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Erster Tag - Smile House

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Freitag, 22. Februar

Punkt sieben Uhr klingelte das Telefon. Noch müde blinzelte ich in die Sonne Bangkoks, die durch die Spalten zwischen den dunkelblauen Vorhangteilen vor den Panoramafenstern schien. Ich nahm den Hörer ab, sagte “Kop kun krap“ und legte wieder auf. Noch etwas benommen wälzte ich mich aus dem Bett, zündete eine Zigarette an und schaltete meine kleine Zwei-Tassen-Reise-Kaffeemaschine ein. Mit der Roth-Händle aus dem Duty-Free-Shop Frankfurt im Mundwinkel lief ich im Zimmer umher, zog die Vorhänge auf, packte ein paar Kleinigkeiten vom Nachttisch neben dem Bett in die blaue Thai Airways Tasche, wartete auf den Kaffee und hätte mir fast beim ersten Schluck die Lippen verbrannt. Um zwanzig nach sieben war ich geduscht und hatte meine restlichen Utensilien aus dem Badezimmer und vom Schreibtisch eingepackt, checkte zum dritten Mal alle Schubladen und schloss die Tasche und den Trolley, den Reisekoffer hatte ich gestern Abend schon gepackt und verschlossen und wollte ihn unten im Gepäcklager deponieren. Auf die Glasplatte des Rattantisches legte ich ein Häufchen Münzen, es waren schätzungsweise 150 Baht, die Zimmermädchen würden sich freuen. Als ich mein Gepäck vom Zimmer in den Gang draussen stellte, schlug mir die Hitze voll entgegen, mir war schwindelig und kotzübel. Ich tippte mal vorsichtig auf eine Luftfeuchtigkeit von 135 Prozent und war nass geschwitzt, als ich mit meinem gesamten Gepäck vor dem Aufzug stand. Unten am Empfang in Erdgeschoss übergab ich dem Boy den großen Koffer zur Aufbewahrung bis zu meiner Rückkehr aus Samui am sechsten März und erhielt dafür einen grünen Zettel mit einer Nummer. Meine Rechnung war schnell ausgedruckt und ich bezahlte 3820 Baht, einschliesslich meiner Zeche von der Poolbar.

Das Airport-Taxi, das ich gestern Abend bestellt hatte, wartete bereits am Fuss der Treppe des Ruamchitt Plaza, der grün-gelbe Toyota parkte mit geöffnetem Kofferraumdeckel auf dem Bürgersteig. Der Fahrer grüßte freundlich, kam mir entgegen, um mir mein Gepäck abzunehmen und lud es ein. Das Taxi war innen wie üblich eisgekühlt und der Verkehr weniger chaotisch, als ich es für diese Tageszeit erwartet hatte. Wir brauchten keine zehn Minuten bis zum Ende der Sukhumvit Road und bogen hinter dem Bahnübergang nach rechts ab auf den Expressway zum Airport. Um halb neun standen wir vor dem Don Muang Domestic Terminal, ich zahlte dem Fahrer 350 Baht und machte mich auf den Weg zum Check-in Counter der Bangkok Airways. Es war nicht viel los im Terminal, kein Gedränge, keine Hektik, aber eine auffallend massive Präsenz von Polizei und Militär, teils herumstehend, teils patrouillierend und mit Maschinenpistolen bewaffnet. Die Terroranschläge in den vergangenen Wochen hatten weltweit wieder einmal Angst und Schrecken verbreitet und der Touristikbranche erneut einen ordentlichen Dämpfer verpasst.

Meine beiden Gepäckstücke hatte ich schnell eingecheckt, die 200 Baht Airport Tax bezahlt und beschloss, doch besser etwas zu frühstücken, obwohl ich absolut keinen Appetit hatte. Eher ein übles Gefühl im Magen nach zwei Tassen Kaffee und bestimmt acht Zigaretten und obendrein noch Kopfschmerzen. Entweder ich hätte gestern nicht schon mittags mit Bier anfangen sollen oder wahlweise besser auf die vier Dosen Chang Beer am späten Abend verzichtet. Ich hängte mir meine Fototasche über die Schulter und nach einem Blick auf die Boarding Card schlenderte ich müde in Richtung Gate 18 A, vorbei an MacDonalds, setzte mich in der Snackbar von Burger King an einen Tisch und bestellte einen doppelten Cheeseburger und ein Singha Beer. Vom Nachbartisch holte ich mir eine zerknitterte Bangkok Post und blätterte darin herum, ohne etwas konkret zu lesen, bis meine Bestellung serviert wurde. Nach einem guten Schluck eiskaltem Singha aus der Dose verdrückte ich den klebrigen Burger, zahlte, passierte ein paar Meter weiter das Gate und wartete in der fast leeren Lounge noch eine knappe halbe Stunde, bis der Aufruf zum Flug PG 139 nach Ko Samui ertönte. Ein paar Passagiere hatten sich in der Zwischenzeit noch eingefunden, so dass die zweimotorige ATR 160 Turboprop doch fast zur Hälfte besetzt war, als sie mit zehn Minuten Verspätung von der Runway in Don Muang abhob.

Was vom Boden wie strahlend blauer Himmel ausgesehen hatte, entpuppte sich nach zwei Minuten Steigflug dann doch als dunstig und nahezu undurchsichtig und aus ein paar schönen Luftaufnahmen von Downtown Bangkok und dem immerhin im Sonnenlicht glitzernden Chao Praya River wurde nichts. Müde war ich ohnehin und das Singha im Burger King gab mir den Rest, ich lehnte mich in meinem Sitz 34 A halbwegs bequem zurück und döste ein, bis eine bezaubernde Stewardess das Tischchen aus der Rückenlehne des Vordersitzes herausklappte und mich anlächelte. “Tea or coffee?”, fragte sie, während sie das Plastiktablett mit dem, ich nenne es einfach mal ‘Lunch’, auf den Klapptisch schob. “Coffee, please”. Das blasse, watteartige Toastsandwich liess ich unangetastet in seiner Cellophanfolie weiter vor sich hin dämmern, naschte lediglich die sechs Stückchen Pomelo aus der Plastikschale und schlürfte meinen Kaffee. Anschliessend klappte ich den Tisch vor dem freien Sessel neben mir heraus, verfrachtete das Tablett hinüber, blätterte mich zwei Minuten lang durch das Bangkok Airways Bordmagazin ‘Sawadee’, liess meine Rückenlehne so weit wie möglich nach hinten gleiten und nickte wieder ein.

“...your seats upright and fasten your seat belts. We are descending now to Ko Samui Airport”, war das Erste, was ich wieder wahrnahm. Ich blinzelte aus dem Fenster und erkannte die Nordseite von Pha Ngan mit ihren kleinen Buchten und Stränden in der grellen Sonne, aber ich war zu faul, die Kamera aus der Tasche zu holen. Entlang der Ostseite der Insel und vorbei an der fast hufeisenförmigen Sunrise Beach hinter Haadrin ging der Sinkflug direkt über Big Buddha Island und die Insel-Ringstraße hinweg und endete schliesslich etwas holprig auf der mit leuchtend violetten Hibiskussträuchern gesäumten Landebahn.

Vor ein paar Jahren hätte ich noch gesagt: “Endlich wieder daheim!”. Aber jetzt war alles anders und ich war noch immer nicht mit mir selbst einig, ob es überhaupt richtig war, wieder hierher zu kommen. Die Maschine wendete und rollte auf ihre Park Position, wo bereits die pittoreske, bunt mit Inselmotiven bemalte Zugmaschine des Samui Airport Shuttles mit ihren fünf Anhängern wartete. Irgend etwas mit meinem Magen stimmte ganz und gar nicht. War vielleicht doch keine so gute Idee mit dem Singha in Don Muang nach den schätzungsweise 15 Singha und Chang gestern über den ganzen Tag verteilt. Immerhin waren rund um die Gepäckausgabe unter dem palmgedeckten Dach einige Standventilatoren aufgestellt und es wehte ein angenehmes Lüftchen. Der Gepäckwagen mit seinen drei Anhängern kam mit surrendem Elektromotor an und unter den ersten abgeladenen Gepäckstücken war auch mein Trolleykoffer, die blaue Umhängetasche war auf dem zweiten Wagen. Ich schleppte mein Gepäck zu der Reihe wartender Taxis, stieg ein, sagte nur: “Smile House, Bo Phut Beach, please“ und hatte absolut keine Lust, mit dem Fahrer eine Konversation anzufangen.

Wohin ich auch schaute entlang der Straße, so gut wie nichts war unverändert geblieben seit ich vor drei Jahren zum letzten Mal hier war. Angefangen mit der überdimensionierten neuen Pier am Big Buddha Beach für Kreuzfahrtschiffe in der Traumschiff-Größenordnung über die zahllosen neuen Bungalowanlagen bis hin zu den neu erbauten Luxusresorts kurz vor Ban Bophut. Und der Ort selbst war fast gar nicht mehr wiederzuerkennen. Nicht mehr viel war übrig geblieben von dem verschlafenen Fischerdorf, in dem ich vor zwanzig Jahren so gut wie jeden Einheimischen mit Namen kannte. Überall neue Restaurants, Bars, Boutiquen und Hotels überwiegend in der Hand von Deutschen, Schweizern, Österreichern, Engländern, Skandinaviern oder Australiern.

Am Smile House angekommen zahlte ich den horrenden Fahrpreis von 250 Baht, schulterte die Fototasche, hob die Thai-Tasche und zog meinen Trolley über die Straße. Es war ein seltsames Gefühl, so mutterseelenallein hier anzukommen, mir schien plötzlich alles so fremd. Nicht einmal ein Anflug von Freude darüber, endlich mal wieder hier zu sein, nur Leere und Gleichgültigkeit. Ich sah mich um, es war sehr ruhig für diese Jahreszeit, die Liegen am Pool leer und im Becken so gut wie nichts los und in das Restaurant schielend zählte ich vier Gäste. An der Rezeption standen zwei Mädchen und diskutierten vor dem Computer. Die eine war Katai, die andere kannte ich nicht. Katai schaute auf, sagte gewohnheitsmässig ihr freundliches ‘Sawadee kah’, stutzte, deutete mit dem Zeigefinger auf mich und sagte, mit leicht fragendem Unterton: “Pita? Pita! Hey, willkommen im Smile House! Wo ist Meou?”. “Sawadee krap Katai, ich bin allein, weisst du nicht, dass wir geschieden sind?”. Sie zuckte mit den Schultern, seufzte ein wenig und meinte: “Doch, sie hat es mir letztes Jahr erzählt, als sie mit ein paar Freunden hier war, aber hätte ja sein können, dass ihr wieder zusammen seid. Wie lange willst du bleiben?”. “Zwölf Tage, am sechsten März fliege ich wieder nach Krungthep. Nicht viel los hier zur Zeit, oder?”. “Nein, eine Menge Buchungen sind gecancellt worden wegen der Terroranschläge in den letzten Wochen. Ich gebe dir S4, ist das OK?”. Ich drehte mich um in Richtung Pool, überlegte kurz und erinnerte mich. “S4 ist rechts, ja?”. Das bedeutete: Sonnenaufgang auf der Veranda und Schatten am Nachmittag. Sie reichte mir das kleine Brettchen mit der blauen Filzschreiber-Aufschrift ‘S4’ und einem Ring mit Schüssel daran. “Genau. Kommst du klar mit deinem Gepäck, ich sehe, du hast nicht viel. Ich kann im Moment nicht weg hier, wir haben Probleme mit dem Computer, komplett neues Reservierungsprogramm und keiner weiss, wie es funktioniert“. Ich lachte. “Ist schon OK, ich geh dann erst mal auspacken, bis später“.

Ich schleppte meine Sachen über den sandigen Parkplatz am Pool vorbei über den Rasen zum Bungalow S4, öffnete die Tür und hatte endlich doch so ein wenig dieses ‘wieder daheim’-Gefühl. Koffer und Tasche legte ich aufs Bett, räumte meine Klamotten in den Wandschrank und stellt die kleine Kaffeemaschine auf das Tablett mit den Gläsern auf dem Kühlschrank. Meine Breitling zeigte viertel nach eins, ich nahm sie vom Arm und steckte sie in das Seitenfach der Kameratasche zu meinen Papieren. Da ich nicht die geringsten Anzeichen von Hunger oder wenigstens Appetit verspürte, beschloss ich, ein wenig am Pool vor mich hinzudösen, zog meine Badehose an, nahm das Teleobjektiv aus der Fototasche, steckte statt dessen die Suntan Lotion hinein, warf mir mein Strandhandtuch über die Schulter und schlenderte gemächlich zum vorderen Pool.

Es war Ende Februar, Hauptreisezeit, das Smile House, wie auch alle anderen Hotels und Bungalow-Anlagen normalerweise ausgebucht, aber zur Zeit war alles ruhig. Ich nahm die vier Stufen hoch zum Pool, schaute mich um und schlenderte weiter. Ein Pärchen schmuste auf der rechten Seite im Schatten, auf einer Liege las ein älterer, bärtiger Mann in einem Buch und auf der linken, der Sonnenseite, waren drei Liegen mit Handtüchern bedeckt und Taschen und Gläser standen daneben. Im Pool spielten drei Mädels mit einem großen roten, aufblasbaren Wasserball und unterhielten sich auf deutsch, wie ich im Vorbeigehen hören konnte. Die pralle Sonne wollte ich zugunsten meines Hangovers inklusive Kopfschmerzen erst einmal vermeiden und nahm die Liege unter dem Sonnenschirm in Beschlag, so dass zwischen meiner und den drei mit den Handtüchern noch eine Freie stand. Ich machte es mir auf meinem Handtuch bequem, steckte ein Roth-Händle an, holte den MP3-Player aus der Tasche und setzte die Kopfhörer auf. Zum Musikhören war ich absolut nicht aufgelegt mit meinem kaputten Kopf, es war lediglich so eine Art ‘Bitte nicht Stören’-Signal, deshalb liess ich den Player ausgeschaltet. Ausserdem konnte ich so mitbekommen, was um mich herum vor sich ging.

Mit halb geöffneten Augen hinter der Sonnenbrille sah ich den Mädels zu, die sich kichernd den Ball zuwarfen. Sie mochten alle drei wohl so um die 30 sein, eine war besonders hübsch mit langen, fast weissblonden Haaren und einem ordentlichen Sonnenbrand auf den Schultern. Gelegentlich schauten sie zu mir herüber und schienen sich auch kurz über mich zu unterhalten, aber verstehen ich konnte nichts. Es dauerte keine fünf Minuten, da flog mir der Ball auf die Beine und rollte hinter meine Liege. Ich lächelte den Mädels zu, winkte in ‘Ist-nichts-passiert’-Manier mit der Hand, setzte die Kopfhörer ab und begann, meine nassgespritzte Sonnenbrille abzutrocknen. Die Brünette mit dem schwarzen Bikini kletterte aus dem Pool und kam auf mich zu, begann mit “Sorry,..“. entdeckte die Packung Roth-Händle auf dem Handtuch am Fussende der Liege und fuhr fort: “ah, Roth-Händle, du bist auch aus Deutschland?”. “Ja”, antwortete ich, noch immer an der Sonnenbrille reibend, “Peter, aus Bad Nauheim“. Sie reichte mir lächelnd ihre Hand.

“Ich bin Lena aus Hannover, die Blonde da ist meine Freundin Tina und die andere ist Leonie aus Kassel, sie ist alleine hier. Tut mir leid, war keine Absicht“. Umständlich griff ich hinter das halb aufgerichtete Kopfteil meiner Liege und rollte den Ball nach vorne. “Danke. Du bist gerade angekommen?”. “Ja, vor ‘ner Stunde, bin noch etwas müde“. “Komm mit ins Wasser, dann wirst du wach“. “Später, ich bin jetzt einfach zu faul“. Sie lachte. “Ging mir am ersten Tag genauso“, warf den Ball ins Wasser und sprang hinterher. Nach etwa zehn Minuten kamen sie dann alle drei aus dem Pool, trockneten sich kurz ab und setzten sich auf ihre Liegen.

Lena steckte sich eine Zigarette an und winkte mir zu. “Hey, Peter, komm doch zu uns rüber,” und deutete auf die noch freie Liege. Ich sah prüfend nach oben, dann hinter mich, stand auf, rückte den Sonnenschirm einen guten Meter nach links hinter die freie Liege, holte noch Handtuch und Tasche und machte es mir dort bequem. Die Dunkelhaarige mit dem glitzernden blauen Badeanzug saß auf der Liege neben mir und hielt mir lächelnd ihre Hand entgegen. “Hallo, ich bin Leo. Lena sagt, du bist aus Bad Nauheim. Ich war noch nie da, habe aber mal eure Eishockeymannschaft gegen unsere Kassel Huskeys spielen sehen. Ist doch schon mal ein Anfang, oder? Wie lange bleibst du?”. “Zehn oder zwölf Tage, weiss nicht genau, müsste ich im Ticket nachsehen“. Sie war so etwa einsfünfundsechzig und schätzungsweise Anfang 30, hatte ein wirklich hübsches Gesicht und dunkelbraune Augen, war aber für ihre Größe und meine Ansprüche ein wenig zu breit um die Hüften. “Ich gehe mal an die Bar und hole was zu trinken, soll ich dir was mitbringen? Ich sehe, du hast gar nichts“. “Nein, vielen Dank“, erwiderte ich, “habe im Moment keinen Durst.”

Sie drehte sich um. “Lena, Tina, soll ich euch etwas mitbringen?”. Tina, die Weissblonde mit dem gelben Bikini und einer tollen Figur, winkte ab. “Nein, danke, nachher gibt’s noch genug Bier“. Und, nachdem Leo losgetrabt war, zu mir gewandt: “Hallo, ich bin Tina, hier gibt es später noch ‘ne Party. Warte mal ab, wenn der Harley Club kommt, dann geht’s hier rund“. Verständnislos schaute ich sie an, sie hatte schöne blaue Augen und setzte jetzt auch noch eine für ihr kleines Gesicht viel zu große Piloten-Sonnenbrille mit rosa verlaufenden Gläsern auf. “Vier verrückte Typen aus Rosenheim“, erklärte sie, “fahren in Deutschland Harleys, haben sich hier jeder eine gemietet und donnern jeden Tag dreimal um die Insel. Und ‘Captain Bavaria’, das ist Joss, der Chef der Truppe, hat heute Geburtstag. Heute morgen hat er gesagt, sie bringen aus dem Supermarkt in Chaweng Weizenbier mit, soviel sie auf den Maschinen transportieren können, ich bin ja mal gespannt!” Captain Bavaria, dachte ich, da hat wohl einer zu oft Peter Fonda als Captain America in Easy Rider gesehen.

Kaum hatte sie den Satz beendet, da bogen die vier Harleys lautstark von der Straße auf den Parkplatz vor dem Pool ein, an jeder hingen zwei gut gefüllte Taschen am Lenker. Sahen schon wild aus, die Typen. Alle vier trugen Jeans, Motorradstiefel, T-Shirts und darüber ärmellose schwarze Jacken mit dem Harley Davidson Schriftzug auf dem Rücken, aber keinen Helm. Sie stellen die Motorräder ab, nahmen die Taschen und drei von ihnen machten sich auf in Richtung Bungalows, während einer mit einem leuchtend roten Tuch im Piratenlook um den schwarzen Lockenkopf gewickelt herüberwinkte und mit einer Tüte in der Hand die Treppe zum Pool heraufkam. “Hey Mädels, ich hab euch was mitgebracht! Der Rest muss erst noch mal in den Kühlschrank”. Er setzte sich auf das Fußende von Lenas Liege und atmete erleichtert auf. “Meine Fresse, war das eine bescheuerte Fahrerei mit der Sauferei am Lenker, habe beinahe meine Harley geerdet, vorne in der Kurve vor der Ampel”. Aus seiner Jackentasche fingerte er ein dickes, rotes Helvetia Taschenmesser und begann, eine Flasche Paulaner Hefeweizen aus der Tüte nach der anderen zu öffnen. “Ist noch ganz gut kalt, kann man so trinken“, meinte er, reichte Lena und Tina eine Flasche und sah dann auf mich.

“Das ist Peter aus Bad Nauheim, ist heute Mittag angekommen“, stellte Tina mich ihm vor. Er stand auf und ging breitbeinig die drei Schritte bis vor meine Liege und hielt mir seine Hand entgegen. “Hi, ich bin Joss, auch Captain Bavaria genannt. Heute wird gefeiert”, und bot mir mit der anderen Hand ein Paulaner an. “Ja”, sagte ich, “habe ich schon gehört, du hast heute Geburtstag, herzlichen Glückwunsch“, und schüttelte seine Hand. “Aber sorry, ein Bier kann ich jetzt beim besten Willen nicht trinken, mir ist noch ganz übel von der blöden Fliegerei, das würde mir mit Sicherheit den Rest geben“. Er lachte. “Kenn ich, nach meinem ersten Trip war ich auch am Anfang etwas neben der Spur, da musst du halt durch. Jetzt bin ich zum fünften Mal hier, da ist das alles Routine!”. “Dann besteht ja noch Hoffnung für mich“, bemerkte ich erleichtert.

Die drei anderen kamen die Treppe zum Pool herauf, grüßten mit “Hallo” an mich gerichtet, und “Hallo Mädels”, bückten sich nach einem bereits von Joss geöffneten Paulaner und hockten sich auf die Steinplatten an den Beckenrand vor die Liegen. So auf Mitte 30 schätzte ich sie alle, einer sah etwas jünger aus. “Das ist Richie“, begann Joss die drei vorzustellen, “war schon zweimal mit mir hier, das ist Ecki und das ist Barney, beide auch schon einmal mit dabei gewesen“. Er fühlte sich offensichtlich ernsthaft als der absolute King. Leo kam von der Bar zurück, einen Teller mit einem Sandwich in der Hand, begrüßte den Harley Club, setzte sich auf ihre Liege und begann zu essen. “Habe euch kommen hören, da hab ich gedacht, Bier habt ihr ja mitgebracht, ein Sandwich ist jetzt wohl sinnvoller“, sagte sie mit halbvollem Mund und Ecki reichte ihr eine Flasche.

Joss setzte sich auf die Platten neben die anderen direkt vor meine Liege. “Ey Mann“, fing er wieder an, “wenn du Lust hast, kannst du gerne mal eine Inselrundfahrt mit uns machen. Die Mädels haben wir auch schon mitgenommen nach Chaweng, da ist echt die Hölle los, lohnt sich aber kaum vor Mitternacht. Wenn du was von Samui sehen willst, dreh einfach mal mit uns ‘ne Runde. Ich sage ja, ich bin jetzt zum fünften Mal hier innerhalb von sechs Jahren, ich kenne die Insel wie meine Westentasche. Vor zwei Jahren habe ich mir einen Ausrutscher erlaubt in die DomRep, ist aber zum Motorradfahren denkbar ungeeignet. Ich habe noch nicht einmal eine Harley bekommen und musste mit einer alten 750er Honda rumgurken, elend war das. Da lobe ich mir Samui!” Leo hatte kauend zugehört und fügte hinzu: “Kannst du ruhig machen, die Jungs fahren echt ganz vernünftig. Und in Chaweng gibt’s geile Discos!”

Ich nickte anerkennend, steckte mir eine Zigarette an und sagte: “Danke für das Angebot, aber ich denke, ich mache erst mal ein paar Tage lang gar nichts ausser faulenzen und relaxen. Dann sehen wir weiter, wie lange bleibt ihr denn noch?”. “Wir sind noch knapp über zwei Wochen hier, 16 oder 17 Tage“, antwortete Joss und nahm sich sein zweites Bier. Die Sonne stand schon etwas tiefer. Ich öffnete meine Tasche und warf einen Blick auf die Uhr, es war bereits viertel vor vier.

Joss neigte sich zur Seite, schaute an mir vorbei auf den Weg zwischen Bungalows und Pool, winkte und rief, breit grinsend “Sawadee krap!” und, wieder an mich gerichtet, erklärte er: “Das war Pak, der Besitzer von dem Laden hier. Latscht den ganzen Tag in abgerissenen Klamotten durch die Anlage wie ein Penner, kaum zu glauben, dass er hier der Oberboss ist. Er wohnt mit der ganzen Familie in der geilen Villa da oben vor den Luxushütten. Ist aber ein feiner Kerl. Ich hatte nur einmal Ärger mit ihm, als wir vor ein paar Jahren mal zu dritt mit unseren Harleys um vier Uhr morgens durch den Garten bis vor die Bungalows gedonnert sind. Richtig sauer war er und hat rumgebrüllt. Aber seitdem sind wir die besten Freunde. Und wenn wir früh morgens aus Chaweng zurückkommen, machen wir die Mühlen schon draussen auf der Straße aus und rollen auf den Parkplatz, damit wir bloß niemanden aufwecken“.

Da ich befürchtete, mir noch mehr von Joss’ Prahlereien anhören zu müssen, beschloss ich, zum Bungalow zurückzugehen und sagte schläfrig: “Wisst ihr was, ich lege mich mal ‘ne Stunde aufs Ohr, vielleicht geht’s mir dann besser”, steckte Kopfhörer und Zigaretten in die Tasche und warf mir mein Handtuch über die Schulter. “Ja, mach das, komm doch heute Abend zur Geburtstagsparty an die Bar. Falls wir nicht mehr dort sind, findest du uns ein paar Häuser weiter auf der rechten Seite in der Kneipe bei Franz, der hat auch Paulaner“.

“Danke für die Einladung”, nickte ich, ein kurzes “Ciao, wir sehen uns später“ zu den Mädels und ich stapfte los. Gerade treppab auf der gegenüber liegenden Poolseite, kam Pak von oben den Weg herunter, er hatte wohl nur die drei langen Papierrollen aus seinem Haus geholt, die er unter den Arm geklemmt hielt. Wie üblich in abgewetzten Shorts, einem halbgeöffneten, graukarierten Hemd, das auch schon bessere Tage gesehen hatte und ausgelatschten Flipflops. “ Pita, sawadee krap“, rief er mir lachend entgegen, kam auf mich zu, legte seinen Arm um meine Schultern und drückte mich an sich. “Wie geht’s dir?”, fragte er auf Thai, “Katai hat mir schon gesagt, dass du hier bist, wie lange bleibst du?”. “Zwölf Tage“, sagte ich, klopfte ihm auf den Rücken und löste mich aus seiner Umarmung. “Du hast ja wieder einiges gebaut hier“, sagte ich anerkennend und meinte damit vor allem sein neues Office, den ersten Bungalow auf der linken Seite, direkt gegenüber der Rezeption, der mir beim Einchecken am Vormittag sofort aufgefallen war. “Und die Bungalows sind auch alle renoviert und sehen aus wie neu!” Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Joss und seine Truppe sich zu uns umgedreht hatten und nicht schlecht staunten über das, was sie sahen.

“Hah, das ist noch nicht alles“, grinste Pak, legte zwei der drei Papierrollen auf die roten Steinplatten des Weges, wickelte mit beiden Hände die dritte Rolle auf und breitete sie vor mir aus. So war er nun mal, wenn er Pläne hatte, konnte er damit nicht hinterm Berg halten. Voller Stolz deutete er mit einer Kopfbewegung nach rechts zum Nachbargrundstück, einem seit mehr als zwanzig Jahren brachliegendem, total verwildertem Areal mit einem verfallenen Holzhaus, einer zwei Meter hohen Betonmauer zur Smile House Seite und verrottetem Lattenzaun um den Rest. “Hier“, nickte er auf den aufgerollten Plan, “das Land ist jetzt endlich freigegeben worden und ich habe es gekauft. Eineinhalb Rai“, das entspricht einer Fläche von hundertfünfzig mal fünfzig Metern, “Platz für zehn neue Bungalows und einen kleinen Pool, nur für Kinder, mit Rutschbahn und einen Spielplatz“. Voller Begeisterung fuhr er abwechselnd mit seinem Zeigerfinger über die Zeichnung und deutete auf sein neues Grundstück, während ich die rechte Seite der Papierrolle festhielt. “In sechs Wochen fangen wir an.” Interessiert studierte ich den Grundriss der Smile House Erweiterung und meinte bewundernd und leicht mit dem Kopf schüttelnd: “Pak, du kannst einfach nicht aufhören, irgendwann gehört dir noch ganz Samui”, worauf er laut loslachte. “Kin kao“, deutete er in Richtung Restaurant, rollte den Plan zusammen und klemmte sich wieder die drei Rollen unter den Arm, “ich gehe was Essen, kommst du mit?”. “Nein, danke, ich bin müde und will erst mal meine Sachen auspacken“, lehnte ich ab, erwiderte sein Schulterklopfen und ging weiter.

Im S4 schaltete ich die Kaffeemaschine ein, stellte ich mich drei Minuten unter die Dusche, holte mein Laptop aus dem Koffer, schloss das Netzteil an, setze mich mit Kaffee und Zigarette auf die Veranda an den kleinen runden Tisch und startete Windows. Viel machte ich nicht, nur ein paar Notizen und checkte die Fotos der vergangenen Tage, irgendwie war ich noch nicht so ganz da und Hunger bekam ich langsam auch. Das Licht der Nachmittagssonne mit den Schatten der hohen Kokospalmen im Smile House Garten war wunderschön, also zog ich wieder Jeans und Camelhemd an, hängte mir die Tasche über die Schulter und spazierte um kurz vor fünf los in Richtung Straße. Gemächlich schlenderte ich durch Ban Bophut, machte ein paar Fotos, entdeckte auch Franz’ Kneipe und wunderte mich bei jedem Schritt, wie sehr sich das Straßenbild in den letzten Jahren verändert hatte. Eher zu seinen Ungunsten, fand ich. Am Marktplatz an der hölzernen Pier für den Pha Ngan Dampfer bog ich nach rechts und ging am 24 hour Supermarket vorbei. Auf dem Rückweg holst du dir noch in paar Cookies für morgen früh zum Kaffee, nahm ich mir vor.

Der Tempel war, Buddha sei Dank, von Veränderungen verschont geblieben und leuchtete in überwiegend rot und gold in der sinkenden Sonne. Langsam betrat ich den Tempelgarten durch das riesige Eingangsportal, ein paar schwarz-bunte Hühner gackerten vor mir herum und pickten im vertrockneten Gras im Sand. Die Anlage war menschenleer, noch nicht einmal ein Mönch war zu sehen. Mit der Kamera in der Hand wanderte ich durch den Garten und war mit meinen Gedanken mehr in der Vergangenheit als in der Gegenwart. Ins Tempelgebäude ging ich nur kurz, stand ein paar Minuten still in der Mitte der Halle und schaute auf die große, goldene Buddhastatue. Bilder von Meou sah ich vor mir, wie oft hatten wir früh morgens zusammen am Marktplatz die ineinander gestapelten Essenbehälter aus Aluminium mit Reis, Hühnchen, Gemüse und Früchten füllen lassen und sie zu den Mönchen hierher gebracht. Ein wenig traurig und glücklich zugleich verliess ich die Anlage wieder durch das Portal, drehte mich auf dem Parkplatz noch einmal um und sah das goldene Dach des Tempels großartig die orangerote Sonne reflektieren. Ich ging in die Hocke, den Sucher der Kamera vorm Auge, aber die Perspektive war noch nicht optimal. Ich rutsche ein wenig rückwärts und geriet schon in die hinter mir stehenden Sträucher, da sah ich im Sand zwischen meinen Füssen die kleine Tasche liegen.

Ich nahm sie in die Hand. Es war eine khakifarbene Stofftasche, etwa 15 mal 25 Zentimeter groß und drei Zentimeter dick, mit einem Reissverschluss oben an der Vorderseite, den ich nur mühsam öffnen konnte, da er völlig versandet war. Von oben äugte ich hinein, blätterte mit dem Zeigefinger durch den Tascheninhalt und fand einen EU-Reisepass, zwei Tickets und drei Briefumschläge. Ich verschloss die Tasche wieder, machte mein Foto vom leuchtenden Tempeldach, packte die Kamera ein, klemmte mir das Fundstück unter den Arm und machte mich auf den Rückweg.

Am 24 hour Supermarket lief ich vorbei und vergass meine Frühstücks-Cookies, hatte aber vorne an der Hauptstraße eine gute Idee: Das malerische, bis unter die Decke mit Grünpflanzen vollgestopfte Restaurant der beiden Ladyboys aus Bangkok gab es noch und mir kamen die leckeren Baguettes in den Sinn, die wir schon oft dort gegessen hatten. Kurzentschlossen nahm ich die drei Stufen und setzte mich in einen Rattansessel gleich am ersten Tisch an der Straßenseite, weiter drinnen waren noch zwei Tische besetzt. Sofort kam einer der beiden Dragons auf überhohen Pumps auf mich zu gestöckelt, der andere stand im Hintergrund an die Küchentür gelehnt. Kaum zu glauben, dass diese phantastisch aussehende Frau ein Mann war. Die langen, schwarzen Haare und das Makeup perfekt, eine enge, weisse Bluse, ein noch engeres, verwaschenes Jeans-Miniröcken und kupferfarben schimmernde Strumpfhosen, da würde selbst ein Model neidisch.

Er blickte mich mit gekonntem Augenaufschlag an und reichte mir die Karte. Dankend winkte ich ab und sagte: “Ein Thunfischbaguette, bitte, und einen großen Kaffee“. Er sah mich genauer an. “Ich kenne dich, du warst schon öfter bei uns, mit einer hübschen kleinen Thai, richtig?”. Alle Achtung, vor drei Jahren war ich zuletzt mit Meou hier.

Den Kaffee brachte er postwendend, während ich begann, den Inhalt der Stofftasche zu sondieren. Der dunkelrote Reisepass war ausgestellt auf den Namen Marie Michalski, geboren am 28. Februar 1974. Sie wird also am nächsten Freitag 35, dachte ich augenblicklich. Ein Rückflugticket mit der Bangkok Airways für den 8. März und ein Thai Airways Rückflugticket nach Frankfurt am 11. März um 01:10 Uhr, acht Traveller Cheques à 100 Euro im ersten Briefumschlag und 1100 Euro cash in 100-Euro-Scheinen im Zweiten. Im Dritten war lediglich ein Hotelvoucher für das Amari Boulevard in Bangkok mit einer Karte des Hotels. Zu guter Letzt fand ich noch ihren blauen, kreditkartengroßen Arztausweis sowie ein paar Visitenkarten mit dem Aufdruck ‘Dr. med. Marie Michalski, Kinderärztin, Charlottenstraße 12, Bad Homburg’, Telefon- und Handy-Nummer sowie E-mail Adresse und die Öffnungszeiten ihrer Praxis auf der Rückseite und eine Karte vom Blue Lagoon Bungalow Resort, Chaweng Beach.

So vertieft in die Papiere, schreckte ich regelrecht auf, als der Teller mit meinem Tuna Baguette in mein Blickfeld geschoben wurde. Mein Kaffee war kaum mehr warm, das Baguette verschlang ich regelrecht, als hätte ich tagelang nichts zu Essen bekommen und dachte besonnen nach, was zu tun sei. ‘Am besten, ich leihe mir morgen einen kleinen Roller und bringe die Tasche ins Blue Lagoon’, war meine erste Idee, bei der ich dann auch blieb. Ich war mir absolut sicher, dass die Frau Doktor auf heissen Kohlen sitzt und versuchte mir vorzustellen, womit sie sich nach dem Verlust ihrer Tasche unverzüglich herumschlagen musste. Einen provisorischen Reisepass bei der deutschen Botschaft in Bangkok anzufordern, war wohl das Dringendste, dann für die Tickets bei den beiden Airlines Ersatz beantragen und natürlich Geld aus Deutschland überweisen lassen. Zum fünften Mal schlug ich ihren Pass auf und betrachtete das Foto. Ein ausgesprochen hübsches Gesicht, sehr mädchenhaft, die blonden Haare hinter dem Kopf zusammengehalten und über die Stirn Ponysträhnen bis zu den Augenbrauen. Ihr im Grunde lächelnder Gesichtsausdruck sagte so etwas wie: ‘OK, ich bin glücklich, aber das Foto sieht bestimmt beschissen aus.’ Zu gerne hätte ich gewusst, wie der Rest von ihr wohl aussehen mochte.

Fein säuberlich packte ich die Papiere wieder in die Tasche, winkte dem Ladyboy, bezahlte und verliess das Restaurant. Irgendwie beflügelt spazierte ich die Straße hinunter. Ich hatte etwas Sinnvolles zu tun, hatte eine Verantwortung und eine Verpflichtung. Ein völlig ungewohntes Gefühl. Mittlerweile war es kurz nach halb sieben und schon fast seit einer viertel Stunde dunkel. Ich liebte diese nahezu konstante Tag- und Nachtgleichheit.

Es war so gut wie nichts los in Bophut. In den Restaurants und Bars saßen zwar überall ein paar Gäste, aber für diese Jahreszeit wäre eigentlich Oktoberfestbetrieb angesagt. Im Smile House gelang es mir, unbemerkt von der feiernden Harley Club Geburtstagsgesellschaft in der Bar durch die Einfahrt zum Parkplatz zu schlüpfen, war froh, als ich mich im S4 auf mein Bett fallen lassen konnte und muss wohl prompt eingeschlafen sein.

Als ich wieder aufwachte und auf den kleinen, schwarzen Reisewecker auf dem Schränckchen neben dem Bett schielte, war es halb neun. Hatte mich doch glatt die Müdigkeit überwältigt. Ich trank ein Glas Wasser, zündete mir eine Zigarette an, öffnete erneut die Stofftasche und betrachtete den Reisepass. Die Kameratasche stand aufgeklappt auf der linken Bettseite, ich griff nach der Minolta, legte den Pass geöffnet auf den Schreibtisch und fotografierte ihn. Beim Einpacken der Kamera brachte mich mein Notizheft in der Fototasche auf eine Idee. Ich trennte ein Blatt heraus, setzte mich an den Schreibtisch und begann zu schreiben: ’Hallo Marie, habe Deine Tasche am Tempel in Ban Bophut gefunden. Ich hoffe, es fehlt nichts. Einen schönen Urlaub wünscht Peter, auch aus Deutschland’ und das Datum von morgen.

Auf Grund meines Nickerchens von über einer Stunde war ich hellwach und entschloss mich zu einem Spaziergang. Die Tasche liess ich im Bungalow, marschierte am Pool entlang und verliess die Anlage durch die rechte Einfahrt, so dass ich von der Bar aus nicht gesehen werden konnte. Entlang der schmalen Straße war auf der rechten Seite hinter einer Reihe hoher Kokospalmen gleich der Strand, links war nichts ausser Wildnis und ein paar Ruinen von alten Wohnhäusern, rechts vorbei am Ziggy Stardust, mit einem wunderschönen Thai Pavillon mit einer runden Bar in der Mitte auf Holzpfählen am Strand. Jetzt zählte ich im Vorbeigehen vier neue Hotelanlagen. Das Ziggy war zwar geöffnet, der Strandpavillon jedoch dunkel.

Am Ende der Straße, das heisst dort, wo sie nach etwa 500 Metern im rechten Winkel nach links zur Insel-Ringstraße abbog, erkannte ich die dreistöckige Hotelanlage mit dem riesigen Pool, die bei ihrer Eröffnung 1992 noch Euphoria hiess und nie unter einem guten Stern stand. Etliche Hotelbrände, mehrfacher Besitzerwechsel, zeitweise Stilllegung, zuletzt sah die Anlage einfach nur noch elend aus. Alles erstrahlte in neuem Glanz und die Anlage hiess jetzt Anantara Resort & Spa. Auf dem Rückweg beobachtete ich die Lichter von Pha Ngan und die der Fischer draussen auf dem Meer, blieb ein paar Minuten versonnen auf der Straße stehen und suchte mir dann schliesslich doch einen Weg zwischen den Palmen, Gestrüpp und angeschwemmtem Treibholz die Böschung hinunter zum Strand. Ich saß im feinen, warmen Sand an der Bophut Beach und dachte nach. Und kam immer wieder zu dem gleichen Schluss, dass die Reise nach Samui eine total bescheuerte Idee war.

Im Bungalow legte ich mich aufs Bett, schaltete den Fernseher ein, sah mir auf CNN die Nachrichten an, zappte durch die 36 Satellitenkanäle, verweilte bei einigen für ein paar Minuten und drückte um kurz vor elf wieder auf die ‘OFF’-Taste auf der Fernbedienung. Im Badezimmer putzte ich mir die Zähne, zog Jeans und T-Shirt aus, legte mich wieder ins Bett und konnte nicht aufhören, an diese Marie Michalski zu denken. Morgen Mittag bist du wieder glücklich, dachte ich. Als ich mich im Halbschlaf noch einmal im Bett umdrehte, war es halb zwei auf den giftgrün flouresziierenden Uhrzeigern des Weckers.

Samui und zurück

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