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Oktober 2001, Generalprobe

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Gegen zwei Uhr morgens verlässt sie das Theater. Die Generalprobe an diesem Abend war ein großer Erfolg; sie hatte die Partie zum erstenmal komplett ausgesungen und fühlte sich überhaupt nicht heiser. Der Regisseur hatte keine szenischen Verbesserungsvorschläge für sie, der Dirigent hob nur im Vorbeigehen den Daumen und rief „Bis Samstag!“ Sein Assistent blätterte zwar aufgeregt in seiner Kladde, aber es gab keine musikalischen Korrekturen für sie. Sie ließ ihr Bühnen-Make-up drauf und begab sich in die Kantine zu den Kollegen.

Sie trank drei Weißbier und aß nichts. Wieder nichts. Sie fühlte sich leicht, schlank, begabt und geliebt.

Sie tänzelt durch den stillen, schwarzen Park. Es ist schön, hier nachts allein zu sein. Und dann kommt es. Es kommt wieder ohne Vorwarnung, aber natürlich ist sie vorbereitet. Sie sieht im frühen Oktober-Morgennebeldunst die Brücke, fahl beleuchtet, dahinter schemenhaft ihr Haus, und beschleunigt ihren Schritt.

Was nun kommen wird ist nötig, zwingend notwendig. Sie weiß, sie muß es hinter sich bringen, sonst würde sie nicht schlafen können. Nun rennt sie fast, hört sich wie von ferne selber wimmern, „nein, nein!!“

Mit fliegenden Fingern schließt sie die Haustür auf, hastet nach oben. Sie macht das Küchenlicht an, zieht den Mantel aus. Sie hat jetzt alle Zeit der Welt, denn sie weiß, es würde passieren.

Die CD, die sie braucht, liegt obenauf. Die Tracknummer hat sie im Kopf; Charlottes Arie „Les larmes qu‘on ne pleure pas“ aus Massenets “Werther”. Ungeweinte Tränen fallen in die Seele zurück. Alkohol hat sie genug im Blut, dieser Teil der Vorbereitung kann also übersprungen werden. „Va, laisse couler mes larmes“.

Sie ist nur noch eine Membran, fühlt sich durchlässig für alle Emotionen der Welt, ist alle Gefühle aller Menschen.

Denn inzwischen steht sie in der Küche und hat sich mit dem Brotmesser die ersten Schnitte in Unterarm und Oberschenkel beigebracht. Es tut viel weniger weh als man vermuten würde.

Dann kommt das Blut. Nicht viel; dünne, rote Fäden. Sie begibt sich ins Bad und setzt sich auf den Rand der Badewanne, unverrückbarer Teil des Rituals. Sie tupft das Blut mit Toilettenpapier und Wattepads ab. Fürsorglich, mitleidsvoll.

Jetzt kann sie schlafen.

Pamina hat Hunger

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