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07DÖLSACH – AGUNTUM: EIN HAUCH ITALIEN IN DEN ALPEN

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Tirol

Im heutigen Osttirol befand sich in vorgeschichtlicher Zeit das Siedlungsgebiet des keltischen Stammes der Laianci, die der Bezirksstadt Lienz ihren Namen vererbt haben. Nur wenige Kilometer flussabwärts, bei Dölsach, liegt Aguntum, eine unter Kaiser Claudius (41–54 n. Chr.) zum autonomen municipium (Statutarstadt) erklärte Straßensiedlung als antiker Zentralort des Lienzer Beckens. Der Ort lag genau am Gabelpunkt der über den Großglockner nach Salzburg und weiter in den Donauraum führenden Straße und dem über das Pustertal nach Rom ziehenden Hauptverkehrsweg entlang der Drau. Daher wurde Aguntum auch nicht wie die meisten anderen römischen Städte mit einem rechtwinkligen Straßenraster ausgestattet, die öffentlichen Bauten im Zentrum orientierten sich vielmehr an einer der beiden Fernstraßen.

Heute empfängt den Besucher direkt an der Bundesstraße 100 ein ausgedehntes Ruinengelände mit einem modernen großzügigen Museumsbau. Vom Parkplatz des Museums bzw. von der neuen Brücke der B 100, die direkt über das Schutzhaus über dem antiken Atriumhaus verläuft, kann man sich einen ersten Überblick über das Ruinengelände verschaffen. Auch die Topografie mit dem tief in das Gelände eingeschnittenen Bett des aus 2.500 m Höhe herabstürzenden Debantbachs lässt sich von hier aus gut erfassen. Der Bach begrenzte im Westen und Süden das Verbauungsgebiet der Römerstadt, das im Laufe der Jahrhunderte durch ihn teilweise abgegraben bzw. mit meterhohen Murenablagerungen und großen Geröllbrocken überdeckt wurde.

Anschließend geht man am besten auf der Nordseite der B 100 an den Resten einiger Wohn- und Gewerbebauten der Spätantike vorbei und auf antiker Straßenlinie von Osten auf das ursprünglich 3,5 m breite und später auf 9,5 m erweiterte Haupttor der sog. Stadtmauer zu. Das Tor besitzt in seiner wohl mittelkaiserzeitlichen Ausbaustufe zwei Durchfahrten und wird beidseits von je einem quadratischen Turm flankiert. Da beide Türme an der stadtauswärtigen, vom Tor abgewandten Seitenmauer einen ebenerdigen Eingang besitzen, kann die Anlage zumindest in ihrer ursprünglichen Bestimmung nicht Verteidigungszwecken gedient haben. Zwei weitere, kleinere Durchgänge (lichte Weite 3,5 m) in der sog. Stadtmauer befanden sich in verschiedenen Zeitstufen weiter im Süden und führten auf ein Gelände, das in noch ungeklärter Weise zum anschließend zu besprechenden Atriumhaus gehörte. Das Material aus Abfallgruben in diesem Gelände, die der sog. Stadtmauer zeitlich vorausgehen, erlaubt eine Datierung der Mauer im bereits fortgeschrittenen 1. Jh. n. Chr., also noch in der Frühphase der Stadt. In dieser seit der Eingliederung von Noricum in das römische Reich im Alpenfeldzug (16/​15 v. Chr.) anhaltenden Friedenszeit gab es aber für die Errichtung von Stadtmauern keinen äußeren Anlass. Aguntum wäre damit das einzige municipium der ganzen Provinz gewesen, das in der frühen oder mittleren Kaiserzeit eine Stadtmauer erhalten hätte. Dieses Privileg stand bis in die Notzeit der Spätantike nur dem ranghöheren Stadttyp der colonia zu.


Abb. 15 Aguntum, Gesamtplan der Ausgrabungen.

Es gibt auch an den übrigen Seiten der Stadt keinerlei Hinweise auf eine derartige Fortifikation. Deswegen wird der Zweck dieser schnurgeraden, auf einem 3,5 m breiten Fundament errichteten Ostmauer in der Forschung seit Jahrzehnten heftig diskutiert. Vorschläge für eine Funktion als Murenabwehrriegel oder Sperrmauer gegen die das Drautal heraufziehenden Horden der germanischen Markomannen um 170 n. Chr. fanden aber nur wenig Anklang, schon deshalb, weil Wohnbauten des 2./​3. Jhs. n. Chr. zu beiden Seiten der Mauer festgestellt werden konnten. Einen bisher unbeachteten Hinweis gibt die Bautechnik selbst. Die nur alle 14,8 m (50 röm. Fuß) mit Querriegeln verbundenen, drei Fuß breiten Mauerschalen bildeten einen Kanal aus, der bei der Ausgrabung mit Erde und losen Steinen verfüllt war. Eine derartige Bauweise ist für Stadtmauern ungeeignet, in Verbindung mit der schnurgeraden Mauerführung aber für eine Wasserleitung durchaus angemessen. Für die definitive Zuweisung einer solchen Funktion wären aber die bisher fehlenden Kenntnisse zu den Endpunkten und der ursprünglichen Mauerhöhe wichtig. Eine mit einem Aquädukt zu kombinierende Möglichkeit wäre, dass die dadurch entstandene Sperre nicht gegen feindliche Truppen gerichtet war, sondern der Kontrolle von durchziehenden Viehherden und Handelskarawanen diente. Über das Pustertal lief die bequemste und für Viehtriebe am besten geeignete Route aus dem gesamten zentralen Ostalpenraum nach Italien. Die Überwachung war denkbar einfach. Sollte die Mauer irgendwo eingerissen werden, um mit einer Herde oder Karawane den Kontrollposten des staatlichen Zolls am Tor zu umgehen, versiegte sofort das über den Kanal zum Torturm geleitete Wasser und alarmierte die dort postierte Wache.


Abb. 16 Aguntum: Blick auf die sog. Stadtmauer mit dem nördlichen Torturm und das anschließende Ruinengelände des Atriumhauses, mit dem Schutzbau über dem Atriumbereich.

Betritt man die Stadt durch das Haupttor und geht die Hauptstraße entlang, so liegt gleich linker Hand, markiert durch einen auffälligen schwarzen Schutzbau, das Atriumhaus. Der auf einem mindestens 5.000 m2 großen Grundstück errichtete Komplex besteht aus vier großen Funktionsbereichen. Das eigentliche Atriumhaus, das einzige seiner Art im klimatisch dafür ungeeigneten Alpenraum, und ein axial anschließender Säulenhof dienten dem Wohnbedarf und der Repräsentation des Hausherrn gegenüber Gästen und Klienten. Der heute im Schutzbau eingehauste Wohntrakt besitzt die Eingangsseite im Norden an der Hauptstraße. Gegenüber im Süden liegt der für Empfänge des Hausherrn dienende Hauptraum (tablinum), womit die Wintersonne unter der gartenseitigen Vorhalle in diesen hinein scheinen und ihn erwärmen konnte, während die hochstehende Mittagssonne im Sommer von der Vorhalle abgefangen wurde. Beidseits der von Eingang, Atrium und Tablinum gebildeten Hauptachse lag je eine Reihe verschieden großer Wohn- und Wirtschaftsräume, über diesen, im anzunehmenden Oberstock, die Schlafzimmer. Das ursprünglich nicht beheizbare Atriumhaus wurde um die Mitte des 1. Jhs. n. Chr. in der Stadtgründungsphase errichtet und mehrfach umgebaut, im Laufe des 2. Jhs. n. Chr. erhielt es auch einige beheizbare Räume.


Abb. 17 Aguntum: Der Fleischmarkt mit wassergekühlten Lagerkompartimenten im Erhaltungszustand während der Ausgrabungen 2010.

Das Atrium im Zentrum besaß ein zentrales Sammelbecken, das das vom nach innen geneigten und in der Mitte ausgeschnittenen Dach herabrinnende Regenwasser auffing. Ein Kanal leitete das Wasser dann in der Hausachse nach Süden in ein großes, etwa 1,5 m tiefer als das Haus liegendes Gartenperistyl, also einen allseitig von Säulenhallen umstandenen Gartenhof mit von Landschaftsmalereien geschmückten Wänden, auf den man vom Tablinum hinausblickte. Ein in seiner Mitte aufgestelltes monumentales Marmorwasserbecken (heute im Museum) gehörte wohl zu einer Springbrunnenanlage. Der Peristylhoftrakt wurde im Süden durch eine repräsentative Raumreihe abgeschlossen. In deren Mitte lag das Sommertriklinium, ein zum Hof hin offener Speisesaal für große Abendempfänge.

Der dritte große Bereich, östlich an das Atriumhaus anschließend, wurde von einem langgestreckten Hof erschlossen, der von der Hauptstraße aus befahrbar war. Dessen Längsseiten waren im Osten und Westen mit Hallen ausgestattet. An der südlichen Schmalseite lag ein Badegebäude, hinter der östlichen Halle ein Trakt, der am ehesten als Wohnbereich für gehobene Gäste interpretiert werden kann.

Der vierte Funktionsbereich wird durch einen Zwickel zwischen dem Gästetrakt und der sog. Stadtmauer sowie eine große Freifläche südlich davon gebildet. Dieses Gebiet konnte durch die oben bereits angesprochenen Durchgänge durch die sog. Stadtmauer leicht beliefert werden, ohne die repräsentativen oder dem Wohnen vorbehaltenen Gebäudetrakte zu tangieren. Etwa ein Dutzend L-förmig um diese Flächen gruppierte Lager- und Wirtschaftsräume komplettierten diesen Trakt. Der Gesamtkomplex des Atriumhauses mit den ausgedehnten Wirtschafts- und Lagerflächen und vor allem dem direkten Zugang durch die große Sperrmauer dürfte kaum einem privaten, aus Italien zugewanderten Handelsherren gehört haben, sondern viel eher dem kaiserlichen Zollverwalter bzw. Zollpächter, der von allen durchkommenden Waren und Tierherden ein Vierzigstel des Wertes (2,5 %) als staatliche Abgabe einhob. Wahrscheinlich gingen auch viele hier gestapelte Waren oder Lebendvieh sowie Zoll- und Steuereinnahmen direkt weiter an die statthalterliche Residenz in Virunum oder die Armeeeinheiten an der Donaugrenze. Die Bedeutung und Größe des Atriumhauskomplexes wird erst richtig deutlich, wenn man die Ruinen der Privathäuser auf den gegenüber liegenden Flächen zum Vergleich heranzieht.


Abb. 18 Aguntum, Blick von der Aussichtswarte auf die großen Thermen, im Vordergrund das Caldarium mit den beiden Heißwasserbecken.

Nach den bisherigen Forschungsergebnissen gehört das etwa zur Hälfte ausgegrabene Forum ebenfalls in die Frühphase der Stadt. Von dem quadratischen, von Hallen umschlossenen Platz (Seitenlängen ca. 65 m) sind bisher vor allem die südliche und östliche Außenseite mit jeweils einer Reihe von acht bis zehn Räumen hinter der Halle bekannt. Ein besonders hervorgehobener, aus der Bauflucht nach außen vorspringender Saal ungefähr in der Mitte beider Raumzeilen diente vielleicht dem Staatskult oder als Sitz der städtischen Behörden. An der südlichen Außenseite, entlang der Hauptstraße, verlief eine von dem gerade erwähnten Saal unterbrochene Porticus als überdachter Fußgängerbereich.

Im Westen schließt direkt an das Forum der Fleischmarkt (macellum) an. Diese sehr durchdacht konstruierte Anlage besteht im Grundriss aus einem quadratischen Baukörper (Seitenlänge ca. 18 m), in den zwei konzentrische Kreise eingeschrieben sind. Aus diesen Kreismauern wurden zehn Segmente gebildet, zwei einander gegenüberliegende Zugänge und acht mit hergeleitetem Gebirgsbachwasser gekühlte Abteile. Hier wurde das Fleisch geschlachteter Rinder gelagert und mit dem abrinnenden Kühlwasser Blut und anderer Schlachtabfall entsorgt. Wendet man sich nun nach Norden, so passiert man die Mauern eines großflächigen und einst reich mit Marmor ausgestatteten, aber nur teilweise ausgegrabenen Gebäudes unbekannter Funktion und erreicht danach – nördlich der zum Großglockner führenden zweiten Fernstraße die großen Thermen. Über diese mehrphasige Anlage verschafft man sich am besten einen Überblick vom 18 m hohen Aussichtsturm. Im Zentrum liegt ein mit flächiger Fußbodenheizung (hypocaustum) ausgestatteter Apsidensaal, der Heißbaderaum (caldarium) der ersten Bauphase (Länge ohne Apsis ca. 15 m). Größe und Form sind typisch für Thermenanlagen der ersten Hälfte des 1. Jhs. n. Chr., als Aguntum gegründet wurde. Die Mauern sind im konservierten Befund deutlich tiefer gegründet bzw. weniger hoch aufgemauert als die des wesentlich komplexeren jüngeren Badehauses, das dem Reihentyp angehört (Gesamtlänge ca. 40 m). Der Eingang dazu lag im Westen, über die Garderobe (apodyterium), das Kaltbad (frigidarium) und den lauwarm beheizten Aufenthaltsraum (tepidarium) gelangte man in das caldarium. Beide eigentlichen Baderäume besaßen jeweils zwei Wasserbecken, die an den äußeren Schmalseiten lagen. Ganz im Osten, vor dem Aussichtsturm, lag der Heizraum, im Norden sorgten zusätzliche hypokaustierte Räume in den kühleren und kalten Jahreszeiten für einen komfortablen Aufenthalt während des nach dem Badevorgang üblichen Entspannens mit Massagen, Körperpflege, Literaturlesungen und anderen Vergnügungen.

Anschließend an die Thermen liegen im Gelände nach Norden und Osten verstreut die Grundmauern von Wohn- und Wirtschaftsbauten. Im sog. Handwerkerviertel dominieren zweiräumige Häuser mit einfachen Feuerstellen; zahlreiche hier gefundene Schlackenreste deuten Eisenverarbeitung an.

Geht man am nördlichen Ende des erhaltenen Teils der sog. Stadtmauer vorbei, so gelangt man zum Ausgang aus dem Ruinenpark an ungefähr der Stelle, an der bereits 1912 eine heute wieder zugeschüttete frühchristliche Kirche mit einem umgebenden Gräberfeld ausgegraben wurde. Es handelte sich dabei um einen einfachen Rechteckbau mit der symbolträchtigen Länge von 100 Fuß (29,4 × 9,4 m) mit frei stehender Priesterbank. Allgemein geht die Forschung heute davon aus, dass Aguntum im 5. Jh. n. Chr. aufgegeben wurde und die Bewohner in die besser zu schützende Siedlung am nahen Kirchbichl bei Lavant übersiedelten.

Adresse

Archäologiepark Aguntum und Museum Aguntinum

Stribach 97

9991 Dölsach

Tel. +43 4852/​61550

E-Mail: aguntum@aon.at

http://www.aguntum.info/

Literatur

M. Tschurtschenthaler – M. Auer, Municipium Claudium Aguntum – die frühen Befunde, in: U. Lohner-Urban – P. Scherrer (Hg.), Der obere Donauraum 50 v. bis 50 n. Chr. – Berlin 2015, S. 337–349;

E. Walde – G. Grabherr, Aguntum − Museum und archäologischer Park, Dölsach 2007.

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