Читать книгу Bin in Afghanistan - Peter J. Gnad - Страница 5
ОглавлениеMan hatte sich nur, aus Sicherheitsgründen, wie auch schon in den Nächten zuvor, nicht nebeneinander zum Schlafen hingelegt, sodass nötigenfalls noch gegenseitige Hilfe bei einem Angriff auf einen von ihnen, möglich war.
Und es hatte nicht allzu lange gedauert, bis der Angriff des streng riechenden Mannes mit dem Prügel erfolgte. Es war ganz seltsam gewesen, Felsberg hatte es fast im Voraus "gewusst", dass der Mann kommen würde.
All dies war in den vergangenen Tagen geschehen. Nun, nachdem man auch diese Gegend hinter sich gelassen hatte, saß man in einer Höhle, einem alten Unterschlupf, den Mirwais noch aus den Kriegstagen gegen die Russen kannte. Am Ende des langen Ganges, der schwarze, unergründliche Schlund, mit dem Rauchabzug, oben in der Kuppel, man wärmte sich am Feuer, es war kalt im Berg.
Mirwais machte etwas das man als Soldat, oder Waffenträger, wohl machen musste, er reinigte seine Waffe.
Als sich Felsberg daran machen wollte auch seine Waffe zu reinigen, verbot ihm Mirwais dies, sonst wäre man, im schlimmsten Falle, im Moment völlig wehrlos. Mirwais Instinkte funktionierten, Felsberg sah ihn bewundernd an, der wusste genau was er tat, wenn er es tat. Felsberg nahm seine Maschinenpistole, schlenderte zum Eingang der Höhle, sah hinaus, kontrollierte das Vorfeld ihres Unterschlupfes. Aber alles war ruhig.
"Übrigens, hast du dich noch nicht gefragt, warum die denn überhaupt hinter uns her sind ?"
Mirwais Frage klang ganz harmlos, scheinbar ohne Hintergedanken.
"N-nein, ich habe mir gedacht… das seien irgendwelche… feindliche Gruppen… so wie du erzählt hast."
"Neeeein... das trifft hier nicht zu… das findet man ja dieser Tage nicht mehr ganz so häufig, dass einfach der eine auf den anderen ballert… wir haben ja jetzt Frieden im Land !"
"Ja und was war es dann… weißt du es denn, was die von uns wollen… berauben hätte ja nicht gerade viel Sinn, bei uns… und die Hartnäckigkeit, mit der die hinter uns her sind… was haben wir denn, das die so verzweifelt haben wollen ?"
"Jaaa… ich weiß, was sie wollen !"
Ohne ein weiteres Wort griff er in den Beutel, den er immer fest um seinen Oberkörper trug, zog daraus einen weiteren Beutel hervor, einen Leinenbeutel. Die Steine klirrten leise, als der Sack auf dem Boden, vor Felsberg landete.
"Es darf keine Geheimnisse zwischen uns geben !"
Felsberg muss ein reichlich dummes Gesicht gemacht haben, als er in den Beutel griff und einige der schönen blauen Türkise und andere Edelsteine hervorholte, anschließend neuerlich zu Mirwais blickte, mit noch ratloserem Gesichtsausdruck, als vorher. Mirwais lachte breit, als er Michaels Gesicht ansichtig wurde.
Felsberg stand wortlos auf, ging wieder zum Eingang der Höhle, um wieder das Vorfeld zu kontrollieren. Schließlich waren sie noch immer nicht sicher, jederzeit konnte plötzlich alles mögliche geschehen. Konnte man sich auch an die Gefahr gewöhnen ? Mirwais hatte einen ganz anderen Umgang mit der ständigen Bedrohung.
"Na, da bin ich ja froh, dass ich wenigstens nicht für Nichts gestorben wäre…es sind also tatsächlich nur Banditen, die hinter uns her sind."
"Ja… und sie betrachten diesen Leinensack als ihre legitime Beute, die wir ihnen eigentlich nun quasi "gestohlen" haben, sie sind empört !"
"Iss ja lustig..." Felsberg schüttelte ungläubig seinen Kopf "Dass einmal Banditen wegen Edelsteinen hinter mir her sein würden, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt… sag mal, was sind die Dinger denn eigentlich so wert ?"
Mirwais wand sich etwas bei der Frage, wollte sich nicht festnageln lassen, er war ja schließlich kein Experte.
"Ich weiß nicht, bin ja auch kein Fachmann, aber General Habibullah meinte so nebenbei, dass es schon einige "Zig-Tausend" Dollar sein müssten, als Erlös von dem Säckchen!"
Felsberg stieß eine Art Fauchen aus, stand versonnen da, blickte auf den Leinensack, griff danach, holte einige der Steine heraus, ließ sie genüsslich durch seine Finger gleiten.
"Jaa und wem gehören die jetzt eigentlich ?"
Mirwais lächelte ihn mit übertriebener Freundlichkeit an, sagte mit süßlicher Stimme, "Ja, was glaubst du denn… bezahlt waren sie, das weiß ich… geliefert wurden sie auch… aber es gibt keinen Eigentümer mehr… das ist wie Strandgut… die rechtmäßigen Eigentümer sind nun wir !"
Felsberg muss nochmals dümmer ausgehen haben als zuvor, Mirwais lachte hemmungslos, musste sich vor lauter Lachen sogar auf den Boden setzen, hielt sich den Bauch, zog eine schmerzhafte Grimasse, lachte, bis er keuchend einhielt.
"Ja, wir sind jetzt schon erfolgreiche Edelsteinhändler, mit Kapital in der Hand !"
Es musste knapp vor Tagesanbruch gewesen sein, als Mirwais Felsberg vorsichtig aus dem Schlaf rüttelte. Das Feuer in der Mitte des Raumes brannte nur mehr ganz niedrig,
"Du musst ganz schnell aufstehen, ich weiß nicht, was los ist, aber irgendetwas braut sich hier zusammen…"
Als Felsberg nachfragen wollte, legte Mirwais nur seinen Zeigefinger an seine Lippen, bedeutete ihm zu schweigen.
"Die Sachen sind schon weg, auch die Waffen, sie liegen unten in den Loch, wir gehen hinunter, folge mir !"
Es war nur ein kleiner Saum der da – sich abwärts neigend - an der Seite des Loches verlief, die Fackel, ein brennender Ast, verbreitete nur spärliches Licht. Felsberg musste sich praktisch jeden Schritt einzeln weiter ertasten und dies auch noch unter Zeitdruck, kalter Schweiß stand auf seiner Stirn, sein Herz pochte dumpf in seiner Brust.
Sie legten den Weg in einigen zehrend langen Minuten schweigend zurück, er konnte es fast nicht glauben, unten angekommen, wieder festen Boden, ohne drohenden Abgrund unter den Füßen zu spüren, schwankte etwas auf seinen Beinen.
"Komm schnell weg hier, nimm deine Maschinenpistole und den Rest, hier ist ein Gang, da müssen wir durch!"
Er schob Felsberg zu der Öffnung in der Wand, drückte ihn ins Dunkel des Ganges.
"Hier nimm die Fackel, geh ein paar Schritte voraus und warte hinter der ersten Krümmung des Ganges… Ich möchte zu gern wissen, ob sie sich wirklich hereintrauen, in die Höhle… außerdem habe ich hier noch eine kleine Überraschung für diese Söhne von räudigen Hunden, bitte geh jetzt, es kann gefährlich werden !"
Und wie recht er haben sollte, denn es war nur Glück, dass die nun, von außen durch den Höhleneingang geworfene Handgranate nicht in das "schwarze Loch" fiel, ihnen geradewegs vor die Füße. Anstatt dessen blieb das Wurfgeschoss oben, in der Mitte der Höhle liegen, explodierte dort mit einem ohrenbetäubenden Getöse.
Mirwais blieb etwa zehn Sekunden regungslos stehen, lauschte der Explosion nach. Felsberg war doch nicht um die Krümmung des Ganges gegangen, hatte nicht widerstehen können, war zu neugierig auf das kommende Geschehen, beobachtete ihn.
Dann zog Mirwais selbst eine Handgranate ab, wartete drei Sekunden und warf sie nach oben, in Richtung des Einganges der Höhle.
Sie landete nicht auf dem Boden, explodierte noch in der Luft. Danach herrschte Stille in der Höhle.
Mirwais schob Felsberg vor sich her, durch den Gang, sie kletterten eine Leiter hinauf zu einem anderen Eingang, in eine weitere Höhle mit mehreren abzweigenden Gängen.
"Also, verlaufen möchte ich mich hier ja nicht… das ist ja fast wie der Palast von Knossos…findet man hier auch wieder raus ?" Er blieb in der der Höhle stehen, sah um sich, deutete fragend auf die verschiedenen Gänge, "und welchen nehmen wir jetzt ?"
Mirwais ging wortlos an ihm vorüber, hin zu einer Vertiefung in der Felswand, holte eine Öl-Fackel hervor entzündete sie an Felsbergs brennenden Ast, und schritt geradewegs auf eine der Öffnungen in der Wand zu, verschwand in ihr. Es wurde zusehends dunkler in der Höhle, Felsberg beeilte sich Mirwais in den Gang zu folgen.
Das Gewirr der verschiedenen Gänge durch das Höhlensystem wurde immer verwirrender, ein Weg schien in jeweils mehrere Abzweigungen zu münden. Felsberg hielt sich hart hinter Mirwais, um in dem Labyrinth nicht verloren zu gehen. Sie gingen immer weiter, er hatte bereits jegliches Gefühl für Orientierung und Zeit verloren, man passierte sogar einen unterirdischen Wasserfall, der sich in einen See ergoss, schlüpfte hinter den stürzenden Wassermassen in eine weitere Felsspalte.
"Wir sind gleich wieder draußen!" brüllte Mirwais in sein Ohr, "jetzt müssen wir nur noch ein paar Meter kriechen !"
Er ging auf die Knie, schob seine Kalashnikoff in das enge Loch in der Wand, kroch hinein und verschwand. Felsberg fluchte laut, aber es blieb keine andere Möglichkeit, wohl oder über musste auch er in das Loch kriechen. Es war stockdunkel, Mirwais nicht zu sehen, er musste wohl auch schon weit voran sein, denn es war auch nichts mehr von ihm zu hören.
Als dann plötzlich ein Fuß mit einem Schuh auf seinen Rücken trat, ihn auf dem Boden in vollkommene Bewegungslosigkeit zwängte, glaubte Felsberg, dass nun endgültig sein letztes Stündchen geschlagen hatte. Aber Mirwais' lachende Stimme löste seine Spannung sofort auf.
"So haben wir sie damals einzeln erledigt… Wir haben sie in solche Gänge gelockt, sind dann weiter vor ihnen, in einen "Kamin" gestiegen, haben über der Ganghöhe gewartet, bis der Verfolger genau unterhalb vorbeikroch, und sind ihm dann einfach auf den Rücken gesprungen, das Messer hat das Geschäft erledigt, wir mussten auch Patronen sparen !"
"Ihr seid eine wahrlich liebenswerte Rasse, ich weiß… sooo überaus zartfühlend…Könntest du nun bitte trotzdem deinen Fuß von meinem Rücken nehmen, oder hast du jetzt auch schon das Messer bereit ?"
Mirwais kicherte, einem gackerndem Huhn ähnlich, und nahm seinen Fuß von Felsberg, "Messarr imma bereit !" äffte er den Akzent eines "Ausländers nach.
"Aber im Ernst, ich hatte wirklich immer ein Messer bei mir, in Deutschland… nicht weil ich so gewalttätig bin, aber wenn du aus einem Krieg kommst, brauchst du das Gefühl, dich wehren zu können… Du denkst, vielleicht kommt da ja doch ganz plötzlich irgendein Feind hinter einem Baum oder Busch hervor…"
Felsberg stand auf, Mirwais entzündete die Fackel wieder, die er wegen der Enge des Stollens löschen hatte müssen.
"Hast du eigentlich in Deutschland jemals irgendwelche Auswirkungen gespürt… Ich meine, wenn es Leute wie dich in Deutschland gab, dann ist es doch nur logisch anzunehmen, dass es da auch "Feinde" deiner Fraktion gab !"
Mirwais lächelte sardonisch, der flackernde Schein des offenen Lichtes verstärkte nur den Eindruck. Er sah aus wie ein Abbild eines Jahrtausende alten Bewohners dieser Region. Auf dem Kopf trug er nun ein weißes Tuch mit schwarzem Muster, zu einem Turban gewunden, sah fast schon ein wenig arabisch aus. Aber seine leicht hervorstehenden Backenknochen wiesen ihn ebenfalls als einen entfernten Verwandten der Mongolischen Eroberer aus, in seinen dunklen Augen spiegelte sich nicht nur das Feuer der Fackel, sondern auch der Leidensweg seines gesamten Volkes.
"Jaaa-a… gab es schon… aber nachdem unsere Fraktion wesentlich zahlreicher war, wussten wir immer genau Bescheid, die waren sozusagen, unter Kontrolle… es gab aber tatsächlich einige wenige…"Aktionen !"
"Aktionen, heißt das, dass da dann einer den Rhein hinunterschwamm ohne zu paddeln…"
"Das hast du schön gesagt, richtig sensibel… komm weiter !"
Er zog Felsberg hinter sich her, um eine neuerliche Krümmung des Ganges, dann war bereits ein erster zarter Schimmer Tageslicht erkennbar, man näherte sich einem der Ausgänge des Höhlensystems.
Als sie kurz darauf ins Freie traten, brauchten sie beide erst ein paar Sekunden um den Helligkeitsunterschied zu verkraften, ihre Augen an das gnadenlos gleißende Licht der Sonne zu gewöhnen.
"Wir müssen in diese Richtung gehen, wir können nicht zurück zur Straße, das ist zu gefährlich… über diese Berge, direkt ins Panjshir-Tal, zu meinen Freunden, da sind wir sicher !"
"Was über diese Berge, wie weit, ich meine… wir sind jetzt schon über einige Berge gegangen…"
"Da kannst du mal sehen, wie die Menschen hier schon seit je her hier gelebt haben… und teilweise noch immer leben !"
"A-aber, ich muss doch nicht unbedingt alles nachmachen, nur weil die Menschen das hier mal gemacht haben…"
"Ja, ich verstehe dich schon, mir wäre auch ein Hubschrauber lieber, aber woher nehmen… Nein, ganz im Gegenteil, wenn wir hier einen Hubschrauber sehen, könnten es auch unsere Verfolger sein… ich weiß noch nicht wer die sind, wir müssten einen von ihnen fangen um ihn ausquetschen zu können, aber, momentan sind die im Vorteil !"
Er zog Felsberg an der Schulter, machte sich daran den schmalen Pfad, eine Geröllhalde hinunter ins Tal zu gehen.
Felsberg wäre einmal fast abgerutscht, die Halde hinunter, konnte sich aber gerade noch an einem Felsbrocken abstützen, nur seine Maschinen Pistole rutschte von seiner Schulter, fiel weiter, verschwand in der Tiefe.
"Das war nicht sehr gut, jetzt haben wir nur mehr eine ! Hier, du nimmst jetzt die Pistole, du musst auch eine Waffe haben, wenigstens bis wir im Panjshir sind."
Felsberg keuchte, als er wieder auf den Pfad zurückkletterte, das Geröll gab unter jedem Schritt nach, einer vor, ein halber zurück.
"Ich sollte wirklich mit dem Rauchen aufhören !"
Mirwais lachte nur, ging einfach weiter.
Felsberg benutzte die erste Pause zur Gelegenheit sich in dem kleinen Gerbirgsfluss zu waschen, seine verstaubte Kleidung wenigstens oberflächlich abzuklopfen und frische Flüssigkeit in sein System nachzufüllen. Seine Handflächen waren etwas verschrammt, aber sonst war er heil geblieben, was ihn wunderte, als er nochmals hochblickte, den verschlungenen Pfad hinauf, den sie gerade heruntergekommen waren. Den Eingang zum Höhlensystem konnte man nicht erkennen, und Pfade wie diesen gab es zu Tausenden, Schafe, Esel, Gebirgsziegen und auch Menschen hatten sie über die Jahrhunderte in die Landschaft getreten.
"Ist eigentlich ein Wahnsinn, was da innerhalb kürzester Zeit so plötzlich alles auf uns herniedergeprasselt ist, oder ?"
Mirwais lächelte weise, sagte nur "Wir sind in Afghanistan !" und stieg aus dem Flussbett, zurück auf den schmalen Weg, der das eine Flussufer säumte, das Tal entlang führte.
"Schau, da kommt eine kleine Karawane, die haben sicher etwas zu essen !"
Eine Reihe von etwa sechs bis sieben Esel hintereinander, alle schwer bepackt, kam ihnen auf dem Weg entgegen, zwei bärtige Gestalten mit Stöcken begleiteten die Tiere.
Mirwais ging ihnen entgegen, sprach kurz mit dem ersten Mann, welcher umgehend in einen seiner Säcke griff und zwei Räder Brot hervorzog. Mirwais bezahlte, die Karawane zog weiter, Felsberg fand keine weitere Beachtung bei den Begleitern. Instinktiv hatte er noch schnell seinen Pakol und auch die Sonnenbrille aufgesetzt und sich etwas abgewandt an den Leuten vorbeigedrückt. Von der Kleidung her fiel er ohnedies nicht mehr auf.
"Da, iss das… wir müssen noch über zwei Berge, die sind aber nicht sehr hoch und außerdem sind da auch wieder Pfade, kein Klettern dabei… aber wir müssen Gas geben, sodass wir noch vor Einbruch der Dunkelheit da sind, so gut kenne ich mich hier in diesem Gelände danauch wieder nicht aus !"
Sie aßen das einigermaßen frische, aber dennoch trockene Brot schweigend. Felsberg kaute mit Begeisterung, er hatte komplett auf seinen Magen vergessen, erst jetzt kam ihm sein Hunger schmerzhaft zu Bewusstsein und auch die überstandene Darmverstimmung, das Opium hatte geholfen.
"Dass Brot so gut schmecken kann…!"
Er spülte mit Wasser aus der frisch gefüllten Flasche nach, Mirwais grinste wissend.
Den Rest des Weges legte man ebenfalls, mehr oder weniger, schweigend zurück, durch das ganze Tal und nach kurzer Orientierung, neuerlich einen Pfad hinauf, auf die erste der noch zu überwindenden Höhen.
Die Aussicht vom zweiten Berg, der dann doch in einige Höhe anstieg, man musste sogar ein Schneefeld überqueren, war atemberaubend, fast das gesamte Massiv des Hindukush lag vor ihnen, auch einige der ganz hohen, immer schneebedeckte Gipfel waren dabei.
"Das sind die Höchsten… einige davon sind so um die siebentausendachthundert Meter hoch…"
"Na, zum Glück müssen wir ja da nicht hinauf !"
"Manche deiner westlichen Mitmenschen bezahlen Geld dafür, um auf solche Berge steigen zu dürfen !"
Mirwais grinste, er wusste schon was nun kam, kannte Felsberg mittlerweile auch ein wenig.
"Diese Wahnsinnigen sollen auch bezahlen dafür… und wenn sie runterfallen, sind sie selbst schuld, diese Wahnsinnigen… Ich jedenfalls, habe da oben nix, aber auch schon gar nix verloren !"
"Aber schön ist es schon, oder… so von Weitem !"
"Ja, unbenommen, keine Frage - bei uns fahre ich ja auch manchmal mit der Gondel mal irgendwo rauf, zum Beispiel, auf die Zugspitze - da setze ich mich dann ins Restaurant, an das große Panorama-Fenster, bestelle mir einen Jägertee, mit doppeltem Schnaps, sehe mir die Berge an und fahre dann mit der Gondel, mit der ich raufgekommen bin, auch wieder runter !"
"Banauze !"
"Banause heißt das, und es ist mir 'wurscht', was diese Bergler sagen !"
"Ich glaube, du wirst die Berge noch zu lieben lernen, weil… sie können einem viel geben !"
"Jaja… ihr Afghanen seid ja in gewissem Sinne auch nur Bergler !"
Mirwais grinste, zog ihn an der Schulter weiter, sie trabten den Pfad hinunter ins Tal, wo eine Straße zu sehen war, eine Straße, auf der auch wieder Benzinkutschen fuhren.
Mirwais hielt auch gleich den ersten des Weges kommenden Pick-up-Truck an, fragte um eine Mitfahrgelegenheit für sie beide.
Felsbergs Haare wehten im Fahrtwind, als sie die letzte Steigung erklommen, hin zu dem kleinen runden Kuppelbau, dem Schrein, in dem Ahmad Shah Massoud begraben war.
Mirwais bat den Fahrer anzuhalten, sodass er einen kurzen Besuch an dem Sarkophag machen könnte. Gemeinsam gingen sie die letzten Meter, betraten den Raum, in dessen Mitte eine steinerne Grabstätte gemauert war.
Mirwais stand andächtig, hielt seine Augen für einige Momente geschlossen. Felsberg störte ihn nicht, verließ den Raum wieder, trat hin zum Rand der Gedächtnisstätte, blickte hinunter in das Tal, das weltweit Aufmerksamkeit erregt hatte, weil hier ein Commander erfolgreich gegen alle Eindringlinge standhielt, und für die endliche Freiheit des ganzen Landes kämpfte. Gekämpft hatte, denn zwei Tage vor jenem fatalen Angriff auf das World-Trade-Center, am 11. September 2001, war jener Volksheld, Ahmad Shah Massoud ebenfalls heimtückisch ermordet worden. In Kabul und den meisten Afghanischen Städten begegnete man seinem Bild überall, an allen Wänden oder Masten, er wurde wie ein Heiliger verehrt.
Die beiden bewaffneten Wachposten, die Mirwais und Felsberg in den großen Raum brachten, blieben misstrauisch am Eingang stehen, ihrer beider Kalashnikoff griffbereit vor der Brust. Es waren viele, die da rund um ein ausgebreitetes Plastiktuch auf dem Boden saßen, auf dem reichhaltig Speisen zu sehen waren, man nahm gerade das Abendmahl ein. Der Hausherr stand auf, kam ihnen mit weit ausgebreiteten Armen entgegen, umarmte Mirwais ausgiebig, alle Berüßungsformeln wurden ausgesprochen und beantwortet, ein Ritual von ausgeprägtem Charakter. Felsberg kannte diese Formeln mittlerweile natürlich auch, hatte sie schon oft genug gehört und sprach sie nun ebenfalls, mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie die Afghanen es taten, er hatte schon gelernt.
"W'assalam aleikum, khub hasti, chetor hasti, bahair hasti, chona churas, salaamat bashi !"
Während der Hausherr ein "Mandana bashi" hören ließ - mögest du nie müde werden.
Nach dem Essen, Reis mit Tomatensoße, Kartoffel und frischem Lammfleisch, hatte Felsberg nur mehr das Bedürfnis nach Ruhe, nach einem Raum, in dem er seinen müden Körper "ablegen" konnte, wie er sich ausdrückte.
Ein "Bacha", ein Junge wies ihm den Weg, hinauf in den oberen Stock. Die weichen Matratzen, typisch für afghanische Häuser, entlang der Wände liegend, waren einladend genug, um ihn wenig später in einen tiefen traumlosen Schlaf sinken zu lassen.
Er erwachte, als die Sonne direkt in sein Gesicht schien, es musste bereits heller Vormittag sein.
Bazarak, die "Hauptstadt " des Panjshir-Tales lag in seiner ganzen Schönheit vor ihm, als er aus der Tür, auf das Dach des Hauses trat. Man konnte schon verstehen, dass die Menschen aus dieser Gegend schon immer hart um ihr Tal gekämpft hatten, nicht nur in den letzten dreiundzwanzig Jahren Bürgerkrieg, sondern auch schon zu Alexanders des Großen Zeiten. Auch dieser hatte schon, wegen der geballten Gegenwehr, auf die Eroberung des Tales verzichten müssen. Er hatte sich einen anderen Weg nach Norden suchen müssen, über den Khawak-Pass, am Anfang des Panjshir, und später dann, über den Khyber-Pass nach Indien. Die Bevölkerung hier hatte ihn glattwegs vertrieben, wie auch die Russen.
Mirwais war leise neben ihn getreten, legte ihm den Arm um die Schultern.
"Schau mal, da drüben, das ist das Haus… oder besser der Hof von Massoud, da zwischen diesen Bäumen, am Abhang…"
"Und wohnt da noch jemand von seinen Leuten ?"
"Ja, natürlich, sie sind hier, Brüder, Schwestern, Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen, Großmütter und so weiter, sie sind hier zu Hause, und wenn es nicht sein muss, gehen sie auch nicht von hier weg, das gilt für alle hier, alle Panjshiris !"
"Sie scheinen mir etwas verschlossener, als die anderen Afghanen zu sein, man hat nicht sehr viel versucht mit mir zu kommunizieren, bis jetzt !"
"Das hat nichts zu bedeuten, wahrscheinlich haben sie sehr viel Respekt vor dir, ich habe ihnen nämlich erzählt, dass du in deiner Heimat auch ein ganz großer Mujahed bist, ein tapferer Mann, ein Kämpfer, ein Veteran, und dass du gekommen bist, um das berühmte Panjshir-Tal zu sehen, von dem du schon so viel gehört hast, von den mutigsten Kämpfern auf Allahs Erdboden !"
"Ah ja… hast du wieder "Märchenerzähler" gespielt… was sollte ich wissen, um mich nicht zu verplappern, welche 'Heldentaten' habe ich denn vollbracht, welche Schlachten geschlagen… vielleicht, zum Beispiel, die Schlacht im Teutoburger Wald, gegen die Römer, oder Waterloo, gegen Napoleon… ?"
"Mika jan, ich würde nie Lügen erzählen, aber… wir saßen noch lange beisammen, letzte Nacht, ich bin ihnen nicht entkommen, habe mir meinen Mund fusselig erzählt, und ich bin heute noch müder als gestern…"
"Ich habe Hunger !"
"Ooh, Bacha…!" Mirwais rief diese Worte einige Male hintereinander, dann kam der Junge, hörte die Bestellung die Mirwais ihm kurz und bündig ansagte und verschwand wieder.
"Ich war schon drüben beim Haus von Massoud, habe dort gegessen… seine Frau und sein Sohn sind gerade in der Türkei, auf Besuch…"
"Kann ich allein hier aus dem Haus gehen ? Ich würde mir gerne etwas die Gegend ansehen, es ist wirklich schön hier !"
Mirwais zog ihn zu einer Ecke des Daches hin, wies mit seiner Hand ins Tal nach rechts.
"Das ist die "Landkarte Afghanistans", ein Stück Land, da beim Fluss, eine Anordnung von Feldern, das sieht, im Groben, wirklich so aus wie eine Landkarte unseres Landes. Da kannst du hingehen, ich werde eine Begleitung besorgen !"
"Kann ich nicht allein gehen ?"
"Ist nicht zu empfehlen, die Panjshiris sind, berechtigterweise, ein misstrauisches Völkchen, sie werden sich ganz sicher fragen, was du dort willst, ganz allein, was du da suchst !"
"Gar nichts suche ich, will doch einfach nur Luft schnappen, die Gegend anschauen und sehen wie die Leute hier leben !"
"Wann willst du denn gehen - am besten später am Nachmittag, wenn die Sonne tiefer steht, es ist jetzt noch immer viel zu heiß… ich gehe auf jeden Fall jetzt ein wenig schlafen !"
Als Felsberg sich umsah, war Mirwais bereits verschwunden, dafür kam kurz darauf der "Bacha" wieder und brachte Tee, frisches Brot und einige Spieße Kebab. Felsberg stürzte sich auf die Nahrung und schlief danach, mit frisch beruhigten Magennerven, ebenfalls noch ein paar Stunden weiter.
Es war später Nachmittag, als er in den Innenhof trat, wo einige der Soldaten mit Kalashnikoffs herumsaßen, ihre endlosen Späße trieben. Felsberg hatte schon festgestellt, die Afghanen lachten überaus gerne und häufig, trotz ihres harten, oder gerade wegen ihres harten Lebens und der harten Bedingungen, die ihnen ihre Umgebung aufzwang.
Sie kannten nichts anderes, seit Tausenden von Jahren immer wieder das selbe, sie wurden von irgendwelchen Eindringlingen überfallen, die sie üblicherweise berauben, quälen, vergewaltigen, unterjochen wollten. Und sie hatten gelernt sich gegen sie alle zu wehren, es hatte oft lange gedauert, aber am Ende waren sie alle gegangen, besser - gegangen worden – und genau so, wie die Russen, in der jüngeren Vergangenheit – genau so würden auch die vereinten westlichen Mächte aus dem Land schleichen müssen. Gegen diesen störrischen, harten und auch selbstlosen, aufopfernden Kampf der Afghanen war kein Kräutlein gewachsen – ob Mongolen oder Amerikaner, einerlei !
Sie waren schon ein bemerkenswertes Volk, bei aller Härte hatten sie sich doch auch ihren Sinn für Humor bewahrt, und so wie sie mit ihren Kindern umgingen, ihre Dichtung, ihre Kunst, Kunstgegenstände, Schmuck, so verhieß dies auch die Liebe, die sie in ihrem Leben hatten, für das Leben und für ihre Heimat. Es gab nur wenig, was es über den Begriff der "Heimat" zu stellen war, allerhöchstens Allah, und den nur dann, wenn es nicht ans Eingemachte ging, ums Überleben. Dann wurde gnadenlos getötet, mit aller Brutalität, die eine solche Auseinandersetzung erforderte, denn ihre Gegner zeichneten sich ebenfalls nie durch zartfühlende Zurückhaltung aus, massakrierten mehrmals fast die gesamte Bevölkerung und hinterließen zusätzlich auch noch ihre Gene. Daher hatte ja auch Mirwais seine hohen Backenknochen.
Die Soldaten hatten Spaß daran, ihm einen Turban auf den Kopf zu winden. Sein mittlerweile deutlich gewachsener Bart und die Sommersonne, die sein Gesicht dunkel gebrannt hatte, ließen ihn beim Anblick in einen rasch herbeigeholten Spiegel grinsen. Mit dem Turban musste man schon ganz genau hinsehen, um ihn als Nicht-Afghanen zu identifizieren. Seine Nase konnte man für Griechisch halten, seine blonden Haare versteckt, blieben nur mehr seine grünen Augen, aber selbst das gab es auch unter Einheimischen, blond und blauäugig, selten, aber doch. Außerdem hatte er ja seine Sonnenbrille. Nur sprechen durfte er nicht, außer irgendwelche Floskeln, die er nun schon einigermaßen akzentfrei beherrschte.
Sie überquerten den Fluss auf einer jener hängende Brücken. Sein Begleiter, Safiola mit Namen, lachte schon wieder aus vollem Hals, als Felsberg die schwankende Brücke ängstlich fast im Lauschritt bewältigte, hinüber auf die andere Seite des Panjshir-Flusses.
Die späte Sonne zeichnete die Landschaft in goldenem Licht, das von den reifen Getreidefeldern noch verstärkt, eine zauberhafte Stimmung in dem Tal verbreitete. Felsberg verfluchte sich, seine Kamera nicht dabei zu haben, diese war in seinem Rucksack geblieben, in jenem Wagen, den sie bei dem Überfall hatten zurücklassen müssen.
Safiola, der Soldat, sah aus wie ein Schauspieler aus einem klassischen Drama, ein griechischer Kopf mit dazugehöriger Nase, wild wuchernden, rabenschwarzen Haaren, seine Zähne blitzten, wenn er lachte. Was er gerade tat, als er erzählte, dass er bereits fünf Kinder habe und im Gegenzug fragte, wie viele Felsberg denn hatte, schließlich war er ja auch um einiges älter, infolgedessen er ja auch mehr Kinder haben müsse. Er wollte es fast nicht glauben, als Felsberg ihm mühsam erklärte, dass er keine Kinder habe, dass es in Europa fast normal sei, keine Kinder zu haben.
"Jahaan, bisyaar bacha !" radebrechte Felsberg, "bisyaar dukhtar !"
Safiola lachte schon wieder, beschrieb mit seinen Händen in der Luft eine "Dukhtar", einen weiblichen Körper. Ein wahrere Schwall an Worten folgte, offenbar wollte er noch viel mehr und vor allem Genaueres von den europäischen "dukhtaran" wissen, dieses Thema schien ihn brennend zu interessieren, alles, was damit zusammenhing.
Felsberg bewunderte die Landschaft, das Tal, die Felder, die Natur, den Geruch, während Safiola wollte, ausschließlich aller anderen Themen, nur Geschichten über Frauen hören.
Felsberg fragte ihn, ob er denn - als Muslim durfte er dies ja – ebenfalls vier Frauen habe, also viel "Arbeit", grinste ihn an.
Safiola rollte mit seinen Augen, erklärte gestenreich, was seine Frau mit ihm machen würde, wenn er es wagte, noch eine Frau anzubringen. Sie würde ihm die Kehle durchschneiden, wie er lachend, mit einem Finger andeutete.
Die Dunkelheit kam in den Tälern schneller, als auf offenem Terrain. Die Sonne war schon lange weg, als sie sich auf den Rückweg machten, den Fluss auf einer Pontonbrücke überquerten, offen, auf der Straße zurück in die Ortschaft gingen.
Safiola war gerade bei der eminent wichtigen Frage nach den Brustgrößen westlicher Frauen angelangt, was für ihn offenbar eine gewichtige Frage war, denn seine Präferenzen bewegten sich in den oberen Körbchengrößen. Auf intensiveres Nachfragen Felsbergs musste er dann aber doch zugeben, dass seine Frau leider nicht mit solch erstrebten Formen gesegnet sei, nur wenn sie schwanger sei, dann komme er – temporär – in den Genuss seiner Idealvorstellungen.
Felsbergs Lachen verebbte akut, als sie um eine Kurve kamen und hinter einem jener kaputt-geschossenen, havarierten, russischen Panzer am Straßenrand, einen weißen Geländewagen geparkt sahen, der ihm irgendwie bekannt vorkam, es war der Wimpel an der Antenne, der den Ausschlag gab..
Sie gingen ganz nah an dem Fahrzeug vorüber, es hätte auch gar keinen Ausweg mehr gegeben, sie mussten an ihm vorbei.
Felsberg spähte im Vorübergehen kurz ins Fahrzeug, es war unbesetzt, kein Zweifel möglich, es handelte sich um ihren Wagen, ihrer beider Rucksäcke lagen noch immer hinter den Sitzen.
"Felsberg griff nach Safiolas Unterarm, flüsterte in seine Richtung "Deqat… dushman, dushman... haraami, jaheelun !"
Safiola entsicherte seine Kalashnikoff, er wusste um die Verfolger, die hinter Mirwais und Felsberg her waren, er wusste nur nicht warum. Aber auch dies hätte keinen Unterschied gemacht. Felsberg griff instinktiv nach der Pistole, die er im Gürtel trug, versicherte sich ihrer Anwesenheit.
Sie gingen ganz ruhig weiter, bis zu den ersten Hütten der Händler, dann zog ihn Safiola schnell hinter diese, ging von da an quer zum Berghang hin. Und schon wieder kletterten sie wie Bergziegen den Hang hinauf, zu einem Felsvorsprung. Safiola rief ein Code-Wort in die aufkommende Dunkelheit, eine andere Stimme antwortete ihm mit demselben Code-Wort.
Kurz darauf saßen sie hinter einem Wall aus Sandsäcken, neben einem kleinen Geschütz, befragten den Posten, der auch die Straße in seinem Blickfeld hatte, ob er die Männer gesehen hatte, die den Geländewagen da unten abgestellt hatten. Aber außer dass er drei Personen gesehen hatte, die sich in Richtung Dorf bewegten, hatte der Posten auch nicht mehr zu bieten, sie waren ihm nicht aufgefallen, hier hatten schließlich viele Leute Geländewagen und sie sahen mehr oder minder auch alle gleich oder ähnlich aus.
Safiola bedeutete ihm zu folgen, schlich geduckt quer über den Berghang, hin zu den bewachsenen Stellen des Berghanges, dort schlich man im Schutz der Bäume weiter, hin zur Behausung, wo sie die letzte Nacht verbracht hatten.
Felsberg war froh die schützenden Mauern um sich zu wissen, und auch dass da jede Menge bewaffneter Soldaten auf seiner Seite waren.
Das Haus glich auch kurz darauf einem Fort in Verteidigungsstellung. Posten waren auf den Dächern, alle mit Maschinenpistolen, Posten gingen rund ums Haus und die Straße, die zum Haus führte, war ganz unten mit einem Schranken verschlossen, der ebenfalls von zwei bewaffneten Soldaten bewacht wurde.
Felsberg fühlte sich einigermaßen sicher, aber Mirwais entschied, dass sie sich sofort aufmachen mussten, es gäbe unweit einen Wald, in dem seien sie sicherer als hier, wo man immerhin ein Ziel böte, ein Ziel das man möglicherweise auch mit Mörsergranaten oder Raketen beschießen konnte.
"Erinnere dich daran was ich dir über meine Jahre mit den Mujaheddin erzählt habe… Wir haben oft nur überlebt, weil wir ständig unsere Positionen verändert hatten, oft mehrmals in einer Nacht, oft haben auch meine Soldaten nicht gewusst, wo ich bin, nicht einmal die durften das wissen, viel zu gefährlich… wir hatten ja Funk, so konnten wir auch gut Kontakt halten… und etwaige Maßnahmen treffen !"
Mirwais ging voran, ging, wie wenn er diesen Weg jeden Tag gegangen wäre, noch gestern, nicht vor langen siebzehn Jahren.
"Gewisse Dinge vergisst man nicht, in Zeiten von Gefahr, so wie jetzt reagiere ich noch immer instinktiv wie damals, im Krieg gegen die Russen !"
Mirwais wies ihm eine Stelle, hinter einer der Mauern der terrassenförmig angelegten Obstbaumplantage, bedeutete ihm er solle seinen Schlafsack hier ausbreiten.
Er selbst ging einige Schritte weiter, legte sich hinter eine andere Mauer, eine Terrasse höher.
Die Nacht verlief ruhig, Felsberg schaffte es tatsächlich, trotz anfänglicher Anspannung, ein paar Stunden Schlaf zu finden. Ein vorbeitrabender Esel, samt einem Jungen, der ihn trieb, weckte ihn abrupt, er erschrak und schnellte hoch, blickte prüfend um sich.
Mirwais saß auf der Mauer über ihm, ließ seine Beine baumeln, lächelte auf den schlaftrunkenen Felsberg hinunter.
"Mann oh Mann, du hast vielleicht einen Tief-Schlaf… du hast sogar den Muezzin überhört…"
"Während du als gläubiger Muslim sofort aufgesprungen bist, dich auf die Erde geworfen hast, und – Allah'hu akbar – sofort dein Morgengebet verrichtet hast!"
Mirwais grinste sein schäbigstes Grinsen und sprang von der Mauer.
"Damit könntest du mich glatt erpressen, wenn die Mullahs mitkriegen, dass ich vom wahren Glauben abgefallen' bin, dann dürfte mich jeder gläubige Muslim, als "Murtad" töten!"
"Wer sagt das ?"
"Der Koran, ich kann dir gerne die Sure zeigen, wenn du willst, komm, wir sollten zurück zu den Leuten, zum Haus !"
Ihre Rucksäcke standen fein säuberlich in den großen Raum, der diesmal aber menschenleer war. Felsberg machte sich sofort daran, den Inhalt seines Rucksackes zu überprüfen, ob irgendwas fehlte. Aber alles schien da zu sein, sogar die Fotokamera war noch vorhanden.
Der Commander kam kurz darauf zu ihnen, erklärte, dass sie den Wagen mitgenommen hätten, er stehe im Innenhof des Anwesens. Man habe ihn sichergestellt, wolle ihn den rechtmäßigen Eigentümern zurückgeben, er würde irgendwann abgeholt.
"Wir müssen weg hier, es ist trotz des Schutzes, den wir hier haben, nicht sicher genug… die Kerle könnten irgendwo sitzen und in aller Ruhe auf uns schießen !"
"Und wohin willst du jetzt, wo wir nicht einmal hier sicher sind, ich meine, woanders sind wir doch noch viel weniger sicher und beschützt."
"Nein, je weiter wir ins Tal hineinkommen, desto besser wird's für uns… und in Safid Cher wartet ein anderer Commander auf uns… mit einer schönen Überraschung, du wirst staunen… Ich habe eben mit ihm telefoniert, er kommt uns abholen, heute Abend, nachdem es dunkel geworden ist !"
Felsberg fühlte sich nicht ganz wohl bei dem Gedanken, schon wieder bei Nacht und Nebel verschwinden zu müssen. Aber es gab keinen anderen Ausweg, im wahrsten Sinne des Wortes, sie mussten weg.
Schon am späten Nachmittag transportierten die Soldaten ihrer beider Rücksäcke an den verabredeten Treffpunkt, an einer gut kontrollierbaren Stelle, außerhalb der Ortschaft. Der Soldat war demonstrativ alleine im Fahrzeug gesessen, falls auch dieser Vorgang beobachtet wurde, man musste mit allem rechnen. Bazarak war als Ortschaft bereits zu groß, samt allem Verkehr, der da über die Schotterstraße kam, um vollständig und dauerhaft kontrolliert werden zu können. Während des Krieges schon, damals kam keine Maus ins Tal, ohne gesehen zu werden. Jetzt aber war Frieden, und damit hatten sich auch die Kontrollen reduziert. Ausländer kamen ins Tal, Hilfsorganisationen aller Art, Personenverkehr, Lieferungen, Warenverkehr, ständiges Kommen und Gehen. Es gab zwar noch Schlagbäume, aber die Kontrollen beschränkten sich auf oberflächliche Blicke, die von den meist jungen Wachposten eher achtlos ins Fahrzeug geworfen wurden, nicht sehr effektiv.
Weiter im Tal wurden die Kontrollen dann wieder etwas genauer, es gab auch nicht mehr so viel Verkehr. Jeder der an einem Schlagbaum passieren wollte, musste dem Posten entweder bekannt sein, Panjshiri, oder einen triftigen Grund haben, weiter ins Tal reisen zu dürfen. Entscheidungen, ob jemand weiterfahren durfte, wurden von den Posten meist frei nach Schnauze gefällt. Es war auch schon geschehen, dass man an einem Tag weiterfahren durfte, an einem anderen Tag zurückgewiesen wurde.
"Aber das passiert uns nicht!" sagte Mirwais lächelnd, "Wir sind in guter Gesellschaft !"
Als es Dunkel war, machten sie sich auf den Weg zum verabredeten Treffpunkt, schlichen wieder an der Seite des Tales, hinter den Häusern entlang, bis das Buschwerk dünner wurde, die Straße unter ihnen eine Rechts- und darauf eine Linkskurve gemacht hatte, dann erst gingen sie auf der Straße weiter.
Kurz darauf erreichten sie den Treffpunkt, ein Pkw wartete bereits auf sie, die Scheinwerfer blinkten zur Begrüßung auf, eine Gestalt stieg aus dem Wagen.
Man umarmte einander kurz, stieg schnell wieder ein, fuhr los, um schnell aus dem letzten Gefahrenbereich zu kommen, weg von der Ortschaft.
Die Fahrt verlief in weitgehendem Schweigen, nicht weil man einander nichts zu sagen, zu erzählen gehabt hätte, sondern vielmehr weil die Straße nach der Ortschaft Shaba, in einem unbeschreiblichen Zustand war, der Begriff Straße nur mehr symbolische Bedeutung fand. Die Löcher waren derartig tief, dass der Wagen mehrmals aufsaß, und erst nachdem alle drei Passagiere ausgestiegen waren, den Wagen akut von ihrem Gewicht befreit hatten, konnte man weiter. Es ging durch einen Seitenarm des Panjshir-Flusses, das Wasser rauschte nur so unter den Rädern, kurz darauf kam man in Gefahr den Hang hinunter abzurutschen, der Boden matschig von den Bächen, die die Berge herunterflossen.
Die Fahrt dauerte, obwohl es von Shaba nach Safid Cher nur mehr fünfzehn Kilometer gewesen waren, dennoch fast eine Stunde.
Man konnte vor lauter Geschunkel fast nicht miteinander sprechen, die Verwindungen, die man mit dem Oberkörper vollführen musste, um die Neigungen und Schräglagen des Fahrzeuges auszugleichen, alle versuchten sich irgendwo festzuhalten, die Schräge die die Achse und damit auch ihrer aller Rücken erdulden mussten, hatten es in sich.
Felsberg spürte jeden Knochen in seinem Leib, vor allem in seinem Rücken, als sich endlich die Tore des Anwesens hinter dem Wagen geschlossen hatten, sie endlich aus dem Fahrzeug stiegen, ihre malträtierten Glieder und Knochen streckten.
Felsberg fiel sofort die saubere Luft auf, kein Staub mehr, und es war auch wesentlich kühler hier, man war ja auch bereits wieder um einiges höher.
Die Speisen, die kurz darauf in den Raum getragen wurden, dampften auf den Tellern, die man, Felsberg zu ehren, samt Besteck verteilt hatte.
Aber noch während des Essens hielten es Mirwais Freunde nicht mehr aus, sie begannen dem Heimkehrer Löcher in den Bauch zu fragen. Immer neue Gäste stießen zu der illustren Runde hinzu, immer wieder die gesamte Litanei an Begrüßungsformalitäten, alle standen auf um den jeweiligen Neuankömmling einzeln, mit Handschlag und danach Hand über dem Herzen, zu begrüßen. Felsberg stand dabei und beobachtete das Spektakel, denn ein solches war es zweifellos immer, bunt und schillernd.
Da waren alle Volksgruppen vertreten, mongolische Gesichtszüge ebenso, wie arabisch Hakennasen. Ein Uzbeke, ein Baum von einem Mann, hob Mirwais hoch, wie eine Puppe, setzte ihn so hart wieder zurück auf den Boden, dass der Fußboden schwankte.
Felsberg beobachtete versunken die Gesichter der Anwesenden. Es war, als ob er tausend Jahre zurückschauen konnte, damals hatte es nicht viel anders ausgesehen, wenn sich die Einheimischen hier trafen und miteinander kommunizierten. Wie in einer Zeitmaschine, dachte sich Felsberg, das waren Bilder von biblischer Qualität. Der flackernde Schein der Petroleumlampe an den Wänden, verstärkte nur noch den Eindruck. Es waren wilde Gestalten, manche mit wilden wallenden Bärten, mit mongoliden Augen, schwarz wie die Nacht, bleckende Zähne, Mundwinkel bis zu den Ohren hochgezogen, ein Lächeln versuchend, Stimmengewirr, hinzu noch Musik aus einem leiernden Cassettenrecorder.
Mirwais sprach fast ununterbrochen, er war vollends in seinem Element. Erzählen gehörte nach wie vor - schließlich gab es kein Fernsehen - zu den bevorzugten Abendunterhaltungen und es wurde auch ausgiebig praktiziert.
Dies war es wohl, was ihnen an jedem neuen Platz, an den sie kamen, blühte. Mirwais musste erst mal stundenlang reden.
Felsberg stand auf, verabschiedete sich, gesammelt, von der Menge.
"Bebakh shid, man khasta hastam… khau mekonam !"
Nach neuerlichem allgemeinen Händeschütteln, was Felsberg lächelnd absolvierte, durfte er sich endlich zurückziehen.
Der Mond schien hell in den Raum, in dem sie beide schlafen sollten, er öffnete die Tür, ging auf das Dach hinaus, auf den afghanischen "Balkon".
Das Tal lag dunkel, wie eine schwarze Falte, zwischen den das Mondlicht reflektierenden Bergen, die alles einsäumten, Berge, wohin man auch blickte. Kein Wunder, er war ja auch mitten im Hindukush, er lächelte in sich hinein und gähnte.
"Afghanistan ist anstrengend, manchmal !" sagte er laut in die Dunkelheit, drehte sich um, ging zurück in den Raum. Als Mirwais kurz darauf ebenfalls kam, schlief Felsberg bereits tief und fest.
An diesem Morgen hörte Felsberg den Vorbeter singen, die kleine Moschee samt Turm und Lautsprechern, war nahe bei ihrer Unterkunft. Der erste Ruf erschallte etwa um vier Uhr dreißig, es war noch vollkommen finster draußen.
Felsberg erschrak im Schlaf, erhob sich in einem Ruck, stand mitten im Zimmer, blickte verdattert um sich.
"Was war denn das, ich habe geglaubt, hier ist jemand mit einem Megaphon im Zimmer !"
"Das ist der mit dem langen Bart, vom gestrigen Abend… willst du dich bei ihm beschweren, er ist der Mullah hier im Dorf ?"
Es stimmte, einer der bärtigen Gesellen hatte ihn gar nicht freundlich angesehen, hatte ihn immer verstohlen beobachtet, ihm auch bei der Verabschiedung nicht die Hand gegeben. Felsberg sank zurück auf sein Lager, hielt sich entnervt die Ohren zu, diese penetranten "Gläubigen" vergewaltigten die Menschen überall.
"Man entkommt diesen Kuttenbrüdern einfach nicht, ist mit unseren Pfaffen auch nicht viel anders… die läuten halt ihre blöden Glocken, die keiner hören will !"
Sie schliefen dann doch noch etwa eine Stunde, bevor Felsberg durch irgendetwas erwachte. Als er die Augen öffnete, saßen zwei halbwüchsige Jungen vor ihm auf dem Boden, unterhielten sich flüsternd, kommentierten sein Erscheinungsbild, ein schlafender Fremder, in ihrem Haus. Als er sich erhob, liefen sie laut kreischend davon.
Nach dem Frühstück zog ihn Mirwais hinaus auf das Dach, deutete gegen die Berge hin.
"Siehst du dieses Tal, diesen Berg da… das ist der Smaragdberg, da gehen wir heute hin. Nicht auf den Berg, nur ins Tal, zu einem großen Haus, einen Freund besuchen !"
"Oh nein, nicht schon wieder Begrüßungsarien… nicht schon wieder endloses Gelabere - ich sitze dabei und langweile mich nach einer gewissen Zeit."
"Diesmal… ist es anders ! Diesmal wird dir garantiert nicht langweilig, kann ich dir garantieren !"
Er drehte sich abrupt um, verschwand im Haus. Felsberg besah sich den Berg etwas genauer, es war ein schöner Berg, eine schöne Form und dass er Smaragde barg, machte ihn nur noch interessanter.
Im Innenhof warteten Mirwais, ein bewaffneter Begleiter und drei Pferde.
"Kannst du reiten ?" Mirwais grinste übers ganze Gesicht, erwartete dass Felsberg kniff, sich versuchte aus der Situation zu retten. Er hatte nicht mit Felsbergs plötzlicher Attacke gerechnet, hatte seinen Mund weit offen stehen, als Michael aus dem Stand drei schnelle Schritte machte und lossprang, das Hinterteil des einen Pferdes, wie bei einem Bocksprung in der Turnhalle, nutzte, sich abstieß und mit einem Schwung im Sattel landete. Das Pferd erschrak, es war nicht gewohnt auf diese Art bestiegen zu werden, von hinten, ohne vorheriges Ansehen des potenziellen Reiters. Es ging vorne hoch, wollte loslaufen, aber Felsberg hatte es in einer Sekunde unter Kontrolle, ritt eine Runde durch den Innenhof und kam wieder zu der Gruppe, in die Mitte hin.
"Woher kannst denn du reiten, das hätte ich mir nie gedacht… und so gut… wo hast du das gelernt ?"
"Ooch, weißt du, ich habe da auch mal eine Zeit lang in den USA gelebt… und meine Freundin, oder besser ihr Papa, hatte eine Ranch, mit Pferden… in Texas !"
"Und so hast du beide geritten, die Tochter und das Pferd !" Mirwais kicherte hemmungslos, erklärte den nebenstehenden Afghanen die Situation. Sie lachten alle schallend, Felsberg ritt noch eine Runde durch den Innenhof, verneigte sich in alle Richtungen, wie vor einem Publikum.
Kurz darauf ritten sie über das freie Feld, bogen in die Schlucht ein, trabten langsam den schmalen Pfad weiter, tiefer hinein. Es wurde immer dunkler, der Durchlass zwischen den Felsen immer enger, an manchen Stellen musste man erst die Äste der Bäume beiseitebiegen, um auf einem Pferd hindurch zu kommen.
Auf einmal öffnete sich das Tal zu einer ovalen Fläche, an deren Ende, hin zum Pfad, weiter durch die Schlucht, stand, halb verdeckt durch eine Oase an Bäumen, ein großes Anwesen. Eine schwache Rauchspur aus dem Kamin zeigte an, dass da sehr wohl Leben in den Häusern war.
Mirwais ritt voran, galoppierte mit wildem Geschrei in den Hof, wo sich sofort weiteres mehrstimmiges Geschrei erhob, die Bewohner kamen aus den Häusern um ihre Gäste zu begrüßen. Als Felsberg und der Soldat schließlich am Hof ankamen, lagen alle einander bereits in den Armen.
Nahim, ein Oberst der Armee aus dem Panjshir, auch er hatte mit Massoud gekämpft, kam Arm in Arm mit Mirwais auf Felsberg zu, schlang seine nun weit ausgebreiteten Arme um ihn, sprach das Begrüßungsritual mit leuchtenden Augen.
"I ham verry happi to meet you !" sagte der Oberst, sein Gesicht legte sich in noch freundlichere Falten, als er Felsberg auf die Wangen küsste, was Felsberg, ganz selbstverständlich erwiderte.
"I am very happy too, I have heard many storys about you !" Felsberg sprach ganz langsam, um sicherzugehen, dass ihn der andere auch verstand !
Oberst Nahim fasste ihn um die Schultern, zog ihn mit sich, zum Haus hin, alle anderen folgten nach.
Natürlich musste man sich erst wieder in dem üblichen großen Raum hinsetzen und gründlich schwatzen. Felsberg verstand dies, schließlich hatten sich die ehemaligen "Kameraden" alle lange nicht gesehen, gesprochen und es gab viel zu erzählen.
"Es ist so traurig, zwölf Personen aus seiner Familie, einschließlich Vater, Brüder, Schwestern, sie sind alle tot, er ist der letzte männliche Spross seiner Familie… ich habe sie alle gut gekannt !"
Mirwais hatte Tränen in seinen Augen und schämte sich ihrer nicht, stand auf ging zur Tür hinaus und schnäuzte sich geräuschvoll.
Als er sich wieder neben Felsberg setzte, hatte er bereits wieder ein leichtes Lächeln im Gesicht. Felsberg legte ihm seine Hand auf die Schulter, drückte sie, sah ihm direkt in die Augen. Mirwais war ein guter Mann, soviel war ihm schon immer klar gewesen. Ein harter Mann, der tief in sich, trotz aller Härten des erlebten Krieges, über eine zarte Seele verfügte, der die Härte nur aus Notwendigkeit, wie einen Mantel trug.
"Weißt du übrigens, dass man sich in Afghanistan, ganz besonders beim Essen, nicht voreinander schnäuzt… das ist ein absolutes Tabu !"
"Sich voreinander zu schnäuzen ist ein Tabu ?" Felsberg lachte, schüttelte seinen Kopf. "Das ist komisch…!"
Er stand auf, ging zur Tür hinaus, schnäuzte sich demonstrativ laut und kam ebenfalls wieder zurück, setzte sich wieder hin. Mirwais grinste ihn breit an,
Das Gespräch kam wieder in Gang, dampfende Töpfe wurden hereingetragen, man hatte extra für die Gäste, die ja vorangekündigt kamen, am Vortag bereits einen Hammel geschlachtet. Es duftete verführerisch gut, Felsberg lange kräftig zu, füllte seinen Teller, aß ohne weitere Worte.
"Weißt du… es gibt da noch so ein paar Regeln… wie man sich setzt, zum Beispiel, das ist alles nicht so einfach, wie es aussieht, und wenn du gute Beziehungen zu Afghanen haben willst, sodass sie dich respektieren, dann musst du ihre Regeln beachten, sonst kann man ganz schnell auch Verachtung ernten !"
"Ja, wieso, was mache ich denn falsch, sag's mir ruhig, ich will das ja lernen !"
"Also, einer der Punkte sind die Füße, stinkende Schweißfüße zu haben und sich damit zum Essen zu setzen ist absolut ein Unding… und außerdem sitzen wir immer so, dass wir niemand die geöffneten Fußflächen zeigen, nicht mit den Füßen auf jemand weisen, deshalb haben wir die Beine verschränkt, unter uns !"
"Aha, iss ja interessant, keine offenen Fußflächen, seltsam… aber, okay, kein Problem, nur mit meinem Kreuz habe ich Schwierigkeiten, ich bin es nicht gewohnt, lange so zu sitzen."
"Das kommt schon noch… mach nur weiter so, in ein, oder zwei Wochen spürst du da nichts mehr !"
"Kann ich mir gut vorstellen, wahrscheinlich weil mein Rücken inzwischen wohl abgebrochen, einsam verstorben ist !"
"Nein, es ist erwiesenermaßen viel gesünder so zu sitzen, deine Rückenmuskulatur muss nur erst wieder gestärkt werden, dann ist alles gut… auch für später… Ist dir schon einmal aufgefallen, dass Afghanen keine Probleme mit Bandscheiben haben ?"
"Ist das so… nee, weiß ich nicht… hmmm, ist vielleicht wirklich einen Idee für mein geplagtes Kreuz !"
Berge von Früchten, Äpfel, Melonen ,Trauben und sogar kleine Bananen waren dabei. Felsberg stürzte sich auf darauf, er hatte das brennende Gefühl Vitamine zu sich nehmen zu müssen.
Später gingen sie alle hinaus, vor die Tür, versammelten sich wieder, unter dem vorstehenden Dach, das zusätzlich noch ein großer Baum überschattete, Teppiche und Matratzen, samt Polster, bildeten eine einzige große Lagerfläche. Nach einer neuerlichen Runde Tee, einigem Geplänkel, verloren sich aber nach und nach die meisten der Anwesenden. Übrig blieben dann nur noch der Oberst, sein Sohn und sein Onkel, zusätzlich zu Mirwais und Felsberg.
Ein Angestellter brachte einen Schuhkarton, Marke "Panama Jack", er musste schwer sein, bog sich förmlich vor Gewicht.
Oberst Nahim öffnete lässig den Karton, griff hinein und holte einen Stein hervor, zeigte zuerst nur seine Hinterseite, ein scheinbar ganz normaler Stein.
Aber dann kam die andere Seite des Steins zur Ansicht und… da wuchs ein wunderschöner, tiefgrüner Kristall aus dem Grau hervor. Ein reiner Smaragd von bemerkenswertem Ausmaß.
Felsberg nahm das Stück, drehte es in seinen Händen, hielt die Spitze des sichtbaren Smaragdes gegen die Sonne, versuchte hindurchzusehen. Ein kurzer Befehl des Hausherren, einige Sekunden später hielt Felsberg eine Lupe in Händen und untersuchte den Stein genauer. Es waren keinerlei Einschlüsse zu sehen, der Stein schien "lupenrein" zu sein, stellte somit ein kleines Vermögen dar.
Mirwais grinste Felsberg an, hörte seinem Freund Nahim zu, übersetzte für ihn.
"Ich hab's dir doch gesagt... und du kennst die Geschichte ja schon - voriges Jahr hat man hier einen riesengroßen Edelstein gefunden… er hat sechs Millionen Dollar eingebracht, zwei Millionen für den Arbeiter, der ihn gefunden hat und vier Millionen für den Auftraggeber, den Herrn des Arbeiters… wir sind an seinem Haus vorübergekommen, hast du es gesehen ?"
"Jaa… sehr schön… aber was hat es da mit einem 'Auftraggeber' auf sich, wie funktioniert das ?"
Mirwais sprach kurz mit dem Oberst, der lächelnd einen Schwall von Worten losließ, bevor Mirwais neuerlich übersetzte.
"Ein Arbeiter wird, von einem beliebigen 'Arbeitgeber' angestellt, er soll auf den Berg gehen und für seinen 'Arbeitgeber' nach Edelsteinen graben, auch im Winter und da oben auf fünftausend Meter wird es bitter kalt… ob er etwas findet oder nicht, er bekommt seinen Monatslohn, von seinem 'Herrn', etwa dreißig bis fünfzig Dollar pro Monat !"
"Und wenn er was findet, wie ist es dann ?"
"Je nachdem was sonst vereinbart wurde, meistens irgendwelche prozentualen Anteile… in dem geschilderten Fall war es sieben zu drei, also etwas mehr als zwei Drittel für den 'Arbeitgeber', der Arbeiter bekam etwa ein Drittel !"
Felsberg sah den Berg hinauf, der da unmittelbar vor ihnen in die Höhe wuchs, er war wirklich ein ausgesprochen schön geformter Berg, als wolle er schon von Weitem anzeigen, dass er ein ganz besonderer Berg war.
"Hat es einen Sinn da selbst hinaufzuklettern und nach solchen Steinchen zu suchen ?"
Mirwais lächelte nachsichtig, übersetzte Felsbergs Frage für die anderen Anwesenden, sie lächelten etwas schief, gaben keine Antwort.
"Das wäre vollkommen unmöglich, man ließe dich auch gar nicht… du musst wissen, die Edelsteine sind eine Art Versicherung für die Panjshiris - im Krieg haben sie größtenteils mit dem Erlös der Steine ihre 'Armee' finanziert. Nun da Frieden eingekehrt ist, will man verständlicherweise, natürlich auch, erstmalig privat, an den Vorkommen verdienen !"
"Was würde passieren, wenn ich da rauf gehe ?"
"Man würde dich runterholen… so oder so !"
"Aber man könnte vielleicht irgendeinen 'Deal' mit ihnen machen… beispielsweise, vielleicht einige Steine auf Kommission mitnehmen und versuchen sie in Europa, oder weiß der Geier, wo… zu verkaufen !"
"Du triffst den Nagel auf den Kopf, das ist es ja gerade was sie suchen - einen verlässlichen Partner… Sie haben schlechte Erfahrungen gemacht, würden nicht jedermann so ein Angebot machen, aber - du bist mit mir und mir vertrauen sie, ich bin einer von ihnen !"
"Du scheinst ja wirklich eine Größe hier zu sein, so wie sie dir zu Füßen liegen!"
Mirwais lächelte, beugte sich zu Oberst Nahim, sprach zu ihm mit gedämpfter Stimme. Sie nickten einander zu, beiderseitiges Einvernehmen signalisierend. Während Felsbergs Aufmerksamkeit sich auf einige Neuankömmlinge richtete. Ein kleiner Trupp Reiter kam auf das Anwesen zu, drei bewaffnete Männer und, zu Felsbergs großer Verwunderung, waren auch zwei Frauen darunter, was sich aber erst nach dem sie abgestiegen waren, herausstellte.
Es musste Mutter und Tochter sein, sie sahen einander sehr ähnlich. Sie kamen auf die im Schatten sitzenden Männer zu, begrüßten sie einzeln, mit festem Griff. Sie blickte Felsberg prüfend ins Gesicht, lächelte ihn an und sprach mit angenehmer weicher Stimme, in makellosem Englisch.
"Hallo und Willkommen in meinem Haus… Ich hoffe, sie haben einen angenehmen Aufenthalt, hier bei uns… Ich freue mich sehr, dass sie hier sind !"
Mirwais wurde lang und heftig umarmt, sie sprachen leise miteinander, tauschten Höflichkeiten aus.
Die Tochter, ein bildschönes Wesen aus einer anderen Welt, verzauberte Felsberg in einem einzigen Augenblick, nämlich in dem Moment, als sie ihm direkt in die Augen sah und ihn anlächelte. Er spürte wie ihm ein leichter Schauer den Rücken hinunterlief, ihre Stimme war weich wie Samt, in einem liebkosenden Ton, sie sprach ebenfalls englisch.
"Sie haben gute Augen… mit vielen Lachfalten herum, sie lachen gern… und viel, das finde ich schön !"
Felsberg lächelte etwas verschämt, senkte seinen Blick, stammelte irgendeine Antwort, wollte sich für das Kompliment bedanken, kam aber zu keinem brauchbaren Ergebnis.
Das Mädchen, denn um ein solches handelte es sich, nein, es war vielmehr bereits eine junge Frau, die da nun neben ihrem Vater und ihrer Muter Platz nahm. Felsberg war wie gebannt, schüttelte seinen Kopf, schlug sich, zu aller Anwesenden Erheiterung, mit der flachen Hand ins Gesicht, schüttelte seinen Kopf, um wieder klar zu sehen.
"Verzeihen sie, aber sie sind beide so schön, ich bin vollkommen hin und weg… ich möchte hiermit sofort und unbedingt um die Hand ihrer Tochter anhalten !!"