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1.2.3 Prozessrecht

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Die dritte Leitfrage umkreist das zeitgenössische Prozessrecht. Hierbei geht es insbesondere um die Prozessmaximen und Rechtsmittel. Das moderne deutsche Gerichtsverfahren ist geprägt durch öffentliche, mündliche Prozessführung, die freilich umfassend schriftlich vorbereitet wird. Im Zivilprozess beherrscht die Dispositionsmaxime das Verfahren. Danach entscheiden die Parteien über die Angriffs- und Verteidigungsmittel und geben dem Gericht den Streitgegenstand vor. Der Verhandlungsgrundsatz besagt, dass die Parteien auch für die Beibringung der Tatsachen verantwortlich sind. Das Gericht ist im Grundsatz auf die Entscheidung der Sache beschränkt. „Da mihi facta, dabo tibi ius“ (Gib mir die Tatsachen, ich werde dir das Recht geben), lautet der lateinische Sinnspruch dazu.

Im Strafverfahren dagegen gilt die Offizialmaxime. Von Amts wegen geht der Staat gegen Straftäter vor und setzt seinen eigenen Strafanspruch durch. Dazu passt die Instruktions- bzw. Inquisitionsmaxime. Denn auch die Ermittlung des Sachverhalts ist hier eine hoheitliche Aufgabe und richterliche Pflicht. Die Entscheidungen aller Gerichte erwachsen in Rechtskraft, wenn sie nicht rechtzeitig angegriffen werden. Doch Rechtsmittel stehen bereit. Berufung und Revision führen den Streit in eine höhere Instanz (Devolutiveffekt) und halten das bereits ergangene Urteil in der Schwebe (Suspensiveffekt). Das Rechtsmittelgericht prüft sodann je nach Rechtsmittel, ob dem Untergericht Fehler bei der Rechtsanwendung oder bei der Ermittlung des Sachverhalts unterlaufen sind. Liegt eine endgültige Entscheidung vor, kommt es zur Vollstreckung. Der Straftäter empfängt seine Strafe, möglicherweise wandert er ins staatliche Gefängnis. Im Zivilprozess steht der Gerichtsvollzieher bereit, den durch Urteil bestätigten Anspruch mit staatlichem Zwang durchzusetzen.

Der rechtshistorische Blick zeigt abermals die Voraussetzungen für verschiedene Prozessformen auf. Eine weitgehend schriftlose (orale) Gesellschaft ohne studierte Juristen gelangt hierbei zu ganz anderen Lösungen als eine von gelehrten Berufsrichtern geprägte Rechtsordnung. Die mittelalterliche Laiengerichtsbarkeit beruht weitgehend auf Öffentlichkeit und Mündlichkeit. Strafprozess und Zivilverfahren waren lange Zeit nicht getrennt. Ziel des Verfahrens war es auch nicht, abstrakt-generelle Rechtsnormen auf einen Sachverhalt anzuwenden. Die Subsumtion ist vielmehr das methodische Rüstzeug des studierten Juristen. Im ungelehrten Prozess ging es [<<17] demgegenüber darum, den gestörten Frieden wiederherzustellen. Deswegen erlangten Eide der Parteien eine besondere Bedeutung. Als Leumundseide zählten sie zu den sog. irrationalen Beweismitteln, die für die Entscheidungsfindung oftmals wichtiger wurden als die Sachverhaltsaufklärung. Der gelehrte Prozess bewirkte hier die entscheidenden Veränderungen, bezeichnenderweise zunächst im Strafrecht. Kleriker, denen bestimmte Amtsvergehen angelastet wurden, durften sich nicht mehr durch Reinigungseid selbst entlasten. Das Lehrbuch legt daher besonderen Wert auf den Wandel des Prozessrechts, der sich mit der Rezeption des gelehrten Rechts vollzog. Man meint damit traditionell die Verwissenschaftlichung und Professionalisierung des Rechts, auch die inhaltliche Anlehnung and römische und kanonische Vorbilder. Das Wort Rezeption und die früher teilweise damit verbundenen Vorstellungen sind inzwischen streitig geworden. Aber die Zunahme römisch-kanonischen Rechtsdenkens und das Universitätsstudium haben doch unübersehbar ihre Spuren hinterlassen. Das gilt in besonderer Weise für die Prozessrechtsgeschichte. Die Verschriftlichung des Verfahrens, feste Vorgaben für den Schlagabtausch zwischen den Parteien und ihren Anwälten, der Trend, hinter verschlossenen Türen zu entscheiden, die Möglichkeit, Urteile anzufechten – dies sind die entscheidenden Punkte, auf die es zu achten gilt. Untrennbar verbunden damit ist die Frage, ob und wie Gerichte ihre Entscheidungen gegenüber den Parteien, der Öffentlichkeit oder der Wissenschaft begründeten.

Wege zur Rechtsgeschichte: Gerichtsbarkeit und Verfahren

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