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Thomas 1

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Die Polen sind schon cool. Dass die das alles immer noch so schaffen. Trotz all der Schwierigkeiten, die die haben. So lange ist die Verhängung des Kriegsrechts schließlich auch noch nicht her. Aber die kommen hier einfach so die hundert, hundertfünfzig Kilometer herüber gefahren und können sich Autos kaufen. Einfach so, denkt Thomas: Direkt über die Mauer hinweg habe ich dagegen noch keine Kiste losgebracht. Da braucht man echte Verbindungen. Das dauert wohl noch eine Weile, bis die da sind. Und außerdem kaufen die da drüben wohl auch nur ihre eigenen Sachen, echte Deutsche eben. Da kann ich in dieser Scheißstadt mit meinen kleinen Geschäften grau werden; grau wie der Tag heute.

Gestern war’s auch schon derart; aber übers Wetter zu lamentieren, das überlässt Thomas Kitty. Kitty hat sowieso an allem etwas auszusetzen, seit sie ihr Kind bekommen hat. Ist vielleicht damit ein wenig überfordert, hat für ihn seitdem auch nicht mehr viel übrig. Warum ist er überhaupt noch mit ihr zusammen? Es ist gar nicht sein Kind. Das ist erwiesen. Das kann kein Frauenarzt abstreiten. Eine Frau kann nämlich keine fünfzehn Monate schwanger sein. Die hätte es bis zur Geburt aber gebraucht, wenn es damals “draußen” mit ihm passiert wäre. Denn im Gefängnis läuft gar nichts. Außerdem: Sein eigenes Kind heißt Mandy und lebt bei Birgit; um das kümmert er sich auch nicht und Birgit ist’s egal. Emanzipation wird das wohl genannt. Ihm soll’s recht sein.

Ob das endlich Liebe ist, ich meine, die wahre Liebe, sinniert Thomas. Kitty hat etwas, was ich bei keiner anderen gespürt habe. Um Gottes Willen, nicht sentimental werden. Mache dir klar, dass du hier einfach nur wartest – wieder einmal warten musst. Warum werde ich immer dann besonders ungeduldig, wenn ich gerade ein Geschäft tätigen will? Thomas ist gereizt.

Nein, das ist es nicht wirklich, sagt er sich. “Aber dass ich ständig auf diese Arschlöcher aus Zehlendorf warten muss, bis die sich bequemen, ihren bestellten Wagen abzuholen”, murmelt er vor sich hin. Dabei haben die es doch überhaupt nicht nötig, ihre fahrbaren Untersätze auf diese Art einzukaufen. Auf ein paar Tausender mehr oder weniger beim Preis kommt es denen doch gar nicht an. Wahrscheinlich juckt die bloß der Nervenkitzel. Den könnte ich mir allerdings ersparen, wenn es nach mir ginge. Doch mich fragt ja keiner.

Endlich ist es soweit, da kommt Bodo. Und Thomas brüllt ihn fast an: “Sag mal, meinst du, ich bin nur für dich da?”

“Jetzt mal halblang, sonst geht das nächste Ding an dir vorüber!”

“Interessiert mich nicht das geringste. Ich hätte in dieser Zeit schon zwei, wenn nicht drei Autos in dieser läppischen Klasse verkauft.”

“Gar nicht dumm, der Kleine. Genau darum geht’s ja beim nächsten Ding, das wir drehen; alles soll mal ‘ne Klasse höher laufen. Oder was meinst du, für was ich deine Schrotthaufen brauche? Du sollst dich endlich mal nützlicher machen können, als uns lediglich schon polizeibekannte Blechkisten aufzutischen.”

“Ist mir scheißegal, ich mach nur Sachen, bei denen ich mich auskenne.”

“Sollst du ja auch. Ist dir eigentlich aufgefallen, wie nervös und geschäftig die Russen zur Zeit vorm Brandenburger Tor rumschwirren?”

“Ach, vorm Brandenburger Tor: Dann soll ich wohl eine Fahr-Rampe über die Mauer bauen?”

“Quatschkopp, ich meine doch auf unserer Seite. Wohl noch nie mit ‘nem Offizier von denen vor dem Museums-Panzer geredet, wa’?”

“Du meinst beim Ehrenmal – ne’, die wagen es gar nicht, Kontakt aufzunehmen. Die haben doch Schiss und werden selbst die ganze Zeit kontrolliert – wenn nicht von ihren eigenen Leuten, dann heimlich von irgendwelchen Amis oder Engländern. Und mit denen möchte ich erst recht nichts zu tun haben, sind nämlich schlechte Kunden. Außerdem habe ich keinen Bock auf politische Scherereien.”

“Spring einfach mal über deinen Schatten. Meinst du, ich würde dich fragen, wenn’s nach purer Sympathie ginge? Spaß beiseite, ich habe noch keinen entdeckt, der sich wie du die Mühlen holt, die er braucht – wenn er nur richtig will.”

“Komm endlich zur Sache, oder hau mit dem Kasten hier, dem einzig wirklichen im Augenblick, endlich ab.”

“Okay, okay, weißt du, auf was die Russen wirklich scharf sind? Das sind nicht Daimler oder BMW, sondern die größeren unter den Volkswagen, für die sie von den Chinesen Ersatzteile kriegen. Santana, Passat – verschwinden alle nach Sibirien. Da hinten muss es ‘ne Lücke in der Grenze geben; ich meine, für die kleinen Dinge, die man sonst so am Auto braucht. Was glaubst du, wie so ein Wagen nach Tausenden von Kilometern aussieht? Und wir hier kommen zur Zeit mit dem Nachschub nicht nach. Wo doch die ganze Sache erst seit kurzem läuft. Jetzt sollen wir mit den Russen zusammen eine große Lücke für die Autos schaffen, verstehst du? Da tut sich, wenn alles klappt, ein riesenhafter Deal auf – und alles, ohne dass unsere Polizei irgendwas verfolgen kann.”

“Also keine Rampe über die Mauer, sondern gleich ein Loch in die Mauer. Wo lebt ihr eigentlich? Das Ding steht, seit ich denken kann, und wird wohl stehen bleiben.”

“Quatschkopp, kann ich da nur wieder sagen. Ist dir schon einmal aufgefallen, dass Berlin nicht nur aus der Mauer besteht? Dass etwa unser Müll zum Teil das schafft, was du nur unter Kontrollen kannst: nämlich die Stadtgrenze passieren!”

“Wie willst du denn einen Santana in ‘nen Mülllaster kriegen, ohne ihn nicht vorher eine Schrottpresse sehen zu lassen?”

“Das ist es ja eben; wir hoffen, dass es auch so geht. Irgendwas spielt sich da drüben zur Zeit ab, die sind mit allem möglichen beschäftigt, nur nicht mit der Verteidigung des Sozialismus. Das heißt, wir könnten aus der Stadt ausreisen: mit Auto – und ohne wieder einreisen.”

“Und du meinst, die fragen nicht nach, wo denn das Auto geblieben ist, wenn du in die Bundesrepublik gehst oder zurück nach Berlin kommst?”

“Genau. Dabei wollen uns ja die Russen helfen.”

“Und du glaubst denen?”

“Da gibt es wohl einige, habe ich das Gefühl, die möglichst schnell aus Mitteleuropa wegkommen wollen – aber nicht ohne fette Beute in der Hand. Wie gesagt, etwas braut sich da gegenwärtig zusammen. Und denen ist kein Weg zu teuer.”

“Mit was wollen die eigentlich bezahlen? Mit ein paar schlecht tauschbaren Rubelchen?”

“Nein, mit Gold.”

“Klingt schon interessanter.”

“Du bist also mit dabei?”

“Kann schon sein. Möchte allerdings noch mehr Infos bekommen, bis ich zusage. Und vor allem aus sicherer Hand. Du weißt, was es bedeutet, wenn man auf seinen Kisten sitzen bleibt!”

“Das Ding ist totsicher, glaub mir. Auf alle Fälle werde ich mich wieder bei dir melden, wenn ich mehr rausgebracht habe. Wäre doch gelacht, wenn wir das Kind nicht schaukeln. Und auf der anderen Seite: Wer weiß schon, wie lange es diese schrecklich schöne Stadt noch gibt.”

“Jedenfalls glaube ich, dass jetzt genug gefaselt wurde. Ich gehe, hab schließlich noch was anderes zu tun.”

“Grüß Kitty von mir!”

“Was willst du von Kitty?”

“Abwarten – aber eigentlich rein gar nichts.”

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