Читать книгу Katerdämmerung - Petra Zeichner - Страница 6

Kampftraining

Оглавление

Robins Fell war feucht. Nebeltröpfchen lagen darauf. Es war noch früh am nächsten Morgen. Er putzte sich, mehr aus Langeweile denn aus einem Bedürfnis, sich tatsächlich zu säubern. Zwischendurch hielt er wiederholt inne und starrte gespannt auf die Katzenklappe. Wo blieb sein Partner? Als sich auch nach ein paar Minuten nichts tat, kratzte er daran.

„Leo!“, miaute er laut.

Drinnen hörte er ein entferntes Piepsen. Schritte klapperten auf dem Fußboden. Dann öffnete sich die Tür und eine Frau mit grauen Haaren stand in dem Türrahmen. Sie lächelte Robin an.

„Wo kommst du denn her?“

Robin schüttelte den Kopf. Offenbar war es eine durchaus menschliche Eigenschaft, ständig Fragen zu stellen, obwohl man die Antwort gar nicht haben wollte oder, wie in ihrem Fall, gar nicht bekommen konnte. Sie verstand ihn nicht.

Aber bei den Menschen, die in seinem Haus wohnten, hatte es sich als durchaus vorteilhaft erwiesen, wenn er mit ihnen auf guter Tatze stand. Also begann Robin, Leos Besitzerin schnurrend um die Beine zu laufen. Sie bückte sich, griff sich gleich darauf mit verzerrtem Gesicht in den Rücken und richtete sich wieder auf. Dabei hielt sie sich an dem Griff der Balkontür fest.

„Oh weh, tut mir leid, mein Kleiner“ – Robin rümpfte bei dem Wort „Kleiner“ die Nase – „ich komme nicht bis zu dir runter. Aber bestimmt hab ich was Gutes für dich.“

Robin überholte Lotte und trabte zielstrebig in die Küche. Von dort kam der Geruch nach Futter. Leo kauerte vor seinem Napf, fraß Nassfutter und schmatzte. Als Robin in die Küche kam, hielt er inne.

„Hallo, bist du schon lange da? Ich muss erst noch frühstücken. Bestimmt hast du schon gefrühstückt.“

Robin dachte an die herzhaften Puten-Reis-Cracker, von denen er heute Morgen einen ganzen Napf voll gefressen hatte.

„Nein“, log er.

„Nein?“

„Na ja“, fügte Robin hinzu, den der Anflug eines schlechten Gewissens plagte. „Es gab schon etwas zu Fressen. Aber es hat nicht gereicht, es war viel zu wenig und mein Magen ist noch ganz leer, ich hatte noch gar keine Zeit, an meinem Mauseloch vorbeizuschauen, weil ich doch sofort zu dir wollte und …“ Robin unterbrach sich selbst. Er plapperte drauf los wie Leo.

Leo stupste ihn freundschaftlich mit dem Kopf in die Seite.

„Sag´ das doch gleich. Hier, ich bin eigentlich schon satt, friss ruhig. Putenhäppchen in heller Soße, mein Lieblingsfutter.“

Robin schämte sich. So ein gutmütiger Kater, überließ ihm sogar sein liebstes Futter.

Lotte stellte neben Leo einen zweiten Napf auf den Boden. Dabei stützte sie sich mit einer Hand auf einer Stuhllehne ab. Der Napf war gefüllt mit Katzenmilch. Als die beiden Kater ihre Mahlzeiten beendet hatten, sagte die Frau:

„Gehörst du jemanden? Wenn nicht, wärst du ein schönes Geschenk für unsere Studentin hier im Haus.“

Robin schluckte. Er? Ein Geschenk? Schnell blickte er sich nach der Balkontür um. Mit drei, vier großen Sätzen wäre er dort und im Freien in Sicherheit.

„Keine Angst“, beruhigte ihn Leo.

„Lotte tut dir bestimmt nichts.“

„Komm mal her“, sagte sie, kraulte Robins Kopf, schaute sie in seine Ohren und nickte.

„Hab ich es mir doch gedacht. Du bist nicht herrenlos. Du hast Tätowierungen in deinen Ohren. Dann muss unsere Studentinnenkatze noch etwas alleine bleiben, nicht wahr? Schade nur, dass ihr das so gar nicht gut tut. Wenn ich an das Blut denke …“ Damit verließ sie die Küche.

Robin spitzte die Ohren und schaute Leo auffordernd an.

„Die Studentin, das muss die Frau sein, von der ich dir erzählt habe. Die Katzenfutter in die Mülltonnen geworfen hat. Ihr muss die andere Katze hier im Haus gehören. Wie Lotte gesagt hat, hat sie geblutet. Das heißt, es muss etwas Schlimmes passiert sein“, schlussfolgerte Leo ungewohnt sachlich.

Robin nickte. Ob es mit ihrem Fall zu tun hatte, konnte er nicht abschätzen. Aber dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging, das war sicher.

„Wollen wir die Katze fragen, was geschehen ist?“, fragte er eifrig und war schon im Begriff, zur Katzenklappe zu laufen. Robin hielt ihn zurück.

„Das ist zwar eine gute Idee, aber vorher müssen wir etwas anderes erledigen.“

„Was denn?“

„Es gibt nicht nur die Katze hier, um die wir uns kümmern müssen. Zuerst müssen wir dafür sorgen, dass uns und vor allen Dingen dir nichts passiert, während wir ermitteln.“

„Was meinst du denn damit?“

Lotte kam wieder in die Küche. Sie trug einen dünnen Mantel.

„So, ihr zwei. Ich muss meinen routinemäßigen Weg zum Arzt antreten. Wenn man alt wird, da zwickt und zwackt es hier und dort. Ihr wisst ja, wie ihr rauskommt.“

Die Wohnungstür fiel ins Schloss und die beiden Kater waren alleine.

„Was meinst du damit? Dass uns und vor allen Dingen mir nichts passiert“, wiederholte Leo seine Frage von vorhin.

„Wie oft hast du schon gekämpft?“, fragte Robin.

„Gekämpft?“ Leo blickte ihn verständnislos an. „Gegen wen denn?“

„Eben“, sagte Robin. Sein Maul vom Miauen trocken. Er schlabberte Wasser aus Leos Napf.

„Meinst du, es ist gefährlich, herauszufinden, woran das Kätzchen gestorben ist?“ Leo schluckte.

Robin leckte sich das Maul.

„Gefahr droht uns Katern und Katzen immer“, brummte er unheilvoll.

„Gefahr von großen, schwarz-weißen Katern oder Gefahr von großen, grauen Katern, aber manchmal auch Gefahr von gutmütig aussehenden, weißen Perserkatzen und bei dir“ – dabei blickte er Leo von den Ohrenspitzen bis zu den Krallen an – „bei dir auch Gefahr von kleinen, schwarz-weißen Katern und kleinen, grauen Katern und kleinen, gutmütig aussehenden Perserkatzen.“

„Schon gut“, maulte Leo. „Ich kann nichts dafür, dass ich erst ein Jahr alt bin. Lotte sagt immer, mach dir nichts draus, jeder hat mal klein angefangen.“

„Siehst du, das meine ich. Menschen haben leicht reden, sie müssen sich nicht tagaus tagein verteidigen. Aber mach dir keine Sorgen: Ich zeige dir alles, was du brauchst. Heute fangen wir an.“

„Das sind jedoch nur die alltäglichen Gefahren, vor denen wir Kater uns wappnen müssen“, setzte er hinzu.

„Was denn, noch mehr?“

„Überleg mal, wer würde ein kleines Kätzchen töten?“

Leos Ohren rückten dichter zusammen, so sehr runzelte er seine rot-weiß gestreifte Stirn während des Nachdenkens.

Große, schwarze Kater?“

„Sei nicht dumm“, schalt Robin. Schließlich ging es um Leben und Tod, Dummheit könnte tödlich sein. „Wir töten zwar manchmal unsere eigenen Kinder, aber hier geht es doch um ein Kätzchen, das schon tot zur Welt gekommen ist oder gleich nach der Geburt gestorben ist.“

Robin erzählte von dem Zeitungsartikel, den Johanna vorgelesen hatte. Dass Flora in dem Tierheim noch eine weitere Frühgeburt gehabt hatte und dass die Welpen mit größter Not überlebt hatten.

Robin verstummte. Auch Leo miaute kein Wort. Reglos saßen sie sich in der Küche gegenüber. Draußen zwitscherte eine Amsel. Robin ignorierte sie. Stattdessen miaute er leise:

„Wer könnte dafür sorgen, dass so etwas passiert? Nur Menschen. Wir Kater können so etwas nicht.“

Er schielte verstohlen zur Balkontür. Offenbar hatte Leo den gleichen Gedanken. Er lief ins Wohnzimmer und kontrollierte seine Katzenklappe. Sie öffnete sich, sobald er davor stand. Vorsichtig streckte er seinen Kopf hindurch.

„Du kannst mir folgen“, sagte er zu Robin gewandt. „Hier auf dem Balkon ist niemand.“

„Wohin?“

„Bei dir sind wir sicherer. Hier sind die Jungen, die mir Angst machen, wenn ich alleine bin.“

„So machen wir es. Die leere Wohnung in meinem Haus ist ab jetzt unser Treffpunkt.“

Kein Mensch wusste davon und das musste auch so bleiben.

Diesmal hatte es Leo geschafft. Durch den Einstieg im Garten war er zu Robin in den Aufzug gesprungen, bevor sich die Tür geschlossen hatte. Zwar war es eng gewesen und Robin hatte ihm fauchend ins Ohr gebissen, aber Leo hatte sich zu einer Kugel gemacht und Robin hatte ihn brummend neben sich geduldet.

Robin begann die Lagebesprechung. Er hatte sich unterhalb des Erkerfensters neben die Balkontür gesetzt.

„Mich jagt der Mankowski und dich jagen die Jungen. Was können wir tun?“

„Wir könnten dem Alten jeden Tag vor die Wohnungstür pinkeln“, schlug Leo vor.

„Hm“, entgegnete Robin.

„Wir könnten mit dem Aufzug in seine Wohnung fahren und seine Vorräte wegfressen.“

„Hm.“

„Was denn?“, fragte Leo ungeduldig.

„Wenn hier etwas passiert, und es ist klar, dass es Katzen waren, dann weiß er sofort, dass ich damit zu tun habe. Dann wird es für mich noch schlimmer hier.“

„Mäuse!“, rief Robin plötzlich triumphierend.

Leo, der eine Amsel auf dem Fenstersims beobachtete, schreckte auf.

„Was ist mit Mäusen?“

„Wir setzen ihm Mäuse in die Wohnung und die fressen ihm die Vorräte weg. Das machen wir so lange, bis er auszieht, weil es ihm hier nicht mehr gefällt.“

Leo schwieg und blickte wieder zum Fenster hinaus. Er sprang auf das Fensterbrett und presste seine Nase gegen die Scheibe. Die Amsel zeterte, schlug mit den Flügeln und flog davon.

„Was willst du da oben?“, fragte Robin irritiert. „Du kannst doch sowieso nicht raus.“

„Ja, aber es ist wichtig, dass ich die Lage überblicke, ich wollte nur schauen, ob sich jemand anschleicht.“

„Was hat das mit den Mäusen und dem Mankowski zu tun?“

Leo sprang von dem Fensterbrett, setzte sich auf sein Hinterteil und senkte den Kopf.

„Alsooo …“

„Ja?“

„Weißt du, ich …“ Leo leckte sich verlegen mit der Zunge das Maul.

„Na los, so schlimm kann es nicht sein. Raus damit, was es auch ist“, ermunterte ihn Robin.

Leo holte hörbar Luft. Dann stieß er schnell hervor: „Ich kann keine Mäuse jagen.“

Robin starrte ihn an. Da hatte er sich bestimmt verhört.

„Du meinst, du kannst nicht so gut Mäuse jagen?“, hakte er nach.

„Nein, ich meine, ich kann keine Mäuse jagen.“

„Willst du damit sagen, dass du“ – Robin machte eine Pause, bevor er die unglaubliche Frage aussprach – „noch nie eine Maus gefangen hast?“

Leo nickte wortlos. Auch Robin schwieg. Er musste das soeben Gehörte erst einmal verarbeiten. Katzen und Mäuse, Mäuse und Katzen – das war ein Bund fürs Leben. So sicher, wie Kater und Katzen Mäuse fingen und fraßen, so sicher wurde es jeden Tag morgens hell und abends dunkel. Kater und Katzen fraßen Mäuse und waren dankbar für das gute Futter. Die überlebenden Mäuse freuten sich, dass sie weniger Konkurrenz bei der eigenen Nahrungssuche rund um ihre Mäusewohnung hatten. Es war also ein Bund, von dem jeder der Beteiligten profitierte. Er hatte noch nie von einem Kater gehört, der im Alter von einem Jahr noch keine Mäuse fangen konnte. Das passierte, wenn kleine Kätzchen zu früh von ihren Müttern zu den Menschen geholt wurden. Keine Menschenmutter war in der Lage einem Katzenkind zeigen, wie es Mäuse jagen oder sein Revier markieren sollte.

„Ich hab´s.“ Robin war fertig mit seinen Überlegungen. „Hör´ mir gut zu“, sagte er entschieden.

„Ich habe einen Ausbildungsplan für dich. Zuerst bringe ich dir bei, wie man Mäuse jagt, fängt und frisst. Denn die Idee, sie dem Mankowski in die Wohnung zu setzen, damit sie ihm die Vorräte wegfressen, ist sehr gut. Im Übrigen können wir das auch bei den Jungen in deinem Haus machen.“

Leo, der mit hängendem Kopf dagesessen hatte, richtete sich auf.

„Zweitens: Wir müssen an deiner Körpersprache arbeiten. Wichtig ist eine stolze Haltung: den Kopf hoch, den Blick direkt auf den Gegner richten. Drittens: Reviermarkierungen, also den Kopf an einem Holzstapel reiben, mit den Krallen an Baumstämmen kratzen, anpieseln – den Schwanz steil aufstellen und die Flüssigkeit aus deinem Hinterteil drücken. Viertens: Du musst lernen, wie du drohen kannst.“

Leo piepste. Robin schnaubte verächtlich.

„Das gehört bestimmt nicht dazu. Allerdings gehören Fauchen, den Schwanz zum Staubfeudel machen und die Rückenhaare aufstellen dazu. Fünftens: Noch stärkere Drohgebärden, nämlich Knurren.“

Robin sah Leo scharf an. Der presste seine Lefzen fest zusammen und blieb stumm. „Sechstens: der Angriffsschritt, das ist mit steifen Beinen auf den Gegner zugehen. Siebtens: den Angriffssprung vorbereiten, das heißt sich auf den Boden ducken, dabei mit den Hinterbeinen auf der Stelle treten, um die Muskeln warm zu machen. Achtens: den Angriffssprung ausführen, nämlich sich mit den Hinterbeinen kräftig abstoßen und wie ein Flummi auf den Gegner zuschießen.“ Robin hielt inne und überlegte.

„Vielleicht können wir Nummer sieben und acht zusammennehmen. Auf jeden Fall ist die letzte Übung in deinem Trainingsprogramm die Königsdisziplin: der Todesbiss.“

Leo riss die Augen auf. Robin nickte bekräftigend. „Sonst hat alles keinen Sinn. Am besten fangen wir gleich damit an, denn wir müssen viel üben. Besser gesagt: Du musst viel üben.“

Robin lief in den Flur, doch Leo zögerte. Unschlüssig peitschte mit dem Schwanz von einer Seite zur anderen. Robin blieb stehen und wandte den Kopf.

„Was ist? Komm, das Wetter ist gut, die Mäuse wissen das zu schätzen und strecken ihre Köpfe aus den Löchern.“

„Ich wollte mich gerade noch etwas ausruhen“, sagte Leo seufzend.

„Ausruhen? Aber wovon?“

„Das Nachdenken heute Morgen bei mir in der Wohnung, der Weg hierher, noch viel mehr nachdenken hier in der Wohnung …“

Robin überlegte. Er mit seinen sechs Jahren war viel älter als Leo und gar nicht müde. Zumal sie hauptsächlich rumgesessen hatten. Bestimmt war es nur eine Ausrede, um nicht mit dem Üben anfangen zu müssen.

Vielleicht hatte der Rote Angst? Laut sagte er:

„Wir schaffen das schon. Los. Mir nach.“

Leo beugte sich der Autorität des Älteren und trabte hinter Robin in den Flur. Als ob es eine Selbstverständlichkeit wäre, war er mit einem Satz hinter dem grau Getigerten in dem Aufzug. Robin knurrte und brummte, ließ den Jüngeren aber in Ruhe.

Robin hatte entschieden, dass sie für die Übungen nicht sein besonders ertragreiches Mauseloch nehmen würden. Das wäre zu gefährlich, schließlich könnten sie dort jederzeit auf Streuner treffen. So lange nicht wieder eine Art Freundschaft gewachsen war, so lange wollte er Leo dem Kampfkater nicht aussetzen. Selbst wenn Streuner sie in Ruhe lassen würde – es wäre auch viel zu leicht. Wenn ihm die Mäuse bissgerecht vor das Maul liefen, würde Leo nicht lernen, geduldig zu warten. Geduld war eine grundlegende Eigenschaft um erfolgreich zu jagen. Deshalb saßen sie im Halbschatten des großen Kastanienbaumes neben Robins Haus und warteten. Das Mauseloch lag am Hang des Hügels, auf dem der Baum stand, was eine erschwerende Bedingung für einen Anfänger wie Leo war. Er musste lernen, sein Gleichgewicht in schräger Körperhaltung nicht zu verlieren. Dabei durfte er sich nicht bewegen, um die Mäuse nicht zu verschrecken.

Wie zwei Statuen saßen Robin und Leo einen Meter entfernt vor dem Mauseloch. Nur Robins Nasenflügel zitterten von Zeit zu Zeit, wenn er versuchte, eine Mäusewitterung aufzunehmen. Leo hatte er befohlen, sich auf keinen Fall zu bewegen. Bis jetzt hielt er sich daran. Aber sie saßen erst seit vier Minuten hier. Aus den Augenwinkeln beobachtete Robin den roten Kater. Da bewegte sich zuerst dessen Schwanzspitze, dann der ganze Schwanz.

„Pssst!“, zischte Robin leise.

„Aber ich …“ piepste Leo leise.

„Pssst!“

Wieder saßen die beiden Kater drei Minuten lang unbeweglich.

Eine Maus streckte ihren Kopf zum Mauseloch heraus.

„Guck mal!“, piepste Leo laut und sprang auf. „Da ist eine Maus.“

Ruckzuck war die Maus wieder verschwunden.

„Guck mal, da war eine Maus“, miaute Robin laut und ärgerlich.

„Ich hab dir doch gesagt, dass du mich vorerst nur beobachten sollst. Nicht miauen, nicht piepsen, nicht jammern.“

Bestimmt würde er selbst mindestens so viel Geduld brauchen, um Leo alles Lebensnotwendige beizubringen, wie sein Schüler für die Übungen. Er ermahnte sich selbst, nicht so schnell aus dem Fell zu fahren. Schließlich mussten sie den Kätzchenmörder finden. Dafür mussten sie sich bestmöglich auf diesen erbitterten Kampf vorbereiten. Und dass es am Ende einen solchen Kampf geben würde, daran zweifelte Robin keine Sekunde lang.

„Noch mal von vorne“, kommandierte Robin. Als ob die Mäuse Robins Befehl gehört hätten, streckte eine von ihnen ihren Kopf heraus. Alles blieb still. Schnüffelnd und mit zitternden Schnurrhaaren wagte sie sich weiter vor. Ihre schwarzen Knopfaugen glänzten in der Vormittagssonne, die hier und da durch das Blätterdach des Kastanienbaums fiel. Da schnellte Robin nach vorne, flog einen Meter weit durch die Luft und landete kurz vor der Maus. Im Sprung hatte er seine Vorderpfoten nach vorne gestreckt und die Krallen ausgefahren. Er erwischte sie mit einer Tatze, bevor sie wieder im Mauseloch verschwand.

Die Maus piepste verzweifelt und wand sich auf dem Boden, während Robin ihr unbarmherzig die Krallen in den pelzigen Leib schlug und sie mit einer Pfote ins Gras drückte.

„So“, sagte er zu Leo gewandt. „Du bist an der Reihe.“

„Aber was soll ich mit ihr machen?“, fragte Leo und das verzweifelte Schreien des kleinen Nagers trieben ihm Tränen in die Augen. Er blinzelte in die Sonne.

Robin nahm die Maus ins Maul, darauf bedacht, sie nicht zu töten. Noch nicht. Das sollte Leo tun. Er ging zu ihm und hielt ihm die zappelnde Maus vors Gesicht. Leo wich einen Schritt zurück. Robin folgte ihm und stupste ihn mit der Maus gegen das Maul.

„Aber ich …“ begann Leo, konnte aber nicht weiter sprechen, denn Robin hatte ihm die Maus ins Maul gedrückt.

„Halt sie fest!“, befahl Robin.

Als ob die Maus ihre Chance wittern würde, strampelte sie noch wilder mit den Beinen und kratzte Leo dabei auf der Nase.

„Beiß zu!“, rief ihm Robin zu, dem selbst das Wasser im Maul zusammenlief.

„Iff kann nifft“, miaute Leo mit vollem Maul. Obwohl er sich Mühe gab, sein Maul beim Miauen nicht so weit zu öffnen, reichte es der Maus für einen Fluchtversuch. Sie wand sich zwischen Leos zaghaft zupackenden Zähnen heraus, fiel auf den Boden und huschte davon.

Noch zweimal wiederholte sich das gleiche Schauspiel, dann hatte Robin genug. Als die Maus zum dritten Mal flüchten wollte, fing Robin sie wieder ein, warf sie hoch in die Luft und biss ihr den Kopf ab, als er sie wieder auffing.

„Hier“, sagte er und legte Leo das kopflose Tierchen vor die Vorderfüße. „Friss.“

Leo schnüffelte vorsichtig an dem kleinen, leblosen Körper. Sollte er den Pelz etwa auch fressen? Und was war mit den Füßen, an denen spitze Krallen waren?

„Hör´ mal“, unternahm Robin einen weiteren Anlauf. „Du weißt, dass die Sache mit dem Mäuse jagen ganz wichtig ist für unseren Fall. Sie ist sozusagen die Basis unserer Ermittlungsarbeit.“ Er überlegte kurz, bevor er fortfuhr.

„Zwar brauchen wir sie lebend, um sie in Mankowskis Wohnung und in den Wohnungen der Jungen auszusetzen. Aber schließlich sollst du auch lernen, selbstständig als Kater draußen zurechtzukommen. Und dazu gehört es, Mäuse zu fressen.“

Robin sagte nicht, dass er noch keine Ahnung hatte, wie sie in die Wohnungen der Jungen reinkommen sollten. Hier hatten sie den Aufzug, aber dort? Robin schaute nach Worten suchend im Garten umher.

„Also wenn du keine Mäuse jagen kannst, gefährdest du unseren Plan. Das heißt ich weiß nicht, wie wir dann die Jungen aus deinem Haus vertreiben sollten. Und wenn du sie einmal gefangen hast, solltest du sie auch gleich fressen, denn …“

Ein Schmatzen unterbrach Robins Überzeugungsrede. Leo leckte sich das Maul.

„Gar nicht so schlecht“, meinte er.

Katerdämmerung

Подняться наверх