss sich endlich in eine weite offene Ebene, verlor sich sprichwörtlich im Sand. Man war neuerlich an den Shamali-Plains angelangt, die Gefahr war zwar noch nicht ganz vorbei, aber nun doch besser zu kontrollieren.

Nun war es nur mehr diese weite offene Fläche, die es zu überqueren galt, in der Mitte verlief die Hauptschlagader Afghanistans, die Straße von Süd nach Nord, wohin sie ja anschließend eigentlich gewollt hatten.

Aber es war noch immer viel zu riskant, diese Ebene, ungedeckt, in hellem klaren Tageslicht zu überqueren, Spione konnten überall sitzen. Also zog man sich in den Schutz einiger Felsen, an den Rand der Ebene zurück, um vielleicht in den letzten Stunden des Tages auch noch etwas Schlaf zu finden. Die Nacht würde man benützen um loszugehen.

Aber es war eigentlich noch nicht Nacht gewesen, als sie, auf Mirwais Rat, aufbrachen. Die Sonne war gerade untergegangen, ihr Schein langsam hinter den Bergen um Westen verglüht, als eine halbe Stunde später völlige Dunkelheit herrschte.

"Das ist die dunkelste Zeit der ganzen Nacht, wir müssen jetzt weggehen, in einer weiteren halben Stunde steht der Mond am Himmel und dann sieht's wieder schlecht aus für uns, da müssen wir schon außer Reichweite sein !"

Er ging, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, einfach los, Felsberg hatte Mühe sein Tempo mitzuhalten, aber zweifellos hatte er recht, die Kanonen lauerten in ihrem Rücken. Am besten wäre es auf die andere Seite der Ebene zu gelangen, dort waren die Sympathien eindeutig vertauscht, sie fänden überall Schutz und auch Unterkunft, das war Freundesland.

Felsberg hatte schon lange keine Empfindung mehr für seine eigenen physischen Schmerzen, seine schlechte Kondition, trabte fast schon wie ferngesteuert hinter seinem Freund nach. Dann waren sie endlich bei der Straße angekommen. Aber das war noch nicht das Ende, diese Leute, die hinter ihnen her waren, mussten Komplizen auf der Straße gehabt haben, denn als Mirwais einen Wagen kommen sah, fuhr dieser geradewegs auf ihn zu, und nur ein mutiger Sprung in den Straßengraben rettete ihn davor, überfahren zu werden.

Nicht genug, war der Wagen kreischend zum Stehen gekommen, vier Gestalten sprangen heraus, die sofort nach ihnen Ausschau hielten.

"Mika, Mika, wo bist du… um Himmels willen… Schieß endlich !"

Felsberg schob den Sicherungsbügel an seiner Waffe zur Seite, krümmte seinen Zeigefinger, die Waffe bellte los.

Premiere, es war das erste Mal, dass er eine Garbe aus einer Maschinenpistole abfeuerte und das noch aus der Hüfte, wie im Kino.

Mirwais lief los, in die Dunkelheit, Felsberg folgte ihm auf dem Fuß, man durfte sich nun nur nicht auch noch versehentlich trennen. Zumindest seine, Felsbergs Chancen sänken dann akut auf null.

Sie verbargen sich in den Ruinen eines verlassenen, zerbombten Dorfes, von denen es auf den Shamali Plains unzählige gibt. Am Morgen, noch bei Dämmerung brachen sie wieder auf - wie viele Tage waren sie nun schon unterwegs - die Zeit verschwamm mit steigender Müdigkeit, Felsberg stolperte mehr als er ging.

Aber dann kam der Lichtblick, Mirwais hatte einen Berg wieder erkannt, ein ganzes Massiv, was hieß, dass er sich von nun an auskannte und man nicht mehr blind in der Gegend herumrannte, immer in Gefahr eines Hinterhaltes.

In dem kleinen Dorf am Fuße der Berge machte man kurz Halt, Felsberg zog seinen Pakol bis tief ins Gesicht, seine Bartstoppel waren durchaus bereits ähnlich denen der Afghanen. Mirwais fand den lokalen Bäcker kaufte einige Räder Brot, an einer Ecke der Hauptstraße fand sich sogar eine kleine Chaikhana, vor deren Eingang ein junger Afghane Lammfleisch, eine Reihe von Kebabspießen auf offener Glut briet. Felsberg stieß Mirwais an, schmerzlich kam ihnen zu Bewusstsein, dass sie alle diese Tage praktisch nichts gegessen hatten.

Als Mirwais zwölf Spieße bestellte, sie nur noch auf den Garvorgang warten mussten, war es dann zu eben jener Begegnung gekommen, in der Felsberg von dem Mann mit dem strengen Geruch um Bakshish angebettelt worden war. Er hatte nicht umhinkönnen, sich die Nase zuzuhalten und sich abzuwenden, und einen Laut der Verabscheuung von sich zu geben, einen eindeutig europäischen Laut der Abscheu.

Die Augen des Mannes hatten verdächtig aufgeblitzt, er hatte den Schlafsack, die Waffe, und den Sack den Mirwais trug verdächtig lange gemustert, war in Sichtweite stehen geblieben, hatte ihnen noch länger zugesehen.

Zuerst suchte Mirwais noch nach einer Karawanserei, nach einem Schlafplatz in einem Haus. aber nachdem ihm Felsberg die Begegnung mit dem Mann geschildert hatte, brachen sie doch wieder auf, wanderten gemächlich aus dem Dorf, hielten auf die Straße zu, gingen gemächlich weiter. Hinter der nächsten Buschreihe waren sie aber dann schnell nach rechts gegen die Berge zu gegangen, nach Möglichkeit in Deckung von Büschen oder kleinen trockenen Schmelzwassergräben.

Der Mond hatte bereits so erheblich zugenommen, seit dem Tag des Überfalls, dass es keinerlei Schwierigkeit darstellte, nach dem Verzehr des inzwischen natürlichen erkalteten Kebab-Fleisches und einem Rad "Nan", dem afghanischen Brot, einen geeigneten Schlafplatz hinter einem Felsen zu suchen und auch zu finden.

Bin in Afghanistan

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