Читать книгу Geschichten aus Movenna - Petra Hartmann - Страница 6
Flarics Hexen
Оглавление„Aaaaaaaaaaaaaaaaauuuuuuuuuuuuuuuuaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah!!!“ Ardua schrie auf vor Schmerz, als die alte Hexe ihn berührte. Mit grausamer Präzision schienen die faltigen Hände genau die Stelle erspüren zu können, die am furchtbarsten wehtat. Blut sickerte aus seinem Oberschenkel, verkrusteter Steinstaub und Dreck lösten sich viel zu langsam.
„Ja, heul du nur“, brummte Lournu mitleidlos und fuhr mit dem feuchten Lappen erneut über die Wunde. „Was läufst du auch nachts in den Bergen herum, dummer Junge.“
Ardua sog die Luft durch die zusammengebissenen Zähne ein. „Ich hab – autsch! – ich hab einen Zauberspruch ausprobiert – aaah!“
„So, Zauber also“, kommentierte Lournu trocken und goss eine scheußlich brennende Flüssigkeit über sein Bein aus.
„Das –“, gurgelte Ardua, „– das hast du mit Absicht getan.“
Doch Lournu schraubte unbewegten Gesichts die räuchernde Tranfunzel etwas höher, die das Hexenhaus mehr schlecht als recht beleuchtete. „So, nun zeig das Bein nochmal her, kleiner Prinz, wir wollen sehen, was wir noch darauf tun können ...“
Ardua fuhr zurück. Wütend stampfte er mit dem Fuß auf, eine Bewegung, die er sofort bereute. Lodernder Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen. „Nein“, brach es aus dem jungen Prinzen hervor. Schmerz und Empörung ließen seine Stimme fast umkippen. „Jetzt ist es genug. Du bringst mir keine Zaubersprüche bei, du erklärst mir nicht, wie man mit Zwergen redet, und mit dem Besen lässt du mich auch nicht fliegen. Denkst du vielleicht, mein Vater hat mich hergeschickt, damit du mich hier zu Tode folterst, du altes Nachtgespenst? Unterrichten sollst du mich, ja. Mich zu einem guten König machen, ja. Aber du sollst mich nicht umbringen.“
Lournu zeigte keine Regung. Nur wer die zerfurchten Gesichtszüge der Alten sehr gut kannte, hätte ein amüsiertes Lächeln im Winkel des linken Auges entdecken können, als sie entgegnete: „Nachtgespenster gibt es nicht. Und du kannst froh sein darüber.“ Leise, sodass Ardua es nicht verstehen konnte, setzte sie hinzu: „Die können nämlich sehr gefährlich werden.“ Das Lächeln verschwand, als sie knurrte: „Außerdem gibt es keine Zauberei, obendrein bist du sowieso viel zu abergläubisch dazu und viel zu ungeduldig. Man kann nicht einfach ins Gebirge hineinlaufen und irgendeinen Spruch aufsagen, den man nicht einmal verstanden hat. Schau dir doch an, was dabei herauskommt.“
Ardua senkte schuldbewusst den Kopf. Arme und Beine waren zerschunden, rohes Fleisch lag offen, und obwohl Lournu beim Reinigen der Wunden nicht eben zimperlich gewesen war, konnte man doch noch überall den feinen Steinstaub des Schottergebirges finden, der sich tief in den Muskel hineingefressen hatte. Nicht einmal Jorn, der alte Waffenmeister des Königs, hatte jemals nach einer Schlacht so ausgesehen. Und Jorn war immer genau dort zu finden, wo die Hiebe am dichtesten fielen.
„So“, sagte Lournu, „und jetzt gib mir den Topf dort. Die Wunden werden sich entzünden, wenn sie nicht behandelt werden. Das willst du doch nicht, oder?“
Gehorsam hinkte Ardua zu dem baufälligen Regal hinüber und fand zwischen Trockenblumen und halbleeren Flaschen ein Töpfchen aus ungebranntem Ton. Er hob den Deckel, schnupperte misstrauisch und schloss das Gefäß sofort wieder, als sich der ekelhafte Geruch von ranziger Butter ausbreitete.
„Schon recht“, lächelte Lournu. „Alles hat seinen Nutzen, auch wenn es nicht besonders gut riecht.“
Ardua zögerte. Doch das Brennen in seinem Bein war schwerer zu ertragen als der Gestank, so trug er das Töpfchen zu Lournu hinüber.
„Brav“, lobte die Alte. Sie tunkte den Finger hinein, schnupperte und verzog angewidert das Gesicht. „Riecht wirklich schlimm“, gab sie zu. „Aber es wirkt, glaub mir. Wenn auch nicht allzu viel Zauberei darin ist. Nur ein bisschen.“
„Erklärst du es mir?“, bat Ardua. „Zeigst du mir wenigstens den Heilzauber? Für einen zukünftigen König ist das eine nützliche Kunst.“
„Das kann ich tun“, brummte Lournu versöhnlich. Sie drückte ihn auf seinen Holzschemel nieder und rührte vorsichtig mit dem Finger in der Salbe. Dann strich sie eine schmale Spur der Substanz über seinen Oberschenkel. „Es gehört eine Geschichte dazu“, murmelte sie. „Die Geschichte vom Ursprung der Waldhexen, die du für so üble Nachtkreaturen hältst. Das Rezept für die Salbe stammt aus der Zeit, als die Waldfrauen das Zaubern lernten. König Flaric war es, der die Magie in Movenna einführte, und er gilt als der Begründer der Hexenzunft.“
„Das ist einer von den Kleinkönigen, nicht wahr?“, unterbrach Ardua. „Ich habe immer gedacht, die sieben kleinen Könige hätten gar nichts geleistet in Movenna.“
„O was das angeht, war Flaric ein mindestens ebenso großer König wie sein Vater Eirikir. Es gab bloß zu seiner Zeit keine Kriege mehr, da konnte er sich nicht so gut mit Ruhm eindecken wie seine Vorfahren. Jedenfalls war von den Kleinkönigen Flaric der größte. Das glauben nicht nur die Waldhexen.“
Mit den Fingerspitzen verteilte sie die Salbe auf Arduas Bein. Sie ging nun bedeutend sanfter vor als beim Reinigen der Wunde, und auch der Gestank schien ihm nach und nach erträglicher zu werden. Dunkle Schatten huschten über die Wände des Zimmers, kicherten leise in den Regalen, und hinter der Fensterscheibe glaubte er, Waldgeister grimassieren zu sehen. Ardua lächelte zufrieden. Bei allem Spuk um sie herum, das eine hatte er längst gelernt, dass man nämlich nirgends auf Erden geborgener sein konnte als im Haus einer Hexe, die Geschichten erzählte.
„Flaric war ein freundlicher Mann“, fuhr Lournu fort. „Künste und Wissenschaften blühten an seinem Hofe, und fast alle bedeutenden Bauwerke der Stadt Pol Movenn sind während seiner Regierungszeit entstanden. Manche nennen diese Zeit auch das Goldene Zeitalter Movennas, und Flaric, den großen Baumeister, nennen sie den Säulenkönig. Er hat aber auch die Universität von Vitta gestiftet. Alles in allem ein wirklich bemerkenswerter König.“
Lournu beugte sich über die Wunde und flüsterte einige Worte in der alten Sprache Movennas vor sich hin. Ardua konnte sie nicht verstehen, doch breitete sich daraufhin ein angenehm warmes Gefühl in seinem Bein aus. Es musste ein sehr mächtiger Zauberspruch gewesen sein, und er war begierig darauf, ihn zu lernen.
„Ein freundlicher König war Flaric“, wiederholte Lournu, und mit einem Seitenhieb auf Ardua fügte sie hinzu: „gar nicht so wie heutige Könige. Oft sah man ihn durch die Straßen Pol Movenns schlendern, und sehr gern streifte er durch die Uferwiesen unten an der Trifta, wo sie den Waldrand berührt. Denn er liebte den Fluss und die Menschen, die an ihm lebten. Auch liebte dieser Sohn Eirikirs das Dunkel des Waldes, und er war überhaupt vollkommen anders geartet als seine Vorfahren, die aus den östlichen Steppen stammten und an gleißende Sonne und offenes Land gewöhnt waren. Und wie er zu allen Bewohnern Movennas freundschaftlichen Umgang pflog, so stand er auch mit Waldwohnern und Kräuterfrauen auf vertrautem Fuße und hielt gern ein Schwätzchen mit ihnen ab, wenn sie ihre Waren auf dem Markt von Pol Movenn feilboten.
In jenen Tagen lebte eine Frau namens Achlys im Walde. Sie war die Großmutter meiner Großmutter Aeshna und verdiente sich als Pilzsammlerin ihren Lebensunterhalt. Die ganze Woche über suchte sie Braunhüte, Schmackschwämme und die seltenen Mundlinge, und am Markttag trug sie ihre Beute nach Pol Movenn und verkaufte sie dort. Und wenn du dich erinnerst, wie lange du letztens gebraucht hast, um einen Korb Braunhüte zusammenzufinden, dann wirst du mir zustimmen, dass es keine leichte Arbeit war und dass man kaum davon leben konnte.“
Ardua nickte. Der Geruch der Salbe stieg ihm zu Kopf, und ihm war ein wenig neblig zumute in seinen Gedanken. Doch der Zauber Lournus hatte bereits begonnen, seine Wirkung zu entfalten. Die Wunde im Oberschenkel war merklich kleiner geworden. Oder bildete er sich das nur ein? Lournu massierte indessen die Salbe in sein linkes Knie ein, das sich langsam erwärmte. Beim Sturz war das Gelenk schwer geprellt worden. Wieder murmelte die Hexe ihren Spruch, aber sosehr Ardua sich auch anstrengte, die undeutlich gebrummten Worte verstand er nicht.
„Achlys die Pilzsammlerin“, nahm Lournu die Erzählung wieder auf, „war eines Tages mit einem Korb voller Mundlinge hinunter zum Ufer der Trifta gestiegen. Sie hatte sich früh aufgemacht, denn der Weg zur Stadt war lang, und als sie zur Triftafurt kam, war sie weit und breit das einzige menschliche Wesen. Die Fischer und Fährleute schliefen noch, und auch fahrende Händler waren noch nirgends zu erblicken. Niemand war dort, der sie hätte hinübersetzen können. Doch Achlys hob den Saum ihres Rockes an, und sie wollte eben zu Fuß durch die Furt hindurch waten, als plötzlich hinter ihr Hufschlag erklang.
Flaric war zu dieser Zeit noch ein junger Prinz, der Zaubergeschichten und Märchengestalten liebte, und er hatte, wie schon oft, die Nacht im Walde verbracht, um nach Trollen und Gespenstern zu suchen. Natürlich hatte er keine gefunden, denn es gab dergleichen nicht in unserem Wald. Vielleicht war er nicht besonders gut gelaunt deswegen, doch höflich und wohlerzogen, wie er nun einmal war, zügelte der Prinz sein Pferd, als er meine Ahnfrau erreichte, und bat sie, zu ihm in den Sattel zu steigen. Achlys war froh darüber. Denn zu dieser Zeit führte die Trifta viel Wasser, und in der Mitte des Flusses schlugen die Wellen bis an den Bauch des Pferdes herauf, doch Flaric und Achlys gelangten trockenen Fußes hinüber, und es blieb ihnen sogar Zeit für ein Schwätzchen. ‚Wie stehen denn die Waldpilze dieses Jahr?’, erkundigte Flaric sich interessiert. ‚Ich hoffe doch, die Geschäfte gehen gut?’ ‚Ach nein’, erwiderte Achlys traurig, ‚es geht gar nicht mehr gut mit dem Pilzgeschäft. Der Sommer war trocken, und was die Mäuse nicht weggeholt haben, das haben die Fliegen zerfressen. Jedesmal fällt es mir schwerer, genug Pilze zu finden. Und was ich auf dem Markt dafür bekomme, reicht kaum zum Leben. Die Zeiten sind schwer geworden, Prinz, und es ist wahrhaftig nicht leicht für eine arme Pilzfrau, sich über Wasser zu halten.’ ‚Das tut mir leid’, sagte Flaric, der ein mitfühlendes Herz besaß, und er schwieg betroffen.
Bis sie das gegenüberliegende Flussufer erreicht hatten, dachte er nach, und er sagte kein einziges Wort dabei. Doch als er vom Pferd sprang und Achlys aus dem Sattel half, da begannen seine Augen plötzlich zu leuchten. Hatte ich schon erwähnt, dass Prinz Flaric strahlendblaue Augen hatte? Manchmal, wenn er einen guten Gedanken verfolgte, haben die Leute sogar dunkelblaue Blitze darin flackern sehen. ‚Du könntest doch nebenher ein wenig doktern’, schlug er vor. ‚Krankheiten heilen und Wunden pflegen, das soll schon etwas einbringen.’ Achlys schüttelte den Kopf. ‚Davon verstehe ich nichts.’ Aber Flaric hatte den Faden schon weitergesponnen und erklärte begeistert: ‚Nichts leichter als das. Du brauchst nur ein paar Salben. Nimm Butter dazu oder meinethalben Wagenschmiere, dann tu ein paar Kräuter hinein, das wird schon ausreichen. Anfangs musst du von selbst hingehn, wenn du hörst, dass jemand krank ist. Den reibst du mit deiner Salbe ein und murmelst dabei immer so vor sich hin: Helpt dat nich, dann schad’t ook nich. Du wirst sehen, die meisten werden wieder gesund, denn so leicht stirbt es sich nicht hierzulande. Und wenn du das ein paarmal getan hast, werden die Leute irgendwann zu dir kommen und dich holen, wenn jemand krank wird. Es wird gar nicht so lange dauern, dann musst du keine Pilze mehr sammeln und kannst von deiner Heilkunst leben.’
Achlys, die wusste, dass Prinz Flaric am liebsten sämtliche Wälder Movennas mit Kräuterhexen und Nachtgespenstern bevölkert hätte, dankte ihm höflich für den Ratschlag und beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken. Sie verabschiedete sich also von dem jungen Mann, er stieg wieder auf sein Pferd, und beide setzten ihren Weg fort. Flaric hat meine Ahnfrau auch bald vergessen.“
Als Lournu die Salbe in seinen aufgeschrammten Ellenbogen einmassierte, konnte Ardua deutlich verstehen, was sie da vor sich hinmurmelte. „Helpt dat nich, dann schad’t ook nich“, brummelte sie immer wieder, „hilft’s auch nicht, es schadet nicht.“ Das Kribbeln in seinem Arm war nicht unangenehm, und die Schmerzen in seinem Bein hatten inzwischen fast vollständig aufgehört.
„Achlys hatte nicht vor, sich auf die Doktorei zu verlegen. Aber im nächsten Jahr wuchsen die Braunhüte noch schlechter, und im übernächsten hat sie auch keine Mundlinge mehr finden können. Nur Schmackschwämme wuchsen noch reichlich, aber sag selbst, was würdest du wohl ausgeben für einen Korb Schmackschwämme?
In dieser Zeit geschah es, dass ein Schmied in Pol Movenn sich an einem glühenden Eisen verbrannte. Da warf Achlys eine Handvoll getrockneter Kräuter in einen Topf voll Butter, gab zerstoßene Schmackschwämme hinzu und vermengte das alles miteinander. Am nächsten Morgen stand sie vor der Tür der Schmiede und verlangte, die Wunde zu sehen, strich dann ihre Salbe darauf, und dabei murmelte sie leise vor sich hin: ‚Helpt dat nich, dann schad’t ook nich.‘ Daraufhin kehrte sie nach Hause zurück, und als die Zeit vergangen war, die es braucht, bis eine Brandblase verheilt, war der verletzte Schmied wieder gesund. Nur wenig später geschah es, dass an der Furt ein auskeilendes Pferd einen Kaufmann am Bein verletzte. Achlys kam zufällig herzu, und wieder strich sie ihre Salbe auf die Wunde und sagte ihren Spruch dabei, den niemand verstehen konnte. Und da Kaufleute weit herumkommen, wusste es nach einigen Jahren beinahe das ganze Land, dass unten am Fluss eine Frau hauste, die Wunden besprach und Kranke heilte. Es dauerte gar nicht lange, da kamen Verletzte von selbst zu ihr oder ließen sie durch Boten zu sich bitten. Zuerst waren es nur Bewohner Pol Movenns, die sie riefen, bald aber kamen Menschen von weither, um sich heilen zu lassen.“
„Aber das war doch Betrug“, schimpfte Ardua.
„Wie man es nimmt“, entgegnete Lournu. „Die Menschen wurden ja gesund, oder nicht? Tut dein Bein noch sehr weh?“
„Nein, nicht mehr so sehr.“
„Nun“, fuhr Lournu fort, „meine Ahnfrau jedenfalls war bald eine bekannte Heilerin, und manches wurde wohl auch bis ins Maßlose hinein aufgebauscht, je weiter man sich von Pol Movenn entfernte. Längst musste sie keine Pilze mehr sammeln, um sich zu ernähren. Aus der alten Pilzfrau war angesehene Zauberin geworden, und sie lebte nicht schlecht dabei.
Auch Flaric war inzwischen nicht mehr der junge, unbekümmerte Prinz von damals, der in den Wäldern herum streifte und Gespenster suchte. Nach dem Tode Eirikirs war er König geworden, und da blieb nicht viel Zeit, um über Spukgestalten nachzugrübeln. In jenen Tagen legte die Handelsstadt Ura sich einen neuen Hafen an der Mündung des Lethargyrion an: Urasport, eine hübsche kleine Hafenstadt. So hatte der junge Säulenkönig seinen Hof nach Ura verlegen lassen, um die Bauarbeiten besser verfolgen zu können.“
„Dann hat er nie erfahren, dass er die Hexenzunft begründet hat?“, warf Ardua ein. „Das ist aber schade.“
„Man muss nicht alles wissen über die Dinge, die man geschaffen hat. Flaric hatte wichtigere Dinge zu bedenken, da blieb keine Zeit für Geschichten von Kräuterhexen und Nachtgespenstern. Frag einmal deinen Vater den König, ob er noch Zeit zum Träumen hat. Flaric hatte alle Sorgen und Nöte Movennas in seinen königlichen Gedanken zu bewegen. Nachts wachte er schweißgebadet auf und hatte von Kostenvoranschlägen geträumt für den Bau des Hafenbeckens von Urasport.
Nein, es war kein leichtes Amt, das Königsamt von Movenna. Und so ist es kein Wunder, dass der gute König Flaric am Ende krank wurde dabei. Ein faustgroßes Geschwür unten am Bauch hat ihm die Sache eingetragen, und seine Ärzte schüttelten traurig die Köpfe darüber, denn sie konnten es nicht operieren. Flaric, der spürte, wie es mit ihm zu Ende ging, schrieb sein Testament, und dann legte er sich hin und erwartete den Tod.
Ganz bestimmt hätte der ihn auch ereilt, wenn nicht gerade in diesen Tagen der Kaufmann nach Urasport gekommen wäre, den Achlys damals geheilt hatte. Als er vom Zustand des Königs hörte, erinnerte er sich an die Zauberfrau und berichtete Flarics Familie von ihr. Sofort wurden Boten ausgesandt, zwanzig schwarze Ritter galoppierten nach Pol Movenn und suchten und fragten, bis sie die berühmte Wunderheilerin gefunden hatten.
Achlys hatte ein wenig Angst, als man sie fast gewaltsam ins Krankenzimmer des Königs hineinschob. Denn wie sollte sie dem Kranken etwas vorzaubern, sie kannte ja nur den einen Zauberspruch, den er sie damals gelehrt hatte. Sicher, sie hatte viele Menschen geheilt inzwischen, doch waren das Menschen gewesen, die an sie geglaubt hatten. So trat sie sehr zögernd an sein Bett.
Flaric erkannte sie nicht. Er lag zusammengerollt da und atmete schwer. Das Geschwür hatte inzwischen die Größe eines Kindskopfs, dick und rot leuchtete es, und es war leider gar kein Zweifel mehr möglich, dass es ihm ans Leben griff, wenn nicht schnell etwas geschah. Seufzend packte sie ihre Salben aus und fing an, den König einzureiben.
Flaric war inzwischen alles egal, was man mit ihm anstellte. Teilnahmslos lag er dort, starrte die Wand an und ließ auch diese Kur gleichmütig über sich ergehen. Nur ein leises Murmeln hörte er, jemand sagte einen Zauberspruch auf. Doch plötzlich stutzte er. Irgendetwas an der Frau kam ihm bekannt vor. Er fasste sie näher ins Auge, und als er nun die Ohren spitzte, da verstand er, was sie sagte: ‚Helpt dat nich, dann schad’t ook nich’, brummte sie vor sich hin. Als Flaric die alte Pilzfrau wiedererkannte, brach er in Gelächter aus. ‚Das ist doch nicht wahr!’, prustete er. ‚Das kann doch nicht wahr sein, dass du tatsächlich mit dem Doktern angefangen hast!’ Er konnte sich gar nicht mehr halten vor Lachen, er lachte und lachte, so laut lachte er, dass die Wände des Zimmers zu zittern begannen, und plötzlich gab es einen lauten Knall, und das Geschwür platzte auf.“
„Und dann?“, fragte Ardua.
„Nun, Flaric musste natürlich noch ein paar Tage lang im Bett bleiben, aber er ist wieder vollständig gesund geworden. Er lebte noch lange glücklich und zufrieden, und wenn er nach Pol Movenn kam, ließ er es sich nie nehmen, hinüber zur Triftafurt zu reiten und Achlys zu besuchen. Dann schwatzten beide vergnügt über alte Zeiten, und manchmal erzählten sie sich auch Gespenstergeschichten. Nur von den Salben der Hexe war der König überhaupt nicht begeistert, und er nahm ihr das feierliche Versprechen ab, ihm nie wieder mit ranziger Butter auf den Leib zu rücken.“
„Verständlich“, fand Ardua.
Lournu lächelte. Sie schob den Topf zu ihm hinüber und forderte ihn auf: „Jetzt du.“
„Wie?“ Ardua riss die Augen ungläubig auf. Wollte die Hexe allen Ernstes von ihm verlangen, dass er das Ekelzeug anfasste?
„Du wolltest es lernen. Da an der Hand ist noch ein Kratzer offen.“
Widerstrebend tauchte er die Fingerspitze in das Fett und strich es über den verletzten Handrücken. Die Wunde war klein. Sie würde auch ohne Quacksalbereien heilen. Also, wozu das alles.
„Na los, sag es.“
Ardua spürte ein merkwürdiges Kribbeln in den Fingerspitzen. „Helpt dat nich, dann schad’t ook nich“, flüsterte er andächtig.
Als sich der Kratzer unter seinen Fingern schloss, war Ardua etwas verwirrt. Vorsichtig tastete er über die Stelle, die eben noch zerrissen und blutig unter seinen Fingerspitzen gelegen hatte. Nicht einmal eine Narbe war zurückgeblieben, verschwunden wie der brüllende Schmerz in Oberschenkel und Armen war der kleine Kratzer auf dem Handrücken, als hätte es ihn niemals gegeben.
„Das verstehe ich nicht“, murmelte er. „Lournu, wie funktioniert dieser Zauber?“
„Oh“, entgegnete sie gelassen, „der funktioniert sehr gut.“ Sie drückte den Deckel auf den Topf. „Genug gezaubert für heute. Und jetzt nimm dir einen Spaten und vergrab das alte Gammelzeug hinterm Haus, ja? Ich hätte es längst wegwerfen sollen. Das ist ja nicht zum Aushalten mit dem Gestank.“
Seufzend trug Ardua den Topf hinaus. Eines Tages, das nahm er sich fest vor, würde er das Geheimnis der movennischen Magie lösen. Und er hoffte, dass er dafür die Butter nicht wieder ausgraben musste.