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Klinger hasste es, warten zu müssen. Man sagte ihm nach, er sei manchmal etwas arrogant. Arrogant, weil er schnell durchschaute, was seine Mitmenschen umtrieb – oder weil er andere gern spüren ließ, dass er ihnen geistig überlegen war. Er selbst hätte es eher als Ungeduld bezeichnet.

Er wartete jetzt schon eine halbe Stunde auf den Chef des Lufthansa-Büros, und während er sich auf die schwarze Ledercouch im Vorzimmer flegelte, machte er keinen Hehl aus seiner Missbilligung und gähnte ausgiebig.

Die schlanke Brünette am Schreibtisch war gar nicht so übel. Sie warf manchmal verstohlene Blicke zu ihm hinüber und grinste. Es juckte ihn, aufzustehen und mit ihr zu sprechen. Aber wahrscheinlich konnte sie ihm auch nicht weiterhelfen?

Dann hatte er plötzlich eine Idee …

„Hab’ ich Sie nicht auf der Beerdigung Ihres Bruders gesehen?“, fragte er und erhob sich langsam von der Couch.

„Meines Bruders?“

„Des zweiten Anschlagopfers – Sie wissen schon: das Top-Air-Restaurant über dem Terminal vier?“ Klinger machte eine theatralische Bewegung mit beiden Händen, als fliege über ihnen die Decke in die Luft.

„Das war nicht mein Bruder.“

„Der Mann aus der Anstalt“, erläuterte er. „Die Behörden behaupten, bei Ihrem Bruder habe es sich um einen kürzlich aus der Psychiatrie entflohenen Verrückten gehandelt?“

Sie starrte ihn an, als sei er nicht ganz richtig im Kopf.

„Von wem haben Sie denn diesen Unsinn? Mein Bruder lebt in der Schweiz und ist mindestens genauso richtig im Kopf wie jeder andere hier im Büro.“

“Ihr Bruder ist gar nicht bei dem Anschlag ums Leben gekommen?“

„Nein.“

„Oh, bitte entschuldigen Sie. Wer hat denn nur diese Ente in die Welt gesetzt?“

„Soweit ich weiß, ist der Mann noch gar nicht beerdigt.“

„Dann muss ich Sie wohl auf einer anderen Beerdigung gesehen haben.“

„Sind Sie von der Polizei?“

„Nein.“ Klinger sah auf seine Armbanduhr. „Gleich zwölf. Haben Sie eigentlich niemals Mittagspause?“

„Doch, um halb eins. Das Büro schließt für eine Stunde.“ Sie zeigte auf das Schild an der Glastür.

„Kann ich Sie vielleicht … ich meine, um meinen Fauxpas wiedergutzumachen? Darf ich Sie zum Essen einladen?“

„Nein, das wäre wirklich nicht …“

„Sie würden mir eine große Freude damit machen. Und Ihrem Chef scheint ja wohl etwas dazwischengekommen zu sein?“

In diesem Augenblick klingelte das Telefon auf ihrem Schreibtisch.

Sie nahm ab, nickte Klinger kurz zu und sagte: „Geht in Ordnung“ in den Hörer. „Herr Haller wird leider nicht vor drei Uhr hier sein. Eine Besprechung in der Zentrale wegen der Anschläge – tut mir leid.“

Dass sie Linda hieß, machte die Sache auch nicht leichter für ihn. Linda war eine unerwiderte Jugendliebe gewesen, die erste große Katastrophe seines Lebens.

Diese Linda hier nahm es mit der Geheimhaltung – oder dem, was sie dafür hielt – genauer als ein deutscher Finanzbeamter. Zumindest beim Essen. Sie stopfte Unmengen von Salaten und Nudeln mit Putenfleisch in sich hinein.

„Wo lassen Sie das bloß alles, Linda?“, feixte er.

„Mein Stoffwechsel … hat schon Dutzende von Männern verschlissen, die so leichtsinnig waren, mich zum Essen einzuladen …“

Ihr Alkoholkonsum war auch nicht von schlechten Eltern. Linda war bereits bei der zweiten Halbliter-Karaffe Weißwein angelangt. Klinger trank Mineralwasser.

„Und Sie haben wirklich keinen Schimmer, wo die Beerdigung des Toten im Top-Air stattfindet?“

„Nein. Wird ja wohl auch nicht mehr allzu viel von ihm übrig sein, oder? Eine der beiden Bomben soll nur zwei Meter von ihm entfernt explodiert sein. Warum interessiert Sie das eigentlich?“

„Aus privaten Gründen.“

„Sind Sie Privatdetektiv?“

„Nicht direkt.“

Er legte seinen Arm um ihre Hüfte und küsste sie sanft auf den Hals.

„Lassen Sie … das kitzelt!“

„Was halten sie davon, wenn ich Sie heute Abend zum Kino einlade, Linda?“

„Wozu denn? Damit ich ausplaudere, was ich über den Toten weiß?“

„Nein, aus rein privatem Interesse.“

„Um zu erfahren, dass der Mann Südamerikaner war, müssen Sie mich doch nicht gleich ins Kino einladen“, flüsterte Linda ihm ins Ohr.

„Er war Südamerikaner? Sind Sie sicher?“

„Sonst würd’ ich’s nicht sagen.“

„Welcher Nationalität?“

„Hm – Venezolaner, glaub ich.“

„Und wer hat Ihnen das gesteckt? Ich meine, die offizielle Version lautet doch ein wenig anders?“

„Hab’s wegen der Papiere mitbekommen. Die waren nämlich noch in seiner Jacke, weil sie beim Essen am Stuhl gehangen hatte. Die Explosion hatte den Stuhl mitsamt der Jacke in den hinteren Teil des Restaurants geschleudert. Deshalb wurde sie bei der Bergung der Leiche unter den Trümmern nicht sofort entdeckt. Ein Angestellter des Restaurants brachte sie später in unser Büro und bat mich, sie der Polizei zu übergeben.“

„An den Namen des Toten erinnern Sie sich nicht zufällig?“

„Sie denken, ich hätte in seinen Papieren geschnüffelt?“

„Ich würd’s nicht unbedingt Schnüffeln nennen wollen“, wiegelte er ab. „Schließlich waren in Ihrer unmittelbaren Nähe ein paar Bomben hochgegangen.“

„Ramon Mella“, sagte sie zu Klingers Überraschung. „Mein Chef bat mich, seine Daten zu notieren. Er sagte, die Zentrale wolle sicher soviel wie möglich über die Anschläge erfahren.

Und wenn beide zusammenhingen, dann würde man ihm vielleicht später Vorwürfe machen, sich nicht genügend um die Sache gekümmert zu haben.“

Ramon Mella … dachte Klinger. Irgendwo hatte er den Namen schon ein mal gehört.

„Meine Einladung zum Kino steht“, sagte er. „Sie haben mir sehr geholfen.“

Lindas Chef war ein viel spröderer Fall als seine Sekretärin. Er kam mit einer halben Stunde Verspätung. Offensichtlich war er bereits von der Polizei instruiert worden, an der Version mit dem Verrückten festzuhalten.

Linda beobachtete sie beide durch die Scheibe des Büros.

„Aber Sie können mir doch sicher sagen, aus welcher Anstalt der Mann entlaufen ist?“

„Nein, bedauere – oder warten Sie …“ Haller blätterte in seinen Unterlagen. „Universitätskliniken.“

„Und sein Name?“

„Malich, Hans Malich.“

„Danke. Sie haben mir sehr geholfen.“

„Nichts zu danken. Für welches Blatt arbeiten Sie?“

„Welches Blatt? Sie meinen …? Nein, ich arbeite für keine Zeitung. “

„Aber sagten Sie denn nicht am Telefon …?“

„Da müssen Sie mich falsch verstanden haben.“

Haller blickte Klinger überrascht nach, als er ohne ein weiteres Wort sein Büro verließ. Klinger zwinkerte Linda im Vorraum wegen ihrer Verabredung zu und schloss leise die Tür hinter sich.

Luther, der den Fall bearbeitete, begegnete Klinger auf dem ersten Treppenabsatz. Anders als für seinen sein Chef Mangold, den legendären Hauptkommissar der Mordkommission, war das Omega-Team schon seit seiner Gründung ein rotes Tuch für Luther. Er trug sein unvermeidliches kariertes Sakko und schwitzte; seine Körperfülle machte jeden Schritt zur Qual.

„Wieder mal bei der Arbeit ins Schwitzen geraten, Ralf?“

„Darf ich fragen, was Sie hier am Flughafen treiben?“, erkundigte sich Luther misstrauisch.

„Natürlich dürfen Sie das. In diesem freien Land darf man ja so ziemlich alles fragen.“

„Wir möchten nicht, dass sich Ihre Gruppe in unsere Arbeit einmischt, Klinger. Wir haben schon genug Probleme.“

„Der entlaufene Verrückte?“, erkundigte sich Klinger.

„Kein Kommentar.“

„Haben Sie den Fall übernommen? Oder wird eine Sonderkommission gebildet?“

„Sonderkommission, wieso?“

„Na, aus Psychiatern zum Beispiel, Ralf. Die werden sich dann den Kopf darüber zerbrechen müssen, wie ein aus der Psychiatrie entflohener Verrückter die Elektronik eines Tickettautomaten manipulieren konnte. Und warum er danach so dumm war, sich gemütlich neben seinen eigenen Bomben zum Essen zu setzen. Der Automat wurde doch vom Büro der Lufthansa-Agentur aus manipuliert? Wie gelang es dem Täter eigentlich, ins Büro einzudringen?“

„Wer sagt denn, dass es sich bei dem Opfer auch um den Täter handelt?“, fragte Luther missmutig.

„Sonst hätten wir es nach der offiziellen Erklärung gleich mit zwei Verrückten zu tun. Reichlich viele Irre, oder?“

„Sie wissen doch, dass eine Nachrichtensperre verhängt wurde?“

„Anders ausgedrückt: Sie halten die Version vom aus der Psychiatrie entflohenen Verrückten nicht weiter aufrecht?“

„Davon habe ich nichts gesagt.“

„Ein oder zwei Verrückte?“

Luther grunzte unwillig und wandte sich abrupt auf dem Absatz um. Klinger beobachtete grinsend, wie er die Treppe hinaufstampfte: ein schnaufendes Nilpferd in kariertem Sakko, das sich eigentlich viel lieber ins kühlende Nass eines Flusses gelegt hätte, um für ein paar Augenblicke sein Körpergewicht zu vergessen.

Merkwürdigerweise steuerte er gar nicht auf die Tür von Hallers Büro zu, wie Klinger erwartet hatte, sondern ging die Galerie entlang.

Klinger beeilte sich, auf der Rolltreppe an der gegenüberliegenden Hallenseite ebenfalls die Galerie zu erreichen, ehe Luther auf Nimmerwiedersehen hinter einer der Türen verschwunden war.

Der andere bog in den schmalen Gang ab, der von der ersten Etage zur Zwischenetage führte. Durch die Scheiben konnte man in die Abflughalle sehen. Der explodierte Ticketautomat war bereits wieder ersetzt worden.

Luther öffnete eine Glastür, und als Klinger die beiden Männer hinter ihm im Raum sah, die Luther mit ausgestreckten Armen begrüßten, wusste er, dass Victor Jacobi mit seinen Vermutungen richtig gelegen hatte …

Der eine der beiden, ein Mann um die Fünfzig mit energischem Gesicht und schütterem Haar, war Ohlsen von BND. Kein Bauchansatz, eleganter Zweireiher, aber ohne Extravaganzen.

Seine Gebärden drückten aus, dass er sich seines Rangs in der Organisation bewusst war. Er geleitete Luther an den weißen Kunststofftisch in der Mitte des Raumes. Der andere wirkte dagegen eher schüchtern und unauffällig. Sein Sakko war an den Ellenbogen durch altmodische Ärmelschoner verstärkt.

Er schlug eine Mappe auf und reichte Luther einige Papiere. Er war erst in den Dreißigern, aber er hatte Jacobi und seinen Leuten schon mehr Schwierigkeiten gemacht als mancher angeblich so clevere Kopf des Organisierten Verbrechens. Genauer gesagt, das BKA, die Behörde, für die er arbeitete, hatte ihnen diese Steine in den Weg gelegt.

Und Oliver Tausendfreund hatte keine Gelegenheit ausgelassen, sein Amt darin möglichst tatkräftig zu unterstützen.

Feuervogel

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