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2.2.3Papst Pius XI.: Divini illius magistri

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Am 31.12.1929 brachte Papst Pius XI. in der Enzyklika „Divini illius magistri – Rundschreiben über die christliche Erziehung der Jugend“100 seine Vorstellungen von einer katholischen schulischen Erziehung im Kontext der Trias Staat – Kirche – Eltern im Rahmen eines theologischen Lehrschreibens zum Ausdruck. Diese Enzyklika gilt als erste systematische und zusammenhängende Abhandlung über die Grundsätze einer katholischen Erziehung.101

„Divini illius magistri“ ist eine lehrhaft angelegte Schrift, die ihren argumentativen Ausgang in der Feststellung einer „allgemeinen Zeitlage“ nimmt und ihre Kausalität im kirchlichen Selbstverständnis einer Gesellschaft vollkommener, übernatürlicher Ordnung102 findet: Insofern die Familie, so die Argumentation, als Gesellschaft natürlicher Ordnung eine zum Zweck der Zeugung und Erziehung der Nachkommen unmittelbar von Gott geschaffene Einrichtung ist, nimmt sie gegenüber dem Staat, der ebenfalls natürlicher Ordnung ist, eine natürliche und damit auch rechtliche Vorrangstellung ein. „Zunächst steht die Erziehung in ganz überragendem Sinne der Kirche zu auf Grund zweier Rechtsansprüche übernatürlicher Ordnung.“103 Aus diesem Selbstverständnis heraus ergeben sich Recht und Pflicht der Kirche zur schulischen Erziehung. So ist es Aufgabe der Kirche, dort ein Einvernehmen mit dem Staat herzustellen, wo es in dieser Hinsicht Schwierigkeiten gibt.104 Die Kirche hat somit einen zweifach vorrangigen Auftrag gegenüber dem Staat. Sie nimmt eine inhaltliche und eine institutionelle Vorrangstellung ein. Zwar ist die Erziehung Aufgabe „aller drei Gesellschaften“105, also von Staat, Eltern und Kirche. Der Kirche aber steht diese aufgrund des göttlichen Auftrags ganz besonders und vorrangig und absolut zu. Im Sinne der Enzyklika kann mit Blick auf die Fragestellung, wem das Recht auf Erziehung zusteht, also folgende „institutionelle Rangfolge“ aufgestellt werden: zunächst der Kirche als Gesellschaft übernatürlicher Ordnung, qua göttlichen Auftrags als Vermittlerin der göttlichen Heilsmittel (Sakramente und Gebote), dann dem Elternhaus als von Gott geschaffener Gesellschaft und schließlich dem Staat in subsidiärer Funktion106 gegenüber dem elterlichen Recht auf Erziehung.

In der Frage also, welchen Charakter die Institution Schule im Spannungsfeld Kirche – Eltern – Staat einnimmt, ist „Divini illius magistri“ folglich eindeutig: Die Schule ist ihrem Wesen nach eine subsidiäre Einrichtung, die den natürlich begründeten erzieherischen Auftrag der Eltern ergänzt. Der Staat handelt in subsidiärer Funktion gegenüber diesem elterlichen Recht. Insofern leistet die Kirche auch einen Beitrag zur Stabilisierung des Staates bzw. des staatlichen Auftrags, denn Inhalt und Absicht katholischer Erziehung gehen konform mit dem Ziel eines guten Staatsbürgers. Die Kirche bietet dem Staat durch die Erziehung der Kinder und Jugendlichen ein Wertekorsett an, das ihm Orientierung und Richtung gibt. „Sie wollen ihre Kinder damit nicht etwa vom Körper und Geist des Volkes lostrennen, sondern sie auf die vollkommenste und dem Wohl der Nation dienlichste Art dafür erziehen. Denn der gute Katholik ist gerade kraft der katholischen Glaubenslehre auch der beste Staatsbürger.“107 Hier entdeckt man eine legitimierende Beweisführung, die nach 1945 noch einmal aktuell wurde.

Für unsere Fragestellung lässt sich nun resümieren und nochmals zuspitzen:

Papst Pius XI. nimmt ein vorrangiges kirchliches „Recht auf Erziehung“ in Anspruch, das er aus der „natürlichen Ordnung“ ableitet. Aus diesem auf naturrechtlicher Apologetik gründenden Kausalzusammenhang leitet er einen kirchlichen Aufsichtsanspruch über das erzieherisch und bildend tätige Lehrpersonal und die sächlichen Mittel (Schulbücher) ab, der sich aus dem Selbstverständnis einer Kirche als „Besitzerin und Hüterin der Wahrheit“ ergibt. Eben weil Wahrheit nur in der Katholischen Kirche zu finden ist und letztgültiges Ziel aller Erziehung und Bildung darstellt, kann nur die Kirche den Wächterdienst über die richtige Erziehung ausüben: „Da die Erziehung ihrem Wesen nach in der Bildung des Menschen besteht, wie er sein und im Diesseits seine Lebensführung gestalten soll, um das erhabene Ziel zu erreichen, für das er geschaffen ist, so ist es klar, daß es keine wahre Erziehung geben kann, die nicht ganz auf das letzte Ziel ausgerichtet ist, und daß es darum in der gegenwärtigen Ordnung der Vorsehung, nachdem Gott sich uns in seinem eingeborenen Sohne geoffenbart hat, der allein ‚der Weg, die Wahrheit und das Leben‘ ist, keine angemessene und vollkommene Erziehung außer der christlichen geben kann.“108 In seinen Ausführungen leitet Pius XI. aus dem Sendungsauftrag Jesu an seine Jünger den Sendungsauftrag der Kirche sowie aus dem Seinsverständnis einer „Kirche als Braut Christi“ im Sinne einer geistigen Mutterschaft über alle Geschöpfe ein kirchliches Alleinstellungsmerkmal in Fragen der Erziehung des Menschen ab.109 „Daraus folgt mit Notwendigkeit, daß die Kirche wie im Ursprung so auch in der Ausübung ihrer Erziehungsmission unabhängig ist von jeder irdischen Macht nicht allein hinsichtlich ihres eigentlichen Gegenstandes, sondern auch hinsichtlich der notwendigen und angemessenen Mittel zu deren Erreichung. Hinsichtlich jeder weiteren Erziehung und menschlichen Schulung, die in sich betrachtet Erbgut aller, der Einzelnen wie der Gesellschaft sind, hat darum die Kirche das unabhängige Recht, von ihnen Gebrauch zu machen und besonders darüber zu urteilen, inwieweit sie der christlichen Erziehung nützlich oder schädlich sind.“110

Die in „Divini illius magistri“ benannten inhaltlichen Ansprüche an eine katholische Erziehung folgert der Papst aus Schrift und Tradition: Der gefallene, d. h. erbsündige Mensch neigt aufgrund seiner natürlichen Verfasstheit zur Schwäche des Willens und zu Triebhaftigkeit. Hieraus resultiert der erzieherische Auftrag der Kirche, nämlich durch Lehre und Sakramente das Ungeordnete im Kind zu verbessern und es durch Schulung des Verstandes und Festigung des Willens zur sittlichen Reifung zu führen.111 Diese Überzeugung verknüpft Pius XI. mit einer Reihe von Abweisungen verbreiteter Ansichten und Überzeugungen:

Ablehnung einer als „pädagogischer Naturalismus“ bezeichneten Auffassung, die das Kind als autonomes Wesen unbegrenzter Freiheit definiert und aus der ein erzieherischer Primat des Kindes unabhängig vom göttlichen Gesetz abgeleitet wird;

Ablehnung von Despotismus und Gewaltanwendung in der Erziehung;

Ablehnung von Erziehungskonzepten, die nicht auf der Basis von Dekalog, Evangelium und Naturgesetz – als dem Menschen genuine, eingepflanzte Fähigkeit, das göttliche Gesetz mit dem Verstand ergründen zu können – gründen;

Ablehnung von Konzepten, die eine Befreiung des Kindes von religiöser Bevormundung anstreben;

Ablehnung von Konzepten einer verfrühten sexuellen Aufklärung als Folge der Missbilligung des christlichen Menschenbildes, das um dessen angeborene Tendenz zu einer Schwäche des Willens weiß, denn „solange noch das Kindesalter andauert, wird es genügen, die Heilmittel anzuwenden, welche die Doppelwirkung haben, der Tugend der Keuschheit den Weg zu bereiten und dem Laster die Tore zu verschließen“112.

Ablehnung der Koedukation, die sich aus der Schöpfungsordnung ergibt, die eine Abstufung der Geschlechter in Familie und Gesellschaft vorsehe. Christkatholische Erziehung habe eine Trennung nach Alter und Umstand vorzunehmen. Konkret benannt werden die „gefährlichen Entwicklungs- und Reifejahre“, die Sportstunden sowie eine Rücksicht auf das „christliche Schicklichkeitsgefühl“ der Mädchen.

Ablehnung von Widersprüchen zwischen den Inhalten des Religionsunterrichts und andere Fächer, auch in der Auswahl der Lektüre.113

Zur Frage, an wen sich die formulierten Erziehungsansprüche und Erziehungsgrundsätze wenden, finden sich in der Literatur unterschiedliche Auffassungen. Wer sind die „christifideles“, an die sich die Enzyklika richtet? Dabei interessiert uns weniger die Klärung der Frage, für wen ihre Aussagen normative Gültigkeit besitzen.114 Was hier vielmehr interessiert, ist die Klärung der Frage nach möglichen Propria einer KGS aus der Historie heraus, also in Auswertung der vorliegenden Enzyklika. Sicherlich ist inhaltlich insgesamt kritisch festzuhalten, dass die von Pius XI. formulierten Grundsätze einer christlichen Erziehung wenig substanziell und vielfach von einer negativen Weltsicht geprägt sind. Auch spiegelt die Enzyklika ein stark objektbetonendes Bild vom Kind wider, so dass das Kind als eigenständiges Wesen nur wenig Beachtung findet.

Dennoch: Die Enzyklika enthält sehr wohl erste Ansätze eines subjektiven Rechts des Kindes auf Bildung und Erziehung, wie zum Beispiel nachfolgendes Zitat zeigt: „Aus den angeführten Grundsätzen erhellt gleichfalls klar und deutlich die, man kann wohl sagen unübertreffliche Vorzüglichkeit des christlichen Erziehungswerkes, das letzten Endes dahin zielt, den Seelen der zu Erziehenden das höchste Gute, nämlich Gott […] zu sichern.“115

Bleibt man in der Wahrnehmung und Rezeption dieses heute fremd anmutenden Textes hartnäckig und fragt weiter, ob sich Bemerkenswertes finden lässt, das zum Nachdenken und zur Profilierung heutiger Katholischer Bekenntnisschulen herausfordert: Ohne in dieser Ausrichtung einem universalen Anspruch katholischer Auffassungen oder restaurativen Tendenzen und Neigungen das Wort zu reden und einmal abgesehen vom lehrhaften Duktus, von den zahlreichen Negativformulierungen im Text und der aus heutiger Sicht problematischen theologischen Argumentation, lassen sich in „Divini illius magistri“ nämlich tatsächlich einige interessante Reflexionsimpulse einer christlichen Erziehung freilegen, die in der aktuellen pädagogischen Diskussion ihren Platz haben. Befragt man also nochmals die oben genannten Punkte, ob sie für heutige Katholische Grundschulen und die Frage nach einer „Erziehung und Bildung im Geiste des Bekenntnisses“ den Charakter eines Reflexionsangebots haben könnten, denn sie berühren durchaus auch moderne Fragestellungen: Dazu gehören zum Beispiel die Aspekte einer genderorientierten Erziehung, der Gewalt in der Erziehung, einer altersangemessenen Sexualerziehung angesichts der Gefahr subjektiver Überforderung von Kindern, Fragen nach einem „Recht des Kindes auf Religion“. Die Beantwortung all dieser Fragen könnte zur Profilbildung Katholischer Grundschulen beitragen.

Die kritische Einlassung von Schmitz-Stuhlträger, die in „Divini illius magistri“ formulierten erzieherischen Absichten seien rein auf das „Seelenheil“ und das „Jenseits“ ausgerichtet, so dass das Leben im „Diesseits“ keinen Eigenstand mehr besitze, findet zweifelsfrei ihre Berechtigung: Die Erlangung des „Seelenheils“ als Verheißung auf ewiges Leben und zum „Schutz vor den Qualen des Fegefeuers“ durch konsequente Befolgung der kirchlichen Gebote, Regelmäßigkeit in den Frömmigkeitsübungen und Teilhabe an den Sakramenten der Kirche als Ziel christlicher Erziehung sind theologisch kritisch zu hinterfragen. Ob allerdings eine reine „Diesseitsorientierung“ als Grundlage erzieherischen Handelns die entsprechende Alternative bildet, ist einer zeitkritischen Anfrage wert.

Schließlich sei ein letzter Aspekt an dieser Stelle hervorgehoben, weil er zeithistorisch bemerkenswert ist: Grundsätzlich unterscheidet die Enzyklika zwischen den Gläubigen und den Ungläubigen.116 Insofern, hier folge ich Schmitz-Stuhlträger117, die Enzyklika von einer erzieherischen Sendung spricht, nimmt sie – gegenüber den Ungläubigen – den Charakter eines Angebots an.

Zugegeben: Der Blick auf die Enzyklika „Divini illius magistri“ hat für die Suche nach transformationsfähigen Propria kaum wesentliche Aspekte hervorbringen können. Er war aber dennoch unumgänglich, weil in diesem Text der in den unmittelbaren Nachkriegsjahren aufblühende kirchliche Anspruch auf ein „Recht zur Erziehung“ wurzelt. Dies unterstreicht auch Klöcker: „Der Rekurs auf den in der Erziehungsenzyklika von 1929 reklamierten ‚kirchlichen Totalitätsanspruch‘ […] als erster Erziehungsträger im Rahmen hierarchisch gestufter Ordnung und Wahrheitsverkündigung wird in den 1950er Jahren nochmals verstärkt.“118 Neben den wegweisenden Erkenntnisgewinnen muss demnach kritisch die Frage gestellt werden, ob und inwiefern – auch nachkonziliar – die Idee eines geschlossenen katholischen Milieus (katholische Lehrer, katholische Eltern, katholische Schule), wie es in „Divini illius magistri“ intendiert, vorausgesetzt und beschrieben wird, ein – weil nicht ins Bewusstsein gehobenes – unhinterfragtes Leitmotiv der KGS geblieben ist.

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