Читать книгу Personzentriertes Arbeiten in sozialen Berufen - Petr Ondracek - Страница 7

Einleitende Gedanken statt Vorwort

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Die Ausführungen in diesem Buch sind als persönliche Stellungnahme zum Thema zu verstehen. Sie gehen vom heutigen Wissensstand des Autors aus, basieren auf seinen bisherigen Erfahrungen und haben folglich keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit. Also nicht Ergebnisse etwaiger experimenteller Erforschung des Themas, sondern theorieuntermauerte Erfahrungen aus der Praxis des beruflichen Handelns sind Gegenstand dieses Buches.

Vorauszuschicken sind vier Klarstellungen:

Erstens werden hier unter »sozialen Berufen« alle Praxisfelder verstanden, in denen Fachpersonen primär unterstützend mit Menschen arbeiten. Ob Erzieher, Lehrer, Sozialpädagoge, Sozialarbeiter, Heilpädagoge, Altenpfleger – sie alle werden dafür bezahlt, dass sie ihr Gegenüber auf dem jeweiligen Fachgebiet (Entwicklung, Bildung, Gruppenzugehörigkeit, Orientierung in gegebenen Rechten und Pflichten …) bei der Alltags- und Lebensbewältigung unterstützen. Security-Mitarbeiter, Polizisten oder Kompanie-Kommandanten arbeiten zwar auch mit Menschen, jedoch nicht primär unterstützend, sondern vielmehr bestimmend bzw. befehligend. Weil das ihre Hauptaufgabe ist, wird sich hierbei personzentriertes Auftreten sicherlich als kontraproduktiv erweisen, denn der Personzentriertheit sind Bewertungen und Bestimmungen fremd. Folglich werden Tätigkeiten dieser Art hier nicht als soziale Berufe im o. g. Sinne verstanden.

Zweitens: An einigen Stellen werden im Text sog. Exkurse zu Sichtweisen und Praxissituationen eingebracht. Die meisten beziehen sich auf das Fachgebiet der Heilpädagogik. Begründet ist diese »Übermacht« der heilpädagogischen Beispiele darin, dass der Autor sein (fachliches) Leben lang auf dem Feld der Didaktik und Methodik der Heilpädagogik gewirkt hat – als Erzieher, Psychologe, Heimleiter und als Hochschuldozent in der Berufsausbildung von angehenden Heilpädagoginnen und Heilpädagogen. Folglich verfügt er über eine stattliche Anzahl von Situationen, Ansichten und Anregungen, die als veranschaulichende Beispiele zu den theoretischen Ausführungen verwendet werden können. Damit sollen andere soziale Berufe keineswegs ins Abseits geraten. Denn es gibt auch einige veranschaulichende Exkurse zu anderen als heilpädagogischen Fachgebieten. Ob dort oder woanders, ist eigentlich egal, weil sie für die Fachpersonen aus allen sozialen Berufen eine interessante Möglichkeit darstellen, das, was dort steht, in ihre eigene spezifische Tätigkeitsausrichtung zu transferieren.

Drittens werden die hier dargestellten theoretischen und methodischen Ansätze der Psychologie nicht vollständig erörtert, sondern nur ausgewählte Teilbereiche daraus. Diese Auswahl folgt dem Grundsatz »erforderlich und ausreichend« für die Orientierung in den hoch handlungsrelevanten Themen Personzentriertheit und Personzentriertes Arbeiten. Eine umfassende Beschreibung der Theorien von C. Rogers, A. Maslow, A. Adler und A. Bandura würde nicht nur den Umfang dieses Buches sprengen, sondern auch seinen Zweck verfehlen. Die Kolleginnen und Kollegen in sozialen Berufen (dazu zählen selbstverständlich auch diejenigen, die erst in der Berufsvorbereitung stehen oder sich entsprechend fort- und weiterbilden) sollen nämlich durch die Lektüre dieses Buches nicht zu einer Art »Kleinpsychologen« werden, sondern Anregungen und Hinweise auf die Entfaltung ihrer interaktiv-kommunikativen Kompetenz im Rahmen ihrer Qualifikation bekommen. Sollten sie durch die Auseinandersetzung mit den hier beschriebenen Aspekten der Personzentriertheit zusätzliche Lust auf mehr psychologisches Fachwissen spüren, können sie dieses durchaus nachvollziehbare Wachstumsbedürfnis (siehe die Ausführungen zu A. Maslow) durch die Lektüre der verwendeten Literatur oder eines der vielen guten psychologischen Lehrbücher befriedigen.

Viertens beziehen sich die Ausführungen zu Personzentriertheit und Personzentriertem Arbeiten grundsätzlich auf die berufliche Tätigkeit. Der Erfahrung des Autors nach kann sich dort das personzentrierte Arbeiten mit hoher Wahrscheinlichkeit als positiv wirkender Katalysator bei der Durchführung fachspezifischer Leistungen erweisen, wenn auch sicherlich nicht immer, denn es gibt auch Grenzen und »Stolpersteine«, die diese Wirksamkeit verringern. Das gehört zu jeder Art der Einflussnahme auf Menschen und damit müssen die Fachpersonen in sozialen Berufen leben. Nur soll diese Tatsache sie nicht daran hindern, in der Kommunikation und Interaktion mit dem Gegenüber immer wieder personzentriert aufzutreten – das zeichnet eine bewusste personzentrierte Professionalität der Fachperson aus. Diese anzuregen und ihre Herausbildung/Entfaltung zu unterstützen ist das erklärte Ziel dieses Buches. Es gibt sicherlich auch im privaten Leben diese Wahrscheinlichkeit der positiven Wirkung. Wer die Personzentriertheit wirklich verinnerlicht hat, tendiert dazu, auch im außerberuflichen Geschehen entsprechend aufzutreten. Das unterliegt allerdings meist der nicht bewussten Spontaneität und Selektivität, und um die geht es hier nicht.

Noch vor den Ausführungen zum Thema dieses Buches soll hier zuerst einiges gesagt werden, was eine erste Orientierung in der Lektüre hinsichtlich der Frage »Wozu soll es gut sein, dieses Buch durchzulesen?« ermöglicht.

Es geht hier um die Darstellung einer Arbeitsweise, die als »personzentriertes Arbeiten« bezeichnet wird und eine hohe Relevanz für Interaktion, Kommunikation und Aufgabenerledigung im Alltag der sozialen Berufe aufweist. Eigentlich müsste sie einen unabdingbaren Bestandteil methodischer Ausstattung aller dort tätigen Fachpersonen darstellen.

Die Verwendung des Konditionals »müsste« fußt auf der Tatsache, dass dies noch lange nicht der Fall ist. Diese Feststellung ergibt sich nicht aus etwaigen Untersuchungen zur Verbreitung der Personzentriertheit in der bunten Schar sozialer Berufe. Sie ist das Ergebnis der jahrzehntelangen Beobachtung des Autors (also sozusagen einer »klinischen Erfahrung«) im Kontext seiner Tätigkeit als Erzieher, Lehrer, Berater, Weiter-/Fortbildungsdozent und Hochschullehrer.

Die nächste Feststellung bezieht sich auf die Tatsache, dass die meisten Fachpersonen durchaus imstande sind (und sehr viele tun es auch), personzentriert zu arbeiten. Schließlich trägt jeder Mensch das entsprechende Potential dazu in sich (siehe hierzu das Menschenbild der humanistischen Psychologie, wie es Carl Rogers beschreibt). Nur wird i. d. R. diese natürliche Ressource im Berufsalltag nicht systematisch, begründet, gekonnt und reflektiert genutzt, sondern eher zufällig, selektiert, ungeübt und nicht reflektiert.

Weil die Möglichkeiten einer positiven Wirkung personzentrierter Arbeitsweise auf beteiligte Menschen und auf die Interaktions-/Kommunikationsprozesse recht gut sind (diese Feststellung ist ebenfalls Ergebnis der o. g. »klinischen Erfahrung« des Autors), ist es ein Anliegen dieses Buches,

die Leserinnen und Leser über einige Kontexte der Personzentriertheit (Möglichkeiten, »Stolpersteine«, Grenzen) zu informieren,

ihnen eine möglichst gute Orientierung in Theorie, Methodik und Praxis dieser Art des Umgangs mit dem zu unterstützenden Menschen zu geben,

und – last but not least – sie zur Überprüfung und Präzisierung (vielleicht kann man sagen Verberuflichung) ihrer naturgemäßen Personzentriertheit zu motivieren.

Somit lässt sich die anfängliche Sinnfrage wie folgt beantworten: Das Durchlesen (noch besser wäre zu sagen: das Durcharbeiten) dieses Buches gibt eine Grundorientierung in einer positiv wirkenden Art und Weise des Umgangs mit (de facto) jedem Gegenüber im Berufsalltag (und auch darüber hinaus im Privatleben). Außerdem birgt das Buch eine Chance auf eine präzisere Orientierung in eigener Personzentriertheit und gibt Hinweise auf ein bewussteres und gekonnteres personzentriertes Auftreten.

Die bisherigen, eher allgemein gehaltenen Hinweise auf die Sinnfrage der Buchlektüre werden im Folgenden mit einigen Aussagen und Informationen zum Thema konkretisiert.

»Seit über 15 Jahren bin ich dabei und habe immer noch Freude an der Arbeit …« Dies ist die Aussage einer Mitarbeiterin, die im Gruppendienst unter den Standardbedingungen einer Einrichtung der Behindertenhilfe arbeitet. Worin ist die Arbeitszufriedenheit dieser Mitarbeiterin begründet? Wie kommt es, dass sie eine solche Aussage machen kann? Das Wesentliche scheint hier ihre Art von Aufgabenerledigung zu sein. Diese ist personbezogen, personstärkend, kontaktfördernd, partnerschaftlich und mitbeteiligend, mit der Folge, dass die Alltagsbewältigung einerseits mit weniger Missverständnissen, Problemen, Kampf, Misserfolgen u. ä. belastet und andererseits durch gemeinsames Tun, Kommunikation und Erfolgserlebnisse entlastet wird. Der Arbeitsalltag wird positiv erlebt und die Zufriedenheit gestärkt.

Diese Art der Aufgabenerledigung ist für das personzentrierte Arbeiten charakteristisch. Das Wort »personzentriert« mag der einen oder anderen heilpädagogisch tätigen Fachperson bekannt vorkommen. In der Tat hat es mit C. R. Rogers und dem Menschenbild der humanistischen Psychologie zu tun. Die oben zitierte Mitarbeiterin hat eine Weiterbildung zum Thema »Personzentriertes Arbeiten« absolviert und die Äußerung ist ihrem Erfahrungsbericht entnommen.

Es ist wichtig zu wissen, dass alle Menschen die personzentrierte Umgangsart als kleine Kinder mehr oder weniger von ihren Eltern erfahren haben und dass sie selbst im Umgang mit anderen mehr oder weniger so vorgehen. Es ist ein Umgang mit sich selbst und mit anderen Menschen, welcher – jenseits aller organisatorischen, technischen, finanziellen und sonstigen Faktoren der Arbeitswelt – die wesentlichen Grundaspekte des menschlichen Daseins wahrt: Annahme, Achtung und Respekt.

Häufig wird irrtümlich angenommen, dass ein Mehr an Zeit und Ruhe sowie Abschirmung von Störfaktoren und Verzicht auf Erfüllung von Aufgaben benötigt wird, wenn die Wünsche, Bedürfnisse und Ansprüche des zu unterstützenden Menschen begriffen/verstanden, ernst genommen und nach Möglichkeiten erfüllt werden sollen. In der Tat ist es einfacher, wenn die Bedingungen dieser Annahme entsprechen. Dies zu erwarten bzw. als eine Voraussetzung zu betrachten ist allerdings illusorisch, denn das entspricht wirklich nicht dem heilpädagogischen Berufsalltag.

Die personzentrierte Arbeitsweise in realen Bedingungen muss sich folglich daran messen lassen, dass die zu erledigenden Aufgaben trotz bestehender Einschränkungen, Grenzen und Meinungsunterschiede auf eine solche Art und Weise erfüllt werden, die den Anderen das Gesicht wahren lassen und seine Würde nicht in Frage stellen. Also unabhängig von materiellen und organisatorischen Bedingungen zu agieren – die Gestaltung der Kontakte, Kommunikation und Interaktion mit anderen während der Dienstzeit liegt ausschließlich in den Händen der heilpädagogisch tätigen Fachperson.

Wie oben erwähnt, stellt die Fähigkeit, sich selbst und andere anzunehmen und zu beachten, ein natürliches und entfaltungsfähiges Potential jedes Menschen dar. Im Berufsalltag personzentriert aufzutreten (d. h. bewusst, begründet, gekonnt und reflektiert) ist nicht mehr und nicht weniger als das Ergebnis der Weiterentwicklung und Kultivierung dieses Potentials.

Wozu soll das denn eigentlich gut sein, im Berufsalltag personzentriert aufzutreten? Die vielen persönlichen Signale der ehrlichen Annahme und Beachtung des Gegenübers (Blickkontakt, Anrede mit Namen, Berührung, Interesse am Befinden, Beteiligungsmöglichkeiten, Entscheidungsspielraum, Lob und Anerkennung, gemeinsame Erlebnisse usw.) wirken positiv auf dessen Selbstwertgefühl und steigern die Erlebensqualität der gemeinsam verbrachten Zeit – sowohl bei dem zu unterstützenden Menschen als auch bei der Fachperson. Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie, würde höchstwahrscheinlich das personzentrierte Arbeiten als professionell praktizierte Mitmenschlichkeit bezeichnen.

Vielleicht lässt sich nun besser verstehen, wieso die eingangs zitierte Mitarbeiterin trotz ihrer anspruchsvollen und schwierigen Arbeit immer noch Freude an ihrem Job hat. Sie arbeitet zwar nicht ganz ohne Belastung und Stress, aber erlebt Tag für Tag eine befriedigende Anzahl von Begegnungen, Entwicklungen und Erfolgen. Sie ist autonom, weil sie in der alltäglichen Kontaktgestaltung selbstbestimmt so handelt, dass sie den zu unterstützenden Menschen etwas menschlich sehr Wesentliches gibt (und sie bekommt zwar nicht immer, aber häufig retour): Respekt und Bestätigung des persönlichen Wertes.

Personzentriertes Arbeiten in sozialen Berufen

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