Читать книгу Die 15 Gebote des Lernens - Peter Struck - Страница 11
1.3 Was hat die Debatte bislang bewirkt?
ОглавлениеSonntagsredner behaupten, unsere Kinder seien das einzige Zukunftskapital unserer Gesellschaft.
Im Mai 2001 haben die B-Länder, also die CDU/CSU-regierten, noch einen Antrag Brandenburgs auf Schaffung eines Konsenses über „Mindeststandards“, die die Schulen in Sachen Bildung anpeilen sollten, abgelehnt. Aber unter dem Eindruck von PISA und PISA-E hat die Kultusministerkonferenz ein Jahr später in Eisenach beschlossen, was jetzt in ersten Entwürfen vorliegt, nämlich ab 2004 „nationale Bildungsstandards“, die mehr als ein Lernzielkatalog sind, also auch Kompetenzen wie Schlüsselqualifikationen beinhalten, in allen 16 Bundesländern greifen zu lassen.
Wahrscheinlich wird eine unabhängige wissenschaftliche Institution diese Kerncurricula formulieren, und neu ist, dass das Bundesbildungsministerium, die separierende Kulturhoheit der Länder übergreifend, dabei beteiligt ist. Die Länder haben gewiss diesem partiellen Verzicht auf ihre eigene Spielwiese nur deshalb zugestimmt, weil der Bund dann für finanzielle Unterstützung sorgen wird.
Was haben zweieinhalb Jahre aufgeregter PISA-Debatten in der Öffentlichkeit nun aber wirklich bewirkt?
Gut sichtbar ist eigentlich nur Viererlei:
– Die Masse der Eltern hat verstanden, wie wichtig Bildung ist, und wird zunehmend ungeduldig, dass sich dennoch nicht genug in den Schulen nach vorn bewegt.
– Vor der Einschulung sollen Kinder mit keinen oder geringen Deutschfähigkeiten sprachlich in die Lage versetzt werden, den Wettlauf Richtung Schulabschluss mitzuhalten. Dafür hätte es aber eigentlich nach Züricher Vorbild einer Integration von Kindergarten und Grundschule bedurft.
– Jede vierte der 42.000 deutschen Schulen soll sich in Richtung Ganztagsschule öffnen, gefördert durch einen Vier-Milliarden-Euro-Topf des Bundes. In einigen Bundesländern sollen auch Privatschulen in den Genuss dieses warmen Geld-Regens kommen, der letztlich aber nur eine Türöffnerfunktion hat; denn die Hauptlast einer nachhaltigen Ganztagsschulentwicklung wird von den Kommunen getragen werden müssen.
– Obwohl in Sonntagsreden immer wieder behauptet wird, Bildung sei das beste deutsche Kapital und eine Förderung der jungen Menschen die sinnvollste Zukunftsinvestition in den Wirtschaftsstandort Deutschland, wird trotz aller DELPHI-, TIMSS-, LAU-, PISA-, DESI-, PISA-E- und IGLU-Studien im Kindergarten- und Schulbereich vor allem immer mehr gespart. Während die kleinen Länder um Deutschland herum einen wesentlich höheren Anteil ihres BIP in ihre Bildungseinrichtungen stecken, um im internationalen Wettbewerb überleben zu können, kürzen die deutschen Bundesländer – jeweils etwas unterschiedlich – durch Erhöhungen von Klassenfrequenzen und Lehrerarbeitszeiten, durch Beschneidung der Sachmittel, durch neue Lehrerarbeitszeitmodelle mit Jahres- und Lebensarbeitszeitkonten, durch Modelle zur Faktorisierung der Unterrichtsfächer (Beispiel Hamburg: Sport wird mit 75 Minuten, Deutsch mit 102 Minuten verrechnet), durch Lehraufträge für Pensionäre und andere Außenstehende und durch die Beteiligung der Eltern an Schulbuch- und Instandsetzungskosten.
Während die Brandenburger und die schleswig-holsteinische SPD als Konsequenz aus PISA die Einführung einer neunjährigen Grundschule begünstigen wollen und damit auf einer Linie mit einer Forderung der baden-württembergischen Handwerkskammer liegt, um mehr lernfördernde mitreißende Effekte, also mehr Integration entsprechend dem finnischen Motto „Jeder Lehrer hat sich gefälligst auf jeden Schüler in dessen Besonderheiten einzustellen“ zu erreichen, verkündet der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber in seinem Landtag die Wiedereinführung der Noten ab Klasse 1 und die vorzeitige Entbindung besonders schwieriger Schüler von der Schulpflicht.
Die einen wollen eben wie Bayern und Baden-Württemberg mit der Erhöhung der Elemente Angst und Selektion bei PISA besser werden, die anderen wie Schleswig-Holstein, Brandenburg und Berlin mit der Stärkung der Aspekte Motivation und Integration, wozu auch „Flexible Eingangsphasen“, die der Schüler ein, zwei oder drei Jahre lang besuchen kann, bevor er ohne Versagenserlebnisse in die 3. Klasse kommt, gehören (in Brandenburg und Sachsen-Anhalt „FLEX-Klassen“ genannt). Aber immerhin: Der brandenburgische Bildungsminister Steffen Reiche stellt gerade ein starkes pragmatisches Zusammenrücken der deutschen Kultusminister wegen der gemeinsamen PISA-bedingten Not fest. Den Mut, eine stärkere rahmengebende Bundeskompetenz zu fordern, haben sie aber nicht. Jedoch verweisen sie darauf, dass gute Dinge Weile brauchen und dass ja immerhin das Feuer des gewaltigen Interesses in Sachen Bildungsdiskussion durch immer wieder neue Schüler-, Schul- und Lehrerleistungsvergleichsstudien auch auf Dauer weiter brennen wird. So haben Niedersachsen und Schleswig-Holstein gerade einen stetig wiederkehrenden Schul-TÜV eingeführt.
Aber was sind die konsensträchtigen Tendenzen nach PISA im Einzelnen?
– Die hohe Bedeutung von Bildung bzw. des Zusammenwirkens von Erziehung und Bildung ist mittlerweile in sämtlichen Köpfen vom einzelnen Elternteil über die Ministerpräsidenten und das Bundeskabinett bis hin zum Bundespräsidenten verankert.
– Es gibt bundesweit eine „Tendenz“ zu einem Mehr an Theorie-Praxis-Verknüpfung in der Lehrerbildung, angefangen damit, dass bereits jeder Lehramtsstudent künftig wohl einer Partnerschule zugeordnet wird, dass Pflichtseminare in Sachen Verhaltensstörungen, Gewalt- und Suchtprävention, Bewegungs- und Ernährungserziehung, ADHS, Legasthenie, Dyskalkulie, Hochbegabungen, Wahrnehmungsstörungen etc. eingerichtet werden, dass eine Lernbereichsdidaktik neben die Fachdidaktik gestellt und über eine obligatorische Lehrerfortbildung nachgedacht wird.
– Es gibt die Tendenz, die frühere Einschulung von frühgeförderten Kindern zu begünstigen, indem die Regelung für „Kann-Kinder“ bis zum 31. Dezember gestreckt wird (wer bis Silvester sechs Jahre alt wird, kann zuvor im August in die 1. Klasse kommen).
– Es gibt eine Tendenz in Richtung Abitur nach Klasse 12, wiewohl es sinnvoll ist, nicht entweder nach 13 oder nach 12 zu sagen, sondern beide Wege nebeneinander anzubieten, also nach schleswig-holsteinischem Vorbild ein „Gymnasium mit zwei Geschwindigkeiten“ einzurichten oder nach dem Hamburger Modell am Gymnasium das Abitur nach 12 zu schaffen und an den Gesamtschulen das Abitur nach 13 beizubehalten (was zu einer Steigerung der Gesamtschulanmeldungen geführt hat) oder den „falschen“ Kompromiss von Rheinland-Pfalz zu wählen, mit dem ein Abitur nach 12½ Jahren angepeilt wird.
– Es gibt eine Tendenz, mit allen Mitteln gegen Unterrichtsausfall vorzugehen, jedoch mehr aus kosmetischen Gründen gegenüber Eltern, denn in Wirklichkeit sind Vertretungsstunden nie so lerneffizient wie Stunden, die in Kontinuität gegeben werden.
– Leider gibt es keine Tendenz zu einer Abschaffung der Hauptschule und zu einem bundeseinheitlichen 10. Pflichtschuljahr, obwohl Hauptschüler mit ihrem Abschluss am Ende der 9. Klasse kaum noch Ausbildungsplatzchancen haben.