Читать книгу Der Mythos des Freien Marktes oder der real existierende Finanzkapitalismus - Peter Schlabach - Страница 8
ОглавлениеEinleitende Gedanken
Was sind die Umstände, die uns selbst und unser Überleben bestimmen und in manchen geschichtlichen Phasen auch bedrohen? Es waren immer die in den bestimmten Epochen existierenden grundlegenden Denkmöglichkeiten und dadurch hervorgebrachten Überzeugungen6, die das allgemeine Handeln begründeten und bestimmten. Da ma´u aber über die hier ablaufenden Vorgänge noch keine Kenntnisse hatte, konnten diese Umstände nie wirklich zutreffend erklärt werden. Aber was heißt hier Denkmöglichkeiten? Und kann ma´u diese heute so deutlich erkennen, um die allgemeinen gesellschaftlichen Umstände von daher begründet zu verstehen?
Bis vor kurzem wäre eine Antwort schwierig bis unmöglich gewesen, wie ja die historisch ungezählten Versuche belegen. Aber mit den Erforschungen der geistigen Entwicklung der Kinder durch Piaget und dann insbesondere die der geistigen Evolution der Erwachsenen durch Claire Graves, Jean Gebser und vieler mehr, ist es möglich das Verständnis dieser Umstände mit Aussicht auf Erfolg angehen zu können.
Aber hier ist folgendes zu beachten. Schon Piaget erkannte, dass sich unsere geistige Entwicklung in Stadien oder Stufen vollzieht. Aber solche Begriffe rufen bei uns bestimmte Vorstellungen hervor, die oft falsche Meinungen über diese Erkenntnisse provozieren. Anders formuliert kann ma´u auch sagen; ma´u darf solche Begriffe nicht zu „wörtlich“ verstehen. Diese bedingen dann falsche Vorstellungen. Denn sie stellen ja nur vergleichende Bilder dar, benennen aber nicht den Sachverhalt selbst. Es ist eben keineswegs so, dass es hier so etwas wie „Stufen“ oder „Stadien“ gäbe, die wir auf dem Weg unserer geistigen Evolution „erklimmen“ müssten oder gar könnten. Die Übergänge von einer Stadie zur nächsten sind erstens sehr individuell und zweitens sehr fließend. Daher heißt auch das Buch, das die Studenten von Graves, Beck und Cowan nach seinem Tode veröffentlichten und damit seine Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich machten, „Spiral Dynamics“.
Diese eben angesprochenen, schon immer existenten Missverständnisse, bzw. Unkenntnisse, entstammen damit dieser unserer geistigen Evolution. Denn diese gab es von Beginn dessen an, was wir Philosophie und/oder Theologie nennen. Aber diese übertragen sich umfassend auch auf unsere Sprache, indem sie diese prägt. Der Grund dafür ist leicht zu erkennen: Alle unsere Erfahrungen, daher kommende Gedanken und folgende Erkenntnisse können wir nur mit Hilfe unserer Sprache verstehen und weitergeben. Dabei wird hier die Mathematik mit eingeschlossen gedacht.
Aber jede von einer Person verwendete Sprache und deren verwendete Begriffe sind immer in ihren Bedeutungen auf deren persönliche „Bilder im Kopf“ bezogen. Oder anders, da sie sich damit verbinden7, würde zu wörtliches Verstehen solcher Begriffe das Gemeinte verzerren bis verfälschen. Da wir aber anders nicht kommunizieren können, bleibt gar keine andere Wahl, als Begriffe zu benutzen, die in anderen Zusammenhängen eine oft andere Bedeutung haben.
Hier ist in unserem Zusammenhang gemeint, dass die Begriffe Stadien oder Stufen Abgrenzungen beinhalten, die in den hier erkannten Abläufen eben schlicht unzutreffend wären. Dies gilt in noch weiterem Umfang für die W-Meme oder Weltsichtebenen nach Graves. Was aber sagt uns dieses Buch? Nach seinen Forschungsergebnissen, die weltweit durchgeführt wurden, erkannte Graves, dass alle Menschen auf einer ihn/sie bezeichnenden Weltsichtebene denken und die Welt „von daher“ interpretieren. Er konnte acht solcher Ebenen nachweisen.
Anders formuliert kann ma´u auch sagen: Wir Menschen sind keine Träger, kein Objekt mehr der biologischen Evolution, sondern des Geistes8. Interessant ist, dass der russische Forscher Konstantin Korotkov aufgrund ganz andere Überlegungen und Forschungen zum gleichen Ergebnis kommt. Diese Ergebnisse werden aber für mich noch dadurch gesichert, da sie
erstens dir Forschungen Piagets bestätigen, aber auch zweitens weitgehend deckungsgleich mit den etwas früheren Ergebnissen Jean Gebsers in Bezug auf dessen Überlegungen in Richtung der Entwicklung unserer Bewusstseinsstrukturen gehen.
Darüber hinaus hat Ken Wilber in seinem Buch „Integrale Psychologie“ noch eine ganze Reihe weiterer Psycholog*innen aufgeführt, die zu vergleichbaren Ergebnissen kamen.
Bezieht ma´u nun diese neuen Erkenntnisse auf die eingangs gestellten Fragen, kann ma´u ganz neue und vor allem andere Antworten als bisher anbieten. Historisch gesehen dachten Menschen während der Zeit der Stammeskulturen9 auf der des Stammesdenkens, oder auch als animistisch bezeichnet. Beck und Cowan machten hier den Vorschlag, alle die von Graves erkannten Ebenen mit Farben zu benennen. Das deshalb, um mögliche „Abhebungen“ oder „Abgrenzungen“ von Menschen gegenüber anderen zu vermeiden. Das gelingt allerdings wohl auch damit nur mäßig. Nach diesem Vorschlag wäre die Ebene des Stammesdenkens auch mit Purpur zu bezeichnen. Wichtig ist hier aber weiter zu erwähnen, dass sich die so denkenden Menschen am Wir, also ihrer Gruppe orientieren.
Vor ca. 10000 Jahren begann sich dann Rot durchzusetzen, oder auch als egoisches Denken bezeichnet, es orientiert sich am Ich.
Dann folgte vor ca. 3000-2500 Jahren Blau oder mythologisch, wieder am Wir orientiert,
vor ca. 500 Orange oder rational, am Ich orientiert, vor ca. 150 Grün oder mitfühlend, wieder Wir-orientiert und dann vor ca. 70 und dann 50 Jahren die Ebenen der 2. Ordnung10 Gelb und Türkis, auch als integral und holistisch bezeichnet, wobei diese Begriffe in das Gemeinte verweisen.
Alle diese früher dominanten Weltsichtebenen begründeten sowohl eine eigene gesellschaftliche Lebens- und Wirtschaftsform, als auch eine eigene Religion. Zum Beleg hier kurz:
Purpur gleich Stämme, Animismus oder Totemismus, Leben in der Natur mit gemeinschaftlicher Aufteilung der Ergebnisse von Jagd und Sammlung.
Rot gleich Feudalreiche, Götterhimmel und Zivilisation, erste Großverwaltungen und erste Märkte
Blau gleich Großreiche und Großreligionen, also z.B. der Eingottglaube. Zunächst die "Erfindung" des ökonomischen Geldes (Lyder) und des Privateigentums (Griechen) als staatlich garantiertes Herrschaftsrecht. Dann teilweise im Mittelalter wieder Rückkehr zum Warentausch.
Dann Orange oder rational, mit Regierungsformen des Rechts und der Schein-Demokratien und als Religion die Wissenschaft, insbesondere aber dann die des Kapitalismus11.
Entscheidend ist aber, dass es nach wie vor viele Menschen gibt, die immer noch auf früheren Ebenen denken. Unsere derzeitigen Lebensumstände sind aber grundlegend durch das rationale Denken zu begründen und von daher zu verstehen. Auf dieser Ebene denken momentan ca. 30% der Menschen, die allerdings die gesellschaftliche Macht haben. Um dies zu belegen hier ein längeres Zitat aus „Spiral Dynamics“, das dieses Denken näher beschreibt. Dort heißt es unter anderem:
Orange: Handle im eigenen Interesse als Individuum, das Du bist und spiele so, dass du gewinnst.
Veränderung und Fortschritt liegen in der Natur der Dinge und im eigenen Interesse
Fortschritt, indem wir die Geheimnisse der Natur in Erfahrung bringen, bzw. sie der Erde „entreißen“ und die besten Lösungen für uns finden.
Die Schätze der Erde so verarbeiten, dass ein Überfluss an gutem Leben geschaffen und verbreitet wird. Die absolut schädliche Ausbeutung der Erde ist unwichtig.
Optimistische, risikofreudige Menschen, die sich auf sich selbst verlassen können, verdienen Erfolg. In manchen Fällen führt dies zu überdimensionalen Reichtum und damit Macht.
Gesellschaften gedeihen durch Strategien, Technologie und Konkurrenzdenken, das immer nur im eigenen Interesse liegt.
Liest ma´u sich diese „Liste“ möglicher Verhaltensweisen von Menschen durch, kann ma´u einige wichtige Schwerpunkte erkennen. Vorab geht es immer um die Wünsche und Bedürfnisse des Ich, noch deutlicher muss ma´u eigentlich Ego sagen. Erst dessen extreme Selbstbehauptungs- und Bestätigungsbedürfnisse bringt solches Verhalten hervor. Wie das dann konkret aussieht haben Beck und Cowan klar und deutlich wie folgt beschrieben: „Ich will etwas leisten und gewinnen und etwas in meinem Leben erreichen. Die Welt ist voller Möglichkeiten für den, der sie ergreift und dabei bereit ist, mit Überlegung auch etwas zu riskieren. Nichts ist sicher, aber wenn du gut bist, versuchst du das Beste aus deinen Chancen zu machen, und findest unter vielen Möglichkeiten die besten. Zuerst musst du an dich selbst glauben, dann klappt auch alles andere. Du darfst dich nicht in Strukturen oder Regeln verheddern, wenn sie den Fortschritt hemmen. Stattdessen kannst du die Lage für dich selbst ständig verbessern, wenn du Versuche unternimmst und aus deinen Erfahrungen lernst.
Ich habe Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten und beabsichtige, etwas in der Welt zu verändern>. Von Rot erhält es das Verlangen, den Wünschen des eigenen Selbst zu folgen“. Auch in Orange sucht ma´u oft jemanden, „dem sie im Falle des Scheiterns die Schuld geben können, denn die liegt <wie in Rot> ganz sicher nicht bei ihnen. In derartigen Systemen bedenken Vorständler einander ausnahmslos mit üppigen Zulagen, selbst wenn sich das Unternehmen insgesamt auf dem absteigenden Ast befindet. Das seit Beginn der Zivilisation existente Elitedenken schafft auch hier zwischenmenschliche Distanz. Freude beschert dir Jagd, nicht der Fang. Andere Menschen müssen der besten und angemessensten Vorgehensweise – nämlich der eigenen – zustimmen“.
Das aus diesem Denken entstehende „moderne Leben ist das Resultat arbeitskraftsparender Maschinen, das den Geist für bessere Dinge freisetzt: eine überlegene Gesundheitsvorsorge und bessere
Medikamente, <verbesserte> Tiere und Pflanzen sowie den Glauben, dass wir Gewalt über alles haben. Der Glaube an Dogmen ist verschwunden und von Versuchsergebnissen <der wissenschaftlichen Methode› und ständigen Auswertung, was gerade am besten funktioniert, abgelöst worden. Erfolgreiches Handeln bestimmt, was richtig ist. Es kann gelegentlich Sympathie, aber keine Empathie geben. Es handelt sich um Männer, welche die Verantwortung übernehmen, und Frauen, die wissen was sie wollen und wie sie es bekommen können. Beide Geschlechter wollen es ganz und sie wollen es jetzt.
Außerdem begrüßen Menschen in Orange Werte und Glaubensvorstellungen, die dem Materialismus gegenüber dem Spiritualismus, dem Pragmatismus gegenüber Prinzipien und Siegen gegenüber langfristigen Garantien den Vorzug geben. Vielgestaltiges Denken ist vergleichend, das Leben ist wettbewerbsorientiert. Man tut das, was funktioniert und sagt das, was die anderen hören wollen. Wenn Orange aktiv ist, zählt das Äußere oft mehr als das Wesen. Der erstklassige Lebensstil, den man in Orange ersehnt, ist ausgestattet mit einem psychoanalysierenden Verstand und teuren Anzügen, Trophäenfrauen oder –Männern, mit denen man sich in Cannes zeigen kann. Orange und Mobilität gehören zusammen. Loyalität gründet auf Nützlichkeit, nicht auf Verpflichtung. Menschen in Orange kann es an Gewissen fehlen, insbesondere, wenn es um gewichtige Ergebnisse geht. Entscheidungen basieren auf kalten, quantitativen Berechnungen und der Beurteilung der Möglichkeiten - ‹Fakten, nichts als Fakten› - sagt man in Orange.
Man kann andere nicht um Unterstützung oder Rat bitten, da dies ein Anzeichen von Schwäche wäre und die Selbsttäuschung vollständiger Autonomie untergraben würde. Ein Charakteristikum des gesamten orangen Bereichs ist das Gefühl eines unbegrenzten Selbst und grenzenloser Möglichkeiten. Warmherzigkeit zu zeigen, ist immer noch eine Frage des kalkulierenden Nutzens. Das große Verdienst dieses w- Mems liegt darin, dass es die Mutter der Moderne ist. Dem Einzelnen hat es Befreiung, Technologie und die Bereitschaft, Ideen zu erforschen gebracht. Allerdings ist es auch die Quelle der problematischen Lebensbedingungen, die zu den Fragen führen, ob Regierungen funktionieren, wie Milliarden von Menschen mit einer vernünftigen Lebensqualität koexistieren können und wie die Erde ein Konsumniveau, wie es derzeit herrscht, verkraften kann“12.
Diese Beschreibung ist klar und eindeutig eine Charakterisierung solcher Menschen, die ma´u heute in besonderer Weise als erfolgreich versteht. Vor allem aber, die uns permanent als dringend nachahmenswert vorgesetzt werden. Allerdings auch solcher, die wir eigentlich nicht kennen, die aber gleichwohl über fast unbegrenzte Macht verfügen. Es sind diejenigen, die uns in der Wirtschaft und von daher bestimmter Politik „beherrschen“. Betrachtet ma´u sich aber die jüngste Geschichte etwas genauer, kann ma´u erkennen, dass sich das rationale Denken in aller Regel auf Prämissen bezieht, die ihrerseits puren Behauptungen oder Wunschvorstellungen entspringen. Als Beleg hier der Hinweis auf den sog. „Freien Markt“, der von Beginn an nie wirklich frei war. Oder den etwas später entstandenen „real existierende Sozialismus“, der ebenfalls keiner war, zumindest nicht im Sinne der Theorien von Marx. Dieser hätte aber auch nach den Ideen von Marx nicht funktioniert.
Aber trotz all dem funktionierten und funktionieren beide teilweise noch immer, als die Begründung der Einstellungen ganzer Gesellschaften. Oder anders formuliert; rationales Denken ist als Instrument sehr brauchbar und nützlich. Wenn ma´u aber seine Voraussetzungen keiner gründlichen kritischen Analyse unterzieht und diese nicht in ihren Folgen umfassend bedenkt, dann führt dies zu dem, was wir in der Moderne so umfassend erleben. Nämlich zu Ideologien und zwar ganz im Sinne von Marx als falsches Bewusstsein gemeint. Oder m.a.W., Jeremy Rifkin13 ist der Überzeugung, dass das moderne Denken nicht rational genannt werden muss, sondern ideologisch. Ich ziehe es jedoch vor dieses Denken immer noch rational zu benennen, aber keineswegs seine ideologische Ausrichtung zu übersehen.
Bezieht ma´u nun diese Darstellung auf unsere Ausgangsfrage, kann ma´u anders formuliert sagen: Unsere derzeitige weltweite Wirklichkeit wird von einer Sicht geprägt, die ma´u nur mit dem Begriff des Kapitalismus richtig beschreiben kann. Dies werden die folgenden Darstellungen der diesem zugrundeliegenden Überzeugungen deutlich zeigen. Dieser Kapitalismus ist die umfassend ideologisch begründete Wirtschaftsform, die aus dem oben näher beschriebenen Denken entstand. Er erfüllt dabei gleichzeitig weitgehend die Funktion einer Religion innerhalb dieser Weltsichtebene.
In ihm sind aber mehrere ideologische Verfremdungen enthalten. Nämlich
die Markttheorie,
das Geldsystem mit Zinsen und Zinseszinsen
und eine sehr einseitige, ja eigentlich völlig falsche Sicht der Arbeit14.
Da es aber beide Funktionen erfüllt15, hat es eine umfassend beherrschende Position. Diese entwickelt sich ununterbrochen in einer immer bedrohlicheren Weise weiter16, vor allem aber einer allgemeinen Bedrohung unserer Überlebensmöglichkeiten. Dabei nähert sich unsere allgemeine gesellschaftliche Wirklichkeit immer umfassender der einer Despotie. M.a.W., einer absoluten Fremdbestimmung. Aber warum beschreibt ma´u denn dieses System dann üblicherweise mit dem Begriff der „Freien Marktwirtschaft“?
Der Grund warum ma´u diesen „neuen“ ideologisch bestimmten Begriff brauchte, ist ganz offensichtlich17. Der Begriff Kapitalismus war nämlich insbesondere in den USA seit der Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts in Misskredit geraten. Daraufhin suchte ma´u nach einem Ersatzbegriff. Dieser sollte aber dieses Wirtschaftssystem so bezeichnen, dass er von der weltweiten Öffentlichkeit akzeptiert wurde. Dabei waren und sind aber letztlich alle beide ideologische Begriffe. Er hatte aber noch eine weitere wichtige Funktion zu erfüllen. Er sollte die gesellschaftsprägende, ja absolut dominierende Wirklichkeit dieses Systems möglichst „verschleiern“ und unkenntlich machen. Das leisten ideologische Begriffe immer.
In dem Begriff der „Freien Marktwirtschaft“ hatte ma´u das Idealwort gefunden. Es verband den Begriff der Freiheit mit dem des Marktes. Die „Freiheit“ ist ja im Zusammenhang mit dem Liberalismus in der Moderne seit langem ein Schlüsselbegriff mit positiver Besetzung18. Dieser erscheint vordergründig völlig harmlos, wird er doch schon lange für den allgemeinen Handelsplatz benutzt. Daneben behauptet seine „gelehrte“ Theorie, dass er ein in allen gesellschaftlichen Bereichen zutreffendes Gleichgewicht herstellen würde. Ma´u beachte die berühmte „unsichtbare Hand Gottes“ nach Adam Smith, eine umfassend unbelegbare, eben ideologische Behauptung. Allerdings hat ma´u den Marktbegriff im Kapitalismus auf Bereiche ausgedehnt, die keineswegs unter den mit einem üblichen Markt verbundenen Aktivitäten zusammenfallen. Siehe z.B. den sog. Kapitalmarkt, aber auch noch andere, wie sich noch zeigen wird.
Diese deutlichen Widersprüche belegen durch diesen jetzt kurz dargestellten Hintergrund, dass unsere derzeitige gesellschaftliche „Realität“ nur von daher zu erklären ist. Vor allem wenn ma´u dazu einen weiten Bereich unserer verschiedenen gesellschaftswissenschaftlichen Ansätze in eine Erklärung mit einbezieht und diese miteinander verbindet. Es sei aber nicht verschwiegen, dass dies manchmal selbst wissenschaftlich in einer Weise geschieht, die von diesen Fachvertreter*innen nicht immer vorbehaltlos akzeptiert wird. Dies hat dann oft damit zu tun, dass diese Wissenschaftsbereiche ihrerseits sehr „unterschiedlich“ – vorsichtig ausgedrückt – aufgestellt sind und argumentieren. Ich kann daher nur hoffen, dass der angestrebte Ertrag dieser Bemühungen so ausfallen wird, dass dies für alle Leser*innen akzeptabel, zumindest aber nachvollziehbar ist.
Aber natürlich sind neben den Umständen unseres Denkens noch weitere uns umfassend betreffende Voraussetzungen zu beachten. Nämlich vor allem und zuerst unsere patriarchale, machthierarchisch geprägte gesellschaftlich-geschichtliche Imagination19. Diese bestimmt neben den Denkprozessen auch unsere seelisch-psychischen Umstände mit. Also das, was wir seit Freud unser Unbewusstes, das Ich, bzw. Ego und das Über-Ich nennen. Aber teils auch von daher mit zu verstehen die Ausprägung dessen, was in manchen Bereichen der Psychologie Linien genannt wird. Oder m.a.W., alle die persönlich-psychischen Bereiche, die die Psychologie erforscht. Darüber hinaus machte Ken Wilber darauf aufmerksam, dass unsere übliche objektive, positivistische Sicht auf uns selbst und die Wirklichkeit eindeutig zu einseitig ist.
Er schlägt daher das Modell der sog. vier Quadranten vor. Jede Beobachtung müsse sowohl von Subjekten, als auch Objekten, sowohl subjektiv, oder „von Innen“, als auch objektiv, also von „Außen“ erfolgen. Da solches nun auch in der Einzahl als auch Mehrzahl erfolgen kann, ergeben sich eben vier Bereiche des Sehens. Nämlich Ich und Wir als die subjektive Seite, und Es und Sie als die objektive.
Aber zu einem wirklichen Verständnis unserer Wirklichkeit gibt es noch einen weiteren Zusammenhang, der wenig bekannt ist. Oder anders, der trotz existierender Hinweise bisher strikt ignoriert wird. Nämlich die grundlegende Selbständigkeit allen Existierenden. Was meint dieser Satz? Eigentlich ist ja alles Existierende keineswegs selbständig, abgegrenzt, wie uns der Begriff des Objekts nahelegt. Ganz im Gegenteil hängt Alles mit Allem zusammen.
Aber diese objektive "Selbständigkeit" ist hier nicht gemeint. Gemeint ist eine solche, die einer hervorgekommenen Existenz20, eigenes Sein, in umfassender und insbesondere eigendynamischer Weise zukommt. Konkret bedeutet dies, dass ein solches neu Hervorgekommenes versucht seine Eigenexistenz mit allen Mitteln zu behaupten. Darüber hinaus aber sich auch in seinen Möglichkeiten zu seinen eigenen Seinsumständen weiterentwickelt. Bezogen auf das Leben nennen wir diesen Prozess Evolution.
Dies gilt aber auch für andere Seinsbereiche, wie z.B. die Wirtschaft und die Technik. Der alles entscheidende Punkt ist der Umstand, dass die jeweils eigene Entwicklung solcher Seinsbereiche auch die eigene „Umwelt“ in eigenbezogener Weise verändert. M.a.W., sie verändern ihre Umwelt in einer Weise, die ihren eigenen Bedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten entspricht. Dies gilt vor allem und gerade in Beziehung auf uns Menschen. Daher lautet eine der entscheidenden Thesen dieses Buches: Wesentliche unserer menschlichen Entwicklungen erfolgten nicht nur in unserem zuerst menschlichen Interesse und unseren zuerst menschlichen Bedürfnissen. Sondern auch und vor allem denen dieser neu hervorgekommenen Entitäten oder Ideen, wie z.B. der Wirtschaft und der Technik.
Aber Moment, was soll denn nun diese völlig abstruse Behauptung? Unsere Entwicklung verliefe nicht in unserem Interesse, sondern auch der von Wirtschaft und Technik? Das ist doch völlig absurd. Wir sind es doch, die uns ganz im biblischen Auftrag „die Erde untertan gemacht haben“. Es ist gerade diese unsere allzu menschliche Überheblichkeit, die uns die wirklichen Verhältnisse völlig übersehen lässt. Vor allem in dem Sinne, dass diese auch uns in immer umfassenderer Weise fremdbestimmen. Schon Martin Heidegger hat auf diesen Umstand in einem Vortrag besonders in Bezug auf die Technik aufmerksam gemacht. Dieser wurde in seinem Büchlein „Die Technik und die Kehre“ veröffentlicht. Er machte diese Eigendynamik am Sein und am Wesen der Technik fest. Denn alles was ist, also Sein hat, west auch an, hat ein eigenes Wesen. Dieses „Wesen“ der Technik ist das Ge-Stell. Wie begründet er diesen eigenartigen Ausdruck?
Die Technik ist dasjenige Sein, in dessem Anwesen der Natur
nach-gestellt wird,
um sie fest-zu-stellen,
damit sie sich heraus-stellt bzw.
wir uns etwas vor-stellen können,
um damit und daraus etwas herzu-stellen,
das ma´u dann zu-stellen, hin-stellen, auf-stellen kann.
Und so ist eben die Technik bezogen auf dieses vielfältige Stellen ein Ge-Stell, wie viele Berge ein Gebirge sind. Oder mit seinen Worten: „Das Wesen des Ge-Stells ist (daher) das in sich (also der Technik) gesammelte Stellen, das seiner eigenen Wesenswahrheit (also seinem so zu beschreibenden und verstehenden Sein, seiner Anwesenheit) mit der (menschlichen) Vergessenheit nachstellt, welches Nachstellen sich dadurch (nämlich die menschliche Vergessenheit) verstellt (für uns unsichtbar wird), dass es sich in das Bestellen (Zurechtbiegen, zur Verfügung halten) alles Anwesenden (also auch der Menschen) als den (seinen) Bestand (also seine Wirklichkeit) entfaltet, sich in diesem einrichtet und als dieser herrscht“21 (!!!). Und er fährt unter dieser Voraussetzung mit Recht fort: “Das Ge-Stell west als die Gefahr“. Oder m.a.W., das Sein der Technik, des Ge-Stells ist für uns Menschen gefährlich. Und warum ist sie das?
„Aber bekundet sich damit (mit dem herkömmlichen Anschauen der Technik, als diese Technik) schon die Gefahr als die Gefahr? Nein.“ Und warum nicht? „Fährnisse und Nöte bedrängen zwar allerorten die Menschen übermäßig zu jeder Stunde. Aber die Gefahr, nämlich das in der Wahrheit seines (des Ge-Stells) Wesens sich gefährdende Sein (nämlich die Gefahr für uns Menschen) selbst, bleibt verhüllt und verstellt (für uns durch unsere Unkenntnis unsichtbar). Diese Verstellung (unsere Unkenntnis) ist das Gefährlichste der Gefahr.
Gemäß dieser Verstellung der Gefahr durch das Bestellen des Ge-Stells (es stellt scheinbar alles her, was wir wollen), sieht es immer noch und immer wieder so aus, als sei die Technik ein Mittel in der Hand des Menschen. In Wirklichkeit aber ist jetzt das Wesen des Menschen (und damit sein Sein, seine Wirklichkeit) dahin bestellt (er ist dazu verurteilt), dem Wesen der Technik an die Hand zu gehen“22. Nämlich sich ihr unterzuordnen und ihr einzufügen. Ma´u beachte zu dieser Aussage die Umstände von Arbeiter*innen an Fließbändern, vor allem in noch nicht weit zurückliegender Vergangenheit, in Entwicklungsländern aber auch noch gegenwärtig.
Dieser Ansatz eines enorm wichtigen „Weckrufes“ von Heidegger blieb leider fast völlig ungehört. Wo kämen wir denn da hin, anerkennen zu sollen oder gar zu müssen, dass wir, die "Krone der Schöpfung", in Wirklichkeit gar nicht diese Krone sind, sondern nur „Bestand des GeStells“? Das geht natürlich gar nicht. Aber vielleicht verhinderte auch die Wortwahl – Sein und Wesen – Heideggers eine weitere Verbreitung dieser Gedanken. Diese werden doch
erstens auch für andere Bezüge genutzt,
vor allem aber bringen sie nicht die umfassendere Wirklichkeit
solcher Umstände zum Vorschein.
Wie sich noch zeigen wird, leistet dies aber sehr deutlich der von Arthur Koestler vorgeschlagene Begriff des Holon. Diesem werden wir uns unten noch sehr ausführlich annehmen.
6 auch die nicht öffentlich bekannten, also geheimen.
7 ma´u vergleiche hierzu die Erkenntnisse von de Saussure, bezeichnet als Signifikant und Signifikat.
8 allerdings ist hier Geist im Sinne von mind gemeint.
9 hier sind im Folgenden immer die in der jeweiligen Gesellschaft existierenden dominierenden Denkformen der üblichen Erklärungen gemeint.
10 die Erklärung dieses Begriffs würde hier etwas zu weit abführen, siehe hierzu aber unten.
11 ma´u vergleiche z.B. Max Weber, Ernst Bloch, Walter Benjamin oder Carl Amery.
12 a.a.O. S.396fff
13 siehe sein Buch „Die empathische Gesellschaft“.
14 siehe zu allen drei Aussagen als umfassende Begründung die späteren Ausführungen.
15 also scheinbar unsere äußeren wie inneren Bedürfnisse befriedigt.
16 als Bedrohung unserer wirklichen menschlichen Werte gemeint, nämlich Freiheit, Gleichheit, Empathie und Liebe.
17 wie auch schon J.K. Galbraith vermutete. Siehe seine Bücher in der Literaturliste.
18 siehe hierzu besonders mein Buch „frei sein“.
19 siehe Cornelius Castoriadis „Gesellschaft als imaginäre Institution“ und „Kapitalismus als imaginäre Institution“.
20 ob dies durch evolutive Prozesse, oder von uns Menschen hervorgebracht ist, ist einerlei.
21 M. Heidegger a.a.O. S.37 Hervorh. PS
22 a.a.O.