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I. Was ist Politik?
ОглавлениеPolitikwissenschaft als Disziplin
Was ist Politik? Diese Frage ist so alt wie die Beschäftigung mit der Politik. Sie ist eine der klassischen Fragen der Politikwissenschaft überhaupt (vgl. auch Meyer 2010). Sie hat die alten Griechen ebenso beschäftigt wie uns heutzutage. Jede Epoche, jede Zeit hat und muss darauf eine Antwort finden. Die Antworten auf die Frage nach dem Sinn und der Qualität von Politik sind nicht zu allen Zeiten identisch, das demonstriert allein schon der Blick auf die Politische Ideengeschichte: von Aristoteles bis zur Gegenwart lässt sich ein großes Panorama an differenten Inhaltszuschreibungen und Bedeutungsverschiebungen festmachen, bei denen einzig und allein über die zweieinhalb Jahrtausende hinweg der Begriff relativ konstant bleibt, jedoch die Verständnisweisen dazu oft nicht unterschiedlicher sein könnten. Eigentlich ist die Politikwissenschaft (in Deutschland) eine recht junge Disziplin. Wirklich selbständig jenseits der Ummantelung durch die Staatswissenschaften der Jurisprudenz oder den Bedeutungszuweisungen der Politischen Philosophie ist das Fach erst nach 1945 mit einem eigenständigen Profil etabliert worden (vgl. Bleek 2002). Doch zeigt sich gerade am Politik-Begriff, wie weit bis in die Antike hinein eine „Wissenschaft von der Politik“ reicht (vgl. Lietzmann/Nitschke 2000). Die sprachlichen Adaptionen aus dem Amerikanischen, demzufolge political science bzw. science of politics eine Wissenschaft von der Politik beinhalte, wie es eine der ersten Professuren für die neue Disziplin in den 1950er-Jahren anzeigte, oder eine „Politologie“ (im Gleichklang zur Soziologie), eine „Politische Wissenschaft“ oder eine „Politikwissenschaft“, die mitunter auch als Plural in Form von „Politikwissenschaften“ vorkommt, demonstrieren allesamt eine gewisse Schwankung im wissenschaftlichen Profil des Faches. Allgemein hat sich mittlerweile über die Jahrzehnte hinweg die Terminologie von der Politikwissenschaft als Konsens durchgesetzt, wenn auch nach wie vor die einzelnen Institute an den deutschen Universitäten ganz unterschiedliche Bezeichnungen führen. Politikwissenschaft ist demnach die Disziplin, die sich mit spezifischen Fragen, Problemen und Erscheinungsformen von Politik beschäftigt. Doch damit ist die Frage noch nicht geklärt, was denn überhaupt das Kennzeichen von „Politik“ ist?
Politik-Begriff in der Antike
Der Blick in die Begriffsgeschichte ist hier zunächst hilfreich, weil die Bedeutungsunterschiede schon in der Entstehung des Begriffs in der griechischen Antike in ihren jeweiligen Schwankungen deutlich werden. Politikos ist zunächst ein Verständnis für einen Bürger, der als politisches Subjekt tätig wird und hierbei bestimmte Rechte und Pflichten in Anspruch nehmen darf. Der Ordnungsrahmen für das Tätigwerden dieser „Bürger“ ist die Polis, ein Begriff, der gemeinhin mit „Stadt“, „Staat“ oder „Burg“ übersetzt wird. Ein weiterer Begriff hierzu ist die Politeia, die den Staat als „Verfassung“ im normativen wie auch im funktionalen Sinne kennzeichnet. Daran lässt sich eine Bedeutungszuweisung anknüpfen, die Handlungen anzeigt, die in einem öffentlichen Interesse, spezifisch im Kontext eines Gemeinwohls, praktiziert werden (vgl. auch Ottmann 2001).
Bedeutungsebenen von Politik
Egal, ob man nun den heutigen Politik-Begriff mehr von der Polis oder von der Politeia ableitet, sind die Bedeutungszuweisungen recht vielschichtig. Vor dem Hintergrund einer über zwei Jahrtausende gehenden Debatte kann man mit Politik folgende Vorstellungen und Faktoren identifizieren, die logischerweise dann auch Grundbegriffe der Politik darstellen (vgl. Schwarz/Breier/Nitschke 2017):
a) das Gute (im Leben der Menschen)
b) eine öffentliche Ordnung
c) Gemeinwohl
d) die Verwirklichung des guten Lebens der Bürger
e) Macht
f) Herrschaft
g) die Ordnung von Allem
h) die Sache des Staates
i) die Repräsentation der Interessen des Volkes
j) Regierungshandeln
k) Parteienherrschaft
l) Diktatur
m) Demokratie
n) öffentlich legitimiertes Handeln
Spezifisch ist also Politik zu keinem Zeitpunkt nur als Frage der demokratischen Ordnung verstanden worden. Weit ausholende normative Bedeutungszuweisungen wie etwa in der Vorstellung der aristotelischen Lehre vom glückseligen Leben der Bürger, die mittels einer entsprechenden Politik gestaltet werden müsse, haben nicht nur im Mittelalter, sondern bis weit in die Moderne hinein den Politik-Begriff geprägt (vgl. hier auch Horn/Neschke-Hentschke 2008). Keineswegs muss (und darf) Politik auch nur mit der Perspektive auf den Staat verbunden werden. Das wäre eine unzulässige Verkürzung und ist sicherlich gerade ein in der deutschen politischen Kultur gern gepflegtes Missverständnis, wenn Politik nur mit staatlichem Handeln identifiziert wird.
Politikwissenschaft als Vermittlung von Demokratie
Genauso wenig ist Politik nur eine Sache der Demokratie. In anderen Herrschaftsformen, wie etwa der Monarchie, der Aristokratie oder auch der Tyrannis (um beim antiken Beispiel zu bleiben), wird ebenso konkret Politik gemacht. Nur sind die Zuordnungen andere als in einer Demokratie. Wenn die Politikwissenschaft als eine Wissenschaft von den Spielformen der Politik handelt, dann muss sie sich all diesen unterschiedlichen Formen widmen. Und sie muss sie vor allem kritisch perspektivieren. Das gilt insbesondere auch dann und dort, wo die Politikwissenschaft die demokratischen Grundlagen von Politik thematisiert und analysiert. Zweifellos ist die Politikwissenschaft, nicht nur in Deutschland, eine demokratische Wissenschaft. D. h., sie ist eine Disziplin, deren Sinn und Bemühen in der (richtigen) Interpretation demokratischer Ordnung liegt. Von daher ist die moderne Politikwissenschaft eine Demokratiewissenschaft. Wäre sie eine Wissenschaft, die nur von der Diktatur handelt – oder nur von der Monarchie, dann wäre dies schon problematisch für ein kritisches Verständnis von Politik. Eine derartige Wissenschaft wäre dann lediglich systemstabilisierend, indem stets nur eine apologetische Argumentation für die Strukturen von Macht und Herrschaft verlangt und erlaubt wäre. Das hat mit Politikwissenschaft nichts zu tun. Eher mit Ideologie. Insofern ist es kein Zufall, dass autoritäre und totalitäre Systeme keine Politikwissenschaft kennen und zulassen. Staaten, die der Doktrin des real existierenden Sozialismus gefolgt sind, haben eine Politikwissenschaft, welche die Elemente und Erscheinungsformen von Herrschaft, etwa beim Regierungshandeln, kritisch hinterfragt, nicht gekannt. Gesellschaften, die auf Clan- bzw. Stammeskulturen basieren, die einen Begriff des Öffentlichen nicht entwickelt haben, demonstrieren entweder ein unterentwickeltes Verständnis oder eben ein Nichtverstehen von Politik, die sich an einer gemeinschaftsfähigen, gleichwohl aber eben auch pluralistischen Ausrichtung von Ordnung im Raum auszeichnet.
Demokratie und Öffentlichkeit
Gleiches gilt für Gesellschaften, die aufgrund einer religiösen, im Kern also theologischen, Interpretation die Rolle des Menschen in der gemeinschaftlichen Ordnung festlegen und hierbei nur dogmatische Grundsätze für die Politik zulassen. Genau genommen existiert in solchen Gesellschaften ein Politik-Begriff, wie er von der Politikwissenschaft in ihrem demokratischen Profil vorausgesetzt wird, nicht. Denn die Vorstellung von einem Demos-Kratos (einer Herrschaft des Volkes) basiert auf der anthropologischen Annahme, dass Individuen in freiheitlicher Selbstverfügung eine ihnen gemeinsame Ordnung (eben die Ordnung aller) formulieren und organisieren. In dem Moment, in dem eine Gemeinschaft der Gläubigen per göttlicher Verfügung oder prophetischer Erleuchtung begründet wird, sind Faktoren wie Freiheit, Subjektivität und Vernunft irrelevant. Sie sind jedenfalls dann keine eigenständigen Bestimmungsmuster für das Dasein mehr, sondern unterliegen den (dogmatischen) Maximen des Glaubens. Insofern haben islamische Gesellschaften, wenn sie sich fundamentalistisch orientieren, ein Problem mit einem Politik-Begriff, der auf die Herstellung von Öffentlichkeit bei gleichzeitiger Individualität in der Verschiedenheit der Interessen (und eben nicht in der Gleichheit) ausgerichtet ist (vgl. auch Abdel-Samad/Khorchide 2017).
Kritische Analyse
Politikwissenschaft als eine Wissenschaft, die sich mit dem demokratischen Profil schwerpunktmäßig beschäftigt und identifiziert, ist insofern immer auch eine kritische Wissenschaft gegenüber dem Untersuchungsgegenstand. Alles andere wäre ansonsten auch reine Apologie. Mitunter leiden allerdings auch politikwissenschaftliche Untersuchungen (etwa zur Parteienfrage) unter einer allzu großen Nähe zum Untersuchungsgegenstand. Dann bekommen politikwissenschaftliche Aussagen affirmative, lediglich systembestätigende Muster und wirken ähnlich ideologisch motiviert wie man dies in Zeiten des real existierenden Sozialismus an Lippenbekenntnissen von Wissenschaftlern des SED-Regimes in der DDR kannte.
Pluralität
Der Politik-Begriff in der Politikwissenschaft in Deutschland geht daher (wie auch in den übrigen Ländern der westlichen) Welt nicht zufällig von einem pluralistischen, im Prinzip kontroversen Meinungsbild zum Verständnis von Politik aus. Heterogen ist dieses Meinungsbild deshalb, weil sich auf der Basis von individuellen Interessen zwar gruppenspezifische Strukturen der Interessenwahrnehmung abbilden lassen, diese jedoch untereinander letztlich kontrovers bleiben, weshalb die Austragung von Konflikten zum Prinzip der demokratischen Ordnung gehört – immer unter der Voraussetzung, dass diese Konflikte nicht mit den Mitteln der Gewalt ausgefochten und entschieden werden (vgl. u.a. Saage 2005, Schmidt 2010).
Das bedeutet, dass ein demokratischer Politik-Begriff keinen abschließenden, rundherum gültigen Wahrheitsanspruch hat. Selbstverständlich gilt es für die Politikwissenschaft, wahrhafte Zustände im Sinne der Realität zu ermitteln und aufzuzeigen. Jedoch ist dieses Realitätsbewusstsein nicht zu verwechseln mit einem Glaubenskredo auf Wahrhaftigkeit. Insofern bleiben politikwissenschaftliche Aussagen über Zustände in der Politik relational, bezogen auf Zeit, Raum und die Akteure, um die es geht. Kritisch muss und darf hierbei immer in Rechnung gestellt werden, dass sich zu einem beliebigen Sachverhalt stets mehr als nur eine vernünftige Option in der Auslegung, in der Deutung, aber auch in der Erkenntnis der politischen Realität ergibt.
Aufklärung über Handlungsalternativen
Die Realität im Sinne der Handlungsmöglichkeiten und deren Folgen bleibt letztlich offen für Alternativen. Und davon gibt es mehr als nur eine. Wann und wo immer Politiker (wie etwa Gerhard Schröder als Bundeskanzler) behaupten und behauptet haben, dass es zu ihrer Politik keine Alternative gebe, ist es geradezu Aufgabe der Politikwissenschaft die Handlungsalternativen aufzuzeigen. Stets gibt es mindestens eine weitere Alternative, genau genommen sogar eine Mehrzahl von Varianten. Insofern die Politikwissenschaft kritisch auf vernünftige Alternativen zur offiziell formulierten Entscheidungslogik in der Politik hinweist, sei es bei den Parteien, den staatlichen Institutionen oder einzelnen Politikern, ist sie als demokratische Disziplin zugleich eine Aufklärungswissenschaft. Sie klärt auf über den Sinn und Unsinn in politischen Handlungen und verweist, das ist spezifisch ihr höchstes Gut, auf Optionen zur Verbesserung des Bestehenden.
Aufklärung über Politik kann gar nicht genug erfolgen, besonders in einer Zeit, in der die meisten Bürgerinnen und Bürger gerade auch in Demokratien paradoxerweise weit vom politischen Geschehen entfernt sind. Die Beziehung zur Politik ist für viele Zeitgenossen in Deutschland oft nur rudimentär ausgebildet. Umfragen ergeben stets einen bemerkenswerten Mangel an Kenntnissen über die Wirkungs- und Funktionsweisen des politischen Systems. Der Politik-Begriff lässt sich auch nicht auf den Staat begrenzen, sondern beinhaltet im Grunde sämtliche Verhaltensweisen, welche Interaktionen zwischen Individuen und Gruppen im öffentlichen Raum betreffen. Insofern ist für das demokratische, politikwissenschaftliche Analysebild die Unterscheidung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit konstitutiv. Dies ist aber keineswegs juristisch, im Sinne einer staatsrechtlichen Terminologie, zu verstehen. Vielmehr ist politisch immer das, was für eine Mehrzahl von Menschen in der Öffentlichkeit von Interesse ist.
Die Herstellung in der Legitimation dessen, was im öffentlichen Interesse ist, stellt dabei selbst schon einen politischen Vorgang dar. Mechanismen in der Kommunikation des Öffentlichen, die Rolle der Medien, der Parteien und der Verbände umfassen das weite Feld funktionaler wie normativer Aspekte, in deren Rahmen sich Politik manifestiert. Es ist dann jeweils eine Frage nach den Zielsetzungen, mit denen sich politische Themen und Akteure gewichten und verstehen lassen.
Somit sind die Ziele von Politik kennzeichnend für das Politikverständnis selbst. Hierbei kann man analog zu den Bedeutungsinhalten auf eine Varianz hinsichtlich der Zielsetzungen verweisen. Auch wenn dabei unendlich viele Möglichkeiten adressiert werden können, lassen sich doch besonders für das demokratische Profil von Politik folgende zehn Faktoren als zentrale Ziele festmachen:
1. Ordnung
2. Sicherheit
3. Wohlstand
4. Frieden
5. Freiheit
6. Partizipation
7. Unterordnung
8. Durchsetzung von Recht
9. Machterlangung
10. Gerechtigkeit
Der Mensch als politisches Lebewesen
Die Klassifizierung dieser Ziele darf man jedoch nicht im Sinne der Höherwertigkeit eines der Ziele vor den jeweils anderen verstehen. Zweifellos sind Parameter wie Gerechtigkeit, Freiheit und Partizipation elementar auf der Basis der Formulierung der Menschenrechte, die für das demokratische Politikprofil die anthropologischen wie hermeneutischen Voraussetzungen liefern. Doch zur Partizipation gehört ebenso die Unterordnung im Sinne einer Einordnung in das Gesamt der Regeln der demokratischen Politik. Deshalb ist die Durchsetzungsfähigkeit von Rechtsansprüchen konstitutiv für das pluralistische Politikverständnis. Der Rechtsstaat, die normative Einsicht und Akzeptanz, dass individuelle Freiheit zugleich auch die Verpflichtung zur Einhaltung und Bewahrung der Gesetze beinhaltet, gehört damit zu den Grundlagen der demokratischen Kultur. Diese ist bezogen auf den einzelnen Bürger, seine individuellen Möglichkeiten und Beschränkungen, Politik pur. Eben deshalb hat Aristoteles auch den Menschen als ein zôon politikon verstanden wissen wollen, als ein politisch denkendes und handelndes Lebewesen – in der bewussten Unterscheidung zur Tierwelt (vgl. Aristoteles 2006, dazu auch Höffe 2005: 620f.).
Bienen und Ameisen haben zwar auch eine Ordnung, wir sprechen dabei sogar von einem „Staat“, doch basiert diese Ordnung auf einem biologischen Determinismus, bei dem, nach allem, was wir wissen, die chemische Kodierung den Ausschlag gibt. Das bedeutet, dass die einzelne Ameise oder Biene gar nicht anders kann, als sich so zu verhalten, wie sie sich verhält. Eine Subjektivität stellt sich hier nicht ein, weil es keinen freien Willen zu einer Entscheidung gibt. In Unterscheidung zur Ordnung und Hierarchie in den Staaten der Tierwelt hat Aristoteles daher zu Recht den Staat der Menschenwelt, die Polis, als einen Akt der Ordnungskonzeption begriffen, bei dem die Vernunft des Menschen den Ausschlag dafür gibt, wie er sich hierbei verhält. Aufgrund der eigenen Mängelstruktur bedarf der Mensch einer Regelung von Handlungsabläufen unter seinesgleichen, bei denen im Austausch von Arbeitsleistungen wechselseitige Vorteile für die Beteiligten entstehen. Da die Koordination dieser sozialen Beziehungen zentral eine Ordnungsfrage ist, stellt sich für das Zusammenleben der Menschen die Politikfähigkeit fast zwangsläufig ein. In der bewussten Suche nach der richtigen oder besten Form des Zusammenlebens erfährt sich der Mensch als Vernunftwesen in seiner eigenen Qualität. Deshalb ist er ein politisches Lebewesen. Ohne die Politik, so die Botschaft seit Aristoteles, kann der Mensch als Gattungswesen nicht überleben.
Der moderne Politik-Begriff, wie er in der deutschen Politikwissenschaft ebenso wie in der anglo-amerikanischen political science verwendet wird, ist dieser Orientierung an dem antiken Ursprungsbild treu geblieben, auch (und gerade) wenn hier mittlerweile eine ganze Reihe von Verfeinerungen und Differenzierungen vorgenommen worden sind. Bestimmte normative Zuordnungen, wie sie Aristoteles vorausgesetzt hat, werden heute sicherlich nicht mehr unumstritten geteilt (vgl. dazu Kapitel VI), doch der Gebrauch in der Terminologie verweist auf Referenzbilder in der griechischen Antike.
Trias der Politikebenen
Die Politikwissenschaft unterscheidet im Gegensatz zur herkömmlichen, d.h. umgangssprachlichen Verwendung von Politik drei unterschiedliche Bedeutungsebenen. Das sind im Einzelnen:
1. Polity
2. Policy
3. Politics
Die Polity gibt die Form an, innerhalb derer sich Politik abspielt oder abspielen soll, die Policy die jeweiligen Inhalte, und die Politics zeigen die Prozesse an (vgl. auch Hofmann/Dose/Wolf 2015, Pelinka/Varwick 2010, Naßmacher 2010).
Polity
Gegenüber dem üblichen Sprachgebrauch ist es also ein dreidimensionales Verständnis von Politik, mit dem die Politikwissenschaft operiert. Hinter dem Begriff der Polity verbirgt sich der griechische Ursprung von Polis und Politeia. Im Grunde ist die heutige anglisierte Gebrauchsform ein Ergebnis der Übersetzung aus dem Hochmittelalter, als man aus der Polis in der lateinischen Sprache der Kleriker eine politia gemacht hat (vgl. Rubinstein 1987). Damit wird der formale Charakter von Politik angezeigt, d.h., es geht hierbei um Verfassungsfragen, um Normen und Institutionen. Die Verfassungen von Staaten (wie etwa das Grundgesetz) lassen sich unter dem Aspekt der Polity behandeln. Normative Grundfragen nach der Verfasstheit von Gesellschaften, vorrangig hier beispielsweise der Geltungsanspruch der Menschenrechte, gehören in diese Dimension. Aber auch Fragen nach der (richtigen) Relation von Religion und Politik, der Begründung von moralischen Werten sind zentral für die Polity. Grundsätzlich lässt sich diesem Rahmenverständnis alles zuordnen, was im weitesten Sinne zur Politischen Kultur eines Landes und einer Nation gehört (vgl. auch Nitschke 2010). Symbolhafte Handlungen, Einstellungsmuster von Wertüberzeugungen, Weltanschauungsfragen gehören in den Referenzrahmen der Polity. Die Polity ist damit das grundsätzlich Konstitutive für die Politik überhaupt. Ohne die entsprechenden Institutionen, welche normativ wie funktional die Alltagsabläufe prägen, lässt sich Politik gar nicht als eine spezifische Daseinsform des Menschen erkennen.
Policy
Bei der Frage nach den Institutionen, in denen sich Politik manifestiert bzw. die Politik umsetzen sollen, geht die Dimension der Polity allerdings auch schon merkbar in das Feld der Policy über. Der Begriffsursprung ist hier der Gleiche wie bei der Polity. Der griechische Referenzbegriff ist dann allerdings nicht mehr die Polis, sondern spezifischer die Politeia, die in der latinisierten Umsetzung über politia in der spätmittelalterlich-prämodernen Form der Policey die Inhalte von Politik anzeigt. Aus der Policey-Frage resultiert nicht nur thematisch eine Ordnung, die als Polizeiwissenschaft in der Prämoderne in Kontinentaleuropa für Verwaltungsfragen Standards gesetzt hat (vgl. Maier 1980), aus der sich dann wiederum sukzessive ein Verständnis für Polizei als rein exekutive Institution ergibt (vgl. Nitschke 1992), sondern eben auch die Erkenntnis, dass spezifische Materien einer jeweils spezifischen Politik bedürfen.
Politikfelder
In der Policy-Analyse geht es daher um die konkreten Themen, die Inhalte von Politik. In der deutschen Übersetzung von Politikfeld-Analyse wird deutlich, dass die Themen mitsamt ihren Akteuren jeweils einem ganz bestimmten Bereich zuzuordnen sind. Politik ist also hinsichtlich der Inhalte stets auch eine Frage nach dem Arbeitsfeld, in dem sich politische Aktionen manifestieren, ihre Akteure operieren. Vor dem Hintergrund der Verfassung (etwa des Grundgesetzes) als Polity, sind somit als Politikfelder die einzelnen Aufgabenbereiche für Regierungshandeln anzuzeigen, z.B. die Gesundheitspolitik, die Bildungspolitik, die Innere Sicherheit, die Sozialpolitik etc.
Politics
Das lässt sich nicht immer sauber abgrenzen von der dritten Dimension der politikwissenschaftlichen Betrachtung, der Ebene der Politics. Die Übergänge sind hier, wie schon zwischen Polity und Policy, durchaus fließend. Politics müsste im Deutschen eigentlich mit Politiken übersetzt werden, tatsächlich ist es gerade jener Terminus, der umgangssprachlich meist für Politik eingesetzt wird, wenn von Politik die Rede ist. Die Frage nach den Akteuren in den diversen Politikfeldern führt zwangsläufig zur Frage nach der Bestimmbarkeit der Regeln, nach und mit denen diese Akteure in der Politik agieren. Vor allem wird dann relevant, welche Art von Logik die handelnden Akteure, Politiker, Verbändevertreter, Bürger(innen) für ihre Entscheidungsfindung ansetzen und umsetzen. Mit der Dimension von Politics wird daher der Prozess als solcher beschrieben und analysiert. Die Interessenlagen und -gegensätze spielen hier ebenso eine Rolle wie die Techniken der Macht, mit denen die jeweiligen Akteure ihre Ziele durchsetzen können oder eben damit scheitern. In den Politiken wird die Strukturfrage als jeweils konkrete Handlungsoption empirisch relevant. Die Psychologie der handelnden Akteure, ihre Diskurse sowie ihre faktischen Taten stehen in der politikwissenschaftlichen Bewertung hinsichtlich der Vernunftansprüche zur Disposition. Politik ist nie nur das, was sprachlich angezeigt wird, sondern vor allem das, was tatsächlich gemacht wird.
Empirische Wissenschaft
Spätestens bei dieser dritten Dimension wird deutlich, dass die Politikwissenschaft nicht nur eine theoretische oder lediglich theoretisierende Disziplin ist, sondern im Kern eine Tatsachenwissenschaft. Sie orientiert sich bzw. hat sich zu orientieren an den Fakten, den Geschehnissen, um diese dann in einem allerdings nicht affirmativen Sinne zu dechiffrieren und zu analysieren. Der Bereich der empirischen Sozialforschung ist daher für die Politikwissenschaft so elementar (vgl. Häder 2015), weil ein Verständnis für Wirklichkeit nur über den Weg einer empirischen Beweiserhebung gewonnen bzw. kritisch gegenüber Dogmen reflektiert werden kann. Da nichts so beweglich, d.h. in Veränderung begriffen ist, wie die Wirklichkeitszustände in der Politik, sind somit die Methoden und Arbeitstechniken in der Politikwissenschaft dem nachhaltigen Aufspüren von sich permanent verändernden Bedingungen a) spezifisch – und werden b) prozessual angepasst (vgl. auch Simonis/Elbers 2010).
Disziplinäre Querverbindungen für die Politikwissenschaft
Bleibt abschließend die Frage, in welcher Weise die Politikwissenschaft nach ihrem Selbstverständnis zwischen und unter den anderen Disziplinen einzuordnen ist. Von den Bestimmungsmustern aus der Frühphase der Disziplin in der Bundesrepublik Deutschland, die mit Ansprüchen auf den Titel einer „Königsdisziplin“ oder einer „Integrationswissenschaft“ argumentierten (vgl. hier Schneider 1967), hat man mittlerweile zu Recht Abstand genommen. Die Politikwissenschaft ist weder die Summe noch die Spitze aller übrigen Geistes- und Sozialwissenschaften. Allerdings bildet sie erkennbar jede Menge Querverbindungen zu Disziplinen wie der Geschichtswissenschaft, der Soziologie, den Wirtschaftswissenschaften, der Verwaltung-, Staats- und Rechtslehre oder den Kulturwissenschaften. Im Grunde lässt sich thematisch gesehen gar keine Relation hier ausschließen. Dies ist das irritierend-eigentümliche Kennzeichen von Politik überhaupt, dass sich ihre Erscheinungsformen inhaltlich in ganz verschiedenen Daseinsbereichen und dementsprechend auch wissenschaftlichen Perspektiven wiederfinden lassen. Wenn man als Zentrum von Politik die Frage nach der richtigen Ausgestaltung von Macht und Herrschaft und deren Legitimierung ansieht, dann ist dieser Kern von Politik in der Praxis umso komplexer und widersprüchlicher, je mehr man sich auf die thematischen Ränder zubewegt. Gerade das aber macht die Politik so interessant.