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Das auffallendste Merkmal von Kraken ist bekanntlich, dass sie ihre Fangarme überall haben, sie befinden sich ständig auf Beutesuche – ihre Saugnäpfe greifen durch alle Öffnungen, den Kamin und Kellerfenster eingeschlossen.

Die Schittecks waren Kraken, von denen jede Art eine neue Überraschung bereithielt. (Falls man die Familie nicht gleich als einen einzigen großen Organismus, ein Konglomerat der verschiedensten Unterarten betrachten wollte.) Pulpen, Octopoda, Octopodacea, Polypen.

Wenn ich nachmittags am Wohnzimmerfenster stand, sah ich den alten Schitteck auf einem flachen Holzkahn stehend wie in einer Lagune durchs hohe Schilf des Ufers staken.

Octopus vulgaris – die Gemeine Krake. Vielleicht zählte er die Goldfische.

Oder er dachte darüber nach, die trübe Flüssigkeit auf Flaschen abzufüllen.

Brookmann hatte den Schittecks nach seinem mysteriösen Verschwinden mit dem Haus auch seine "wassertechnische Versuchsanlage" vererbt. An der Nordseite seines Hauses fließt der Dr.-Clemens-Kleiberbach durch eine im Boden verlegte Röhre.

Für einen alten Junggesellen, der sich dem Umweltschutz verschrieben hatte, genau das passende Objekt der Begierde. Der Kleiberbach, benannt nach dem berühmten Naturschützer, war längst zur braunen Kloake verkommen. Brookmann hatte bei den Behörden erwirkt, für seine Anlage zur Gewinnung "reinen, klaren Flusswassers" beliebige Kontingente durch seine neu entwickelten Spezialfilter zu lenken.

Der kleine Badesee zwischen unseren Gärten beruhte offenbar auf seinem alten Plan, mit einem kleinen Feuchtbiotop zu beweisen, dass sein Experiment kein Hirngespinst war.

Die Schittecks beriefen sich bei der Einleitung des Wassers auf Brookmanns testamentarische Verfügung, und da die Wohngemeinschaft von BIO-EINS seinem Wunsch schon vor langer Zeit in der berechtigten Annahme zugestimmt hatte, der Kleiberbach werde sich niemals in Trinkwasser zurückverwandeln lassen, hatte es auch keinen Grund gegeben, seiner Absicht zu widersprechen.

Die gemächlichen Streifzüge des alten Schitteck über den Teich, bei denen er sinnend von seinem Holzkahn aus ins Wasser starrte, erscheinen mir im Nachhinein wie Tage voller Frieden und Beschaulichkeit, denn nach der zehnten oder fünfzehnten Fahrt hatte er drei rotgestrichene Stangen mit Wimpeln bei sich, jede etwa zweieinhalb Meter lang, die er in den Seegrund unterhalb des Hitzacker-Anwesens rammte ...

Ich nahm mein Opernglas aus dem Schrank und versuchte herauszufinden, wozu er das Terrain abgrenzte.

Das Rätsel löste sich erst am späten Nachmittag, als Klein aus dem Nachbarhaus anrief, um mir das überraschende Ergebnis seiner Recherchen mitzuteilen.

Es handelte sich um ein Magisches Dreieck, das die Geburt eines Kindes ankündigte. Zur richtigen Zeit und am richtigen Ort in den Boden gerammt, nahmen die Punkte des Dreiecks geheimnisvollen Kontakt zur Geometrie der Sternenbahnen auf und beeinflussten so nach alter Geheimlehre den Charakter und das Schicksal des Neugeborenen. Aber welches Neugeborenen?

Es hieß, bei einem der weiblichen Schitteckkinder sei die Periode ausgeblieben. Ich betete zum Schutzengel der Liebenden, nicht bei Dagmar. Alles, was ich von Dagmar außer einer nebulösen Erinnerung an unser Beisammensein neben den vorüberdonnernden Fernzügen im Bahnhofshotel zurückbehalten hatte, war ein ständiges Jucken.

Ich kratzte mich unauffällig unter der Bettdecke und versuchte mit einer Lupe im Badezimmer zu ergründen, welche Plagegeister mich an besagter Stelle zwischen den Beinen heimsuchten. Es waren winzige dunkle Flecke unter der Schambehaarung.

Am nächsten Morgen stahl ich mich mit dem Vorwand aus dem Haus, das Abonnement für meine Evangelisches Monatszeitschrift zu kündigen, und suchte einen Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten auf.

Im Wartezimmer warf ich einen Blick auf die beiden Glasvitrinen, in denen zu Demonstrationszwecken die Latexnachbildungen aller Arten innerer und äußerer Sexualorgane der Aufmerksamkeit des werten Besuchers harrten.

Doktor Gans war zugleich Spezialist für Geschlechtsumwandlungen. Seine Patienten erinnerten an etwas grobknochig geratene Elefantenbabys mit Damenbart.

"Sie sind zu alt dafür", sagte er, als er einen Blick auf meine Gießkanne geworfen hatte. "Sie kommen zu spät. Fünfzehn Jahre früher, lieber Mann. Ihre Haut wird runzelig und verliert an Elastizität. Und wem wollen Sie mit einer Operation eigentlich imponieren? Wir werden große Schwierigkeiten bei der Wundheilung bekommen."

Er schwenkte eine blaue Karteikarte vor meinem Gesicht.

"Außerdem sprechen in Ihrem Alter Hormone nur noch bedingt an. Der Stoffwechsel ist ein empfindliches Gleichgewicht, das leicht außer Kontrolle gerät."

"Ich bin nicht der, für den Sie mich halten, Doktor."

"Das sagen alle."

"Mein Name ist Grob, Paul Grob."

"Sie sind nicht Nick Tarzan?"

"Soviel ich weiß, nein.

Er musterte betreten die Karte in seiner Hand und versuchte mit hochgeschobener Brille die winzige Handschrift seiner Sprechstundenhilfe zu entziffern. Dann hob das Blatt seufzend vors Gesicht und fächelte sich Wind damit zu.

"Nein, richtig, hier haben wir nämlich Nick Terzen, den Kanadier. Es war nur ein Lesefehler, bitte entschuldigen Sie. Terzen behauptet, er könne in Montreal sofort einen Job als Bardame kriegen."

"Ich bin krank, Doktor. Ich leide schreckliche Qualen."

"Natürlich, das sagen alle. Welche Symptome?"

"Juckreiz, Brennen beim Wasserlassen, Ausfluss, ein gerötetes Knötchen auf dem Penis ..."

"Danke, das reicht." Er nahm eine Lupe zur Hand. Betrachtete meinen Unterleib lange und ausgiebig und mit fachmännischem Blick – dem mitleidiges Staunen folgte.

"Was ist los, Doktor? Muss ich sterben?"

"Sie haben ein buntes Potpourri, Paul."

"Und wie ist die genaue Übersetzung dieses hübschen Fachausdrucks?"

"Tripper, abklingende Syphilis, Filzläuse."

"... Syphilis und Filzl...? So eine Schlampe ..."

"Das sagen alle."

"Ich bin nur einmal mit ihr zusammengewesen, ein einziges Mal, im Bahnhofshotel. Ich dachte, aus pädagogischen Gründen könnte es vielleicht hilfreich sein ..."

"Aus pädagogischen Gründen, ha ha. Für Ihr Alter sind Sie noch ganz schön erfolgreich auf dem Gebiet, was?"

"Danke, als Pädagoge kennt man seine Tricks. Aber wie gesagt handelte es sich bloß darum, einen jungen Menschen, der auf die schiefe Bahn geraten war ..."

"Ist sie minderjährig?"

"Nein, wo denken Sie hin?"

"Dann sollten sich Ihre pädagogischen Bemühungen lieber in Grenzen halten. Das rate ich Ihnen als erfahrener Arzt. Einem zwanzigjährigen Gaul bringt man keine Traberkunststücke mehr bei.

Nehmen Sie das Mädchen so, wie es ist. Eine junge Frau, die ihr Leben noch vor sich hat. Das bekommt Ihnen und ihr am besten. Versuchen Sie nicht, den großen Lehrmeister zu spielen, Grob. Meines Erachtens erhöht es nur die Suizidgefahr bei ihr. Eines Tages werden Sie in die Arme Ihrer Frau zurückkehren, und dann verliert das Kind eine Vaterfigur."

"Wenn sie bis dahin nicht Mutter von Drillingen geworden ist", murmelte ich düster.

"Das arme Mädchen hat sich schließlich an Sie gewöhnt. Es projiziert alle Liebe auf Sie. Der plötzliche Verlust wird es in die größte Krise seines jungen Lebens stürzen."

"Ich weiß nicht, ob Sie schon mal etwas von der Schitteckfamilie gehört haben? Die Schittecks werden nicht gestürzt, sie stürzen andere in Krisen."

"Schittecks, Schittecks ...", überlegte er. "Ja, der Name kommt mir bekannt vor. Ich erinnere mich an eine Großfamilie, die von Stadt zu Stadt zieht, rumänischer oder provenzalischer Herkunft, glaube ich. Sie grast das Terrain ab, und eines Morgens ist sie wieder verschwunden.

Ausgeflogen. Ihr Haus steht leer. Niemand weiß wohin.

Ich arbeitete damals im Gesundheitsamt einer Kreisstadt oben im Norden, kurz nach meiner Approbation zum Arzt, und hatte dort auch vierzig oder fünfzig Fälle des bunten Potpourris zu behandeln. Als sie abzogen, gründeten einige Familienväter und Junggesellen eine 'Interessengemeinschaft Schitteckgeschädigter'.

Es gab zwölf Ehescheidungen und drei Selbstmordversuche. Und Sie glauben, die Schittecks sind jetzt hier bei uns?"

"Dafür möchte ich meine Hand nicht ins Feuer legen", sagte ich schnell. "Sicher gibt es noch mehr Familien gleichen Namens."

"Es wäre eine Sensation, ein Fall für die Polizei."

"Wie gesagt, Doktor. Ich möchte mich da lieber nicht festlegen. Falls Ihre und meine Schittecks wirklich identisch sind, würde es wahrscheinlich meine Kräfte übersteigen, mir die Familie zu Feinden zu machen. Ich bin jetzt neunundvierzig, aber seitdem die Schittecks neben uns eingezogen sind, fühle ich mich eher wie achtundsechzig."

"Oder sagen Sie das nur, weil Sie befürchten, die Kleine könnte auf Nimmerwiedersehen im Nebel verschwinden, wenn wir die Polizei einschalten?“, fragte er mit unbeteiligtem Gesichtsausdruck und begann die Sexualorgane auf seinem Schreibtisch nach Größe und Geschlecht zu ordnen.

"Ich leide an Untergewicht und niedrigem Blutdruck. Ihre Kollegen wollen herausgefunden haben, dass mir Kalzium fehlt. Und ein ganzer Cocktail Mineralstoffe. Aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund will mein Körper nichts davon annehmen."

"Dann gehören Sie zu den immer zahlreicher werdenden Fehlentwicklungen der Natur, Grob – falls Sie die Wahrheit vertragen können? Ich denke, als ein Mann des Geistes haben Sie sich gut genug in der Gewalt, um ein klares Wort zu verkraften. Wahrscheinlich sind Sie nur noch dank der modernen Maschinenmedizin lebensfähig."

"Meine Nerven werden mit jeder Woche empfindlicher."

"Ich verordne Ihnen Penicillin, hochdosiert. Und ein Mittel gegen Ihre blutsaugenden Untermieter. Zweimal täglich einpudern." Er reichte mir die Hand. "Halten Sie mich auf dem laufenden. Die Schittecks sind mir immer einen Anruf wert."

Schwarzer Freitag

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