Читать книгу Der mondhelle Pfad - Petra Wagner - Страница 11

Wer schenkt, findet eine offene Tür

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„Was?! Großmutter Mara! Du kommst nicht mit?“

Loranthus fiel das Weißbrot samt Rührei fast aus der Hand und er war mit hektischen Abfangbewegungen beschäftigt, weshalb er nicht bemerkte, wie Mara griente.

„Du brauchst doch nicht gleich alles fallen lassen, Loranthus! Die Hörner rufen erst morgen früh!“

Seufzend klatschte Loranthus sein matschiges Rührei ins Brot und rollte alles fest zusammen.

„Das habe ich mir ja schon gedacht, dass sie uns zum Sammeln rufen, aber ich hatte auch gedacht, dass alle mit zu Lugnasad gehen. Das habe ich gelesen.“

„Was du alles für ein Zeug liest!“ Mara schüttelte strafend den Kopf und tätschelte begütigend seine Hand. „Loranthus. Denk doch mal logisch. Bis zur Festwiese seid ihr zwei Tage unterwegs. Das Fest dauert mehrere Wochen, danach wieder nach Hause … Wer soll sich denn solange um das Viehzeug kümmern? Alle alten Leute bleiben hier.“

„Ach ja, daran habe ich gar nicht gedacht“, murmelte Loranthus und sah schuldbewusst zu Arminius. „Ein Bauer denkt immer zuerst an sein Viehzeug?“

Arminius nickte nachsichtig.

„Sehr richtig, Loranthus. Deshalb bleiben die Ältesten zu Hause.“

„Aber dann verpasst Großmutter Mara die Wettspiele, die Händler, ihre Verwandten …!“

Mara tätschelte ihm noch schwungvoller die Hand und winkte ab.

„Ich habe in meinem Leben schon so viele Male Lugnasad gefeiert … Glaube mir, Loranthus: Für mich ist es nicht so schlimm, darauf zu verzichten. Seid ihr jungen Leute nur alle ausgelassen und fröhlich … wir alten machen es uns zu Hause auch schön.“

Loranthus lehnte sich beruhigt an die Lehne zurück, zuckte aber gleich wieder vor.

„Wie willst du das ganze Viehzeug alleine unterhalten, Großmutter Mara?! Das schaffst du doch nie!“

Mara gluckste vergnügt und tätschelte ihm die Wange.

„Ihr nehmt natürlich etliches Vieh mit. Davon wird ein Teil abgegeben, je nachdem wie groß der Clan ist. Diese Tiere kommen sogar auf gesonderte Weiden, damit nichts verwechselt wird. Euer Nutzvieh kommt ebenso extra, ihr braucht schließlich frische Milch und Eier.“

„Gut, das habe ich verstanden, aber was ist mit dem Stier? Dem möchte ich nicht allein gegenüberstehen!“

„Der wird auf dem Viehmarkt mit einem anderen Zuchtstier getauscht. Arminius wird sich um ihn kümmern. Bei dem ist er folgsam wie ein Lämmchen, besonders wenn er die schmackhafte Kräutermischung von Flora intus hat“, kicherte Mara verschlagen, doch Loranthus grübelte immer noch, also ergänzte sie: „Das Viehzeug was hier im Dorf bleibt, kommt auf solche Weiden, dass ich nur noch das Gatter aufmachen muss und sie können die nächste abgrasen. Die Gänse versorgen sich selbst, die Hühner kommen abends von alleine … Du siehst, Loranthus, wir machen das nicht zum ersten Mal.“

Sie tätschelte ihn wieder.

„Und wenn es doch mal Probleme geben sollte, ist das nächste Dorf nicht weit, ich habe ein Signalhorn.“ Was sie allerdings nicht brauchen würde, weil sich die alten Leute der umliegenden Höfe immer in einem Dorf trafen. Sie kümmerten sich gemeinsam um das Vieh, aßen zusammen, erzählten, tanzten und was man sonst noch zusammen machen konnte, auch wenn man alt war. Aber das verriet sie ihm nicht. Er hatte ja selbst einen Kopf zum Denken.

Loranthus kam zwar nicht auf derlei Gedanken, aber er machte sich nun keine Sorgen mehr um Großmutter Mara. Daher konnte er sich endlich dem auffordernden Blick von Silvanus zuwenden, sogleich besann er sich auf seine eigenen Probleme.

„Viviane, wie viel kosten die beiden sandfarbenen Hengste, die du von zwei Chatten … äh übernommen hast? Ich würde sie dir gerne abkaufen.“

Viviane ruckte verdutzt hoch und sah plötzlich zwei Männer vor sich, die überheblich grinsten. Hinter ihren streitlustigen Visagen sah sie ihren Vater, der anscheinend versuchte, ein stummes Zwiegespräch mit ihr zu führen. Sie schüttelte den Kopf und riss sich zusammen.

„Die kosten nichts, Loranthus. Das ist unser Gastgeschenk an dich.“

„Beim Hermes! Ihr könnt mir doch nicht solch ein wertvolles Gastgeschenk machen!“, entfuhr es Loranthus. Im gleichen Moment wurde er sich seiner Lautstärke bewusst und er hob begütigend die Hände, erst vor Viviane, dann vor Arminius.

„Arminius! Ich weiß doch, wie viel euch Pferde hier bedeuten! Das kann ich nicht annehmen!“

Arminius legte seine Hände geschlossen auf den Tisch und öffnete sie, als wolle er ihm etwas reichen.

„Loranthus. Gerade deshalb machen wir sie dir zum Geschenk. Nimmst du es nicht an, beleidigst du nicht nur Viviane und mich, sondern unsere gesamte Familie.“

Loranthus zuckte zurück und wedelte entsetzt mit den Händen.

„Natürlich würde ich gerne euer Geschenk annehmen und immer in Ehren halten … aber …!“

„Aber was?!“

Loranthus sackte in sich zusammen. Abrupt richtete er sich kerzengerade auf und hielt sich an seinem Tonbecher fest.

„Ich bleibe hier.“

Alle starrten ihn an, als ob der Minotaurus von Kreta höchstpersönlich seinen Becher heben täte. Oh, er hatte Hände der Minotaurus, und er konnte sogar trinken, ohne zu sabbern, obwohl er zitterte. Er verhedderte sich auch nicht mit seinen Hörnern, als er sich durch die Mähne strich und stellte den Becher sehr gesittet auf den Tisch zurück. Manieren hatten sie, diese kretischen Stiere, eindeutig.

Loranthus lugte vorsichtig von einem zum anderen, schielte auf seine Hände und entdeckte einen Fingernagel, den es abzuknabbern galt.

„Also. Elektra will mich …“ Er holte tief Luft und widmete sich dem Problem. „ … nägseslunasaheiradn.“

„Nächstes Lugnasad heiraten“, wiederholte Arminius, um sicher zu gehen, dass er richtig verstanden hatte, grinste von einem Ohr zum anderen und reichte ihm einen Nagelschneider.

Loranthus nahm ihn dankend entgegen und lugte mit gesenktem Kopf in die Runde. So viele blitzende Zähne auf einmal hatte er noch nie gesehen. Es schien, als wollten sie ihm beweisen, wer die Mundwinkel bis zu den Ohren ziehen konnte, sogar Armanu machte mit und gewann eindeutig. Aber sie lachte wohl eher über Loranthus, weil sie öfters solche Grimassen zu sehen bekam, wie er gerade zum Besten gab.

Loranthus wurde diese Tatsache nun auch bewusst, räusperte sich und strich sich über seine neue Frisur.

„Eigentlich wollte ich sie fragen, ob sie mich heiraten will. Aber sie hat mich gar nicht zu Wort kommen lassen und hat stattdessen mich gefragt. Ich komme mir wirklich vor, wie ein Stier, der von einer Maid geritten wird. Das fühlt sich …“

„ … guuut an“, beendete Silvanus und klatschte Loranthus seine Hand auf den Rücken. Er kippte aber nicht so weit vor wie erhofft.

„Du weißt doch, Loranthus, bei uns entscheiden die Weiber, wen sie heiraten wollen und das ist auch gut so. Stell dir nur mal vor, du hättest ein Weib, was dich gar nicht will! Du könntest nachts kein Auge zu tun!“

„Gefährliche Sache, so ein Weib“, pflichtete nun auch Conall bei und gab Noeira einen Kuss. „Aber du brauchst dich wirklich nicht gegängelt wie ein Ochse fühlen, Loranthus. Elektra ist nicht nur eine Maid, sondern auch die Tochter eines angesehenen Königs. Sie muss die Initiative ergreifen, sonst wäre sie ihrem Rang nicht würdig. Verstehst du?!“

Loranthus sah ihn erstaunt an.

„Daran habe ich gar nicht gedacht! Ja, jetzt verstehe ich.“

„Nun wäre also alles geklärt.“

„Nein, nicht ganz“, rief Viviane und stand auf. „Wenn du bei uns bleibst, kannst du natürlich auch kein Gastgeschenk bekommen.“

„Du brauchst sie mir ja nicht schenken, Viviane! Ich kauf sie dir ab! Ich habe noch genug Gold!“ Er sprang auf. „Echte griechische Drachmen aus Gold! Damit kannst du den ganzen Markt leer kaufen, Viviane! Ich hole sie mal runter!“

Loranthus wollte zur Treppe stürmen, doch Viviane vertrat ihm den Weg.

„Dein Gold interessiert mich nicht, Loranthus. Du weißt doch, ich darf meinen Besitz nicht verkaufen.“

„Aber, Viviane! Ich muss in diesem einen Jahr bis zur Hochzeit schnell nach Kreta, meinem Vater alles erklären und dann zu Beltaine … spätestens zu Lugnasad … muss ich wieder hier sein! Das schaffe ich nie und nimmer ohne Pferde!“

„Such dir von meinen welche aus“, bot Silvanus an.

Loranthus ließ die Schultern hängen und Silvanus verstand ihn sofort. Die Pferde aus seiner Kriegsbeute waren bei weitem nicht so kräftig wie die von Viviane. Sie stand da und wartete geduldig, bis er sich wieder ihr zuwandte, drückte ihn auf die Sitzbank zurück und setzte sich gegenüber.

„Loranthus. Kommst du denn nicht von alleine drauf?“, fragte sie mit leicht enttäuschtem Unterton und rieb ihre Hände gegeneinander.

War ihr kalt? Nachdenklich runzelte er die Stirn.

„Nein. Auf was soll ich von alleine dr …“ Seine Hand klatschte schallend auf seine Stirn. „Doch! Jetzt weiß ich’s! Wir machen einen Tausch! Aber …“ Er sah an sich herab und zeigte seine leeren Hände. „ … was könnte ich dir zum Tausch gegen ein paar Pferde anbieten? Ich habe nichts weiter außer Gold!“

Viviane lächelte erfreut.

„Zwei Wünsche.“

„Zwei Wünsche?“

„Ganz genau! Ich gebe dir zwei Pferde und du gibst mir die Erfüllung zwei meiner Wünsche. Da ich aber jetzt keine Wünsche habe, gilt unser Handel bis zum Eintausch des Gegenwertes.“

Viviane sah, wie es in seinem Kopf arbeitete, und schmunzelte. Er schien alle möglichen Szenarien durchzugehen, was sie sich eventuell wünschen könnte. Dabei kam er richtig ins Schwitzen.

„Und wenn ich diese Wünsche gar nicht erfüllen kann?“

„Keine Bange. Natürlich nur etwas, was in deiner Macht steht. Nichts Unmögliches, nichts Lebensbedrohliches und selbstverständlich auch nichts Unehrenhaftes.“

Viviane hielt ihm die Hand hin. Loranthus zögerte keinen Augenblick und schlug ein.

„Nun ist endlich alles ausgehandelt und die herrlichen Pferde gehören dir“, zog Arminius sein Resümee und grinste plötzlich listig. „Außerdem passen sie farblich perfekt zusammen und machen sich besonders ansehnlich vor deiner neuen Kutsche.

„Kutsche?! Was denn für eine neue Kutsche?“, fragte Viviane und sah verständnislos von einem zum anderen.

Lavinia und Robin taten es ihr gleich, alle anderen schmunzelten jedoch äußerst zufrieden. Loranthus grinste besonders schelmisch und wippte auf der Bank hin und her, als führe er schon mit seiner Kutsche über Stock und Stein. Viviane hielt ihn an der Schulter fest, damit er nicht im Graben landete.

„Du hast eine neue …“

Ihr Kopf ruckte zu Silvanus herum, der sich frohlockend die Hände rieb, als hätte er etwas geschafft, was er noch nie bewerkstelligt hatte. Ihre Augen verengten sich und sie erhob sich ganz langsam.

„Duuu …!“, knurrte sie, hielt inne, schielte zu Hanibu, holte Luft und lächelte. Im Geiste sah sie einen riesigen Bottich Honig vor sich, und sie saß mitten drin.

„Du hassst also eine Kutsche gebaut, Silvanusss. Und ich habe nichtsss davon gemerkt. Wie hast du dasss denn angestellt?“ Der Honig war klebrig und Bienen liebten klebrigen Honig. Emsige Bienen schafften viel Honig und sie klebte sehr fest.

Silvanus beugte sich vor und strich ihr über den Schmollmund. Wahrscheinlich wollte er ihr auch dort noch Honig drum herum schmieren.

„Erstens, ja. Zweitens, nein. Und auf was bezieht sich die dritte Frage?“, konterte er selbstbewusst, stand schwungvoll auf und strich ihr das Kleid nach hinten, damit ihr Bauch sichtbar wurde. Dann verschränkte er die Hände vor der Wölbung und legte sein Kinn in die Mulde von Vivianes Schlüsselbein.

„Wenn du nämlich mein handwerkliches Können meinst: Das war ganz einfach. Nach der Schafschur haben wir in der Scheune mit dem Wagen angefangen. Loranthus hat geholfen. Er hat gesägt, gehobelt und sogar mit Tarian gedrechselt. Tarian hat auch die Deichsel gemacht und Conall das Geschirr aus seinem besten Leder. Die Sitze und Rückenlehnen hat er auch bezogen und Mutter hat sie schön weich ausgepolstert.“

Viviane sah mit offenem Mund von einem zum anderen.

Noeira ergriff das Wort.

„Wir haben eine dicke Decke aus warmer Schurwolle gewebt, damit der Kutscher nicht frieren muss. Conall hat noch einen Überwurf aus Leder dafür gemacht, für schlechtes Wetter.“

Viviane klappte den Mund zu und wieder auf.

„Mir hat’s die Sprache verschlagen. Aber wie …“

„Ah, ich sehe schon, du hast doch das andere ‚angestellt‘ gemeint, Viv!“, gluckste Silvanus und strich ihr die Haare zur Seite, damit sein Kinn wieder bequem zu liegen kam. „Kommst du denn nicht von alleine drauf?“

Viviane schob die Unterlippe vor, nickte bedächtig und betrachtete ihre Leute aus zusammengekniffenen Augen. Sie schienen sich allesamt prächtig zu amüsieren.

„Jetzt wird mir so einiges klar: Immer, wenn ich mal in die Scheune wollte, ist jemand anders für mich gegangen. Alle mussten zufällig sowieso gerade etwas holen, oder ich sollte mich ausruhen, weil ich so erschöpft aussehe …“

Das war allerdings keine fadenscheinige Ausrede“, fiel ihr Silvanus ins Wort. „Du bist abends wirklich geschafft! Kein Wunder! Du fährst immer noch jeden Tag von Dorf zu Dorf oder hoch zur Burg. Du nimmst immer noch die Kinder mit auf die Weiden, wenn es auf deinem Weg liegt, du sammelst Kräuter, Brennholz, Himbeeren und Blaubeeren im Wald. Du kommst auf die Felder und nimmst Noeira und Taberia mit und unser junges Gemüse … Und du musst unbedingt noch Mutter bei dem ganzen Salbenkram, dem Destillieren und den ätherischen Ölen helfen. Das kann sie schließlich genauso gut wie du! Aber was das Allerschlimmste ist …“ Er hob Aufmerksamkeit heischend den Zeigefinger und Viviane hörte auf, die Augen zu verdrehen; nach dem Allerschlimmsten kam ja wohl nichts mehr. „Du gibst immer noch Kampflektionen, obwohl ich es dir verboten habe!“

Viviane stutzte, schürzte die Lippen und musterte Silvanus übertrieben genau von allen Seiten. Noeira, Taberia und Flora kicherten. Silvanus wunderte sich über ihre Reaktion, weil er zuerst gedacht hatte, er sähe vielleicht krank aus.

„Was machst du da, Viv?“

„Das ist doch wohl eindeutig“, säuselte Viviane. „Mein baldiger … angetrauter … Gatte. Ich überlege, welche Stelle die beste ist.“

„Wofür?“

„Ach!“ Viviane winkte ab und warf einen verschwörerischen Blick zu den Frauen. „Für Bratpfannen natürlich oder eine Faust … Ich könnte dir auch …“ Sie maß seinen geflochtenen Zopf und ringelte sich das Ende um die Finger. „ … eine neue Frisur verpassen, wenn du schläfst. Ganz zu schweigen von einigen sehr ausgefallenen, schmackhaften Kräutern für dein Essen …“

Silvanus zuckte zurück und hob beschwichtigend die Hände. Mit perfektem Hundeblick ging er auf die Knie und legte seinen Kopf an ihren kleinen Bauch.

„Ich bin ja schon froh, dass du Loth, den Sklaven, für die praktischen Vorführungen nimmst und nicht mehr selbst kämpfst! Komm, Viv! Ich zeig dir mal die Kutsche!“

Lavinia und Robin sprangen auf.

„Die wollen wir auch sehen!“

Conall klatschte erfreut in die Hände.

„Wir kommen natürlich alle mit! Schließlich wollen wir nichts verpassen!“

Silvanus warf seinen Zopf zurück und seine dunklen Augen schauten ihn drohend an. Conall ließ sich davon aber nicht die Laune verderben.

„Die Kutsche sieht genauso aus …“ Viviane ging um das Gefährt herum, besah sich den Kutschbock und lugte ins Fenster. „Sie hat sogar Vorhänge wie …“

Loranthus wippte ganz hibbelig auf den Zehenspitzen.

„ … wie meine alte, die ich mir damals in Antibes gekauft habe. Ich hätte nie geglaubt, dass ich noch einmal so ein Meisterwerk ergattern könnte.“

Viviane nickte und ließ ihre Finger über das dunkle Holz gleiten.

„Ja, sie ist wunderschön.“

Medan zog sie zu den Rädern und klopfte gegen den Eisenring.

„Rate mal, wer den geschmiedet hat!“

Viviane sah ihn ungläubig an.

„Du?“

Medan nickte begeistert.

„Ganz alleine. Amaturix hat mir nur beim Ausrechnen geholfen, weil ich Ausdehnung und Zusammenziehen noch nicht konnte, wenn das heiße Eisen auf die Wagenräder geschoben wird.“

„Kein Wunder! Das ist ja auch ein Gesellenstück und du hast noch zwei Jahre Zeit dafür. Amaturix war sicher sehr stolz auf dich!“

Medan schwoll die Brust und er nickte, dass seine roten Locken flogen.

„Beim nächsten Rad darf ich es ganz alleine versuchen, hat er gesagt.“

Viviane klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.

„Die Deichsel ist dir auch gelungen, Tarian. So schön gedrechselt … So eine hat bestimmt niemand auf weiter Flur. Und der Kutschbock erst noch … herrlich, Tarian! Und diese Schnitzerei …“

Viviane ließ ihre Finger über die Tür gleiten und drehte sich staunend zu Noeira. „Damit hast du dich selbst übertroffen, Noeira!“

Noeira stellte sich neben sie und nickte stolz.

„Ich habe all unsere Namen in das Rahmenmuster geschnitzt, damit Loranthus eine Erinnerung an uns hat. Und schau mal, das Bild! Loranthus und du, wie ihr euch kennengelernt habt. Ihr hebt grüßend die Hand. Auf der anderen Tür führt er mit Arminius die Ochsen übers Feld.“

Viviane hakte Noeira unter und drehte sich zu den anderen um.

„Die Überraschung ist euch gelungen! So eine schöne Kutsche! Noch schöner als deinen erste! Loranthus, du brauchst unbedingt ein paar Kampflektionen extra, wenn jemand auf die Idee kommt und dich noch einmal überfallen will!“

Loranthus warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend.

„Das passiert mir nicht wieder! Diesmal bin ich schlauer! Ich werde auf alle Fälle mit den Händlern ziehen, auch wenn das länger dauert!“

Arminius klatschte Loranthus die Hand auf den Rücken und schubste ihn dadurch gegen Conall.

„Recht so! Aus Schaden wird man klug!“

Großmutter Mara nahm Vivianes Hand und zog die Tür auf.

„Schau mal, mein Kind! Die Riegel hat auch dein Vater gemacht und mit Tarian schön graviert. Ein stolzer Hirsch aus Eisen! Zieh am Geweih − und er springt majestätisch in die Höhe.“

Viviane klatschte begeistert in die Hände und probierte den Hebel gleich aus.

„Phantastisch! Als würde er seine Hufe in einem Fluss versenken.“ Sie betrachtete das verschnörkelte Muster im eisernen Gegenhalter genauer und schmunzelte. „Der Fluss heißt Sünna. Eine feine Gravur.“

Conall hielt ihr die Tür auf und zeigte triumphierend auf die Lederpolster.

„Ziegenleder. Die Weiber haben viel Wolle hergegeben, damit alles schön weich ist.“

Viviane drückte ihre Hand in den Sitz und nickte anerkennend.

„Und du hast das Leder so schön punziert, Conall. Wahrlich, herrliche Knotenmuster …!“

Silvanus quetschte sich vor Conall und hob Viviane in die Kutsche oder richtiger: Er drückte so gegen sie, dass sie aus Platzmangel nur noch einsteigen konnte.

„Ja, genau! Du musst unbedingt die Sitze ausprobieren, Viv. Mit der Hand fühlt man gar nicht, wie bequem sie sind. Auch die Aufhängung der Kutsche ist perfekt. Stabilstes Leder. Federt jeden Stein ab. Und dann habe ich noch zusätzlich etwas eingebaut. Das wird dir gefallen.“

Arminius drehte sich zu seiner Familie um und fuchtelte mit den Händen, als wolle er Gänse scheuchen.

„Wir wollten doch noch eine Partie Fidchell spielen, Kinder! Nehmt eure Ratgeber mit! Ihr könnt alle Hilfe gebrauchen, die ihr kriegen könnt!“

Robin und Lavinia protestierten energisch und als das nichts half, verlegten sie sich auf einen herzerweichenden Katzenjammer. Arminius hatte auch prompt eine sehr gute Gegenleistung parat.

„Dafür dürft ihr morgen mit Loranthus auf dem Kutschbock sitzen, wenn die Kutsche wirklich fährt.“

Lavinia und Robin warfen die Arme hoch und hüpften auf der Stelle.

„Juhu! Wir fahren mit der Kutsche und winken allen zu!“

„An denen wir vorbei sausen so schnell wie Bruder Wind!“

„Wer zuerst im Langhaus ist!“

„Ich!“

„Nein, ich!“

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