Читать книгу Die Frau im Fluß - Peter Seeberg - Страница 6
Rechenexempel
ОглавлениеAls Ole Kindbjerg am Donnerstagmorgen aus dem Tor fuhr, war er bereits gut sieben Minuten verspätet aufgrund eines Streits mit Ellen, seiner Frau, die kurz von der Treppe winkte und reinging, während er rausfuhr.
Er sagte mehrmals: »Zum Teufel!« — auch zu sich selbst, wobei er gleichzeitig versuchte, in seinem Bewußtsein die Route aufleuchten zu lassen und sich vorzustellen, was die verschiedenen Kunden an Käse, Salaten, Wurst und abgepacktem Aufschnitt kaufen würden, und es mit dem zu vergleichen, was er eingepackt und vom frühen Morgen an zusammengezählt hatte, bis ihm das Ganze durcheinandergeriet, weil Ellen kam und fragte, ob sie am Abend in die Stadt fahren und ihre Eltern besuchen könnten. Er hatte geantwortet, ihre Eltern könnten ihm gestohlen bleiben, während er die Gläser mit mariniertem Hering zählte, sich aber bei sieben verhedderte und einfach nicht weiterkam. Es waren sieben und blieben sieben.
»Nun wart doch mal«, hatte er gesagt, als sie entgegnete, er könne ihr auch bald gestohlen bleiben.
Konnte ein Glas marinierter Hering, auf so kurze Distanz geworfen, einen Menschen erschlagen?
Sie hatte dagestanden und ihn mit ihrem bösen Starren gestört, als er von vorn anfing und bis elf zählte und sich die Zahl in seinem Lagerverzeichnis notierte.
»Ja«, sagte er dann, »das können wir ja, aber ich bin nicht vor sieben zu Hause, heut ist Donnerstag.«
Ob er sich denn nicht beeilen könne?
Schon, aber er sei ja jetzt schon mehrere Minuten zu spät dran, weil sie ihn störe. Und dabei sei dies doch für ihn ein wichtiger Tag. Der Fleischer sei heute auch unterwegs, und käme der zuerst, na ja, dann sinke der Umsatz, und finge es erst an zurückzugehen, ja, dann ginge es schnell zum Teufel, die Kunden würden stets mithelfen, einen Kaufmann auf den Hund zu bringen, wenn er sich auch nur das geringste Anzeichen anmerken ließ, daß er sein Geschäft nicht auf zufriedenstellende Weise führen könne.
»Wir lassen es«, sagte sie auf dem Weg zurück zum Haus.
»Warum denn?« wandte er ein. »Das sagst du immer. Kannst du dich denn nicht ein bißchen nach mir richten?«
Hätte sie jetzt bloß nicht diesen Halbtagsjob in der Arbeitsvermittlung, dann würde alles besser gehen. Vielleicht.
»Wir lassen es«, sagte sie, als er die Waage in den Warenraum des Lieferautos stellte, den sie am Abend zuvor saubergemacht hatte.
»Ach«, sagte er, »ob nun heute oder an einem anderen Abend, das bleibt sich doch gleich.«
»So«, sagte sie.
»Ja«, sagte er, »warum nicht?«
»Weil du unmöglich bist.«
»Soll ich mich etwa nicht um mein Geschäft kümmern?«
»So wichtig ist das wohl auch nicht, daß du dich damit kaputt machst«, sagte sie.
So wichtig war das nicht.
»Die paar Käse, die du verkaufst«, hatte sie einmal spät am Abend gesagt.
»Schaffst du das denn?« rief er.
Das habe sie ja nicht gesagt.
»Was denn?« fragte er.
Daß er es ruhig angehen lassen solle.
»Nein, danke«, hatte er gesagt, als er ins Auto stieg. Es sprang sofort an.
Sie sah ein bißchen verzweifelt und ratlos aus, und so kurbelte er die Scheibe runter, als er anfuhr, und rief ihr zu: »Dann fahren wir also heut abend!«
Sie hatte die Mundwinkel verzogen, als sie die Treppe raufgegangen war. Und in ihm hatte sich die ganze Episode nun festgebissen. Well, er mußte sehen, daß er darüber hinwegkam. Er drehte sich auf dem Sitz um, während er durch die Straße rollte, wo der Textilwarenhändler im Begriff war, die Markise runterzulassen, und ihm dabei zuwinkte. Der Eisenwarenhändler stellte die Plasteeimer und Rasenmäher raus, und im Bäckerladen beugte sich die Verkäuferin über die Kuchenregale im Fenster und nahm für eine Frau vom Gemeindeamt vier Plunderstücke raus, die diese für den Vormittagskaffee um halb zehn haben wollte. Es wurde weiß Gott überall gearbeitet, wollte er meinen.
Von den elf Glas mariniertem Hering würde er zwei an die Frau des Tierarztes verkaufen. Sie wollten was zum Zuessen haben zu ihrem Schnaps (er hatte zwei Flaschen mitgenommen, falls bei ihnen zufällig Schmalhans herrschen sollte, obwohl er das nicht durfte; aber das war ja nur bürokratisches Gewese). Auf dem nächsten Hof kaufte die neue Frau, der sicherlich eine Firma in Kopenhagen gehörte, auf jeden Fall drei Glas (auch für sie hatte er eine Flasche mit, falls irgendein Mangel angedeutet werden sollte). Frau Petersen aß keinen Hering, aber auf dem nächsten Gehöft aßen sie auf jeden Fall ein Glas die Woche — zum Frühstück, weil der Mann von Seeland stammte; auf dem nächsten bestand keine Chance, und nun hatte er sich doch verrechnet, das war ganz offensichtlich, denn der alte Folketingsmann in der früheren Oberförsterei war verreist, nach Teneriffa oder Marokko, sie nahmen sonst jede Woche vier Glas. Die Frau war so nett. »Wollen Sie nicht einen Kaffee, Kindbjerg?« und in dem Stil. Aber sie waren nicht da. Das würde sich auch beim Käse und bei den russischen Krabben bemerkbar machen, von denen er ein paar Dosen mithatte. Doch bei den Salaten blieb es sich gleich. Sie aßen nur selbstgemachten Salat. Er mußte sich was einfallen lassen, um die Gläser mit mariniertem Hering loszuwerden. Sie waren fast schon überlagert. Der Fabrikstempel saß verdammt fest auf dem Etikett, und ohne Etikett konnte er sie nicht verkaufen. Er hatte es schon mit Radierwasser und allem versucht. Bisher hatte sich noch keiner beklagt, aber es war klar, daß Frau Petersen sofort Preisnachlaß haben wollte, wenn das Verbrauchsdatum überschritten war. Trotzdem, wenn er sich anstrengte, würde er allen Hering, bis auf zwei Glas vielleicht, verkaufen.
Er bog von der Landstraße ab und fuhr die schmale staubige Allee zur Tierarztfamilie hoch, das waren ein paar ungewöhnlich nette Leute, die jedoch Wert auf Qualität legten. Aber sie waren eine große Stütze. »Sie dürfen nicht aufhören«, sagte die Frau immer. »Wir können es einfach nicht missen, daß Sie angehupt kommen, Kindbjerg«, sagte sie. Sie sei ausgebildete Säuglingsschwester, hatte sie erzählt, aber die Gemeinde habe bis jetzt noch keine Kinderkrippe.
Der Tierarzt war nicht zu Hause. Die großen Tore der alten Scheune standen weit offen. Es kam ja darauf an, schnell rauszukommen, wenn ein Schwein ferkeln sollte. Schweine kosteten immer noch ein kleines Vermögen, und je größer sie wurden, desto mehr kosteten sie. »Wissen Sie, was ein Schwein im Laufe eines Jahres bringt, Kindbjerg?« hatte der Tierarzt ihn eines Tages gefragt, als sie zusammen ein Bier auf der Treppe tranken; es war so heiß an dem Tag. Und dann hatte er einen schwindelnd hohen Betrag genannt. Beinahe mehr, als eine Frau bei Halbtagsarbeit verdienen konnte. Doch das meiste davon mußte wieder investiert werden. Es kehrte zurück, schwoll aber trotzdem ein bißchen an, wenn man vorsichtig war.
Es blieb ja nichts weiter übrig, als zu versuchen, es in Gang zu halten, es sich etappenweise vorzunehmen, dann erreichte man stets flott sein Ziel.
Er stiebte auf den Hofplatz, und die Sonne gleißte auf den Blechdächern und in dem kleinen Springbrunnen, der mitten auf dem Hof plätschernd und blubbernd einen schwachen Strahl aus einem Hahn in die Höhe sandte. Er stieg aus, und aus dem Garten kam die Tierarztfrau in kleinen weißen Shorts und einer geblümten Bluse, die über der Bauchhaut offen war, ein buntes Kopftuch ums Haar gebunden, und lächelte und sagte: »Schön, daß Sie gekommen sind, Kindbjerg«, mit ihrem putzigen fünischen Einschlag in der Ausdrucksweise, »wie heiß es heute ist!«
»Ja, und das soll so bleiben, man kann bald abends draußen sitzen«, sagte er.
»Haben Sie irgendwelchen Hering, Kindbjerg?« fragte sie.
»Ich hab mich eingedeckt, darauf können Sie sich verlassen«, antwortete er etwas zurückhaltend. »Ich hab mir heute morgen gesagt, es wird Heringswetter, richtiges Heringswetter, mit einem Schnäpschen zum Abendbrot und allem Drum und Dran. Es ist also alles da.«
Sie kaufte sechs Glas.
»Nun fehlt leider der Ziegenkäse und der Schnaps«, sagte sie.
»Hier ist er«, sagte er, »der feinste Ziegenkäse von Jensen & Jensen und all die guten alten Grünschnäbel aus Ålborg.«
»Sie denken aber auch an alles, Kindbjerg«, sagte sie und nahm ihm seine drei Flaschen Schnaps ab.
»Alles für die Kunden«, sagte er.
»Wollen Sie ein Bier?« fragte sie, »auf der Treppe, im Schatten?«
Der Hund kam angeschlichen, an der Schattenkante entlang.
»Schöner Hund«, sagte er, »nein, danke, Frau Schmidt, heute nicht. Heute ist der Fleischer unterwegs. Ich muß mich ums Geschäft kümmern, ich muß los. Alles für die Kunden, aber für sich selbst soll man auch nichts verkehrt machen.«
»Ja, aus dem mach ich mir nichts«, sagte die Tierarztfrau, »er ist allzu höflich.«
»Schön zu hören«, sagte Kindbjerg, »meine Kragenweite ist er auch nicht.«
»Und dann all seine Weibergeschichten«, sagte die Tierarztfrau, »man weiß gar nicht, was man von ihm halten soll.«
Große Ergebnisse waren erreicht, fand er, als er vom Hof fuhr. Der Verdienst war einleuchtend, der Aufwand sehr bescheiden. So sollte es sein. Guter Kunde. Und den Fleischer konnte sie nicht leiden. Eine kluge Frau. Konnte seine Weibergeschichten nicht leiden, sagte, er sei zu höflich. Doch er wollte sich von ihren Äußerungen nicht völlig einwickeln lassen. Es gab andere, die Wert legten auf Höflichkeit, ja übertriebene Höflichkeit, auch damit konnte er dienen. Er konnte manches. Weibergeschichten erzählen, das konnte er nicht. Das war ein Mangel, denn man konnte nie wissen, ob es nicht Kunden gab, die vollkommen hinten und vorn vergaßen und einfach nur dastanden und kauften: marinierten Hering und Curryhering und kleinen schwedischen Dillhering und Sprotten und geräucherten Dorschrogen und eine von den großen russischen Krabben und einen Alaskalachs, eine südjütische Dauerwurst, eine Thüringer Teewurst und etliche Kilo Ziegenkäse, während sie vor lauter Verblüffung über seine Weibergeschichten Mund und Nase aufrissen.
Jeder Kunde mußte auf seine Weise behandelt werden.
Er rechnete aus, daß der Umsatz vielleicht 1675 Kronen betragen würde, wenn man die Tierarztfrau als richtungweisend nahm. Es war jetzt fünf nach halb neun. Von nun an bis um eins mußte er die Stunde vier Kunden schaffen und dann bis halb sieben je Stunde drei, falls nicht einer zu viel kaufte oder er gezwungen war, ein bißchen reichlich zu reden, um sie dazu zu bringen, nächstes Mal mehr zu kaufen.
An den 1675 Kronen würde er gut 288 Kronen verdienen, doch davon gingen die Ausgaben fürs Auto, für Verluste und Steuern ab. Für ihn selbst blieben nur 122 Kronen, das entsprach einem Stundenlohn von unter 12 Kronen, das konnte sich jeder ausrechnen. Das war weniger, als ein Schlosser oder eine Reinmachefrau verdienten. Ja selbst die jungen Leute, die auf den Kleinen aufpaßten, wenn er und Ellen ausgingen, erhielten bis Mitternacht sechs Kronen die Stunde und danach zehn.
Er kam in einer Staubwolke zur Landstraße und mußte einem Zementauto die Vorfahrt lassen, das bestimmt zu der neuen Zentralschule wollte, die sie bauten, oder zu dem neuen Gemeindeamt, das sie schnell noch bauen wollten, bevor sie bei der nächsten Gemeindewahl gestürzt wurden. Und er vertrödelte hier seine Zeit. Die Privatinitiative wurde stets zur Seite geschoben. Er verdiente immer weniger und mußte inimer mehr Steuern zahlen. Das Ganze war ein einziger Mist. Doch die Tierarztfrau redete so nett und sah so süß aus, wirklich, es wär dumm von ihm, etwas anderes zu sagen, als daß sie in der Gemeinde dringend eine Kinderkrippe brauchten, obgleich das gar nicht seine Meinung war, doch wenn sie erst in der Stadt war, kaufte sie bei einem andern, und so würde es überall gehen. Schließlich würde er dastehen und an die Männer, die ins Haus wollten, um sich zu Mittag Bratkartoffeln zu machen, eine Tüte geröstete Zwiebeln absetzen, und inzwischen kauften ihre Frauen in der Stadt in den Supermärkten ein.
Als er sich dem nächsten Seitenweg näherte, sah er eine Staubwolke vom Hof der Kopenhagener zurückkommen und an ihrer Spitze das Vorderteil eines großen blauen amerikanisehen Wagens, das konnte nur der Fleischer sein, der nun, ohne zu warten, in die Landstraße einbog; er fuhr einfach drauflos und schwenkte rum und ließ die Staubwolke an der Einfahrt zum Seitenweg stehen, so daß er das Fenster schließen mußte, um nicht das Ganze ins Auto zu kriegen, auf die Gläser und Dosen und Schachteln und den Käse und auf den weißen Kittel.
Er betätigte die Lichthupe — wenn das doch bloß ein Maschinengewehr wäre! —, er würde gern hinter ihm herfahren, aber er konnte seine Route nicht unterbrechen, er mußte seine Route einhalten, damit sie mit ihm rechneten, sonst würde er nichts als eine Dose von der billigsten Leberpastete verkaufen, so waren die Leute.
Er fuhr, so schnell er konnte, hinauf zu dem großen gelben Gehöft, stieß dort zurück bis vor die Küchentür, die gleich bei der Einfahrt war, öffnete die Hecktür des Wagens und ging zur Küche und klopfte an. Aus dem Innern des Hauses klang schwaches Rufen, Türen wurden geöffnet und geschlossen, und schließlich stand sie mit der Brille in der Hand da und sah ihn und das Auto kurzsichtig an und sagte: »Ach ja, Sie kommen heute ja auch, das ist aber praktisch.«
Sie fragte ihn aus, was er habe, und fragte viel, ob er nicht auch noch was andres habe. Die ganze Zeit. Er sagte nicht »leider«, sondern schrieb es sich in sein Auftragsbuch, so daß er es das nächste Mal oder in der Woche darauf mithatte.
Ob er glaube, daß er zum nächsten Donnerstag Stilton-Käse besorgen könne.
Das sei ganz selbstverständlich.
Ob sie nicht mal die neueste wacholdergeräucherte Dauerwurst probieren wolle.
Nun habe sie schon beim Fleischer Dauerwurst gekauft.
Das verstünde sich.
Merkwürdiger Mann.
Nun ja, das sei schon möglich.
Er blickte hinüber zum Garten, wo in einem runden Mittelbeet rings um die Fahnenstange Narzissen blühten. Dahinter die Blutbuche, unter die sie einen weißen Gartentisch mit Stühlen gestellt hatte.
Und marinierten Hering?
Doch, den habe er.
Wenn es welche von Glyngøre seien, wolle sie fünf Glas haben.
Er pfiff, während er die Gläser rausholte, stellte sie in eine kleine Pappschachtel und sagte, er würde sie ihr reintragen.
»Bei Glyngøre, da weiß man, was das ist«, sagte er.
»Ich kaufe nur Glyngøre«, sagte sie.
Er wollte damit warten, es sich aufzuschreiben.
Sie war noch beim ersten Frühstück. Sie trank Juice, aha, aß Joghurt, aha, Diätmargarine, aha, Skelskør-Marmelade, aha. Er wiederholte es im stillen. Das mußte notiert werden.
Er stellte die Heringe auf den Küchentisch und sagte: »Auf Wiedersehen!« Draußen pfiff er, als er die Hecktür schloß und dann dastand und sich alles in sein Auftragsbuch schrieb.
Oben an der Kreuzung von Seitenweg und Landstraße bestellte er telefonisch alle Glyngøre-Produkte zum nächsten Morgen früh. Die Firma war ein guter Gläubiger mit einer soliden nordwestjütischen Ökonomie, verbunden mit Sinn fürs Moderne. Einwandfreie Musterpakete zu Weihnachten. In den letzten Jahren hatte er sie seinem Schwager verehrt.
Es war eine gute Idee gewesen, seine Stellung beim Konsum zu kündigen. Eine verdammt gute Idee. Sie hatten ihn nicht im Nachbarkonsum als Lagerverwalter einstellen wollen, weil er keine Mittlere Reife hatte.
Er dröhnte mit 120 den einen Kilometer Landstraße lang, überzeugt, daß er den Fleischer einholte, der zuviel erzählte und zu viele Histörchen zum besten gab. Altmodische, allzu aufdringliche Manieren für einen Geschäftsmann.
Er jagte runter in Richtung der hohen Steine neben der Einfahrt und konnte in den Hofplatz sehen, wo das Fleischerauto stand, doch der Fleischer stand nicht da. Bestimmt tranken sie Kaffee, und der Fleischer erzählte Histörchen. Der Gedanke tat ein bißchen weh.
Er hielt am Schweinestall, doch das war zu peinlich. Er mußte bis auf den Weg zurückstoßen und erst losfahren, wenn er den Fleischer starten hörte, und dann gesetzt daherkommen und Frau Petersen seine Ware anbieten, die beim Fleischer bestimmt nicht das erhalten hatte, was sie brauchte.
Er wartete zehn Minuten mit summendem Motor.
Sie mußten viel zu erzählen haben.
Weibergeschichten. Drinnen im Haus traute er sich das nicht. Frau Petersen war eine feine Dame, die ihre Rosen selbst beschnitt. Im Sommer traf er sie immer mit der Gießkanne in der Hand an und einem roten Band ums Haar.
Er stellte den Motor ab und öffnete das Fenster.
Die Lerche sang, nicht eine, sondern Tausende von Lerchen, auf und ab, kleine Erdbeben von Tönen. Doch sonst war es still. Auf der Landstraße kam ein großes blaues Lastauto angefahren. Das war Munkemøllen, der mit neuer Lieferung unterwegs war.
Er wollte Frau Petersen ja nicht verdächtigen.
Da startete der Fleischer laut und vernehmlich. Er selbst startete mit einem Aufbrüllen und rollte eilig mit einer kräftigen Staubwolke los, die er rund um den Schweinestall hinter sich herzog, wo ihm der Fleischer im Schneckentempo entgegenkam und gerade im Begriff war, sich richtig hinzusetzen.
Der Fleischer grüßte mit einem kleinen Nicken, doch er grüßte nicht. Er fuhr vorbei, den Blick auf die Einfahrt gerichtet, wo er einlenkte und zurückstieß, so daß Frau Petersen einen ansprechenden Eindruck erhielt.
Nachdem er angeklopft hatte, öffnete Frau Petersen halb die Tür.
»Tja, nun ist ja eben der Fleischer hier gewesen«, sagte sie.
Aha, das sei wohl das Auto gewesen, dem er begegnet sei, entgegnete er verständnislos.
»Das weiß ich wirklich nicht«, sagte sie, »aber ein Glas marinierten Hering werde ich trotzdem nehmen. Haben Sie auch ein bißchen was unten auf dem Wagenboden?«
»Frau Petersen, ich glaub, ich hab da eine Flasche für den inneren Gebrauch«, sagte er übermütig. »Als ich heute früh losfahren wollte, dachte ich so bei mir, du kannst doch wohl nicht losfahren, ohne die mitzunehmen.«
»Geben Sie mir eine große Flasche«, sagte sie. Sie ging rein und holte Geld. Er suchte die Flasche und das Glas Hering hervor und stellte es neben der Waage hin. Er sah sich auf dem Hof um, wo die Hühner zwischen den Pflastersteinen Gras pickten. Sie nahmen alles mit. Sie waren klüger als die Menschen.
»Ich hab heute einen vorzüglichen Ziegenkäse, Frau Petersen«, sagte er, »aber den hab ich auch nächsten Donnerstag.«
Er war sehr froh, die Zukunft festlegen zu können.
»Ich glaub beinahe, ich wart noch damit«, sagte sie. »Nein, geben Sie mir ein Kilo. Mein Mann mag so gern Ziegenkäse.«
Das wurde ein glänzendes Geschäft. Auf diese Weise würde er weit über 1900 in die Kasse kriegen.
Er lächelte, als er vom Hof fuhr. Der Ausdruck »den hab ich auch nächsten Donnerstag« war ein Coup. Sie wußten, er kam. Sie schoben ihren Einkauf auf, denn er kam ja. Nun mußte er nur noch am Fleischer vorbei. Die kleine Häuslerfamilie am nächsten Seitenweg konnte er überspringen und sie abends auf der Rückfahrt besuchen. Auf der Landstraße gab er Gas, und er triumphierte, als er das Auto des Fleischers in einer Staubwolke von der Häuslerstelle zurückkommen sah, wo sie höchstens für 12,50 ein bißchen Schmorwurst und eine Dose Makrelen in Tomate gekauft hätten; das war überhaupt nicht der Mühe wert.
Er bog in den alten Gemeindeweg ein, der in dichter besiedeltes Gebiet führte, wo es kreuz und quer von der Straße abging, aus einem Gehöft raus und ins nächste rein. Er schlug den ersten Weg rechts ein und sah im Rückspiegel, daß der Fleischer vorbeifuhr und in den ersten Weg links nach Margarethesvile einbog. Das war Betrug, regelrecht unlautere Konkurrenz. Er mußte halten, um zu sehen, ob das auch wirklich stimmte, doch es gab keinen Zweifel. Er sah das blaue Auto in den Gutshof wippen, an den großen Seitenflügeln vorbei und hin zur Freitreppe mitten auf dem Hof, wo die Gutsbesitzersfrau vorsichtig runterkommen und dies und jenes kaufen würde, nur keinen Hering. Dort setzte er immer viel Salat und viel Käse ab und hin und wieder auch eine südjütische Wurst und schwedisches Knäckebrot.
Er fuhr auf den Hof eines kleinen Fachwerkgehöftes, wo die biedere Frau Larsen mit ihrem Kopftuch um das schüttere Haar und ihrer Krankenkassenbrille über den Kies angeknirscht kam und guten Morgen sagte, daß man dachte, man singe in der Schule das Morgenlied. Sie war rüstig, aber ein bißchen sparsam.
Sie kaufte für 16,25. Das war etwas unter dem minimalen Tagesdurchschnitt. Es sollte ein Stückchen vom frischen Danbo und vom großen Rosenborg Blue sein, mit Hering brauchte man Frau Larsen aber nicht zu kommen, auch nicht mit Salaten. Sie nahm die Beutel und Schachteln und Dosen mit all dem neumodischen Kram in die Hand und las, was darauf stand, legte sie aber wieder hin, als habe sie nicht begriffen, daß in den Verpackungen spannende eßbare Dinge waren.
Nun wollte er das mit Donnerstag auf eine besondere Weise sagen.
»Heute bin ich mit dem Danbo ein bißchen knapp dran« — dabei hatte er 20 Kilo mit —, »aber nächsten Donnerstag gibt es frischen Nachschub direkt von der Käserei.«
»Der ist so köstlich«, sagte Frau Larsen und hatte Sonnenschein in den Gläsern ihrer Krankenkassenbrille.
Er fuhr vom Hof und überlegte, ob er den Gutshof überspringen und ebenfalls am Nachmittag aufsuchen solle, doch auf die Weise würde er sich freiwillig auf eine Teilung des Marktes einlassen. Er mußte nach vorn kommen. Doch wenn er nach vorn gekommen war, konnte der Fleischer ein paar Stellen mehr überspringen und mindestens auf jeder dritten Stelle als erster dasein. Dann sanken die eigenen Chancen um ein Drittel. Wenn er zufuhr, gelang es ihm vielleicht, den redseligen Fleischer unter Druck zu setzen, so daß dem nur der vierte Teil des Marktes blieb, doch dann würde er selber nur sehr wenig mit den Kunden reden können, so nervös und überhastet handeln, daß er vielleicht nicht soviel verkaufte. Er mußte das Gleichgewicht finden, irgendwas zuerst unternehmen, was gut war, und daraus was machen, irgendwas später unternehmen und daraus ebenfalls was machen und den Fleischer allmählich verdrängen, so daß der freiwillig aufgab und zu Hause in seinem Laden blieb, wo er auch hingehörte. Wo gab es denn so was, daß ein Fleischer so herumkutschierte! Das war doch nicht sein Job. Er entschloß sich, ein paar Stellen weiter zu fahren, und machte dort ein gutes Geschäft. Doch als er zur Landstraße zurückfuhr, sah er, daß der Fleischer dieselbe Taktik anwandte. Er fuhr ebenfalls weiter und suchte sich ein paar gute Stellen aus, wo sie Rinderbraten und Schweinefilets und Dosen mit Krabben und Würste und Hering und alles so was kauften und wo die Rechnung mindestens 78 Kronen betrug.
Damit war der Markt ohne Absprache geteilt. Das war der reinste Diebstahl!
Jetzt konnte er sich auf den guten Stellen reichlich Zeit lassen und sich dann beim Fleischer hinten anhängen und all die Stellen mitnehmen, die der übersprang, und die Kundenkette sehr dicht aufbauen. Nachmittags konnte er sie dann ausfüllen. Er mußte ein System finden, mit dem er dem Fleischer Angst machte. Und dann dieser Dreh mit Donnerstag, auf den der Fleischer nicht gekommen war.
Er versuchte diese Taktik, stellte jedoch fest, daß der Fleischer zu all den guten Stellen unterwegs war, auf die er sich selber vorbereitet hatte. Der Fleischer fühlte sich sicher und überlegen. Großmäulig schaufelte er für seine halbverdorbene Ware nur so das Geld in seine große Kasse.
Er fuhr zu, und an der Einfahrt zu einem Seitenweg, wo ihm der Fleischer die Vorfahrt lassen mußte, was er ausnutzte, gelang es ihm gerade so, an ihm vorbeizukommen. Nun konnte der hinter ihm den Lumpensammler machen. Doch das tat er bloß nicht. Er fuhr einfach noch weiter, so daß der Himmel wissen mochte, worauf er eigentlich aus war.
Als er zu Oberförsters runter kam, war der Fleischer schon dagewesen, und er verkaufte nicht das geringste. Als er zum Folketingsmann wollte und abbog, kam der Fleischer und machte Zeichen und hielt und kurbelte das Fenster runter und rief ihm zu, ob er ihm nicht ein paar Dosen marinierten Hering borgen könne.
»Hab keine«, erwiderte er kurz angebunden.
Der Fleischer hob ein wenig den Kopf und lächelte. Er fuhr weiter den Seitenweg rauf und traf die Tochter des Folketingsmannes, die in Kalundborg wohnte, zu Hause an. Sie kaufte den Rest marinierten Hering und eine Flasche Schnaps, denn nun kamen ja ihre Eltern bald zurück und würden sie sich zum Lunch zu Gemüte führen.
Das munterte seine Stimmung wieder ein bißchen auf. Er war über die Frechheit des Fleischers verzweifelt. Ein paar Dosen marinierten Hering borgen. Ein paar Dosen. Das war der reinste Einbruch. Das war ein Bruch des Konkurrenzgesetzes. Das war ein katzenfreundlicher Versuch, sich zu arrangieren. Sie waren doch keine Genossenschaft. Sie waren Geschäftsleute. Sie durften sich nicht gegenseitig helfen. Das war direkt ungesund. Die Instinkte verfielen. Der Blick trübte sich. Der Sinn für Qualität war im Schwinden begriffen. Darauf ließ er sich niemals ein. Konnte sich der Fleischer denn das nicht selber ausrechnen? War er nicht in der Lage, sein Geschäft so zu führen, daß die Kunden nichts vermißten?
Wenn er es ruhig angehen ließ, würde der Fleischer auf der Strecke bleiben.
Während er weiterfuhr, zählte er im Kopf die Beträge zusammen und machte eine Bestandsaufnahme über sein Lager. Der Hering war verkauft. Eine Flasche hatte er noch. Die würde er nicht loswerden. Die Salate gingen nur langsam weg, das war schade, und an Wurst bestand keine große Nachfrage, aber der Käse, der ging weg wie warme Semmeln. Er hatte fast 650 Kronen eingenommen, und dabei war es erst halb elf.
Er würde auf sein Handelstalent vertrauen und den Fleischer Fleischer sein lassen. Würde war auch etwas, worauf die Kunden Wert legten.
Nun kam er ins Häuslergebiet, und nach dem letzten größeren Hof ordnete er das Angebot an Salaten, so daß es verlockend aussah. Hinter dem Aufschnitt bildeten all die blaß schimmernden Farben mit ihrem undeutlichen Inhalt an Lekkerbissen eine ganze Skala, leicht zu erreichen, leicht aufzunehmen und hochzuhalten und in Versuchung zu geraten. Es klappte auch. Sie kauften wie wild und besessen. »Das ist Sommerkost«, sagten einige. Vierzehn Tage zuvor hatten sie gesagt: »Das ist doch so einfach!« Und im Dezember hatten sie gesagt, es sei so angenehm, was in der Kühltruhe zu haben. Sie mochten es.
Noch vor Mittag kamen über tausend Kronen ein, und dabei hatte er nicht eine Spur vom Fleischer gesehen. Keiner erwähnte ihn, alle lächelten froh, wenn er: »Auf Wiedersehen nächsten Donnerstag!« sagte. Er war im Begriff, den Fleischer in Grund und Boden zu fahren.
Nach dem Lunch — er hatte sein Essen im Auto verzehrt und ein helles Faxe dazu getrunken, war ausgestiegen und hatte seine Ware geordnet und gezählt und im Auftragsbuch nachgesehen, ob er auch alles erledigt habe, und Überlegungen angestellt, welche neuen Waren er gewissen Kunden empfehlen sollte — sie wollten ja nicht immer das gleiche haben —, fuhr er weiter und bog in einen Seitenweg ein. Nach ein paar hundert Metern kam der Fleischer mit seiner großen Staubwolke hinter ihm hergeprescht und holte auf und fuhr, das eine Rad auf dem Randstreifen, neben ihm her und an ihm vorbei und verschwand mitsamt seiner Staubwolke so schnell, daß er gar nicht dazu kam, das Tempo zu erhöhen, bevor alles vorüber war. Doch damit würde er sich nicht abfinden. Er trat das Gaspedal bis auf den Boden durch und jagte hinterher. Das Auto des Fleischers lag zum Glück so tief, daß der gezwungen war, an den Stellen, wo der Mittelstreifen sehr hoch war, das Tempo zu drosseln, und dort kam er an ihn heran und hupte wie ein Verrückter, um den Fleischer zum Ausweichen zu zwingen, doch der machte sich breit, ohne sich von dem Gehupe erschüttern zu lassen; er konnte im Innenspiegel des Fleischers Gesicht mit den Pistolenaugen und dem kleinen, aufreizenden Lächeln darunter sehen.
Ihn befiel Atemnot, nicht in der Nase, sondern im Hals. Die Muskeln schwollen an, und das Zwerchfell wurde zu einer großen schwarzen Warze, die sich einfach nicht bewegen ließ. Er spähte nach vorn, und als die Fahrbahn so aussah, als habe sie einen festen Randstreifen, schoß er dort raus zwischen Gras und Blättern und Maulwurfshaufen und gelangte am Fleischer vorbei, dessen großer, schwerer Wagen einfach nur weiterrumpelte. Der Fleischer erhöhte nicht mal das Tempo, sondern ließ ihn an sich vorbeiziehen.
Er kam als erster auf den Hof und stieg schnell aus, doch der Fleischer fuhr an ihm vorbei und hielt vor der Küche, warf den Schlag zu und ging zur Küchentür, aus der die Bauersfrau trat und lächelnd »Guten Tag!« sagte. Er ordnete inzwischen seine Ware. Wieder dasselbe, unlauterer Wettbewerb.
Der Fleischer und die Bauersfrau standen beieinander und sahen sich das Fleisch an. Sie kaufte sowohl Stückenfleisch und Kasseler Rippespeer als auch Thunfisch in Tomate und Gurken und Tomaten und Käse und Salat. Das machte 54 Kronen, die ihm geradezu aus der Tasche gezogen wurden. Der Fleischer stand dahinten und lachte über eine seiner eigenen Bemerkungen, und die Bauersfrau lachte ebenfalls. Das war eine Unverschämtheit. Sie ließen ihn stehen und seine Zeit vertrödeln. Doch das durfte er sich um Himmels willen nicht anmerken lassen.
Der Fleischer wendete auf dem Hof und kam an ihm vorbei und grüßte mit der linken Hand und fuhr davon, sich bedächtig nach allen Seiten umsehend. Er grüßte nicht. Er war doch nicht dessen Genosse, das sollte der sich merken.
»So, kommen Sie auch heute?« sagte die Bauersfrau. »Das hätt ich wissen sollen, dann hätt ich alle Büchsenware bei Ihnen kaufen können. Wir müssen ja dafür sorgen, daß Sie auch weiterhin kommen.«
»Das Geschäft floriert«, antwortete er, »eine Zeitlang ging es zwar bergab, aber nun läuft es wie geschmiert. Ja, der Fleischer hat ja so seine Schwierigkeiten, soviel ich weiß.«
»So«, sagte sie, »er ist sonst so ein netter Mann mit einwandfreier Ware.«
Totales Mißverständnis.
Sie kaufte ein großes Stück Ziegenkäse. Und wie es denn mit Schnaps aussehe.
Doch, den habe er.
Der sei zum marinierten Hering, den sie beim Fleischer gekauft habe.
Er wäre fast hintenüber geschlagen. Der Fleischer hatte also doch welchen gehabt und bloß seinen Umsatz schmälern wollen.
Aber den Schnaps sollte sie trotzdem haben.
»Der neue Christianshavnerschnaps ist nächsten Donnerstag unten auf dem Wagenboden mit dabei«, sagte er.
»So schnell geht das nicht bei uns«, entgegnete sie. »Der hier reicht den ganzen Sommer.«
Es machte 54 Kronen, genau derselbe Betrag wie beim Fleischer. Er hätte das Doppelte reinhaben können, dann wäre er über 1100 gekommen. Er nahm einen Brief mit zur Post, das war eines der Dinge, die man mit Freuden tun mußte, der kleine Dienst verknüpfte einen auf gute Weise miteinander.
Als er hinauf zur Landstraße fuhr, packte ihn aufs neue die Wut. Er ließ vier Wege aus, um den Fleischer endgültig zu überholen und ihm, falls er ihm begegnete, direkt in den breiten Kühler zu fahren und ihm die Meinung zu sagen. Er war versichert. Er überlegte es sich trotzdem anders, doch irgendwas mußte passieren. Aber was? Er merkte, daß er im Begriff war, zu sehr darin aufzugehen, und ermahnte sich selbst, doch Geschäftswürde zu bewahren, aber es sickerte aus dem Gemüt und setzte sich im ganzen Körper fest, und er sagte laut zu sich selbst, daß der Fleischer niedergeschlagen werden müßte.
Während er auf den nächsten vier Höfen dastand und mit den Leuten ins Geschäft kam, dachte er immer nur an den Fleischer. Er verlor, als er Wurst anbot, den Faden und war nicht imstande, wegen des Drucks von innen her die Zahlen auf seinem Block zusammenzuziehen.
10,25 schrie es in ihm, als er vom Hof fuhr. Er mußte sich mäßigen. Er versuchte es auf dem nächsten Hof und auf dem nächsten und auf dem nächsten und merkte, wie es schiefging. Er dachte nur an den Fleischer und an eine Schlägerei, er hatte Angst, zu verlieren. Auch an das große Messer dachte er. Doch er hatte auch eins. Er konnte von hinten kommen.
Auf den vier Gehöften kamen insgesamt 50,75 ein.
Der Fleischer konnte dagewesen sein, aber die Kunden sagten nichts, und er wollte nicht fragen. Auf dem fünften Hof fragte er trotzdem, doch der Fleischer war nicht dagewesen. Kam der denn auch donnerstags?
Als er vom fünften Gehöft zurückkam, sah er ihn auf der Landstraße fahren.
Der Fleischer hatte eine Frau im Auto. Er hielt reichlich Abstand zu ihm und folgte ihm von der Landstraße runter zum nächsten Gehöft und hielt so, daß er den Hof überblikken konnte, ohne gesehen zu werden. Sie hatten sich sehr lebhaft unterhalten. Er sah den Fleischer aussteigen und Frau Petersen aussteigen, und die Bauersfrau kam heraus und begrüßte Frau Petersen und den Fleischer und kaufte dann bei ihm ein. Es wurde ein sehr großes Paket, soviel er sehen konnte. Und dann winkte der Fleischer auf seine träge Weise ab, große Pranke in die Luft, und fuhr los, und Frau Petersen und die andere Bauersfrau standen da und winkten ihm von der Treppe aus zu. Na, so was.
Er fuhr zum Tor hinein, als der Fleischer rausfuhr und wie üblich grüßte, doch er blickte ihn so höhnisch an, daß es nicht zu übersehen war.
Er hatte jetzt keine marinierten Heringe mehr, und das war das einzige, was sie haben wollten. Er war drauf und dran, eine Bemerkung über den Fleischer fallenzulassen.
Er mußte unverrichteter Dinge abziehen und sah wenig später den Fleischer weit hinten auf der Landstraße. Er fuhr hinter ihm her. Er überholte ihn und setzte sich an die Spitze. Der Fleischer hatte das Fenster auf und den einen Arm raus, und das Haar flatterte auf und nieder. Er fuhr ein paar Kilometer, wobei er sechs Kunden übersprang, doch offensichtlich legte der Fleischer auf keinen davon Wert. Er fuhr noch ein paar Kilometer und bog dann zu einem Gutshof ab, wo keiner zu Hause war, so daß er wieder vom Hof runter und zur Landstraße zurückfahren und in ein paar Kilometer Entfernung den Fleischer sehen konnte, der einfach weiterfuhr und alle Kunden verschmähte. Er beschloß, ihn noch einmal zu überholen, und fuhr dann zu einem Gärtner, wo er den restlichen Ziegenkäse und eine Menge Aufschnitt und eine Wurst verkaufte, alles in allem für 49,50. Gar nicht so übel.
Nun verließ er bald den Bezirk, und er beschloß, dem Fleischer nachzufahren, um zu sehen, was der vorhatte. Er wollte keine Stelle anfahren, bevor er sich nicht davon überzeugt hatte, was der Fleischer in dieser Gegend als gute Stellen betrachtete. Den Feind auf dessen eigenem Feld schlagen.
Er holte auf und folgte dem Fleischer in einem Kilometer Abstand und studierte dessen Verachtung all der Möglichkeiten, die sich rechts und links der Straße boten. Das sollten die Kunden bloß wissen, daß er sich nur die besten aussuchte!
Am letzten Weg bog der Fleischer ab und fuhr zu Mikkelsens runter, die solche netten Leute waren und die — jeder aus seiner Tür — rauskamen, wenn sie in der Mittagspause drinnen waren. Als der Fleischer dort reinfuhr, blieb er zurück. Er ließ den Motor laufen und wartete. Er kurbelte das Fenster runter und sah sich die Gartentische und die Vogelscheuche mit dem alten Damenhut mitten auf dem Erdbeerbeet an.
Zehn Minuten vergingen. Er stellte den Motor ab und stieg aus. Er hörte Mikkelsen drinnen reden und dann Frau Mikkelsen und dann den Fleischer und dann eine andere Stimme, und sie lachten sehr laut. Frau Mikkelsen wurde zu einem richtigen Papagei. Bestimmt waren das Weibergeschichten. Plötzlich sah er, daß hinter dem Fleischerauto ein anderes Lieferauto mit geöffneter Hecktür stand, offensichtlich der Käsehändler aus der Kleinstadt, der in seinen Bezirk eingebrochen war und nun dastand und sich mit dem Fleischer verbündete, der natürlich mit Freuden zusah, wie er vom Rand und von innen her aufgefressen wurde.
Er schlich zu einer Ecke und sah sie vorm Haus auf einer Bank sitzen, die Sonne im Gesicht und die Männer mit einer Bierflasche in der Hand, sehr entspannt und gutgelaunt. Mikkelsen erzählte.
Er verzichtete auf dieses Geschäft. Er wendete den Wagen und nahm sich die Kunden vom Ende her vor. Auf einigen Höfen ging es ganz ausgezeichnet, er kam sowohl dem Fleischer als auch dem anderen Käsehändler zuvor. Er war freundlich und aufgeräumt. Er wußte, was er wollte. Er hatte die Erregung überwunden. Er würde das Ganze schon in den Griff bekommen. Nur drauflos und an den Dreh mit Donnerstag und an das Auftragsbuch und an all die anderen kleinen, feinen Kunstgriffe gedacht, die er einsetzen konnte. Wenn man mit den Kunden Bier trank, ging man kaputt, das war eine alte Regel. Das Ganze würde sich von selbst erledigen.
Im Laufe des Nachmittags schaffte er es, alle Lücken auszufüllen und sich ausgezeichnet rauszureden. Die Kunden waren seinetwegen doch tatsächlich ganz in Angst.
»Ich hab wirklich geglaubt, Sie wären in den Chausseegraben gefahren«, sagte die Frau des Sägewerkbesitzers, »und dann mit all den Salaten, das war keine angenehme Vorstellung.«
Er erklärte, daß er nie über sechzig fahre.
Alles in allem wurden es 1948,50 Kronen, bevor er zu dem ersten Häusler kam, der für über hundert Kronen kaufte. Es wurde ein fabelhafter Tag.
Er war sehr froh, als er auf seinen Hofplatz einbog und ausstieg. Man sollte sich durch nichts beirren lassen. Klaren Kopf behalten. Wissen, um was es ging und mit wem man es zu tun hatte.
Ellen kam auf die Treppe raus.
»Sehr guter Tag«, sagte er, »über zweitausend, du.«
»Du mußt zu Petersens fahren«, sagte sie. »Sie hat angerufen und gesagt, die marinierten Heringe wären überlagert. Sie traut sich nicht, sie zu essen, und sie sollten zum Abendbrot sein.«
»Das hat nichts zu bedeuten.«
»Dann ruf sie an«, sagte Ellen.
Er wollte trotzdem lieber mit ein paar anderen Gläsern hinfahren. Er ging das Lager durch und fand ein paar Gläser, die noch sechs Monate Lebensdauer hatten.
Fort, fort.
Eine Viertelstunde später rollte er auf Bauer Petersens Hof. Im Hof stand das Fleischerauto, hinter der Fensterscheibe wandte ihm der Fleischer sein lächelndes Gesicht zu, und Bauer Petersen saß drinnen am Tisch, wo Bier und Schnaps und Branntwein schimmerten. Ihn befiel abermals diese Atemnot.
Frau Petersen kam raus, sie hatte ein schönes Kleid und leichte Schuhe an und zwei Gläser in der Hand.
»Nett von Ihnen, daß Sie kommen«, sagte sie und hielt ihm die beiden Gläser hin.
»Nicht der Rede wert«, sagte er, »das ist doch ganz selbstverständlich.«
Er wurde sie bestimmt woanders los.
Er fuhr nach Hause, die Sonne im Gesicht; die Schatten streckten sich lang auf der Straße aus.
Er war mit seinem Unternehmen allein. Er aß nicht mit seinen Kunden. Er ließ sich nicht einladen.
So ging es gut.