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Kapitel 4 Lisa

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Lisa winkte in der großen Pause ihre engsten Freundinnen zusammen: Karo, Micha und Sarah. »Ich muss euch was mega-geheimes erzählen«, flüsterte sie geheimnisvoll.

Erwartungsvoll zog Sarah, Lisas beste Freundin, die Augenbrauen hoch. Sarah und Lisa kannten sich seit ihrer Kindheit. Ihre Eltern hatten im gleichen Wohnblock gewohnt und die Töchter hatten im Sandkasten zusammen gespielt. Sarah, klein, schlank, zierlich, mit langen dunkelblonden Locken und großen blauen Augen, war schon immer die hübscheste der Clique gewesen, wie Lisa neidlos feststellte – oder fast neidlos. Karo, eigentlich Karoline, war ebenfalls ein Hingucker: lange blonde Haare, die Haut immer sonnengebräunt, fast 1,80 m groß mit breiten Schultern, war sie der sportliche Typ. Leider war sie größer als die meisten Jungs und hatte deshalb Hemmungen. Das würde sie sich aber niemals anmerken lassen. Micha, eigentlich Michaela, war die unscheinbarste von ihnen: mit kurzen dunkelbraunen Haaren, braunen Augen, etwas mollig, wurde sie oft einfach übersehen, aber sie hatte einen herrlichen Humor und war immer hilfsbereit, was Karo und Sarah gerne ausnutzten.

Sarah sah Lisa erstaunt an, das hörte sich aber spannend an. Auch Karo und Micha schauten neugierig und beugten sich näher zu Lisa. Die vier waren ein eingeschworenes Team und verbrachten viel Zeit, auch außerhalb der Schule, miteinander. Lisa, Sarah und Karo gingen in die gleiche Klasse, Micha besuchte die Parallelklasse, aber in den Pausen hingen sie immer zusammen herum und auch am Nachmittag trafen sie sich oft, um ins Kino zu gehen oder Eis zu essen. Wenn am Ende des Monats kein Taschengeld mehr übrig war, hingen sie bei einer von ihnen in deren Zimmer ab, hörten Musik oder sahen DVDs, gerne mal ein Kettensägenmassaker oder ähnliche Schocker.

Lisa erzählte mit leiser Stimme, was gestern Abend bei ihr zu Hause passiert war: Zuerst der große, dicke Blutfleck vor der Eingangstür, in dem eine junge Frau stand, die völlig aufgelöst schien, die Lisa aber nur leicht verschwommen erkennen konnte. Später dann, im Badezimmerspiegel, das Gesicht derselben jungen Frau, schwer verletzt, mit Blut im Gesicht und schrecklich grauer Gesichtsfarbe, mit wirrem schwarzem Haar und aufgerissenen Augen.

Lisa wurde beim Erzählen schon wieder ganz schlecht und sie wurde blass. Die anderen drei unterbrachen ihren Bericht nicht, sondern sahen sie nur ungläubig an.

»Ihr dürft keiner Menschenseele etwas davon erzählen«, zischte Lisa, »das ist super geheim und niemand darf davon erfahren. Sonst hält mich doch jeder für durchgedreht. Ich hab mich eh schon bei Peter und meiner Mutter blamiert. Peter hält mich für hysterisch und meine Mutter denkt, ich fange wieder mit dem Schlafwandeln an. Aber das war sooo gruselig und ich hatte schreckliche Angst.« Lisa stiegen die Tränen in die Augen. »Schwört, dass ihr es niemanden erzählt!«

Sarah, Karo und Micha sahen sich fragend an und wussten nicht so recht, wie sie reagieren sollten.

Micha machte große Augen und murmelte: »Das ist ja echt cool, versprochen, wir erzählens nicht weiter.« Karo war etwas blass geworden war, nickte aber zustimmend.

Sarah beugte sich zu Lisa. »Und das hast du alles gesehen? Das ganze Blut und so? Hast du die junge Frau erkannt?«

Lisa schüttelte den Kopf. »Nein, die Frau hab ich vorher noch nie gesehen und sie war auch irgendwie unscharf. Genauer hab ich sie nur oben im Spiegel gesehen und sie hat genauso entsetzt ausgesehen wie ich mich gefühlt habe. Mensch Leute, ich hab echt das Gefühl, ich dreh durch. Was soll ich denn jetzt machen?« Lisas Augen füllten sich wieder mit Tränen. »Ich hab Angst, ins Bad zu gehen, und heute morgen musste ich mich zwingen, durch die Haustür zu gehen. Ich hab einfach immer an den großen Blutfleck denken müssen.«

Karo zog ihre Stirn in Falten. »Wir haben doch gestern den Horrorfilm geschaut, vielleicht war der doch zu hart?«

Lisa nickte. »Peter meint das auch. Er denkt, ich bin ein Weichei und meine zarte Psyche verträgt solche Filme nicht. Meine Mutter hats rausgekriegt und mir wieder eine Predigt gehalten. Aber es liegt nicht an dem Horrorschocker. Sowas haben wir doch schon öfter angeschaut, und es hat mir noch nie was ausgemacht. Nicht mal Alpträume hatte ich danach. Außerdem war das alles so echt! Ich glaub, ich dreh durch«, sagte sie kläglich.

Bevor ihre Freundinnen etwas erwidern konnten, klingelte es über den Pausenhof. Die Pause war zu Ende und langsam zogen alle Schüler Richtung Schuleingang. Micha legte Lisa den Arm um die Schultern. »Lass uns das heute Nachmittag nochmal alles bereden. Können wir uns bei dir treffen, Lisa? Bei mir gehts nicht, meine Mutter hat wieder ihre Freundinnen zum Kaffeeklatsch eingeladen.« Sie verdrehte genervt die Augen.

»Ja, klar«, sagte Lisa, »kommt heute Nachmittag zu mir, ich zeig euch dann, wo ich den ›Geist‹ gesehen habe. Aber sagt bloß nichts vor Peter oder meiner Mutter.« Beschwörend sah sie das Trio an.

Alle drei nickten ernsthaft und beeilten sich, in ihre Klassenzimmer zu kommen.

Lisa hörte die Türklingel, schlug das Buch, in dem sie gelesen hatte, zu, rannte aus ihrem Zimmer und eilte die Treppe hinunter. Das konnten nur ihre Freundinnen sein, und tatsächlich standen Karo, Micha und Sarah vor der Tür und grinsten sie fröhlich an.

»Hey, wir sind zur Abwechslung mal pünktlich«, lachte Micha und drängte sich an Lisa vorbei ins Haus.

»Und alle auf einmal«, staunte Lisa und hielt die Tür weit auf, »habt ihr euch verabredet?«

»Nee«, meinte Sarah grinsend, »wir haben uns zufällig an der Ampel an der Hauptstraße getroffen.«

»Kommt, gehen wir nach oben.« Lisa schob Karo Richtung Treppe.

»Hallo ihr«, rief Lisas Mutter aus der Küche. Sie lehnte sich an die Küchentür und trocknete sich die Hände ab. »Was habt ihr denn heute vor?«

»Och, nur ein bisschen Musik hören, oder DVD gucken«, sagte Lisa.

»Hallo Frau Johannsen«, riefen Sarah, Micha und Karo fast gleichzeitig und winkten Lisas Mutter zu.

»Braucht ihr noch Getränke und was zum Knabbern?« Lisas Mutter kam in den Flur.

»Nein, ich hab schon alles oben.« Lisa war schon halb auf der Treppe.

»Dann viel Spaß noch, ihr vier«, rief ihnen Lisas Mutter nach, aber die Mädchen hörten schon nichts mehr. Sie schlüpften bereits in Lisas Zimmer und machten es sich gemütlich.

Karo schnappte sich die Schüssel mit Erdnussflips und warf sich damit aufs Bett. Einige Flips flogen auf den Teppich und die Bettwäsche. Karo machte es sich bequem und zog die Beine unter sich. Micha und Sarah bedienten sich an den Getränken und setzten sich auf die kleinen Sessel, die in Lisas Zimmer standen.

Lisas Zimmer war sehr groß. Sie hatte außer einem Schreibtisch und einem großen Bücherregal noch ein paar zierliche bunte Sessel um einen kleinen Glastisch gruppiert. Auf dem Holzboden lagen dicke, flauschige Teppiche. Die Wände waren mit heller Farbe gestrichen und das Wandstück hinter dem Bett war als Hingucker in blutroter Farbe gehalten. Dazu passte im Moment die Bettwäsche auf ihrem übergroßen Bett, worauf Lisa besonders stolz war. Das Bett und auch der Schreibtisch waren aus massiven Holz, groß und alt, Beutestücke ihrer Mutter, die es liebte, auf Flohmärkten zu stöbern und dabei immer wieder auf alte Schätze stieß. Lisa fühlte sich sehr wohl in ihrem Zimmer. Sie hatte die Einrichtung komplett mitbestimmen dürfen und jedes Detail war nach ihrem Geschmack.

Inzwischen hatte Sarah eine CD in den Player gelegt und saß auf dem Boden umgeben von CD-Hüllen, sah sich jede kurz an und warf sie dann achtlos zur Seite.

Lisa seufzte. Wenn ihre Freundinnen zu Besuch waren, konnte sie hinterher erst einmal stundenlang aufräumen und sauber machen. Sie linste angewidert auf die Erdnussflips, die auf dem Teppich und in ihrem Bettzeug zerkrümelten.

»Was wollen wir denn heute Nachmittag machen?«, fragte Karo mit vollem Mund und stopfte gleich noch eine Handvoll Flips nach.

»Wir wollten doch Lisas Erlebnisse von gestern besprechen«, meinte Sarah und hob kurz den Kopf von der Begutachtung der CDs.

Lisa setzte sich auf ihrem Bett bequem zurecht und stopfte sich ein großes Kissen in den Rücken. Sarah ließ die CDs liegen und legte sich bäuchlings mit aufs Bett. Auch Micha kam herüber und setzte sich am Boden auf den dicken Bettvorleger.

»Mir ist noch ganz schlecht, wenn ich an gestern denke, und gestern Abend hab ich mich ehrlich nicht ins Bad getraut. Ich hab mich reingeschlichen und nicht einen Blick in den Spiegel geworfen. Wenn ich irgendwo auch nur den kleinsten Laut gehört hätte, hätte ich, glaub ich, wie am Spieß geschrien.«

Sarah legte Lisa mitleidig die Hand auf den Arm. »Das glaub ich dir, Mann, ich hätte auch total Schiss, wenn mir sowas passiert wäre.«

»Können wir uns den Blutfleck denn mal anschauen?«, fragte Karo kauend. Micha nickte fragend und sah Lisa auffordernd an.

»Eigentlich seid ihr schon drauf gestanden, als ihr unten reingekommen seid«, sagte Lisa.

»Was???« Micha sprang vor Schreck in die Höhe.

»Das ist jetzt nicht dein Ernst«, ächzte Sarah, und Micha begann unter Verrenkungen ihre Schuhsohlen zu untersuchen.

»Aber da ist doch nichts zu sehen«, winkte Lisa ab, »das Blut war nur ein paar Sekunden da, solange ich die junge Frau gesehen habe.«

»Boah, wie gruselig,« meinte Karo, »aber bist du dir sicher, dass du dir das nicht eingebildet hast? Abends sind da bestimmt Schatten auf dem Boden und die Gestalt war doch unscharf, sagtest du.« Karo warf ihr einen Seitenblick zu. »Naja, keine Ahnung«, murmelte sie unsicher.

Lisa war enttäuscht. »Ihr glaubt mir also nicht«, sagte sie leise und ließ den Kopf hängen.

»Na klar glauben wir dir.« Karo tätschelte ihren Arm. »Aber es gibt dafür vielleicht eine logische Erklärung. Glaubst du denn im Ernst, dass dir ein Geist erschienen ist?« Karo zog die Augenbrauen hoch. Auch Sarah schaute skeptisch.

Lisa lehnte sich zurück. Eigentlich klang alles, was sie erzählte, ja auch nicht sehr glaubwürdig und einen Beweis konnte sie auch nicht vorlegen. Aber sie war sich so sicher, dass sie das alles wirklich gesehen hatte. Vor allem nach dem Vorfall im Badezimmer fühlte sie, dass sie die junge Frau tatsächlich gesehen hatte. Mochte man den Blutfleck auch mehr oder weniger logisch erklären können – das Gesicht der Frau im Spiegel würde sie ihr Leben lang nicht mehr vergessen.

Inzwischen drehte sich der Gesprächsstoff der Mädchen um die brandneue CD ihrer Lieb­lings­sängerin und die alte Geschichte von einem Teeniestar, der seinen kleinen Affen vom deutschen Zoll nicht mehr abgeholt hatte, was allgemeine Empörung auslöste.

Lisa fühlte sich auf einmal sehr alleine. Ihre Freundinnen hatten nicht das geringste Interesse an ihrem Problem. Sie hätte ihr Erlebnis gerne ausführlich mit den dreien besprochen, sie musste sich einfach aussprechen um das Ganze zu verarbeiten, vor allem, da sie mit ihrer Familie nicht darüber reden wollte. Sie hatte schlecht geschlafen, die ganze Nacht verfolgten sie Albträume, das Bade­zimmer betrat sie nur noch mit einem mulmigen Gefühl. Es hätte ihr wirklich gut getan, wenn ihre Freundinnen mehr Interesse gezeigt hätten. Jetzt fiel ihr auf, wie oberflächlich die drei eigentlich waren – sie hatten so gar kein Gefühl dafür, dass es Lisa schlecht ging, und wenn doch, dann war es ihnen egal. Im Zimmer sah es, wie nach jedem Besuch der Freundinnen, wie nach einem Überfall aus: auf dem Schreibtisch hatte jemand Cola verschüttet, auf dem Bett und überall am Boden lagen Chips und Flipskrümel herum. Auf dem Teppich vor ihrer kleinen Stereoanlage lag ihre komplette CD-Sammlung verstreut, das Bett war völlig zerwühlt und zerknautscht und einer der kleinen Sessel war umgekippt, als Micha versuchte, ein umkippendes Glas Cola zu retten. Chaos pur, und Lisa musste nachher alles wieder aufräumen und für Ordnung sorgen. Sie seufzte tief und wünschte sich, das ihre Freundinnen endlich gehen würden.

Gano

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