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Der Geist aus der Flasche

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Was sehen Sie, wenn Sie einen Pflanzensamen betrachten? Die Menschen im Neolithikum hätten „Essen“ geantwortet, und damit wäre alles gesagt gewesen. Die ersten Bauern hatten gelernt, das Samenkorn der Kulturpflanzen, auf dem Gesellschaften begründet und an vielen Orten urbane Zivilisationen errichtet wurden, als praktisch verpackte dehydrierte Pflanze zu nutzen. In jüngster Zeit haben wir diese Samenkörner auseinandergenommen, sind in ihre innersten Geheimnisse vorgedrungen und haben die Bedeutung von Genen entschlüsselt, die entlang eines DNA-Strangs angeordnet und in die Chromosomen ihrer Zellkerne verpackt sind. Wenn wir heute Samen betrachten, sehen wir die Träger, durch die Pflanzen ihre Gene weitergeben. Durch dieses Wissen sind wir in der Lage sie zu nutzen.

In den letzten Jahrzehnten sind wir noch weitergegangen, indem wir die Bande, die uns an die Beschränkungen der Natur gebunden hatten, gelöst haben, um eine Welt zu erforschen, in der es solche Einschränkungen nicht gibt. Im 21. Jahrhundert sind wir in der Lage, Gene zwischen verschiedenen, sogar völlig unverwandten Organismen zu übertragen, wodurch sich scheinbar grenzenlose Möglichkeiten eröffnen, von denen wir noch mehr profitieren können.

Doch solche neuen Horizonte bergen auch eine Gefahr: Wir riskieren, die Welt, in der wir leben, in vorher unvorstellbarem Ausmaß zu beschädigen. Besitzen wir die Weitsicht, Weisheit und Zurückhaltung, die Vorteile verantwortungsvoll zu nutzen, die uns unsere neuentdeckte Fähigkeit bietet, Gene zwischen Organismen zu übertragen? Wird es uns so gelingen, den Katastrophen zu entgehen, die von jenen prophezeit werden, die sich gegen etwas stellen, das sie als unnatürliche und verbotene genetische Manipulation erachten?

Die Antwort auf diese Frage wird die Zukunft bringen. Um jedoch verstehen zu können, wie wir zu diesem Punkt gelangt sind, müssen wir zunächst die Schritte nachvollziehen, die Gärtner, Bauern und Botaniker getan hatten, die erkannten, dass sich hinter dem rätselhaften Äußeren von Pflanzensamen unerwartete Geheimnisse verbergen. Diese Objekte sollten sich als interessanter herausstellen, als sich irgendjemand hätte vorstellen können.

200 Jahre nach der Renaissance in Europa und 100 Jahre nach der sogenannten Wiedergeburt der Wissenschaften standen die frühen Biologen immer noch im Bann der Vorstellungen, die die Philosophen im antiken Griechenland entwickelt hatten. Die Professoren für Naturlehre an den Universitäten in ganz Westeuropa sahen die Natur durch eine Brille, die ihre Beobachtungen auf abstrakte Philosophie reduzierte. Anstatt Schlüsse aus dem zu ziehen, was sie tatsächlich sahen, wurde ihnen beigebracht, die Vorgänge in der Tier- und Pflanzenwelt aus den Regeln abzuleiten, die Aristoteles und sein Schüler Theophrastos von Eresos aufgestellt hatten, welche darüber hinaus noch von theologischen, auf der biblischen Schöpfungsgeschichte basierenden Dogmen überlagert wurden. Das Ergebnis dieser Verschmelzung von Philosophie und Theologie war eine Weltsicht, die mit der Realität sehr wenig zu tun hatte.

Geschlechtliche, also sexuelle Fortpflanzung, so hatten es die Philosophen bestimmt, war das Privileg von Geschöpfen, die zur Eigenbewegung in der Lage waren – ein Schluss, der auf der scheinbar vernünftigen Annahme basierte, dass man, um Sex zu haben, in der Lage sein muss, sich zu bewegen, um einen Geschlechtspartner finden zu können. Pflanzen waren unbeweglich, hatten also keine Möglichkeit, einen Partner zu finden, und mussten folglich zwangsläufig asexuell sein. Dabei war es egal, dass zahlreiche Pflanzen, darunter solch unübersehbare und vertraute Bäume wie die Dattelpalme in zwei geschlechtlichen Ausprägungen vorkommen. Allgemein wurde die eine als männlich bezeichnet, die andere als weiblich, und wenn eine fehlte, das wusste jeder Besitzer eines Dattelhains, waren die Bäume unfruchtbar. Es war auch egal, dass Gärtner die Notwendigkeit von Bestäubung erkannt hatten, obwohl ihre Vorstellung davon, wie das Sexualleben ihrer Pflanzen genau beschaffen war, vielleicht ein wenig vage war, und es sie höchstwahrscheinlich nicht weiter interessierte. 2000 Jahre lang verschlossen Gelehrte und Wissenschaftler die Augen davor, was sie jedes Mal sahen, wenn sie eine Blüte anblickten. Irgendwie gelang es ihnen, den sündhaften Gedanken auszublenden, dass eben jene sichtbaren Organe, aus denen eine Blüte besteht, einen ganz offensichtlich sexuellen Zweck haben. Geschlecht bei Pflanzen war bloß eine Redeweise, nichts weiter; alles andere waren Fantastereien und das Ergebnis einer überhitzten Vorstellungsgabe. Solange diese Ansichten vorherrschten, war die Botanik eine sterile Wissenschaft, mit nur sehr wenigen praktischen Anwendungsgebieten, abgesehen von den antiken Vorstellungen über die Rolle der Pflanzen in der Medizin. Nur widerwillig und in kleinen Schritten vollzogen sich Veränderungen. Beinahe das gesamte 18. und weite Teile des 19. Jahrhunderts lang dauerte es, bis der Genius einiger Freigeister und exzentrischer Individuen die Wächter der Naturwissenschaften schließlich dazu brachten, anzuerkennen, dass die Wahrheit in dem lag, was sie sahen und nicht in den Schriften längst verstorbener Autoren einer vergangenen Epoche.

Im letzten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts untersuchte Rudolph Jacob Camerer, Professor für Naturlehre an der Universität von Tübingen und Direktor des Botanischen Gartens, eine Annahme, die unter vielen Gärtnern verbreitet war, nämlich dass Pollen eine entscheidende Rolle bei der Samenproduktion spielen. Anstatt herumzuphilosophieren, suchte er nach einer praktischen Methode, um herauszufinden, ob dies tatsächlich sein konnte, und wählte für seine Versuche die Blüten solcher Pflanzen, die rückblickend erstaunlich ungeeignet für ein solches Experiment erscheinen: Einjähriges Bingelkraut und Maulbeeren. Camerer entfernte die Staubbeutel von einigen Blüten und sie produzierten keine Samen; andere Blüten, auf die er Pollen aufgetragen hatte, produzierten Samen. Vom Ergebnis bestärkt, wiederholte Camerer seine Experimente mit den Blüten von Spinat, denen des Wunderbaums und an den Blüten von Mais und er kam zu dem Schluss, dass Pollen tatsächlich entscheidend für die Samenproduktion waren: Bei Staubbeuteln, in denen der Pollen produziert wird, könne es sich nur um männliche Sexualorgane handeln. Die Fruchtknoten und Griffel, die die empfangende Narbe tragen, auf die er die Pollen appliziert hatte, würden demzufolge den weiblichen Part übernehmen.

Camerer hatte demonstriert, dass die männlichen und weiblichen Rollen, die Staubbeutel und Griffel zugeschrieben wurden, nicht bloß Redeweisen waren. Es war ein Durchbruch. Er entschied, bei Pollen müsse es sich um eine Art Proto-Embryo handeln, analog zu den Vorstellungen der Animalkulisten (die glaubten, dass der Mann während des Geschlechtsverkehrs einen zwar winzigen, aber schon voll ausgebildeten, vollständigen Menschen, einen Homunkulus, beitrug, während die Frau bloß eine sichere, warme und nährende Gebärmutter bereitstellte, in der das Kind wachsen konnte). Die Griffel in Blüten, schloss er, seien vermutlich hohle Röhren, durch die die Pollenkörner ihren Weg hinab in die Fruchtknoten finden; dort würden sie genährt, während sie zu Samen heranwachsen. Eine einfache Erklärung und eine, die der Wahrheit näher kommt, ist, dass die Fruchtknoten selber unreife Embryonen enthalten und die Rolle der Pollen darin besteht, sie irgendwie zu stimulieren, dass sie aktiv werden und sich schließlich zu Samen entwickeln. In einer weniger androzentrischen Welt wäre dies wohl naheliegender gewesen.


8 Insekten sind die wichtigsten Pflanzenbestäuber. Auf diesem Bild statten Honigbienen einer Löwenzahnart einen Besuch ab. Man kann deutlich die Unmengen an orangefarbenem Pollen sehen, der sich im Pollenkörbchen an den Hinterbeinen der Biene im Landeanflug befindet.


9 Die Haselkätzchen sind an eine Pollenverbreitung durch den Wind angepasst. Bei einem voll entwickelten Kätzchen wird bei dem kleinsten Lufthauch eine Pollenwolke freigesetzt.


10 Durch künstliche Pflanzenkreuzung, in diesem Fall von Erbsen mit unterschiedlichen Merkmalen, entstehen Hybride, anhand derer man schlussfolgern kann, wie bestimmte Merkmale vererbt werden. Es wird eine genetische Variabilität sichtbar, die in den Mutterpflanzen nicht offen zutage trat. Wenn man einmal verstanden hat, wie sich ein Merkmal vererbt, ist es möglich, Pflanzen mit einer ganz bestimmten Kombination von Merkmalen zu züchten.


11 Gregor Johann Mendel (1822 – 1884), der Vater der Genetik, nahm kontrollierte Kreuzungen zwischen Erbsen mit unterschiedlichen Merkmalen vor. Aus der Anzahl der unterschiedlichen Arten von Nachkommen leitete Mendel die Grundgesetze der Vererbungslehre ab, die seinen Namen tragen.


12 Man begann die Duftende Platterbse am Ende des 17. Jahrhunderts aus Wildpflanzen, die in Sizilien gesammelt wurden, zu kultivieren. Diese ersten Kultivare scheinen kleine rotbraune oder lilafarbene Blüten gehabt zu haben. Jedoch haben sorgfältige Züchtung und Auslese durch Gärtner, selbst ohne dass sie ein Verständnis von Genetik besaßen, ein riesiges Spektrum an Kultivaren hervorgebracht.


13 Längsschnitt durch die Blüte einer Wasserlilie, gemalt von Arthur Harry Church. Darauf ist der allmähliche Übergang von schützenden Kelchblättern auf der Außenseite der Blüte, über Insekten anlockende Blütenblätter bis zu den männlichen Staubbeuteln dargestellt. Im Zentrum der Blüte sind die weiblichen Fruchtblätter, die die Fruchtknoten beherbergen, in denen sich die Samenanlagen befinden. Sobald die Samenanlagen befruchtet sind, entwickeln sich aus ihnen die Samen.

Die Beobachtungen Camerers wurden nach ihrer Publikation 1694 weitestgehend ignoriert, wobei im Allgemeinen angenommen wird, dass er sie in kaum verbreiteten Zeitschriften veröffentlicht hatte, wo man sie übersah. Allerdings waren bereits Camerers Vater wie er selbst und später sein Sohn nacheinander Professoren an der Universität Tübingen; als namhafte Mitglieder einer Akademiker-Dynastie dürften ihre Tätigkeiten eigentlich nicht unbemerkt geblieben sein. Wenn seine Kollegen dennoch die Berichte nicht gelesen oder verstanden haben, kann es nur daran gelegen haben, dass sie aufgrund ihrer akademischen Vorurteile solche Beobachtungen als irrelevant abtaten. Seine Mit-Professoren in den Universitäten erkannten nicht, wie absurd es war, dass sie in ihren philosophischen Debatten versuchten, das Offensichtliche, das sichtbare Vorhandensein männlicher und weiblicher Organe bei Pflanzen, zu ignorieren und weiter an einer Legende festzuhalten – nämlich an der, dass Pflanzen keine Sexualorgane besitzen.

Solche Brüche zwischen dem, was man sehen kann, und dem, was man zu glauben hat, erfordern geistige Verrenkungen, die denen der Kreationisten oder der Intelligent-Design-Bewegung ähnlich sind, die bedingungslos an den Schöpfungsmythos glauben. Beinahe 30 Jahre nachdem Camerer gezeigt hatte, dass die Staubbeutel und Griffel von Pflanzen recht offensichtlich eine sexuelle Funktion haben, beschrieb 1723 ein hoch gebildeter und kultivierter Gelehrter, der Philosoph Christian Freiherr von Wolff in „Vernünftige Gedanken von den Wirkungen der Natur“ die Abfolge der Ereignisse, die zur Bildung von Samen führen, folgendermaßen: „Man findet in der Blüte inwendig allerlei Stengel rings herum, daran oben etwas zu sehen so ganz staubig ist und den Staub auf den oberen Teil des Behältnisses [die Staubblätter mit Staubbeutel] von den Samen fallen lässt, das einige mit dem Geburtsglied der Tiere und den Staub mit dem männlichen Samen vergleichen. Nach ihrer Meinung wird der Same durch den Staub fruchtbar gemacht und müssen demnach die kleinen Pflänzlein [Embryonen] durch den Staub in das Samenbehältnis und darinnen in den Samen gebracht werden.“

Doch dann fügt er hinzu: „Da dieses alles, was bisher beigebracht worden, auch bei den Blumen zu finden, die aus Zwiebeln wachsen, und gleichwohl gewiß ist, dass die Blätter der Zwiebeln folgends auch Pflänzlein in sich haben – so sieht man leicht, dass die jungen Pflänzlein aus den Blättern der Zwiebeln kommen müssen. Weil sie nun daraus so leicht mit dem Safte in die Samenkörnlein gebracht werden können als in den Staub, der sich oben in der Blume erzeugt, so zweifle [ich] noch gar sehr, ob die Sache auch ihre Richtigkeit hat und mit der Erfahrung übereinstimmen wird.“

Wolff fährt fort, indem er spekuliert, wie die Embryonen in den Saft gelangen könnten, und kommt zu dem Schluss: „Und dieses ist allerdings glaublicher, dass die kleinen Pflänzlein schon im Kleinen vorhanden gewesen, ehe sie in dem Saft und der Pflanze durch einige Veränderung in den Zustand gesetzt worden, wie sie im Samen und den Augen anzutreffen.“

Die nächste Frage, die er stellt, lautet, wo sich die Embryonen davor befunden haben könnten: „Sie stecken demnach entweder in einer kleinen Gestalt ineinander [...] oder werden aus der Luft und Erde mit dem Nahrungssaft in die Pflanze gebracht [...]“

Selbst Wolffs aufgeschlossenem philosophischem Denken gelang es nicht, sich einen Samen vorzustellen, der wie eine Art Matroschka immerfort eine unendliche Abfolge kleinster Vorläufer der Nachkommen enthält. Er folgerte, dass es plausibler wäre, anzunehmen, dass die Samen aus der Erde oder der Luft mit dem Pflanzensaft in die Pflanze gelangt seien. Damit hatte er jedoch aufs falsche Pferd gesetzt. Die unendliche Abfolge in einer Gestalt, die er unmöglich hätte verstehen können – eine selbstreplizierende Doppelhelix – war die Antwort auf seine Fragen.

Während die Diskussionen über die Sexualität von Pflanzen sich immer noch um Vorstellungen drehten, wie die, die Wolff jahrelang in Umlauf brachte, sahen Gärtner die Rolle männlicher und weiblicher Organe von Pflanzenblüten unter eher praktischen Gesichtspunkten. Schließlich bestritten sie mit ihnen ihren Lebensunterhalt. In den Ausgaben des Buches „Every Man His Own Gardener“ ab 1776, das John Abercrombie zusammen mit anderen Gärtnern veröffentlicht hatte, bestand für die Autoren kein Zweifel daran, dass, obwohl einige Gärtner „männliche“ Blüten als unproduktiv erachteten und sie entfernten, sie in Wahrheit dazu bestimmt waren, die weiblichen Blüten zu befruchten.

In einer deutschen Übersetzung mit dem Titel „Neuer und vollständiger Gartenkalender“ heißt es: „[...] Und bei Frühgurken und Frühmelonen ist es sogar nötig, die Befruchtung der weiblichen Blüten durch die männlichen selbst zu besorgen. Man fasse daher die Ranke, woran einige ganz offene männliche Blüten befindlich sind, mit dem Daumen und Zeigefinger, schlage eines von den Blumenblättern, welche die männliche Blume mit ausmachen helfen, zurück, oder breche es ganz ab, und berühre dann mit dem zurückbleibenden Staubbeutel die Narbe der weiblichen Blume, sodass nur etwas von dem männlichen Blütenstaub an dieser Narbe zur Befruchtung hängen bleibt.“

Für Melonenzüchter ist diese Beschreibung der Befruchtung von Blüten ganz und gar verständlich, doch da die Salatgurken, die wir für gewöhnlich kaufen, ohne die Vorteile der sexuellen Fortpflanzung erzeugt werden, muss man das heute etwas näher erläutern. Es ist so, dass alle Gurken, die bestäubt werden, mit Unmengen an ungenießbaren Samen „schwanger“ und für den Verzehr nicht mehr geeignet sind – daher rührt die Popularität von Sorten, die lediglich weibliche Blüten hervorbringen, weil damit jegliche Möglichkeit einer „ungewollten Schwangerschaft“ ausgeschlossen wird. Abercrombie bezog sich auf Pflanzen, die ähnlich denen waren, die heute noch auf Feldern angebaut und eingelegt werden. Diese bilden – wie ihre Verwandten Zucchini und Melone – Früchte erst aus, nachdem sie bestäubt wurden.

Orthodoxe Botaniker waren zu der damaligen Zeit im Wesentlichen damit beschäftigt, Klassifizierungssysteme auszuarbeiten, in die sich Pflanzen logisch und befriedigend einordnen ließen, und interessierten sich kaum dafür, wie Pflanzen funktionierten. Die gelungenste Klassifizierung arbeitete Carl von Linné aus, der eine gewisse Ordnung in unsere Sicht der Pflanzenwelt brachte, welche auf Anzahl und Anordnung der Sexualorgane von Blüten beruhte. Carl von Linné fasste einen Großteil der frühen Arbeit über die Sexualität von Pflanzen in den 1730er-Jahren zusammen, doch war er hauptsächlich an der Anzahl und Anordnung der Staubbeutel und Griffel interessiert, sodass er Pflanzen systematisch gruppieren konnte. Carl von Linné nahm an, dass nicht so sehr Blüte oder Frucht, sondern eher Staubbeutel und Narbe so etwas wie den „sexuellen Kern“ von Pflanzen ausmachten und argumentierte, dass sich eine gelungene Pflanzenklassifikation auf diese Merkmale zu konzentrieren habe.

Mitte des 18. Jahrhunderts hatten Botaniker keine systematischen Vorstellungen, wie Vererbung und geschlechtliche Fortpflanzung zusammenhingen, und da sie Samen mehr oder weniger als Knospen ansahen, schien es keinen Grund zu geben, die Einzelheiten zu erforschen. Eine Ausnahme war Joseph Gottlieb Kölreuter, Professor für Naturgeschichte an der Universität Karlsruhe. Er hatte in Tübingen studiert, einige Jahre, nachdem Camerer seine Versuche über die Bestäubung abgeschlossen hatte, und dies könnte sein Interesse an Pollen geweckt haben.

Camerer hatte gezeigt, dass Samen erst hervorgebracht werden, nachdem die Blüte bestäubt worden ist. Der nächste Schritt war, herauszufinden, was Pollen tun. Und um das zu erreichen, war es notwendig, sich klar zu werden, welche Rolle ihre Sexualpartner, die Samenanlagen, spielen. Kölreuter machte sich daran, herauszufinden, ob einige Merkmale von Pollen vererbt werden, andere von Samenanlagen. Diese Frage war für die 1760er-Jahre überraschend originell. Für Akademiker weit und breit glich diese experimentelle Herangehensweise von Kölreuter – die darauf basierte, zunächst eine Hypothese aufzustellen und sich dann daran zu machen, sie zu überprüfen – Häresie, da man davon überzeugt war, dass sich die Wahrheit nur durch auf philosophischen Regeln fußende Logik und nicht durch Experimente erschließen lasse. Doch entsprang Kölreuters Eingebung wirklich einer ketzerischen Grundhaltung gegenüber den damaligen Lehren der Botanik oder rührte sie von seiner Beobachtung dessen, was die Gärtner im Botanischen Garten der Universität taten?

Gärtner interessierten sich zunehmend dafür, wenn auch noch recht zögerlich, welche Möglichkeiten es gab, verbesserte Sorten von Obstbäumen, Gemüse und anderen Pflanzen hervorzubringen, indem man eine Art mit einer anderen kreuzte. Für sie wäre der Gedanke, dass bestimmte Merkmale von Pollen, andere von Samenanlagen vererbt werden, bestimmt eine interessante, einleuchtende und aufregende Möglichkeit gewesen. 1717 wurde Thomas Fairchild, ein Pflanzenzüchter aus Hoxton am Stadtrand von London berühmt, sogar ein wenig berüchtigt, indem er eine Garten-Nelke mit einer Bart-Nelke kreuzte, um eine pinkfarbene Hybride zu erhalten, die als „Fairchild’s Mule“ bekannt wurde. Fairchild, ein frommer Mann, hatte Gewissenbisse wegen dem, was er getan hatte. Es peinigte ihn, die Rolle des Schöpfers angenommen zu haben. Um sein Gewissen zu beruhigen – und vielleicht auch um einige Steine auf seinem Weg ins Himmelreich aus dem Weg zu räumen –, vermachte er in seinem Testament der Kirchgemeinde Hoxton 25 Englische Pfund, von denen jährlich ein Englisches Pfund für eine Predigt über „die wundervollen Werke Gottes, des allmächtigen Schöpfers“ ausgezahlt werden sollte.

Bevor er seine Hypothese prüfen konnte, musste Kölreuter Pflanzen finden, die ihm als männliche und weibliche Elternpflanzen dienen könnten. Sie mussten sich stark genug voneinander unterscheiden, sodass er in der Lage wäre, in den Nachkommen die Merkmale der jeweiligen Pflanze klar erkennen zu können. Zum Beispiel bräuchte er einen grünblättrigen Salat gekreuzt mit einem rotblättrigen oder eine Kreuzung zwischen einem Rittersporn mit blauen Blüten und einem mit weißen. Er ging einen Schritt weiter, vermutlich eher unabsichtlich, und machte seine ersten Versuche mit zwei Arten Tabak. Wie er hoffte, brachten sie zwar Samen hervor, doch die Pflanzen, die er züchtete, stellten sich als unfruchtbar heraus, vergleichbar mit Maultieren, dem Kreuzungsprodukt von Pferden und Eseln, die sich (wie im Übrigen auch „Fairchilds Muli“) nicht fortpflanzen können. In der Folge weitete Kölreuter seine Experimente neben anderen Pflanzen auf Nelken, Garten-Levkojen, Schwarzes Bilsenkraut und Königskerzen aus – dieses Mal mit mehr Erfolg. Ihre Sämlinge, so beobachtete er, erbten die Merkmale beider Elternpflanzen und bewiesen damit, dass sowohl Pollen als auch Samenanlagen zur Entstehung von Samen beitrugen. Er entdeckte auch, dass man nur Samen erhält, wenn man zwei nah verwandte Arten kreuzt. Königskerzen, die von Nelkenpollen bestäubt wurden, waren unfruchtbar. Aber bei Nelken, die mit anderen Nelken, oder Königskerzen, die mit anderen Königskerzen gekreuzt wurden, war die Wahrscheinlichkeit viel größer, dass sie Kapseln hervorbrachten, die mit fruchtbaren Samen angefüllt waren.

Für Kölreuter stellten sich nach seinen Beobachtungen weitere Fragen. Wie viele Pollenkörner sind nötig, damit ein Samen entsteht? Was geschieht, nachdem die Pollenkörner auf der Narbe der Blüten platziert wurden? Die Antwort auf die erste Frage lautete, dass, obwohl Pollen scheinbar in großen Mengen produziert wurden, nur sehr wenige Körner ausreichten, um einen Samen hervorzubringen. Es gelang ihm, die Anzahl etwas einzuschränken, indem er annahm, dass ungefähr fünf Pollenkörner drei Samen hervorbrächten, doch es gelang ihm nicht zu zeigen, dass ein einziger ausreicht, wie es tatsächlich der Fall ist. Die Beantwortung der zweiten Frage sollte sich als komplizierter erweisen, doch was er sah, überzeugte ihn davon, dass eben nicht das gesamte Pollenkorn die Narbe hinabwandert, wie es die Animalkulisten behauptet hatten.

Dass man damals nicht über Mikroskope verfügte, wie wir sie heute haben, schränkte Kölreuters Erkundungen ein, doch wann immer es ihm gelang, Vorgänge zu beobachten, war darauf Verlass, dass er einleuchtende und originelle Schlüsse zog. Er bestimmte die Funktionen von Staubbeutel, Narbe, Griffel und anderen Blütenorganen, unter anderem auch die der Nektarien. Vor Kölreuter betrachtete man Nektarien als seltsame, nebulöse Strukturen, die etwas mit der Ausscheidung von Abfallstoffen zu tun haben. Kölreuter zeigte nicht nur auf, dass sie Nektar abscheiden, sondern auch dass dieser Nektar Insekten anlockt, unter anderem Bienen, die ihn zur Honigproduktion benutzen. Heute wissen wir, dass Nektarien in ganz unterschiedlichen Ausprägungen vorkommen können und dass sie eine komplexe Mischung aus Zuckerarten und anderen Nährstoffen absondern, die Bestäubern als Belohnung dienen. Darüber hinaus stellte Kölreuter die These auf, dass Insekten eine entscheidende Rolle bei der sexuellen Reproduktion von Pflanzen und der Entstehung von Samen spielen, indem sie den Pollen von einer Pflanze zur nächsten übertragen (8). Auch das waren originelle Ansichten, die der Vorstellung ein Ende bereiteten, Insekten würden bloß umherstreiften und den Blüten ihren Pollen stehlen.

Auch die Mistel weckte Kölreuters Neugierde, vielleicht weil sie recht eigentümlich ist, ganz sicher aber auch wegen des triftigeren Grundes, dass Mistelpflanzen entweder männlich oder weiblich sind. Es gelang ihm zu zeigen, dass weibliche Pflanzen nur dann Beeren produzieren, wenn ihre Blüten von einer benachbarten männlichen Pflanze bestäubt worden sind. Er beobachtete ebenfalls, dass Insekten, indem sie von Pflanze zu Pflanze fliegen, als Bestäuber fungieren. Später fiel ihm noch etwas anderes auf: Drosseln fraßen die Mistelbeeren und schmierten dann die klebrige Substanz, welche die Samen umgab, an die Zweige benachbarter Bäume, wo Samen aufkeimten und Sämlinge hervorbrachten. Solch ein symbiotisches Zusammenspiel zwischen Pflanzen und Tieren gehörte in die Welt der Mythen oder waren der Wissenschaft gänzlich unbekannt, als Kölreuter seine Beobachtungen publizierte. Es sollte noch beinahe ein Jahrhundert vergehen, bevor die Beschreibungen Charles Darwins das Zusammenspiel zwischen Tier und Pflanze allgemein bekannt machten.

Die wissenschaftliche Welt interessierte diese Entdeckungen kaum und zu Kölreuters bitterer Enttäuschung blieben sie über viele Jahre hinweg Staubfänger. Die Akademiker an den Universitäten weigerten sich, sie unter philosophischen Gesichtspunkten in Erwägung zu ziehen, im besten Fall akzeptieren sie sie zwar widerwillig, waren sich ihrer Tragweite aber nicht bewusst. Ihre ablehnende Haltung wurde durch das hartnäckige Festhalten am biblischen Schöpfungsbericht und dem damit einhergehenden Konzept von der Konstanz der Arten noch verstärkt, denn Gott hatte bereits alle Arten erschaffen und deshalb war jede „Neuschöpfung“ durch Kreuzung Gotteslästerung. Dies sollte sich als ein Vorbote für die Furore erweisen, die später Darwins Publikation seiner Theorien von der natürlichen Auslese machen sollte.

Joseph Kölreuter hatte mit einem Dogma gebrochen, das die akademische Wahrnehmung der Biologie über Jahrhunderte hinweg eingeschränkt hatte, doch seine Zeitgenossen waren immer noch nicht bereit, der Welt ohne Scheuklappen gegenüberzutreten. Julius von Sachs, der seinerzeit den Lehrstuhl für Botanik an der Universität Würzburg innehatte, brachte die Situation 1875 anschaulich auf den Punkt, als er in seiner „Geschichte der Botanik vom 16. Jahrhundert bis 1850“ schrieb: „Bei der Lektüre von Linnés, Gleichens und Wolffs Schriften über die Sexualität tritt man in eine uns längst fremdgewordene, schwer verständliche Gedankenwelt ein, die nur noch historisches Interesse darbietet. Kölreuters Schriften dagegen heimeln uns an, als ob sie unserer Zeit angehörten.“

Außerhalb der Universitäten taten Männer mit Denkweisen, die wir heute eher als wissenschaftlich bezeichnen würden, aktive Landwirte und Gärtner, Dinge, die den akademischen Gelehrten gleichermaßen seltsam anmuteten und unverständlich waren. Sie kamen zu Ergebnissen, die völlig mit den Entdeckungen Kölreuters übereinstimmten, obwohl viele von ihnen weder von dem Mann noch von seiner Arbeit jemals etwas gehört hatten.

Zu den Menschen, die Balsam für Kölreuters verletzte Gefühle gewesen wären, gehörten Christian Konrad Sprengel und Thomas Andrew Knight. Der Erste war ein Botaniker mit schrulligem Wesen und einem beeindruckend unkonventionellen Geist; er fand zahlreiche Antworten auf offene Fragen über die Sexualität bei Pflanzen und auf das Warum und Weshalb der erstaunlichen Vielfalt von Blüten. Letzterer war Landbesitzer, aktiver Landwirt, Gärtner und Amateurwissenschaftler, der mit seinen praktischen Entdeckungen den Weg ebnete, um die Anbaumethoden und Techniken im Gartenbau zu verbessern.

Bei Konrad Sprengel handelte es sich ganz offensichtlich um einen Mann, der nicht in der Lage war, sich an Regeln zu halten oder ein geordnetes Leben zu führen. Nach seiner Priesterweihe wurde er mit der Sorge um das geistige Wohlergehen der Einwohner Spandaus in Berlin betraut. Geistliche in ganz Europa, unter anderem der berühmte Zeitgenosse Sprengels, Gilbert White, Vikar von Selborne in Südengland, gingen ihrem Interesse an Naturkunde, Geologie, Archäologie und beinahe auch allem anderen nach, was gerade ihre Aufmerksamkeit erregte, während sie immer noch Zeit fanden, sich um die Nöte ihrer Gemeindemitglieder zu kümmern. Sprengel dagegen ließ die obsessive Beschäftigung mit dem eher irdischen Studium der Botanik so wenig Zeit für die spirituellen Bedürfnisse seiner Schäfchen, dass er nicht einmal mehr die von ihm erwartete Sonntagspredigt hielt. Seine Vorgesetzten entließen ihn. Ohne Einnahmen, mit denen er seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte, widmete er sich seinen Experimenten über die Fortpflanzung bei Pflanzen. Körper und Geist hielt er zusammen, indem er etwas Unterricht gab und wöchentliche botanische Spaziergänge ins Berliner Umland leitete – auf denen er bei seinen Begleitern den Hut für den ein oder anderen Groschen herumgehen ließ.

Durch seinen zweifelhaften und unsteten Lebenswandel war Sprengel aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen und hatte keinen Zugang mehr zum botanischen Establishment, doch dies setzte auch Kräfte frei, die ihn zu originellen Auffassungen kommen ließen, die nachzuvollziehen seine Zeitgenossen gar nicht in der Lage waren. Die Beschreibungen, die er von seinen Beobachtungen lieferte, empfanden sie als so ungewöhnlich und so gar nicht im Einklang mit den tradierten antiken philosophischen Anschauungen, dass sie sie stillschweigend und dankbar ignorierten. So wurden sie fast, aber eben nur fast, vergessen, bis 50 Jahre später Robert Brown, der besessen pedantische und wichtigste britische Botaniker seiner Zeit – und einer der wenigen, der sich die Mühe gemacht hatte auch solche schummrigen Winkel zu erkunden – Darwin den Rat gab, sie zu lesen, als dieser gerade die außergewöhnlichen Methoden studierte, durch die sich Orchideenblüten an ihre Umwelt angepasst hatten, um bestäubende Insekten anzulocken. Darwin merkte später an: „Die Verdienste des armen alten Sprengel, die man so lange übersehen hatte, sind jetzt endlich, viele Jahre nach seinem Tod, in ihrem ganzen Ausmaß erkannt worden.“ Jeder hat mal Glück, doch leider ereilte es Sprengel erst nach seinem Ableben.

Sprengel bestätigte Kölreuters Darlegung, dass der Austausch von Genen (obwohl beide keine Vorstellung davon hatten, dass Gene überhaupt existierten) gang und gäbe war. Tatsächlich wählte er den einfacheren Weg, indem er verschiedene Sorten von Gemüse und anderen domestizierten Pflanzen kreuzte, anstatt mit unterschiedlichen Spezies zu arbeiten. Demzufolge mögen seine Beobachtungen von einem botanischen Standpunkt aus zwar nicht ganz so bedeutend gewesen sein, doch bargen sie weitaus größeres Potenzial für die praktische Anwendung. Sie ebneten den Weg für Pflanzenzüchter, eine Salatsorte mit einer anderen zu kreuzen, eine Sorte Weizen mit einer anderen, Apfelsorten untereinander – und so Sammelbecken mit wünschenswerten Merkmalen entstehen zu lassen. Diese Merkmale, wenn sie sich nur dazu bringen ließen, sich so zu vereinen, dass neue Salat-, Weizen- oder Apfelsorten entstanden, würden zu wahrlich bemerkenswerten Pflanzen führen. Wie Sprengels Nachfolger bemerken sollten, war es nicht ganz so einfach. Doch dass es überhaupt die Möglichkeit gab, durch selektive Kreuzung neue Sorten von Früchten, Gemüse und Getreidepflanzen zu züchten, war nun klar, mit all ihrem Potenzial, zum Guten wie zum Schlechten. Sprengel hatte auch die bis dato unerwartete oder zumindest nicht bewiesene Tatsache belegt, dass Fremdbestäubung bei Pflanzen die Regel war, was er zusammenfassend wie folgt festhält: „So scheint die Natur es nicht haben zu wollen, daß irgend eine Blume durch ihren eigenen Staub befruchtet werden solle.“

Weiter legte er dar, dass es einen Zusammenhang gab zwischen den Farben von Blüten, ihren Formen und Zeichnungen und der Fähigkeit der Pflanzen, die Insekten anzulocken, von denen sie für die Bestäubung abhängig waren. Bienen sammeln Nektar und Pollen zunächst für sich selbst und im Verlauf dieses Prozesses wird der Pollen von den Staubblättern zu den Narben der Blüten getragen. Am häufigsten werden Pollen von einer zu einer anderen Blüte übertragen, für gewöhnlich auf verschiedenen Pflanzen – und die Pflanzen sind fremdbestäubt. Manchmal wird der Pollen zwischen Blüten auf derselben Pflanze übertragen, oder innerhalb derselben Blüte, und diese Pflanzen sind dann selbstbestäubt. Da man mit diesem Vorgang und seiner Funktion heute so vertraut ist, fällt es schwer, das Ausmaß richtig zu fassen, dass diese Offenbarung zur damaligen Zeit gehabt haben musste. Sprengel war der Erste, der das Augenmerk auf die Bündnisse lenkte, die Blütenpflanzen und Insekten eingingen, welche die Evolution beider Gruppen wesentlich beeinflusst haben.

Er wies auch darauf hin, dass nicht alle Blüten farbenfroh sind und dass die von Gräsern und vielen Bäumen und Sträuchern sehr klein sind, oft so unscheinbar, dass sie für Insekten gar keine Rolle spielen. Sie produzieren keinen Nektar, besitzen keine leuchtend farbigen Blütenblätter oder Saftmale, die Bestäubern den Weg weisen würden, und es ist recht offensichtlich, dass sie gar keine Insekten anlocken. Der Pollen, den sie erzeugen, ist ebenfalls sehr verschieden von dem der Pflanzen mit Blüten, die stärker ins Auge stechen. Er wird in gewaltigen Mengen produziert, und weil er in der Luft schweben kann, ähnelt er eher Staub. Wind, so schloss Sprengel, übernahm ebenfalls die Rolle des Bestäubers, und damit entwickelte er einen schlüssigen Zusammenhang zwischen Form und Funktion von Pflanzen (9).

Anhand von Tausenden von Beobachtungen demonstrierte Sprengel, dass die Vielfalt der Farben, Formen und seltsamen Vorrichtungen, die bei Blüten vorkommen, nicht bloß Ausdruck der kreativen Schaffenskraft eines Schöpfergottes waren, sondern dass es sich um jeweilige Reaktionen auf selektiven Druck handelte. Die logische Folge davon, dass sich Blüten und Insekten gemeinsam in enger Partnerschaft, die entscheidend für das Überleben beider gewesen war, in einem evolutionären Prozess entwickelt hatten, war ein imaginativer Sprung, den Sprengel möglicherweise vollzogen haben könnte oder auch nicht. Man weiß es nicht. Er blieb zu seiner Zeit so unbeachtet, wurde so entmutigt von der ganz und gar nicht enthusiastischen Aufnahme seines Buches „Das entdeckte Geheimnis der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen“ (1793), dass er die Idee verwarf, eine Fortsetzung zu publizieren, und sich mit dem Studium von Sprachen tröstete. Er starb 1816, vom akademischen Betrieb größtenteils vergessen. Seine Leistungen wären vermutlich wie seine Person vergessen worden, hätte nicht einer seiner ehemaligen Schüler die Erinnerung an ihn lebendig gehalten, indem er drei Jahre später eine Beschreibung seines Lebens in dem vielgelesenen Journal „Flora“ publizierte.

Sprengels Lebensumstände führten dazu, dass man – obwohl man die Fakten kennt, zu denen er durch seine Beobachtungen gekommen war – doch kaum eine Vorstellung davon hat, welche Schlüsse sie im Denken ihres Entdeckers ausgelöst haben. Hat er sich damit zufriedengegeben, die Hinweise auf den Zusammenhang von Form und Funktion bei Blüten und auf die Rolle, die Insekten bei deren Bestäubung spielten, einfach als weiteren Beweis für den Einfallsreichtum und Blick fürs Detail eines Schöpfers zu deuten, der die Welt im Anbeginn mit einer unveränderlichen Menge an Pflanzen- und Tierarten ausgestattet hatte – wie es die Kirche vorschrieb? Oder kam Sprengel der ketzerische Gedanke in den Sinn, dass solche Zusammenhänge durch selektiven Druck erklärt werden könnten, ähnlich wie es Charles Darwin etwa 70 Jahre später vorschlug? Falls er solche Gedanken gehabt haben sollte, könnte ihn, wie später Darwin auch, die Aussicht eingeschüchtert haben, die etablierte Weltsicht von einem Primat der Schöpfung und der Unveränderlichkeit der Arten, herauszufordern. Darwin stand bei seinen Zeitgenossen in großem Ansehen und genoss die Unterstützung loyaler Freunde an hoher Stelle. Sprengel, der als ein komischer Kauz galt, ohne enge Bekanntschaften und der etwa 70 Jahre vorher lebte – in einer Gesellschaft, die sogar noch stärker von der Kirchendoktrin bestimmt wurde – hätte wohl dem Spott und der Zensur nicht Stand halten können, die solch ein unerhörter Angriff auf das bestehende Weltbild ausgelöst hätte. Es ist ganz gut denkbar, dass er es für klüger erachtet haben könnte, solche Überzeugungen für sich zu behalten.

Es scheint heute so, als hätten Kölreuter und Sprengel kaum noch Raum für weitere Einwände gegen die Sexualität von Pflanzen gelassen und gegen die Rolle, die Staubbeutel, Narben, Griffel und Samenanlagen bei der Entstehung von Samen spielen. Und doch gab es immer noch Männer in hohen Positionen im Wissenschaftsbetrieb, die – trotz dessen, was sie mit eigenen Augen sahen – auf dem Argument beharrten, dass Pflanzen sich nicht bewegten und dass unbewegliche Organismen geschlechtslos seien, dass also folglich geschlechtliche Fortpflanzung im Leben von Blütenpflanzen keine Rolle spiele. 1830 schließlich bot die Akademie der Wissenschaften der Universität von Haarlem in den Niederlanden an, jedem, der in der Lage wäre, nachzuweisen, dass es Sexualität tatsächlich auch bei Pflanzen gäbe, einen Preis zu verleihen. Typischerweise knüpften die pragmatischen Holländer den Preis an die Bedingung, dass die Arbeit zu einem besseren Verständnis führe, das man allerdings auch dazu benutzen können müsse, neue und verbesserte Sorten von Früchten und Gemüse zu züchten.

Sieben Jahre später wurde der Preis dem deutschen Botaniker Karl Friedrich von Gärtner verliehen. Wiederum zwölf Jahre danach publizierte er eine enorme Monographie, in der Experimente beschrieben wurden, die über einen Zeitraum von 25 Jahren fast 10.000 Versuche umfassten, Pflanzen innerhalb und zwischen mehr als 700 verschiedenen Spezies zu kreuzen. Von Gärtners tadelloser akademischer Ruf ebenso wie seine unanfechtbare Sorgfalt überzeugten schließlich alle, außer den unnachgiebigsten Verfechtern der Philosophie in der Tradition von Aristoteles und Theophrastos, dass Sexualität bei Pflanzen tatsächlich eine wirkungsmächtige Tatsache war. Bestäubung war fast ausnahmslos das Vorspiel zur Entwicklung eines Samens. Kreuzung zwischen Spezies war zwar möglich, allerdings nur in sehr beschränktem Maße. Nachkommen erbten Merkmale beider Elternpflanzen. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war die akademische Welt zu guter Letzt gezwungen, die entscheidende Funktion von Samen als Träger des Erbguts einer Pflanze anzuerkennen.

Nachdem man entdeckt hatte, wie Samen entstanden, waren Wissenschaftler nun dazu bereit, herauszufinden, was Samen taten. Sie hatten zunächst geglaubt, dass Samen wie Knospen und Ausläufer, also Stolonen, nur eine weitere Art waren, ihre Eltern zu reproduzieren. Doch die Sprösslinge von Knospen und Ausläufern wachsen als exaktes Spiegelbild der Pflanze heran, die sie trägt. Samen, so sollte sich zeigen, waren eine Mischung zweier Pflanzen: der Pflanze, die sie gebiert, und der Pflanze, die den Pollen produziert, mit dem die Samenanlage befruchtet wird, aus der sich der Samen entwickelt. Wenn sie zu einem exakten Ebenbild der Pflanze, in der sie erzeugt werden, heranwachsen, liegt das nur daran, dass beide Elternteile einander so ähnlich sind, dass die vererbten Merkmale des einen von denen des anderen nicht zu unterscheiden sind, wie es bei fast allen natürlichen Spezies die Regel ist. Wenn die Eltern einander unähnlich sind, bei verschiedenen Gemüsesorten vielleicht, weisen die Nachkommen augenscheinlich Merkmale beider Elternteile auf.

Das war eine Wissenschaft mit praktischer Anwendung, weit entfernt von den philosophischen Verrenkungen akademischer Botaniker. Sie rief nach einem Mann – im Verlauf vieler Jahre, die noch kommen sollten, spielten Frauen bei der Pflanzenzüchtung kaum eine Rolle (Frauen wurden erst im frühen 20. Jahrhundert zu aktiven und bedeutsamen Pflanzenzüchterinnen) –, der die praktische Herangehensweise von Landwirten und Gärtnern mit der intellektuellen Neugierde eines Wissenschaftlers vereinte. Der Mann, der dem Ruf folgte, ohne zu warten, bis Karl von Gärtner die Preisstifter an der Universität von Haarlem von den praktischen Möglichkeiten der Pflanzenkreuzung überzeugte, war beinahe ein Zeitgenosse Konrad Sprengels, aber mit anderem Charakter und anderen Lebensumständen – fast in jeder Hinsicht. Thomas Andrew Knight war ein Landedelmann aus Herfordshire. Er hatte beträchtliche Mittel geerbt, die ihn unabhängig machten. Er hatte eine angesehene Position in der Grafschaft inne, in der er lebte, und sollte ein enger persönlicher Freund einflussreicher Leute in London werden, die Ämter mit weitreichenden Kompetenzen innehatten.

Knights Großvater hatte in den frühen Tagen der Industriellen Revolution eine Eisengießerei an den Ufern der Severn betrieben und nutzte das Vermögen, das er damit erwirtschaftet hatte, dazu, seine Familie in den Stand des niederen Landadels zu erheben. Nachdem er zuerst in Ludlow, dann in Chiswick im Westen Londons zur Schule gegangen war und schließlich am Balliol College in Oxford seinen Abschluss gemacht hatte, kehrte Knight zu seinen Wurzeln in die Nähe von Ludlow zurück. Hier heiratete er und wurde sesshaft, um das Leben auf einem Landsitz in Elton zu leben, das ihm sein Großvater ermöglicht hatte. Er war ein Mann mit bescheidenen Ansprüchen, eher zurückhaltend, mit einem sanftmütigen Wesen, der wie geschaffen war für das Leben eines Gentlemans, der Landwirtschaft und Gartenbau als Hobby betrieb. Porträts von ihm zeigen einen freundlich aussehenden Mann mit einer selbstsicheren bodenständigen Haltung – jemanden, der einen nicht im Stich lassen würde, von dem man auf Anhieb aber nicht vermutet hätte, dass sein Denken von großer Originalität und von Ideenreichtum geprägt war. Und doch überdeckte Knights bodenständige Erscheinung einen äußerst regen, forschenden und spekulativen Geist. Er konnte sich nicht damit zufriedengeben, sein Getreide anzubauen, seinen Weizen und seine Kohlköpfe zu ernten, die Birnen und Äpfel in seinem Obstgarten zu pflücken und Cider daraus zu machen, denn jedes Mal, wenn er eine Pflanze ansah, gingen ihm Fragen durch den Kopf. Warum wachsen Wurzeln nach unten und Triebe nach oben? Wie bewegt sich der Pflanzensaft im Inneren einer Pflanze? Warum haben Stämme und Blätter genau die Form, die sie haben, und warum unterscheiden sie sich so stark untereinander? Als er seine Äpfel, Birnen und Erdbeeren aberntete, drehten sich seine Gedanken um die Möglichkeiten, bessere Sorten herzustellen, mit größeren, süßeren Früchten, die einen größeren oder zuverlässigeren Ertrag liefern.

Knight machte sich daran, Antworten auf diese Fragen zu finden, indem er die Pflanzen benutzte, die auf seinen Feldern und in seinen Gewächshäusern wuchsen, um an ihnen die Auswirkungen von Düngung zu untersuchen, nach Methoden zu suchen, die Verluste durch Schädlinge und Krankheiten einzudämmen, Mittel und Wege zu finden, wie man Gemüse dazu bringt, durch Wärmezufuhr schneller Triebe auszubilden, und um andere unmittelbar praktische Aspekte der Pflanzenzucht zu studieren. Er drang tiefer in eher wissenschaftlich ausgerichtete Versuche ein, die darauf angelegt waren, physiologische Aspekte des Pflanzenwuchses zu erforschen und wie Pflanzen auf Gravitation oder elektrische Stimuli reagieren. Knights Verschmelzung von traditionellen Gärtnerpraktiken mit botanischen Studien über Bestäubung, Sexualität und Vererbung war die Geburtsstunde des wissenschaftlichen Gartenbaus. Am bedeutendsten für das Thema dieses Buches ist, dass er sich daranmachte, verbesserte Apfel-, Birnen-, Kirsch-, und Pflaumensorten sowie die verschiedensten Gemüse zu züchten, indem er Kreuzungen zwischen vielversprechenden Elternpflanzen durchführte.

Knights bedeutendster Erfolg beruhte auf einem der ersten Versuche, die sehr unterschiedlichen Merkmale der in Nordamerika beheimateten Scharlach-Erdbeere mit denen der Chile-Erdbeere zu vereinen. Die Scharlach-Erdbeere war eine der ersten Pflanzen, die die Aufmerksamkeit der Siedler in Jamestown erregen sollte, und zwar im April 1607 – am ersten Tag der ersten dauerhaften englischen Siedlung in Nordamerika. Der Kapitän George Percy notierte seine Eindrücke von Virginia als einem Ort mit „liebreizenden Wiesen und stattlichen hohen Bäumen [...] wir kamen über guten Boden, der mit Blumen der unterschiedlichsten Arten und Farben übersät war [...] Nachdem wir ein wenig weitergegangen waren, stießen wir auf ein kleines Fleckchen voller saftiger und herrlich schmeckender Erdbeeren, viermal größer und besser als unsere in England.“ Der andere Vorfahre unserer kultivierten Erdbeere – die Chile-Erdbeere von den pazifischen Küstenregionen des amerikanischen Kontinents – bringt große, feste Früchte hervor, die robust, aber auch trocken sind und fast nach nichts schmecken. Erdbeerzüchter auf der ganzen Welt suchen immer noch nach dem Heiligen Gral in Form einer perfekten Vereinigung der schmackhaften und saftigen Scharlach-Erdbeere aus Virginia und der widerstandsfähigeren und einfacher zu transportierenden Chile-Erdbeere.

Jeder, der sich daranmacht, neue und bessere Früchte und Gemüse zu züchten, sieht sich mit der entmutigenden Tatsache konfrontiert, dass man unheimlich viele Frösche küssen muss, bevor man den Märchenprinzen findet. Die allermeisten Jungpflanzen bleiben hinter den Erwartungen zurück und können kaum mit ihren Elternpflanzen konkurrieren, und selbst dann, wenn eine Jungpflanze besonders wohlschmeckende Früchte hervorbringt, scheint sie seltsamerweise und ausnahmslos mit inakzeptablen Mängeln behaftet zu sein – Anfälligkeit für Krankheiten, Unfruchtbarkeit oder Schlimmeres –, wodurch sie nicht zu gebrauchen ist.

Beide Erdbeersorten Knights, die Downtown und die Elton, waren zwei Prinzen unter 400 Fröschen. Zwei Treffer bei 400 Versuchen würden die heutigen Erdbeerzüchter als überragende Trefferquote bezeichnen. Trotzdem erschien Knight die Quote so schlecht, dass er über Möglichkeiten nachdachte, wie man sie verbessern konnte. Vielleicht wäre es ihm besser geglückt, wenn er mehr über die Regeln gewusst hätte, falls er überhaupt welche kannte, nach denen die Vererbung abläuft. Er sah sich nach einer Pflanze um, die ihm für seine Experimente als Versuchsobjekt geeigneter schien als Erdbeeren, und kam auf die Idee, Gartenerbsen zu benutzen.

Erbsen waren eine ausgezeichnete Wahl. Lange nachdem Knight tot war, würden sie einem Mann in einem fernen Land ermöglichen, genau das zu entdecken, was Knight sich von ihnen erhofft hatte (S. 53). Erbsenblüten sind fast ausnahmslos selbstbestäubend und durch generationenlange Inzucht sind einheitliche Stämme entstanden, in denen jede Pflanze dieselbe genetische Ausstattung besitzt. Schon Wochen nachdem sie ausgesät wurden, blühen sie und bilden Samen aus. Es gibt etliche Arten mit ganz eigenen, unterschiedlichen Merkmalen: Einige wachsen schulterhoch, während andere bis kaum an die Knie reichen. Manche bringen grüne Erbsen hervor, andere graue. Sie können glatt oder runzlig sein, und während die meisten Arten weiße Blüten haben, können sie bei einigen violett sein. Obendrein lassen sich die Blüten unter den reglementierten Bedingungen einer kontrollierten Bestäubung leicht manipulieren, und in jeder Schote gibt es nur etwa ein halbes Dutzend Erbsen. Dadurch erhält man eine überschaubare Anzahl, im Gegensatz zu den Hunderten von Samen pro Kapsel, mit denen Knight hätte zurechtkommen müssen, wenn er beispielsweise mit Mohnblumen gearbeitet hätte.

Er machte seine erste Kreuzung 1787 und säte die Samen, die sie produzierte im Folgejahr aus. Er notierte, worin sich die Pflanzen, die sich aus ihnen entwickelten, von ihren Eltern unterschieden und worin sie sich ähnelten. Das Erste, was er feststellte, war, dass einige Merkmale scheinbar verloren gegangen waren, andere traten auch weiterhin auf, manchmal sogar stärker ausgeprägt. Wenn er beispielsweise eine zwergenhafte Art mit einer großen kreuzte, schoss jeder Sämling hoch auf. Doch nicht nur das: Die Größe überstieg die der großen Elternpflanze. Wenn er eine Sorte mit runzligen Samen mit einer kreuzte, deren Samen glatt waren, produzierte jeder Sämling Schoten, die voller glatter Samen waren. Im darauffolgenden Jahr säte er die Samen aus, die die Kreuzungen hervorgebracht hatten, und siehe da, Merkmale, die verloren gegangen schienen, tauchten wieder auf. Es gab zwergenhafte Erbsen ebenso wie große; Schoten, die mit runzligen Erbsen angefüllt waren, genauso wie welche mit glatten.

In der Beschreibung seiner Experimente, in Deutschland abgedruckt unter dem Titel „Versuche über die Befruchtung der Pflanzen“ („An Account of Some Experiments on the Fecundation of Vegetables“, 1799) im 15. Band „Oekonomische Hefte oder Sammlung von Nachrichten, Erfahrungen und Beobachtungen für den Stadt- und Landwirt“, war Knight nicht in der Lage, das Verhalten der Erbsen zu erklären. Er war jedoch über den Grundstein der Genetik gestolpert, lange bevor es diese Wissenschaft oder auch nur eine Vorstellung von Genen überhaupt gab. Er hatte erkannt, dass verschiedene Merkmale von einer Generation zur nächsten weitervererbt wurden, hatte etwas Licht auf die Vererbungsmuster geworfen, war auf den Heterosiseffekt gestoßen, nämlich das Phänomen, dass einige Hybride besonders leistungsfähig sind. Er hatte dominante und rezessive Merkmale zutage gefördert – ohne dass er sie streng genommen entdeckt hatte – und hatte gezeigt, dass bestimmte Merkmale als ganz bestimmte Ausprägungen vererbt wurden. Jahre später sollte man die Art, wie die Vollständigkeit verschiedener Merkmale erhalten bleibt, als Segregation bezeichnen.

Was auch immer er sich erhofft haben mochte, die Erkenntnisse, die Knight an Erbsen gewonnen hatte, sollten ihm bei seinen Apfel- und Erdbeerzuchtversuchen keine große Hilfe sein. Dies liegt daran, dass die Vererbungsmuster von Äpfeln und Erdbeeren weitaus komplexer sind als die für gewöhnlich eher unkomplizierten Muster von Erbsen. Nichtsdestotrotz haben solche Projekte seine Überzeugung bestätigt, dass verschiedene Merkmale von Generation zu Generation weitergegeben werden, und seine berechtigte Annahme gestützt, dass nur dann Sämlinge die gewünschten Eigenschaften besitzen konnten, wenn man für die Züchtung Elternpflanzen nahm, die bereits diese Eigenschaften aufwiesen. Es war immer noch zu früh und das Verständnis der Prinzipien der Vererbung noch zu lückenhaft, um ein wissenschaftliches Fundament bei der Pflanzenzüchtung zu haben, und Knight ließ sich auch weiterhin von seinem Instinkt leiten, wenn es um die Auswahl der Elternpflanzen ging. Damit verhielt er sich nicht anders als viele andere Pflanzenzüchter, selbst heute noch.

Glücklicherweise veröffentlichte Knight Berichte über seine Arbeit, da ansonsten dieser bemerkenswerte Mann seinen Experimenten und Pflanzenzuchtprogrammen auch weiterhin nachgegangen wäre, ohne dass jemand außerhalb von Herefordshire und Shropshire von ihm Notiz genommen hätte. So jedoch erregten seine Aktivitäten die Aufmerksamkeit von Joseph Banks, einem Menschen mit solch einer Energie, dass es manchmal scheint, als habe er im Alleingang die Welt des Gartenbaus in Großbritannien so sehr durcheinandergewirbelt, dass sie niemals mehr so sein sollte wie vorher. Banks, damals Präsident der National Society und im Namen des Königs de facto Leiter der Royal Botanic Gardens von Kew, erkannte die Originalität und Bedeutung von Knights Versuchen und Beobachtungen. Er überredete ihn 1796, nach London zu kommen, wo er vor der Society einen Vortrag über das Pfropfen von Obstbäumen („Observations on The Grafting of Fruit Trees“) hielt. Banks enthusiastischer und energischer Charakter war genau das, was nötig war, damit Knight seine Zaghaftigkeit überwand und das Selbstvertrauen erlangte, um sich daranzumachen, eine bedeutende Rolle im Gartenbau des Landes zu spielen. Das Fundament für solch eine Stellung hatte nur dadurch gelegt werden können, dass sein älterer Bruder Richard Payne Knight sich 1805 dazu entschlossen hatte, seinen Sitz im Unterhaus als Repräsentant für Ludlow aufzugeben, und sich der Verantwortung für das burgartige Herrenhaus Downtown Castle zu entledigen, das er hatte bauen lassen. Er übergab es mit allem Drum und Dran sowie dem dazugehörigen Grundbesitz von 10.000 Morgen seinem Bruder Thomas Andrew.

Im Jahr davor war Knight eine treibende Kraft bei der Gründung der britischen Gartenbaugesellschaft, der Horticultural Society gewesen (die später zur Royal Horticultural Society erhoben werden sollte), und als er ein oder zwei Jahre später dem Earl of Dartford als Präsident der Society nachfolgte, wurde er zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten in der Welt des Gartenbaus in Großbritannien – und blieb das bis zu seinem Tod 1838 nur wenige Tage nachdem er zum 29. Mal zum Präsidenten gewählt worden war. In Westminster Abbey liegen Männer, die sich weitaus weniger Leistungen rühmen können. Knight liegt mit anderen Mitgliedern seiner Familie auf einem ländlichen Friedhof bei der Kirche von Wormsley in Herfordshire, einem friedlicheren und damit passenderen Ort für einen Mann, der als Landedelmann geboren worden war und es zeitlebens durch und durch geblieben ist. Er hatte den Vorsitz über die Angelegenheiten des Gartenbaus in Großbritannien zu einer Zeit inne, die von bemerkenswerten Fortschritten auf vielen Gebieten geprägt war, und er spielte bei vielen von ihnen eine entscheidende und oft führende Rolle. Seine Stellung als Präsident der Horticultural Society in London über so viele Jahre hinweg verlieh ihm einen ungeheuren Einfluss, selbst wenn die Gesellschaft, verglichen mit den etablierten akademischen Einrichtungen in Europa, noch in den Kinderschuhen steckte.

Knights Bedeutung ist nach seinem Tod in Vergessenheit geraten, doch die Früchte seiner Arbeit während seiner Zeit im Amt sind in der britischen Landschaft immer noch auf eine Art und Weise deutlich sichtbar, die er niemals hätte vorhersehen können. 1824 wurde der Pflanzenjäger David Douglas von der Horticultural Society unter dem Vorsitz Knights beauftragt, zum Columbia River aufzubrechen, der heute die Grenze der Staaten Oregon und Washington bildet. Im Laufe der folgenden Jahre schickte Douglas Samen von vielen der riesigen Nadelbäume, die in jenem Teil der Welt beheimatet sind, zurück, und diese sollten im späten 19. Jahrhundert das Aussehen der Anwesen des Landadels in ganz Großbritannien verändern. Heute stellen diese Bäume ein fast unlösbares Problem für jeden Regisseur dar, der auf der Suche nach einem Drehort für „Pride and Prejudice“ oder irgendeinem anderen Jane-Austen-Roman ist, der auf einem ländlichen Adelssitz spielt. Die Kostüme entsprechen der Zeit, und das Aussehen der Kutschen, die Einrichtung in den Häusern und jedes andere Detail werden gewissenhaft der damaligen Mode angepasst. Die Nadelbäume jedoch, die von Douglas Adams eingeführt worden waren – fast zehn Jahre, nachdem Jane Austen ihren letzten Roman geschrieben hatte – zerstören die Illusion bei fast jeder Außenaufnahme.

Knight und sein Förderer Joseph Banks waren eine erfrischende Abwechslung, wenn man sich anschaut, wie die Rolle der Förderer botanischer Studien bis dahin besetzt worden war. Mit wenigen Ausnahmen waren es bis dato Akademiker, die mit ihren Ämtern an europäischen Universitäten ihren Lebensunterhalt bestritten. Die Inquisition durch die katholische Kirche, für die der Prozess und die beschämende Verurteilung Galileo Galileis im Jahr 1633 ein Sinnbild ist, wirkte zweifelsohne wie ein Dämpfer auf wissenschaftliche Neuerungen und Neuinterpretationen der Heiligen Schrift in Südeuropa. Das protestantische Ethos der Universitäten im Norden war kaum toleranter gegenüber neuartigen Vorstellungen und in fast allen diesen Einrichtungen war die Priesterweihe immer noch Voraussetzung für ein höheres Amt. Als Priester waren Wissenschaftler an den Universitäten an die aus der Bibel abgeleiteten Doktrinen der Kirche gebunden. Und in der Darstellung der Schöpfung in den Schriften wurde klar gesagt, dass die Erde und alle Dinge auf ihr binnen weniger Tage geschaffen worden waren und dass es unzulässig sei, in Zukunft irgendetwas an dieser Annahme zu ändern. Das war ein Hindernis, über das mit ziemlicher Sicherheit jeder stolpern sollte, der versuchte, Pflanzen (oder Tiere) zu kreuzen, um neue und verbesserte Arten zu „erschaffen“ – die orthodoxe Auffassung bestand schließlich darin, dass nichts im Nachhinein ins Leben gerufen werden dürfe, was es sie nicht von Beginn an gab.

Weder bei Thomas Knight noch bei Joseph Banks gab es offiziell irgendwelche Verbindungen zur Kirche. Beides waren Männer, die ausreichend finanzielle Mittel besaßen, um für ihren Lebensunterhalt von niemandem abhängig zu sein. Und dadurch waren sie weder für ihre Taten noch ihre Vorstellungen irgendjemandem Rechenschaft schuldig, was für die Professoren an den Lehrstühlen nicht galt. Darüber hinaus richtete sich Knight an Menschen wie er selbst, an Landadelige, Landwirte und Gärtner. Er sprach in ihrem Namen, und ihnen waren seine Einführungen verbesserter Sorten von Erdbeeren, Äpfeln und Pflaumen wichtiger als philosophische Überlegungen. Diese Sorten waren der Beweis, dass die neue Wissenschaft der Pflanzenzucht, selbst wenn sie noch nicht allzu wissenschaftlich war, zu praktischen Ergebnissen führte. Seine Inspiration ermutigte andere in Großbritannien und in ganz Europa, seinem Beispiel zu folgen, und ihrerseits die Rolle des Schöpfers anzunehmen.

1800, ein Jahr nachdem Knights Beschreibungen seiner Versuche an Erbsen in den „Philosophical Transactions“ der Royal Society erschienen waren, wurde eine deutsche Übersetzung in Leipzig publiziert. Nachdem ein Mann namens Christian Karl André diese Übersetzung las, konnte er das nächste Glied in der Kette der Entdeckungen liefern, die schließlich aufdecken sollten, wie genau Pflanzen ihre Gene durch Samen weitergaben. André war eine führende Persönlichkeit der Kaiserlich-königlichen mährisch-schlesischen Gesellschaft zur Beförderung des Ackerbaus, der Natur- und Landeskunde, im Allgemeinen einfach die Landwirtschaftliche Gesellschaft genannt.

André, ein Landbesitzer und Schafzüchter aus Mähren, heute im Osten Tschechiens, erkannte ebenfalls schnell die praktischen Anwendungsmöglichkeiten von Knights Experimenten. Auf sein Anraten hin begannen andere Mitglieder der Gesellschaft ähnliche Verfahren zu nutzen, um neue Sorten von Weinreben und Obstbäumen heranzuziehen. Wenige Monate später gründete André die Pomologische Gesellschaft in Brünn, wo er, Knight stets im Hinterkopf, ebenfalls anfing, Äpfel zu züchten.

Das nächste Glied in der Kette war weder ein Akademiker noch ein praktischer Landwirt oder Gärtner, sondern ein Mönch namens Cyrill Napp, dessen Interessen allerdings so weitreichend waren, dass sie alle drei Gebiete vereinten. Seine Berufung zum Abt des Augustinerklosters St. Thomas in Brünn 1827 markierte den Anfang einer Phase, in der unter seiner weltoffenen Leitung ausgesprochen ergiebige Ergebnisse erzielt werden sollten. Dieses Augustinerkloster bot einen außergewöhnlich fruchtbaren Nährboden für solcherlei Aktivitäten, doch das war nicht zwingend so. Andere klösterliche Orden waren weitaus weniger liberal, wie mir während eines Besuchs in Brünn deutlich vor Augen geführt wurde, nur wenige Monate bevor das kommunistische Regime während der Samtenen Revolution in der Tschechoslowakei gestürzt werden sollte.

Die Augustinerabtei von St. Thomas war von dem atheistischen kirchenfeindlichen Regime der Kommunisten in Büroräume der Regierung umgewandelt worden und war Touristen nicht zugänglich. Die Behörden entschieden, anstatt der Einrichtung der Augustiner die Kartause Brünn für Besucher zu öffnen, die zuvor von einer weniger weltzugewandten und stärker von der Außenwelt abgeschiedenen Mönchsgemeinschaft bewohnt wurde, wodurch der vermeintliche Einblick in das klösterliche Leben zu einer bizarren und makabren Erfahrung wurde. Die Besucher dieses Klosters wurden, kaum dass sie das Innere betreten hatten, von der skelettartigen, dehydrierten Leiche eines Mannes in voller Ordenstracht aus einem offenen Sarg heraus begrüßt, dem nur allzu offensichtlich die Kehle durchgeschnitten worden war. Ein aufwendiger Kronleuchter aus Totenschädeln, die von künstlerisch angeordneten Teilen menschlicher Gebeine gestützt wurden, hing über dem Sarg – über die Verstorbenen, deren Überreste auf diese Art erhoben wurden, gab es keinerlei Informationen. In den Halterungen an den Wänden waren von Oberschenkelknochen, Schienbeinen und anderen Knochen gerahmte Kerzen angebracht. Auch die restlichen Ausstellungsstücke hatten alle auf die eine oder andere Art mit dem Tod zu tun, um den Besucher auf den dramatischen Höhepunkt der Besichtigung vorzubereiten. Ein Abstieg in das Kellergewölbe offenbarte einen ehemaligen Abt in voller Ordenstracht, der ausgestreckt auf dem Steinboden lag, auf beiden Seiten flankiert von den ausgedörrten Leichen längst verstorbener Mönche, und alle warteten sie in einvernehmlich stummer Gemeinschaft auf den Jüngsten Tag.

Die Behörden, die für das Museum verantwortlich waren, hatten gar nicht vor, klösterliches Leben in einem günstigen Licht darzustellen. Das war kein repräsentatives Bild des geistlichen Lebens der Stadt insgesamt und ganz besonders nicht des Lebens der Mönche in der Abtei St. Thomas. Cyrill Napp war ein praktischer Mensch. Als Abt bestärkte er die Mönche darin, eine aktive Rolle im Leben der Stadt zu spielen. Sie lehrten an Schulen und Internaten, gingen anderen geistigen Aktivitäten nach und studierten die Naturwissenschaften, insbesondere die Anwendung der Wissenschaften auf den Gebieten des Acker- und Gartenbaus. Bevor er Abt wurde, hatte Napp eine von einem Kloster betriebene Baumschule geleitet, wo er zahlreiche Apfelbaumsetzlinge zog. Gemeinsame Interessen hatten ihn mit André in Kontakt gebracht und als Napp später zum Präsidenten der Pomologischen Gesellschaft Brünn gewählt worden war, wurden die beiden Freunde.

16 Jahre nachdem Napp Abt geworden war, klopfte ein junger Mann an die Klostertür, der ein Schreiben bei sich hatte, mit dem er sich als potenzieller Mönchsanwärter vorstellte. Bei dem Mann handelte es sich um Gregor Johann Mendel (11), den Sohn deutschsprachiger Bauern mit einem kleinen Gehöft im Norden Mährens. Da er mit dem Leben als Kleinbauer unzufrieden war, versuchte er ihm durch Bildung zu entfliehen, wobei er sich jedoch als fast ebenso unfähig herausstellte, die Schule zu meistern. Lange depressive Phasen unterbrachen seine schulische Ausbildung und zwangen ihn dazu, nach Hause zurückzukehren, wo er einen Großteil der Zeit im Bett verbrachte und weder dazu in der Lage war, zum Einkommen der Familie beizutragen, noch die Energie aufbringen konnte, seine Studien weiterzuführen. Er beendete die Schule schließlich doch und studierte am Philosophischen Institut in Olmütz weiter, um sich auf die Aufnahme an der Universität Wien vorzubereiten, doch wieder wurden seine Studien von langen Pausen unterbrochen, in denen er ans Bett gefesselt und nicht in der Lage war, sich der Welt zu stellen. Als es offensichtlich wurde, dass er aller Wahrscheinlichkeit nach den Kurs nicht bestehen würde, riet ihm ein Lehrer am Institut, der vormals Mönch in der Abtei St. Thomas gewesen war, im Kloster Zuflucht vor seinen Problemen zu suchen. Er stattete Mendel mit einem Empfehlungsschreiben aus – adressiert an Cyrill Napp. Mendel kam im Kloster als ein junger Mann im Alter von 21 Jahren an, dem ganz offensichtlich jegliche Selbstsicherheit fehlte. Hier wurde aus ihm Bruder Gregorius, und Napp schrieb ihn als Student des Heiligen Ordens am Theologieseminar von Brünn ein. Vier Jahre später, Mendel hatte seine Probleme allem Anschein nach überwunden, erhielt er seine Berufung zum Priester und nahm schon bald seine Pflichten als Pfarrer in der Gemeinde der Stadt wahr, verblieb jedoch immer noch im Kloster. Leider war die Genesung nur von kurzer Dauer. Trotz seiner klar zutage tretenden Intelligenz und einer Persönlichkeit, die viele, die ihn kennenlernten, schätzten, stellte sich heraus, dass Mendel aufgrund seiner Gemütsverfassung genauso wenig zum Priester wie zum Bauern oder Wissenschaftler taugte. Binnen Monaten hatten ihn seine Depressionen erneut fest im Griff, und er nahm wieder Zuflucht zu der tröstlichen Abgeschiedenheit seines Bettes.

Nachdem er sich wieder erholt hatte, schickte Napp ihn in den Süden Mährens, um jüngere Schulkinder in Mathematik, Griechisch und den Naturwissenschaften zu unterrichten, und während er dort war, sollte er sich gleich auf die Prüfung vorbereiten, die es ihm erlauben würde, auch an höheren Schulen zu lehren. Mendel scheiterte bei seinem ersten Versuch kläglich, doch erneut stand ihm Napp bei. Trotz seiner miserablen Leistungen und der Tatsache, dass Mendel mit 29 eigentlich zu alt war, um sich zu immatrikulieren, gelang es Napp, die Verantwortlichen an der Universität in Wien zu überreden, ihn als Student aufzunehmen. Mendel verbrachte dort zwei Jahre, ohne dass er seinen Abschluss gemacht hätte. Er studierte Naturkunde, wobei er mit Kölreuters und von Gärtners Versuchen zur Kreuzung von Pflanzen Bekanntschaft machte, und vielleicht auch mit Knights Aktivitäten als Pflanzenzüchter. Bei seiner Rückkehr ins Kloster übertrug ihm Napp die Verantwortung für den Garten. Er fand für ihn auch übergangsweise eine Anstellung als Vertretungslehrer in der Stadt, bis er noch einmal die Prüfung ablegen konnte, die nötig war, um als Lehrer an der Oberschule zu unterrichten. Dieses Mal scheiterte Mendel sogar noch erbärmlicher als beim ersten Versuch, und von seiner nervlichen Anspannung und fehlenden Zuversicht überwältigt, flüchtete er sich wieder in sein Bett.

Cyrill Napp war nun seit etwa elf Jahren ein unbeirrbarer und verständnisvoller Förderer. Mendel war mittlerweile 32, und es mangelte ihm immer noch so sehr an Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl, dass er trotz dieser Unterstützung permanent bei jeder Herausforderung, der er sich gegenübersah, gescheitert war. Er hatte sich jedoch einige Jahre lang um den Klostergarten gekümmert, und Napp erlaubte ihm nicht nur, als Gärtner weiterzumachen, sondern bestärkte ihn auch darin, indem er ihm ein Forschungsprojekt übertrug. Als weiteren Ansporn stellte er Mendel ein Gewächshaus zur Verfügung, das ihm bei seinen Versuchen helfen sollte.

Bei dem Projekt handelte es sich um eine Studie über die Vererbung bei Erbsen. Es ist zwar nicht ganz sicher, dass die Idee ursprünglich eher von Napp als von Mendel kam, doch scheint dies sehr wahrscheinlich. Man kann heute nicht mehr mit Gewissheit sagen, warum gerade Erbsen als Versuchsobjekte ausgewählt wurden, aber in der Bücherei von Brünn gab es eine Kopie der Übersetzung der „Transactions“ der Royal Society, in denen Knight seine Ergebnisse beschrieben hatte, und das könnte durchaus die Quelle der Inspiration gewesen sein. Napp wird durch seinen Kontakt mit André fast sicher von Knights Arbeiten gewusst haben; man kann nicht sicher sein, ob Mendel sie gelesen hat, aber falls nicht, hätte er es tun sollen. Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass Napp während seiner Tage als Apfelzüchter das Potenzial nicht erkannt hatte, das in Knights Arbeit steckte – und nun hatte er mit Mendel jemanden mit genügend Bildung, Interesse an Mathematik und Talent zum Gärtnern, der diese Studien an seiner statt durchführen konnte.

Während seiner Probejahre im klösterlichen Garten hatte Mendel mehr als 30 verschiedene Erbsensorten angebaut und miteinander verglichen sowie sieben Paare kontrastierender Merkmale bestimmt, die sich für experimentelle Studien zur Vererbung gut zu eignen schienen. Als er sich also 1856 unterstützt von dem neuen Gewächshaus des Abts ernsthaft an seine Experimente machte, war er bereit, sofort mit sorgfältig überwachten Kreuzungen zwischen verschiedenen Sorten zu beginnen. Sieben Jahre später, nachdem er bis dahin Zehntausende Erbsen gezählt hatte, schloss er seine Experimente erfolgreich ab und weitete seine Arbeiten kurzzeitig auf Mais, Bart-Nelken, Bohnen und Löwenmäulchen aus.

Gott lächelte nun auf Gregor Mendel herab. Nicht nur waren Erbsen das ideale Untersuchungsobjekt für solche Studien, sondern es stellte sich heraus, dass die Merkmale, die Mendel ausgewählt hatte, zu eindeutigen und unmissverständlichen Ergebnissen führten. Hinzu kommt noch, dass er fast wie durch ein Wunder im Verlauf seiner Versuche schwerwiegenden Verheerungen durch Schädlinge und Krankheiten entgangen war, obwohl er eine große Anzahl an Erbsenpflanzen Jahr für Jahr am selben Ort zog – normalerweise ein sicheres Rezept für eine Katastrophe. Starker Befall durch Erbsenwickler, deren Larven sich in die heranreifenden Erbsen graben und diese noch in den Schoten zerstören, hätte seine Versuche jederzeit ruinieren können, und er hatte unsagbares Glück, dass er im Laufe seiner Beobachtungen ihrer Aufmerksamkeit entgangen war. Wie um sein Glück zu unterstreichen, waren die Pflanzen im Folgeexperiment von 1864, einem Jahr, nachdem er seine Arbeit im Wesentlichen abgeschlossen hatte, so sehr befallen, dass sie zu keinen brauchbaren Ergebnissen führten.

Während Mendel in seine Experimente mit Erbsen im Klostergarten vertieft war und soweit man weiß für den Rest seines Lebens, schien er von der dunklen Wolke der Depression befreit gewesen zu sein. Als seine Experimente abgeschlossen waren, hatte er nicht nur gezeigt, dass die Merkmale, die er ausgesucht hatte, allesamt von Generation zu Generation weitergegeben worden waren, sondern auch, dass sie nach Regeln vererbt wurden, die durchweg als einfache mathematische Verhältnisse ausgedrückt werden konnten. Darüber hinaus lieferte er eine schlüssige theoretische Erklärung für seine Ergebnisse. Mendel postulierte die Existenz von Erbfaktoren, deren Vorhandensein oder Nichtvorhandensein dafür verantwortlich war, dass bestimmte Merkmale auftraten oder nicht. Der Geist steckte noch in seiner Flasche, aber Mendel wusste nun, dass er da war und er hatte angefangen, seine Umrisse zu erkennen. Im Laufe des weiteren 19. Jahrhunderts würden deutsche Wissenschaftler Mendels Erbfaktoren allmählich mit Form und Inhalt füllen. Jedoch würde erst das nächste Jahrhundert hereinbrechen, bis man die Beschwörungsformel entdeckte, die es den Wissenschaftlern erlauben sollte, sich die Kräfte des Flaschengeistes zunutze zu machen.

Mendel teilte seine Funde der Welt erstmals am 8. Februar 1865 in Form einer zweiteiligen Vorlesung vor den Mitgliedern des naturforschenden Vereins in Brünn mit. 40 örtliche Lehrer, Studienräte und Hobby-Naturkundler waren an einem kalten Winterabend erschienen, um dem ersten Teil der Vorlesung zuzuhören. Als er seinen Vortrag beendet hatte, der reichlich mit mathematischen Formeln durchsetzt war, stellte niemand eine Frage. Vier Wochen später hielt er den zweiten Teil. Die Reaktionen waren ähnlich. Ein Großteil seiner Zuhörerschaft hatte wahrscheinlich kaum eine Ahnung, wovon er sprach, und konnte in dieser eher langweiligen Veranstaltung wohl keinen rechten Sinn erkennen. Im selben Jahr wurde eine Mitschrift der Vorlesung mit dem Titel „Versuche über Pflanzenhybriden“ in den offiziellen Berichtsbänden des Vereins veröffentlicht. Mendel verschickte Kopien an Botaniker an Universitäten, von denen er glaubte, dass sie daran interessiert sein könnten. Man kann die Reaktion nur als eisiges Schweigen bezeichnen. Zwei Jahre später starb Cyrill Napp und im März 1868 wurde Gregor Mendel als sein Nachfolger als Abt im Kloster St. Thomas gewählt. Er unternahm keine weiteren Versuche, die Aufmerksamkeit auf die Ergebnisse seiner Studien zu lenken, und starb 1884. Für den Rest des 19. Jahrhunderts blieben sie eher unbedeutend und wurden größtenteils ignoriert, sie waren aber nicht, wie manchmal behauptet wird, unbekannt.

Mendels Bedeutung liegt eher in dem, was er vermutet als darin, was er getan hatte. Sie gründet sich mehr auf seiner Vorstellungskraft und seinem Talent, seine Beobachtungen zu deuten, als auf der Originalität und Ausführung seiner Versuche. Letztere basierten auf dem, was andere vor ihm getan hatten, und ihr erfolgreicher Abschluss verdankt sich eher hartnäckiger Entschlossenheit als brillanter Ausführung und vermutlich, dass er es verstand, die Zahlen etwas zu seinen Gunsten anzupassen. Als Mathematiker muss es Mendel fasziniert haben, dass Merkmale gemäß einfachen mathematischen Verhältnissen vererbt worden waren, und es muss ihn ausgesprochen bestärkt haben, als er herausfand, dass sich diese konsistent auf eine Vielzahl verschiedener Merkmale von Erbsen und einiger anderer Pflanzen anwenden ließen – wenn auch nicht so konsistent, wie es seine veröffentlichten Daten nahelegen.

Doch größere und bedeutendere Geheimnisse lagen hinter der Fassade dieser Verhältnisse, die bis zum heutigen Tag als Anerkennung für ihren Entdecker Mendelsche Regeln genannt werden. Mendels geistreiche Aufdeckung dieser Geheimnisse bildet das Fundament für seinen Ruhm. Er hatte zum ersten Mal gezeigt, dass Merkmale von Generation zu Generation gemäß festen Regeln vererbt werden – und nicht nur einfach so vererbt werden, sondern auf eine logische Art und Weise, die durch die An- oder Abwesenheit tatsächlicher Entitäten, einer Art Erbguteinheiten, innerhalb der Zellen gesteuert wird. Gene waren ein Konzept, dessen Zeit noch nicht gekommen war, und sie blieben jenseits von Mendels Fassungsvermögen. Er erkannte jedoch sehr wohl, dass nur dann Merkmale auf die Art und Weise weitergegeben werden konnten, wie er es beobachtet hatte, wenn die Embryonen Faktoren in sich trugen, die für die sichtbare Ausprägung der Merkmale verantwortlich waren und er ersann eine Methode, um diese Faktoren darzustellen, die auch heute noch benutzt wird. Er bemerkte auch, dass mehr an einer Pflanze war, als ihre äußere Erscheinung vermuten lassen könnte, da bestimmte Eigenschaften in einer Generation nicht offen zutage treten, allerdings in der Folgegeneration wieder deutlich sichtbar sind (10). Mendel hatte den Weg für eine aufgeklärtere und logischere Herangehensweise an die Züchtung neuer und verbesserter Pflanzensorten geebnet, aber keiner schenkte ihr auch nur die geringste Aufmerksamkeit. Selbst ihr Entdecker unternahm nur das Allernötigste, um sie zu veröffentlichen, und als er damit gescheitert war, verlor er scheinbar das Interesse daran.

Während die Wissenschaftler in die Flasche spähten und sich fragten, worum es sich nur bei diesem Flaschengeist handeln könne, Wege ersannen, mehr über ihn zu lernen, und nach Möglichkeiten suchten, ihn zu nutzen, waren Landwirte, Pflanzenzüchter, Samenhändler, Gärtner und andere, für die Samen bereits davor bei der Herstellung von Getreide und Gemüse zum Alltag gehört hatten, diejenigen, die die Flasche entkorkten und den Geist befreiten – mit erstaunlichen Ergebnissen. Sie hatten nicht auf Mendel gewartet, damit er ihnen zeigte, wie man Pflanzenzüchter wird, oder auf Wissenschaftler, damit sie ihnen die geheimen Wege offenbarten, wie Pflanzen ihr Erbgut von einer Generation zur nächsten weitergaben, sondern sie waren Knights Beispiel gefolgt. Und zweifelsohne ungemein beeindruckt von Karl von Gärtners gewaltiger Menge an Ergebnissen strebten sie danach, die Rollen von Schöpfern anzunehmen und davor kaum vorstellbare Geheimnisse zu erforschen, die in den rätselhaften kleinen Hüllen von Samen verborgen lagen. Bis dahin waren neue Sorten rein zufällig entstanden und ihr Überleben hing allein von glücklichen Zufällen ab. Nun waren sie eher das Ergebnis eines Versuchs, absichtlich besseren Kohl, schmackhaftere Himbeeren oder ertragreichere Bohnen zu erzeugen. Während das 19. Jahrhundert seinen Lauf nahm, produzierten Pflanzenzüchter in Deutschland, England, Frankreich und andernorts in Europa, in den USA und sogar noch weiter weg, eine Flut neuer Sorten von Blumen, Gemüse, Früchten und Getreide in immer kürzeren Zeitabständen. Indem sie eher empirische als wissenschaftliche Methoden anwandten, erhoben sie die Landwirtschaft und den Pflanzenanbau auf ein bis dahin unvorstellbares Niveau.

Tausende von Hobbyzüchtern und Profis versuchten sich daran, neue Sorten herzustellen, und deckten damit praktisch jede Art von Pflanze ab, die häufig von Landwirten und Gärtner angebaut wurde. Die kleine Auswahl, die im Folgenden vorgestellt wird, vermittelt nur eine Ahnung von dem Ausmaß ihrer Bemühungen und dem Umbruch, den sie sowohl im Gartenbau als auch in der Landwirtschaft auslösten, bevor sich wissenschaftliche Methoden der Pflanzenzucht im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelten.

Obstzüchter spielten durchweg eine bedeutende Rolle, mit berühmten Firmen wie der, die von Thomas Rivers und Thomas Laxton gegründet und vom Vater an den Sohn weitergegeben wurde. Rivers zog ungefähr 1500 Sämlinge von Pfirsichen und Nektarinen, die dafür gedacht waren, unter Glas angebaut zu werden, und von denen etwa ein halbes Dutzend es wert war, benannt zu werden. Sein Sohn führte das Werk fort, war aber hauptsächlich daran interessiert, neue Apfel- und Birnensorten zu produzieren, darunter die Birnensorte Confidence, die auch heute noch eine der Sorten ist, die am häufigsten kommerziell angebaut werden. Laxton erzeugte viele neue Sorten von Erdbeeren, Rosen, Kartoffeln und Erbsen. Nach dem Vorbild Knights experimentierte er zu Versuchszwecken auch mit der Kreuzung von Erbsen – wobei er Phänomene wie Dominanz und Segregation von Merkmalen beschrieb und auch Vererbungsmuster festhielt, und dabei zu ähnlichen Zahlenverhältnissen wie Mendel kam. Laxtons Söhne Edward und William setzten die Arbeit bis weit ins 20. Jahrhundert fort und machten sich als Züchter und Anbauer von neuen Apfel- und Birnensorten einen Namen.

In den Vereinigten Staaten unterstützte Charles Hovey, Herausgeber der Zeitschrift „The Magazine of Horticulture“ (viele Jahre lang die am längsten fortlaufende Fachzeitschrift für Gärtner in den USA) aktiv Versuche, verbesserte Sorten zu züchten. Seit den 1840er-Jahren war er ein begeisterter Sammler neuer Arten von Obstbäumen ebenso wie von Kamelien, Chrysanthemen und Erdbeeren. Dann tat er, was er predigte, und brachte einen Erdbeersämling auf den Markt, den er selbst gezüchtet hatte. Der Hovey-Seedling, wie er einfach genannt wurde, gilt für viele als die Erdbeersorte, die die amerikanische Erdbeerzuchtindustrie in Gang gesetzt hat.

Züchter in den USA schenkten auch Weinreben besondere Aufmerksamkeit, da sie die Möglichkeiten reizten, mithilfe einer in Nordamerika einheimischen Art Sorten zu züchten, die an das Klima angepasst waren. Der in der Schweiz geborene Hermann Jäger zog etliche Sämlinge auf seiner Farm auf dem Ozark Plateau in Missouri, um eine Sorte zu finden, die resistent gegen Mehltau ist – und war damit erfolgreich. Abgesehen davon, dass er dadurch eine Zuchtbasis für andere Pflanzenzüchter lieferte, erlangten diese Sorten historische Bedeutung, als die klassischen Weinbauregionen in Europa von der Zerstörung durch die Einführung der Reblaus bedroht waren, einem aus Amerika stammenden Schädling, gegen den die europäischen Sorten keinerlei Resistenz besaßen. Jäger eilte zur Rettung der europäischen Weinbauern herbei, als sich diese mit der desaströsen Aussicht konfrontiert sahen, dass ihre Weinberge binnen weniger Jahre völlig zerstört sein würden, indem er ihnen Hunderttausende resistente Wurzelstöcke schickte, auf die sie Ableger der anfälligen Sorten aufpfropfen konnten.

Jacob Moore, der 1836 in Brighton, New York, geboren wurde, widmete einen Großteil seines Lebens der Züchtung von Roten Johannisbeeren, Erdbeeren, Birnen und Trauben, wobei er einen systematischen, halbwissenschaftlichen Ansatz verfolgte. Er war zwar ausgesprochen erfolgreich damit, doch der arme Mann musste sehr unter seinen gewissenlosen Pflanzenzüchterkollegen leiden, die schamlos seine Neuzüchtungen plagiierten, sodass Moore kaum Profite mit seinen Bemühungen erzielen konnte. Da ihn dies in den Wahnsinn trieb, verbrachte er einen Großteil seines späteren Lebens damit, erfolglos zu versuchen, die Rechte von Pflanzenzüchter juristisch schützen zu lassen.

Ein viel beachteter Hobby-Pflanzenzüchter war ab etwa 1832 Marshall Wilder, der Eigentümer eines beträchtlichen Grundbesitzes in Massachusetts und eine der herausragenden Persönlichkeiten auf seinem Gebiet und Gründer der Pomologischen Gesellschaft in Amerika. Seine erklärte Leidenschaft waren Birnen – ebenso wie Kamelien und Azaleen – doch er machte sich auch an so vielem anderen zu schaffen, dass er scheinbar wahllos alles kreuzte, was ihm in die Quere kam. Es wird behauptet, er sei nirgendwo ohne seinen Malerpinsel aus Kamelhaar in der Tasche hingegangen, damit er auch ja keine Möglichkeit zu einer Kreuzung verpasste.

Das Ergebnis der Anstrengungen von Pflanzenzüchtern zu jener Zeit war, dass sich damals viele der heute populärsten Gartenpflanzen etablierten. 1850 gründete James Kelway eine Gärtnerei bei Langport in Somerset, wo er sich auf Garten-Gladiolen spezialisierte, eine Novität zur damaligen Zeit. (Der erste Hybride mit großen Blüten wurde neun Jahre davor von Van Houtte eingeführt.) Er benutzte diese als Grundstock und verbesserte sie durch weitere Kreuzungen mit verschiedensten anderen Spezies, und so führte Kelway 1861 einen der ersten Hybriden der heutigen Garten-Gladiolen in England ein.

Ebenfalls in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden die Hybride, von denen unmittelbar die heutigen Narzissen im Garten abstammen – insbesondere von Sorten, die während der 1880er-Jahre von einem Geistlichen der Kirche von England, Reverend Engleheart, eingeführt wurden. In ungefähr demselben Zeitraum kultivierte der Schotte Henry Eckford die Duftende Platterbse und machte aus ihr die Duft-Wicke. Nachdem er eine Weile lang Verbenen und Garten-Zinerarien gezüchtete hatte, kaufte er eine Gärtnerei bei Wem in Shropshire. Während der letzten 30 Jahre jenes Jahrhunderts züchtete er Sorten mit neuen Formen, mit einer größeren Bandbreite an Farben und umfangreicheren Blüten (12). Durch die Duft-Wicke gelangte der Name des Örtchens Wem in aller Munde auch in den der feinen Gesellschaft, und in dankbarer Erinnerung an Eckford ist die alljährlich stattfindende Duft-Wicken-Schau das bedeutendste und wohlriechendste Ereignis im Veranstaltungskalender der Stadt.

Noch für die schwierigste Kreuzung sollte sich irgendwo schon irgendjemand finden, der sich daran versuchte – sogar an Orchideen. John Dominy, der als Angestellter in einer der berühmten Gärtnereien von James Veitch in der Nähe von Exeter in Devon arbeitete, zog 1856 den ersten Orchideenhybriden aus Samen, nachdem er zwei Spezies aus der Gattung Calanthe gekreuzt hatte. Er gab seine Geheimnisse an einen anderen Angestellten von Veitch weiter, an John Seden, der sich bereits durch die Züchtung von Gloxinien, Begonien und anderen Gewächshauspflanzen einen Namen gemacht hatte. Während der 1870er- und 1880er-Jahre sollte Seden zahlreiche Orchideenhybride ziehen – aus einer großen Bandbreite an Kreuzungen, von denen etliche Arten verschiedener Gattungen waren. Sedens Ergebnisse zeigten, dass es möglich war, selbst Pflanzenspezies zu kreuzen, deren Verwandtschaftsgrad relativ weit voneinander entfernt lag. Damit löste er bei vielen Gärtnern eine Faszination für die Orchideenzüchtung aus und legte so den Grundstein für die heutige Orchideenindustrie, die jährlich Millionen erwirtschaftet.

Wenn es einen Preis für den herausragendsten Pflanzenzüchter im späteren 19. Jahrhundert geben würde, müsste man ihn Luther Burbank verleihen, der 1849 geboren wurde und bis 1929 lebte. Dieser Mann war einer der bedeutendsten Pioniere auf dem Gebiet des Gartenbaus und einer der größten Pflanzenzüchter. Er hat etwa 800 neue Sorten aus einer riesigen Bandbreite an Pflanzen erschaffen, darunter Äpfel, Birnen, Pflaumen und Erdbeeren, etliche Gemüse, Gartenblumen und Getreide – selbst einen stachellosen Kaktus hat er gezüchtet, um damit Rinder in wasserarmen Regionen der Erde zu füttern, der heute allerdings ausgestorben zu sein scheint. Einige, die aus der gewaltigen Masse seiner Neuzüchtungen herausragen, sind die Santa-Rosa-Pflaume (benannt nach dem Ort, wo sich seine Baumschule in Kalifornien befand), der Freestone-Pfirsich, der den Grundstein für die Konservenindustrie in Kalifornien legte, und die Burbank-Kartoffel. Aus ihr entstand eine Unterart mit rotbrauner Schale, bekannt als die Russett-Burbank-Kartoffel. Sie wurde zur am häufigsten angebauten Kartoffel in den USA und ist angeblich die einzige Sorte, die für die Herstellung der Pommes frites bei MacDonalds zulässig ist.

Je länger das 19. Jahrhundert andauerte, desto rasanter entwickelte es sich zum goldenen Zeitalter für Gärtner als Pflanzenzüchter. Sie wurden von der Einführung überseeischer Pflanzen angeregt, insbesondere von denen aus den „geheimen“ Gärten Chinas und Japans. Praktische Landwirte und Gärtner sahen Samen nicht nur zum ersten Mal als das Mittel an, mithilfe dessen versteckte Eigenschaften von Pflanzen zutage gefördert werden konnten, sondern der Elan, mit dem sie dieses Ziel verfolgten, fegte die Vorstellungen von der Konstanz der Arten für immer hinweg. Vom Beginn des 19. Jahrhunderts an säten die Ähnlichkeiten zwischen nahe verwandten Tieren und Pflanzen – und die sehr offensichtlichen Verbindungen zwischen vielen von ihnen, die auf einen wie auch immer gearteten evolutionären Prozess hindeuteten – zunehmend Zweifel in den Köpfen von Zoologen und Botanikern an der Glaubwürdigkeit der Doktrin von der göttlichen Schöpfung und der Konstanz der Arten. Aber es war eine Sache, zu beobachten und zu vermuten, eine ganz andere in der Lage zu sein, einen wissenschaftlichen Beweis für die Evolution zu liefern, wenn man keine treibende Kraft ausmachen konnte oder es keinen augenscheinlichen tagtäglichen Beweis für ihr Vorhandensein gab. Es war zwecklos, die fest verankerten Vorstellungen derjenigen angreifen zu wollen, die darauf bestanden, dass die Darstellung der Schöpfung in der Bibel all diese Fragen beantworte, ohne dass man in der Lage war zu erklären, wie sich eine Art zu einer anderen entwickeln konnte.

Aus dieser Sackgasse führte ein für die Wissenschaft eher glücklicher Zufall. 1838, nur zwei Jahre, nachdem die H. M. S. Beagle ihn sicher nach England zurückgebracht hatte, las Charles Darwin die „Abhandlung über das Bevölkerungsgesetz“ („An Essay on the Principle of Population“, 1798) von Thomas Malthus, 40 Jahre nachdem sie in England zum ersten Mal erschienen war. Alfred Russel Wallace las den Essay 16 Jahre später. Beiden war plötzlich genau derselbe Gedanke gekommen, der von Darwin in einer Erinnerung, die er gegen Ende seines Lebens für seine Familien verfasst hatte, wie folgt beschrieben wird: „[Es] wurde mir sofort deutlich, dass unter solchen Bedingungen vorteilhafte Variationen eher erhalten bleiben und unvorteilhafte eher vernichtet werden. Das Ergebnis dieser Tendenz musste die Bildung neuer Arten sein. Jetzt hatte ich endlich eine Arbeitshypothese; ich war aber so ängstlich darauf bedacht, Voreingenommenheit auszuschließen, dass ich beschloss, noch geraume Zeit nichts aufzuschreiben, auch keinen noch so kurzen Entwurf.“ Darwin hatte bereits damit begonnen, in Gedanken Beweise für die Evolution zusammenzutragen, trotz der gravierenden Bedenken, die in ihm aufkamen, weil er den biblischen Schöpfungsbericht damit infrage stellte.

Russel Wallace benutzte fast dieselbe Formulierung wie Darwin in den ersten beiden Sätzen, um die Wirkung der Lektüre auf ihn zu beschreiben, doch seine Reaktion auf diese Offenbarung war anders. Er hatte es sich durch seine Aktivitäten als Pflanzen- und Tiersammler sowie durch seine Reisen in tropische Länder angewöhnt, seine Gedanken in Taten umzusetzen. Sobald er einmal davon überzeugt war, dass nur ein wie auch immer gearteter evolutionärer Prozess erklären konnte, was er andauernd beobachtete, setzte er sich an seinen Schreibtisch, ordnete seine Gedanken zu dem Thema und brachte sie zu Papier. Er schickte das Ergebnis Darwin, der sich erst nach beträchtlicher Überzeugungsarbeit dazu bereit erklärte, die beinahe identischen Schlüsse, zu denen auch er gelangt war, in einer gemeinsamen Abhandlung, der Linnean Society vorzulegen und damit öffentlich zu machen. Die Publikation von Darwins Buch „Über die Entstehung der Arten“ 1859 bereitete jahrzehntelangen spekulativen Annahmen ein Ende, und zwar so, dass man nicht einfach darüber hinwegsehen konnte. Es löste den von Darwin gefürchteten Konflikt mit den Vertretern religiöser Anschauungen aus, auf den er sich eigentlich nicht hatte einlassen wollen.

Viele Mitglieder der wissenschaftlichen Fachwelt akzeptierten die Schlüsse nur sehr widerwillig, und es sollten Jahre vergehen, bevor die Thesen von Darwin und Russel Wallace allgemein anerkannt waren – insbesondere, dass wir mit Affen ein gemeinsames Erbe teilen, war ein Gedanke, der für viele nur sehr schwer verdaulich war. Dieser Konflikt hält bis heute an – mit religiösen Fundamentalisten, die immer noch darauf beharren, dass es neben dem biblischen Schöpfungsbericht keine Alternative geben darf. Im letzten Jahr seines Lebens ärgerte sich Luther Burbank so sehr über den berüchtigten Scopes-Prozess von 1925, auch „Monkey Trial“, also „Affenprozess“ genannt, bei dem sich ein Lehrer vor Gericht verteidigen musste, weil er „Darwins ketzerische Lehren“ unterrichtet hatte, dass er öffentlich erklärte, er sei ein Freigeist, der weder an die Schöpfung noch an ein Leben nach dem Tod glaube. Obwohl er sein ganzes Leben damit verbracht hatte, seine Auffassung, dass Arten sehr wohl veränderlich sind, praktisch zu demonstrieren, schockierte seine Aussage so viele der gottesfürchtigen, einstmaligen Anhänger des Gartenbauers, dass sie ihn mit Tausenden von Protestbriefen und aufgebrachten Kommentaren überschütteten. Es überrascht nicht, dass viele Gartenbauern in den USA es vorzogen, neue Sorten zu importieren, als an der Schöpfung Gottes herumzupfuschen, indem sie sich selbst ein wenig der Kreativität hingaben.

Doch selbst unter Geistlichen fehlte es Darwin nicht an einflussreichen und wirksamen Befürwortern. Am 18. November 1859 schrieb Charles Kingsley, Pfarrer von Eversley in Hampshire und Autor von „Die Wasserkinder“, Darwin, um ihm dafür zu danken, dass er ihm ein Exemplar von „Über die Entstehung der Arten“ hatte zukommen lassen. Die beiden hatten durch Darwins Schwester Bekanntschaft geschlossen, die sich wie Kingsley aktiv dafür einsetzte, dass Kinder nicht mehr als Schornsteinfeger eingesetzt werden durften, im Übrigen eine Praxis, die auch Darwin grässlich fand. In seinem Brief schrieb Kingsley in Bezug auf „Über die Entstehung der Arten“: „Alles, was ich davon gelesen habe, flößt mir Respekt ein; sowohl vor der Menge an Fakten und dem hohen Ansehen Ihres Namens als auch vor dem deutlichen Empfinden, dass, sollten Sie recht haben, ich vieles von dem, was ich glaube und dem, was ich geschrieben habe, revidieren muss [...] Ich habe bereits seit Langem, indem ich Zeuge wurde, wie domestizierte Tierarten und Pflanzen gekreuzt wurden, gelernt, dem Dogma von der Beständigkeit der Arten keinen Glauben mehr zu schenken. Ich habe allmählich gelernt zu glauben, dass es eine ebenso erhabene Vorstellung eines Gottes ist, anzunehmen, dass Er die Grundbausteine geschaffen hat, die dazu in der Lage sind, sich selbst zu allen Formen zu entwickeln, die pro tempore und pro loco [je nach Zeit und Ort] am Nützlichsten sind, als zu glauben, dass es eines neuen Eingriffs von Ihm bedürfe, um die Lücken zu füllen, die Er selbst gelassen hatte. Ich zweifle, ob die erstere Vorstellung nicht gar die erhabenere ist.“

Darwin wurde von religiösen Fundamentalisten dafür gegeißelt, dass er die Doktrin vom Primat der Schöpfung und der Konstanz der Arten infrage gestellt hatte – mit anderen Worten für seinen Glauben daran, dass die natürliche Auslese, die auf den unterschiedlichen Überlebenschancen der Nachkommen beruhte, die entscheidende Kraft für den Wandel – oder die Evolution – war. Das war insofern ironisch als, obwohl natürliche Auslese tatsächlich ein Mechanismus sein kann, durch den es zu Veränderungen kommt, sie für gewöhnlich eine eher konservierende Kraft ist, die Neuerungen feindlich gegenübersteht.

Die ausgesprochen unterschiedlichen Formen, Größen, Farben und äußeren Erscheinungsbilder von Hunden, denen man täglich auf einem Spaziergang durch den Park begegnet, sind bemerkenswerte Beispiele für die Vielseitigkeit der Gene innerhalb einer einzigen Spezies, wenn sie sich frei entfalten können. Im Vergleich dazu scheint die Natur im Grunde genommen beinahe in einem solchen Ausmaß konservativ zu sein, dass binnen einer Lebensspanne, insbesondere wenn das Leben an nur einen Ort gebunden ist, nur der aller schärfste Beobachter irgendwelche Hinweise ausmachen könnte, die darauf hindeuten, dass eine Evolution am Werk ist. Die natürliche Auslese arbeitet ausgesprochen effektiv, um solche Variationen zu unterdrücken, die zu so großen Unterschieden unter domestizierten Tier- und Pflanzenarten führen. Es überrascht kaum, dass für so lange Zeit die biblische Doktrin der Artenkonstanz und nicht die Evolution allen als befriedigende Erklärung vollkommen ausreichte, die sich auf ihre persönlichen Erfahrungen verließen, um die Welt um sie herum zu erklären.

Die natürliche Selektion beschränkt einen Großteil der Arten meistens auf Individuen, mit einer eng umgrenzten Bandbreite an Genen, wodurch in keiner Weise die Vielfalt ihrer genetischen Ausstattung, des Genotyps, offensichtlich ist. Beinahe alle Variationen von veränderten Genotypen führen zu Pflanzen, die weniger gut für das Überleben geeignet sind als bereits vorhandene und die entweder sofort eliminiert oder bestenfalls binnen ein oder zwei Generationen unterdrückt werden. Die genetische Vielfalt, die es Pflanzen ermöglicht, auf Selektion zu reagieren, ist immer vorhanden, doch sie ist ihnen so eingeschrieben, dass sie nur dann zum Tragen kommt, wenn sich der Status quo verändert oder sich neue Herausforderungen stellen und Neukombinationen einen Vorteil brächten. Pflanzen einer Art sehen mehr oder weniger gleich aus – zumindest trifft das auf einen Großteil der Arten zu – und aus diesem Grund kann man eine Wildpflanze für gewöhnlich leicht wiedererkennen, wenn man sie sieht, und auch klar von anderen Arten, die gemeinsam mit ihr wachsen, unterscheiden.

Da Pflanzen mit einem Ort verwurzelt und nicht in der Lage sind, umherzustreifen, um nach einem Partner zu suchen, haben klassische Philosophen das ganze Konzept der Sexualität bei Pflanzen abgetan. Wenn Pflanzen nicht in der Lage sind, sich zu bewegen, müssten sexuelle Begegnungen klar außerhalb ihrer Reichweite gelegen haben. Es folgten 2000 Jahre intellektuellen Stillstands, während denen Blüten als Inbegriff perfekt geformter, reiner Geschöpfe wahrgenommen wurden, die von Sexualität unberührt geblieben waren. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts – beinahe 200 Jahre, nachdem Camerer die Fiktion entlarvt hatte, die meisten Pflanzen seien geschlechtslos – wurden die Prozesse geklärt, durch die Merkmale von Generation zu Generation weitergeben werden (13). Chromosomen und Gene, Mendels Erbguteinheiten, wurden lokalisiert, obwohl es noch viel zu entdecken gab, während Darwin und Russel Wallace einen Mechanismus für die Evolution von Pflanzen und Tieren geliefert hatten. Samen als Vehikel, mit denen Pflanzen ihre Gene transportierten, spielten nun eine entscheidende Rolle bei der Züchtung und Erzeugung neuer Pflanzen, die bisher unerreichbare Erträge lieferten, Qualitäten besaßen und Möglichkeiten eröffneten, von denen man vorher nicht zu träumen gewagt hätte. Das 20. Jahrhundert würde Zeuge werden, wie sich diese Versprechungen nicht nur erfüllten, sondern wie sie sogar noch übertroffen wurden und unvorstellbare Möglichkeiten eröffnen sollten, doch vorher mussten noch einige Klippen umschifft werden.

Der Keim unserer Zivilisation

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