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Kapitel 1 Wieder in Spanien
ОглавлениеAlle Informationsquellen in Spanien hatten dem alliierten Nachrichtendienst bestätigt, daß Soult sich auf Sevilla zurückzog und Marmont wieder auf dem Weg nach Nordspanien war. Vermutlich hatte er den Auftrag erhalten, eine zentrale Position zu beziehen, von der aus er jederzeit sowohl die französischen Truppen in der Estremadura als auch die in Leon verstärken konnte. Sein neues Hauptquartier befand sich im Dorf Navalmoral, unweit von Almaraz. Lediglich General Jean Baptiste Drouet, der Graf d’Erlon, wurde mit seinen Reitern in der Estremadura zurückgelassen. Die britischen und portugiesischen Truppen konnten damit endlich in Feldlager, weitab der fieberträchtigen Region um den Guadiana abgezogen werden.
Arthur hatte – Konsequenz der grausamen Verluste John Beresfords bei Albuera – seine gesamte Armee reorganisieren müssen. Manche Regimenter hatten mehr als die Hälfte ihrer Männer verloren, Rowland Hills Zweite Division war nur noch ein trauriger Schatten. Es würde Monate dauern, bis die letzten seiner Verwundeten wieder dienstfähig sein würden. Das Militärhospital in Belem bei Lissabon war zum ersten Mal seit Beginn des Iberischen Feldzuges überfüllt.
Die Ankunft Thomas Grahams und Hills Genesung ermöglichten es Arthur allerdings auch, diese Gelegenheit zum Anlaß zu nehmen, um ein neues operatives Konzept vorsichtig zu erproben: Er wollte in die Offensive gegen die Franzosen gehen! Bislang hatte der Ire immer nur Portugal verteidigt. Jetzt war die Zeit reif, endlich in Spanien einzugreifen. Hills umstrukturierte Zweite Division, die Vierte Division und Hamiltons Portugiesen blieben im Süden, bei Villa Vicosa, Fronteira, Pedrogao und Sousel. Sir Rowland selbst bezog Hauptquartier in Elvas. Durch Wellingtons großes altes Teleskop auf dem Glockenturm der Kathedrale konnte er vorzüglich seinen ganz persönlichen Gegner, den Grafen d’Erlon, im spanischen Teil der Estremadura überwachen. Um ihn in Schach zu halten, verfügte der General aus Shropshire nunmehr über 9000 kampferprobte Bajonette und über fast 4000 Säbel. Dank einer unerwarteten Verstärkung aus England, besaß das anglo-alliierte Feldheer zum ersten Mal, seit Anfang der Expedition auf der Iberischen Halbinsel, ausreichend Kavallerie. Sir Rowland befehligte die sogenannte ‚Alliierte Südarmee‘ in einem eigenständigen Kommando. Lord Wellington unterstand die ‚Alliierte Nordarmee’. Zusammen konnten sie mehr als 60.000 Mann ins Feld führen. Sir Thomas Graham stand mit der Ersten und der Sechsten Division um Pontalegre. Der verrückte Erskine, der sich bei Fuentes de Onoro und vor Almeida so schwerwiegende Fehler geleistet hatte, war bei seinem Kriegsgerichtsverfahren glimpflich davongekommen. Von London aus hielt der Prinzregent und Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte Großbritanniens, Frederick von York seine schützende Hand über den alten Freund. Lord Wellingtons Macht reichte lediglich so weit, als daß dieser gefährliche Offizier auf einen unwichtigen Posten ohne größere, militärische Verantwortung abgeschoben wurde: Nah an den Weinfässern und Lasterhöhlen von Lissabon und fern der Front. Erskine wurde dazu verdammt, die neue Zweite Kavalleriedivision zu befehligen, die Sir John Beresford und der portugiesischen Armee unterstellt worden war. Niemand war sich bei diesem hoffnungslosen Fall im Klaren darüber, wer durch das Urteil von General-Advokat Larpent härter bestraft worden war: Beresford, weil er sich jetzt mit Erskine herumärgern mußte, oder Sir William, weil er sein Kommando über die Sechste Division verloren hatte!
Sir Thomas Picton war mit seiner Dritten Division und der Fünften Division unter Sir Alexander Campbell in Castello Branco. Nur Black Bob Craufurd und die Leichte Division folgten ihrem Oberkommandierenden hoch in den Norden Portugals hinauf und lagerten um Castello de Vide und Montalvao, während der Ire mit einem kleinen Stab und dem Nachrichtendienst Hauptquartier in Fuenteguinaldo bezog. Er hatte es vorerst ausgeschlossen, irgendwelche waghalsigen Operationen südlich des Tejo einzuleiten: Das berüchtigte Guadiana-Fieber, das in dieser Gegend während der Sommermonate hauste, gefährdete Leben und Gesundheit seiner Soldaten mehr als jede Feindberührung. Außerdem durfte er nicht ausschließen, daß Marmont sich im Fall einer massiven, alliierten Bewegung gegen Badajoz und Cadiz, mit der französischen Nordarmee vereinigte, um eine dritte alliierte Belagerung der Grenzfestung zu vereiteln. Im spanischen Teil der Estremadura zu operieren, inspirierte ihn nicht sonderlich: Das Hinterland des Alentejo konnte seine Truppen keine drei Tage versorgen. Damit wäre eine Armee in dieser Gegend bereits geschlagen, noch bevor der erste Kanonenschuß abgefeuert würde. Der Aufwand, Proviant auf Ochsenkarren an die Front zu schaffen, war zu groß. Er benötigte in diesem Augenblick sämtliche verfügbaren Transportmittel für seine Belagerungsartillerie, die endlich ausgeschifft wurde. Außerdem war die Estremadura ihm einfach zu flach: Arthur braucht Berge, Hügelketten, Bodenerhebungen und andere natürliche Hindernisse, um sein taktisches Konzept wirkungsvoll umzusetzen. Damit kam für das Experiment eines offensiven Sommerfeldzuges 1811 nur die Grenze mit der spanischen Provinz Leon in Frage. Hier hatte er die Sierra de Estrella im Rücken und die gesamte Miliz Portugals, gemeinsam mit Ordonanza-Truppen und spanischen Guerilleros für Hilfsaufgaben zur Verfügung. Und der Untergrund setzte die französische Kavallerie außer Gefecht! Es war halsbrecherisch, Pferde in die Berge zu bringen. Er hatte dies den Adlern während des Feldzuges 1810 und bei der Schlacht von Bussaco bewiesen. Sollte er Marmont bis hinauf nach Leon locken können, dann wäre der Marschall von jeder Unterstützung durch seinen Kollegen Soult und die französische Hauptarmee abgeschnitten und ein leichtes Opfer. Lord Wellington informierte Whitehall und den Kriegsminister in London von seiner Entscheidung, einen Schlag gegen Ciudad Rodrigo zu wagen. Es sollte ein erster Versuch sein, in die Offensive zu gehen: Ohne Garantie auf Erfolg!
Premierminister Spencer Perceval und Lord Liverpool zeigten ausnahmsweise großes Verständnis für die Vorgehensweise ihres ranghöchsten Offiziers auf dem iberischen Kriegsschauplatz. Insbesondere in Anbetracht der Tatsache, daß Sir Arthur – nach der Katastrophe von 1809 – Bereitschaft zeigte, einen zweiten Versuch zu wagen und mit spanischen Truppen zusammenzuarbeiten ... Politisch war dies für die Regierung Großbritanniens opportun.
Der Ire hatte gespürt, daß er militärisch freie Hand bekommen würde, wenn er dieses Zugeständnis an seine politische Hierarchie machen würde. General Castaños, einer der ganz wenigen Spanier, auf den Arthur als Soldat große Stücke hielt, hatte den jungen General Don Carlos de España mit einer großen Anzahl von Infanterieregimentern zu ihm, nach Leon abkommandiert. Castaños unterstellte diese Truppen und Don Carlos ohne Bedingungen seinem britischen Kollegen. Neue Rekruten aus der Provinz Salamanca sollten sie schon bald verstärkten. General de España schlug sein Hauptquartier in Ledesma auf und integrierte auf Lord Wellingtons Befehl hin die Partisanen von Don Julian Sanchez als Kavallerie in seine kleine Armee. Sie war inzwischen auf 3000 Säbel angeschwollen. Arthur arbeitete schon lange genug mit den Männern aus den Bergen zusammen, um alle Unzulänglichkeiten und Schwächen seines Verbündeten Don Julian zu kennen: Seine Partisanen waren glänzend beritten, aber es mangelte ihnen an Uniformen und an einer gründlichen, militärischen Ausbildung. Sie waren zu waghalsig und oft unkontrollierbar. Doch dem zu Trotz empfahl er General de España, diese ehemaligen Irregulären eine Stellung am Agueda halten zu lassen. Die Guerilleros würden den Gouverneur der Provinz Salamanca, General Thibault, alleine durch ihre Anwesenheit in Aufregung versetzen und damit seine starke Garnison binden.
Aus den Bergen von Navarra erreichten gute Nachrichten die Alliierten. Wie immer in der Person Jose Etchegarays: El Minas und Hauptmann Dullmore war es gelungen, so viel Unruhe zu stiften, daß die Franzosen, nur um sie im Auge zu behalten, drei Infanteriebataillone und zwei Kavallerieregimenter abkommandiert hatten. Außerdem war es Dullmore geglückt, die Partisanenführer Villa Campa und Carbajal anzustiften, in ihren jeweiligen Bergregionen im Süden und in der Nähe von Valencia den Aufstand zu proben. Dies zog noch einmal 15 französische Bataillone ab, die sich nur mit der Guerilla herumzankten. Alles in allem legten die Widerstandskämpfer vier große französische Garnisonen und 12.000 Mann aus den kämpfenden Einheiten der Adler lahm. Lord Wellington reagierte auf diese Neuigkeiten hocherfreut und mit einer erneuten Beförderung: Dullmore, der ehemalige Sergeant der Connaught Rangers war der einzige Mann im gesamten alliierten Feldheer, der es in etwas mehr als drei Jahren vom Unteroffizier zum Major gebracht hatte, ohne je an einer Schlacht teilgenommen zu haben. Doch er alleine hielt Sir Arthur im Augenblick fast die gleiche Anzahl Adler vom Leib, die sein versammeltes Feldheer band. Der General hatte diesen jungen Offizier noch nie persönlich zu Gesicht bekommen. Sie tauschten nur regelmäßig Briefe aus. Doch Oberst Grant und Pater Robertson, die ihn für diese gefährliche Aufgabe rekrutiert hatten, hielten große Stücke auf ihn und waren des Lobes voll, was seinen Mut, seine Geistesgegenwart und seine Qualitäten in der Menschenführung anbetraf. Der Ire wollte ihn unbedingt einmal selbst in Augenschein nehmen. Lange beriet er sich mit seinem Chefspion aus dem Benediktinerorden über die Für und Wider eines Treffens. Zum einen wollte er Dullmore keiner unnötigen Gefahr aussetzen, auf dem Weg in die alliierten Linien von den Adlern gefaßt zu werden. Nach Oberst Grant bekleidete er den zweiten Rang auf der schwarzen Liste Joseph Bonapartes und ein hoher Preis war auf seinen Kopf ausgesetzt worden. Zum anderen war der Major möglicherweise eine Waffe, die richtig eingesetzt zu unermeßlichen Schäden für die Franzosen und ihre gesamten Kommunikationslinien mit Paris führen konnte. Doch um dies zu entscheiden, mußte Arthur, Dullmore einschätzen könne. Am Ende einigten sich der General und der Priester darauf, dem jungen Mann die Wahl freizustellen. Lord Wellington fixierte nur den Ort und eine Zeitspanne. Da sich während der harten Winter im Norden der Iberischen Halbinsel, weder Leoparden, noch Adler auf Kämpfe einließen, schrieb er an den Offizier, daß er von November bis Ende Februar in Freneida sein würde. Dann schickte er den baskischen Kurier zurück in die Berge von Navarra.
Die Tatsache, daß Ciudad Rodrigo bereits seit Juli von Salamanca abgeschnitten worden war und Don Julian Sanchez Partisanen viel Unruhe stifteten, veranlaßte die Franzosen zuerst zu keiner Reaktion. Es gelang ihnen sogar, trotz der widrigen Umstände, einen Versorgungskonvoi in die Stadt zu bringen. Selbst als Lord Wellington Sir Thomas Picton und die Dritte Division gemeinsam mit Bob Craufurds Leichter Division in die Beira verlegte, bewegte sie sich nicht. Marschall Marmont begriff, daß Ciudad Rodrigo ausreichend verproviantiert war, um mindestens bis Ende Oktober auszuharren. Sein neuer Kollege Dorsenne, der General Bessières als Kommandeur der Nordarmee abgelöst hatte, war von den militärischen Operationen der spanischen Armee in Galizien beeindruckter als vom alliierten Truppenaufmarsch in den Bergen der Beira. Die Adler lebten in der festen Überzeugung, daß der britische Gegner keinen Belagerungsapparat besaß, der den Wällen von Ciudad Rodrigo gewachsen war. Sie erinnerten sich noch lebhaft an die beiden gescheiterten, alliierten Versuche vor Badajoz. Und die Festung im Norden stand ihrer südlichen Schwester an Wehrhaftigkeit in nichts nach. Doch die ersten Geschütze von Sir Alexander Dickson fingen bereits an, Lord Wellingtons Einheiten in der Hochebene zu erreichen. Die Tatsache daß Flußschiffe und der beschwerliche Weg durch die Berge für einen Transport an die Front gewählt worden waren, streute Sand in die Augen des Feindes. Marmont erfuhr nicht, daß die Alliierten in etwas mehr als 60 Tagen über einen vollständigen und ordentlichen Belagerungsapparat mit eisernen Kanonen verfügen konnten, den die schottischen Carron-Werken gefertigt hatten. Carron galt als der beste aller britischen Waffenschmiede. Dieser Ruf gründete darauf, daß die Manufaktur Admiral Nelsons gesamte Schiffsartillerie gegossen hatte. Der Transport von Oporto an die Front war nichtsdestoweniger ein Unternehmen, das dem alliierten Oberkommandierenden auf logistischer Ebene Kopfzerbrechen bereitete und seinen Chefartilleur und Belagerungsexperten Dickson an die Grenzen der Belastbarkeit trieb: Fast 200 Flußschiffe mit geringem Tiefgang und Tausende von Zugtieren und Karren waren notwendig. Der sicherste Weg an die Front führte über die unwegbarsten Pfade Portugals und durch ein Hochgebirge. Kommunikation und Koordination hingen oft nur von der Schnelligkeit eines einzelnen Pferdes und dem Wagemut eines einsamen Reiters ab. Lediglich die Geheimhaltung gestaltete sich einfach: Die Portugiesen, die den Zug begleiteten, waren so schlecht auf die Franzosen zu sprechen, daß Verrat ausgeschlossen werden konnte. Verbindungsleute in Madrid, Sevilla und Salamanca berichteten im selben Augenblick, in dem die ersten Geschütze in der Beira ankamen von brutalen politischen Machtkämpfen zwischen dem König Joseph Bonaparte und den ehrgeizigen Marschällen seines kaiserlichen Bruders. Diese innenpolitischen Probleme lenkten das französische Oberkommando auf der Iberischen Halbinsel von den gesamten Transportoperationen quer durch Portugal ab. Im Escorial zu Madrid wurde um sehr viel Geld und Land und um mögliche Königskronen gespielt. Wellington hatte für die Ambitionen seiner französischen Kollegen nur wenig Verständnis: Man konnte nicht gleichzeitig Soldat und Politiker sein. Die Politik legte einem Soldaten Hemmschuhe an, die militärisch nicht vertretbar waren. Diese Erkenntnis war der Grund, warum er sich so standhaft weigerte, politische Einmischung aus Whitehall oder St. James zu akzeptieren, wenn es um rein kriegstechnische Fragen ging. Er mischte sich schließlich auch nicht in die britische Innenpolitik ein und gab unqualifizierte Kommentare ab, wie man mit einer Mißernte in Nordschottland oder Arbeiterunruhen in einer Manufaktur in Birmingham umzugehen hatte. Darum erwartete er, daß auch ihm niemand hineinredete, wenn es darum ging, eine Schlacht zu schlagen.
Erst als immer mehr alliierte Truppen in der Beira aufmarschierten – London hatte auch noch die letzten Walcheren-Regimenter und Kavallerie auf den Weg zu Sir Arthur geschickt – kam Marmont der Gedanke, daß sein undurchsichtiger Kollege möglicherweise Salamanca zum Ziel eines Vorstoßes ausgewählt hatte. Im Reflex schickte er Einheiten nordwärts. Um zusätzlich Informationen über Feindbewegungen zu sammeln, ritten französische Aufklärer in die Sierra de Gata. Sie stießen dort auch tatsächlich auf Briten und Portugiesen und meldeten dies ordnungsgemäß dem Hauptquartier. Was sie ebenfalls melden mußten, waren blutige Verluste, denn sie hatten es mit Vorposten von Thomas Pictons Dritter Division zu tun gehabt, Caçadores und Scharfschützen. Als der Herzog von Ragusa Truppen bewegte, verschob auch der Ire zwei Divisionen. Er beorderte Sir Thomas Graham von Penamacor und Pedrogao nach Fuenteguinaldo, seinem eigenen Hauptquartier. Obwohl die Alliierten Ciudad Rodrigo in diesem Augenblick noch nicht belagerten, hatten sie doch schon einen soliden Blockadering um die Festung gezogen. Die französischen Truppenverschiebungen deuteten darauf hin, daß die Portugalarmee einen Entsatz der Stadt in Erwägung zog. Eine chiffrierte Depesche von General Foy an General Girard bestätigte Lord Wellingtons Verdacht: General Girard sollte Truxillo aufgeben und Marmont über den Tejo folgen.
Vater Jack Robertson schickte sofort Späher in die Umgebung von Caçeres und Plasencia. Doch zwei lange Wochen rührten die Franzosen sich nicht vom Flecken. Arthur schloß aus dieser Tatenlosigkeit, daß sie im Augenblick noch dringlichere Probleme in Spanien zu lösen hatten und Ciudad Rodrigo nicht ganz oben auf der militärischen Prioritätenliste stand. Marmont alleine konnte auch nicht viel gegen die Anglo-Alliierten ausrichten. Er brauchte Truppen aus der Nordarmee, als Verstärkung. Doch diese befand sich, weit hinter Astorga, auf einem Feldzug gegen die spanische Galizienarmee. Britische Späher stießen an den Douro vor. Erst wenn Teile der Nordarmee südwärts schwenken sollten und den Fluß zu überqueren suchten, wurde die Lage in Nordportugal und vor Ciudad Rodrigo ernst.
Anfang September kündigte sich endlich die langerwartete Krise an: General Dorsenne war von Astorga aus in Marsch gesetzt worden. Auf Bitten von König Joseph sollte er einen Versorgungskonvoi für Ciudad Rodrigo bei Salamanca übernehmen und als Verstärkung zu Marmont stoßen. Nur hatten die Adler nicht einkalkuliert, daß es ein schwieriges Unterfangen war, in der von ihnen so sorgfältig ausgeplünderten Provinz Leon, schnell Proviant zusammenzustellen. Dorsenne mußte warten. Zwei lange Wochen vergingen, in denen auch Marmont statisch in seiner Position verharrte. Ohne sich Dorsennes Unterstützung sicher zu sein, wagte er es nicht gegen die Alliierten zu ziehen. Am 15. September gaben die Franzosen endlich Truxillo auf und Montbruns Kavallerie überschritt zwei Tage später den Baños-Paß. El Minas ließ Lord Wellington ausrichten, daß die Partisanen versuchen würden, Dorsennes Versorgungskonvoi aufzuhalten. Am 21. September verließ dieser endlich Salamanca. Die Männer aus den Bergen wußten, daß sie gegen die Adler nicht kämpfen konnten, doch sie verfolgten den Konvoi, überfielen nachts Außenposten, schossen aus dem Hinterhalt und legten Hindernisse über den Weg. All dies machte den Marsch auf Ciudad Rodrigo zu einem schweren und gefährlichen Unterfangen. Dullmore gelang es – in einem Handstreich – mehrere Proviantwagen von Dorsenne abzuschneiden.
Arthur glaubte zu diesem Zeitpunkt, daß er etwas mehr als 60.000 Mann in der Beira unter Waffen hatte. Er war neugierig zu sehen, was geschah, wenn er sich eins zu eins mit den Adlern schlug und über ausreichend Artillerie und Reiter verfügen konnte. Doch am 23. September baten der Nachrichtendienst und der Sanitätsdienst um ein Gespräch mit dem Oberkommandierenden. Seine Spione zählten laut Franzosen. Bei jeder neuen Depesche, die Donna Ines entschlüsselte, pfiff Wellington durch die Zähne. Es wurden immer mehr. Der Teufel lag in der Anzahl dieser verdammten Adler: Die gesamte Nordarmee schien sich entschlossen zu haben, gemeinsam mit Marmont und seiner Portugalarmee Ciudad Rodrigo zu befreien. Seine Ärzte zählten genausolaut kranke Leoparden. Bei jeder Regimentsliste stöhnte Arthur auf: Das Guadiana-Fieber, Reste des Walcheren-Fiebers und Dysenterie dezimierten seine Soldaten. Es wurden immer weniger. Der Teufel saß in einer kleinen Stechfliege, zuviel unreifem Obst und schalem Wasser: Das gesamte alliierte Feldheer schien sich entschlossen zu haben, alle Franzosen ihrem tapferen Anführer ganz alleine zu überlassen. Am Ende der Volkszählung standen noch 29.000 Briten und 17.000 Portugiesen mehr als 60.000 Franzosen gegenüber. Der General gab zähneknirschend zu, daß er hoch gespielt und verloren hatte. Es war ihm nicht bewußt gewesen, daß die Stellungen, die er am Caia einen Monat lang gegen Soult und Marmont und dann gegen Marmont alleine gehalten hatte, Auswirkungen auf den Sommerfeldzug haben würden. Sir James McGrigor erklärte ihm, daß das Guadiana-Fieber, ähnlich der Malaria, eine Krankheit war, die mit Zeitverzögerung ausbrach. Die einzigen Regimenter, die von der verheerenden Epidemie verschont wurden, waren diejenigen, die zuvor in den Kolonien gekämpft hatten. Die 33. Infanterie und Lord Wellington selbst hatten durch zehn Jahre Dienst in Indien die Malaria im Blut. Die spanische Stechfliege machte ihnen nichts mehr aus. Die Scharfschützen des 60. Regiments hatten sich zuvor in den Sümpfen von Louisiana geschlagen. Auch sie schienen unempfindlich zu sein. Picton und sein Regiment waren fünf lange Jahre auf Trinidad und Tobago stationiert gewesen. Sie meldeten keinen einzigen Kranken. Doch alle anderen britischen Einheiten waren auf unter 50 Prozent ihrer Ist-Stärke geschrumpft. Besonders hart hatte es die Kavallerie getroffen. Nicht nur die Männer waren dienstunfähig. Auch ihre Pferde litten unter Schüttelfrost und Fieber. Lediglich der neue, bereits in Portugal requirierte Beritt konnte an die Front gebracht werden, und einige wenige Pferde, die schon seit 1808 im Land waren und bereits nach Talavera das Guadiana-Fieber eingefangen hatten. Der Sanitätsdienst bat, einen fachkundigen Veterinär zur Unterstützung aus Lissabon in die Beira zu kommen.
Der Himmel hatte sich gegen die Alliierten verschworen: Zum ersten Mal seit 1808 waren sie stark genug, um offensiv und in Spanien zu operieren. Einzige Voraussetzung hierfür war es noch, den Rückzugsweg nach Portugal zu sichern. Dies war aber nur möglich, wenn Lord Wellington den Franzosen die beiden Grenzfestungen Badajoz und Ciudad Rodrigo abrang. Bei Badajoz hatte sein Belagerungsapparat versagt. Vor Ciudad Rodrigo ließ ihn die Gesundheit seiner Soldaten im Stich. Der Ire befahl, die Blockade um die Stadt aufzuheben. Doch er wollte versuchen, die Franzosen zu zwingen, ihre Truppen konzentriert zu halten. Marmont, wie auch Massena zuvor, kämpfte mit den Problemen im französischen Nachschubwesen. Der Ire wollte seinen Gegner wenigstens damit zermürben, daß er ihn zwang, in einer unwirtlichen Gegend auszuharren. Seit der Erfahrung von Torres Vedras wußte er, wie verheerend sich Hunger auf die Moral und die Kampfkraft der Adler auswirkte.
Er schickte den größten Teil seines Feldheeres südwärts in die Berge. Das gesunde Klima und die kalte, frische Luft würden den Opfern der Fieberepidemie helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Sobald McGrigor und seine Assistenten das Guadiana-Fieber unter Kontrolle hatten, wollte er sein Feldheer gegen einen geschwächten Herzog von Ragusa führen. Die Zeit reichte. Vor Einbruch der Schlechtwetterperiode blieben ihm noch fast vier Wochen Zeit, um eine Entscheidungsschlacht um die Grenzfestung zu provozieren.
Lediglich Teilen der Dritten Division unter Sir Thomas Picton und der Leichten Division unter Robert Craufurd gestattete er, in ihren Stellungen zu verharren. Die Männer schickten nur ihre dienstunfähigen Kameraden in die Berge. Die gesunden Überreste der Vierten Division begannen mit Erdarbeiten in der Ebene vor Fuenteguinaldo. Wellington wollte sich rückversichern, falls Marmont sich nicht mit dem Entsatz von Ciudad Rodrigo zufrieden gab, sondern selbst eine Schlacht mit den Alliierten provozieren wollte. Picton und Craufurd, die die Verbindungsstraße zwischen Ciudad Rodrigo und Salamanca blockierten, wurden angehalten, den Weg freizugeben, falls die Franzosen aggressiv auftraten. Im schlimmsten Fall empfahl Arthur seinen beiden Generälen, auch die direkte Umgebung der Festung aufzugeben und Dorsennes Versorgungskonvoi in die Stadt zu lassen. Picton sollte sich bei El Bodon verschanzen, Craufurd hinter den Vadillo, einem reißenden Nebenarm des Agueda, knapp fünf Meilen hinter Ciudad Rodrigo.
Je näher die Franzosen kamen, um so unwohler fühlte Wellington sich in seiner Haut. Er hatte zwei sichere Stellungen für eine defensive Aktion im Rücken, doch seine Armee war nicht mehr ausreichend konzentriert, um schnell zu reagieren. Er benötigte mindesten 24 Stunden Galgenfrist, um eine vernünftige Frontlinie zu besetzen. In den frühen Morgenstunden des 25. September hatte er plötzlich das Gefühl, die Zeit würde ihm zwischen den Fingern zerrinnen: Zwei Kavalleriebrigaden der Nordarmee galoppierten die Straßen von Carpio und Espeja entlang. General Wathier führte sie an. Gleichzeitig setzte Montbrun den Hauptteil der französischen Kavallerie in Bewegung. Zwei Brigaden Dragoner und zwei Brigaden Husaren schlugen die südliche Straße nach Fuenteguinaldo ein. Auf ihrem Weg befand sich auch El Bodon. Eine Infanteriebrigade unter General Thiebault folgte ihnen dicht auf. Die Soldaten durchquerten den Agueda. Damit bedrohten sie alternativ Thomas Picton und Robert Craufurd. Zahlenmäßig waren die beiden ihrem potentiellen Gegner unterlegen. Wellington beobachtete die feindlichen Truppenbewegungen von einem Hügel aus durch sein Fernrohr. Sollte er Picton oder Craufurd zur Hilfe eilen? Einen Augenblick lang zögerte der Ire und lenkte seinen Hengst erst nach links auf die Leichte Division zu, nur um im nächsten Moment die Zügel nach rechts zu reißen und auf Pictons Stellung zuzugaloppieren. Seine Entscheidung hatte wenig mit Logik oder einem Plan zu tun. An der einen, wie auch der anderen Front standen zwei fähige Kommandeure. Sie würden jeden Inch ihres Bodens bis zum letzten Blutstropfen verteidigen. Was dem Oberkommandierenden in diesem Augenblick die größte Sorge bereitete, war, daß Marmont erkennen konnte, wie schwach die Alliierten waren und daß er es nicht mit einer Vorhut und einem Schützenschleier zu tun hatte, sondern mit einer Nachhut. Damit stand den Adlern der Weg offen, dem britischen Gegner in den Rücken zu fallen, noch bevor dieser sein Hauptheer bei Fuenteguinaldo in Stellung bringen konnte. Während Kopenhagen durch die Hügel auf El Bodon zu galoppierte, hoffte sein Reiter auf Picton und betete für Craufurd! Die Aufklärer der 14. Husaren konnten bereits früh um acht Uhr morgens durch den Nebel am Azava eine starke Kolonne französischer Kavallerie ausmachen, die sich anschickte, Ciudad Rodrigo zu verlassen. Oberst Ponsonby befahl allen Männern seines Regiments, sich von Carpio und ihren anderen Stellungen über den Fluß in die Hügel zurückzuziehen und die Adler, die die Festung verließen genau zu zählen. Acht französische Schwadronen gingen nach vorne über den Azava. Sechs weitere ließ General Wathier als Nachhut in Carpio zurück. Einer von Ponsonbys Adjutanten hetzte zum Kommandeur der Sechsten Division hinüber. Die Adler marschierten genau auf sie zu. Ein Schützenschleier aus Hulses Brigade wurde in ein Wäldchen zwischen die Briten und die Franzosen geschickt. Freddy Ponsonby und Lord John Waldegrave zogen ihre Husaren an die rechte und linke Flanke der Stellungen der Sechsten Division zurück und formierten sich dicht hinter der Infanterie in Linie. Die Reiter waren für General Wathier unsichtbar. Der Franzose fiel auf die kleine Finte herein: Weil er den Feind nicht sehen konnte, ließ er vier weitere Schwadronen als Nachhut direkt am Azava zurück. Nur noch vier Schwadronen standen gegen Ponsonbys und Waldegraves unsichtbaren Schutzschild. Die Briten konnten inzwischen Wathiers Vorhut identifizieren. Es waren Bergs Ulanen und die 26. Jäger. Langsam tasteten sie sich den Hügel hinauf gegen die Sechste Division vor. Als die Männer und ihre Pferde zwei Drittel des steilen Weges zurückgelegt hatten, gab Ponsonby seinen Reitern ein Zeichen. Eine Schwadron der 14. Husaren stürmte mit gezogenen Säbeln aus dem Wald direkt in den Feind hinein. Unterstützt durch die Abwärts-Bewegung, hatten die großen, grauen Pferde soviel Schwung gesammelt, daß sie Bergs Ulanen einfach über den Haufen rannten. Der größte Teil der französischen Kavalleristen stürzte zu Boden. Erschreckt durch den massiven Aufprall, gerieten die andere Tiere ihren Reitern au der Kontrolle, stiegen, überschlugen sich und rollten die Anhöhe hinunter. Am Fuß des Hügels fing Wathier mühselig seine Kavalleristen ein, sammelte sie und ordnete die beiden Schwadronen neu. Schwer atmend galoppierten die Tiere zum zweiten Mal den Hang hinauf und hinter der Schwadron der 14. Husaren her. Die Briten rasten in den Wald zurück, zum Gros ihrer Einheit und in Deckung hinter den Schützenschleier des 11., 61. und 53. Infanterieregiments. Die roten Röcke feuerten einen ersten, wilden Volley in die Angreifer hinein, als diese genau am Rand des Wäldchens auftauchten. Die zweite Reihe der Infanteristen lud hektisch nach, während die erste sich erhob und den nächsten Volley abschoß. Der Vorstoß der französischen Reiter kam durch den unerwarteten Feuerstoß aus fast tausend Mündungen zu einem Halt. Ponsonby und Waldegrave hatten mit gezogenen Schwertern genau auf diesen Moment der Unsicherheit gewartet. Gleichzeitig schrien beide Obersten laut „Vorwärts!”, und ihre Reiter sprengten durch den Schützenschleier hindurch auf die Franzosen zu. Der Aufprall war so machtvoll, daß Bergs Ulanen und die 26. Jäger den Hang hinunter gewalzt wurden. Der massiven Fluchtbewegung schlossen sich die am Fuße des Hangs verbliebenen Franzosen an. In Panik hetzten sie über den Azava zurück, hinein in die Reihen der vier Schwadronen ihrer Nachhut.
Wathier konnte Ponsonbys und Waldegraves Aktion und den Schützenschleier im Wald nicht richtig interpretieren. Er glaubte an einen massiven Angriff alliierter Kavallerie über ein günstiges Terrain gegen Ciudad Rodrigo. Französische Spione hatten berichtet, daß Lord Wellington erst vor kurzem in dieser Waffengattung verstärkt worden war und nunmehr 4000 Säbel auf das Schlachtfeld brachte. Als der Adler die ihn verfolgenden Einheiten identifizieren konnte, beschloß er seine Vorwärtsbewegung aufzugeben: Freddys Vater Lord Ponsonby hatte mit seinen Scots Greys die Franzosen bereits während des Ägyptenfeldzuges böse geschlagen. Sein Großvater hatte ihnen mit der Household Brigade bei den Pyramiden immense Verluste zugefügt, bevor er selbst auf dem Schlachtfeld umkam. Dem jüngsten Ponsonby eilte der Ruf voraus, Henry Lord Paget als Kavalleriekommandeur in nichts nachzustehen, obwohl er, aus für Paris undurchschaubaren Gründen, immer noch Oberst war. Seit Vimeiro hatte trotzdem jeder Adler begriffen, daß er Wellingtons Kavallerie führte und nicht General Stapelton Cotton, auch wenn die Situation in den alliierten Ordres de Bataille anders niedergelegt war. Freddys Präsenz und Stapelton Cottons Abwesenheit am Azava suggerierten Wathier, daß er es hier nicht mit einer Nachhut, sondern mit dem Hauptteil der alliierten Kavallerie zu tun hatte. Der General zog sich auf Carpio zurück und schickte eine verängstigte Depesche an Marschall Marmont: „Die Alliierten haben mit ihrem gesamten Feldheer hinter dem Azava Stellungen bezogen und sind nicht bereit, auch nur einen Meter Boden aufzugeben! Ich habe mit Sir Frederick Ponsonby zu tun gehabt. Wellingtons ganze Kavallerie steht mir gegenüber!”
Was Wathier nicht einschätzen konnte: Seine Meldung bestätigte Marmont, daß sein undurchsichtiger Gegner die starke Defensivstellung bei Fuenteguinaldo noch nicht bezogen hatte. Die Männer des 14. und des 15. Husarenregiments zogen zufrieden ab. Auf dem Rückweg in die Stellungen der Sechsten Division sammelten sie fünf französische Offiziere und 34 Kavalleristen als Gefangene ein. Auf dem Boden lagen noch ein toter französischer Offizier und zehn tote Ulanen aus Bergs Regiment. Ponsonbys und Waldegraves eigene Verluste waren lächerlich: Zehn Leichtverletzte, die den Weg nach hinten alleine schafften, ein streunendes Pferd und ein Reiter zu Fuß. Als der Abend sich über dem Azava senkte, trottete das verlorene Pferd zufrieden zu seinem Regiment zurück, das Maul grün vom saftigen Gras, das es genascht hatte, anstatt sich an die Dienstvorschriften zu halten. Bob Craufurd, den Lord Wellington im ersten Moment bedroht glaubte, hatte vom ganzen Aufruhr am Fluß nichts mitbekommen.
Montbruns Aufklärungsoperation entlang der Straße nach Fuenteguinaldo gestaltete sich noch lebhafter als die von General Wathier über den Azava. Er endete in einer richtigen kleinen Schlacht: Während der alliierte Oberkommandierende sich noch auf seinem Zickzack-Kurs durch die Hügel befand, stolperten die Adler über eine Nachhut aus Altens Brigade, die sich gerade anschickte, den Agueda zu überqueren. Die Männer befanden sich nur zwei Meilen hinter Ciudad Rodrigo. Die Franzosen trieben die aufgeschreckten Leoparden siegessicher und boshaft vor sich her, fest überzeugt, es mit einer verstreuten Einheit zu tun zu haben. Der junge deutsche Leutnant, der die Reiter aus Hannover anführte, hatte den richtigen Reflex. Er erkannte, daß es sinnlos war, überhaupt das Schwert zu ziehen und befahl seinen Männern, wie der Teufel zu galoppieren. Die Franzosen schienen genau in der richtigen Stimmung für eine kleine Jagd durch die Berge. Die Deutschen stürmten einen Hügel hinauf. Dicht auf den Fersen folgten ihnen 2500 französische Reiter. In dem Augenblick, in dem der Leutnant aus Altens Brigade zur Flucht ansetzte, waren die Infanterieeinheiten von Sir Thomas Picton noch über eine Frontlinie von mehr als vier Meilen ausgestreckt. Der General aus Wales hatte erst angefangen, seine Männer zu konzentrieren und zusammenzuziehen. Doch oben auf dem Hügel standen noch 500 weitere Reiter aus Altens Brigade und Pictons portugiesischer Artillerie unter dem Deutschen, Major von Arendtschildt. Hinter ihnen standen bereits Teile der Infanterie in Stellung: Alexander Wallace, der normalerweise die Connaught Rangers befehligte, fand sich – aufgrund des Guadiana-Fiebers – mit Mackinnons gesamter Brigade wieder. Sein Kollege war ernsthaft erkrankt. Drei Kompanien des 74. Regiments marschierten unweit des Schotten. Die restlichen Einheiten der Division waren noch bei Pastorales, auf einer Hochebene bei Ciudad Rodrigo und direkt im Dorf El Bodon.
Als der junge Leutnant das Plateau erreicht hatte und seinem Kommandeur auf Deutsch laut zurief, daß Marmont ihm mit der gesamten französischen Portugalarmee auf den Fersen sei, reagierten von Alten und von Arendtschild sofort. Wallace, der nun schon drei Jahre gemeinsam mit den Hannoveranern im Felde war, schnappte ausreichend deutsche Worte auf, um den Ernst der Lage zu erahnen. Die deutsche Kavallerie stob hinter den Infanterieschild, der sich blitzartig in Linie formierte. Major von Arendtschildt, der ein mißtrauischer Offizier war, hatte vier fertig geladene Geschütze auf der Anhöhe. Er senkte das Schwert und eine Salve stoppte die ersten Reihen der französischen Reiter. Während die Portugiesen nachluden, feuerte die zweite Reihe der Infanterie einen massiven Volley in die Angreifer. Die erste Reihe folgte. Alten stob mit 500 Säbeln und lautem Geschrei vorwärts. Die Adler waren überrascht und augenblicklich in ihrem Impetus gebremst. Diese kurze Zeitspanne reichte aus, um Collevilles Männern, die ein paar hundert Yards zur Linken der Straßenkreuzung vor El Bodon standen, verständlich zu machen, daß es Probleme gab. Das 74. Regiment reagierte prompt und formierte eine lange, dünne Linie. Sie feuerten den Angreifern in die Flanken. Angezogen vom Lärm war Sir Thomas Picton mit gezogenem Regenschirm aus seiner Position in El Bodon zu Wallace gestoben. Als die Teileinheiten ihren grimmigen Kommandeur sahen, empfingen sie ihn mit lauten Hurra-Schreien. Picton reagierte augenblicklich. Seine Adjutanten galoppierten nach links und rechts. Sie brachten an den Flanken die Caçadores in Stellung. Die Männer formten jetzt einen Halbmond vor El Bodon, genau auf der Straßenkreuzung Ciudad Rodrigo–Fuenteguinaldo. Von Arendtschildt war in einer günstigen Position, auf jeder Seite der Kreuzung befanden sich Geschütze in Stellung. Während Alten den Auftrag erhielt, einen berittenen Schutzschild hinter den Infanteristen zu formen, kamen vier Züge der berittenen Artillerie am Ort des Geschehens an. Sie hatten den Weg von Lord Wellington gekreuzt, der in einem ähnlichen Reflex, wie Picton reagierte und sie von El Bodon zur Straßenkreuzung schickte. Während Sir Thomas blutig und unnachgiebig mit den Franzosen focht, übernahm es der Chef der Leoparden, alle anderen Einheiten der Dritten Division, die noch verstreut waren, in die Frontlinie des Walisers einzureihen. Ein fürchterliches Getümmel entbrannte. Die deutsche Kavallerie, unterstützt durch die Schwierigkeit der Franzosen, bergauf zu kämpfen, schlug an der linken Flanke erfolgreich einen Angriff gegen eine erdrückende, feindliche Übermacht zurück. Jedesmal, wenn die Adler sich der Spitze der Anhöhe näherten, vertrieben die Hannoveraner sie. Ein deutsches Husarenregiment erreichte Pictons zentrale Stellung und warf in einer Blitzaktion drei französische Infanterieregimenter zurück. Der rechte Flügel der Stellung wurde von portugiesischer Artillerie gehalten. Die Kanonen feuerten Salve um Salve Kanister in Monbruns Dragoner. Doch nach dem fünften Angriff der Kavalleriekolonne ging den Portugiesen die Munition aus. Sie mußten sich in ein Karree des ersten Bataillons von Major Ridges 5. Regiment flüchten. Der junge Offizier erkannte, daß die Alliierten gerade vier Geschütze verloren hatten. Lord Wellington hatte seit er Fuß auf iberischen Boden gesetzt hatte noch nie ein einziges Geschütz an den Feind verloren! Ridge befahl seinen Männern, das Karree aufzulösen und sich in Linie zu formieren. Die Dragoner liefen in einen schweren, gezielten Volley der Briten hinein. Dieser kurze Moment der Verwirrung reicht, um die verlorenen Geschütze wieder zurückzugewinnen. Dem Gegner war es noch nicht gelungen, einzuspannen. Die unbeweglichen, schweren Kanonen und der tödliche Feuerstoß aus Hunderten von britischen Baker-Gewehren, mähten die Dragoner nieder. Ihr Anführer entschied, daß vier Geschütze ein Blutopfer nicht wert waren und befahl den Rückzug. Ridge ging feuernd nach vorne. Nach dem dritten Volley waren die Franzosen vertrieben und ein Munitionswagon bei den Portugiesen angekommen und entladen. Die Artilleristen nahmen ihr Kanisterfeuer ohne Verzögerung auf. Es gelang Infanteristen ohne Unterstützung durch eigene Kavallerie nur selten, sich gegen Kavallerie in ordentlicher Formation durchzusetzen. Doch der junge Ridge hatte genau erkannt, wie geschwächt sein Gegner durch das Kanisterfeuer war und daß die Adler sich bereits in Unordnung befanden. Damit konnten sie nicht mehr manövrieren, waren sich selbst im Wege und ihm hilflos ausgeliefert.
Lord Wellington hatte das gefährlich anmutende Manöver des 5. Regiments beobachtet. Im ersten Augenblick hatte er eingreifen wollen, um einen unerfahrenen Kommandeur von einer Dummheit abzuhalten, die unnötig Menschenleben fordern würde. Doch als er erkannte, daß Ridge nicht leichtsinnig war, sondern erst zwei Volleys feuerte um Panik in die Reiter zu bringen und dann nach vorne marschierte, ließ er den jungen Offizier gewähren. Er nahm sich vor, wenn alles vorbei war, dem Major erst ein kräftiges Lob vor dem gesamten Regiment und Sir Thomas Picton auszusprechen und ihn dann unter vier Augen kurz kräftig am Ohr zu ziehen. Der Ire hatte eine Heidenangst vor zu mutigen Offizieren. Den jungen Ridge konnte man vielleicht gerade noch zurechtbiegen: Er besaß nicht nur Courage, sondern auch Verstand und einen kühlen Kopf.
Sir Thomas hatte das Kampfgeschehen vor El Bodon fest in der Hand. Mit viel Geschick setzte er sich langsam aber sicher gegen den übermächtigen Feind durch. Immer mehr Franzosen gaben den Angriff auf und setzten zu Rückzugsbewegungen an. Der Waliser war mit sich zufrieden. Doch er wollte den Teufel nicht herausfordern. Als der französische Ansturm ausreichend abgeschwächt war, befahl er von Arendtschildt, seine Artillerie abzuziehen und in Sicherheit zu bringen. Kavallerie eskortierte die Geschütze. Das 21. portugiesische Regiment, seine Reserve, schickte er ebenfalls nach hinten. Das 5. Regiment und das 77. Regiment zogen sich in einem einzigen großen Karree bis auf den Hochweg hinter El Bodon zurück. Als alle Einheiten, die mit Montbrun so hart gerungen hatten, sich mit den Resten der Dritten Division vereinigt hatten, verließ eine Nachhut von zwei Schwadronen deutscher Husaren den Schauplatz des ersten Aktes des Gefechts bei El Bodon. Wellington schloß sich Picton an.
Der Oberkommandierende hielt sich mit Bemerkungen und Befehlen zurück. Sir Thomas hatte seine Aufgabe ausgezeichnet erfüllt. Er wollte sich nicht einmischen. Er war, in diesem Augenblick nur ein interessierter Beobachter. Picton bemerkte das Schweigen seines Vorgesetzten. Doch seit ihrer ersten Begegnung in der Templerfestung von Viseu hatte er gelernt, sein Gegenüber, die Sphinx, richtig einzuschätzen. Er verstand sehr wohl, daß dieses Schweigen das größte Lob war, das Sir Arthur einem Divisionskommandeur aussprechen konnte. Er hatte ihm – für den Verlauf eines Waffenganges – ein eigenständiges Kommando gegeben und ihm damit bewiesen, daß er volles Vertrauen zu ihm hatte.
Über fünf Meilen hin marschierte die Dritte Division durch ungeschütztes Gelände, ohne ihre Artillerie und fast ohne Kavallerie. Es gab nirgends Deckung. Montbrun hätte sie in die Hölle schicken können, wenn er es nach dem Gefecht von El Bodon noch gewagt hätte, sich dem General aus Wales zu nähern. Ruhig führte der seine Männer. Die französische Kavallerie folgte ihm in sicherem Abstand.
Dann standen sie vor den Positionen von Fuenteguinaldo. Lord Wellington hatte den Mund immer noch nicht aufgemacht. Er war nur weiter schweigend an Pictons Seite geritten. Als der Lärm der Hufe von Montbruns verfolgender Kavallerie immer lauter wurde und man das Rasseln der feindlichen Säbel deutlich hören konnte, sprengte ein junger, verunsicherter Offizier zu seinem Kommandeur. Mit ängstlicher Stimme fragte er den Waliser: „Sir Thomas, wäre es nicht besser, wir würden uns jetzt in Karrees aufstellen, um den Angriff zu erwarten?” Picton wandte sich nur ruhig nach hinten, um nachzusehen. Immer mehr französische Schwadronen erschienen in langer Linie am Horizont, so als ob sie sich zu einem Angriff aufstellten. Er sah seinem jungen Offizier fest in die Augen: „Nein, mein Freund! Wir werden einfach weitermarschieren! Das ist nur ein Trick der Adler, um uns zu erschrecken! Aber wir haben keine Angst mehr vor ihnen, nicht wahr?”
Wellington verzog den Mund zu einem stummen Lächeln. Monbrun hatte seine Munition verschossen. Trotz der prekären Situation am Anfang, hatten die Alliierten diesen Tag gewonnen. Aus den Stellungen von Fuenteguinaldo strömten Infanteristen der Vierten Division auf ihre Kameraden aus der Dritte Division zu, um deren letztes kurzes Stück des Rückzugs zu decken.
Die Franzosen sahen Rotröcke, die laut „Hurra“ schrien und Picton und Wellington zujubelten, wobei sie wild in die Luft feuerten. Monbrun gab Befehl, kehrt zu machen!
Der schwere Tag vor El Bodon und das verzweifelte Ringen mit einem übermächtigen Feind hatte Sir Thomas nur 149 Mann gekostet. Monbrun hatte weniger Glück gehabt. 13 Offiziere und mehr als 200 Mann waren auf dem Schlachtfeld geblieben.
Am Abend des 25. Septembers, als Wathier und Monbrun von ihren Zusammenstößen mit den Alliierten Bericht erstatteten, reagierte der Herzog von Ragusa verwirrt. Waren sie nun auf die Hauptarmee von Lord Wellington gestoßen und hinter den Hügeln verbarg sich eine böse Überraschung, oder stand er vor der Gelegenheit seiner Karriere als Feldherr: Der Bezwinger Massenas, Victors, Neys, Soults und Junots in einer schwachen Position und verwundbar? Er wußte keine Antwort auf diese Frage. Vor den Stellungen am Caia hatte Soult ihm von seinem Mißgeschick mit dem Iren bei Oporto erzählt. Er wußte, daß Massena vor Bussaco ins Verderben gelaufen war. Bei Talavera war die alliierte Frontlinie ähnlich angelegt gewesen, wie die die seine beiden Untergebenen ihm gerade schilderten: Victor hatte teuer bezahlt!
Während Marmont sich noch den Kopf über sein undurchschaubares Gegenüber zerbrach und versuchte, aus den Erzählungen seiner Kollegen, die diesem Mann bereits seit fast vier Jahren gegenüber standen, eine Schlußfolgerung über seine eigene Lage zu ziehen, war Lord Wellington hektisch dabei, vor Fuenteguinaldo jeden Rotrock und Portugiesen, dessen er habhaft werden konnte in Stellung zu bringen. Er war sich im Klaren darüber, daß er durch seine Fehleinschätzung des Feindes einen großen Fehler gemacht hatte. Daß dieser ohne Folgen geblieben war, führte er auf unwahrscheinliches Glück zurück: Auf der einen Seite Freddy Ponsonbys arroganter und bestimmter Angriff, der suggeriert hatte, daß die beiden Husarenregimenter und der Schützenschleier nur ein Vorspiel waren. Auf der anderen Pictons elegante und sichere Manöver, die anzudeuten schienen, daß sich auf der anderen Seite des Hügels mehr verbarg. Und in der Mitte die französischen Erfahrungen von Rolica, Vimeiro, Oporto, Talavera, Bussaco, Torres Vedras, Sabugal und Fuentes de Onoro. Was er in Elvas zu Jose Etchegaray gesagt hatte, bewahrheitete sich: Er hatte immer noch Angst vor den Franzosen, doch sie hatten inzwischen auch eine Heidenangst vor ihm bekommen! Wellington sandte nach Craufurd und der Leichten Division. Black Bob sollte in einem Nachtmarsch den Agueda bei Carros passieren, um sich in den frühen Morgenstunden des 26. September an der rechten Flanke vor Fuenteguinaldo einzufinden. Graham war schon dabei, die Erste und die Sechste Division bei Nava de Aver zusammenzuziehen, um sie an der linken Flanke in ihre Stellungen zu führen. Um Mitternacht, am 25. September, hatte er erst 15.000 seiner 46.000 Männer aufstellen können. Doch er vermutete, daß der Feind ihn aufmerksam beobachtete. Aus diesem Grund schickte er Befehl an alle Anwesenden, soviele Feuer wie nur irgend möglich anzuzünden und Lärm zu machen, um in den Augen des Herzogs von Ragusa den Anschein zu geben, daß fast das gesamte alliierte Feldheer vor ihm stand. Er verbrachte eine schlaflose Nacht, im Sattel von Kopenhagen. Unruhig ritt er von der rechten zur linken Flanke, hin und zurück. Nicht daß er in der Dunkelheit viel über die französischen Intentionen erfahren konnte, aber die Bewegung lenkte ihn zumindest von seiner Angst vor einem möglichen, massiven Angriff von 40.000 Adlern bei Tagesanbruch ab. Als der Morgen graute, rührte sich auf der anderen Seite nichts. Der General wechselte das Pferd, schüttete sich einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf und setzte seine Peregrinationen zwischen linker und rechter Flanke fort. Wenn er nicht durch sein Fernrohr zu Marmont hinüber starrte, fixierte er den Zeiger seiner Taschenuhr. Stunde um Stunde verging, doch die Leichte Division tauchte nicht vor Fuentegirola auf. Gegen Mittag wurde Arthur angst und bange: Black Bobs Männer waren die schnellsten auf dem Marsch. Bei Talavera hatten sie in einer Rekordzeit von zwei Tagen fast 50 Meilen zurückgelegt. Hier trennten sie gerade einmal zehn von ihren neuen Stellungen. Wenn Craufurd um Mitternacht aufgebrochen war, dann müßte er schon lange angekommen sein. Oder die Franzosen hatten ihn angegriffen ...? Der Ire machte sich große Sorgen. Durch sein Fernrohr konnte er einen Auflauf prächtiger, goldverbrämter, dunkelblauer Uniformen ausmachen: Der Herzog von Ragusa und sein Stab. Er winkte Somerset zu sich: „Fitz, ihre Augen sind jung! Was tut Marmont gerade!” Der Adjutant nahm dem Oberkommandierenden das Fernrohr aus der Hand und spähte eine Weile zu den Franzosen hinüber: „Er beobachtet uns, Mylord! Er tut das gleiche, was Sie auch tun! Und er diskutiert mit einem General an seiner Seite. Ich kenne ihn nicht. Wir haben ihn bis jetzt noch nie auf einem Schlachtfeld angetroffen!”
„Dorsenne”, war Arthurs knappe Antwort, „der Nachfolger von Bessières als Kommandeur der Nordarmee!” Wieder ließ er die Taschenuhr aufschnappen und fixierte den Zeiger. Es war inzwischen fast halb zwei Uhr am Nachmittag. Die Leichte Division war immer noch nicht aufgetaucht. Er dachte verzweifelt an seine rechte Flanke. Wenn den Adlern auffiel, daß dort nichts war, außer ein paar Erdwällen, dann konnte Marmont ihn nicht nur gefahrlos angreifen, sondern ihn umgehen und seinen Männern in den Rücken fallen. Die 40.000 Franzosen würden, bei all seinem taktischen Geschick, keine Probleme haben, seine 15.000 Soldaten niederzuringen. Zehn Minuten lang starrte er sein Gegenüber durch das Fernrohr an und überlegte. Dann steckte er das Glas zurück in die Satteltasche und winkte all seine Adjutanten und Stabsoffiziere zu sich: „Meine Herren, die Dritte und die Vierte Division gehen hundert Fuß nach vorne und beziehen Stellung auf den Spitzen der Hügelkette. Lineare Aufstellung. Erste Reihe, Knie zu Boden, zweite Reihe stehend. Rettberg und Arendtschild schwenken ihre Kanonen um 45 Grad auf das Zentrum von Marmonts Frontlinie. Die fahrbare Artillerie spannt die Geschütze aus und bezieht Stellung auf den beiden Hügeln zur Linken und zur Rechten unserer Frontlinie! Reiten Sie! Alles muß jetzt sehr schnell gehen! Don Antonio, holen Sie mir Picton!”
Der Ire hatte beschlossen, seinen Gegner zu bluffen. Er wollte ihm mit den beiden Divisionen auf den Hügeln vorspiegeln, daß der Rest seines Hauptheeres auf den Hinterhängen verborgen lag!
Die Artillerie an den Flanken suggerierte, daß neben ihr Infanterie in Stellung gebracht war. Niemand hielt ungeschützt Kanonen an seinen Flanken.
Nur wenige Minuten später tauchte Sir Thomas auf seinem großen schwarzen Pferd neben Lord Wellington auf. Sein Chef musterte ihn aufmerksam. Der Waliser trug einen breitkrempigen Strohhut, ein bunt besticktes, weißes Leinenhemd und eine ärmellose Weste aus Schaffell. Seine exzentrische Verkleidung rundete ein langer, scharlachroter Schal ab, der locker um den Hals geschlungen im Wind flatterte. Er ähnelte eher einem Partisanen aus den Bergen als dem Kommandeur einer britischen Division. „So geht das nicht, Tom!” Wellington schüttelte den Kopf. Picton verstand kein Wort. Nosey hatte sich noch nie über Kleidung aufgeregt, die nicht der Dienstvorschrift entsprach. Die Maxime des Iren war: „Ich muß meine Soldaten von den gegnerischen Truppen unterscheiden können!” Damit hatte es sich. Der Waliser blickte Arthur ungläubig an.
„Nein, mein Freund! Mir ist egal, wie Sie herumlaufen, so lange es nicht gerade eine französische Marschallsuniform ist! Es ist nichts Persönliches! Aber ich brauche jemanden, der nach Kavallerie aussieht und Spanisch spricht!”
Picton reagierte blitzschnell. Er warf einen Blick über die Schulter. Ein Portugiese mit kurzer Husarenjacke und unheimlich vielen Goldlitzen stand direkt hinter den beiden Briten in der Gegend herum.
„Hola, Hombre”, brüllte Tom ihm zu, „venga por aqui, por favor!” Der Offizier gehorchte, ohne genau zu begreifen, worum es eigentlich ging. Vier Augen musterten ihn von oben bis unten. Dann nickten Wellington und Picton einander zu. Der Waliser bedeutete dem erstaunten Alliierten, sich auszuziehen. Beide Männer wechselten die Jacken und Hüte. Die enge Husarenjacke spannte leicht über Sir Thomas breiter Brust: „Was nun, Arthur?”
„Sammle alle portugiesischen Kavalleristen ein und führe sie an die rechte Flanke. Stellt euch in Linie hinter der Artillerie auf und zwar so, daß es wie eine Angriffsformation aussieht. Zieh die Linie ein bißchen auseinander. Dann seht ihr nach mehr aus!”
„Du willst den Adler hereinlegen?” Picton hatte halbwegs verstanden, was sein Chef vorhatte. Er war Infanterieoffizier. Kavallerie aufstellen konnte er gerade noch. Er hoffte, daß Wellington ihm nicht auch noch Befehl erteilte, einen Angriff zu führen. Der Ire erkannte die Befürchtung seines Untergebenen und grinste ihn an: „Ja, es ist alles nur Bluff! Ihr müßt sichtbar sein! Marmont weiß nicht, womit er hier eigentlich zu tun hat. Weil Craufurd noch nicht aufgetaucht ist, muß ich das Loch zur Rechten aber irgendwie stopfen. Vielleicht hat er ja noch mehr Angst vor mir als ich vor ihm. Es soll danach aussehen, als ob wir uns schlagen wollen ...”
„Und, willst du dich schlagen?”
„Um Gottes Willen! Tom, mich hat in Indien kein Affe gebissen! Los verschwinde an die rechte Flanke! Ich lasse Ponsonby und Waldegrave an der Linken das gleiche Manöver durchführen! Die Deutschen und von Alten stelle ich in die Mitte!” Wellington waren inzwischen Adjutanten und Stabsoffiziere ausgegangen. Hinter ihm stand seine 33. Infanterie. Laut rief er nach Robin Seward, der jetzt als Offizier das Recht auf ein Pferd hatte: „Rob, reiten Sie zu Ponsonby! Er soll die Husaren in Angriffsformation hinter die Artillerie stellen und auf dem Rückweg schicken Sie mir von Alten und die Deutschen hier her.” Seward hatte die Verkleidungskomödie von Sir Thomas Picton mitbekommen. Seit 1797 praktizierte er Lord Wellington schon und konnte sich denken, was der Chef vorhatte. Die kurze Anweisung reichte ihm. Kurz nach zwei Uhr konnte der Ire beruhigt konstatieren, daß an der linken und rechten Flanke ungeheuer viel alliierter Kavallerie stand und Altens Pferde hinter seinem Rücken laut schnaubten. Sein französischer Gegner hatte sich unterdessen, direkt vor seinem Fernrohr zum Mittagessen niedergelassen. Da sein Stab und die Adjutanten noch entlang der Stellungen unterwegs waren, hatte Rob Seward neben ihm Position bezogen. Es sah nicht gut aus, wenn der oberste Leoparden, im Angesicht des Feindes, ganz alleine in der Landschaft herumstand: „Sie machen das ganz ordentlich, Rob! Wollen Sie sich nicht zu Don Antonio, Somerset und Campbell gesellen. Ich habe ziemlichen Personalmangel im Hauptquartier!”, scherzte der Ire zu seinem ehemaligen Sergeanten hinüber.
„Nein, nein, Chef! Jetzt haben Sie mir goldene Schulterklappen verpaßt, da will ich doch nicht gleich auch noch das Posthörnchen auf den Hut nähen! Das Hauptquartier ist ein viel zu glattes Parkett für mich. Mir gefällt’s gut bei unserem alten Regiment. Wenn ich für Sie den Laufburschen spiele, dann reden meine alten Kumpel gar nicht mehr mit mir, weil sie denken, ich bin zum Salonlöwen geworden!”, alberte Seward zurück. Keiner hörte den beiden Männern zu und sie konnten sich die lockeren Umgangsformen erlauben.
„Ich werde meinen drei jungen Herren von Ihnen ausrichten, daß sie Laufburschen und Salonlöwen sind, Rob. Das wird sie sicher freuen! Wenn Sie morgen früh keinen Dienst haben, können Sie sich dann gleich drei Mal duellieren!”
„Alberner Offizierssport!”, zischte der Schotte Lord Wellington zu, „Das ist nichts für einen vernünftigen Soldaten ...”
„Danke, mein Freund! Es ist wirklich nett, daß Sie mir nach 17 Jahren Bekanntschaft so ehrlich sagen, was Sie von mir halten!” Wellington beobachtete Marmonts Mittagessen durch sein Fernrohr und bemühte sich, ernst zu bleiben. Am Anfang in Indien hatte er sich mindestens ein Mal pro Woche wegen einem Ja oder einem Nein mit irgend jemandem herumgeschlagen. Da man sich nicht umbringen wollte, meist mit dem Degen, bis zum ersten Blut. Die Ränge nannten es spöttisch ‚Fechtübungen’. Die Adler auf der anderen Seite ließen es sich zwischenzeitlich schmecken. Eine Flasche Wein nach der anderen wurde entkorkt. Arthur hielt Seward das Fernrohr hin, damit er das Spektakel nicht verpaßte: Weiße Tischdecke, Bedienstete, silbernes Geschirr und Kristallgläser. Sein eigener Magen knurrte erbärmlich.
„Ich glaube nicht, daß die uns heute noch angreifen! Wenn Marmont und seine Kumpane sich weiter so an den Rotweinflaschen festhalten, sind sie betrunken, bevor sie sich zu irgendeiner Aktion entschließen ...” Der frischgebackene Leutnant hatte eine feine Beobachtungsgabe. Auch Wellington hatte die Flaschen mitgezählt. Sie waren zu siebt um den Tisch versammelt und man hatte schon 15 leere Flaschen abgetragen. Er bezweifelte, daß ein Adler mit zwei Litern kräftigem Rotwein im Bauch noch entschlußfreudig und angriffslustig war. Er selbst wäre nur noch träge und auf der Suche nach einem schattigen Plätzchen für einen Mittagsschlaf. Die Taschenuhr sprang wieder auf. Es war inzwischen vier Uhr. Eine halbe Stunde später standen die Franzosen vom Tisch auf und bewegten sich schwerfällig und leicht schwankend zu ihren Pferden. Bedienstete räumten Tisch und Geschirr aus der Frontlinie.
„Heißt das, die blasen jetzt zum Angriff, Chef?” Seward grinste übers ganze Gesicht. Es wollte ihm einfach nicht einleuchten, wie vernünftige Männer, mitten im Krieg und auf einem potentiellen Schlachtfeld in aller Ruhe zu Mittag essen konnten und sich anschließend bis zum Umfallen betranken. Die Marschallsbande nahm ihre Arbeit nicht ernst. Wellington schüttelte den Kopf: „Nein! Die Herren ziehen ab! Wollen wir um eine Flasche wetten, Rob?”
„Die haben Sie gewonnen, Mylord! Mary hat mir vor kurzem etwas erklärt. Wissen Sie, Miss Seward ist eine kluge Frau! Sie war auf einer Klosterschule und kann sogar lesen und schreiben! Kommt selten vor, daß man den Ladys im Hochland solch unnützes Zeug beibringt ... Also, sie hat mir erklärt, was ein Syllogismus ist!” Der Schotte sah seinen Oberkommandierenden belustigt an. Er war zwar nur der Sohn eines Bauern aus Grennock, aber er hatte fast 20 Jahre in der Armee sinnvoll genutzt und sich jedes Quentchen Bildung angeeignet, das man ihm angeboten hatte. Manchmal amüsierte es ihn, den Tölpel zu geben. Wellington wußte, daß Sergeanten, die fünf goldene Streifen auf den Ärmeln trugen, oft klüger waren, als ihre Offiziere: „Dann erklären Sie mir mal, was das ist, Rob?”
„Die kleine Szene auf der anderen Seite! Ich kann mir denken, was der Chef der Adler seinen Kollegen erzählt hat: ‚Wellington kämpft nur, wenn er seine gesamte Armee unter der Hand hat. Er kämpft nur, wenn er eine exzellente Position hat! Er bietet uns heute vor Fuenteguinaldo die Schlacht an! Also fühlt er sich vor jedem Angriff durch uns sicher!’ Das ist ein Syllogismus, Chef!” Der Schotte blickte seinen Oberkommandierenden amüsiert an. Mit einem seltenen und komplizierten lateinischen Wort und drei kurzen Sätzen war es ihm in der Tat gelungen, die Überlegungen des Herzogs von Ragusa auf den Punkt zu bringen. Arthur verschluckte sich vor Lachen: „Sie werden es irgendwann einmal bis zum General bringen, Rob! Beten wir jetzt nur, daß Sie recht haben, mein Freund! Ich habe die Adler ja schon mit allem Möglichen geschlagen, aber mit einem Syllogismus ...”
Kurz nach fünf – die Alliierten standen wie festgewachsen auf ihren Positionen, denn Arthur war sich nicht sicher, ob die moralische Waffe Rob Sewards wirklich so wirkungsvoll war, wie sein Leutnant behauptete und wollte lieber mit klassischen Mitteln sicherstellen, daß Marmont nicht über ihn herfiel wie das jüngste Gericht – tauchte eine durchgeschwitzte grüne Uniform auf einem klatschnassen Pferd neben ihm auf. Bob Craufurd und die Leichte Division hatten endlich ihren Weg zur rechten Flanke gefunden.
„Guten Abend, Bob! Ich freue mich, Sie sicher an meiner Seite zu wissen!”, bemerkte der Oberkommandierende mit zynischem Unterton.
Die Antwort des Kommandeurs der Leichten Division war eine Unschuldige: „Oh, Sir Arthur! Seien Sie sicher, ich war nie in Gefahr!” Er strahlte zufrieden übers ganze Gesicht.
„Ich aber! Durch Ihr Fernbleiben!”, zischte man ihm hinterhältig durch die Zähne zu. Black Bob zog beleidigt an den Zügeln seines Pferdes und wendete: „Der Alte hat heute aber eine miese Laune”, murmelte er beim Wegreiten vor sich hin. Wellington schüttelte verzweifelt den Kopf und wendete den Blick hilfesuchend gen Himmel. Elf Stunden hatte er den Franzosen eine nicht existierende, rechte Flanke vorgespielt und sich dabei mindestens ein Magengeschwür und zwei Herzanfälle eingefangen und dann wirft die rechte Flanke ihm auch noch vor, er habe miese Laune. „Den Kopf sollte ich dir abreißen, mein Freund, und ihn dann in einem Krautfaß eingelegt nach Inverness zu deinem Clan schicken ...” Um sein angeschlagenes Nervenkostüm zu beruhigen, beschloß der Ire, sein gesamtes Feldheer noch in dieser Nacht eigenhändig von Fuenteguinaldo nach Portugal hineinzuführen und in einer ganz besonders sicheren Defensivstellung, hinter dem Coa aufzustellen. Falls Marmont dann immer noch Lust hatte, sich mit ihm zu schlagen, konnte er ihn ja angreifen. Die Leoparden waren inzwischen wenigstens vollständig versammelt und konnten zu Säbel und Muskete greifen. Mit Syllogismen und moralischen Waffen nach ihnen zu schießen, war dem Iren doch etwas zu riskant.