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Hamburg trauerte um seinen populären Fernsehmoderator. In den Abendnachrichten hatte es eine Sondersendung über den Anschlag gegeben.

Die Lokalzeitungen sprachen von der Tat eines Verrückten.

Ein Kommentator stellte Vermutungen darüber an, ob Hansen vielleicht wegen seiner – wie die Morgenpost es genannt hatte – „offenen und differenzierten Art“ einem der immer aktiver werdenden „Stadtneurotiker“ zu nahegetreten war.

An Hansen hatten sich die Geister geschieden. Für manche war er ein rotes Tuch gewesen. Außer enthusiastischer Zustimmung hatte der Sender auch eine Flut von Protesten erhalten, darunter zwei Briefe aus der psychiatrischen Abteilung der Universitätsklinik.

Victor Jacobi frühstückte wie fast jeden Morgen im Büro seines Hauses auf der Uhlenhorst. Er legte die Morgenpost beiseite und strich sich nachdenklich über seinen drei Tage alten Bart. Sieht verdächtig nach lancierter Information aus, dachte er. Alle Lokalzeitungen sprachen von „der Tat eines Verrückten“. Und das, obwohl die Polizei vorgab, noch keinerlei konkrete Hinweise zu besitzen.

Jacobi hatte ein feines Gespür dafür, ob man die Öffentlichkeit an der Nase herumführen wollte.

Seitdem er selbst Opfer einer Entführung gewesen war, widmete er sein Leben dem Kampf gegen die Organisierte Kriminalität, soweit ihm sein Lehrauftrag an der Universität und seine übrigen Verpflichtungen noch Zeit dazu ließen. Leider hatte ihn die Vorsehung – oder das Zufallsspiel der Gene – mit überreichlich viel Interessen ausgestattet.

Er drückte den Knopf der Sprechanlage, um sich zum Überseeclub fahren zu lassen. Dort wusste man am ehesten, was in der Stadt vorging.

„Wir nehmen den alten Opel, Paul“, sagte er. „Der ist unauffälliger. Rufen Sie Elisabeth im Golfklub an und sagen Sie ihr, dass ich nicht zum Essen komme.“

Um einen Lufthansa-Ticketautomaten in die Luft zu jagen brauchte es etwas mehr, als eine Bombe in einem Abfalleimer zu placieren. Offensichtlich war der Sprengkörper mit der Elektronik verschaltet gewesen.

Pawel Störtebecker bekleidete das Amt des Innensenators nun schon seit über drei Jahren. „Bekleidete“ war ein durchaus angemessener Ausdruck für die Art und Weise, wie er seine Geschäfte handhabte. Er galt als einer der elegantesten Politiker der Republik, und das nicht nur, was seine Anzüge anbelangte.

Als Sohn einer tschechischen Schauspielerin und eines Hamburger Reeders verkörperte er eine gelungene Mischung aus Prager Charme und hanseatischem Pragmatismus.

Andere sagten ihm ein wenig zuviel Wesensverwandtschaft mit seinem berühmten Namensvetter nach. Die meisten hüteten sich jedoch davor, es „Piratenblut“ zu nennen.

Victor Jacobi steuerte mit so unbewegtem Gesicht auf den schweren Ledersessel neben Pawel Störtebecker zu, als sei es reiner Zufall.

Er räusperte sich verhalten, während er sich umblickte. Die Ledersessel im Klub waren bequemer als manche Betten. Vielleicht war das der Grund dafür, dass einige Klubmitglieder trotz der frühen Stunde bereits aussahen, als seien sie sanft entschlummert?

Pawels Gesicht blieb hinter der Frankfurter Allgemeinen verborgen.

„Verteufelt gutes Segelwetter diesen September, seufzte Jacobi beinahe unhörbar.

Pawel Störtebecker wusste, dass Jacobi eine Yacht besaß, die gewöhnlich am Mittelmeer lag, sich aber momentan zur Reparatur auf einer Hamburger Werft befand.

„Und Sie sind nicht draußen auf einer dieser verrückten Eierfeilen, Victor, um sich die Falten mit Salzwasser auswaschen zu lassen?“, murmelte Pawel. „Hat Omega vielleicht irgend etwas auf der Schippe, wovon ich wissen sollte?“

„Sie meinen den Anschlag auf Hansen?“

Pawel senkte die Zeitung. „Nein, das war nur irgendein überdrehter Irrer.“

„So? Warum glauben Sie?“

„Sie wissen doch, dass die Verrückten und die Neurotiker der Stadt Kai Hansen zu ihrem Intimfeind erkoren haben? Er verkörperte alles, was sie niemals waren und niemals sein können: Weltoffenheit, Einfühlungsvermögen, Toleranz …“

„Dann müsste es ein Irrer gewesen sein, der sich mit der komplizierten Elektronik eines Lufthansa-Ticketautomaten auskannte.“

„Na wenn schon …“

„Und die Polizei?“

„Tappt noch im dunkeln.“

„Hat man das Flughafenpersonal überprüft?“

„Ohne Ergebnis, ja.“

„Wurde der Automat von der Abflughalle oder vom Büro der Lufthansa aus manipuliert?“

„Vom Büro aus.“

„Irgendwelche Spuren am Türschloss?“

„Hören Sie, Victor“, sagte Pawel Störtebecker und faltete mit übertriebener Sorgfalt seine Tageszeitung zusammen. „Ich möchte nicht, dass sich Ihre private Ermittlungsgruppe Omega mit dem Fall befasst. Falls man es überhaupt einen Fall nennen kann. Weder mit diesem noch mit irgendeinem anderen Fall.“

„Immer noch die alten Vorbehalte, Pawel?“

„Der Senat hat nicht die Absicht, die Grillen eines überdrehten Milliardärs zu unterstützen. Ihre Eskapaden wären der Öffentlichkeit kaum plausibel zu machen. Omega arbeitet außerhalb der Legalität …“

„Sie wissen genauso gut wie ich, Pawel, dass es unsere Maxime ist, sich streng an die Gesetze zu halten. Aber es gibt auch kein Gesetz, das Ermittlungen von privater Seite verbietet. Und wenn sich diese Ermittlungen gegen die Organisierte Kriminalität richten, dann sollte uns der Staat für jede Hilfe dankbar sein.“

„Organisierte Kriminalität … da haben wir’s wieder! Ihr Spleen bringt Sie früher oder später ins Kittchen. Hören Sie auf meine Worte, Victor. Sie denken vielleicht, weil Sie einen Lehrstuhl für Rechtswissenschaften innehaben, gibt Ihnen das auch das Recht, sich Lücken im Gesetz für Ihre privaten Rachefeldzüge nutzbar zu machen?“

„Die Organisierte Kriminalität bedroht uns alle.“

„Ich sagte schon, Victor, dass es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um die Tat eines Geistesgestörten handelt.“

„Wahrscheinlichkeit, hm. Lässt sich diese Wahrscheinlichkeit in Zahlen ausdrücken?“

„Ich philosophiere nicht mit Ihnen über Wahrscheinlichkeit. Ich werde den Teufel tun, und das nicht nur, weil Sie einen Doktor in Philosophie haben.“

„Danke für Ihren Respekt vor meiner Ausbildung. Ich bilde mir nichts darauf ein. Ich glaube, gesunder Menschenverstand reicht in solchen Fällen völlig aus.“

„Dann sollte Ihnen Ihr gesunde Menschenverstand auch sagen, wann es ratsam ist, sich vornehm zurückzuhalten.“

„Was mich nachdenklich an der Geschichte macht ist die Übereinstimmung der Zeitungskommentatoren. Sie sprechen alle von ‘der Tat eines Verrückten’ – als habe ihnen jemand diese Worte in den Mund gelegt. Sieht verdächtig nach offizieller Sprachregelung aus, oder?“

„Sie hören wieder einmal die Flöhe husten, Victor!“

Pawel Störtebecker nahm wieder seine Zeitung auf und verschwand hinter ihren aufgeklappten Seiten wie jemand, der in der nächsten Stunde für niemanden mehr zu sprechen sein würde.

Feuervogel

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