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Einleitung

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Die Arbeit an diesem Buch begann mit einer Zusammenstellung von Texten, in denen ich mich mit der Dekonstruktion und ihren philosophischen und semiotischen Wurzeln sowie von Beginn an mit ihrer Beziehung zur Politik beschäftigt hatte. Zunächst wollte ich nur meine verstreut über einen längeren Zeitraum in verschiedenen Zeitschriften und Büchern erschienenen Aufsätze in einem Buch zusammenstellen, um sie so wieder zugänglich zu machen. Bei der erneuten Lektüre dieser Texte bestätigte sich für mich, dass die unterschiedlichen philosophischen Arbeiten, die ich in diesem Buch zusammenfassen wollte, über den langen Zeitraum ihrer Entstehung hinweg aus einem zentralen Motiv gespeist waren. Um diesen Zusammenhang besser sichtbar zu machen, begann ich damit, die vorhandenen Texte zusammenzuführen, immer mehr umzuschreiben und neue hinzuzufügen, bis schließlich aus dieser Arbeit ein neuer Text, das vorliegende Buch, entstand.1 Ich hoffe, dass durch dieses Buch meine philosophische Interpretation des Gesamtzusammenhanges der Dekonstruktion als neues philosophisches Paradigma, ihre Einbettung in philosophische und semiotische Überlegungen sowie ihre Implikationen im Feld der Politik klarer erkennbar und verständlicher werden als zuvor in meinen verstreuten Aufsätzen.

Ich sehe in diesem Buch Dekonstruktion als zeitgenössische Antwort auf sowohl philosophiegeschichtlich als auch durch die politische Geschichte des 20. Jahrhunderts aufgeworfene Fragen. Das Buch bemüht sich daher, Referenzraum, Ziele und Möglichkeiten der Dekonstruktion zu erklären und auf dieser Basis ihre Bedeutung im Feld der Politik zu erläutern. Insbesondere will es herausfinden, ob und wenn ja, auf welche Weise Dekonstruktion ein Potenzial zur Vermeidung von totalitären politischen Strukturen bereitstellen kann.

Nach der anfänglichen Ablehnung der Dekonstruktion als neue philosophische Denkform in Deutschland, nach dem folgenden Hype, ihrer Ausbreitung in die verschiedenen Felder des Wissens, aber auch der Kunst, der Architektur und Literatur, und schließlich nach der Ermattung der Diskussion, ist es nun an der Zeit, Dekonstruktion nüchtern zu betrachten und ihre Bedeutung für unsere Kultur mit einigem Abstand abwägend zu analysieren und zu bestimmen.

Dekonstruktion ist eine philosophische Strategie, die der französische Philosoph Jacques Derrida seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts für die Lösung von Problemen entwickelt hat, die sich in der Geschichte der Philosophie mit der Kritik metaphysischer Ansätze gestellt haben. Für ihr Verständnis müssen wir deshalb versuchen, die Problematik der Metaphysik und ihrer Kritik herauszuarbeiten, um dann Derridas Vorschlag erklären und beurteilen zu können. Für das Verständnis von Derridas Vorschlag ist nicht nur die Erklärung der Problemlage wichtig, sondern auch die Beschreibung und Erklärung vorangegangener Versuche, die philosophischen Probleme der Metaphysikkritik zu lösen. Die Besonderheiten von Derridas Strategie der Dekonstruktion, die man grob als die immer wieder erfolgende Streichung ihrer selbst beschreiben kann, werden im Lauf der Analyse benannt, beschrieben und verständlich. Wenn wir trotz des Substanzialisierungsverbots von der Dekonstruktion sprechen, als gäbe es sie, wenn wir sie als Methode oder Strategie bezeichnen und beschreiben, obwohl sie das nicht sein darf, dann tun wir das in dem Maße, in dem Derrida das selbst getan und vertreten hat.

Zu Lebzeiten Derridas war eine nüchterne Betrachtung der Dekonstruktion kaum möglich. Sie wurde zerrieben zwischen der aggressiven Gegnerschaft eines Großteils der akademischen Philosophie, die ihre Grundlagen bedroht sah, und einem teilweise abstrusen Kult seiner Jünger, die jede dekonstruktive Bewegung Derridas mimetisch aufnahm, verklärte und jede Kommunikation verweigernd, in sich kreisend wiederholte. Während die feindselige akademische Philosophie der verschiedenen Richtungen sich mit dem Hinweis auf diesen Derridaismus eine ernsthafte Beschäftigung mit dem philosophischen Gehalt der Positionen Derridas meist ersparte, hatte der Derridaismus kein Interesse an einem abwägenden, argumentierenden Verständnis und einer nachvollziehbaren Darstellung von Derridas Denken. Angeblich ließe die Philosophie Derridas das auch gar nicht zu. Eine kommunikative Darstellung, die Derridas Position philosophiegeschichtlich einordnet, ginge an ihrem Wesen vorbei, das keine Festlegung des Sinnes erlaube, und wäre ein Rückfall in den Diskurs der Metaphysik.

Ich denke dagegen, dass man auch unter Beachtung der wesentlichen Einschränkungen, die aus der sprachkritischen Philosophie Derridas folgen, seine Philosophie in eine beschreibbare philosophiegeschichtliche Problemlage einordnen und als Beitrag zur Lösung tradierter philosophischer Problemstellungen begreifen kann.

Man kann diese Haltung auch mit Hinweis darauf vertreten, dass Derrida zu dieser Problematik selbst Stellung genommen hat. Zudem legt sein umfangreiches Werk ja Zeugnis von einer philosophischen diskursiven Praxis ab, die auch kommunikativ ausgerichtet war, wobei diese kommunikative Ausrichtung eben keine ausschließliche Festlegung des Sinnes war, sondern eine der möglichen Sinnebenen eröffnet.

Meine zentrale politische Motivation für die philosophische Untersuchung der Dekonstruktion ist die Frage, wie man dem Individuum, dem Heterogenen, in unserer Lebenswelt, unseren politischen Strukturen, unserer Kultur, unserem philosophischen Denken, eine ihm eigene Geltung aus sich selbst heraus verschaffen kann, um von ihm aus dann den gesellschaftlichen Zusammenhang in einer Weise denken und gestalten zu können, die seine Geltung erhält.

Aus drei Gründen beziehe ich in diese Untersuchung auch die Frage ein, ob Dekonstruktion für den Bereich der Politik eine Rolle spielen könnte und wenn ja, auf welche Weise. Erstens blieb die Frage nach der Bedeutung der Dekonstruktion für die Politik in ihrer bisherigen Rezeptionsgeschichte bisher eher unterbelichtet. Im Vergleich mit der Literatur, der Kunst oder der Architektur schien Dekonstruktion im Feld der Politik bedeutungslos zu sein und war im Vergleich zu diesen Feldern äußerst selten Gegenstand von Untersuchungen und Analysen. Man darf daher vermuten, dass die Frage nach dem Zusammenhang von Dekonstruktion und Politik besonders schwierig zu handhabende Probleme aufwirft. Der Grund für diese Probleme liegt in der antitotalitären politischen Motivation der Dekonstruktion, die für ihr Verständnis wichtig ist, die aber auch umgekehrt nicht verstanden werden kann, wenn man die Kernproblematik des Sprechens über Dekonstruktion übergeht. Denn Dekonstruktion macht es schwer, sie in einer nüchternen Wissenschaftssprache zu beschreiben, weil sie jede letzte begriffliche Festlegung systematisch verweigert. Diese Eigenschaft ist nicht nur der Kern der philosophischen Intervention Derridas, sondern auch die notwendige Bedingung einer antitotalitären politischen Haltung, die nicht selbst wieder totalitär erstarrt. Insofern ist die politische Dimension ein wichtiges, erhellendes Moment, auch für das Verständnis der Dekonstruktion als Philosophie.

Zweitens war die politische Dimension der Dekonstruktion für Derrida immer bedeutender als die Rezeption seines Werkes vermuten ließ. Dabei gibt es viele Hinweise darauf, dass Derrida sich nicht nur als politischer Mensch verstand, sondern seine philosophische Arbeit auch in diesen Kontext stellte. Sei es, indem er seine internationale Reputation einsetzte, um verfolgten Intellektuellen zu helfen, sei es, indem er Dekonstruktion als Möglichkeit verstanden wissen wollte, einem totalitären Diskurs nicht wieder mit einem anderen totalitären Diskurs begegnen zu müssen.

Hinzu kommt drittens ein eher äußerliches Argument, das aber dennoch seine Wirkung entfaltet. Seit der durch die Finanzindustrie induzierten Krise 2007 und den dadurch ausgelösten politischen und gesellschaftlichen Erschütterungen drängen politische Fragen machtvoll in den Vordergrund – auch der philosophischen Forschung. Alle philosophischen Ansätze, und damit auch die Dekonstruktion, müssen sich seither fragen, ob sie vielleicht bedeutende Aussagen und Überlegungen zur Verfügung stellen können, die zu einer verbesserten, qualifizierten Politik für den Erhalt unserer Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftsordnung beitragen könnten.

Das vergangene Jahrhundert war durch die totalitären politischen Systeme des Faschismus und des realen Sozialismus geprägt. Die geschichts- und politikwissenschaftliche Reflexion dieser Erfahrungen soll in diesem Buch durch die philosophische Frage nach ideologischen Mustern totalitärer Herrschaft ergänzt werden. Ich gehe hier der Frage nach, ob es in unserer Kultur ein Dispositiv der Vorherrschaft eines in sich abgeschlossenen Allgemeinen gibt, in dem das Individuelle allenfalls die Geltung besitzt, die ihm vom Allgemeinen als seinem Moment zugewiesen wurde und ob dieses ideologische Dispositiv auf politischer Ebene die Konstruktion totalitärer Systeme legitimiert.

Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist der Ansatz Hannah Arendts, die sich als Philosophin und politische Theoretikerin in ihrem Werk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft2 mit der Zerstörung von Pluralität auf dem Weg zu und in totalitären Herrschaftssystemen auseinandergesetzt hat. Arendt zeigt in ihrem Buch, dass ein enger Zusammenhang zwischen der Ideologie und der Praxis totalitärer Systeme besteht und verdeutlicht die Bedeutung des theoretisch-ideologischen Hintergrundes totalitärer Herrschaftssysteme. Das in sich geschlossene Weltbild, das in der Ideologie der totalitären Staaten produziert wird, liegt der Staatsform der totalen Herrschaft als Prinzip zugrunde und legitimiert sie.

Hannah Arendt hat den Zusammenhang von Faschismus und ideologischem System analysiert. Sie hat damit über diesen konkreten Zusammenhang hinaus Leitbegriffe für die Beschreibung und Analyse eines Gesellschaftstyps entwickelt und die Basis für eine philosophische Totalitarismustheorie geschaffen. Die Totalitarismustheorie wendete diese Leitbegriffe auch auf andere politische Systeme des 20. Jahrhunderts an und erkannte und beschrieb Strukturgleichheiten des Faschismus mit den kommunistischen Diktaturen. Dies führte jedoch auch zu heftigen Diskussionen darüber, ob mit einem übergreifenden Totalitarismusbegriff nicht die Verbrechen des Nationalsozialismus und insbesondere der Holocaust verharmlost würden.3

Dieser von Arendt nachgewiesene Zusammenhang zwischen ideologischen, philosophischen und politischen Strukturen des Faschismus wird hier auch für die Betrachtung des politischen Systems des realen Sozialismus in der Sowjetunion und den von ihr beherrschten Ländern herangezogen. Nach dem Faschismus des Dritten Reichs wird die DDR als zweiter totalitärer Staat in Deutschland angesehen. Ich gehe davon aus, dass wie beim Faschismus, zwischen dem politischen System der DDR und dem zugrunde liegenden Weltbild, dem ideologischen System und seinem philosophischen Referenzsystem, ein Zusammenhang besteht. Ziel der Beschreibung und Analyse dieser Zusammenhänge ist es, Auswege aus, Alternativen zu und Warnungen vor Wiederholungen totalitärer Herrschaftssysteme zu formulieren.

Der ideologische Leitdiskurs des realen Sozialismus und damit auch der DDR war der Marxismus, der sich wiederum zumindest in seiner Variante als dialektischer Materialismus als materialistische Umstülpung des hegelschen Systems verstand. Daher gehe ich der Frage nach, welcher Zusammenhang zwischen dem ideologischen Muster des dialektischen Materialismus als Legitimationsdiskurs totalitärer Herrschaft und dem hegelschen System als philosophisches Referenzsystem des Legitimationsdiskurses totalitärer Herrschaft festgestellt werden kann. Das hegelsche System wird wiederum als Form eines Diskurstyps betrachtet, der als Identitätsphilosophie Philosophien der Differenz gegenübersteht. Die Frage lautet hier, ob totalitäre Herrschaft an den einen oder anderen Typ philosophischer Diskursivität gebunden ist.

Die Dekonstruktion geht aber über diese Frage noch hinaus. Sie argumentiert, dass nicht die Diskurstypen Identitätsphilosophie oder Differenzphilosophie über die Nutzbarkeit in Legitimationsdiskursen totalitärer politischer Strukturen entscheiden. Denn beiden sei gemeinsam, dass sie dem gleichen Typ der elementaren Bedeutungskonstitution auf der Ebene des Zeichens zugehören. Diskurstypen seien auf einer grundlegenderen Ebene hinsichtlich der Bedeutungskonstitution nicht verschieden. Die Frage müsse in der Perspektive der Dekonstruktion daher auf der Ebene der elementaren Bedeutungskonstitution des Zeichens wiederholt werden und dort lauten, ob es eine Weise der elementaren Bedeutungskonstitution gibt, die auf der komplexeren Ebene diskursiver Systeme eine Verwendung als Legitimationsdiskurs totalitärer Politik unmöglich macht, oder, wenn das nicht der Fall ist, wenigstens Widerstände gegen diese Verwendung erzeugt.

Ich werde weiter der Frage nachgehen, ob es auf der Ebene des Zeichens Eigenschaften des Prozesses der Bedeutungskonstitution und sich aus diesen Eigenschaften ergebende Strukturen gibt, die sich mit Legitimationsmustern totalitärer Herrschaft vergleichen lassen – oder ob es Möglichkeiten gibt, den Prozess der elementaren Bedeutungskonstitution so zu denken, dass er die Sprache widerständiger gegen eine Verwendung in Legitimationsdiskursen totalitärer Herrschaft macht. Jacques Derrida beansprucht mit seinem Konzept der différance eine solche Möglichkeit entwickelt zu haben, wenn auch nicht im Sinne eines handlungsleitenden Konzepts.

Das hegelsche System erfuhr im Marxismus eine explizit politische Interpretation mit großer politischer Gestaltungskraft und Wirkung bei der Legitimation eines totalitären politischen Systems. Deshalb ist es für eine vergleichende Analyse mit jenem philosophischen Konzept geeignet, das beansprucht, eine Möglichkeit zu entwickeln, seiner Verwendung als Legitimationsdiskurs für totalitäre Politik zu widerstehen.

Ziel meiner Untersuchung ist es, den Zusammenhang von Allgemeinem und Besonderem in unserer philosophischen Kultur zu untersuchen. Von Hegel aus muss sich diese Untersuchung auf den Referenzraum Hegels ausdehnen, denn die Frage nach dem Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem ist eine der durchgehenden Fragen der abendländischen Philosophie. Hier müssen auf der einen Seite der Gründungsgestus der neuzeitlichen, subjektzentrischen Erkenntnisdisposition durch Descartes angesprochen werden, auf der anderen Seite aber auch die Philosophien Schopenhauers und Nietzsches, die als die Auflösungsformen dieses Dispositivs gelten.

Das erste Kapitel dieses Buches bestimmt Differenzphilosophie als kritische Theorie autoritärer gesellschaftlicher Strukturen. Ihre zeitgenössischen Formen sind Postmoderne und Dekonstruktion. Postmoderne und Dekonstruktion werden dabei als zwei Ansätze zeitgenössischer kritischer Theorie unterschieden und es wird begründet, warum wir hier vor allem Dekonstruktion näher untersuchen. Anschließend wird der gesellschaftliche Kontext der Entstehung von Postmoderne und Dekonstruktion anhand von Statements von Michel Serres, Michel Foucault und Jacques Rancière aus zum Teil unveröffentlichten Gesprächen näher betrachtet. Am Ende dieses Kapitels wird schließlich Dekonstruktion als zweite Aufklärung von der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule abgesetzt.

Das zweite Kapitel gibt eine vorläufige Bestimmung des hier verwendeten Begriffs von Differenzphilosophie. Wir untersuchen, ob es im Rahmen der Differenzphilosophie möglich ist, Heterogenität anders zu denken als in der identitätsphilosophischen Tradition und sie in diesem Feld unter Berücksichtigung der diskursiven Probleme ihrer Selbstbehauptung zu eigenständiger Geltung zu bringen. Abschließend untersucht dieses Kapitel den Stil der Differenzphilosophie. Zu diesem Zweck werden literarische und philosophische Diskursivität miteinander verglichen, der bewusste Umgang der Differenzphilosophie mit verschiedenen Diskursformen herausgearbeitet und gezeigt, dass dieser begründet ist.

Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der philosophischen Genealogie der Dekonstruktion. Es wird gezeigt, dass die Dekonstruktion, wie sie Derrida entwickelt hat, nicht nur in der subjektkritischen und metaphysikkritischen Tradition von Nietzsche und Schopenhauer, sondern auch von Hegel steht. Die offenliegende genealogische Linie der Subjektkritik als Metaphysikkritik muss durch die hegelsche Kritik des neuzeitlichen Subjektzentrismus ergänzt werden. Hegels Argumentation steht daher in diesem Kapitel im Zentrum der Aufmerksamkeit. Seine Analyse der grundlegenden Sprachlichkeit des Gegebenen in der Phänomenologie des Geistes wird eingehend untersucht und das Prinzip der bestimmten Negation als Bewegungsprinzip des Wissens in einem nicht mehr subjektzentrischen System des Wissens erarbeitet. Gegen Hegels System des Wissens entwickeln sich die differenzphilosophischen Motive und Ansätze bei Schopenhauer und Nietzsche, die die Leiblichkeit gegen das reine Denken in Anschlag bringen und auch bei Heidegger, der die Seinsvergessenheit beklagt. Schon in diesen genealogischen Untersuchungen sind die systematischen Gesichtspunkte leitend, die später weiter entfaltet werden.

Das vierte Kapitel befasst sich mit der titelgebenden semiotischen Wende der Philosophie. Zu Beginn werden zwei Begriffe von Nomenklatur unterschieden. Diese Unterscheidung wird gebraucht, um die Begründungsbewegung einer autonomen Sprachwissenschaft und die Grundlegung der semiotischen Wende der Philosophie bei Derrida beschreiben und erklären zu können. Nach der Analyse semiotischer Motive bei Leibniz werden hier die systematischen Überlegungen Saussures und Derridas untersucht, die zur Grundlegung einer differenziellen Semiotik bei Saussure und schließlich zur neuen Wissenschaft der Grammatologie bei Derrida führen. Mit der Grammatologie versucht Derrida eine Argumentation zu gewinnen, die es ermöglicht, Bedeutungskonstitution, abweichend von der metaphysischen Tradition, nicht als referenzielle sondern als differenzielle zu verstehen. Dieses differenzielle Verständnis von Bedeutungskonstitution bildet wiederum die Grundlage für die metaphysikkritische Argumentation Derridas im Rahmen der Philosophie. Es stellt die eigentliche philosophische Neuerung Derridas gegenüber seinen metaphysikkritischen Vorgängern dar, auch wenn sich etwa bei Nietzsche Versuche in Richtung differenzieller Bedeutungskonstitution finden.

Im fünften Kapitel finden sich abschließend Überlegungen zur antitotalitären politischen Motivation und zu den politischen Konsequenzen der Dekonstruktion. Zuerst werden Hannah Arendts und Hermann Lübbes Gedanken zum Zusammenhang von Philosophie und Totalitarismus angesprochen. Danach wird der Zusammenhang zwischen der hegelschen Dialektik und ihren politischen Derivationen genauer betrachtet – als dialektischer Materialismus einerseits, als totalitäre politische Konzepte und totalitäre Praxis in den Staaten des sozialistischen Lagers andererseits. Im Gegenzug wird schließlich Derridas Argumentation zum Verhältnis von Dekonstruktion und Politik untersucht. Im Hinblick auf das Problem des Totalitarismus geht es nicht um jene Arbeiten Derridas, die um die Begriffe Gerechtigkeit und Freundschaft kreisen und als Beiträge zu einer praktischen Philosophie verstanden werden können, sondern um die im Zusammenhang mit der Affäre Paul de Man von Derrida untersuchte Frage, ob die als Kritik totalitärer Diskurse und Politiken auftretende Dekonstruktion ihrerseits in der Lage ist, totalitäres Denken und totalitäre Politik strukturell zu vermeiden.

Dekonstruktion

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