Читать книгу Hotel Z - Peter Rudolph - Страница 10
5. KAPITEL
Оглавление„Sie heißen Egon und Josef.“ Maria musste den Kopf nach rechts wenden, um den Kommissar zu sehen, der etwa fünf Meter von ihr entfernt hinter einem schweren Schreibtisch thronte. Sie selbst saß verloren an der Längsseite eines länglichen Holztischs, der zwei Drittel des Raumes ausfüllte und für Konferenzen gedacht schien. Die beiden Stühle zu ihrer Rechten waren frei geblieben. Es war speziell dieser eine Stuhl gewesen, der dritte der Reihe, den ihr der Kommissar angeboten hatte.
„Und wie weiter? Ich meine: Egon wie und Josef wie?“
„Keine Ahnung. Egon und Josef halt.“
„Und die alte Frau konnte Ihnen nichts sagen? Keinen Nachnamen?“
„Sie war dann fort. Wie vom Erdboden verschluckt.“
„Verstehe. Na ja, viel ist es nicht. Aber besser als nichts. Es ist ein Ansatz. Ich schaue im Computer nach.“ Seine Finger flogen über eine Tastatur und sein Gesicht verschwand hinter der Rückseite eines Flachbildschirms.
Der Marktplatz lag in prallem Sonnenschein. Touristen und Einheimische genossen den warmen Spätsommer. Die Cafés waren gut besucht. Gerne hätte Maria auch einen Espresso getrunken. Aber noch lieber hätte sie ihren eigenen Körper verlassen. Sie war besudelt, befleckt, die Schweine hatten sie angefasst. Das Parfum des einen klebte an ihr wie Pech. Morgen würden ihre Oberarme übersäht von blauen Flecken sein. Wie ein Zombie war sie vom Friedhof auf den Marktplatz gewankt. Die Leute waren vor ihr zurückgewichen wie vor einer Aussätzigen. Stundenlang, jedenfalls gefühlt, hatte sie sich Gesicht, Hände und Arme mit dem Wasser des großen Brunnens gewaschen und dann den geschwollenen Fuß gekühlt. Die Leute, Touristen mit Rucksack und Einheimische, hatten sie betrachtet wie eine Drogensüchtige. Eltern hatten ihre Kinder weggezogen. „Komm, lass die Frau!“ Als sie dann zügig weiter Richtung Kommissariat hatte gehen wollen, hatte sie der Schwindel gepackt. Schwindel und ein fast kompletter Verlust der Orientierung. Sie war zu einem der Marktstände gewankt und hatte sich Trauben gegen die Unterzuckerung gekauft. Der Verkäufer, eigentlich ein Bekannter, hatte sie nicht erkannt. „Ich bin es doch, Maria“, hatte sie noch gesagt, aber offenbar zu leise und außerdem war es gelogen. Sie war nicht sie selbst. Die Trauben hatte sie verschlungen wie ein Tier. Trotz der Trauben im Bauch hatte sie die Häuser um sich herum kaum erkannt. Mit mehr Glück als Verstand hatte sie hierhergefunden. Die Frau an der Anmeldung hatte ihr ungefragt ein Glas Wasser gebracht und ihr einen Stuhl untergeschoben. Inzwischen ging es ihr etwas besser und trotzdem hätte sie sich gerne gehäutet, mindestens.
„Registrierte Josefs gibt es 7812. Bei den Egons sieht es besser aus. Nur 899“, sagte der Kommissar, dessen Gesicht wieder neben dem Flatscreen auftauchte. Er verzog die schmalen Lippen zu etwas, das einem Lächeln ähnlich war. Er war jünger als Maria und hatte sich passend zu den Lippen einen schmalen Oberlippenbart wachsen lassen. „Die Bilder sind wir ja schon das letzte Mal durchgegangen. Ist Ihnen diesmal irgendetwas aufgefallen? Eine Narbe, eine Tätowierung vielleicht?“
„Leider nicht. Beide sind um die dreißig, vielleicht knapp darunter, und sprechen so, als kämen sie von hier. Der eine schielt stark. Sein rechtes Auge driftet ab.“
„Der mit den Turnschuhen. Das hatten Sie ja schon beim letzten Mal gesagt, aber es bringt uns leider nicht weiter. Jedenfalls im Moment nicht.“
„Der mit dem Anzug schielt.“
„Sorry, mein Fehler, aber es bringt uns, wie gesagt, nicht weiter. Am besten ist ohnehin, wir schnappen sie uns einfach, wenn sie bei Ihnen im Hotel sind. Morgen um sechs, sagten Sie?“
Maria nickte.
„Ich habe eine Idee“, sagte der Kommissar mit einem Eifer, den Maria nicht erwartet hatte. Er erhob sich, zupfte sich etwas umständlich an den Bundfalten seiner hellgrauen Stoffhose. „Warten Sie, ich muss nur kurz telefonieren, um etwas zu klären.“ Er drehte sich um und wurde von einer verborgenen Tür verschluckt, die in die Holztäfelung hinter dem Schreibtisch eingelassen war.
Maria blieb ratlos zurück. Großes Zutrauen zum Kommissar hatte sie nicht. Als sie vor einigen Wochen das erste Mal bei ihm gewesen war, hatte sie den Eindruck gehabt, dass er ihr nicht glaubte. Ausgiebig hatte er sie zu ihrer finanziellen Situation befragt, so als plane sie, ihr eigenes Hotel abzufackeln, um eine Versicherungssumme zu kassieren.
Was er wohl für eine Idee gehabt haben mochte? Was war zu klären? Warum musste er telefonieren? Maria trommelte mit den Fingern auf den Konferenztisch. Erst langsam, dann schnell.
„Wir dürfen natürlich nicht darauf hoffen, dass sie uns den Gefallen tun, Punkt 16 Uhr da zu sein.“
Maria schreckte hoch. Wie aus dem Nichts saß der Kommissar wieder hinter seinem Schreibtisch.
„18 Uhr“, stammelte sie. „Nicht 16 Uhr. 18 Uhr.“
„Ja, Punkt 18 Uhr da zu sein. Es sind ja leider keine Beamten.“ Er lachte und öffnete den zweiten Knopf seines tadellosen Hemdes. „Also, ich würde sagen, eine Stunde plus, minus, mindestens. Wir wollen großzügig sein. Und Sie haben Glück“, sagte er und machte eine Pause. „Ich persönlich habe morgen Dienst. Ich bin dabei, die ganze Zeit. Jedenfalls höchstwahrscheinlich. Ich verspreche es.“
„Ich verstehe kein Wort“, sagte Maria.
„Undercover“, sagte der Kommissar, lehnte sich nach vorne und machte ein verschwörerisches Gesicht. „Ich sage nur: Undercover. Und Sie dürfen dabei nicht an amerikanische Filme denken. Das ist etwas ganz Bodenständiges. Wir tarnen uns alle als Touristen – und wenn es so weit ist, schnappt die Falle zu. Und die Mäuse können nicht mehr aus dem Haus. Wie finden Sie das?“
„Großartig“, log Maria. In Gedanken sah sie eine Horde trampelnder Polizeibeamter in kurzen Hosen vor sich.
„Das freut mich. Und keine Angst. Wir sind natürlich alle in Uniform.“
„In Uniform?!“
„Kleiner Scherz, alle in Zivil natürlich. Alles Hotelgäste in karierten Hemden und so weiter. Da wird es mal richtig voll bei Ihnen sein. Entschuldigung, ich wollte nicht sagen, dass Sie sonst nichts zu tun haben.“
„Aber es ist doch auffällig, wenn …“
„Wir sind Profis. Glauben Sie mir. Das ist nicht unser erster Einsatz. Und wir haben einen großen Vorteil.“
„Welchen?“
„Wir sind von hier. Wir kennen die Mentalität der Leute. Wir sprechen Ihre Sprache.“
„Ich dachte, Sie wollten sich als Touristen ausgeben. Da ist es aber kein Vorteil, wenn man von hier ist.“
„Es ist warm hier drin. Wir wollen etwas frische Luft hereinlassen“, sagte der Kommissar, nachdem er bereits aufgestanden war, um die Fenster zu öffnen. Die Geräusche des Marktplatzes erfüllten das Zimmer, Rufen, Lachen, aber Maria war zum Heulen zumute. Sie fühlte, wie ihr wieder schwindelig wurde, sie krallte sich an der Tischplatte fest. Ohne fremde Hilfe würde sie diesen Raum nicht verlassen können, so viel war sicher. In wessen Arme sie sank, war gleichgültig. Wie es jetzt aussah, würde es auf den Kommissar hinauslaufen. Ob er etwas von ihrer Schwäche bemerkt hatte? Sollte sie ihm etwas sagen, um ein Glas Wasser bitten?
„Und wie soll das alles funktionieren?“, presste Maria hervor. „Undercover ist ja gut und schön. Aber muss man so etwas nicht genau planen? Wer genau soll kommen und wann und wie?“
„Sie schauen zu viele amerikanische Krimis. Die Sache läuft praktisch von selbst, geräuschlos und mit chirurgischer Präzision. Entspannen Sie sich, lehnen Sie sich zurück. Haben Sie Vertrauen!“
Vertrauen – wie sehr Maria dieses Wort hasste! Während sie noch nach einer passenden Antwort suchte, fuhr der Kommissar fort: „Wissen Sie, was ich glaube?“
„Nein, was Sie glauben, weiß ich nicht.“
„Ich glaube, dass es Bauern von hier sind, von einem der umliegenden Dörfer. Und wissen Sie warum?“
Maria schüttelte den Kopf.
„Wegen der Sanktionen.“ Er schob die Unterlippe ein wenig vor. „Wegen der Sanktionen gegen Russland.“
„Wegen der Sanktionen gegen Russland werde ich erpresst?“ Die Wut hauchte Maria wieder ein wenig Leben ein.
„Indirekt, ja. Wegen der Sanktionen gegen Russland bleiben die russischen Touristen aus und Bauern auf den Dörfern kommen auf dumme Gedanken.“
„Die Bauern in den Dörfern haben aber keine Hotels und schon gar keine, in denen reiche Russen vielleicht Urlaub machen würden.“
„Da haben Sie recht, aber es hängt ja alles mit allem zusammen. Das Geld fehlt jedenfalls der ganzen Region. Die Welt ist ja so unglaublich klein geworden. One world, sage ich immer.“
„Ich halte nichts von Sanktionen, egal gegen wen“, sagte Maria und versuchte, bei diesen Worten versöhnlich zu klingen.
„Und Sie sind aus Berlin?“, fragte der Kommissar ohne erkennbaren Übergang.
„Was bin ich?“
„Aus Berlin, oder etwa nicht?! Ich war neulich auch da, mit einer Verwandten. Ist ja wunderschön, vor allem der Alex.“
„Der Alex soll schön sein?“
„Gut, vielleicht nicht wirklich schön. Es fehlen ja auch die Berge in Berlin. Aber der Fernsehturm ist cool. Man hat ja einen fantastischen Blick von da oben. Ich würde ja so gerne noch einmal hin. Wenn man sich nur besser auskennen würde.“
„Es ist spät geworden“, sagte Maria und erhob sich mit einer Leichtigkeit, die sie selbst überraschte. „Und morgen sind Sie dann da. Ich verlasse mich auf Sie.“
„Das können Sie auch. Jedenfalls werde ich alles, wirklich alles, tun, um die Operation persönlich zu leiten“, sagte der Kommissar. Feierlich erhob er sich. Er zupfte sich erneut an den Hosenbeinen und kam hinter dem massiven Schreibtisch hervor. Der Kommissar selbst war dünn, aber nicht unelegant. Mit ausladender Geste griff er sich ins Jackett und hielt dann mit dem Stolz eines Magiers etwas Grünes zwischen Zeige- und Mittelfinger. „Meine Karte.“ Er lächelte über das ganze Gesicht. „Sie können mich anrufen. Tag und Nacht.“
„Danke“, sagte Maria.
„Wenn Sie die Privatnummer wählen, kann es sein, dass sich meine Mutter meldet. Macht das was?“
„Nein“, sagte Maria. „Das macht nichts.“