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1.5 Ein Wort zur Benutzung des Lehrbuchs
ОглавлениеEin Universitätsstudium lebt ganz wesentlich vom Selbststudium des Einzelnen. Gerade in einem forschungsnahen Fach wie der Rechtsgeschichte können Lehrveranstaltungen immer nur schmale Ausschnitte aus der Stofffülle bieten. Doch wenn es in die Tiefe geht, kosten breitgestreckte Einleitungen viel Zeit. Dasselbe Problem ergibt sich bei der Arbeit mit dem vorliegenden Buch. Die Geschichte der Gerichtsverfassung und des Prozessrechts stehen im Mittelpunkt, sind doch aber eingebettet in die allgemeine Geschichte und Rechtsgeschichte. Diesen größeren Rahmen kann das Lehrbuch nicht [<<26] selbst abstecken, sondern oft nur ganz knapp andeuten. Weiterführende Informationen vermitteln einführende Lehrwerke, je nach Interesse und Lesefleiß auch größere Handbücher und Monographien. Die am Ende des Buches zusammengestellten Literaturhinweise ermöglichen einen Einstieg. Und die regelmäßig kommentierten, häufig auch gewichteten Vertiefungshinweise zu den Einzelkapiteln sollen Benutzer neugierig machen, tiefer in den Stoff einzudringen. Dort finden sich vor allem auch Nachweise für die im Text genannten Autoren und Einzelheiten.
Das Lehrbuch selbst ist von seinem ganzen Zugriff, vor allem in der Zuspitzung auf wesentliche Veränderungen über die Zeiten hinweg, darauf ausgerichtet, am Stück durchgelesen zu werden. Tatsächlich sind auch längere Textpassagen als Fließtexte konzipiert und von Anfang an so geschrieben worden. Viele Überschriften geben zwar Auskunft über inhaltliche Einzelheiten und sind an eine abschnittsweise Lektüre angepasst. Es handelt sich aber gerade bei den Unterkapiteln nicht um abgeschlossene kleine Abhandlungen. Es gibt oftmals Vor- und Rückgriffe und überspannende Gedanken, die sich durch längere Abschnitte ziehen. Die Gliederung kommt insofern studentischen Lesegewohnheiten entgegen, lässt den Text aber nicht zerfasern. Aus didaktischen Gründen ist auch im Kleinen teilweise die Chronologie durchbrochen, um durch die Gegenüberstellung zeitlich entfernter Einzelheiten den Blick auf Zusammenhänge offenzuhalten, die sonst verschüttet zu werden drohen.
Die Quellenlektüre bereitet erfahrungsgemäß besonders viel Unbehagen. Die alten Texte, manchmal sogar die neueren Quellen, sind sperrig, sprachlich schwer lesbar und häufig auch inhaltlich nicht leicht zu verstehen. In einem Fach, in dem so viel von Konstruktion und Rekonstruktion die Rede ist, sollen die Quellen aber gleichsam ein stabiles Fundament legen. Denn die Existenz dieser Texte ist eine der wenigen wirklich sicheren historischen Tatsachen, von denen wir ausgehen können. Was daraus folgt, ist schon weniger eindeutig. Der naheliegenden Versuchung, die Quellentexte einfach zu überblättern, sollte der Benutzer des Buches aber widerstehen. Es gibt das sprichwörtliche Vetorecht der Quellen. Die Rückbindung der Geschichte, auch der Rechtsgeschichte, an die Überlieferung ist unaufgebbar und zwingend. Quellenferne Behauptungen lassen sich schnell widerlegen. So lehnte es etwa Joseph Hansen, ein Vorreiter der Hexenforschung, ab, frühneuzeitliche Prozessakten auszuwerten, weil sie ein Schreckensbild „voll grausiger Einförmigkeit“ böten. Aber der Blick in einige wenige Akten belegt unschwer das Gegenteil. Deswegen darf man die Quellen nicht einfach beiseite schieben, auch wenn sie sperrig sein mögen.
Oftmals sind ältere Texte in aufbereiteten und geglätteten Fassungen ediert. Doch tatsächlich ist und bleibt es häufig schwierig, den Wortlaut verlässlich zu ermitteln. Das Lehrbuch umschifft diese Klippe nicht und bietet deswegen gelegentlich auch Auszüge [<<27] aus historisch-kritischen Editionen. Der Zugang zur vereinfachten Arbeitsfassung ist freilich dann vermerkt, wenn es solche Ausgaben gibt. Außerdem sind ältere einheimische Texte regelmäßig ins Hochdeutsche übertragen, um von der modernen Sprache den Weg zurück zur Quelle zu weisen. Hier sei dringend an die Selbstdisziplin der Benutzer erinnert. Die Zeit, die man opfert, eine auf den ersten Blick unzugängliche Quelle zu entschlüsseln, zahlt sich oft aus. Gerade auf der Faszination der Quellen beruht zum großen Teil der Reiz der Rechtsgeschichte. Ein Gespür hierfür zu wecken, ist sogar eines der wesentlichen didaktischen Ziele des Buches.
Das Verhältnis der Rechtsgeschichte zum geltenden Recht steht seit langem in der Diskussion. Ist es die Aufgabe anspruchsvoller Dogmatiker, ihrerseits die Wurzeln des heutigen Rechts freizulegen, um es besser zu verstehen? Ist es die Aufgabe von Rechtshistorikern, Vorgeschichten zu liefern, um das geltende Recht als Gewordenes geschichtlich einzurahmen? Kann man aus der Geschichte überhaupt etwas lernen, vielleicht sogar, wie ein gerechtes Recht aussehen sollte? Oder steht einer solchen applikativen Verlockung eine kontemplative Rechtsgeschichte gegenüber, die selbstgenügsam in der historischen Erkenntnis ihren alleinigen Daseinszweck findet? Ein Lehrbuch muss nicht auf jeder Seite dazu Stellung nehmen. Doch das Augenmerk auf den Prozessmaximen und dem staatlichen Gewaltmonopol ist nicht völlig losgelöst von Grundfragen auch des modernen Rechts. Einige Regelungsprobleme stellen sich über die Zeiten hinweg in ähnlicher Weise, und die historischen Antworten sind in ihrer Bandbreite begrenzt. Vielleicht gibt es keine Wiederkehr von Rechtsfiguren im dogmatisch-technischen Sinn. Aber die jeweiligen zeitgenössischen Lösungen für gleichartige Fragen können durchaus die scheinbare Selbstverständlichkeit des modernen Rechts erschüttern. Auf diese Weise hilft das historische Reflexionswissen durchaus, den kritischen Blick auf das heutige Recht zu schärfen. So schafft das Studium der Rechtsgeschichte aus der Beobachterperspektive Verständnis für das moderne Recht, zugleich aber auch heilsame Distanz. Dieser Vorrat an Einsichten, den eine Problemgeschichte vermittelt, mag sich sogar als hilfreicher erweisen als die bloße Ansammlung zahlreicher Einzelheiten, deren Bedeutung vor allem für studentische Leser unklar bleibt. Ein wirklich wissenschaftliches Jurastudium kommt um die Beschäftigung mit den Grundlagen des Rechts nicht umhin. [<<28]