Читать книгу Der Mythos des Freien Marktes oder der real existierende Finanzkapitalismus - Peter Schlabach - Страница 9

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I. Kapitel, Kapitalismus, der Schein

Es wurde im Eingang darauf verwiesen, wie wichtig es ist deutlich zu machen, von woher der Autor denkt. Hier die Erklärung; die folgenden Gedanken gründen umfassend auf diesen Überzeugungen:

Alle Menschen sind als Teil der Spezies Mensch gleich. Dieser Umstand wurde jetzt endgültig durch die Genforschung bestätigt. Alle haben daher das Recht auf ein aus ihrer Kultur begründetes „gutes Leben“. Also ausreichende Nahrung, zuträgliche Lebensbedingungen, selbstbestimmte, sichere Lebensumstände und umfassende Bildung.

Alle Menschen sind aber auch je eigene Individuen. Daher sind sie alle unterschiedlich in Bezug auf diese ihre individuelle Realität. Dies ist eine Folge der unterschiedlichen Voraussetzung ihrer Herkunft, sozialen Rahmenbedingungen und der je eigenen Ontogenese. Jeder Mensch trägt damit in seinem Kopf seine je eigene Welt, seine eigenen „Bilder im Kopf“ - Qualia - mit sich. Alles was ihm/ihr begegnet, wird mit Hilfe dieser „Bilder“ interpretiert und beurteilt. Sie begründen die aus diesen Urteilen entstehenden je eigenen Lebensumstände und Handlungen. Jeder Mensch trägt daher dafür auch die Verantwortung, ob er will oder nicht. Dies gilt auch dann, wenn er/sie diese ablehnt, oder auch nicht wahrund/oder annehmen will.

Es ist unumgänglich, dass eine von daher begründeten Sicht auf uns Menschen eine ganz spezielle Vorstellung über diese unsere derzeitige gesellschaftliche Wirklichkeit folgt. Wie aber sieht eine solche aus?

Wenn wir uns mit anderen Menschen unterhalten, sind wir oft erstaunt, wie unterschiedlich unsere jeweiligen Ansichten über uns selbst und die uns umgebende Welt sind. Auf dem Hintergrund der in den einleitenden Gedanken dargestellten Erkenntnisse über die Weltsichtebenen und den eben begründeten je eigenen „Bilder im Kopf“ ist das auch nicht verwunderlich. Jede/r hat eben seine/ihre je eigene Welt in seinem/ihrem Kopf. Dass diese je nach persönlicher Entwicklung

erstens sehr unterschiedlich ausfallen,

vor allem aber zweitens von daher kommend umfassend vorgegebenen Vormeinungen unterliegen und dann sich daraus ergebenden eigenen Ansichten23, ist unumgänglich.

Leider ist dieser Umstand den wenigsten Menschen bewusst. So dass sie fast immer davon ausgehen, dass das von ihnen Ausgesagte immer bei dem/der Gesprächspartner/in so „ankommt“, wie sie es gemeint hatten. Das ist aber in aller Regel nicht so. Woher kommt das? Geistig (im Sinne von mind) sind wir bei unserer Geburt eine tabula rasa. Alles uns Menschen Ausmachende müssen wir erst auf der Grundlage und mit Hilfe eigener genetischer Ausstattung24 erlernen. Das beginnt beim gezielten Bewegen, die Gefühle - siehe das Konzept der Linien -, über die Sprache bis zum Denken. Aber - und das ist besonders wichtig – alles was jetzt das Ergebnis dieses Prozesses ist, ist ganz persönlich, individuell. Jede/r hat damit und daher seine/ihre je eigenen „Bilder im Kopf“.

Alle patriarchal denkenden und daher machthierarchisch organisierten Gesellschaften versuchten nun aber seit ihrer Existenz in den heraufziehenden Feudalherrschaften und den folgenden25, diese „Bilder“ so einheitlich, vor allem aber „gesteuert“ wie möglich zu machen. Und zwar einerseits direkt in den Familien, andererseits über die öffentlichen Bildungseinrichtungen. Vor allem aber heute durch die folgende alles überschwemmende ideologisch bestimmte Propaganda. Hier ist nicht der Ort, sich ausführlicher damit auseinanderzusetzen.

Aber jederma´u kann dies bei kritischem Blick auf unsere Gesellschaft deutlich beobachten. Aber wenn dies zu einer unkritischen Einstellung gegenüber sich selbst oder gar der Gesellschaft führt26, dann ist das selbstverständlich für jede so „be-dachte“ Gesellschaft absolut schädlich und daher grundlegend abzulehnen.

Die Begriffe Untertanentum als eine Bezeichnung des überwiegenden Teils der Bevölkerung solcher Gesellschaften27, aber auch "gouvernementale Republik"28 bringen diesen Umstand sehr gut auf den Punkt. Untertanen sind von ihren zunächst vorgegebenen – in der Regel zunächst die Eltern - und danach meist unbewusst gewählten Autoritäten - z.B. führenden Politiker*innen und/oder Parteivorsitzenden - immer abhängiger. Dies gilt auch, wenn sie zu gewählte Vertreter*innen des Volkes werden. Dies gilt ja nicht nur in ihrem Verhalten. Mehr noch in ihrem Denken und den daher kommenden Urteilen. Da sich all dies sowohl in der Politik, mehr aber noch in der Wissenschaft und der Wirtschaft auswirkt, entstehen daraus gravierende öffentliche Probleme. Th. S. Kuhn hat diese Folgen mit dem Begriff des Paradigmas29 und dessen spezielle Wirkungen deutlich auf den Punkt gebracht.

Was also sind die eigentlich hier besonders gemeinten gesellschaftlichen Umstände, die die oben genannten allgemeinen Bedrohungen hervorbringen? Wir bekommen diese zwar ständig als sog. „Freie Marktwirtschaft“ aufgeredet. Aber der zutreffendere Begriff für die Abläufe, die diese Vorgänge bewirken, ist nach wie vor Kapitalismus. Wir werden uns noch darüber unterhalten müssen, warum ma´u diese ständige „undeutliche“ Kennzeichnung des derzeit herrschenden Gesellschaftssystems betreibt. Oder anders formuliert; einen Schein erzeugt, hinter dem die Wirklichkeit verschwindet.

Wie kann ma´u sich aber ein zutreffendes Verständnis des Kapitalismus erarbeiten, um diese Dynamik zu verstehen? Denn dabei machen sich ja alle die eben erwähnten Voraussetzungen unseres jeweiligen persönlichen Denkens absolut umfassend bemerkbar? Damit ist aber schon eine ihrer wichtigsten „Aufgaben“ beschrieben. Das hat neben den schon dargestellten Bedingungen auch noch den Hintergrund, dass hier die Interessen der derzeit herrschenden Eliten in besonderer Weise betroffen sin. Natürlich werden diese daher von diesen mit allen Mitteln geschützt und verteidigt.

Aus der Geschichte kann ma´u wissen - wenn ma´u es denn wissen will -, dass ein solcher Umstand ganz besonders negative Wirkungen auf eine möglichst „wahre“ Darstellung solcher Verhältnisse hatte und heute mehr denn je hat. Alle diese Vorbemerkungen treffen eben absolut auf die derzeit existierenden Definitionen und daher kommenden Sichtweisen des Kapitalismus zu. Ma´u hat um diesen mit Hilfe existenter Denkmuster, einen alles überstrahlenden und daher unkenntlich machenden Schein erzeugt. Aber natürlich auch ausgeprägte ideologische Darstellungen. Um dies zu zeigen, wollen wir uns zunächst verschiedene solcher Definitionen anschauen.

Dabei kann ma´u von Beginn an die Absicht erkennen, dass diese ein umfassendes „Übersehen“ und Verschweigen besonders wichtiger Umstände darstellen. Daher lautet die Überschrift dieses Kapitels ja auch „der Schein“. Damit ist gemeint, dass diese Definitionen in aller Regel nicht die wirkliche Wirklichkeit dieses Systems beschreiben. Sondern in erheblichem Umfang Wunschvorstellungen oder schlichte Behauptungen sind, die meist wenig bis gar nichts mit den wirklichen Zuständen zu tun haben.

Dies ist natürlich eine ungeheure Behauptung. Aber die folgenden Gedanken sollen dies belegen. Dabei kann dieses natürlich nur auf dem Hintergrund meiner „Bilder im Kopf“ geschehen. Diese werden dann aber durch umfassende Daten und Literaturhinweise belegt. Meine hier vorausgesetzte Absicht ist es, so deutlich wie möglich die daher kommenden schädlichen Wirkungen – auf Mensch und Natur gemeint – dieser Verhältnisse zu bezeichnen. Dies ist dann Inhalt der folgenden Kapitel. Ob dies für Sie nachvollziehbar gelingt, können nur Sie selbst auf dem Hintergrund Ihrer „Bilder im Kopf“ beurteilen, bzw. diese eventuell infrage stellen lassen.

Beginnen wir also ganz grundsätzlich. Was ist der Kapitalismus? Sucht ma´u heute die Definition oder nähere Beschreibung von etwas, schaut ma´u in aller Regel zunächst bei Wikipedia nach. Dort können wir lesen30: „Allgemein bezeichnet Kapitalismus eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die auf Privateigentum an den Produktionsmitteln und einer Steuerung von Produktion und Konsum über den Markt beruht. Daneben ist das ‹Streben nach Gewinn im kontinuierlichen, rationalen kapitalistischen Betrieb› entscheidend“.

Und was meint das speziell heute? „Kapitalismus ist heute ein grundlegender Zustand unserer Gesellschaft, wird aber sehr unterschiedlich wahrgenommen. Bachinger/Matis unterscheiden in ihrem Buch ‚ Entwicklungsdimensionen des Kapitalismus‘ drei verschiedene Wahrnehmungen des Kapitalismus, eine sog. markteuphorische, eine mentalitätskritische und eine sozialkritische. In der markteuphorischen Wahrnehmung31 werden Kapitalismus und Marktwirtschaft de facto gleichgesetzt. Kapitalismus wird (demnach) als entbehrlicher Begriff gesehen, der aus der ‚sozialistischen Mottenkiste‘ kommt“.

Ab hier wollen wir uns zunächst die markteuphorische Sicht vornehmen. Die ‚mentalitätskritische und sozialkritische‘ Wahrnehmung wollen wir uns dann in späteren Kapiteln näher anschauen. Also nochmals ganz konkret; der Kapitalismus ist danach der „grundlegende Zustand unserer Gesellschaft“. Will ma´u also diese verstehen, muss ma´u den Kapitalismus verstehen. Oder anders formuliert; wenn es zutrifft, dass unsere Gesellschaft gefährdet ist, kommt dies zuvörderst aus den Wirkmechanismen des Kapitalismus, da dieser ja der „grundlegende Zustand“ dieser Gesellschaft ist. Daher nochmals nachdrücklich gefragt; was ist der Kapitalismus?

In einem markteuphorischen Sinne besonders wichtige und bezeichnende Beispiele von Antworten auf diese Frage liefert die Ende des 19. Jahrhunderts sich in Wien um Carl Menger bildende „Österreichische Schule“. Diese wird hier deshalb besonders angesprochen, weil sie erstens sehr deutlich bestimmte Sichtweisen betont, um die es hier geht. Vor allem aber durch von Mises, Schumpeter und von Hayek wurde sie überaus einflussreich in Richtung des heute dominanten Neoliberalismus.

Diese Schule lehnte auf besondere Geschichtsepochen bezogene, oder gar durch angeblich unbekannte Geschichtsbedingungen vorgegebene Kapitalismustheorien ab. Ökonomische Gesetze gelten für sie - ihre Interpreten und Anhänger - immer und überall und ergeben sich aus der Knappheit der Güter und der subjektiven Beziehung der Menschen zu diesen. Aus solchen Überlegungen ist also zu entnehmen, dass der Kapitalismus aus immer und überall, also zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften, geltenden ökonomischen Gesetzen abgeleitet ist.

Hier haben wir eine der schon angesprochenen puren Behauptung, die historisch klar zu widerlegen ist. Und welche sind dies? Die Antwort darauf erfolgt auf allen folgenden Seiten. Da es in dieser Aussage zuerst um die Bewältigung der Knappheit der Güter im Interesse aller geht, bestimmt diese angeblich die schon immer geltenden ökonomischen Gesetze. Nach dieser Überzeugung ist danach der Kapitalismus die beste Wirtschaftsform, die sich Menschen jemals haben einfallen lassen, um dieses Ziel – eine optimale Versorgung aller - zu erreichen. Wir werden noch sehen, dass eine solche Sichtweise auf den Kapitalismus eine erste, aber besonders wirksame „Nebelkerze“, oder eben pure Ideologie, zum Verständnis dieses Systems ist. Diese Schule lehnt aber auch den „Homooeconomicus“ der Klassischen Nationalökonomie als unrealistisch ab und bezieht auch außerwirtschaftliche Ziele in ihre Theorie ein.

Auch hier werden wir noch sehen, was das konkret meint und welche Folgen das hat. Vor allem aber wird hier jeglicher Staatsinterventionismus in das Wirtschaftssystem generell abgelehnt (Ölflecktheorem). Für die Anhänger dieser Schule ist das Gewinnstreben der kapitalistischen Gesellschaft kein charakteristisches Merkmal, da auch für die Produktion zur Bedürfnisbefriedigung eine Wertsteigerung der entsprechenden Güter angestrebt werden muss.

M.a.W., zwischen der „kapitalistischen“ Produktion für Profit und der „sozialistischen“ Produktion für Bedürfnisse gibt es keinen Unterschied. Der Unterschied bestehe nur darin, dass im Kapitalismus „Gewinn“ durch sinnvolle Kostenrechnung erst rational erzielbar wird. In welchem Maße und insbesondere in welche Richtung diese Position einfach die wirklichen Verhältnisse regelrecht „auf den Kopf“ stellt, wird sich in den nächsten Kapiteln zeigen.

Die wichtigsten Vertreter dieser Schule waren v. Mises, Schumpeter und v Hayek. In der früheren Verfassung habe ich diesen jeweils ein kurzes Kapitel gewidmet. Beim erneuten Lesen musste ich feststellen, dass eine so absolut kurze Darstellung keine angemessene Methode ist. Eine solche wird der Bedeutung dieser Männer in keiner Weise gerecht. Zumal dann nicht, wenn sie nur die in meinen Augen negativen Seiten darstellt. Aber es bleibt ein Umstand festzuhalten. Besonders für v Mises und v Hayek war der „Freie“ Markt der alles regelnde Ort in eine marktorientierten Gesellschaft. Auch der Staat hatte sich für alle drei aus allem herauszuhalten.

Wie wir noch sehen werden ist dies eine absolut markteuphorische Sicht. Sie übersieht oder missachtet ganz einfach wesentliche Aufgaben auch innerhalb einer solchen Gesellschaft, die eben nur ein Staat einbringen kann. Eine solche umfassend auf alles wirtschaftliche Handeln bezogene markteuphorische Sicht ist eine ganz wesentliche Voraussetzung des „Scheins", der hier darzustellen ist.

Seiner Bedeutung wegen, insbesondere zum besseren Verständnisses des behaupteten Scheins, müssen wir uns hier etwas ausführlicher Milton Friedman zuwenden. Dieser stand in seinem Denken Hayek sehr nahe. Er arbeitete auch mit diesem in Chicago zeitweise zusammen. Auch er hob die angeblichen Vorteile eines freien Marktes und die Nachteile staatlicher Eingriffe in einem Ausmaß hervor, wie sonst kaum jemand. Daher wird er hier besonders dargestellt. Seine Grundhaltung kommt insbesondere in seinem Bestseller „Kapitalismus und Freiheit“ (1962) zum Ausdruck.

Darin forderte er die absolute Minimierung der Rolle des Staates, um somit politische und gesellschaftliche Freiheit zu fördern. Für ihn stand, wie für Hayek, die Freiheit des Einzelnen im Zentrum der Argumentation. Er hielt das „freie Wählen“ im wirtschaftlichen Handeln der/s Einzelnen für nutzbringender als staatliche Regelungen. Daher unterstützte er eine Reduktion der Staatsquote, freie Wechselkurse, den Wegfall staatlicher Handelsbeschränkungen, die Aufhebung der Zugangsbeschränkungen zu bestimmten Berufsgruppen und eine Reduktion staatlicher Fürsorge.

Allerdings war er durchaus in seiner Position in Bezug auf die Freiheit konsequent. So setzte er sich stets für die Abschaffung der Wehrpflicht in Friedenszeiten ein, plädierte für die Legalisierung von Marihuana und kämpfte für ein Bildungsgutscheinmodell. Aber auch in anderen Bereichen vertrat er selbst Extrempositionen. So bezeichnete er den Wohlfahrtsstaat als den größten Feind der Wirtschaft. Für Friedman ist der Wohlfahrtsstaat ein Betrug an den Leuten, die noch arbeiten und Steuern zahlen. Hier einige wörtliche Zitate aus seinem eben erwähnten Buch.

Beginnen wir mit einigen grundsätzlichen Äußerungen zum Markt. So schreibt er in Bezug auf eine umfassende wirtschaftliche Koordination der Menschen selbst schon in einer „einfachen“ Gesellschaft32, dass diese „bereits in dem einfachen Modell der Tauschwirtschaft, die weder Unternehmen noch Geld kennt, vollzählig enthalten“33 sei. Das ist die typische Behauptung der klassischen Ökonomie, die historisch schlicht falsch ist.

Aber ab hier kommen die entscheidenden Gedanken: „Wie in dem einfachen Modell bleibt auch in der komplexen Unternehmens- und Geldwirtschaft die Kooperation (auf einem Markt) vollkommen privat und freiwillig, vorausgesetzt

a die Unternehmen sind privat, sodass die letztlich vertragsschließenden Parteien Individuen bleiben, und b die Individuen sind tatsächlich frei, einen bestimmtem Austausch zu betreiben oder nicht zu betreiben, sodass jeder Tauschvorgang strikt freiwillig bleibt“34.

Der Grund, warum aber überhaupt solche Transaktionen ablaufen wird hier verdeutlicht: „Voraussetzung (ist), dass beide Parteien einer wirtschaftlichen Transaktion von ihr profitieren, vorausgesetzt die Transaktion geschieht auf beiden Seiten freiwillig und in vollem Wissen darüber, was geschieht. Der Austausch kann daher Koordination ohne Zwang herbeiführen. Das funktionierende Modell einer Gesellschaft, die durch das Mittel des freiwilligen Austausches organisiert wird, ist die freie, auf privatem Unternehmertum basierende Marktwirtschaft – was wir den Wettbewerbs-Kapitalismus genannt haben“. Und welches ist dann letztlich das Ziel all diese Aktivitäten? „Sich gegenseitig mit dem täglichen Brot zu versorgen“ (also die allgemeine Lebensvoraussetzung zu gewährleisten) und „mit dem jährlichen (!!!) Automobil“ 35. Ja, Sie lesen richtig; mit dem jährlichen Automobil.

Aber dieser Markt kann noch mehr als nur Waren zu bestmöglichen Bedingungen für alle zu verteilen. So heißt es weiter: „ Die weitverbreitete Wirksamkeit des Marktes verringert die Belastung der sozialen Struktur, indem er Konformität36 im Hinblick auf alle damit im Zusammenhang stehenden Aktivitäten (z.B. des Staates) überflüssig macht. Je mehr Aktivitäten durch den Markt erfasst werden, umso geringer ist die Zahl der Probleme, die eine eindeutige politische Entscheidung und Einigung erfordern“37.

Diesen etwas geschwurbelten Satz auf den Punkt gebracht; da der Markt alles zum Besten aller regelt, regelt er auch die sozialen Probleme einer Gesellschaft zum Besten aller. Und wie erreicht er ein solches Wunder? Ab hier wird uns dies deutlich erklärt: „Das große Verdienst des Kapitalismus liegt nicht in der Anhäufung von Besitz38, sondern in der Vielfalt von Möglichkeiten, die er den Menschen zur Ausweitung, Entwicklung und Verbesserung ihrer Fähigkeiten verschafft“39(??). Deswegen müssen ja auch immer mehr US-AmerikanerInnen 2 bis 3 Jobs betreiben, um überleben zu können. Kennen Sie ein Land auf dieser Erde, auf das sich eine solche Aussage beziehen ließe? Ich nicht.

Der bekannte Ökonom Hans Christoph Binswanger hat ein Buch mit dem sehr interessanten Titel „Die Glaubensgemeinschaft der Ökonomen“ geschrieben. Mit solchen Aussagen, wie die eben vorgetragenen, wird eine solche Benennung für Ökonom*innen verständlich. Was hier ausgesagt wird, hat mit unserer täglich erlebbaren Wirklichkeit wenig bis gar nichts zu tun. Das Problem ist nur, dass dieser Mann, der solches von sich gegeben hat, einer der entscheidenden Theoretiker des Neoliberalismus ist.

Er hat unsere derzeitige wirtschaftliche Situation bestimmt und mit hervorgebracht. Und was noch schlimmer ist, ma´u hat ihm dafür auch noch den Nobelpreis für Wirtschaft verliehen. Nun ist das zwar kein „richtiger“ Nobelpreis, sondern einer den die schwedische Reichsbank gestiftet hat40. Angeblich ist die Nobelstiftung am überlegen, diesem Preis seine Bezeichnung Nobel zu entziehen, da hier Standpunkte vertreten werden, die Alfred Nobel nie vertreten hätte. Aber da das kaum jemand weiß, hat er natürlich trotzdem seine entsprechende Wirkung in der Öffentlichkeit. Aber glauben Sie nicht, dass es keine weitere solcher völlig unzutreffender, die wirtschaftliche Wirklichkeit verschleiernder oder schlicht falscher Aussagen in diesem Buch gäbe.

Hayek und andere Vertreter der Österreichischen Schule behaupteten immer wieder, dass das eigentliche Ziel des Kapitalismus keineswegs das Erzielen von Gewinn sei. Hier die Meinung von Friedman: „Sie (die Natur eines freien Wirtschaftssystems) besagt, dass die verfügbaren Mittel (in diesem System) möglichst Gewinn bringend eingesetzt und Unternehmungen unter dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Profitabilität geführt werden müssen“. Allerdings unter „Beachtung der Regeln des offenen und freien Wettbewerbs und ohne Betrugs und Täuschungsmanöver“.

Wir werden noch sehen, wie gerade diese Verhältnisse heute wirklich aussehen. Und eine Seite weiter lesen wir: „Es gibt wenig Entwicklungstendenzen, die so gründlich das Fundament unserer freien Gesellschaft untergraben können, wie die Annahme einer anderen sozialen (??) Verantwortung durch Unternehmer als die, für die Aktionäre ihrer Gesellschaften so viel Gewinn wie möglich zu erwirtschaften41. M.a.W., das Fundament einer freien Gesellschaft, ist der höchstmögliche Gewinn von Aktionären. Es ist einerseits ganz entscheidend, dass jemand mal die Wirklichkeit des kapitalistischen Denkens so deutlich auf den Punkt bringt.

Es ist aber andererseits ebenso bezeichnend, dass gerade diese Position öffentlich mit allen Mitteln verschleiert bis bestritten wird, teils mit den oben genannten Aussagen von Mises` u.a. Aber auch entweder durch schlichtes Verschweigen, oder durch umfassende Propaganda, die sich dann wieder auf andere Aussagen von Friedman u.a. beziehen. Und es ist ebenso sehr bezeichnend, dass nicht selten Autor*innen solcher Texte gar nicht merken, wie ideologieblind sie sind und wie sehr sie sich sogar selbst widersprechen.

Sehr interessant und wichtig ist auch seine Sicht gesellschaftlicher Macht: „Unser Verstand sagt uns, und die Geschichte bestätigt es, dass die große Gefahr für die Freiheit in der Konzentration von Macht beschlossen liegt. Regierungen sind notwendig, um unsere Freiheit zu schützen. Sie sind das Instrument, mit dessen Hilfe wir unsere Freiheit ausüben können, doch bei der Konzentration von Macht in der Hand der Politiker beginnt die Gefahr für die Freiheit“42. Und warum werden Menschen überhaupt Politiker? „Es ist die Macht, die sie anzieht und andere Männer aus ihnen macht“.

Ja wie, wo? Und die Männer der Wirtschaft? Gibt es da denn kein Problem mit der Macht? Keineswegs. Hier seine Begründung: „Die wirtschaftliche Organisationsform, die unmittelbar für wirtschaftliche Freiheit sorgt, nämlich der Wettbewerbs-Kapitalismus, sorgt auch für politische Freiheit, da sie die wirtschaftliche Macht (also doch auch Macht??) von der politischen Macht trennt und es dabei beiden Mächten ermöglicht sich gegenseitig zu neutralisieren“43 (!!!). Na jetzt sehen Sie es: Kapitalismus ist nicht nur die heile Welt, er sorgt auch noch dafür. Und wie kann er das?

Natürlich ist das der allkönnende Markt. So heißt es weiter: „Der Markt sichert die wirtschaftliche Freiheit“ und damit natürlich auch die politische, denn „wirtschaftliche Macht kann immer wieder weithin zerstreut werden“44 (??). Es wäre ja schön, wenn dies irgendwo auf der Welt Realität wäre. Aber diese Welt, in der wir leben, ist eine ganz andere. Und das Schöne ist, dass dies Friedman an anderer Stelle wieder zugibt. So schreibt er weiter „Es ist kaum vorstellbar, dass private Unternehmen, die Dienstleistungen gegen Bezahlung erbringen (und das gilt natürlich auch für die Güterwelt), nicht ein beherrschendes Privatmonopol anstreben“45

Das bedeutet ja aber auch enorme Macht, wie ma´u ja jederzeit beobachten kann, wenn ma´u denn ohne ideologische Scheuklappen hinschaut. Es ist eigentlich kaum zu erklären, dass intelligente Menschen so widersprüchliche Äußerungen machen, ohne dass ihnen dies selbst, aber auch anderen, vor allem ihren Nach-Betern auffiele. Dies ist nur mit Hilfe der obigen Erklärungen in Richtung unserer ideologisch bestimmten „falschen“ „Bilder im Kopf“ nachzuvollziehen. Ein großes Problem wird dies aber, wenn sich solche Meinungen als Ideologien gesellschaftlich durchsetzen und die Wirklichkeit der Gesellschaft bestimmen. Die Absicht der folgenden Überlegungen ist es, diese Umstände so weit wie möglich aufzuzeigen und Möglichkeiten anderer Wahrnehmung vorzustellen.

Der besonderen Bedeutung halber, soll hier noch ein letztes Zitat von Friedman folgen, da dieses in besonderer Weise diese hier schon gezeigte Einäugigkeit, um nicht zu sagen ideologische Blindheit bestätigt. So lesen wir in dem speziellen Vorwort zur deutschen Neuauflage von 2002 folgendes: „In der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte die Doktrin (der damaligen Politik) noch gelautet, dass die Entwicklung der Dritten Welt eine zentrale Planung sowie massive Auslandshilfen erfordere. Aus dem Versagen dieses Rezeptes auf der ganzen Linie … und den beeindruckenden Erfolgen der marktorientierten Politik der ostasiatischen Tigerstaaten – Honkong, Singapur, Taiwan, Südkorea – ist eine völlig andere Entwicklungsdoktrin hervorgegangen.

Bisher haben viele Länder in Lateinamerika und Asien, und sogar einige in Afrika, die marktorientierte Richtung eingeschlagen und dem Staat nur eine relativ kleine Rolle eingeräumt. Viele ehemalige sowjetische Satellitenstaaten haben dasselbe getan. In all diesen Fällen hat – so wie auch die These dieses Buches lautet – eine Steigerung der wirtschaftlichen Freiheit zu Steigerungen der bürgerlichen und politischen Freiheiten sowie einem höheren Wachstum geführt. Wettbewerbsorientierter Kapitalismus und Freiheit haben sich als untrennbar verbunden miteinander erwiesen“46.

Diese Sätze sind auf dem Hintergrund der wirklichen Umstände fast alle schlicht falsch und daher geradezu unglaublich. In den genannten Fällen kann ma´u fast generell das genaue Gegenteil dessen feststellen, was Friedman hier behauptet. Als seine Vision oder gar Hoffnung konnte er solches beim Ersterscheinen dieses Buches 1962 noch schreiben. Aber im Jahre 2002 hatte sich längst für unideologische oder gar kritische Beobachter gezeigt47, dass so gut wie keine dieser Vorhersagen eingetroffen waren. Ganz im Gegenteil erwiesen sich diese Rezepte für die meisten der hier erwähnten Länder entweder schlicht falsch, aber in den meisten Fällen als schlicht katastrophal. Siehe hierzu eines der wichtigsten Beispiele Chile, in denen die sog. Chicago-Boys – durchweg Schüler Friedmans – dafür sorgten, dass schon nach einem Jahr mehr als die Hälfte der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben musste48.

Dieser Sachverhalt wird auch dadurch nicht besser, dass nicht nur Friedman, sondern auch nach wie vor die weitaus meisten Ökonom*innen und unsere fast schon „gleichgeschaltete“ Presse die selben unglaublichen und in vielen Fällen zynischen – in Bezug auf die da beschriebenen Umstände gemeint – Scheinwahrheiten wiederholen. Es geht darum, uns ja nicht merken zu lassen, wie bedrohlich unsere Umstände wirklich sind. Alle diese Aussagen bestätigen immer erneut den Titel eines Buches des Cambridger Ökonomieprofessors Ha-Joon Chang „23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen“. In diesem Buch beschreibt dieser z.B. die wirklichen Gründe der positiven wirtschaftlichen Entwicklung Südkoreas. Diese widersprechen dieser Aussage Friedmans absolut und grundlegend. Eines steht jedenfalls fest. Mit diesem erweist sich Friedman als einer der wichtigsten, vor allem aber einflussreichsten dieser Scheinerzeuger.

Korrekterweise muss ma´u aber hinzufügen, dass die ökonomische Wissenschaft von Beginn ihrer Entstehung an umfassend einseitig war. Und zwar dadurch, dass sie meist immer nur bestimmte, eben einseitige, in manchen Fällen (siehe Adam Smith) schlicht erfundene, besser gesagt konstruierte Sichtweisen zu ihren Fundamenten erkor. Dann aber viele dieser Sichtweisen auch dann mit Klauen und Zähnen als Ideologie verteidigte, wenn sie die realen gesellschaftlichen Verhältnisse erkennbar falsch beurteilte und die falschen „Rezepte“ empfahl. Friedman ist daher keine Ausnahme, aber die Folgen dieser von ihm geglaubten und gelehrten Ideologie betreffen heute praktisch weltweit alle Lebensbereiche und zwar in immer umfassenderer negativer bis allgemein bedrohlicher Weise. Es gilt dringend diese Zusammenhänge zu verstehen und eventuell möglichst bald zu beseitigen, da wir uns sonst im schlimmsten Falle selbst „das Licht abdrehen“.

Aber am Ende dieses Kapitels nochmals deutlich betont: alles dies, was ma´u uns in der Öffentlichkeit sowohl vom Mainstream der ökonomischen Wissenschaft, der davon beeinflussten Politik und der ebenso beeinflussten Presse ständig über den Kapitalismus erzählt, erzeugt einen puren Glorienschein um diesen. Dies gilt insbesondere über unsere „alles regelnde“ Marktwirtschaft. Dieser soll uns davon abhalten, die wirklichen Umstände in unseren Gesellschaften zu verstehen. Und wenn ma´u etwas nicht versteht, kann ma´u es auch nicht verändern. M.a.W., der derzeitige Zustand soll mit allen Mitteln erhalten werden.

Aber dieser letzte Satz ist eigentlich viel zu optimistisch. Dieser Zustand soll mit allen Mitteln zementiert werden, damit sich die derzeitigen Macht- und Ausbeutungsverhältnisse nicht ändern. Wie dies gelingt wird noch ausführlich Gegenstand sein.

23 das was wir dann oft als eigene Urteile oder gar Vor-Urteile erleben.

24 die allerdings im Unterschied zu unseren tierischen Vorfahren ziemlich begrenzt ist.

25 und tun dies heute umfassender als je zuvor, auch wenn uns das fast völlig unbekannt ist.

26 was ja machthierarchische Gesellschaften, wie die unseren gerne hätten und daher mit allen Mitteln anstreben.

27 siehe z.B. J. Piaget.

28 und nicht mehr parlamentarische, weil sich die Parlamente immer mehr darauf beschränken lassen, die von der Exekutive erlassenen Verordnungen einfach zu ratifizieren und damit sich selbst zunehmend überflüssig zu machen. Siehe zu dieser Aussage z.B. Giorgio Agamben "Ausnahmezustand", Agnoli J./ Brückner „Die Transformation der Demokratie“, Hans Helmut v Arnim „Staat ohne Diener“ oder „Die Deutschlandakte“, Mounk Yascha „Der Zerfall der Demokratie“, aber noch viele mehr.

29 siehe sein Buch „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“. Für Paradigma gelten heute allgemein gesellschaftlich eher die Begriffe Mainstream, oder „in sein“, wobei diese Begriffe nicht deckungsgleich mit Paradigma sind.

30 da diese Darstellung aber mehrere Seiten ausmacht, will ich nur einige wenige, aber besonders bezeichnende zitieren.

31 die ja heute bei den meisten Ökonom*innen üblich ist und die letztlich auch den behaupteten „Schein“ hervorbringt.

32 ma´u könnte sich hier eine Stammeskultur vorstellen.

33 a.a.O. S.37

34 a.a.O.

35 a.a.O. S.36 Hervorhebung M.F.

36 wörtlich; Übereinstimmung mit der Einstellung anderer, hier wohl eher im Sinne von Ausgleich der Verhältnisse zwischen den Menschen gemeint.

37 a.a.O. S.47

38 in den USA verfügen die oberen 1% über mehr als 60% des Privatvermögens.

39 a.a.O. S.201

40 und wessen Interessen hier vertreten werden, ist damit klar, zumal seine Einführung auf die Initiative der MPS – die von den bisher genannten 1946 in der Schweiz gegründete Mont Pellerin Society, die aktivste Geheimorganisation zur Verbreitung des Neoliberalismus mit derzeit über 400 Unterorganisationen, siehe Wik – zurückgeht.

41 a.a.O. S.164f Hervorh. PS

42 a.a.O. S.24f

43 a.a.O. S.32

44 a.a.O. S.38f

45 a.a.O. S.55 Hervorh. PS

46 a.a.O. S.17

47 wir werden uns weiter unten umfassend mit Zahlen und Fakten befassen müssen, die dies deutlich belegen

48 Belege dieser Aussage finden sie in Chossudovsky Michael „Global brutal“.

Der Mythos des Freien Marktes oder der real existierende Finanzkapitalismus

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