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Kapitel 3 Der Krieg im Dunkeln

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Das gesamte Expeditionskorps stand um Coimbra. General Hills Division war ohne Probleme angelandet worden und Wellesley verfügte nunmehr über siebzehntausend britische und sechstausend portugiesische Soldaten. Das Feldheer würde sich schnell und über sehr weite Strecken bewegen müssen, um mit den Franzosen zu kämpfen. Darum hatte Arthur sich vorgenommen, seine Truppen neu zu strukturieren. Während der schlimmen Tage in England hatte er sich in den Verhandlungen des Kriegsgerichtes meist damit abgelenkt, über die funktionsfähigste und logischste Organisation eines Feldheeres für Großbritannien im Allgemeinen und auf der Iberischen Halbinsel im Besonderen nachzudenken. Zuerst teilte er seine gesamte Infanterie militärisch und logistisch auf; in autonome Divisionen mit eigenem Kommissariat, eigener Artillerie und eigenen Aufklärungseinheiten. Es war eine absolute Neuerung in den eher konservativen britischen Streitkräften, die bis zu diesem Zeitpunkt nur die Unterteilung in Regimenter ohne eigene Logistik praktiziert hatten. Danach integrierte er jeweils ein portugiesisches Infanteriebataillon ohne Kampferfahrung in eine britische Brigade. Beresford hatte bereits britische Offiziere für die portugiesische Infanterie rekrutiert und angefangen, die Soldaten vernünftig auszubilden. Als letzte Neuerung verbesserte Arthur noch die Feuerkraft jeder Infanteriebrigade durch eine zusätzliche Kompanie Scharfschützen. Er achtete darauf, kampferfahrene mit unerfahrenen Einheiten zu vermischen, um die Moral der Soldaten im Angesicht eines so starken Gegners, wie Frankreich zu erhöhen. Da er nur über sehr wenig Kavallerie verfügen konnte, teilte er die leichten Reiter jeder Division als Aufklärer zu. Lediglich General von Bocks Kavalleristen von der King’s German Legion und die wenigen schwereren Reiter unter General Stapelton Cotton behielten ihre eigentliche Aufgabe und wurden der künftigen 1.Division zugeteilt. Auf Anraten von Professor Sir James McGrigor geschah mit dem Sanitätsdienst seines Feldheeres genau das Gegenteil. Anstatt in die Divisionen hinein verteilt zu werden, zog Arthur sämtliche Mediziner und erfahrenen Sanitäter aus ihren Regimentern ab, um sie in einem großen zentralen medizinischen Dienst unter McGrigors Leitung zusammenzufassen. Dieser Dienst erhielt sein eigenes Kommissariat und unterstand nur noch dem Hauptquartier, also ihm selbst. Um die frei gewordenen Stellen der Sanitäter in den Regimentern auszufüllen, reduzierte Arthur die Musiker und Trommler auf ein absolutes Minimum. Er wollte keine vierzehn- oder fünfzehnjährigen Kinder auf dem Schlachtfeld sehen. Lediglich die schottischen Hochlandregimenter durften nach langen, wilden Streitereien mit dem Iren ihre Dudelsackpfeifer behalten. Damit war das britische Expeditionskorps zum anglo-portugiesischen Feldheer geworden und bereit gegen Marschall Soult zu marschieren. Die erste und größte dieser neuen Divisionsstrukturen, die an Napoleons Corps d’Armée erinnerte, übernahm Arthur selbst, die zweite unterstellte er Rowland Hill, seinem zuverlässigsten General und bewährtesten Freund. Die dritte und kleinste Gruppe von sechstausend Soldaten - lediglich eintausendachthundertfünfundsiebzig waren Briten - sollte John Beresford befehligen. Der Kronrat hatte ihn wenige Wochen zuvor zum Generalfeldmarschall von Portugal ernannt. Für seinen organisatorischen Kraftakt hatte Arthur gerade einmal eine Woche Zeit gebraucht. Die Soldaten seiner neuen Armee hatten sich in diesen Tagen gut erholt, ihre Ausrüstung in Ordnung gebracht und ein bisschen exerziert. Sie waren in ausgezeichneter Form für ihren ersten Feldzug. Aber Arthur selbst war völlig übermüdet. Er konnte sich vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten. Nachdem er seine Divisionskommandeure ernannt und die übergangenen Offiziere manchmal verständnisvoll, manchmal zynisch vertröstet hatte, scheuchte er alle aus dem Garten seines Hauptquartiers, der Quinta das Lagrimas. Bevor sie morgen abmarschierten, hatte er sich fest vorgenommen, zwölf volle Stunden ungestört durchzuschlafen. Er breitete seine Landkarte aus und suchte das Kloster Santa-Clara-a-Velha. Jack Robertson hatte ihm erzählt, dass hier eine Jesuitengemeinschaft lebte. „Wenn die katholische Kirche mir schon hilft, ” überlegte er sich, “dann will ich den Vater Prior dort um ein Bett und um etwas Diskretion bitten. Ansonsten wird sich niemand mehr mit Soult herumschlagen, weil ich nämlich auf dem Pferd einschlafe.” Heimlich, still und leise holte er Kopenhagen aus dem Stall, sattelte ihn und verschwand im Wald. Er ritt an einem kleinen Fluss mit dem sonderbaren Namen dos amores entlang. Das Kloster lag kaum vier Meilen von der Stadt Coimbra entfernt in den Wäldern. Niemand würde ihn dort vermuten. Eine halbe Stunde später klopfte er an die Pforte. Ein Bruder öffnete. In ungelenkem Portugiesisch bat er darum, zum Vater Prior vorgelassen zu werden. Der Torwächter lächelte freundlich und wies ihm mit der Hand den Weg. Gerade als Arthur sich in Bewegung setzen wollte, zog man ihn noch einmal energisch am Ärmel zurück. “Sie können mir gerne Ihr Pferd anvertrauen, General. Ich werde es in unseren Stall bringen. Und weil dies ein Ort des Friedens und der Andacht ist, muss ich Sie ebenfalls um Ihr Schwertgehänge bitten!” Der Bruder sprach ganz ausgezeichnet Englisch. Gehorsam fügte Arthur sich und übergab dem Geistlichen die Zügel von Kopenhagen und seine Blankwaffe. Doch man schien immer noch nicht ganz zufrieden zu sein. „Sie können mir gerne auch die Feuerwaffe geben, die Sie unter Ihrem Reitrock verstecken und natürlich Ihren Dolch. Sie haben hier wirklich nichts zu befürchten, General.” Mit einem breiten Grinsen öffnete Arthur die Feldjacke und zog eine kleine Pistole aus dem Gürtel. „Mann Gottes, Sie haben scharfe Augen.”, sagte er enthusiastisch. Dann bückte er sich und zog friedfertig einen feines Stilett aus dem Schaft seines linken Reitstiefels. Der Torwächter hielt das irische Waffenarsenal zufrieden in Händen und antwortete amüsiert.“ Kein scharfes Auge, General, nur einen teuflisch guten Informanten in Ihrem Feldheer. Vater Jack hat uns mitteilen lassen, dass Sie sicher hierher kommen werden, weil Sie Ihre Ruhe haben möchten. Und unser schottischer Kollege hat uns gleich noch darüber aufgeklärt, was für ein umsichtiger und vorsichtiger Mann Sie sind. „Arthur lachte leise.

Der Prior, Don Manuele Aguiar da Beira hatte die Szene amüsiert von seinem Fenster aus beobachtet. Nachdem sein Türsteher den Iren nun so erfolgreich entwaffnet hatte, trat er aus der Tür seines Arbeitszimmers und ging über den Klosterinnenhof auf Arthur zu. Aguiar da Beira war etwas älter als der General; ein kräftiger, breitschultriger Mann mit energischem Kinn und klugen, grauen Augen. Bevor er dem Orden beigetreten war, hatte er jahrelang alle Meere der Welt befahren. Er war der Kapitän eines portugiesischen Kriegsschiffes gewesen. “Seien Sie uns herzlich willkommen, General. Was kann ich für Sie tun.” Arthur verbeugte sich höflich vor dem Geistlichen.“ Vater Prior, ich habe eine etwas ungewöhnliche Bitte. Ich hätte gerne ein paar Stunden meine Ruhe und wollte schlafen, ohne dauernd von der halben britischen Armee gestört zu werden. Können Sie eine Ihrer Zellen entbehren.”

“ Gerne, mein Freund! “ Don Manuele rief laut nach dem Hauswirtschaftsmeister. Als Arthur viele Stunden später aus einem tiefen, erholsamen Schlaf erwachte, war bereits die Nacht hereingebrochen. Man hatte ihn nicht aufgeweckt, sondern einen Laienbruder nach Coimbra geschickt, um Beresford und Hill zu informieren, dass man sich nicht um den Oberkommandierenden sorgen müsste. Man würde ihn pünktlich bei Morgengrauen zurück in die Stadt schicken. Wohlig streckte Arthur sich und warf die Decke zurück. In diesem Augenblick klopfte es leise an die Tür der Zelle. Der Hauswirtschaftsmeister trat ein und fragte den Gast, ob er gemeinsam mit dem Prior und den Ordensbrüdern essen wollte. Arthur nickte und ein anderer Bruder trug eine Schüssel kaltes Wasser, Rasierzeug und ein Handtuch in die Zelle. Irgendeine gute Seele hatte seinen Uniformrock ausgebürstet, sein Hemd gewaschen und gebügelt und sogar die Reitstiefel sauber gemacht, während er schlief. Das Schwertgehänge, die Pistole, das Stilett und seine Sporen lagen auf einem kleinen Holztischchen. Eine Viertelstunde später brachte der Hauswirtschaftsmeister den General in den großen Saal des Klosters. Don Manuele wies ihm einen Platz an seiner Seite zu. Zu Arthurs großer Verwunderung befanden sich Jack Robertson und ein Mann in französischer Uniform am selben Tisch. Don Manuele klatschte in die Hände und alle Brüder außer ihm selbst verließen schweigend den Saal. Der Prior sprach. „General, mein Kollege Robertson hat mich gebeten, mein Kloster für ein konspiratives Treffen zur Verfügung zu stellen. Ich hoffe, Sie sind uns nicht böse, dass wir Sie ein wenig überrumpelt haben.”

“ Don Manuele, ich glaube es gibt nicht mehr viel, was mich noch in Erstaunen versetzt, seit der Bischof von Dublin mir die Hilfe der katholischen Kirche angeboten hat. Ich würde sagen, Santa Clara ist durchaus geeignet, für ein konspiratives Treffen. Soweit ich weiß, war dieses Kloster einmal eine Ordenskommandantur und gehörte den Herren des Tempels. Als man sie vor rund fünfhundert Jahren aus Frankreich und aus Spanien vertrieb und ihnen auch in England das Leben schwer machte, flüchteten sie nach Tomar und nach Santa Clara. Sie haben eine hübsche Befestigungsanlage und sicher eine ganze Menge geheimer Gänge und tiefer Keller aus der alten Zeit hinübergerettet.” Arthur legte den Kopf schief und betrachtete den Seefahrer-Prior amüsiert. „Sie sind ein guter Beobachter und Sie kennen unsere Geschichte, obwohl Sie Ihr Knie nicht vor unserem Herren beugen, General. Über die andere Geschichte von Santa Clara sollten Sie einmal ihren jungen Freund Don Antonio Mario Osorio Cabral de Castro befragen.”

“ Man hat Sie doch sicher bereits über meine Einstellung zu Fragen des Glaubens aufgeklärt.” Der Ire sah dem Prior vergnügt in die Augen. Er hatte wunderbar geschlafen und die ganze Last der letzten Tage war von ihm abgefallen. Morgen würde er gegen Soult marschieren und er spürte, dass der Marschall ihn nicht besiegen konnte. “Sir Arthur, unser Orden hatte eigentlich nie irgendwelche Probleme mit Freimaurern. Wir sind uns möglicherweise ähnlicher, als Sie denken!“ Don Manuele gab Jack Robertson ein Kopfzeichen. “ Nun mein schottischer Bruder, erzählen Sie General Wellesley, was für Neuigkeiten Sie aus Oporto haben.” Jack sah zufrieden und feist aus. Wie eine Katze ihre Beute, so betrachtete er den französischen Offizier an seiner Seite.” Sir Arthur, ich habe das Vergnügen, Ihnen den Hauptmann d’Argenton vorzustellen. Er wollte unbedingt unter vier Augen mit Ihnen sprechen und ist mir dabei vor ein paar Tagen direkt in die Arme gelaufen. Da wir Sie nicht bei der Umorganisierung des Feldheeres stören wollten, habe ich meinen neuen Freund gebeten, uns heute in Santa Clara zu treffen.” Arthur musterte den Franzosen aufmerksam. Die vielen Orden auf d‘Argentons Brust zeugten von einer langen und erfolgreichen Laufbahn in der Armee Bonapartes. Robertson erklärte dem Hauptmann. “ Der General spricht Ihre Sprache fließend. Wenn Sie möchten, dann können Sie ihm jetzt all das persönlich erzählen, was Sie mir bereits mitgeteilt haben.” Der Franzose räusperte sich verlegen. Der prüfende Blick des irischen Generals war ihm unangenehm. Er konnte in den kalten, blaugrauen Augen seines Gegenübers keine Sympathie lesen.“ Nicolas Jean de Dieu Soult, Marschall von Frankreich und Herzog von Dalmatien plant, sich zum König des nördlichen Spanien ausrufen zu lassen. Er ist so despotisch und jähzornig geworden, dass wir Offiziere beschlossen haben, uns bald gegen ihn und gegen Bonaparte zu erheben. Diese beiden Männer haben die Ideale unserer Revolution schändlich verraten. Wir haben 1789 nicht die Bastille gestürmt und König Ludwig den Kopf abgeschlagen, um von einem anderen blutrünstigen Tyrannen ins Unglück gestürzt zu werden.” Arthur nickte. “ Sprechen Sie weiter. Wie kann ich Ihnen helfen. “

“ Wir brauchen Geld und wir brauchen Ihre Unterstützung, General. Nur so können wir Soult umbringen.”

“ So, so. Sie wollen Geld. Wofür. “ Arthurs Augen bohrten sich in d’Argenton. Der Franzose senkte den Blick. “Um die Gardeoffiziere und ihre Männer zu bestechen, die den Marschall Tag und Nacht bewachen.”

“ Woher weiß ich, dass Sie kein Provokateur sind, d’Argenton. Sie könnten versuchen, mich in eine Falle zu locken. “ Wellesley blieb unerschütterlich. Er blickte dem Franzosen noch härter in die Augen. Doch der Hauptmann hatte wohl nichts anderes von ihm erwartet. Er gab Jack Robertson ein Zeichen. Der Benediktiner stand auf und reichte Arthur einige lose Blätter. “ Sehen Sie sich diese Papiere an. Ich habe sie am 24. April von Hauptmann d’Argenton erhalten und konnte in der Zwischenzeit den Inhalt auf seine Richtigkeit überprüfen.” Wellesley überflog die Seiten. Die Truppenstärke von Marschall Soult war mit dreiundzwanzigtausend Mann angegeben. Die Namen der Regimenter zeugten davon, dass es sich hier um kampferprobte Veteranen handelte. Soult verfügte über sehr viel Kavallerie. Und die Franzosen hatten doppelt so viele Geschütze, wie das britische Expeditionskorps. Arthurs Stirn legte sich beim Lesen in Falten. D’Argenton hatte die genauen Standorte jedes einzelnen Regiments in einer kleinen Karte aufgezeichnet. Außerdem ging aus den Notizen hervor, dass der Marschall bereits seit Wochen keinen Kontakt mehr zu Victor oder Ney hatte aufnehmen können. Soult war in Oporto von der Außenwelt so gut wie abgeschnitten. “ Jack, kann ich irgendwo fünf Minuten ungestört mit Ihnen sprechen.” Der Prior Don Manuele und d’Argenton verließen den Saal und ließen den General und seinen Meisterspion alleine. Erst nachdem die Tür sich hinter den beiden Männern fest geschlossen hatte, wandte Arthur sich an Robertson. “ Jack, haben Sie den Franzosen für diese Informationen bezahlt.” Der Benediktiner schüttelte den Kopf.” Nein, mein Junge! Er hat sie mir geradezu aufgedrängt. Es hat ein paar Tage gedauert, ihre Richtigkeit durch meine Gewährsleute überprüfen zu lassen. Diese Karte “, er nahm sie dem General aus der Hand und breitete sie vor sich auf dem Tisch aus, “ ist korrekt. Ich habe es selbst erst vor vier Stunden erfahren. Jede Position, jedes Regiment, alles ist wahr. Ich habe es zuerst selber nicht glauben wollen. Entweder ist dieser Mann ein großartiger Provokateur oder ein echter Überläufer. Ich weiß es nicht. Wie schätzen Sie ihn ein.” Arthur stand auf und lehnte sich an eine alte Steinsäule. “Einem gekauften Informanten, der für meine englischen Goldstücke arbeitet, würde ich sicher eher Glauben schenken. In Indien waren bezahlte Spione immer die sicherste und beste Quelle für meine Armee. Einem portugiesischen oder spanischen Patrioten würde ich glauben, denn der hat einen guten Grund mir Nachrichten zuzutragen. Er will Bonnys Truppen loswerden und wieder frei durchatmen.” Der Ire ballte die Hände zu Fäusten, seine Knöchel wurden weiß. In seinem Gesicht stand äußerste Spannung geschrieben.“ Verdammt, Jack. Ich kann diesen Verrückten nicht einschätzen. Wenn Sie mir sagen, dass die Karte und die Regimentslisten richtig sind, dann werde ich d’Argenton wohl glauben müssen. Die Kommunikationsprobleme mit Ney und Victor… ich hatte es auch schon gedacht. Aber dazu benötigt man bloß eine gute Karte und ein bisschen Erfahrung mit Truppen und Geographie. Was eine Verschwörung gegen Soult und Bonaparte angeht... Ja, warum nicht. Es ist durchaus möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich. Nur kann ich meine Gesamtstrategie nicht auf einer solch abstrusen Geschichte aufbauen, Jack. Ich werde, wie geplant gegen Soult vorgehen. Sollten d’Argentons Leute ihn vorher umbringen, umso besser. Wenn nicht, dann werden wir ihn schlagen und aus Portugal vertreiben.”

“Was machen wir mit dem Hauptmann?”, Robertson hatte mit ähnlichen Gedanken gespielt, wie Wellesley. Arthur zuckte mit den Schultern und lächelte den Benediktiner traurig an. “Entweder ich schneide ihm heute Nacht irgendwo im Wald die Kehle durch, oder ich stelle ihm einen Passierschein aus und benutze ihn, so lange es geht, als zusätzliche Informationsquelle. Lassen Sie mich ein paar Minuten alleine, mein Freund! Ich muss darüber nachdenken.” Nachdem Robertson den Saal verlassen hatte, setzte Arthur sich auf eine Steinstufe. Wenn d’Argenton ein Provokateur war, dann hatte er möglicherweise zuerst Informationen über das anglo-portugiesische Feldheer gesammelt und wollte jetzt ausloten, aus welchem Holz der Oberkommandierende geschnitzt war. Er zog das Stillet aus dem Reitstiefel und ließ die bösartige, kleine Waffe geschmeidig durch die Hand gleiten. In Indien hatte er Probleme dieser Art meist endgültig aus der Welt geschafft. Er war immer sein eigener Nachrichtendienstchef gewesen und Spione oder Informanten, die ihm zu gefährlich oder zu unberechenbar wurden, pflegte er eigenhändig ins Jenseits zu befördern. Arthur hatte nie die geringsten Skrupel gehabt, wenn es notwendig wurde, ein Menschenleben auszulöschen. Niemand kannte diese düsterste Seite seines Charakters, denn Tote konnten nicht mehr sprechen. Das Stillet glitt zurück in den Reitstiefel. Er stand auf, öffnete die Tür und bedeutete dem Prior, Robertson und d’Argenton hereinzukommen. Dann bat er um Papier und Tinte. Er stellte dem französischen Hauptmann einen Passierschein aus. “Wieviel Geld brauchen Sie, d’Argenton?.”, erkundigte er sich in perfektem Französisch.“ Fünfhundert Pfund Sterling in französischer Währung.”

“Haben Sie eine Karte bei sich?” Der Franzose nickte und zog eine Stabskarte aus seinem Sabretache.“ Sie sind in Oporto stationiert.” Wieder nickte der Franzose. Die Gesellschaft dieses irischen Generals fing an, ihm unheimlich zu werden. Jedes Mal, wenn Wellesley ihn ansprach, lief dem Offizier ein kalter Schauer den Rücken hinunter. “Dann werde ich Sie morgen pünktlich um Mitternacht hier treffen. Sie bekommen Ihr Geld und ich bekomme weitere Informationen. Und ich empfehle Ihnen dringend, nichts zu versuchen, was Sie hinterher bereuen könnten.” Der Finger des Generals deutete auf eine Stelle in einem kleinen Waldstück bei Vila da Feira, nur wenige Kilometer von Oporto entfernt, auf der linken Seite des Douro. “Ich werde kommen, General Wellesley. Alleine.” Der Franzose faltete die Karte und seinen britischen Passierschein zusammen und verstaute beides. Danach wandte er sich um und verließ den Saal. Don Manuele selbst geleitete den Hauptmann aus dem Kloster von Santa Clara.

“ Sie haben also beschlossen, diesem Verräter die Kehle noch nicht durchzuschneiden, Arthur.“ Jack Robertson blickte dem Soldaten interessiert in die Augen. Er hatte Wellesley die ganze Zeit über beobachtet und ihm war klar geworden, dass der Kern des Iren sicherlich härter und erbarmungsloser war, als er angenommen hatte. Er nahm sich vor, dem Bischof von Dublin hierüber zu berichten. Die katholische Kirche hatte sich wohl das richtige Instrument ausgewählt, um eines Tages die Gleichberechtigung der Katholiken im Inselkönigreich durchzusetzen. Wenn der General nicht auf irgendeinem Schlachtfeld fiel, dann würde er in der britischen Hierarchie einmal sehr weit nach oben aufsteigen.

“Versuchen Sie nicht, mir in die Seele zu blicken, Mann Gottes“, zischte Arthur leise, “und was d’Argentons Kehle anbetrifft: wenn er gefährlich wird, dann können Sie sicher sein, dass ich ihn sofort aus dem Verkehr ziehe.“ Noch ehe Jack Robertson antworten konnte, hatte Arthur sich umgedreht und war aus dem großen Saal des Santa Clara-Klosters verschwunden. Er spürte, dass der Benediktiner in ihm lesen konnte, wie in einem offenen Buch. Der Benediktiner hatte Feingefühl und eine bemerkenswerte Menschenkenntnis. Arthur fand den Weg zurück in die Zelle, ohne den Vater Hauswirtschaftsmeister zu bemühen. Er verschloss die Tür, warf seine Waffen auf den Holztisch, löschte die Kerze und ließ sich wieder aufs Bett fallen. Sofort schlief er ein. Die Glocken, die die Mönche alle vier Stunden zum Gebet riefen, störten ihn nicht bei seiner Nachtruhe. Als der Morgen dämmerte verließ er die Gemeinschaft von Santa Clara. Don Manuele wünschte ihm viel Glück. Als er gegen sechs Uhr früh wieder in der Quinta das Lagrimas ankam, war die Stadt Coimbra schon zu regem Leben erwacht. Die Soldaten machten sich zum Abmarsch bereit, die Quartiermeister ließen die Ochsen einspannen und der gesamte Sanitätsdienst hatte sich auf dem großen Marktplatz vor der Stadt versammelt, um sich der Nachhut des ersten und des zweiten Armeekorps anzuschließen. Beresford saß über eine Karte gebeugt und erklärte seinen Untergebenen den Weg, den das dritte Armeekorps einschlagen sollte. Wellesley zügelte seinen Hengst. Einer von Beresfords Adjutanten reichte dem Iren eine Tasse heißen Kaffee.

“ Guten Morgen, Arthur! Wie sind die Betten in Santa Clara?“, flachste Beresford. Der kleine Ausflug seines Kameraden, war ein offenes Geheimnis. “Sauber, trocken und weich“, antwortete Wellesley, “und es war wunderbar, eine ganze Nacht lang Ruhe vor Euch allen zu haben, John. Bist Du bereit zu marschieren.”

“ Wir können in einer halben Stunde abrücken.”

“ Gut, ich wünsche Dir viel Glück, mein Freund! Wir geben Dir Vorsprung und treffen uns in Montalegre wieder, wenn alles gut geht.”

“ Und wenn Ihr Probleme bekommt, Arthur.“

“ Danke für den Kaffee, John! “ Wellesley zog die Zügel des Hengstes an und ließ das Tier wenden. Er mochte Beresford auf diese Frage keine Antwort geben. “ Manchmal genügt schon der Gedanke an einen Fehlschlag,” dachte er bei sich, “ um Generäle im Felde versagen zu lassen!“ Das war der kluge Spruch des weisen Davie Baird in Indien gewesen und Davie hatte sicher recht damit. Im Anschluss an seine kurze, aber tiefgründige philosophische Betrachtung des Krieges beschloss er den Ärzten einen morgendlichen Besuch abzustatten. Er fand McGrigor, Hume, Freeman, Doolittle, Sarah, Hale und vier oder fünf junge Mediziner, an deren Namen er sich nicht erinnern konnte, um einen großen Teekessel auf einer Feuerstelle versammelt. Obwohl alle inzwischen mit militärischen Diensträngen ausgestattet worden waren, sahen sie immer noch aus, wie die Zivilistengruppe, die er vor langem an der Universität von London kennengelernt hatte. Die Uniform des Arztes, der etwas auf sich hielt, schien die schwarze Weste, der lange, weiße Kittel und der breitkrempige Strohhut zu sein. Auch konnte man ihre Pferde nicht verfehlen. Alle ritten sie schwere, temperamentlose Tiere, an deren Sattelzeug links und rechts große, schwarze Arzttaschen festgebunden waren.

“ Guten Morgen.“, begrüßte er die Truppe freundlich und zog vor Sarah gar galant den Zweispitz vom Kopf, “ Kann der medizinische Stab abmarschieren?”

“ Wir sind fertig, Sir Arthur.“ Seit Sie uns von Generalquartiermeister Pipon und seinen Bürokraten befreit haben, sind wir allzeit bereit.” Der alte Professor McGrigor schob seine runde Brille zurück auf die Nasenwurzel und blickte sich suchend nach einer sauberen Tasse für Wellesley um. Er genoss das Abenteuer des Feldzuges in vollen Zügen. Mit jedem Tag in Portugal fühlte er sich jünger und jünger. Seine Gicht, die ihn in dem feuchten London so schlimm geplagt hatte, war auf wundersame Weise verschwunden und er konnte seine ganze Zeit mit seinen jungen Assistenten vertrödeln, ohne dass Lady McGrigor ihn dafür tadelte.

“Bemühen Sie sich nicht, Sir James. Ich habe bereits bei Beresford Kaffee getrunken und Ihr Tee weckt mich sowieso nicht auf. Aber vielleicht haben Sie irgendetwas Essbares für mich.” Sarah griff in ihre Umhängetasche und reichte Arthur einen großen, roten Apfel. Der General lächelte sie an, biss ein Stück ab und hielt es Kopenhagen hin. Der Hengst kaute zufrieden.

“ Sie werden natürlich mit der Nachhut losziehen, in etwa anderthalb Stunden“, erklärte Wellesley seinen Ärzten trocken, “und falls es zu irgendwelchen Kampfhandlungen kommt, dann will ich niemanden von Euch auch nur in der Nähe des Schlachtengetümmels entdecken. Die Sanitäter bergen unsere Verwundeten, der medizinische Stab flickt sie zusammen. Verstanden!” Die Ärztetruppe nickte gehorsam, wenn auch nicht gerade begeistert. Nachdem alle Arthur außer Hörweite glaubten, zwinkerte McGrigor seinen Assistenten zu. “Brauchen wir ein Kindermädchen, das uns den ganzen Spaß an dieser Expedition verdirbt? “ Alle schüttelten energisch die Köpfe. Hume fasste seinen Professor am Arm.“ Sir James, Sie haben wirklich eine großartige Gelegenheit verpasst, als wir nach der Schlacht von Vimeiro diese ganzen Kavalleristen mit offenen Knochenbrüchen bekommen haben. Es war phantastisch. Wir haben nicht ein einziges Bein amputiert. Wenn wir nach dem Einrenken alle Knochensplitter entfernen und die Wunde sofort mit einem in unseren neuen, reinen Alkohol getränkten Verband abdecken, dann können wir Wundbrand vermeiden.” McGrigors Augen leuchteten begeistert. „Ja, ja meine Kinder. Die Arbeit in London war nicht umsonst. Wir werden bald sehen, wie es um unsere anderen Theorien steht. Ich hoffe, wir bekommen ein oder zwei schöne Bauchschüsse. Ich hab da ein paar Überlegungen angestellt...Wir müssen das alles natürlich sofort ausprobieren.” McGrigor und seinen Assistenten fiel es schwer, ihre Begeisterung zu zügeln. Kopfschüttelnd ritt Arthur weiter. Kurze Zeit später fand er Rowland Hill. Die Trompeter bliesen zum Abmarsch. Die Bevölkerung von Coimbra stand in den Straßen und winkte den Soldaten zum Abschied hinterher. Die schottischen Pfeifer bliesen auf ihren Dudelsäcken Hochlandweisen und die Männer sangen. Arthur zügelte Kopenhagen noch einmal kurz vor dem Haus, das ihm als Hauptquartier gedient hatte und stieg aus dem Sattel. Er zog den Zweispitz vom Kopf und verbeugte sich tief vor Don Antonios Vater und dessen Gemahlin Dona Isabela. “Ich möchte Ihnen im Namen der britischen Krone für die Gastfreundschaft danken, die Sie uns in Ihrer Stadt gewährt haben, Alkalde! Und ich möchte mich für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, die wir Ihnen bereiten mussten. Bitte lassen Sie meinen Zahlmeister-General wissen, welche Schäden wir durch die Feldlager um Coimbra angerichtet haben. Er wurde von mir angewiesen, alle Betroffenen zu entschädigen.” Don Pedro Osoria Cabral de Castro trat auf Arthur zu und packte ihn an den Schultern. “Mein Freund, Sie haben uns keine Unannehmlichkeiten bereitet. Coimbra ist stolz darauf, dass Sie hier bereits zum zweiten Mal das Hauptquartier des britischen Expeditionskorps aufgeschlagen haben. Wir schulden Ihnen noch Dank für Ihre beiden Siege über die Franzosen. Rolica und Vimeiro haben den Menschen wieder Hoffnung gegeben. Wir werden für Sie und Ihre Soldaten beten. Befreien Sie mein Land von Bonaparte und seinen Horden.” Arthur erwiderte die Umarmung des Portugiesen und bestieg sein Pferd. Dann galoppierte er an den langen Kolonnen seines Feldheeres vorbei, bis an die Spitze. Neben Rowland Hill parierte er den Hengst in den Schritt durch. „Rache für John Moore.” Arthur nickte Hill zu.

Adler und Leopard Teil 3

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