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Zweiter Tag - Blue Lagoon

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Samstag, 23. Februar

Es war schon hell draussen, als ich kurz nach sechs aufwachte. Ich war zu faul, aufzustehen und die Kaffeemaschine einzuschalten und döste noch eine halbe Stunde im Bett vor mich hin. Mit der rasch steigenden Sonne wurde es auch im Bungalow entsprechend heiss, ich stand auf, schaltete den großen Padlom, den Deckenlüfter, auf Stufe drei, die Aircondition ebenfalls und endlich die Kaffeemaschine ein, huschte unter die Dusche und machte mich fertig. Maries Pass und die Karte vom Blue Lagoon aus der Stofftasche steckte ich zu meinen Papieren ins Seitenfach der Kameratasche, trank den Rest Kaffee und spülte den Filter der Maschine aus.

Beim ersten Blick ins grelle Sonnenlicht fiel mir sofort der glitzernde blaue Badeanzug von einem der Mädels am Pool gestern ins Auge, der über dem Verandageländer des gegenüber liegenden Bungalows S3 hing. Als ich meine Tür abschloss und das Verandatreppchen hinunter ging, sah ich Paks Frau Sudah von ihrem Haus her kommen. Sie begrüßte mich, ich nahm ihr die offensichtlich nicht gerade leichte Tasche ab, wir gingen nebeneinander zum Restaurant und unterhielten uns auf Englisch. Zuerst die übliche Konversation: Du warst schon lange nicht mehr hier, wann bist Du angekommen, ach, gestern, wie lange bleibst Du, und so weiter. Und dann natürlich doch die Frage nach Meou. Alles bestens, sagte ich, wir sehen uns oft, sie weiss, dass ich hier bin und ich soll euch grüßen, sie komme im November wieder hierher. Im Restaurant stellte ich ihre Tasche ab und sie bedankte sich höflich mit “Kop kun ka, Pita“.

Beinahe hätte ich den Briefumschlag vergessen, drehte mich wieder um und fragte: “Sudah, hast du einen großen Briefumschlag für mich?”, und deutete mit beiden Zeigefingern ein entsprechendes Rechteck an. “Sicher“, sagte sie, zog um die Ecke an der Rezeption eine Schublade auf und reichte mir ein braunes Kuvert. Ich bedankte mich und nahm bei der Gelegenheit die Bangkok Post vom Tresen mit.

An der Bar bestellte ich mir ein Käseomelett und nahm eine Tasse Kaffee gleich mit. Eins der Mädchen vom Pool von gestern, Leo, fiel mir wieder ein, saß allein an einem Tisch am Geländer an der Strandseite und frühstückte, wie ich im Vorübergehen sah, Toast mit Marmelade. Sie lächelte mich an und sagte mit halbvollem Mund “Morgen“. Ich lächelte zurück, “Morgen, und guten Appetit“, schlenderte an ihr vorbei und setzte mich drei Tische weiter mit Blickrichtung zu ihr.

Langsam blätterte ich durch die Zeitung, Katai brachte mein Omelett, ich bestellte noch einen zweiten Kaffee, drückte meine Zigarette aus und begann zu essen, wobei ich mich weiter mit der Bangkok Post beschäftigte. Gelegentlich blickte ich auf zu Leos Tisch. Sie rauchte und grinste mich unentwegt an. Vertieft in eine Nachricht über einen schweren Busunfall in Kota Kinabalu bemerkte ich gar nicht, dass sie auf einmal an meinem Tisch stand, bis sie mich fragte: “Störe ich?”, und sich anschliessend auf dem Stuhl mir gegenüber niederliess. Eine Tasse Kaffee hatte sie sich mitgebracht. “Bis jetzt noch nicht“, antwortete ich und grinste sie ebenfalls an. “Tja, wenn du nicht zu mir kommst, dann komme ich eben zu Dir. Geht’s dir wieder gut heute? Gestern sahst du echt müde aus,” meinte sie und zündete sich eine Marlboro light an.

“Alles bestens, habe gut geschlafen und jetzt gut gefrühstückt. Wie geht’s dir nach der Geburtstagsparty?”, fragte ich und nahm mir auch eine Zigarette. “Jetzt geht’s wieder, aber gestern Abend war mir nach fünf doppelten Maekong kurz hintereinander auf einmal saumäßig schlecht, ich bin zum Bungalow gerannt und habe gekotzt wie verrückt. Ich glaube, die Jungs wollten mich regelrecht abfüllen. Eine ganze Flasche Wasser habe ich getrunken innerhalb von fünf Minuten, mich ins Bett gelegt und um elf schon geschlafen“. “Hmm, wie unangenehm. Und jetzt, bist du wieder OK?”. “Ja, klar”, lächelte sie, “sonst wäre ich noch nicht so früh hier”.

Katai brachte endlich meinen Kaffee und mir fiel ein, was ich sie vorhin schon fragen wollte. “Katai, wer ist ausser dir sonst noch hier von den alten Bekannten?”. “Nur noch Chai mit seiner Frau, aber die sind übers Wochenende bei seinen Eltern in Thong Sala. Nini kommt ab und zu vorbei und hilft uns mit unserem Computer, sie arbeitet immer noch im Poppies. Bihr hat wieder geheiratet und arbeitet jetzt im Green Mango in Chaweng“, informierte sie mich und nahm meinen leeren Teller mit.

Leo schaute mich neugierig an. “Sag mal, gehörst du hier zur Familie?”. “Nein“, lachte ich, “jedenfalls nicht direkt, warum?”. “Ich habe gestern Nachmittag schon gesehen, wie Pak dich begrüßt hat, jeder hier kennt dich und Thai sprichst du auch, cool. Ich dachte, du bist zum ersten Mal hier“. “Nur, weil Captain Bavaria es in seiner Überheblichkeit so vorausgesetzt hat? Hör mal, wenn er sooo stolz darauf ist, schon zum fünften Mal in Samui zu sein, dann kann ich ihm nicht vor seinen Kumpels erzählen, dass ich schon um einiges öfter hier war, das wäre ausgesprochen unhöflich“.

Leo wollte es genau wissen. “Wieso, wie oft warst du denn hier?”. “Keine Ahnung, ich habe nicht mitgezählt. Aber du kannst ja mal nachrechnen. Vor zwanzig Jahren habe ich hier die Frau kennen gelernt, mit der ich dann siebzehn Jahre verheiratet war, und wir waren jedes Jahr mindestens zwei Mal hier, also müssen es wohl mit Sicherheit über 40 Mal gewesen sein“. “Wow, du warst mit einer Thailänderin aus Ko Samui verheiratet?”. “Es heisst ‘Thai’ und nicht ‘Thailänderin’“, korrigierte ich sie freundlich. “Man sagt ja auch nicht ‘Deutschländerin’, sondern ‘Deutsche’, oder?”. “Ja, klingt logisch“, sinnierte sie, “also bist du seit drei Jahren geschieden?”. “Genau genommen seit zwei Jahren, davor haben wir schon ein Jahr lang getrennt gelebt”.

“Ich war auch schon mal hier“, wechselte Leo endlich das Thema, “aber nur für drei Tage, vor zwei Jahren, als Abschluss einer Rundreise. Bangkok, Chiang Mai, Ayudhaya, Hua Hin, alles mit dem Bus, zusammen mit meinem damaligen Freund und noch zwei Bekannten. Jetzt bin ich alleine hier, hatte dringend eine Abwechslung nötig”. Gelangweilt faltete ich die Bangkok Post zusammen, schob sie zur Seite und nahm mir eine Roth-Händle. “Wenn du so oft hier warst, kennst du dich doch super aus. Ich bin allein, du bist allein, wollen wir nicht mal etwas zusammen unternehmen? Du könntest mir doch bestimmt ein paar versteckte Schönheiten der Insel zeigen”, schlug sie zuckersüß lächelnd vor.

“Ach, Leo, ich bin eigentlich ganz glücklich allein und will erst mal ein paar Tage überhaupt nichts unternehmen. Nachher habe ich noch etwas zu erledigen und fahre mal zwei oder drei Stunden weg, danach will ich einfach nur in Ruhe in den Tag hinein leben, ohne jede Planung, Verabredung, Verpflichtung oder was auch immer“. “Aber essen musst du doch etwas”, sagte sie nach kurzem Überlegen und liess nicht locker. “Was sagst du, wenn ich dich heute Abend zum Essen einlade?”. Irgendwie fühlte ich mich ein wenig in die Enge getrieben, dachte mir aber, warum eigentlich nicht? “Na gut, du hast gewonnen. Oder besser, ich habe gewonnen, eine Einladung zum Abendessen, mal was Neues! Vielen Dank, womit habe ich das verdient?”. Leo schmunzelte hinterhältig. “Verdient hast du’s noch gar nicht, aber du gefällst mir”, machte eine Pause und ihr Schmunzeln wich einem eher fragenden Blick. “Ich bin nicht so ganz dein Typ, stimmt’s?”. “Stimmt, nicht so ganz, was ja im Klartext bedeutet, überwiegend schon,” gab ich zu und sie lächelte. “Na, wenigstens bist du ehrlich“.

“Du, Leo“, wechselte dieses Mal ich das Thema, “ich muss jetzt los. So gegen zwei oder drei bin ich wieder zurück. Bist du wie gestern am Pool?”. “Am Pool, am Strand, an der Bar oder im Liegestuhl auf meiner Veranda, allzu viele Möglichkeiten gibt es ja nicht.” “Gut, ich habe schon bemerkt, dass du im S3 genau gegenüber von mir wohnst, dann sehe ich dich ja, also, bis später“. Ich nahm meine Tasche, brachte die Zeitung zurück, fingerte den Pass und die Karte aus der Tasche und lehnte mich an die Bartheke. “Katai, kannst du bitte mal im Blue Lagoon anrufen, und fragen, ob sie einen Gast mit dem Namen ‘Dr. Marie Michalski’ aus Deutschland haben”, und zeigte ihr den geöffneten Pass. “Sie hat ihre Tasche verloren und ich habe sie gestern Abend vorne am Tempel gefunden. Falls ja,..“. “Pita“, unterbrach sie mich, “sorry, ich habe jetzt wirklich keine Zeit, Saowan am Empfang macht das für dich“, und rief nach vorne: “Saowan, hilfst du mal Pita?”.

Ich kannte sie nicht, hatte sie gestern bei meiner Ankunft nur kurz begrüßt und trug ihr nun mein Anliegen vor. “Weisst du”, erklärte ich ihr, “wenn ich selbst anrufe, dürfen sie mir als Tourist vermutlich keine Auskunft geben.” “No ploblem“, lächelte sie, rief an, redete, las holprig den Namen aus dem Pass vor, den ich ihr gegeben hatte und nickte mir bejahend zu, während sie ununterbrochen weiter redete. “Sag, ich bringe die Tasche heute Mittag ins Blue Lagoon”, flüsterte ich ihr zu. Endlich legte sie auf und sagte: “Ha, das war Sopah, eine alte Freundin von mir, wir haben mal zusammen im Mondien in Chaweng gearbeitet. Ja, diese Frau ist am Mittwoch angekommen, hat vorgestern ihre Tasche verloren und ist völlig verzweifelt, Sopah sagt ihr sofort Bescheid.”

Ich bedankte mich und war heilfroh, dass Marie tatsächlich dort wohnte, ging zurück zur Bar und fragte Katai, die noch immer mit einem Klemmbrett voller Zettel und einem Taschenrechner beschäftigt war, ob sie mir für zwei, drei Stunden ihren kleinen roten Motorroller leihen würde. “Ich gebe dir zweihundert Baht, OK?”. Sie nickte, reichte mir den Schlüssel und ermahnte mich, vorsichtig zu fahren. “Du weisst ja, wie ich an meinem Isawan hänge! Und komm bis spätestens um drei zurück, dann habe ich Feierabend und muss nach Nathon“. “Na klar, solange wird es nicht dauern, ich fahre gleich los, ganz vorsichtig, danke, Katai”, beruhigte ich sie und beeilte mich, im Bungalow Maries Tasche wieder mit Pass und Karte zu vervollständigen und zusammen mit meiner gestern Abend verfassten Nachricht in dem braunen Kuvert zu verpacken. Auf die Vorderseite kritzelte ich nur ‘Dr. Marie Michalski’.

Um kurz vor elf startete ich Katais Roller auf dem Pool-Parkplatz und nahm die Straße am Airport und Big Buddha vorbei über Ban Rak und Ban Plai Laem, da ich wusste, das Blue Lagoon lag oben im Norden von Chaweng und sparte mir so die Fahrt von Süden her durch die ganze Stadt. Der Roller, irgendein einheimisches Fabrikat mit Honda Motor, machte locker an die 60 Stundenkilometer und wurde selbst in den zum Teil schon recht steilen Bergen kurz vor Chaweng kaum langsamer. Die Hauptstraße, die hinter der abschüssigen, scharfen S-Kurve begann, war mittlerweile offensichtlich erheblich verbreitert und neu betoniert worden, verstopft war sie trotzdem. Ich fuhr durch das breite Portal des Blue Lagoon den Berg hinunter, stellte den Roller auf dem Besucherparkplatz ab, nahm den Umschlag und meine Tasche aus dem Gepäckkorb vor dem Lenker und ging zur Rezeption.

Eine hübsche junge Thai in goldfarbenem Sarong und weisser Bluse stand am Counter und telefonierte. “Kah, kah, kah, kop kun kah,” hörte ich sie noch sagen, dann legte sie auf und kam mit einem freundlichen ‘Sawadee kah’ auf mich zu. “Sawadee krap“, begann ich und reichte ihr den braunen Umschlag, “ich bin Peter, das hier ist die Tasche von Frau Michalski, die ich in Bophut gefunden habe. Würden Sie ihr bitte das Päckchen bringen?”. “Oh, vielen Dank, dass Sie so schnell gekommen sind, Marie ist schon ganz aufgeregt, sie wartet in ihrem Bungalow, kommen Sie, ich bringe Sie hin“. “Neinneinnein“, wehrte ich ab, “geben Sie es ihr bitte, und richten Sie Ihr schöne Grüße von mir aus, danke, sawadee krap“. Freundlich winkend drehte ich mich um spazierte zum Roller zurück, winkte noch einmal kurz, während sie vor der Rezeption stand und mir, mit dem Umschlag in der Hand, sprachlos hinterher starrte.

Erleichtert und sauwohl fühlte ich mich, als ich wieder den Berg zur Hauptstraße hinauf fuhr. Oben hielt ich an, warf einen Blick auf meine Uhr in der Tasche und entschloss mich, entgegen meinem Plan, nach der Rückgabe-Aktion sofort wieder zurückzufahren, doch zu einem kurzen Einkaufsbummel in Chaweng. Nach etwa 300 Meter die Main Road hinunter entdeckte ich den Laden, der bisher immer die größte Auswahl an Audio und Video CDs und DVDs gehabt hatte und parkte den Roller zwischen zwei verrosteten und verbeulten Oldtimer Trucks. Ich erreichte die andere Straßenseite unverletzt durch den Stop-and Go-Verkehr in beide Fahrtrichtungen und schlenderte an den riesigen Kisten voller Musik CDs vorbei, die auf dem Bürgersteig standen.

Es war eigentlich weniger ein Laden, sondern eher eine zirka 20 Meter lange Einfahrt zu einem überdachten Hinterhof zwischen zwei vier- oder fünfgeschossigen Geschäftshäusern. Die Seitenwände der Einfahrt waren von vorne bis hinten wie tapeziert mit Video DVDs, davor standen noch Tische mit Bergen davon. Leise stöhnend ging ich Schritt für Schritt an der linken Wand vorbei, fand aber, wonach ich suchte: ‘Piraten der Karibik, Teil 3, und Quentin Tarantinos Deathproof.

Bestens gelaunt flanierte ich ein Stück weiter entlang der Boutiquen, Restaurants und Reisebüros, bis mir in der Auslage eines Straßenhändlers ein T-Shirt ins Auge fiel. Weiss, auf der Brust in einem großen, grünen Kreis die drei mindestens fünfzehn Zentimeter hohen Buchstaben ‘LEO’ in rot, darunter in gelb der Kopf einer Löwin und etwas kleiner der Schriftzug: ‘LEO. Specially brewed beer.’ Die Marke war mir völlig unbekannt, aber ich nahm gleich zwei, handelte damit den Preis von 150 auf 120 Baht pro Shirt herunter und war glücklich, wie ein deutscher Schnäppchenjäger nur sein kann. Ein originelleres Dankeschön für Leos Einladung konnte ich wohl kaum finden. Was für ein Tag, dachte ich, Marie hat ihre Tasche wieder, ich habe meine DVDs, Leo bekommt coole T-Shirts, ich bin zum Dinner eingeladen und unser Zentralgestirn lacht!

Den wild hupenden Autofahrern lächelte ich liebenswürdig zu, als ich lässig die Straße überquerte, um auf der anderen Seite wieder zurück zum Roller zu schlendern. An einem qualmenden Straßengrill roch es so verlockend, dass ich für 60 Baht einen genial gewürzten und höllisch scharfen Hähnchenspiess erstand und ihn im Weitergehen vernaschte. Ich verliess Chaweng in südlicher Richtung, entlang der ewig langen und drei oder vier Meter hohen, grottenhässlichen grauen Betonmauer des Grand Central Beach Resort, vorbei am Poppies und dem ehemaligen Munchies Resort, der jetzt Samui Paradise hiess, aber dadurch auch nicht besser aussah. Auf der Insel-Ringstraße rollerte ich zurück nach Bophut, stellte um kurz vor halb zwei Katais Isawan auf dem Parkplatz ab und brachte ihr den Schlüssel an die Bar. “Kop kun krap, fährt super, dein Rollerchen“, bedankte ich mich bei ihr, griff in meine Hemdtasche und blätterte ihr 300 Baht auf den Tisch. Sie freute sich über die Zugabe und ich war mir sicher, dass ich sie mir ihren Roller gerne noch einmal leihen würde, falls ich ihn brauchte.

Mein Bungalow war sauber und aufgeräumt, die Zimmermädchen längst verschwunden und meine erste Aktion war das Einschalten der Kaffeemaschine. Ich holte mein trockenes Hemd von der Veranda, setzte mich mit Kaffee und Zigarette in den Rattansessel, tagträumte eine Weile vor mich hin, fand aber nicht die Ruhe, die ich zu finden erhofft hatte. Ständig musste ich an diese Marie Michalski denken. Da ich mich heute noch nicht nennenswert bewegt hatte, zog ich mich um, schnappte mir Handtuch und Tasche und marschierte zum Pool. Zwei Liegen unter den Sonnenschirmen waren belegt, der Harley Club war offensichtlich auf Tour, Lena und Tina hatte ich irgendwo in Bophut zugewinkt, als ich mit dem Roller zurückkam, wahrscheinlich saßen sie noch irgendwo beim Lunch und von Leo keine Spur.

Ich schwamm eine Bahn längs durch den Pool, setzte mich ein paar Minuten auf den Beckenrand, liess die Beine im Wasser baumeln und bemühte mich, nicht an Meou zu denken. Aber beharrlich sah ich sie vor mir, wie sie mir ihrer kleinen Taucherbrille aus der Sportartikel-Abteilung des Robinson Department Store an der Sukhumvit Road in Bangkok im Wasser planschte und spritzte und sich freute wie ein Kind.

Gerade sah ich noch einen Schatten auf den Steinplatten neben mir auftauchen, da strampelte ich auch schon im Wasser. Leo hatte sich angeschlichen und mich mit sichtlichem Vergnügen hineingeschubst. Ich prustete und ruderte mit den Armen, schaute zu ihr hoch und fragte: “Na, hast du es dir anders überlegt mit dem Abendessen? Das war eben ein glatter Mordversuch”. Sie lachte immer noch, reichte mir ihre Hand und half mir, aus dem Pool zu klettern. Ihre Haare und der glitzernde blaue Badeanzug waren nass, ihr Handtuch hing über der Schulter, die Tasche hatte sie auf einer Liege abgestellt. Sie sah richtig gut aus, wie sie so breitbeinig da stand, wie nackt und blau metallic angemalt.

“Ich war am Strand und bin im Meer geschwommen”. Sie griff nach ihrer Tasche. “Ich gehe in meinen Bungalow, muss mal zur Toilette. Und meinen Badeanzug auswaschen. Die Verkäuferin in der Boutique hat gesagt, ich muss ihn immer in klarem Wasser ausspülen, wenn ich in Salzwasser war, sonst glitzert er bald nicht mehr so schön”, klärte sie mich auf und stellte sich mit ausgebreiteten Armen in Model-Positur. “Ja, sieht toll aus, steht dir gut“, bestätigte ich, “ich gehe auch gleich in meine Hütte zurück, eine Runde noch, dann bin genug geschwommen. Holst du mich später ab ? So gegen halb sechs?”. Sie hatte es sichtlich eilig, zur Toilette zu kommen und trällerte von der Treppe her nur noch ein “OK, bis nachher“.

Eigentlich doch ganz nett, das Mädel, dachte ich mir, während ich mich mit ruhigen Armbewegungen auf der Stelle über Wasser hielt, und ziemlich offen und direkt, hörte die vier Harleys auf den Parkplatz röhren und kletterte über die Leiter an der Seite aus dem Pool. Joss kam die Treppe herauf auf mich zu, die anderen drei trabten zu ihrem Hütten. “Hi man“, begrüßte er mich winkend, “warum bist du gestern Abend nicht gekommen? Wir waren bis um drei Uhr morgens bei Franz!”. “Ich war einfach zu müde“, antwortete ich, setzte mich auf meine Liege und wischte mit dem Handtuch ein paar Wasserspritzer von der Sonnenbrille.

“Übrigens”, fuhr er fort, ”Leo hat mir erzählt, du kommst seit 20 Jahren hierher und warst mit einer Thai verheiratet. Das konnte ich ja nicht ahnen, als ich dich gestern zu ‘ner Inselrundfahrt eingeladen habe, ich habe echt geglaubt, dass du zum ersten Mal hier bist, sorry, wenn ich dir auf die Füße getreten bin”. “Kein Problem”, beruhigte ich ihn. Joss setzte sich auf die nächste Liege und schien einen Moment ernsthaft zu überlegen. “Ehrlich gesagt, ich habe auch schon mit dem Gedanken gespielt, mir so eine kleine Thai mit nach Deutschland zu nehmen, hier gibt’s ja traumhafte Pflänzchen“.

Wir winkten Lena und Tina zu, die gerade am Pool vorbei zu ihrem Bungalow spazierten, vollbepackt mit bunten Papiertaschen. “Hey, wir waren Shopping in Chaweng, wir kommen gleich!”. Joss lachte und erklärte, dass täglich um vier Uhr die ‘Harley Hour’ beginne. “Das geht jetzt schon seit fünf Tagen so. Die ersten zwei Tage war es mehr oder weniger Zufall, dass wir alle so gegen vier hier zusammenhockten und Ecki hatte die Idee, wir könnten uns doch jeden Tag um vier Uhr auf ein Bier hier treffen zur Happy Hour. Und aus der Happy Hour wurde ganz schnell die Harley Hour und ist schon fast ein Ritual“, und, nach einem Blick auf seine Armbanduhr, “ist ja schon fast halb fünf!”.

“Was? Dann wird es aber Zeit für mich“. Ich war echt überrascht, steckte meine Zigaretten ein und griff mein Handtuch. “Kommst du später zum Essen ins Restaurant? Oder an die Bar?“. fragte Joss, “ich würde mich gerne noch ein bisschen mit dir unterhalten”. “Sorry, heute Abend bin ich ausgebucht, Leo hat mich zum Dinner eingeladen. Morgen hänge ich den ganzen Tag hier irgendwo herum, da können wir reden.” “Das gibt’s doch nicht, Leo lädt dich zum Essen ein? Na, die geht aber ran! Mich lädt sie nicht ein! Gestern Abend habe ich ihr ein paar Maekong spendiert, plötzlich rennt sie weg und kommt nicht mehr wieder”. “Ihr war furchtbar übel, sie verträgt das Zeug nicht“, vertraute ich ihm an, “wir sehen uns morgen, Ciao“.

Na, vielleicht doch ein ganz patenter Typ, dieser Joss, aber ein Macho allemal, dachte ich auf dem Weg zum S4. Mein Handtuch hängte ich über das Verandageländer, schaltete die Kaffeemaschine und das Laptop ein, stellte mich kurz unter die Dusche und saß um fünf in frischen Klamotten draussen im Rattansessel und rauchte gemütlich eine Roth-Händle. Einen ordentlichen Sonnenbrand im Gesicht und auf den Armen hatte ich mir heute unbemerkt zugelegt. Insgesamt über eine Stunde in der prallen Sonne auf dem Motorroller plus zweieinhalb Stunden im und am Pool, kein Wunder, dass meine Stirn so brannte. Aus dem Badezimmer holte ich meine Après Soleil Lotion und cremte mich noch einmal ein.

Zwischen zwei hohen Kokospalmen hindurch war der Blick auf Leos Bungalow S3 direkt gegenüber auf der anderen Gartenseite unverstellt. Auf der Wäscheleine unter dem Verandadach von hingen frisch gewaschene Shirts, String-Tangas und der blaue Badeanzug zum Trocknen und die Tür war geöffnet. Etwa eine viertel Stunde beschäftigte ich mit meinem Laptop, schreib ein paar Zeilen und bearbeitete ein paar Fotos von den drei Tagen in Bangkok, insbesondere die von Ben, bis Leo auf einmal neben mir stand und auf das Display schielte. “Na, was machst du?”. “Nichts besonderes, ich checke die Fotos von den vergangenen drei Tagen“.

Ich klappte ds Laptop zu, ging hinein und stellte den Rechner auf den Schreibtisch. Leo war mir gefolgt, saß an dem kleinen Tisch vor dem Fenster und schaute mir zu, wie ich das Netzteil wieder anschloss. “Was machst du, wenn du nicht gerade in Thailand bist?”. “Ich schlage mich mit Gelegenheitsjobs durchs Leben”, antwortete ich gelassen. Erstaunt schaute sie mich mit großen Augen an. “Wie, was heisst ‘Gelegenheitsjobs’?”. Leicht schmunzelnd beruhigte ich sie. “Ich arbeite selbstständig als Grafiker, und gelegentlich bekomme ich einen Auftrag für ein Prospekt, ein paar Fotos, eine Homepage oder irgend so etwas, deshalb Gelegenheitsjobs”.

“Komische Berufsauffasung“, meinte sie kopfschüttelnd und strahlte auf einmal übers ganze Gesicht. “Hey, kann ich mir auf deinem Laptop die Bilder von meiner Digitalkamera ansehen, ist das möglich? Ich habe überall rumgeknipst wie ein Weltmeister, aber erfahrungsgemäß ist die Hälfte davon Schrott, wenn man die Bilder erst mal auf einem großen Monitor sieht. Meine Karte ist schon fast voll und ich habe schon überlegt, mir hier noch eine Zweite zu besorgen. Aber wenn ich alle Fotos, die nichts geworden sind, rausschmeisse, hätte ich ja wieder Speicherplatz“. “Ja, sicher, ein USB-Kabel habe ich”.

Leo stand auf und ging zum Bett, wo sie beim Hereinkommen achtlos ihre Tasche abgestellt hatte, wollte sie gerade öffnen, als ihr Blick auf die beiden LEO-T-Shirts fiel, die zusammengefaltet mit dem Logo nach oben hinter der Tasche lagen. “Hey, was ist das denn?”, rief sie freudestrahlend, nahm eins und hielt es ausgebreitet vor sich. “Wahnsinn, wo hast du die denn her?”. “Habe ich heute zufällig in Chaweng gefunden und wollte mich damit für deine Einladung bedanken”. “Phantastisch, danke, und auch noch gleich zwei! Oder ist eins für dich?”. “Nein, zwei sind billiger als eins. Gibst du mir mal deine Kamera?”. Sie konnte sich gar nicht von dem Hemdchen trennen, hielt es sich vor die Brust, bewunderte sich im Spiegel und wollte sich nicht beruhigen. “Geil! Auf die werde ich gut aufpassen. Und nur bei besonderen Anlässen tragen”.

Endlich reichte sie mir ihre kleine Nikon Kamera, ich öffnete ihre Dateien und sie klickte sich durch ihre Fotos, nachdem sie wieder auf dem Stuhl Platz genommen hatte. “Siehst du, was ich meine”, sagte sie und deutete auf den Monitor, “das da ist viel zu dunkel, das zu unscharf, das verwackelt, das auch,...”. und löschte sie. Nach zehn Minuten hatte sie tatsächlich fast die Hälfte der Aufnahmen eliminiert und ihr Kameradisplay zeigte wieder Platz für 226 Fotos.

“Danke”, seufzte sie erleichtert, “du hast mir sehr geholfen, mit über 200 Bildern müsste ich doch auskommen”. Sie hatte ihre Nikon schon beinahe zurück in die Tasche gesteckt, nahm sie wieder heraus, visierte mich an, drückte auf den Auslöser und der Blitz traf mich völlig unerwartet. Ich blinzelte halb blind und rieb mir die Augen. “Oh, tut mir leid“, sagte sie mitfühlend, und, zufrieden lächelnd “Ach, bin ich froh, dass ich dich heute morgen angequatscht habe. Hat sich doch schon voll gelohnt, oder? Gehen wir jetzt was Essen, und vor allem, wohin?”. “OK, ich bin fertig. Was hältst du vom Chang Noi?”. “Kenne ich nicht, wo ist das?”. “Kennst du, der Happy Elephant vorne an der Straße“. “Ja, natürlich, einverstanden“. Sie hatte schon die Tür geöffnet, drehte sich noch einmal um und rempelte mich an. “Sorry, jetzt hätte ich fast die T-Shirts vergessen! Ich bring sie schnell rüber“.

Um kurz vor halb sieben verschloss ich den Bungalow, wir gingen nebeneinander geradeaus über den Rasen und, nachdem sie die Shirts in Sicherheit gebracht hatte, auf der anderen Poolseite den Weg hinunter und quer über Straße. Vor dem Chang Noi stand wie gewohnt einer der jungen Thais und wendete die riesigen, in Aluminiumfolie eingewickelten Kartoffeln auf dem Holzkohlegrill. Wir traten in das konsequent im Thai Style gehaltene Restaurant und gingen langsam durch den Innenraum eine Stufe hoch hinaus auf die überdachte Veranda. Ich deutete auf einen freien Tisch am Geländer. Leo nickte und wir setzten uns gegenüber. Es war eigentlich eher ein Balkon, auf dicke Palmstämme gestützt und ragte in etwa drei Metern Höhe gut vier Meter über den Strand hinaus. Draussen funkelten die Lichter von Pha Ngan und die einiger Fischerboote auf ihrem Weg zur Nachtschicht.

Ein junger Thai mit langem Pferdeschwanz, in einem weissen Hemd mit einem hübschen Flecken auf dem Kragen und einer kurzen, schwarzen Schürze über der Jeans brachte uns lächelnd die Karte und fragte, mit Block und Kugelschreiber in der Hand, was wir gerne zu Trinken hätten. “Für mich ein Singha, bitte”, seufzte Leo in meine Richtung, als wäre sie am verdursten, Er hatte es wohl verstanden, nickte und kritzelte auf seinem Block herum. Ich bestellte eine Flasche Wasser, steckte mir eine Zigarette an und gab auch Leo Feuer.

Sie hatte schon in der Karte zu blättern begonnen, meine liess ich unberührt auf dem Tisch liegen. Sie schaute auf und fragte: “Na, willst du nichts essen?”. “Doch, ein Steak au Poivre mit einer Kartoffel vom Grill”. “Ach ja, du kennst dich ja aus hier. Das hört sich doch gut an”, meinte sie, “in den letzten drei Tagen habe ich alle möglichen Variationen von Fried Rice und Fried Noodles durchprobiert, jetzt brauche ich mal wieder etwas Europäisches, das nehme ich auch”. Der Junge brachte Gläser, eins davon gefüllt mit Eiswürfeln, ein großes Bier und Wasser, notierte unsere Wünsche, fragte nach der Art der Steakzubereitung und kritzelte noch ‘well done’ für mich und ‘medium’ für Leo auf seinen Block.

Sie streckte sich auf ihrem Stuhl, rutschte hin und her und versuchte, mit übereinander geschlagenen Beinen eine möglichst bequeme Sitzposition zu finden. So langsam fing sie an, mir zu gefallen. Ihr Gesicht war wirklich hübsch, sie trug khakifarbene Cargohosen, ein knappes, hellblaues, mit silbernen Pailletten besticktes T-Shirt und, wie mir erst jetzt auffiel, keinen BH. “Magst du kein Bier?”, eröffnete sie die Konversation. “Doch, sehr gerne, ich hatte nur bis vorgestern in Bangkok ein paar zuviel davon, das dauert dann so zwei, drei Tage, bis ich überhaupt wieder eins Riechen kann“. “Wie lange warst du in Bangkok?”. “Drei Tage.“ antwortete ich und sie füllte erneut ihr Bierglas.

Unsere Steaks wurden serviert, reichlich mit Gurken- und Tomantenscheiben und Salat garniert und einer Riesenpellkartoffel in Alufolie. “Hmm, super,” sagte Leo und leckte sich die Lippen, “dann guten Appetit!”. “Danke, ebenfalls, und noch mal Danke für die Einladung“. “Nein, ich bedanke mich für die T-Shirts. Warum habe ich eigentlich nicht gleich eins angezogen, dies ist doch ein besonderer Anlass!”. Das Essen war ausgezeichnet, danach bestellten wir noch zwei Schalen Eiscreme mit Papaya und Kokosnuss und naschten sie, während wir weiter plauderten.

Leo war extrem neugierig und versuchte ständig, mich auszufragen. Nach dem Grund für die Scheidung von Meou. Ob ich wieder hier in Samui sei, um mir eine neue Frau zu suchen, oder: “Und in Bad Nauheim lebst du wirklich allein? Keine Freundin?” und “Was treibst du so nach Feierabend oder am Wochenende?”. Da meine spärlichen Antworten sie nicht zu einem Themenwechsel veranlassten, sagte ich es ihr direkt: “Ehrlich gesagt, habe ich jetzt absolut keine Lust, darüber zu reden”.

Sie wurde etwas leiser und ein wenig traurig meinte sie schliesslich: “OK, verstehe schon, ich gehe dir auf die Nerven mit meiner dämlichen Fragerei. Mist, es ist immer das gleiche mit mir, da treffe ich endlich mal einen Typen, der mir auf Anhieb sympathisch ist und vergraule ihn gleich wieder mit meiner penetranten Neugier. Aber so bin ich nun mal, wenn mich etwas interessiert, dann muss ich einfach fragen.”

“Leo, du gehst mir nicht auf die Nerven, es war das Thema, das mich genervt hat. Nein, das stimmt auch nicht. Es war das Thema, das nicht zu einem so schönen Abend passt. Erzähl mir doch lieber mal etwas über dich“. ”Sehr versöhnlich, danke, lieb von dir, dass du nicht gleich aufgestanden und weggelaufen bist!”. Nach einer kurzen Denkpause lächelte sie wieder. “Was ich in Deutschland mache, wird dich auch nicht gerade vom Hocker hauen, ich bin Zahnarzthelferin. Macht mir aber Spass, ich habe zwei nette Chefs, super Kolleginnen, eine geregelte Arbeitszeit und der Job ist relativ krisensicher. Und was mein Liebesleben betrifft, da sieht es im Moment reichlich traurig aus”. “So genau wollte ich es auch wieder nicht wissen”. “Jetzt weisst du es. Hätte ja sein können, dass es dich interessiert, das ich zur Zeit solo bin“.

“Leo, erstens bin ich nicht blind, und zweitens bin ich nicht hier, um auf Teufel komm raus Mädels aufzureissen oder, koste, was es wolle, einem Urlaubsabenteuerchen hinterher zu jagen, aus dem Alter bin ich raus, ich will nur meine Ruhe haben. Wenn sich zufällig etwas ergibt, OK, habe ich nichts dagegen, aber es muss die Sache auch wert sein“. “Und was heisst das im Klartext”, fragte sie mit zu Seite geneigtem Kopf, “nein, vergiss die Frage, ich will nicht schon wieder anfangen. Aber ein Bier würde ich gerne noch trinken, willst du nicht auch eins?”. “Nein, danke, wirklich nicht”. In diesem Moment ging der Junge mit einem Tablett vorbei: “Hallo, noch ein Bier bitte. Und einen Grappa“, rief Leo ihm hinterher, was umgehend serviert wurde. Sie grinste, griff nach ihrem Glas, kippte das Zeug hinunter und schüttelte sich. “Gut, dann gebe ich mir jetzt den Rest. Maekong rühre ich nicht mehr an, aber Grappa ist in Ordnung, den gibt’s bei meinem Lieblingsitaliener in Kassel auch immer“, und nahm gleich noch einen Schluck aus der Bierflasche.

“Wenn du schon so oft hier warst, kennst du doch sicher diesen Naturschutzpark“, fing sie, Gott sei dank, mit einem neuen Gesprächsthema an. “Du meinst Ko Ang Thon?”. “Ja, ich denke schon, Tina und Lena wollen am Dienstag einen Tagesausflug mit dem Boot dahin machen und haben mich gefragt, ob ich mitkommen will. Was gibt’s da zu sehen?”. An den Ang Thon Marine Park erinnerte ich mich sehr gut. Meou hatte mich dazu überredet, mit ihr hinzufahren, nachdem wir uns gerade drei Tage kannten und es wurde ein verdammt anstrengender Tag. Angefangen mit dem frühen Aufstehen um sechs, hastig etwas frühstücken, mit ihrem Motorrad nach Nathon fahren, zweieinhalb Stunden Überfahrt in der prallen Sonne und die ersten zwei Dosen Singha, auf Ang Thon die Klettertour auf den ‘View Point’, Barbecue-Mittagessen im Schatten, Boat Trip durch den Marine Park, in der Nachmitagssonne wieder zurück und, zum Abschluss, feuerrot verbrannt, noch zwei Singha im Biergarten des ‘Lion” in Nathon.

“Eine phantastische Landschaft gibt’s da zu sehen“, schwelgte ich immer noch halb in der Erinnerung versunken. “Allein die Aussicht vom View Point auf der Hauptinsel über den gesamten Marine Park ist den Ausflug wert. Allerdings musst du auch raufklettern. Und dich nicht durch die Wegweiser irritieren lassen. Unten am Strand steht der erste rote Pfeil mit der Aufschrift ‘View Point 10 minutes’, dann geht’s steil bergauf durch den Dschungel, teilweise ist gar kein Trampelpfad erkennbar, aber immer wieder ein neuer Wegweiser ‘View Point 5 minutes’, du kletterst über Felsbrocken, stolperst über Wurzeln bis zum nächsten und übernächsten Wegweiser ‘View Point 5 minutes’ und wenn du durchhältst, bist mit etwas Glück frühestens nach einer halben Stunde oben auf einer kleinen Holzplattform mit einem lebensgefährlich verrottetem Geländer und kannst den Ausblick geniessen. Echt toll!”.

Leo schaute mich skeptisch an. “Soll ich das jetzt Ernst nehmen oder machst du Witze?”. “Absolut nicht. So war es jedenfalls vor 20 und auch noch vor zehn Jahren, und wie ich die Thais kenne, wird sich da nicht viel geändert haben. Anyway, mittags gibt’s ein Barbecue unter Palmen, eine Rundfahrt mit dem Boot kreuz und quer zwischen den Inselchen hindurch und um fünf bist du wieder in Nathon City. Und lass dich nicht erwischen, wenn du beim Landgang an irgend einem der kleinen Strände eine besonders schöne große Muschel in deiner Tasche verschwinden lassen willst, so was wird mit 500 US Dollar Strafe belohnt. Ich habe eine zu Hause in meinem Büro liegen, straffrei“.

“Schön, wie du das erzählst. Ich denke, ich würde schon gerne mit den beiden hinfahren. Komm doch auch mit, dann hätten wir einen erfahrenen Reiseführer“. “Ich mache keine Schwarzarbeit, schon gar nicht im Urlaub“, lachte ich, “nein, ernsthaft, das ist mir zuviel Action, ich gehe lieber hier am Strand spazieren. Fahr doch mit, ist echt schön!”. “Ja, mache ich auch!”, entschloss sie sich, beugte sich etwas zu mir herüber und flüsterte fast: “Tina und Lena sind mit Sicherheit bi“. Ich beugte mich ebenfalls nach vorne, weil ich sie kaum verstanden hatte. “Sie sind was?”, und sie antwortete in normaler Lautstärke: “Bi, bisexuell. Sie unterhalten sich zwar ununterbrochen über irgendwelche geile Typen, aber hast du mal beobachtet, wie sie sich anschauen und ständig berühren und umarmen?”.

“Das ist schwer zu übersehen, sie machen es ja nicht gerade heimlich. Ich habe nichts dagegen, wieso, stört es dich?”. “Nein, das ist es ja, im Gegenteil, ich finde es sogar irgendwie erregend. Gestern, als wir zum ersten Mal allein zu dritt im Pool mit dem Ball herumgespielt haben, habe ich gespürt, dass sie ständig Körperkontakt mit mir suchen. Nur, wenn ich versuche, mir vorzustellen, ob ich so was auch könnte oder wollte, dann ist da doch eine ganz schön große Hemmschwelle. Aber ich bin nun mal eben unheimlich neugierig, wie du gemerkt hast“. “Dann nutze doch die Gelegenheit und probier’s aus, unverbindlicher als in einem Urlaub, nach dem man sich sowieso nie mehr sieht, kannst du es doch gar nicht haben”, schlug ich ihr vor. “Ach, also ich weiss nicht..., würdest du mit zwei Schwulen einen Trinken gehen?”. “Wenn ich überhaupt in ‘ne Kneipe gehen würde, warum denn nicht? Sie werden dich schon nicht vergewaltigen“, ermutigte ich sie noch einmal und sie fragte schelmisch: “Kann es sein, das deine Phantasie jetzt mit dir durchgeht?”.

Leo orderte noch ein Singha und einen Grappa bei dem Jungen, der gerade bei den Gästen zwei Tische weiter abkassiert hatte. Ausser unserem war nur noch ein Tisch besetzt, ich fühlte langsam die Müdigkeit in meinem Kopf und träumte mit offenen Augen, vor denen die Lichter von Pha Ngan größer und größer zu werden schienen. “Peter, wo bist du?”, trällerte Leo, drückte kurz meine Hand, die ruhig auf dem Tisch lag und griff nach ihren Zigaretten. Eine vereiste Flasche Singha und ein Grappaglas standen bereits vor ihr. “Keine Ahnung“, sinnierte ich, vor mich hin lächelnd, “irgendwo zwischen Vergangenheit und Gegenwart“. So ganz wollte sie mir das Lächeln nicht abkaufen und meinte zweifelnd: “Du, ich habe das Gefühl, du bist manchmal sehr traurig. Keine Angst, ich frage nicht, warum”.

Nach einem Schluck Bier aus der Flasche, ihr leeres Glas war unappetitlich gelblich braun von getrocknetem Schaum, hatte sie wieder etwas ganz anderes im Kopf. “Was hältst du eigentlich von unserem Captain Bavaria, ich habe zufällig vom Bungalow aus gesehen, wie ihr euch am Pool unterhalten habt“. Fast wäre mir rausgerutscht ‘dass du etwas zufällig siehst, halte ich schlicht für unmöglich’, aber glücklicherweise nur fast. “Ist eben ein Macho, aber man kann auch ganz vernünftig mit ihm reden, er ist schon in Ordnung, denke ich. Er hat mich nach ein paar Tipps gefragt zum Thema ‘Wie finde ich eine süße kleine Thai und exportiere sie nach Deutschland?’”. “Das sieht ihm ähnlich!”, lachte sie, “vor drei Tagen waren wir doch abends mit den Jungs in Chaweng im Green Mango, einer Riesen-Disco. Ständig versuchte er sich an mich ranzumachen und an mir rumzugrabschen, aber sobald so eine ’süße kleine Thai’ in Sichtweite war, und das war ja fast dauernd der Fall, bekam er Stielaugen und was weiss ich nicht noch alles”.

Da musste ich aber endlich einmal herzhaft lachen. “Reg dich doch nicht so auf, du bist noch zwei Wochen hier, und Männer gibt es mehr als genug, du bist doch nicht auf Joss angewiesen“. “Und du hast mir gesagt, ich bin nicht dein Typ”, schmollte sie, worauf ich korrigierte: “Nicht so ganz, habe ich gesagt“. “Ja, ich weiss“, winkte sie ab, “aber du gefällst mir irgendwie“, und ich glaubte ihr die Singha und den Grappa anzumerken. Eine blödere Antwort als: “Nach fünf Bier gefalle ich mir auch!” fiel mir nicht ein, aber Leo lachte wieder.

“Leo, ich bin müde, und ich war heute viel zu lange in der Sonne, komm, trink dein Bier aus und lass uns nach Hause gehen“. Sie nickte widerspruchslos und trank den Rest aus der Flasche. “Ja, noch eins wäre vermutlich zuviel“. Sie wühlte in ihrer Tasche, brachte ein paar 500 Baht Scheine zum Vorschein und winkte damit dem Jungen, der auch sofort mit der Rechnung auf einem Teller am Tisch stand. Ich war zu müde, auch nur einen Blick auf den Zettel zu werfen, Leo bezahlte und brachte tatsächlich noch ein Lächeln und ein freundliches ‘Kop kun kah’ heraus.

Beide unsere Taschen geschultert, verliessen wir das Chang Noi und spazierten langsam zurück zum Smile House. Leo schwankte leicht, griff nach meiner Hand und lehnte ihren Kopf an meine Schulter. “Und“, fragte sie wider Erwarten munter, als wir nach links auf den Weg zu ihrem Bungalow einbogen: “was machst du morgen?”. “Urlaub“. “Ha ha ha, darauf wäre ich jetzt nicht gekommen,” flachste sie und vermied oder vergaß es glücklicherweise, für morgen irgend etwas mit mir zu planen.

Ich begleitete sie die drei Stufen hoch über ihre Veranda bis vor die Tür. Den Schlüssel hatte sie schon aus der Tasche gefingert, schloss umständlich die Tür auf und schaute mir erwartungsvoll in die Augen. “Kommst du noch ein bisschen rein zu mir?”. “Nein, Leo, ich bin wirklich müde, ich möchte jetzt einfach nur noch schlafen. Aber danke, es war ein schöner Abend“. Einen Anflug von Enttäuschung überspielte sie mit einem blitzschnellen, kaum spürbaren Kuss auf meinen Mund und sagte nur noch: “Ja, war schön. Dann..., bis morgen?”. “Ja, natürlich, gute Nacht, schlaf gut“. “Du auch, gute Nacht.”

Ich hörte, wie sie von innen die Tür verschloss und fühlte mich erleichtert. Sie ist ja ein liebes Mädchen, aber so was von hartnäckig neugierig, dachte ich auf dem Weg quer über den Rasen zu meinem S4, zog Hemd und Jeans aus, stellte mir ein Glas Wasser neben mein Bett und legte mich ausgestreckt auf den Rücken, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Hundemüde, wie ich war, dachte ich bestimmt noch eine halbe Stunde nach, worüber wir eigentlich den ganzen Abend geredet hatten.

Samui und zurück

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