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Am frühen Abend detonierten zwei Sprengsätze im Restaurant Top-Air über dem Terminal vier. Sie deckten einen Teil des Dachs über der Küche ab und rissen einen vier Meter langen Spalt in die Wand zum benachbarten Ladenlokal.

Bei dem Anschlag starb ein unbekannter Mann. Das Personal und die übrigen Gäste kamen mit dem Schrecken davon.

Ein glücklicher Zufall hatte es gewollt, dass sie sich wegen der Geburtstagsfeier des Chefs im Saal nebenan aufhielten: Das Anschneiden der Geburtstagstorte hatte ihnen das Leben gerettet …

Die Polizei ordnete eine Nachrichtensperre an. Vermutlich sei ein geistesgestörter Einzeltäter für die Anschläge verantwortlich. Keine Angaben zu seiner Identität.

Die Nachrichtensperre enthob sie der Verpflichtung, sich konkreter zu dem Verdacht zu äußern. In den Medien tauchten schon bald Vermutungen auf, dass es sich um Erpressung handele. Allerdings sickerte aus eingeweihten Kreisen durch, es gebe bisher weder ein Bekennerschreiben noch Geldforderungen.

Victor Jacobi beschloss das Omega-Team zu aktivieren.

Er sah Elisabeths zierliche sportliche Gestalt durch die offene Tür im Nebenzimmer telefonieren. Sie sprach mit einem ihrer Golfpartner – Gimblan, ein smarter Engländer, der ihr nach Victors Geschmack etwas zu unverhohlen den Hof machte.

Aber vielleicht war das ja die beste Gewähr dafür, dass Elisabeth ihm die Treue hielt? Nein, sie war nicht der Typ, um ihn mit Gimblan zu hintergehen. Er führte eine glückliche Ehe.

Jacobi winkte ihr kurz zu, als er die Tür seines Büros schloss. Dann genehmigte er sich eine seiner seltenen Havannas und ein Gläschen Mouton Cadet Rothschild.

Er hielt das Glas so gegen das Licht der Deckenlampe, dass die rote Farbe einen warmen gelblichen Einschlag bekam.

Der Mann, der beim Anschlag im Restaurant ums Leben gekommen war, hatte eine Menge Blut verloren, ehe er starb. Jacobi dachte an seine Entführung. Damals hatte er ebenfalls viel Blut verloren. Manche glaubten sogar, er habe noch ein wenig mehr dabei verloren: seinen inneren Halt.

Aber da unterschätzten sie seine Verfassung. Er hatte seine Gefühle besser unter Kontrolle als jeder andere. Nein, die Entführung hatte ihm nur noch einmal auf handgreifliche Weise vor Augen geführt, wozu eine private Ermittlergruppe wie das Omega-Team von Nutzen war …

Jacobi wählte Jensens Nummer, damit sie sich mit den anderen in Verbindung setzte. Obwohl erst Mitte Zwanzig, war sie in der Gruppe „für Diplomatie und Intrigen“ zuständig. Wenn Victor Schwierigkeiten hatte, Beck von seinen Gewichten im Verein oder Klinger aus seiner Stammkneipe in Ottensen loszueisen, dann setzte er Jensen ein.

„Ich glaube, Klinger ist ins Kino gegangen. Stirb langsam 4 mit Bruce Willis – oder irgend so ein Stuss …“

„Hol ihn bitte aus der Vorstellung, ja? Auf die Weise kapiert er am ehesten, dass wir es eilig haben.“

„Irgend etwas, das ich wissen sollte?“, fragte Jensen.

„Bereden wir alles in meinem Büro am Hafen.“

Das Hafenbüro war das alte Reederei-Büro seines Vaters. Dort hielt er sich am liebsten auf, weil dort alles beim alten geblieben war (und er achtete darauf, dass es so blieb): kein Kunststoff, keine modernen Möbel. Statt dessen uraltes Holzparkett und englische Tapeten.

Die Segelschiffnachbildungen stammen aus dem vorigen Jahrhundert. In der Vitrine aus geschliffenem Glas im Vorraum stand eines jener kostbaren Schiffschronometer des englischen Uhrmachers John Harrison, mit der es im achtzehnten Jahrhundert zum ersten Mal möglich geworden war, für die Navigation eine brauchbare Längenbestimmung durchzuführen.

Victor Jacobi genoss es, sich in einen der knarrenden Ledersessel zu setzen und die Silhouetten der alten Speicher und den Flug der Möwen über dem Wasser zu beobachten.

Er goss Schwarzen Tee auf, lüftete eine der Rotweinkaraffen, die ihm Angelika morgens bereitgestellt hatte, und versank wie immer in ein kurzes Nickerchen, wenn er sich einen Fall vor Augen führte …

Er wusste, dass er so etwa wie einen sechsten Sinn besaß.

Sein Gespür für Indizien und Vermutungen hatte ihn mehr als einmal davon überzeugt, dass das menschliche Gehirn weitaus leistungsfähiger war, als sich die meisten materialistisch denkenden Buchhalterseelen da draußen vorstellten.

Doch diesmal blieb ihm wenig Gelegenheit dazu. Er hörte ein knarrendes Geräusch von der hölzernen Außentreppe – die lose dritte Planke –, und seine rechte Hand griff automatisch in die Schublade, um die Walther herauszunehmen und auf dem Schoß bereitzulegen.

Der Mann, der seinen Kopf zur Hintertür hereinsteckte, sah aus wie ein alter griechischer Weiser im Pennerlook. Sein markanter Kopf mit dem üppigen grauweißen Haar hätte einem Heraklit oder Aristoteles nicht schlecht angestanden. Doch der lange, etwas muffige Wollmantel mit den ausgebeulten Taschen machte daraus eine Vogelscheuche.

„Boolsen …“, sagte Jacobi erleichtert. „Wer über diese Treppe vom Hafen kommt, ist entweder Killer oder ein guter Freund.“

Harry Boolsen war das schon vor gut dreißig Jahren gestrauchelte Kind einer mexikanischen Hure und eines Hamburger Seemanns.

„Hab’ die letzten Nächte unter den Eisenträgern der kleinen Brücke verbracht.“

„Kein schlechter Platz bei dieser Witterung …“

„Einer der besten.“

Jacobi nickte und zeigte auf den Ledersessel an der Wand. „Tee oder Rotwein?“

„Gern. Ein halbes Wassergläschen Aquavit wäre jetzt genau das Richtige.“

„Ich erinnere mich nicht, von Aquavit gesprochen zu haben?“

„Im Kühlfach Ihres Schreibtischs“, sagte Boolsen mit treuherzigem Augenaufschlag, als sei er sich des Geschäftes, das er gerade im Begriff war abzuschließen, mehr als sicher.

„Wieder mal die Flöhe in der Kanalisation husten gehört, Harry?“

„Diesmal war’s der goldene Griff, Victor.“

„War’s denn nicht schon beim letzten Mal der goldene Griff?“

„Die Sache wird Sie eine Menge kosten. Mindestens zwei Flaschen Aquavit.“

„Immer der Reihe nach, Harry. Erst die Ware, dann das Geld.“

„Sie erinnern sich, was ich über die kleine Brücke sagte?

Hab’ die letzten Nächte unter den Eisenträgern verbracht, weil es da so ein kuscheliges kleines Plätzchen gibt, wo einem niemand auf den Wecker geht. Irgendwann morgens hielt über mir ein Wagen und drei Männer stiegen aus – ich glaube, um sich die Füße zu vertreten oder weilt sie glaubten, sie seien auf dem Wendeplatz am Brückenpfeiler ungestört.“

Harry sah Victor Jacobi erwartungsvoll an.

„So was soll vorkommen, Harry.“

“Sie unterhielten sich auf Spanisch … Sie wissen, dass ich ganz gut Spanisch spreche?“

„Weil deine Mutter Mexikanerin war.“

„Einer drohte, wenn sie jetzt nicht spuren würden … warten Sie mal, Victor, – Pájaro de fuego, ja, so hieß das Ding, dann würde Feuervogel das Kaufhaus in der Mönckebergstraße mit einem Raketenwerfer in Schutt und Asche legen.

„Wenn wer nicht spuren würde?“

„Keine Ahnung. Darüber haben sie nicht gesprochen.“

„Aber du könntest die Männer identifizieren?“

„Nein.“

„Du hast sie doch gesehen?“

„Sie standen genau über mir. Zwischen den Planken der Fahrbahn ist nicht viel Platz. Aber ich konnte die Farbe ihres Wagens erkennen. Er war rot. Ausländisches Fabrikat, glaube ich.“

„Und was bedeutet ‘Feuervogel’?“

„Hab’ den Namen auch zum erstenmal gehört.“

„Hm …“ Victor Jacobi schüttelte nachdenklich den Kopf. „Das wird nicht reichen, Harry.“

„Sie meinen, die Information, dass man ein Kaufhaus mit einen Raketenwerfer in Schutt und Asche legen will, ist keine zwei Flaschen Aquavit wert?“, fragte Boolsen enttäuscht.

„Wir haben nicht genug Informationen, um irgend etwas zu unternehmen.

Aber vielleicht laufen dir die Burschen ja noch mal über den Weg? Ich gebe dir den Rest der Flasche, Harry. Hör dich mal um. Versuch ein wenig mehr über die Sache herauszufinden, ja?“

Feuervogel

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