Читать книгу patriarchal denken und sich verhalten - Peter Schlabach - Страница 9

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Kapitel I Wir Menschen

Dieses Buch ist nicht das erste, das ich in kritischer Sicht auf uns und damit die von uns „gelebten“ gesellschaftlich-geschichtlich bedingten Verhaltensweisen und daher kommenden Realitäten schrieb, bzw. schreibe. So können Sie, verehrte Leser*innen auch die obige Kapitelüberschrift entweder wörtlich, oder zumindest ähnlich in diesen Büchern finden. Wenn ma´u sich mit dem gesellschaftlich-geschichtlichen Imaginären5 beschäftigt, kommt ma´u gar nicht daran vorbei, diesen Zusammenhang immer erneut anzusprechen. Würde ma´u dies nicht tun, bliebe jede Argumentation ohne Bezug und damit ohne nachvollziehbare Begründung.

Bevor ich aber auf das hier Gemeinte näher eingehen kann, muss ich zwei Vorbemerkungen machen.

Erstens: Das hier Darzulegende gründet umfassend auf den allgemeinen gesellschaftlichen Folgen eines Denkens, auf das ich hier näher eingehen muss. Dies bedeutet einerseits, dass der Inhalt dieser Forschungen in möglichst kurzer Form angesprochen werden muss. Andererseits aber muss deren Folgen in der gesellschaftlich-geschichtlichen Imagination so gründlich wie möglich dargelegt werden. Würde das nicht geschehen, wären die absolut grundlegenden Wirkungen dieses Denkens und daher kommenden Handelns nicht zu verstehen. Dies hat insonderheit damit zu tun, dass dieses Denken und das daher kommende Handeln alle Bereiche dieser Imaginationen umfassend vorgibt. Erst von daher werden sowohl die privaten, als auch die „öffentlichen“, sprich gesellschaftlichen Folgen verständlich und nachvollziehbar.

Zweitens ist aber am Beginn aller folgenden Hinweise, Belege und Begründungen dringend darauf zu verweisen, dass es sehr wohl persönliche Gründe gibt, sich gegen diese teils neuen Erkenntnisse zu wehren, bzw. diese abzulehnen. Die Annahme dieser Erkenntnisse und deren Folgen können teils unangenehme, teils sogar schmerzhafte Reaktionen auslösen. Das kann Ihnen jede/r Analytiker*in aus ihrer Praxis bestätigen. Absolut grundlegend ist aber, dass die Voraussetzung jeder Machthierarchie, ob öffentlicher oder privater, genau auf der Basis dieses patriarchalen Denkens besteht. Daraus folgt die immer noch allgemein praktizierten Gehorsamserziehung, ebenfalls sowohl privat wie öffentlich. Oder m.a.W. einer solchen, die uns daraus und damit zu Untertanen macht. Um aber seine immer noch existenten umfassenden Folgen auch nur annähernd richtig einordnen zu können, ist es daher wichtig zu erkennen6, dass von Beginn der Herrschaft dieses Denkens an die jeweiligen gesellschaftlichen Eliten mit allen Mitteln jedwede Veränderung dieses Denkens unterbanden und bis heute unterbinden. Wir werden uns diesen Zusammenhang noch gründlich anschauen müssen. Beginnen wir also mit einer Kurzdarstellung der wichtigsten dieser neueren Erkenntnisse.

a Weltsichtebenen, Strukturen und Linien.

Da ich die Themen der Weltsichtebenen, Strukturen und der Linien, wie oben erwähnt, in jedem meiner Bücher mehr oder weniger umfassend ausgebreitet habe, werde ich mich hier auf eine reine Aufzählung beschränken. Der Begriff der Weltsichtebenen ist dabei die Übersetzung des Begriffs der W-Meme in Bezug auf die Bücher von Ken Wilber, der sich seinerseits auf das Buch Spiral Dynamics7 von Beck und Cowan bezieht. Diese beiden Autoren waren Schüler von Claire Graves, der in weltweit durchgeführten Befragungsaktionen auf der Basis dieser Befragungsergebnisse die Theorie der Weltsichtebenen erarbeitete, bzw. entwickelte.

Diese W-Meme sind nun ihrerseits eine gewisse Weiterentwicklung der vier Stadien Piaget´s8, die dieser in seiner lebenslangen Erforschung der geistigen Evolution der Kinder erkannte. Er benannte die von ihm beobachteten Stadien

1. als sensomotorisch, andauernd bis ins Alter von ca.

2-3 Jahren, dann

2. prä-operational – prä-op – bis ca. 6-7 Jahre, dann 3. konkret-operational – kon-op – bis ca. 11-13 Jahre und ab dann, wenn überhaupt,

4. formal-operational – form-op -.

Claire Graves definierte nun auf der Grundlage seiner Forschungsergebnisse seinerseits, - höchstwahrscheinlich ohne Kenntnis der Arbeiten Piagets9 - 8 „Ebenen“, die er letztlich mit dem Begriff der W-Meme benannte. Beck und Cowan, die sein Buch nach seinem überraschwenden Tod herausbrachten, gaben den jeweiligen W-Meme noch Farbnamen. Also

1. beige; die archaische Denkebene, herrschend bis vor ca. 50 000 Jahren,

2. purpur; das magische Denken der Stammeskultur, dominant bis vor ca. 12 000 Jahren – nach Gebser eher 13 000 Jahre -,

3. rot; die egoische Ebene, dominant bis vor ca. 3 000 Jahren,

4. blau; die mythologische Ebene, dominant bis vor ca. 500 Jahren,

5, orange; das rationale Denken, das bis heute weitgehend unser Denken beherrscht, dann

6. grün; umfassende Sensibilität. Wann diese Ebene dominant wird ist noch völlig unklar.

Diese 6 Ebenen sind die des ersten Grades, oder der ersten Ordnung. Auf diese folgen die des zweiten Grades, also die

7. gelb; Ebene, die der Integration, und

8. türkis; die holistische Ebene.

Wichtig ist hier noch

erstens zu beachten, dass hier immer der Umstand einer Dominanz dieser jeweiligen Ebene gemeint ist, während die davor existierenden noch bei einer großen Zahl der jeweils lebenden Menschen weiter bestehen.

Zweitens aber ist unbedingt zu beachten, dass alle diese Ebenen in ihrer Abfolge immer von der Identifikation mit dem Wir zu der des Ich wechseln. Wie wir gleich sehen werden, spielt dieser Wechsel auch bei den Strukturen von Jean Gebser eine ganz entscheidende Rolle.

Jean Gebser hat von ganz anderer Seite her, als die beiden eben dargestellten Psychologen, unsere Bewusstseinsentwicklung erforscht. Seine Methode ist die kulturphänomenologische Betrachtung der Relikte vergangener Zeiten (Bilder, Statuen, Schriftstücke) und die Untersuchung der Worte und ihrer Wurzeln. Es ist aber mehr als bezeichnend, ja umfassend bestätigend, dass die von ihm „erkannten“ Strukturen10 in erheblichem Umfange mit denen von Graves korrespondieren.

So zählt er die

archaische, die

magische (Stammesdenken), die

mythische und die

mentale Struktur auf, der derzeit eine

integral-aperspektivische Struktur folge11.

Die beiden Strukturen mythisch und mental unterteilt er aber jeweils in eine effiziente und eine defiziente Phase. Er benutzt dabei für die jeweiligen defizienten Phasen die gleichen Begriffe, wie Graves. Da ist zunächst

egoisch im mythischen Denken für die defiziente am Ich orientierte Struktur und

rational für die defiziente, ebenfalls am Ich orientierte mentale Struktur.

Sollte es sich irgendwann herausstellen, dass auch die aperspektivische Struktur so unterteilt werden könnte, hätten wir auch hier 8 Strukturen.

Im Verlaufe des folgenden Textes werde ich immer wieder auf alle diese jetzt dargestellten Ergebnisse eingehen müssen. Erst dabei werden sich deren wirkliche Bedeutung im Verständnis unseres Denkens und daher kommenden Verhaltens erweisen.

Es ist ja nicht uninteressant, dass alle diese Forschungsergebnisse allgemein zugänglich sind. Aber gleichwohl sind sie sowohl in der öffentlichen als auch der wissenschaftlichen Debatte praktisch unbekannt und werden daher eben auch nicht berücksichtigt.

Das ist um so erstaunlicher, da Denker wie Hegel, Comte, Spencer, Whitehead oder Dewey teils schon zum Teil weit davor glaubten in der menschlichen Bewusstseinsgeschichte eine fortschreitende Höherentwicklung zu erkennen. Sie vermuteten zum Teil, dass in deren Verlauf frühere Bewusstseinsformen als „Irrtümer“ erkannt und von neuen, „besseren“ Bewusstseinsformen abgelöst wurden. Ich werde weiter unten noch aufzeigen, dass es für diese scheinbare Ignoranz ganz handfeste, aber öffentlich weitgehend unbekannte Gründe gibt.

Den letzten Bereich auf den ich hier noch kurz hinweisen muss, ist der der Linien. Was meint ma´u mit diesem Begriff? Im Nachgang zu den Forschungen Piaget`s erforschten im Laufe der Zeit12 immer mehr Psycholog*innen immer umfänglicher, das was Piaget entdeckt hatte. Dabei gingen sie zunächst davon aus, dass diese unsere kognitiven Fähigkeiten die einzigen sind, die zu erforschen seien. Es stellte sich aber schon sehr bald heraus, dass dies ein Trugschluss war. So zeigte es sich, dass wir Menschen über eine große Zahl weiterer geistiger und psychischer Möglichkeiten verfügen. Die wichtigsten seien hier kurz aufgezählt; sie beschreiben die

Kognition,Moral,Affekte,
Selbst-Identität,Psychosexualität,
Erkenntnisweisen,Vorstellungen vom Guten,
Rollen,sozioemotionale Fähigkeiten,
Kreativität,Altruismus,Fürsorge,
Offenheit,Anteilnahme,Spiritualität,
Freude,kommunikative Kompetenz,
Modi von Raum und Zeit,Ergreifen des Todes,
Bedürfnisse,Weltanschauungen,
logisch-mathematische Kompetenz,
kinästhetische Fertigkeiten, Geschlechtsidentität und Empathie13.

M.a.W., jeder Bereich dessen, was uns Menschen geistig-psychisch ausmacht, kann unter dem Begriff der Linien eingeordnet und erforscht werden. Entscheidend gilt es aber als erstes festzuhalten, dass alle Linien weitgehend voneinander unabhängig sind. Um das Konzept der Linien richtig zu verstehen, um entsprechend damit umgehen zu können, ist dies Voraussetzung.

M.a.W., die näher beobachteten und dann definierten Linien lassen sich nicht aufeinander rückbeziehen. Sie haben alle ihre eigene, in der jeweiligen Definition beschriebene Kompetenz. Noch entscheidender ist aber, dass sie sich alle je eigenständig, „in unterschiedlichem Tempo, mit einer unterschiedlichen Dynamik und nach einem unterschiedlichen Zeitplan“ entwickeln. „Auf jeden Fall hat der größte Teil der Forschung herausgefunden, dass jede Entwicklungslinie selbst die Tendenz hat, sich in einer schrittweisen, holarchischen (umfassenden) Weise zu entfalten. Höhere Stufen in jeder Linie tendieren dahin, auf den früheren Stufen aufzubauen und sie mit einzubeziehen. Keine Stufe kann übersprungen werden. Und die Stufen treten in einer Ordnung in Erscheinung, die durch Konditionierung durch die Umwelt oder soziale Verstärkung nicht verändert werden kann.

Bisher spricht beachtliches Belegmaterial dafür, dass das für alle Entwicklungslinien gilt“14. Die eben angesprochenen Stufen – zunächst drei an der Zahl - werden bei allen Linien in gleicher Weise erkannt. Nämlich

eine erste sensomotorische15,

eine zweite konkrete Stufe, bei der es um konventionelle Handlungen, oder die Übernahme von Rollen geht und

eine dritte abstraktere, formalere, post(nach)konventionelle Stufe.

Wie aber „erwerben“ wir uns alle diese Fähigkeiten? Fallen uns diese sozusagen ganz einfach zu? Natürlich überhaupt nicht. Alle diese Fähigkeiten müssen wir erlernen. Oder m.a.W., hier kommt absolut deutlich zum Vorschein, dass wir als Menschen eben grundlegend umfassende Lernwesen sind. Wie aber vollzieht sich dieser Lernprozess, bzw. wie läuft er ab?

b Psycho-Analyse

Die Psychologie erkannte im Laufe der Zeit immer deutlicher, dass wir Menschen vor allem und zuerst umfassende Lernwesen sind. M.a.W., den weitaus überwiegenden Teil derjenigen Fähigkeiten und Kenntnisse sind das Ergebnis von Lernprozessen, die wir zur Bewältigung unseres Lebens brauchen. Nach neueren Erkenntnissen beginnen diese schon im Mutterleib. Auf jeden Fall aber vom ersten Tag unseres Lebens an. Sie wird uns nicht wie den Tieren mit Hilfe von Instinkten und Prägungen „unbewusst“ vorgegeben,

Dieser Umstand ist wohl die fundamentale Voraussetzung dafür, dass wir uns von Beginn unserer Existenz als Menschen an mit zunehmender Geschwindigkeit zu geistigen Wesen entwickeln konnten16, Aber da wir in einer relativen und evolutiven Welt leben, hat auch dieser Umstand zwei Seiten, eine positive und eine negative. Wie ist das zu verstehen, bzw. zu erklären und dann auch zu akzeptieren?

Dass diese Welt auch – neben anderen - evolutiven Gesetzen gehorcht, ist wohl allgemein bekannt und weitgehend von den Menschen angenommen. Was dabei allerdings weniger bis gar nicht beachtet wird, ist der Umstand, dass alles Existierende diesem Grundprinzip unterworfen ist. Oder anders formuliert, alles was überhaupt dem Prinzip der Existenz entspricht, was im Sein ist, befindet sich ab dem Beginn dieser seiner Existenz in Evolution.

Dies gilt auch für solche „Existenzweisen“, wie die Technik oder das Geld. Dies sind nur zwei von vielen. Deren daherkommende evolutive Folgen haben aber für uns Menschen ganz gravierende Folgen, ob wir dies wahrnehmen oder nicht (s.u.). Wenn dies aber so allgemein gilt, gilt dies selbstverständlich auch für unsere umfassende Lernbereitschaft und deren Folgen.

Was aber meint der Begriff des Relativen ganz konkret in diesem Zusammenhang? Nun, wir können bestimmte Umstände immer nur in Bezug auf ihr Gegenteil wahrnehmen und verstehen. Siehe z.B. hell – dunkel, groß – klein, dick und dünn usw. Spätestens die Griechen erkannten diesen Umstand - siehe z.B. Heraklit, oder den Homo-Mensura-Satz von Protagoras - nach deren Überzeugung die Erfahrungswelt des Menschen als ein Ganzes von Gegensätzen zu verstehen ist. Oder noch anders formuliert; spätestens Piaget, aber auch Heidegger haben mit Nachdruck darauf verwiesen, dass wir Begriffe nur dann wirklich verstehen, wenn wir sie im wahrsten Sinne des Wortes begriffen haben. Genauer, wenn sie das Ergebnis von Erfahrungen damit sind.

Wenn aber nun diese unsere grundlegende Lernerfahrungsmöglichkeit, wie alles Evolutive, zwei Seiten hat, was könnte das dann genauer meinen? Viele Psycholog*innen weltweit haben diese Zusammenhänge in den Zeiten nach Piaget immer gründlicher untersucht und dabei immer wieder folgende Beobachtungen gemacht. Wenn ein neugeborenes Kind von Eltern als eine eigenständige „Person“ auf- und angenommen wird, dann entsteht aus einem solchen Eltern Kind Verhältnis eine selbstbewusste17, empathische Person. Voraussetzung dafür ist, dass

ma´u sich absolut liebevoll verhält und

dessen eigene Wünsche und Bedürfnisse nicht nur als dessen eigene wahrgenommen werden,

sondern auch umfassend unterstützt werden.

Eine solche Person lässt sich dann weder selbst manipulieren, noch versucht sie andere zu manipulieren. Das wäre die positive Seite. Die negative Seite dieses Umstandes entsteht aus einem Eltern-Kind-Verhältnis, in der das Kind missachtet und im Sinne von absolutem Gehorsam „dressiert“18 wird. Aus einem solchen Verhältnis können wir nur noch umfassend manipulierbare seelisch leere psychische Krüppel erleben. Es sind vor allem diese, die nach jeder Autorität lechzen, um sich an dieser zu orientieren, aber je nach Umständen auch missbrauchen zu lassen.

Diese sehr „deutliche“ Aussage wird höchstwahrscheinlich sehr viele Leser*innen sehr erzürnen bis beleidigen. Bevor Sie nun dieses Buch in die Ecke werfen, wäre es da nicht angebracht, gerade auch im eigenen Interesse, sich mal einige Hinweise und Belege anzuschauen? Liefert uns denn nicht unsere Geschichte seit rund 6000 Jahren jeden Beleg für diese Aussage? Und sollten wir denn nicht endlich die unglaublichen Exzesse in allen Folterkellern, insonderheit aber allen KZ´s und Gulags dieser Welt ernst nehmen? Vor allem aber nach den wirklichen Gründen dafür fragen, warum zu diesen unglaublich unmenschlichen Handlungen gerade so viele ganz „normale“ Menschen ohne größere Probleme in der Lage waren? Und hat nicht ein Mann namens Stanley Milgram seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts19 in diesen Experimenten20 bei jedem dieser Abläufe weltweit immer erneut umfassendes Beweismaterial erbracht?

Ich bin mir absolut des Umstandes bewusst, in welchem Maße wir uns alle gegen diese Erkenntnisse wehren. Vor allem aber wenn erforderlich die eigene Schuld „übersehen“ oder gar umfassend verdrängen. Gerade die jüngere deutsche Geschichte nach dem Ende der Nazidiktatur zeigt diesen Vorgang exemplarisch. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch darauf zu verweisen, dass sowohl die schon seit Beginn dieser Entwicklung (s.u.) existierende Sklaverei, als auch die europäische Kolonialzeit unter diesem Blickwinkel keineswegs besser dastehen. Auch hier wurden ganze Völker nahezu ausgelöscht, siehe insbesondere in den USA, was viele der dortigen Einwohner ebenfalls bis heute umfassend verdrängen bis verleugnen.

Also nochmals ganz deutlich; alle patriarchal und damit autoritär denkenden und organisierten Gesellschaften21 leben genau diese negative Seite unserer umfassenden Lernfähigkeit immer erneut vor. Sie sind sich allerdings dieses Umstandes überhaupt nicht bewusst, siehe das Thema Verdrängung. Es ist daher absolut unverzichtbar22, dass wir uns endlich diese Zusammenhänge näher anschauen. Und es gibt ja inzwischen seit annähern 150 Jahren eine eigene Wissenschaft, die sich speziell mit diesem Thema befasst, die Analyse. Dieser werden wir uns hier näher zuwenden.

b1 Einige kritische Anmerkungen zur Analyse als Wissenschaft

Bevor wir das können, müssen allerdings auch hier einige wichtige Anmerkungen gemacht werden, um die „richtigen“23 Erkenntnisse wahrzunehmen und darzustellen. Die Analyse, insonderheit aber ihre Geschichte, war von Beginn an zunächst von inneren „Verwerfungen“ bis Spaltungen geprägt. Insonderheit wurde aber diese Wissenschaft in der Gesellschaft von allen gesellschaftlichen bis wissenschaftlichen Seiten angegriffen bis diffamiert. Beginnen wir bei den inneren Verhältnissen.

Diese begannen schon ganz am Beginn mit der „Trennung“ von Freud und Jung, deren Schulen bis heute getrennt blieben. Das hatte insonderheit damit zu tun, dass Freud einen zu engen Libidobegriff postulierte und seinen Analyseansatz zu sehr auf die Sexualität und deren frühkindliche Entwicklung eingrenzte. In ein solches Konzept passten weder Jungs Vorstellungen einer sog. Synchronizität24, noch seine Einstellungen in Bezug auf eine Verbindung von Psychologie und Astrologie, oder gar zur Alchemie. Aber schon gar nicht einer grundlegenden Verbindung von Psyche und Materie, wie sie schon damals Jung vertrat und erst neuerdings von der Quantentheorie „wiederentdeckt“ wird.

Darüber hinaus vertrat Freud auf der Grundlage seiner Erkenntnisse aus seiner analytischen Praxis schon sehr bald eine insgesamt gesellschaftskritische Position, die, wie sich später herausstellte, innerhalb seiner Anhängerschaft zu größeren Problemen führte. Wer sich ernsthaft mit diesem Thema näher beschäftigen will, der sei auf das Buch von Horst Eberhard Richter „Bedenken gegen Anpassung“ verwiesen, in dem dieser die Geschichte der Analyse sehr kenntnisreich darstellt. Besonders wichtig sind hierbei aber ihre in weiten Kreisen ihrer Anhänger, ja selbst bei Analytikern und Lehrern zu beobachtende Unterwerfung sowohl an politische Verhältnisse25, als auch unter den allgemeinen gesellschaftlichen Widerstand. Den letzteren Zusammenhang erkannte schon Freud aus seinen eigenen Erfahrungen mit der Anwendung seines neuen Ansatzes und die daher kommenden teils absolut heftigen gesellschaftlichen Reaktionen. So schreibt Richter zutreffend: „Als Freud 1910 mit einer kleinen Zahl von Anhängern die internationale Psychoanalytische Vereinigung> gründete, war ihm bewusst, dass er sich auf eine lange kämpferische Auseinandersetzung mit Kräften der Gesellschaft einließ, die sich der Anerkennung seiner provozierenden Entdeckungen leidenschaftlich widersetzen würden. Er betrachtete diese Gegenwehr nicht als böswillig, vielmehr als notwendig“.

Freud persönlich: „<Die Gesellschaft wird sich nicht beeilen uns Autorität einzuräumen. Sie muss sich im Widerstand gegen uns befinden, denn wir verhalten uns kritisch gegen sie, wir weisen ihr nach, dass sie an der Verursachung der Neurosen selbst einen großen Anteil hat. Wir werden einzelnen durch die Aufdeckung des in ihm Verdrängten zu unserem Feinde machen, so kann auch die Gesellschaft die rücksichtslose Bloßstellung ihrer Schäden und Unzulänglichkeiten nicht mit sympathischem Entgegenkommen beantworten; weil wir ihre Illusionen zerstören, wirft man uns vor, dass wir die Ideale in Gefahr bringend>“26.

Es zeigte sich allerdings, dass auch Freud selbst dazu beitrug, solche Probleme mit hervorzubringen. Das hatte mehrere Gründe;

die Analytische Vereinigung machte sowohl in ihrer inneren Entwicklung Fehler,

als auch ihrer weitgehenden Nicht-Reaktion auf die sich immer deutlicher entwickelnden Diktaturen,

vor allem aber in Bezug auf ihre eigenen inneren Probleme bis totalem Ausfall ihrer eigenen Absichten.

Hier ein Beispiel; So hatte Freud allen seinen Schüler*innen und Anhänger*innen in den Richtlinien der neu gegründeten Analytischen Vereinigung vorgeschrieben, dass niemand eigene Familienmitglieder analysieren dürfe. Hier könnten persönliche Beziehungen zu sehr das eigene Urteil beeinträchtigen. Gleichwohl hinderte ihn das nicht daran seine eigene Tochter Anna selbst einer solchen Analyse zu unterziehen.

Darüber hinaus findet sich in dem Tagebuch Sandor Ferenczis eine höchst verräterische Anmerkung zur inneren Haltung Freuds gegenüber seinen Patient*innen. Ferenczis Tagebuch vermerkt am 1. Mai 1932 folgende private Äußerung Freuds: „Die Patienten sind ein Gesindel“. Und Freud selbst kommentiert diese Bemerkung wie folgt: „Die Patienten sind nur gut, um uns leben zu lassen und sie sind Stoff zum Lernen. Helfen können wir ihnen ja nicht27.“ Zu dieser Bemerkung sei angemerkt, dass ma´u bei praktizierenden Ärzten in privaten Gesprächen durchaus ab und zu mal vergleichbare Äußerungen hören kann.

Noch wichtiger aber, um auf die äußeren „Verwerfungen“ einzugehen, wurde der immer schwächer werdende Widerstand gegen die sich anbahnende Herrschaft der Nazis. Freud selbst hatte in seiner Arbeit „Massenpsychologie und Ich-Analyse“ die ersten wichtigen Hinweise und Begründungen geliefert, auf welchen psychischen Voraussetzungen der umfassende Erfolg Hitlers beruhte. Ich werde weiter unten auf diesen Zusammenhang noch umfassend zurückkommen.

Aber als sich deren Herrschaft immer deutlicher abzeichnete, waren es nur Ernst Simmel und Wilhelm Reich, die in wichtigen Schriften diese Entwicklung näher darstellten und ihre Gründe näher beschrieben28. Dafür warf ma´u dann Reich 1933 aus der Analytischen Vereinigung. Niemand aus dem Bereich der Analytischen Vereinigung fand den Mut – auch Freud nicht -, auch nur eine öffentliche Bemerkung zu dieser Entwicklung zu machen. Die Folgen dieses Verhaltens waren verheerend. Einerseits mussten vor allem die jüdischen Mitglieder, die ja bis dato die weitaus meisten Mitglieder der Analytischen Vereinigung stellten, emigrieren. Wilhelm Reich 1933, Ernst Simmel, Otto Fenichel, Erich Fromm, alle 1934 und Freud selbst 1938, um nur die bekanntesten zu nennen. Viele landeten in den KZ´s.

Die Analytische Vereinigung selbst aber verriet nach dem Rauswurf Reichs ihre eigene gesellschaftskritische Grundhaltung, die ja in der Gründungsrede Freuds 1910 noch deutlich betont worden war. Richter zitiert in seinem Buch einige Beispiele von Vertretern der Analytischen Vereinigung, wie weit ma´u während dieser Zeit der „politischen Macht entgegen kam, um sich als harmlose Wissenschaft darzustellen. Die Sorge der Psychoanalyse unbedingt ihre organisatorische Basis zu erhalten, trübte offensichtlich den Blick dafür, dass der gezahlte Preis die Substanz der Sache beschädigte, die man schützen wollte“29.

Dieser Umstand ist aber bis heute völlig offensichtlich. Was das letztlich ganz konkret bedeutete, kommt in einem Zitat Jacobys von 1985 deutlich zum Vorschein, das Richter zum Beleg dieses Umstandes aufnimmt: „Ihre kühnsten Theoretiker entfalteten niemals wieder die intellektuelle Kraft, die sie in den Jahren vor Hitlers Machtergreifung ausgezeichnet hatte“30. Wie sich aber gleich zeigen wird, ist diese pessimistische Sicht auf die Analyse zwar in weiten Bereichen zutreffend, insonderheit in deren Entwicklung in den Ländern Amerikas.

Das hatte in den USA vor allem damit zu tun, dass während der Zeit der Emigration die Geflüchteten in den USA noch keinen anerkannten „Status“ hatten, Vor allem aber traf ma´u auf eine damals dominante behavioristische Psychologie, die eh „innere“ psychische Abläufe ignorierte und bestritt. Aber wie die Beispiele Fromm, Mitscherlich, Richter und ganz besonders Arno Gruen zeigen - um die bekanntesten zu nennen -, gab und gibt es sehr wohl noch Personen, die gerade auch in jüngerer Zeit wieder diesen gesellschaftskritischen „Faden“ aufnahmen, und deutlich weiterentwickelten.

Es sei aber nicht verschwiegen, dass die weitaus meisten Lehrer*innen, die in der Folgezeit die Analyse unterrichteten, diese Wissenschaft entweder zu einer Anpassungsfraktion an das bestehende gesellschaftlich-geschichtliche Imaginäre „umformten“. Vor allem aber diesen Ansatz ganz in den medizinisch-psychiatrischen Bereich „übernahmen“, wo sie nun wirklich nichts zu suchen hat und was schlicht dem Tod dieser Wissenschaft gleichkommt. Wie wir noch sehen werden, gibt es hier deutlich erkennbare gesellschaftliche Kräfte, die eine solche Entwicklung mit allen Mitteln förderten und weiterhin fördern. Wie sich aber die Weiterführung des ursprünglich gesellschaftskritischen Ansatzes heute darstellt, wollen wir uns auf den folgenden Seiten näher anschauen.

b.2. Derzeitiger Stand einer gesellschaftskritischen Analyse

Im folgenden Text werde ich mich insbesondere auf Texte und Zitate von Fromm und Gruen beziehen, diese aber an gegebener Stelle durch weitere Hinweise anderer Wissenschaftler*innen ergänzen. Beginnen wir mit Gruen. In seinem Buch „Der Fremde in uns“ beschreibt er die in allen Zivilisationen übliche autoritäre Kindererziehung immer wieder unter verschiedenen Gesichtspunkten. Hier eine Darstellung, die eine Grundeinstellung zum Ausdruck bringt, die in allen Zivilisationen praktisch immer gilt. „Die Natur der Beziehung zwischen Kindern und Eltern ist die eines Machtkampfes, in dem verhindert werden soll, dass sich der <unreife> Wille des Kindes durchsetzt. Verschleiert wird dabei aber, dass es nicht um ein <Zivilisieren>, sondern um die Festschreibung von Herrschaft geht“.

Weiter unten werde ich umfassend darstellen und begründen, dass es insonderheit die ab Beginn aller Zivilisationen existierenden machthierarchischen Herrschaftsverhältnisse waren, die diese erst hervorbrachten. „Die so geartete Sozialisation des Kindes soll dafür Sorge tragen, dass die Motivation zum Gehorsam gegenüber den Mächtigen tief in der menschlichen Seele verankert wird. Das geht aber nur, indem man die Bedürfnisse, Wünsche und Gefühle, die dem Kind eigen sind, zum Schweigen bringt. Selbst Freud war noch in dieser Ideologie befangen. Trotz all seiner revolutionären Ideen, mit denen er die Kindheit ins Zentrum seines Denkens rückte, hielt er an der Vorstellung vom <unvermeidlichen> Kampf zwischen Eltern und Kind fest. Er war der Meinung, jedes Kind sei von universalen Trieben beherrscht und habe nichts anderes im Sinn, als rücksichtslos seine Lüste zu befriedigen. Der Kultur (Zivilisation) schrieb er die Hauptaufgabe zu, diesen Trieben Einhalt zu gebieten, bevor andere dadurch zu Schaden kämen“. Hier kommt erneut etwas Wichtiges in der Einstellung Freuds zum Vorschein, nämlich: „dass das Kind, das seinen ureigenen Bestrebungen überlassen wird, eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet“31

Was das konkret meint, beschreibt Gruen deutlich folgendermaßen: „Unsere wirklichen Bedürfnisse und das, was unser Selbstverständnis und unser Bewusstsein als Menschen formt, sind der gesellschaftlichen Ordnung unterworfen und damit fremdbestimmt“32. Der Philosoph Günter Dux drückt es noch deutlicher aus: „Der Mensch ist, wozu ihn seine eigene Geschichte gemacht hat“33. Aber an anderer Stelle beschreibt Dux ganz klar, was wirklich vor sich geht: „Die anderen (vor allem die Eltern, aber auch andere Menschen) gehören der gemeinsamen Welt (die das heranwachsende Kind erlebt und die es formt) nicht nur hinzu, die Welt (des Kindes, im Denken und Handeln) ist eine durch sie (diese anderen) vermittelte Welt. Das Subjekt (also das Kind) hat Welt immer nur in der Anbindung an andere und in der Vermittlung durch sie“34.

Um es nochmals besonders zu betonen und damit hervorzuheben: es sind die gesellschaftlichen Umstände und Bedingungen, die uns sowohl die Vorbilder, als gerade auch die Denk- und Verhaltensmuster – also die Ebenen und Linien - vorgeben, die wir als Kinder durch Lernen erwerben. Das hat nicht das Mindeste mit den auch gerade von Freud unterstellten „Lüste“ der Kinder zu tun. Zum Beleg sei hier besonders an das Konzept der Linien erinnert, das hier deutlich erklärt, wie das alles vor sich geht, bzw. was durch diese Lernprozesse erworben wird. Nämlich alles, was uns als Menschen ausmacht, gerade und vor allem als Gemeinschaftswesen.

Nun ist es ja bekannt, dass in unseren patriarchal geprägten Gesellschaften vor allem Gewalt das alles beherrschende Fundament zwischenmenschlicher Beziehungen darstellt. Ob dies direkt oder indirekt, ob bewusst oder unbewusst, ob strukturell oder symbolisch vor sich geht, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Aber „der Ursprung von Gewalt und Zerstörerischem liegt in unserem Umgang mit unseren Kindern. Durch die 6000 Jahre alte Geschichte der Kindheit in den sog. (patriarchal geprägten) Hochkulturen zieht sich wie ein roter Faden die Ablehnung der Lebendigkeit und des Eigenlebens der Kinder“35. Was meint das aber genauer und welche Folgen hat das bis heute?

Gruen schreibt dazu folgendes: „Die menschliche Entwicklung bietet (als deren Voraussetzung) zwei Möglichkeiten, die der Liebe und die der Macht“. Aber es ist bekannt, dass jede Art von Zivilisation seit Beginn ihrer Existenz36, wie ich eben mit Gruen zitierte, von Beginn an grundlegend auf der Macht einzelner Personen über alle anderen Personen, die zu einer jeweiligen Gesellschaft zählten, basierte. Das aber hatte von Beginn dieses gesellschaftlich-geschichtlichen Imaginären an, das wir seither als Zivilisation kennen und ständig bejubeln, zur Folge, dass die Erziehung aller in diesen Kulturen heranwachsenden Kinder auf der Voraussetzung von Macht- bzw. Gewalteinsatz erfolgt.

Und so fährt Gruen an gleicher Stelle auch sehr bezeichnend fort: „Der Weg der Macht, die (daher) den meisten Kulturen zugrunde liegt, führt (durch eine so geprägte Erziehung) zu einem Selbst, das die Ideologie (also einem falschen Bewusstsein in Bezug auf diesen Zusammenhang) des Herrschens wiederspiegelt. Es ist ein Selbst (das daher fast in jedem Erwachsenen solcher Kulturen existiert), das auf einem Gespaltensein beruht, nämlich jener Abspaltung im Selbst, welche Leiden und Hilflosigkeit als eigentliche Schwäche ablehnt und Macht und Herrschaft als Mittel, Hilflosigkeit zu verneinen, in den Vordergrund stellt. Ein so beschaffenes Selbst ist das Prinzip dessen, was als Erfolg in unserem Leben gilt“37.

Daraus folgt aber ganz eindeutig: „Macht, Herrschaft und Kontrolle über den anderen (wen auch immer), auch über unser Kind sind der Sinn unseres (so gespaltenen) Selbst. Wenn wir aber die Seinsweise des (so behandelten) Säuglings auf diese Weise betrachten und uns fragen, worin seine erste Lernerfahrung besteht, so kommen wir zu einer unausweichlichen Folgerung; er lernt, dass nichts (selbständig) zu lernen ist. Das Kind lernt, seine eigenen Reaktionen nicht zum Ausgangspunkt der Entwicklung seines eigenen Wesens zu machen. Diese Erfahrung des Lernens, dass nichts zu lernen ist, ist der Anfang des Abbruchs der Autonomie (eines erwachsenen Menschen), der Anfang einer Fehlentwicklung, in der wir nur noch lernen, die eigenen Bedürfnisse eher als etwas Gefährliches, ja Feindliches zu erfahren. Dieses Phänomen der Lernerfahrung der Leere ist (aber) für uns verdeckt, da die (daher kommende) herrschende Denkweise - und auch (die gängige) Lerntheorie -, das Lernen als einen im wesentlichen von außen her bestimmten (sprich; von anderen vorgegebenen) Prozess darstellen“38.

Hier beschreibt Gruen genau den Umstand, den ich in allen meinen Büchern39 immer wieder anspreche, dass nämlich alle unsere „normalen“, vor allem aber die öffentlichen Bildungseinrichtungen genau nach diesem fremdbestimmenden Prinzip funktionieren. Nämlich mit allen Mitteln zu verhindern, dass selbständig denkende Menschen durch öffentliche Bildung hervorgebracht würden. Alle derzeitigen politischen und öffentlichen Systeme sind nämlich nach wie vor patriarchal machhierarchisch organisiert und können daher nur auf Gehorsam gedrillte und fremdbestimmt denkende Untertanen gebrauchen.

Fromm beschreibt diesen Zusammenhang ganz ähnlich. Er schreibt: „In der autoritären Moral gibt es eigentlich nur eine Sünde – das ist der Ungehorsam. Und es gibt (nur) eine Tugend – das ist der Gehorsam“. Fromm führt an gleicher Stelle auch einen der bis heute gültigen Gründe dafür an. Da ja von Beginn ihrer Existenz an alle jedwede Zivilisation auf der Herrschaft weniger und der damit einhergehenden Unterdrückung und Ausbeutung der absolut überwiegenden Mehrheit – meist mehr als 90% - beruhte, muss folgender Grundsatz gelten: „Je mehr der Mensch verzichten muss, um so mehr muss er im Gehorsam gedrillt werden, damit er gegen die Zumutung des Verzichts nicht rebelliert“40.

Nun ist es ja nicht so, dass es nicht immer wieder Menschen gab, die zumindest auf die wichtigsten Zusammenhänge verwiesen hätten. Hier drei der wichtigsten: Lao tse schreibt in seinem 46. Traktat: „Es gibt keine größere Sünde als viele Wünsche. Es gibt kein größeres Übel als kein Genüge kennen. Es gibt keinen größeren Fehler als haben wollen“41. Für Buddha war der Schlüssel zur Erleuchtung der „Achtfache Weg“ des Loslassens von allem Anhangen an äußeren Umständen oder gar Gegenständen und das Hinwenden nach Innen42. Und Jesus antwortete auf die Frage des „reichen Jünglings“, wie er ihm folgen könne: „Willst Du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe, was Du hast, und gib´s den Armen, so wirst Du einen Schatz im Himmel haben; und komm und folge mir nach“43. Und an anderer Stelle: „Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz“44. Und weiter: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“45. Und das sind nur Stellen im Matthäusevangelium.

Aber haben wir uns jemals in den immer noch machthierarchischen Gesellschaften daran gehalten, die ja nach wie vor auf der Ausbeutung der „unteren“ Bevölkerungsschichten basieren? Natürlich nicht. Zu unserer allgemeinen Beruhigung, aber auch derjenigen die eventuell ab und zu mal ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn sie „erkennen“ (???) was hier wirklich vor sich geht, haben wir uns Götzen erfunden und uns zu deren Dienern gemacht. So beschreibt Fromm diesen Zustand mit folgenden Worten sehr präzise: ein solcher Götzendienst erfolgt aus dem „Sich-Unterwerfen unter Dinge, den (dadurch hervorgerufenen) Verlust des inneren Selbst, der Freiheit und des Mit-sich-selbst-in-Beziehung-Setzens durch die Unterwerfung“. Unsere Götzen heißen „Besitz, Macht, materielle Produktion, Konsum, Ehre, (Prestige) und wie alle diese Sachen genannt werden, die der Mensch heute anbetet und denen er sich selbst versklavt“46.

Wie Sie, verehrte Leser*innen, aus der anhängenden Literaturliste erkennen können, kenne ich sowohl von Gruen, als auch von Fromm und vielen weiteren Analytiker*innen eine große Zahl weiterer Bücher, aus denen ich noch weitere Belege für diesen unseren allgemein gesellschaftlichen krankhaften Zustand anfügen könnte. Da aber dieses Buch einen ganz anderen Zusammenhang darstellen soll, möchte ich es hier mit diesen Zitaten bewenden lassen.

Angemerkt sei allerdings noch, dass diese jetzt hier angeführte gesellschaftskritische Sicht der Analyse nun keineswegs nur auf die zitierten Personen beschränkt ist. Insonderheit in den Büchern von Arno Gruen finden sie eine ganz erhebliche Zahl von Belegen und Querverweisen auf Mediziner, Psychologen, Soziologen bis Dichtern, die diese seine Sicht immer wieder von ganz verschiedenen Seiten her bestätigen und durch Forschungsergebnisse belegen. Es kann aber natürlich dabei nicht verschwiegen werden, dass deren Interpretationen ihrer Ergebnisse in einigen Fällen nicht mit denen von Gruen übereinstimmen.

Einer der wichtigsten Belege für diesen Umstand liefert gerade Milgram. Dessen Forschungsergebnisse bestätigen, zwar Gruen absolut grundlegend. Dessen Erklärungen hängen aber, wie sehr häufig gerade in der amerikanischen Psychologie, völlig auf einer oberflächlich gesellschaftskonformen Sicht fest. Diese können seine Ergebnisse nicht wirklich erklären Ganz im Gegenteil lieferten sie viel Stoff für Angriffe von unterschiedlichsten Seiten auf seine Ergebnisse. Es bleibt hier aber schlicht festzustellen, dass die von den hier angesprochenen Personen dargebotene gesellschaftskritische Sicht auf unsere gängigen gesellschaftlich-geschichtlichen Imaginationen diese alleine erklären kann. Diesen Umstand werde ich weiter unten umfassend begründen, aber natürlich nicht nur in Bezug auf die Sichtweise der Analyse, sondern werde weitere Belege auch aus anderen Bereichen anführen.

5 a.a.O.

6 wenn ma´u denn unter der Voraussetzung dieser Kenntnisse genauer hinschaut.

7 Beck und Cowan „Spiral Dynamics“

8 siehe z.B. sein Buch „Meine Theorie der geistigen Entwicklung“, in dem er seine Ergebnisse selbst zusammengefasst darstellt.

9 Beck und Cowan erwähnen Piaget nur einmal soz. eher am Rande

10 er lehnte die Bezeichnung Ebene oder Stufe als zu statisch ab

11 Jean Gebser „Ursprung und Gegenwart“

12 zunächst vor allem in der USA

13 aus Ken Wilber „Integrale Psychologie“ S.45f

14 a.a.O. Hervorh. K.W.

15 also durch Reize angeregte Bewegung und/oder Reaktion

16 siehe die oben angeführten Entwicklungen

17 also sein Selbst wahrnehmende, weil es in ihm wirklich existiert

18 siehe hierzu neben vielen noch zu erwähnenden, Castoriadis in seinem schon dargestellten Buch.

19 Er wollte damit erfahren, wie und warum „normale“ Menschen sich immer erneut echten oder auch nur scheinbaren Autoritäten „unterwerfen“, um Mordbefehle auszuführen.

20 Stanley Milgram hat dies in seinem Buch „Das Milgram-Experiment“ umfassend dargelegt und damit erneut bewiesen.

21 Die Beweise zu dieser Aussage finden Sie unten.

22 wenn wir irgendwann diesem Dilemma entkommen wollen

23 im Sinne von zutreffend im eben angesprochenen Sinne gemeint

24 Als Synchronizität (von griechisch synchron, gleichzeitig) bezeichnete Carl Gustav Jung relativ zeitnah aufeinander folgende Ereignisse, die nicht über eine Kausalbeziehung verknüpft sind, vom Beobachter jedoch als sinnhaft verbunden erlebt werden.

25 siehe hier insbesondere während der Nazidiktatur

26 a.a.O. S.19

27 in Wikipedia unter „Sandor Ferenczi“

28 Ernst Simmel „Nationalsozialismus und Volksgesundheit“ 1932 und Wilhelm Reich „Massenpsychologie des Faschismus“ 1933

29 a.a.O. S.43

30 a.a.O. S.45

31 a.a.O. S.21.

32 A.G. „Der Verlust des Mitgefühls“. S.10

33 Günter Dux „Historisch-genetische Theorie der Kultur“ S.101

34 G.D. „Die Moral in der prozessualen Logik der Moderne“ S.174

35 Gruen „Der Verlust des Mitgefühls“ S.10

36 die nähere Begründung für diesen Umstand erfolgt weiter unten

37 Gruen „Der Verrat am Selbst“ S. 17

38 a.a.O. S.20

39 insbesondere in dem mit dem Titel „Unsere Schulen“

40 E. Fromm „Über die Liebe zum Leben“ S.36f

41 Lao tse „Tao te king“ 46. Vers

42 siehe am Ende dieses Buches auch Sri Aurobindo

43 Mt. 19/21

44 Mt. 6/21

45 Mt. 6/24

46 E. Fromm a.a.O. S.168

patriarchal denken und sich verhalten

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