Читать книгу Das Mädchen mit der Muschelkette - Peter Seeberg - Страница 7

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Der breite Weg, den er einschlug, führte durch abgeerntete Felder, auf denen Herden von Ziegen und Schafen grasten. Auf den Steinmäuerchen oder bei den Hecken hockten junge Burschen oder alte Männer, die die Tiere hüteten und dabei mit einem Stock spielten und laut riefen, wenn sich eines der Tiere zu weit von der Herde entfernte. Es war fast derselbe Ruf wie der, den er von den Bauern in seinem Land kannte. Ein Stück entfernt auf dem breiten Weg erhob sich eine Staubwolke, davor waren Ochsen zu erkennen, die einen Karren zogen, hoch beladen, und obendrauf saß ein Mann. Da sah er, wie ein Junge in der Staubwolke auftauchte, er schrie laut und schlug auf die Ochsen ein, erst auf den einen, dann auf den anderen, aber das machte ihnen nichts, sie hoben nur die Köpfe, rissen die Mäuler auf und zogen ein wenig mehr an.

Arga-ir ging hinaus auf ein Stoppelfeld, die Stoppeln stachen ihn durch die verschlissenen Sohlen. Er ließ die Stadt hinter sich und wich der nächsten Herde aus, ging auf den Fluß und den fernen Wald zu.

Er merkte, wie ihn die Hirten beobachteten, und einer jagte einen Hund auf ihn, doch als das Tier näher kam, machte es sich klein, und als er vorbeigegangen war, kehrte es zu seinem Herrn zurück, als sei nichts geschehen.

Bei der ersten Hecke, durch die er kriechen mußte, wucherten Brombeerranken voller großer saftiger Früchte, die er unterwegs abzupfte; sie waren süß und stillten seinen Durst. Bei der nächsten Hecke war es genauso. Er blieb einen Augenblick stehen und pflückte, aß und behielt die grasenden Tiere und die Hirten im Auge.

Endlich erreichte er den Waldrand, der überquoll von Brombeeren und großen Nüssen, größer als die, die er kannte. Ihre Schalen waren bereits braun, und sie waren kurz vor dem Herunterfallen. Hier unter den Bäumen schmauste er, knackte und knusperte er in einer Seligkeit.

»Die beste Jahreszeit«, hatte Mutter immer gesagt und gelacht, während sie die nächsten beiden Nüsse nahm und knackte.

Hier war Schatten, niemand konnte ihn sehen, er aber sah weit hinein in den Wald, in den das Licht hereinbrach und helle Flecken auf den Waldboden machte, der vom Laub, das von den hohen Bäumen gefallen war, glänzte. Vielleicht gab es große Vögel und Hirsche, die er bitten konnte, gut zu ihm zu sein.

Er wanderte in Richtung Fluß. Das Gelände fiel leicht ab, wurde sumpfig, und durch das Unterholz erblickte er den träge dahinströmenden Fluß. Er blieb auf festem Boden und ging stromaufwärts. Zuerst die Flüsse hinauf, dann die Flüsse hinunter, so sollte er gehen.

Dann wich das flache Land, das einer zugewachsenen Bucht glich, einem steilen Flußufer auf der anderen Seite. Auf dem schmalen Geröllstreifen unterhalb der Flußböschung kam er gut vorwärts. Er hielt nach Fischen Ausschau. Weit draußen schossen kleine Forellen aus dem Wasser, aber es war zu tief, um hinauszuwaten, und er würde keinen Halt finden.

Ein Stück flußaufwärts mündete ein kleiner, rötlicher, breit fließender Bach mit kiesigem und steinigem Grund, seine Ufer waren mit langem Gras bewachsen, das über das Wasser hing. Hier stellte er sich ganz ruhig hin. Sie würden sich bald zeigen. Er lachte innerlich bei dem Gedanken.

»Kleine Forelle«, sagte er, »wie herrlich wird es sein, in dich hineinzubeißen.«

Sie kamen und blieben im Wasserloch stehen, wo das Wasser am frischesten war, er sah ihre glänzenden, dunklen Rücken. Er bückte sich so, daß sein Schatten nicht auf sie fiel, und holte sich die mit dem breitesten Rücken heraus. Er schaute sie an, und ihre Blicke trafen sich. Dann biß er in ihren Nacken, und mit ein paar Happen hatte er den Rücken verspeist. Sorgfältig aß er alles bis auf die Gräten auf. Nur Schwanz und Kopf, die er auf die Ufersteine legte, blieben übrig. Er schnappte sich noch einen Fisch, sie waren stehengeblieben, während er aß, so arglos waren sie, und er ließ sich den nächsten schmecken.

Wie gut die Fische waren.

Er wanderte den ganzen Tag, mittags döste er am Flußufer und verbarg sich jedesmal, wenn ein Fahrzeug vorbeikam: kleine Einmannboote mit Netzen und große Segelschiffe, die flußabwärts fuhren, beladen mit Waren, die unter Stoffstücken versteckt waren.

Kurz bevor er einschlief, dachte er an die Bauerntochter. Er redete auch mit ihr, nur ein paar Worte, und sie sagte auch etwas zu ihm, aber er konnte es nicht hören. Es ärgerte ihn, daß er nichts dagegen tun konnte. Ihm wurde bloß heiß dabei, und er bekam Lust, zu rennen oder zu fliegen.

Gegen Abend erreichte er einen Fluß. Er konnte nicht hindurchwaten. Er mußte versuchen zu schwimmen. Er hatte keine Ahnung, wie das ging, er würde es wie der Hund machen, den sie als Kinder hatten.

Am Ufer lag ein großer Ast, den konnte er ins Wasser legen und vor sich herschieben und dabei mit den Beinen strampeln. Das war vielleicht sicherer. Er watete mit dem Ast hinein, solange er stehen konnte, und stieß sich dann gegen die Strömung ab, um nicht in den großen Fluß getrieben zu werden. Er schwamm auf einen bestimmten Baum am anderen Ufer zu, schien aber nicht von der Stelle zu kommen. Er versuchte, seitlich zu strampeln wie ein Frosch, und das half ein bißchen. Er machte immer größere Bewegungen mit den Beinen, und ihm fielen die Vögel ein, die ihre Flügel ausbreiteten. Er ließ für einen Moment den Ast los und versuchte, die Arme wie die Vögel und die Beine wie ein Frosch zu bewegen. Er schluckte viel Wasser und wäre beinahe untergegangen, kam aber wieder hoch. Er konnte sich einen Augenblick treiben lassen und ausprobieren, ob es nicht am besten ginge, abwechselnd Arme und Beine zu bewegen. Er hielt sich über Wasser, prustete und schnaubte, und es war sehr anstrengend. Er kam kaum voran, aber dennoch besser als mit dem Ast, der vom schnellen Wasser erfaßt worden war und im großen Fluß trieb. Wenn er dorthin abgetrieben würde, wußte er nicht, was er machen sollte. Er wollte nicht ertrinken, er mußte den Fluß bitten, ihn an Land zu spülen.

Er kämpfte weiter, und plötzlich ging es besser. Vielleicht half ihm der Fluß. Er stellte fest, daß er sich dem Baum am andern Ufer näherte, einem toten Baum mit dürren Ästen, die ein Specht gelöchert hatte. Er tastete mit den Füßen nach Grund, aber vergeblich. Noch ein Stück mußte er kräftig Arme und Beine benutzen, dann kam ihm plötzlich das Flußbett entgegen, steil und steinig, doch dort, wo er aus dem Wasser stieg, war es weich, Blutegel schwammen über dem moorigen Grund, und das Wasser war warm, wie er es noch nie zuvor gespürt hatte.

»Manche behaupten, daß Menschen besser schwimmen können als Seehunde«, hatte der Vater einmal gesagt. Sonst nichts. Er hatte es wohl selbst nicht geglaubt.

Er schaute über den Fluß zurück. Wie ein Hund war er nicht herübergeschwommen. Er sah den Ast weit draußen in der Mitte des großen Flusses treiben. Es würde lange dauern, bis er sich an einem Ufer verfing.

Er schüttelte sich, und das Wasser spritzte von ihm. Er fror ein bißchen.

Flußaufwärts, dicht an seinem Ufer, sah er ein Boot kommen. Es wurde mit Paddeln fortbewegt, wie er und der Vater sie benutzten, doch das Fahrzeug war ungewöhnlich lang. Sechs Mann paddelten, und das Boot fuhr ziemlich schnell. Ein Mann saß im Vorsteven und einer im Achtersteven, sie redeten miteinander, lachten dabei viel und sprachen nicht dieselbe Sprache, die die Ruderknechte benutzt hatten. Hinter den Paddlern und vor dem Mann im Achtersteven saß eine junge Frau, die nichts sagte. Erst als der Mann im Achtersteven sie anredete und ihr auf die Schulter tippte, drehte sie sich um und antwortete ihm. Darüber mußten sie furchtbar lachen, das Gespräch nahm eine Wendung, und die Frau nahm nun daran teil.

Das alles beobachtete er stehend hinter einem Baum. Er trat erst dann in die Nachmittagssonne hinaus, als das Boot in der Mitte des großen Flusses angelangt war, die Männer die Paddel eingezogen und das, was sie Brot nannten, hervorgeholt hatten. Sie entfernten sich langsam, und er konnte sie noch lange hören. Die Stimme der Frau vernahm er bis zuletzt, eine klingende, lebendige Stimme, die er sicher nicht vergessen würde, obwohl er kein Wort verstanden hatte, das er behalten konnte, um zu überlegen, was es wohl bedeutete.

Er wanderte noch eine Weile, bis die Sonne tief über dem Wald stand, sie sah sehr groß aus, und wer fing sie wohl auf, wenn sie verschwand? Dann hielt er Ausschau nach einer geeigneten Astgabel, in der er schlafen konnte.

Das Mädchen mit der Muschelkette

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