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1 Die Entwicklung der Tagespflegen als eigenständiges Angebot

Die „Tagespflege“ für Pflegebedürftige wurde mit Einführung der Pflegeversicherung Anfang 1995 als eigenständiges teilstationäres Angebot in § 41 im „Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (Pflege-Versicherungs-Gesetz = PflegeVG)“ verankert.

Das damalige Gesetz war wie folgt formuliert:

§ 41 Tagespflege und Nachtpflege (in der Fassung vom 26.05.1994)

(1) Pflegebedürftige haben Anspruch auf teilstationäre Pflege in Einrichtungen der Tages- oder Nachtpflege, wenn häusliche Pflege nicht in ausreichendem Umfang sichergestellt werden kann. Die teilstationäre Pflege umfasst auch die notwendige Beförderung des Pflegebedürftigen von der Wohnung zur Einrichtung der Tagespflege oder der Nachtpflege und zurück.

(2) Die Pflegekasse übernimmt die Aufwendungen der teilstationären Pflege:

1. Für Pflegebedürftige der Pflegestufe I im Wert bis zu 750 Deutsche Mark

2. Für Pflegebedürftige der Pflegestufe II im Wert bis zu 1.500 Deutsche Mark

3. Für Pflegebedürftige der Pflegestufe III im Wert bis zu 2.100 Deutsche Mark

je Kalendermonat.

(3) Pflegebedürftige erhalten zusätzlich zu den Leistungen nach Absatz 2 ein anteiliges Pflegegeld, wenn der für die jeweilige Pflegestufe vorgesehene Höchstwert der Sachleistung nicht voll ausgeschöpft wird. § 38 Satz 2 gilt entsprechend. Sachleistungen nach § 36 können neben den Leistungen nach Absatz 2 in Anspruch genommen werden, die Aufwendungen dürfen jedoch insgesamt je Kalendermonat den in § 36 Abs. 3 für die jeweilige Pflegestufe vorgesehenen Gesamtwert nicht übersteigen.

Heute (Stand Frühjahr 2020) ist nach einer Reihe von Novellen der Pflegeversicherung, die in das Sozialgesetzbuch XI (SGB XI) überführt wurde, der § 41 SGB XI wie folgt gefasst:

§ 41 Tagespflege und Nachtpflege (aktuelle Fassung)

(1) Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 haben Anspruch auf teilstationäre Pflege in Einrichtungen der Tages- oder Nachtpflege, wenn häusliche Pflege nicht in ausreichendem Umfang sichergestellt werden kann oder wenn dies zur Ergänzung oder Stärkung der häuslichen Pflege erforderlich ist. Die teilstationäre Pflege umfasst auch die notwendige Beförderung des Pflegebedürftigen von der Wohnung zur Einrichtung der Tagespflege oder der Nachtpflege und zurück.

(2) Die Pflegekasse übernimmt im Rahmen der Leistungsbeträge nach Satz 2 die pflegebedingten Aufwendungen der teilstationären Pflege einschließlich der Aufwendungen für Betreuung und die Aufwendungen für die in der Einrichtung notwendigen Leistungen der medizinischen Behandlungspflege. Der Anspruch auf teilstationäre Pflege umfasst je Kalendermonat

1. Für Pflegebedürftige des Pflegegrades 2 einen Gesamtwert bis zu 689 Euro,

2. Für Pflegebedürftige des Pflegegrades 3 einen Gesamtwert bis zu 1.298 Euro,

3. Für Pflegebedürftige des Pflegegrades 4 einen Gesamtwert bis zu 1.612 Euro,

4. Für Pflegebedürftige des Pflegegrades 5 einen Gesamtwert bis zu 1.995 Euro.

(3) Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 können teilstationäre Tagesund Nachtpflege zusätzlich zu ambulanten Pflegesachleistungen, Pflegegeld oder der Kombinationsleistung nach § 38 in Anspruch nehmen, ohne dass eine Anrechnung auf diese Ansprüche erfolgt.

(4) bis (7) (weggefallen)

Die vormals stationären und ambulanten Angebote und Hilfen in Deutschland sollten mit der Einführung der Pflegeversicherung bewusst um teilstationäre Möglichkeiten ergänzt werden, um den Nachfragen von Pflegebedürftigen und Angehörigen besser und differenzierter begegnen zu können.

Von Beginn an galt es, Bedingungen und Voraussetzungen zu erfüllen, wenn die Pflegeversicherung Leistungen für einen Tagespflegegast übernehmen soll:

a) das Vorliegen einer Pflegestufe/ heute eines Pflegegrades,

b) ein ergänzender Hilfebedarf in der Häuslichkeit.

In den Jahren 1995 bis 2000 gab es in allen Bundesländern eine eher zögerliche Betriebsaufnahme von solitären Tagespflegen. Dagegen wurden in vielen stationären Häusern (Alten- und Pflegeheimen) integrierte Tagespflegeplätze schnell angeboten, da dort die baulichen und personellen Vorgaben für eine Tagespflege vorlagen oder relativ einfach ergänzt werden konnten.

Die vielfältigen rechtlichen Rahmenbedingungen für den Betrieb einer solitären Tagespflege, das seit Beginn bis heute im betrieblichen Alltag hohe Ausfallrisiko durch kurzfristige Absagen der Gäste und eine Konkurrenz zwischen der ambulanten Pflege und der Tagespflege bei der Abrechnung der Pflegeleistung führten vermehrt bis zum Jahr 2005 auch wieder zu Schließungen von solitären Tagespflegen.

In den letzten zwei Dekaden betrachtete die Gesellschaft die Pflegebedürftigkeit im Alter, die im Laufe der Jahre in fast jeder Familie, Nachbarschaft oder im Bekanntenkreis vorkam, in zunehmendem Maße als „Normalität“. Ambulante, teilstationäre und stationäre Hilfen wurden immer weiter ausgebaut.

Damit erlangte auch die Tagespflege vermehrt Anerkennung und wurde als sinnvolle Hilfe sowohl für somatische als auch an Demenz erkrankte Pflegebedürftige gesehen. Die damit verbundene Entlastung der pflegenden Angehörigen bekam parallel ebenfalls eine größere Bedeutung und Akzeptanz.

Mit den Pflegestärkungsgesetzen I - III in den Jahren 2015 bis 2017 gab es einen weiteren deutlichen politischen Schub zur Weiterentwicklung der Tagespflege in Deutschland. Die politische Zielsetzung, Pflegebedürftige durch ein eigenes Tagespflegebudget weiter zu unterstützen und gleichzeitig auch Angehörige zu entlasten, muss als erreicht bewertet werden.

Gab es 2013 in Deutschland 1.814 Tagespflegen mit 30.943 Plätzen, so waren es im Jahr 2017 schon 4.455 Tagespflegen mit 66.484 Plätzen.


Tabelle 1: Tagespflegen und Plätze 2017. Quelle: Pflegestatistik 2017, Statistisches Bundesamt (Destatis) 2018.

Alle zwei Jahre im Dezember werden deutschlandweit Pflegedaten erhoben. Die Ergebnisse der Abfrage der Pflegedaten in Deutschland, die in der Pflegestatistik 2019 (Stand 15.12.2019) zusammengefasst werden, werden im Frühjahr 2021 veröffentlicht. Es wird vermutet, dass dann die Tagespflegen in Deutschland die Anzahl von 6.000 überschritten haben.

Hat sich die Anzahl der Tagespflegen und der Plätze zwischen 2013 und 2017 mehr als verdoppelt, so gehen wir davon aus, dass zwischen den Jahren 2020 bis 2029 die Anzahl von 6.000 Tagespflegen mit den entsprechenden Plätzen in Deutschland aufgrund regionaler Marktsättigung nur noch gering weiter steigt. Die Prognosedaten ab 2019 sind in gelben Balken dargestellt:


Abbildung 1: Entwicklung der Tagespflegen und Plätze. Quelle: Pflegestatistik 2001 – 2017. Destatis. Ergänzt von Wawrik Pflege Consulting, 2020.

Die Anzahl der Plätze pro Tagespflege, die Ende 2017 im Durchschnitt bei 14,92 Plätzen lag, wird sich nach unserer Prognose in den nächsten Jahren deutlich erhöhen und im Durchschnitt bei 18 bis 20 Plätzen liegen, weil eingestreute Tagespflegeplätze reduziert werden, kleine Tagespflegen aufgestockt und neue Tagespflegen mit eher 15 bis 24 Plätzen gebaut werden.

Für die weiteren Folgejahre wird bei der Anzahl der Tagespflegen von einer abflachenden Wachstumskurve ausgegangen, da in einigen Regionen in Deutschland heute schon eine Marktsättigung an Tagespflegeplätzen feststellbar ist.

1.1 Die Tagespflege in den einzelnen Bundesländern

Der Föderalismus in Deutschland führte dazu, dass die Pflegeversicherung (Bundesgesetz) in den einzelnen Bundesländern verschieden umgesetzt und geprägt wurde. Dieses führte somit auch zu einem unterschiedlichen Engagement von Trägern, Tagespflegen zu planen und zu betreiben, und erhöhte oder verringerte das wirtschaftliche Risiko für den Betrieb einer Tagespflege.

Für Pflegebedürftige und deren Angehörige als auch Mitarbeiter und Träger von Pflegeeinrichtungen ist dies zum Teil nur bedingt versteh- und erklärbar.

Mehrere Beispiele dazu:

1) Ausfallerstattung und Platzzahlüberschreitung: Eine teilweise Erstattung des pflegebedingten Aufwandes bei einer kurzfristigen Absage eines Tagespflegegastes gibt es heute z. B. in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein. In Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Thüringen gibt es dies aber nicht. Dafür dürfen die anerkannten Tagespflegeplätze in NRW und Bayern z. B. nach Genehmigung tageweise überschritten werden, in vielen anderen Bundesländern wiederum nicht.

2) Heimaufsicht: Tagespflegen sind zum Beispiel in Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz von der Heimaufsicht befreit. In Hamburg, Hessen, Niedersachsen, NRW unterstehen die Tagespflegen dieser Behörde.

3) Öffnungszeiten: Tagespflegen sind gemäß der „Maßstäbe und Grundsätze für die Qualität und die Qualitätssicherung sowie für die Entwicklung eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements nach § 113 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI)“ in der teilstationären Pflege üblicherweise an fünf Tagen in der Woche jeweils mindestens 6 Stunden täglich geöffnet. Dies ist in einer Reihe von Bundesländern so auch übernommen worden. In Thüringen besteht für Träger von Tagespflegen die Pflicht, die Tagespflege mindestens 8 Stunden am Tage geöffnet zu halten.

4) Buchungsmöglichkeiten: In Bayern können Träger dem Tagespflegegast im Rahmen ihrer Konzepte unterschiedliche Angebote unterbreiten: einen halben Tag bis 4,5 Stunden Aufenthalt in der Tagespflege und zwei Möglichkeiten bis zu 9 Stunden und über 9 Stunden. In den anderen Bundesländern gibt es dies nicht.

Die Anzahl der Tagespflegen in den einzelnen Bundesländern und die Versorgungsdichte mit Tagespflege-Plätzen pro Einwohner über 65 Jahre als potenzielle Zielgruppe sind in einer Abfrage vom Autor zusammen mit dem Vincentz-Network Anfang 2019 zusammengestellt worden:


Tabelle 2: Tagespflegen und Plätze in den einzelnen Bundesländern. Stand: Frühjahr 2019, Abfrage von Vincentz Network bei den AOK Landesverbänden 10/18 bis 01/19. Zusammengestellt und ergänzt durch Wawrik Pflege Consulting.

Statistisch gesehen gibt es derzeit die größte Versorgungsdichte an Tagespflegeplätzen für Menschen über 65 Jahren in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Bremen. Deutlich unterdurchschnittlich wird dies für Hessen, Hamburg und Bayern mit entsprechendem Nachhol- und Entwicklungsbedarf ausgewiesen.


UnserTipp

Für Planungen von neuen Tagespflegen sollten vorab jeweils Marktanalysen im Umkreis von ca. 25 Kilometer durchgeführt werden, die die Anzahl der vorhandenen Tagespflegen und Plätze, die Bevölkerung- und Altersstruktur und die möglichen Synergieeffekte des Trägers berücksichtigen.

1.2 Perspektiven der Tagespflege für die Zukunft

Grundsätzlich ist und bleibt die Tagespflege für Pflegebedürftige und deren Angehörige auch in Zukunft ein wichtiges teilstationäres Angebot, das die häusliche Versorgung unterstützt.

Und wie wird es mit der Entwicklung der Tagespflegen weitergehen?

Festzustellen ist, dass heute schon in einigen Regionen und Landkreisen in Deutschland eine „Marktsättigung“ von Tagespflegen und Plätzen festzustellen ist. So nutzen z. B. Landkreise in NRW auch ihre von der Landesregierung ermöglichte Steuerungsfunktion und definieren im Rahmen ihrer kommunalen Pflegebedarfsplanung lokale Bedarfe – oder sperren für einen bestimmten Zeitraum Regionen oder Stadtbereiche für weitere Tagespflegeplanungen und Neugründungen.

Eine differenzierte Marktanalyse über den aktuellen und lokalen Bedarf an Tagespflegeplätzen sollte jeder durchführen (lassen), der noch eine neue oder weitere Tagespflege plant, da immer hohe Investitionsaufwendungen für den Neubau oder die Renovierung eines bestehenden Gebäudes entstehen und auch im laufenden Betrieb ein wirtschaftliches Risiko bei geringer Belegung vorhanden ist.

Bestehende Tagespflegen werden sich sicherlich in Zukunft auch in ihrer inhaltlichen Angebotsstruktur oder in Bezug auf ihre Zielgruppe weiter differenzieren (müssen). Die Rückmeldungen der Tagespflegegäste und ihrer Angehörigen können in regelmäßig durchgeführten Kundenbefragungen Orientierungshilfen für die Weiterentwicklung geben.

Die in Deutschland verbindlichen „Maßstäbe und Grundsätze für die Qualität und die Qualitätssicherung sowie für die Entwicklung eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagments nach § 113 des Elften Buches Sozialgesetzgebung (SGB XI) in der teilstationären Pflege (Tagespflege) vom 18.02.2020“ (MuG Tagespflege) benennen unter Punkt 2.2.1 Öffnungszeiten: „Dabei ist die Pflege und Versorgung in der Tagespflegeeinrichtung üblicherweise an fünf Tagen in der Woche jeweils mindestens sechs Stunden täglich sicherzustellen.“

Die vielfach üblichen Öffnungszeiten montags bis freitags von ca. 8.30 h bis 16.30 h werden sich unseres Erachtens weiter differenzieren, da die Nachfrage z. B. von berufstätigen Angehörigen nach erweiterten Öffnungszeiten zunehmen wird. Es gibt heute schon Tagespflegen, die um 6.00 h beginnen und um 21.00 h schließen und einen Zweischichtbetrieb für die Mitarbeiter eingerichtet haben. Dies entspricht auch der Forderung aus den o. a. MuG Tagespflege: „Die Öffnungszeiten sollen insbesondere dem regionalen Versorgungsbedarf entsprechen und die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf pflegender An- und Zugehöriger unterstützen.“

Eine Reihe von Trägern bietet neben der klassischen Fünftagewoche inzwischen auch ergänzende Samstagsöffnungen bis hin zu Öffnungen an 365 Tagen im Jahr an.


Unser Tipp

Bestehende Tagespflegen mit einem Fünftagebetrieb sollten durch Gästeund Angehörigenbefragungen den Bedarf für ein Samstags- oder Wochenendangebot in der Tagespflege einholen. Träger mit ambulanter Pflege und Tagespflege sollten diese Befragung auch auf die ambulant versorgten Patienten und deren Angehörige ausweiten.


Aber bitte beachten:

Änderungen im Konzept oder bei den Öffnungszeiten müssen mit den zuständigen Behörden und Pflegekassen abgestimmt werden, da die Zulassung, der Versorgungsvertrag und die Vergütungsvereinbarung auf der Basis des Strukturerhebungsbogens (Antrag auf Zulassung einer Tagespflege) und des Antrags auf Vergütung und der dort benannten Antragsinhalte vereinbart sind.

Tagespflegen wirtschaftlich führen

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