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Kapitel 2
ОглавлениеEines Tages zog Großvater einen Joker. Felix und seine Mutter saßen beim Abendbrot, als er mit rotem Kopf und unruhigen Augen die Küche betrat.
„Ich muss mit euch reden.“
„Was ist vorgefallen, Vater?“
„Jetzt ist es endgültig. Die Gemüsefelder bei der Mühle werden Baugebiet. Ich komme von der Gemeinderatssitzung. Einstimmig ist das beschlossen worden.“
„Weißt du, wie viel es für Bauland gibt, Vater?“
„Die Preise sind enorm gestiegen. Die Nachfrage ist riesig. Es werden sicher noch mehr Baugebiete ausgewiesen. Jetzt, wo viele ein Auto kaufen, kann man aufs Land ziehen. Man redet von 50 Mark für den Quadratmeter. Als Bauernland wäre das nur ein zehntel soviel wert.“
„Das bedeutet, wir sind finanziell aus dem Schneider, Großvater?“
„Vorsicht, mein Junge. Vorsicht ist trotzdem geboten. Man kann Grund und Boden nur einmal verkaufen. Aber es gibt jetzt eine Alternative. Wir müssen nicht alles behalten. Du hast ja doch kein Interesse an der Landwirtschaft.“
„Man muss ja nicht gleich alles verkaufen. Aber es bedeutet doch Entwarnung für uns alle Großvater, dann brauchst du nicht mehr so zu schuften. Du legst das Geld gut an und lebst von den Zinsen. Und Mutter kann wieder durchatmen.“
„Nur nichts übereilen, Felix. Aber erleichtert bin ich schon. Ich sah das Land bereits brach liegen und veröden. So, Junge, jetzt trinken wir noch einen aus der Eierlikörflasche, die du neulich mitgebracht hast. Das ist doch mal eine gute Nachricht. Die muss begossen werden.“
Zufrieden und mit zwei Eierlikören und einem Pflaumenschnaps im Bauch schlürfte Großvater am Abend in sein Zimmer. Er faltete Hose und Hemd und legte sie sorgfältig über den Stuhl, der neben seinem Bett stand. Seine Zahnprothese kam in ein Glas mit Wasser auf den Nachttisch. Den Baldriantee rührte er nicht an.
Als Großvater am nächsten Tag nicht zum Sonntagsfrühstück kam, ging Felix hinauf, um nach ihm zu sehen. Er lag auf dem Rücken, eine Hand ruhte entspannt auf der Bettdecke. An den starr aufgerissenen Augen und dem herabhängenden Unterkiefer erkannte Felix, dass sein Großvater tot war.
Mit dem energischen und gestrengen Patriarchen sank eine ganze Generation ins Grab. Er hatte den Ersten Weltkrieg in den Schützengräben bei Verdun überlebt und ein Eisernes Kreuz dafür bekommen, und er hatte die Niederlage nie verwunden. Obwohl er kein Nazi war, ihm die Aufmärsche der braunen Partei nicht behagten, glaubte er später an den Österreicher, der die Arbeitslosen von der Straße geholt und Autobahnen gebaut hatte. Dunkel erinnerte sich Felix an eine lautstarke Diskussion zwischen Vater und Großvater. Es ging um die kriegsentscheidende Niederlage bei Stalingrad und den übergelaufenen deutschen General Paulus. „Dieser Verräter. Wir hätten weiterkämpfen müssen. Bis zur letzten Patrone“, wetterte Großvater. Vater, der Frontsoldat, gab zurück: „Dieser Krieg ist ein Verbrechen an der Wehrmacht und an der Zivilbevölkerung.“
Großvater wurde mit seinem Eisernen Kreuz in den Sarg gelegt und neben der Großmutter, an die Felix keine Erinnerung hatte, in die Erde versenkt.
Der Eierlikör-Frieden mit der Mutter wurde nach Großvaters Tod noch mehrmals auf eine harte Probe gestellt. Sie wollte oder konnte sich nicht zum Landverkauf entschließen. „Der Hof ist seit Generationen in der Familie, vielleicht bereue ich den Schritt, vielleicht hast du mal Kinder, die weitermachen wollen“, wand sie ein. Überzeugt wurde sie schließlich von einem Rechtsanwalt und Notar, mit dem sich Felix kurzgeschlossen hatte, als er Mutters Bedenken nicht überwand. Er flößte Mutter Vertrauen ein. So gelang es, über die Abwicklung der Erbschaft Mutters Widerstand aufzuweichen. Ein tragfähiger Kompromiss wurde gefunden. Einige Bauplätze wurden verkauft, ein Großteil des Landes wurde verpachtet. Obwohl noch viel zu tun blieb, fiel doch der grüßte Druck von Felix ab. Er konnte sich jetzt mit aller Energie seinem Beruf widmen, der ihm immer mehr zur Berufung wurde.
Neben der Ausbildung erwarb er ein Diplom als Bilanzbuchhalter, belegte Kurse in Französisch und Business-Englisch, studierte die Prognosen und Geschäftsberichte der Bank in die ihm Dr. Vogt Einsicht verschaffte.
An den wenigen arbeitsfreien Abenden traf er sich mit der grünäugigen, grazilen Mirja, deren Bekanntschaft er einem Erdbeereisfleck auf seinem Hemd verdankte. Die Schauspielschülerin war ebenso begeistertet von ihrem Beruf wie Felix. Und wenn er einmal Zeit gehabt hätte, musste sie ins Theater oder zur Probe. So war es ein Glück in homöopathischen Dosen. Spontan, verrückt und süß, ohne klebrig zu sein.
Felix fühlte zum ersten Mal seine Anziehungskraft zum weiblichen Geschlecht. Wenn der sportliche, breitschultrige, große Felix mit Mirja am Arm durch Frankfurt schlenderte, fühlte er die bewundernden und die verstohlenen Frauenblicke, die ihnen folgten. Da sie sich selten treffen konnten, gab es auch wenig Reibungspunkte, und so bereicherte der Sommerflirt Felix ein ganzes Jahr. Bis Mirja ihr erstes Engagement in der saarländischen Provinz bekam. Felix ahnte, dass damit diese leichte Liebe ein Ende fand. Er konnte und wollte der Beziehung nicht zu viel Zeit opfern. Seine Wissbegierde, sein Wille, in der Bank vorwärts zu kommen, war noch zu übermächtig. Sell hatte ein Auge auf ihn geworfen. Das Vorstandsmitglied ließ sich gelegentlich zu Vorträgen in die Dienstagsrunde einladen, um die Schar der künftigen Mitarbeiter besser sondieren zu können.
„Wer entdeckte die soziale Marktwirtschaft“, fragte er eines Tages. ,,Na, EL, was meinen Sie?“ EL, der sich bei Vorträgen der Vorstandselite weniger arrogant gab, parierte geschickt und antwortete „das war LE, wie doch jeder weiß.“
„Gut gebrüllt, Löwe, aber Ludwig Erhard war nicht der Erfinder der freien Preise und Löhne. Er war inspiriert von, na, von wem, Herr Admont?“
„Das war der Schotte Adam Smith, der eine Untersuchung über Natur und Wesen des Volkswohlstandes schrieb.“
Wie Vogt hatte auch Sell die Begabung, eine trockene Materie locker und spannend aufzubereiten. ,,Der große Smith verbrachte den größten Teil seines Lebens in der schottischen Kleinstadt Kirkcaldy. Auf einem Wochenmarkt seiner Heimatstadt hatte er sein Schlüsselerlebnis, dem wir heute die soziale Marktwirtschaft verdanken. Dort feilschten Bauern, Händler und Handwerker um Absatz und Preise und versuchten, trotz Konkurrenz, so reich wie möglich zu werden. Er sagte sich: Gott schuf die Welt arm, aber seine Geschöpfe haben die Fähigkeit, reich zu werden, wenn sie es wollen. Zunftbeschränkungen, die Verteufelung des Zinses, das war nicht gottgewollt.“
Am Ende des Vortrages bat Sell, so laut dass es alle hören konnten, Felix für den Nachmittag in sein Büro. „Ich möchte sie einem amerikanischen Gast vorstellen.“
Charles Donovan, so hieß der Gast, war Repräsentant einer großen amerikanischen Computer-Firma. Es war Sympathie auf den ersten Blick. Donovan, etwa Mitte 30, erschien Felix als der typische Amerikaner. Er beeindruckte ihn durch seine humorvolle, offene und unbefangene Art. Ein angenehmer, wohltuender Kontrast zu dem steifen und etwas gekünstelten Umgangston in der Bank.
„Ich sehe, Sie haben sich schon angefreundet. Wie wäre es, wenn Sie Mr. Donovan in den nächsten Tagen durch unser Haus und unser Land begleiten? Sie sind dafür freigestellt, Herr Admont. Dr. Vogt ist einverstanden“, erklärte Sell kurz und bündig. Er hatte also die Sache von langer Hand vorbereitet, Felix stimmte begeistert zu. Abends brütete er über einem Besuchsprogramm für die kommenden vier Tage, das Donovan Einsichten in die internen Geschäftsabläufe der Bank, aber auch in das kulturelle und kulinarische Leben vermitteln sollte.
An den ersten beiden Tagen wurde Donovan in der obersten Etage herumgereicht. Sie kamen auch mit den sechs Vorständen zusammen. Daser referierte über Kommunikationsprobleme zwischen den verschiedenen Ebenen und monierte das Fehlen einer einheitlichen bankinternen Kommunikation bei der Darstellung nach außen. „Wir müssen uns ein Image aufbauen“, so sein Credo. Jeder hatte das Gefühl, dass es ein Fenster-Vortrag war, der Donovan beeindrucken sollte, aber, wie immer bei Daser, wirkte er rhetorisch aufgeblasen.
„Jede Bank muss sich ein eigenes Image entwickeln und es auf ihre Angestellten projizieren, wenn diese ein Gefühl der Zugehörigkeit bekommen und emotionelle Bindungen zum Geschick ihrer Bank entwickeln sollen, aus denen die Motivation hervorgeht. Erinnern Sie sich an ein Experiment in Ihrer Physikstunde: Unter einer Glasglocke läutet ein Wecker. Ihr Lehrer arbeitet an der Vakuumpumpe und entzieht der Glocke Luft. Das Läuten wird schwächer und hört schließlich auf. Ohne eigenes Image wird alles, was die Firma von sich gibt, zu einer Stimme im Vakuum, zu einer Stimme ohne Klang. Die Bankangestellten können nichts hören und noch weniger darauf antworten.“
Hinterher unterhielt sich Daser noch angeregt mit Donovan, beachtete aber Felix, der daneben stand, überhaupt nicht.
Am nächsten Tag zeigte Felix dem amerikanischen Besucher die Hollerith-Abteilung. Felix berichtete, dass er vorgeschlagen hatte, das Ablochen der Belege extern machen zu lassen. Donovan pflichtete ihm bei. Er informierte Felix über die Entwicklung elektronischer Großrechner, die in wenigen Jahren zur Verfügung ständen und mechanische Rechenmaschinen und Belegsortierer überflüssig machten. Dann lud Felix zu einem Stadtspaziergang durch Frankfurt ein. Der amerikanische Gast sollte wenigstens eine Ahnung von der Bundesrepublik Deutschland bekommen. Donovan, der bis dahin mit Deutschland nur Weizenbier und Sauerkraut verbunden hatte, war beeindruckt von der Stadtgeschichte Frankfurts, die seit fast 700 Jahren Freie Reichsstadt war. Amerikanische Städte haben da eine wesentlich kürzere Geschichte. Felix führte den Mann aus der Neuen Welt zu den kulturgeschichtlichen Sehenswürdigkeiten, der Paulskirche, Domplatz, Römer und Goethehaus. Müde und zufrieden tranken sie abends einen Apfelwein in Sachsenhausen und diskutierten die Entwicklungen in der Welt.
„Der am meisten begehrte Rohstoff der amerikanischen Wirtschaft, das ist die brain power. Es sind die Forscher und die Manager, die den Explosionsmotor der Industrie in Gang halten. Sie sind der Treibstoff unseres auf Hochtouren laufenden Entwicklungstempos. Glaub mir, Felix, hinter der menschlichen Stirn liegt die eigentliche Kraftquelle einer permanenten Revolution, die das Neue um des Neuesten willen verwirft und deren Parole lautet: „The moment you think about something, it is already obsolete!“
Donovan berichtete, dass jeder größere Konzern sein eigenes Research Center aufbaute. „Am California Institute of Technology“ sind atemberaubende Durchbrüche gelungen. Es wurden elektronische Datenverarbeitungsgeräte entwickelt, die mit ihrem Gedächtnis in Sekundenschnelle ein gezieltes Literaturverzeichnis zusammenstellen können. 6000 Spezialisten überall in den USA sind damit beschäftigt, das Elektronenorakel mit immer neuem Rohmaterial zu füttern. Und alles deutet daraufhin, dass dieser neue Trend diese bedeutende Entwicklung, erst begonnen hat.“
Felix war begeistert. Donovan war für ihn eine unerschöpfliche Informationsquelle, und sie diskutierten bis in die späte Nacht hinein.
Am nächsten Tag stand Berlin auf dem Programm. Es war Donovans ausdrücklicher Wunsch, die ehemalige Hauptstadt zu besuchen. Da seit der Luftbrücke der Amerikaner in den Jahren 1948/49 die berühmte Berliner Luft und die Berliner Schnauze jedem US-Burger ein Begriff waren, wollte sich auch Donavan die Ausstrahlung der Stadt nicht entgehen lassen. Sie flogen von Frankfurt nach Berlin-Tempelhof, in „eine Stadt, die wird, aber noch nicht ist“, wie es Felix empfand. Eine historische Mitte gab es in Westberlin nicht mehr, zur City mutierte Charlottenburg und der Bezirk Tiergarten. Sie spazierten auf dem Weltstadt-Boulevard Ku´damm, tranken in einer Kreuzberger Eckkneipe „Molle und Korn“ und besichtigten das Monument der Teilung der Stadt, die Berliner Mauer. Sie wohnten im Hotel Kempinski, eroberten die Stadt mit U-Bahn und Doppeldecker. Die Berliner Luft erwies sich als schmutzig, die Berliner Schnauze servierte ein Junge in einem Speiselokal an der Havel. „Ick liebe dir, ick liebe dich. Wie´s richtig is, ick weeß es nich.“ Hier konnte Donovan auch seine kulinarischen Vorurteile überprüfen, in dem er sich Eisbein, Sauerkraut und Weizenbier einverleibte.
Letzte Station der Rundreise war Heidelberg, ein Muss für jeden Amerikaner, der Deutschland besucht. Auf das Schlossfoto konnte also nicht verzichtet werden. Die wohlgepflegte Ruine imponierte dann auch Donovan. Sie schlurften in Riesenlatschen durch den Königssaal, bewunderten das Heidelberger Fass und das Apothekenmuseum.
Abends im »Hirschen« bei Spätzle und Geschnetzeltem diskutierten sie über die Methoden der Unternehmensleitung. Donovan war erstaunt über die langen Entscheidungswege und undurchsichtigen Hierarchien in deutschen Unternehmen.
„Das dauert doch viel zu lange und ist nicht effizient. Bei uns steht die Tür zum Büro des Chefs immer offen. Jeder kann mit ihm reden. Natürlich kommt man aber nur, wenn man ein wirkliches Problem hat.“
Felix versuchte sich an einer Typologie des deutschen Managers, so wie er sie in seiner Bank beobachtete. ,,Da gibt es den Stillen, der ist selbst für die engeren Mitarbeiter kaum auffindbar. Sein Zepter ist das Telefon, so hinterlässt er keine Spuren. Er scheut sich davor, offen Verantwortung zu übernehmen. Ganz anders der Gernegroß, der irgendwie zu kurz gekommen ist. Er muss sich profilieren und versucht allem und jedem seinen Stempel aufzudrücken. Tag für Tag spornt er sich zu rhetorischen Höchstleistungen an. Selten sind die Charismatischen, die verändern und motivieren. Aber nur eine intelligente Umwelt erkennt ihren Wert, die Zahl der Neider ist zu groß.“ Donovan konnte Felix zustimmen, diese Managertypen kannte er auch aus den Führungsetagen in Amerika. Aber der Job sei auch kompliziert. „Der Job eines Managers besteht schließlich darin, andere Leute dazu zu bringen, das zu tun, was er will. Es hat keinen Sinn, die Dinge zu beschönigen. Der gemeinsame rote Faden zwischen einem Manager, einem General oder einem Präsidenten der Vereinigten Staaten ist der, Menschen für ihre Ziele einsetzen zu können.“ Am nächsten Tag flog Donovan nach New York. ,,Es war eine wundervolle Zeit, in jeder Beziehung“, bedankte sich Donovan. Felix hatte das Gefühl, einen Grundstein für eine Früchte tragende Freundschaft gelegt zu haben.
Aber nicht nur die Festigung der persönlichen Beziehung war ihm wichtig. Felix spürte, dass in der Entwicklung der Computer ein Potenzial für die Zukunft lag, dass hier ein Schlüssel für eine Entwicklung steckte, die alle Bereiche des Bankwesens und möglicherweise das ganze Leben revolutionieren würde. Er wollte von Anfang an mit dabei sein. Er war fasziniert und schon jetzt mit Leib und Seele dieser Entwicklung verfallen. Felix war jetzt am Ende seiner Lehrzeit. Innerlich hatte er diesen Abschnitt längst abgeschlossen, sich weiteren Aufgaben und Zielen geöffnet.
Einige Tage nach Donovans Abreise und eine Woche vor der Abschlussprüfung auf der Höheren Handelsschule und der Industrie- und Handelskammer bestellte ihn Sell zu sich. „Donovan hat geschrieben. Er war ja begeistert von Ihrer Führung durchs Haus und den Ausflügen durchs Land. Gratuliere! Das haben Sie gut gemacht. Die Verbindung zu den Amerikanern ist für uns von großer Bedeutung.“
„Danke, das hat mir auch sehr viel Freude gemacht. Ich habe sehr viel gelernt. Die Entwicklung der Computer in den USA, das ist die Zukunft! Es waren sehr lehrreiche Tage auch für mich.“
„Apropos Zukunft. Sie sind ja jetzt am Ende der Ausbildung. Haben Sie Lampenfieber vor der Prüfung?“
„Nein, gar nicht. Ich bin eher beunruhigt, dass ich so gelassen bin. Aber ich habe mich gut vorbereitet. Ich denke, das wird kein Problem.“
„Nun, dann beginnt ja bald ein neuer Abschnitt. Was haben Sie in den Lehrjahren noch zusätzlich belegt?“
„Ich habe letzte Woche mein Diplom als Bilanzbuchhalter bekommen, in Französisch und Business-Englisch habe ich die Lehrgänge für Fortgeschrittene abgeschlossen.“
„Und für Fremdenführung und Einweisung amerikanischer Gäste kann ich Ihnen auch ein gutes Zeugnis ausstellen. Wie gesagt, Herr Admont, ich suche einen fähigen Assistenten, der mich entlastet und der mir zuarbeitet. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie der Richtige sind. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht?“
„Nachgedacht schon. Sie hatten ja schon früher einmal angedeutet, dass Sie eventuell einen Mitarbeiter gebrauchen könnten. Also, ja, Herr Sell. Ich würde mir das zutrauen. Natürlich muss ich mich einarbeiten, aber ich wäre an dieser Aufgabe sehr interessiert. Ich denke auch, dass ich sie bewältigen könnte.“
„Gut, dann machen Sie erst mal ihre Abschlussprüfung, dann besprechen wir die Einzelheiten.“
Felix Herz hüpfte. Sein Weg, der sich bei dem Gespräch im letzten Sommer schon andeutete, war jetzt klar. Sell war offensichtlich auch sehr an seiner Mitarbeit gelegen. Während des Gesprächs spielte er nervös mit seinen zwei Hornbrillen, die er abwechselnd aufsetzte. Und er wirkte erst wieder ruhig und souverän, als er Felix' Freude über seinen Vorschlag erkannte. Sein künftiger Chef war von ihm und seinen Fähigkeiten überzeugt. Seine Weichen waren gestellt. Wenn das kein Blitzstart war!
Er rief Mirja an, die schon auf ihrem Koffer saß, um das neue Engagement in Saarbrücken anzutreten. Eine Stunde blieb ihnen noch. Sie trafen sich in einem kleinen italienischen Restaurant, um das Ereignis zu diskutieren.
„Sell war sichtlich erleichtert, als er meine Zustimmung hatte. Und ich war wirklich überrascht, dass ihm so viel daran lag.“
„Aber es gab doch schon Signale, erinnere dich an das Gespräch im letzten Sommer, von dem du mir erzählt hast. Und an die Tatsache, dass du ausgewählt wurdest, so einen wichtigen Gast wie Donovan zu betreuen.“
„Stimmt, da muss ein Plan dahinter sein. Mir kam das auch merkwürdig vor, dass ausgerechnet ich für die totale Betreuung Donovans abgestellt wurde.“
„Ich erinnere mich, dass du mehrmals erzählt hast, dass Sell sich intensiv nach deinen Fortschritten in den Fremdsprachenkursen erkundigte. Das war doch auch so ein Zeichen. Das hat er sicherlich nicht bei jedem gemacht. Er wollte dich gezielt fordern. Und fördern.“
„Du hast wahrscheinlich recht. Mir sind die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Ereignissen nicht so klar gewesen. Sicher, die Entscheidung war von Sell von langer Hand vorbereitet. Das können keine Zufälle sein. Wahrscheinlich hat auch Vogt seine Hand im Spiel. Ich denke schon, dass er ein positives Urteil über mich abgegeben hat.“
„Prost, Herr Assistent. Sieht man Sie denn mal wieder in Saarbrücken? Vielleicht, wenn ich das Kätchen spiele oder das Gretchen?“
Felix spürte Mirjas Hoffnung, aber er hielt sich bedeckt. „Möchten tät ich schon gern, aber ob es mit den Können so weit her ist, das kann ich noch nicht sagen, my Lady. Warten wir ab, was kommt. Es war eine schön verrückte Zeit mit dir, Mirja.“
Ihr Abschiedskuss war sanft, ihre Finger streichelten leicht über seine Wangen. „Und pass auf, wenn du mal wieder am Erdbeereis naschst!“
Was ist Liebe? dachte Felix. Ein sehr tiefes Gefühl war das sicher nicht, was er für Mirja empfand. Aber es war doch mehr als ein Sommerflirt. Vielleicht ist Liebe schon, wenn eine Frau eine Frau ist, überlegte er kurz vor dem Einschlafen nach diesem ereignisreichen Tag.
Die Abschlussprüfung eine Woche später war denn auch keine Hürde. Es war schon fast selbstverständlich, dass er die Gesamtnote „eins“ einfuhr. Er war der Jahrgangsbeste in der Bank und auch die IHK zeichnete ihn nochmals aus. Mutter war stolz auf ihn. Was nicht bedeutete, dass sie seinen Weg nun ohne Vorbehalte gut hieß. Manchmal war sie regelrecht eifersüchtig, dass Felix zu viel Zeit in der Bank verbrachte, dass es noch eine Mirja gab, hatte er ihr vorsichtshalber ganz verschwiegen. Um zu erklären, weshalb er gelegentlich nachts nicht nach Hause kam, hatte er einen Kollegen eingeführt, mit dem er sich angeblich angefreundet hatte, um sich auf die Prüfung vorzubereiten.
Aber Mutter ahnte wohl trotzdem etwas. „Dein Hemd riecht nach Parfüm und Zigaretten. Wo du doch Nichtraucher bist.“
„Ach, ja, Mutter. Das kann sein. Vielleicht kommt der Geruch von der Abschlussfeier. Da wurde es manchmal eng.“
„Stimmt es, du bist der beste Lehrling, den die Bank hatte?“
„Stimmt, ich bin der beste in diesem Jahrgang. Aber du weißt ja, es waren auch viele Luschen dabei. Fünf von den Söhnchen sind erst gar nicht zur Prüfung angetreten. Trotzdem ist ihnen ein Job in der obersten Etage sicher.“
„Ja, aber du kommst ja jetzt auch weiter. Das ist doch ein Erfolg.“
„Ja, Mutter, das stimmt. Ich bin auch sehr stolz. Das kannst du mir glauben. Ich denke auch, es wird sich jetzt einiges ändern müssen. Wenn ich den Posten im Vorzimmer von Sell ausfüllen soll, dann wird es abends immer spät, denn ich muss mich in die neue verantwortungsvolle Aufgabe erst noch einarbeiten. Für lange Zugfahrten habe ich dann keinen Nerv mehr.“
„Das heißt, du willst ausziehen? Dann bin ich allein in dem großen Haus?“
„Ich werde wohl ausziehen müssen. Du musst dich allmählich mit dem Gedanken anfreunden. Ich weiß nicht, ob du allein in dem Haus bleiben sollst. Solltest du dich nicht lieber verkleinern?“
„Also, Felix, das kommt nicht in Frage. Ich bin hier, und ich bleibe hier, bis man mich mit den Beinen voraus hinausträgt. Was du machst, gut, das musst du entscheiden. Hast du schon eine Wohnung?“
„Nein, es wird sich auch noch hinziehen. Es ist eine Sache, die gut vorbereitet werden muss.“
Zuerst machte Felix nun den Führerschein und kaufte sich einen VW-Käfer. Damit fielen die zeitraubenden Zugfahrten weg. Er wurde unabhängiger und mobiler. Gelegentlich holte er sogar die Mutter für eine Fahrt nach Frankfurt. Das brachte Abwechslung in ihr eintöniges Leben. Aber mehr als zwei Stunden hielt sie es in der betriebsamen Metropole nicht aus. Dann saß sie wieder im Bummelzug und fuhr nach Hause.
Mutter war einsam, keine Frage. Und unbeweglich. Sie hatte sich ihr Leben zwischen Arbeit und Pflicht eingerichtet, und beides half ihr, die Enttäuschungen zu überwinden, aber sie besaß nicht die Kraft, etwas Neues anzufangen.
Am 1. April begann Felix seine berufliche Laufbahn im Vorzimmer von Sell. Fräulein Sindermann kochte jetzt auch für ihn Kaffee und organisierte Termine, wimmelte ungebetene Gäste ab. Frau Binder schrieb seine Briefe und erledigte den Formularkrieg. Auf Felix' Schreibtisch standen zwei Telefone, eines war der heiße Draht direkt zum Ohr seines Chefs. Der war voll des Lobes über seinen begabten Assistenten, dessen Vorschlag, das Ablochen der Belege zu vergeben, inzwischen umgesetzt worden war.
„Die Bank hat sich die Erweiterungskosten gespart und wir haben nicht mehr unter den extrem hohen Krankenständen zu leiden“, erzählte er jedem, der es hören wollte. Nur Daser hörte regelmäßig gezielt weg.
Felix' erstes Ziel war es, die Weichen für die von Donovan aufgezeigte Entwicklung zu stellen. Dazu brauchte er Sells Unterstützung. Der stand der ,,Denkmaschinenindustrie“ durchaus positiv gegenüber.
„Wie Donovan erzählte, ist die Lochkartensprache durch Neuentwicklungen über kurz oder lang überholt. Jetzt wird ein Magnetband verwandt. Das Magnetband kann auf einer fünfhundert Meter langen Spule in Form winzigster magnetischer Pünktchen soviel Information aufnehmen wie eine herkömmliche Lochmaschine. Diese hochgezüchteten Denkmaschinen, wie sie sagen, sind nicht nur imstande, fast jede arithmetische Operation blitzschnell auszuführen, sie können auch Tausende von Informationen in ihrem Gedächtnis vergleichen, aufbewahren und auf Abruf in Bruchteilen von Sekunden in der richtigen Reihenfolge darstellen.“
„Das ist beeindruckend, lieber Admont. Ich habe auch schon darüber gelesen. Aber, wer kennt sich damit aus?“
„Das ist es ja gerade. Wenn wir die Denkmaschinen bei uns einsetzten, dann brauchen wir auch Spezialisten, die damit umgehen können. Das heißt, wir müssen schon heute Leute auswählen und schulen, damit sie den Umgang mit den Großrechnern lernen. Wir müssen vorbereitet sein. Donovan hat versprochen, mir das Material zu schicken.“
„Machen Sie das so, suchen Sie sich Leute aus, die Sie für geeignet halten. Schulung halte ich für sehr wichtig. Das ist ein ganz neues Gebiet. Wir brauchen Leute, die das beherrschen.“
Und so geschah es dann auch. Felix suchte sich in den einzelnen Abteilungen gezielt zwei bis drei Ansprechpartner, von denen er wusste oder ahnte, dass sie den neuen Entwicklungen positiv gegenüberstanden. Offenheit für Neues, war aber nicht das einzige Kriterium seiner Wahl. Er suchte junge Mitarbeiter, die das Angebot als Sprungbrett für einen internen Aufstieg begriffen.
Leistungsbereitschaft und der Wille zu Veränderung waren ebenso Voraussetzung wie die Fähigkeit zur Kommunikation; schließlich sollten sie später weitere Mitarbeiter in die Rechnerproblematik einweisen können.
Felix tastete sich vor, sammelte Informationen, führte Gespräche und formte dann in wenigen Wochen aus einem Kreis interessierter und fähiger Mitarbeiter eine hochmotivierte Gruppe.
Daser versuchte die Anstrengung zu hintertreiben. „Wer nichts kann und wer nichts weiß, der gründet einen Arbeitskreis“, frotzelte er gegenüber einem Mitarbeiter, der für den Kreis vorgesehen war. Und seine Vasallen kolportierten. „Ein Kamel ist ein Pferd, das von einem Arbeitskreis entworfen wurde.“ Felix erkannte in den Sticheleien eine gezielte Provokation, und er berichtete Sell davon. „Was wir brauchen, sind Handwerker und keine Maulwerker“, schimpfte Sell und spielte damit auf Dasers rhetorische Fähigkeiten an und unterstellte ihm ein Schicki-Micki-Vokabular. Dasers Angriff verpuffte, ja er war in seinem Sinne kontraproduktiv, denn Sell war das Gerede zuwider.
Unbeirrt ging Felix seinen Weg. Sicher, er sprach jeden seiner Schritte mit Sell ab, aber der bremste nicht, legte keine Hürden auf, um ihn an seinem Großrechner-Vorhaben zu hindern. Auch der Arbeitskreis funktionierte hervorragend. Felix führte regelmäßige Arbeitsessen ein, um den Zusammenhalt in seiner Truppe zu stärken, das Bewusstsein zu geben, dass ihr Engagement geschätzt wurde. Auch der Kontakt zu Donovan war intensiv, und er hatte zu jeder Zeit das Gefühl. sehr gut beraten zu werden.
Dann war es soweit. Der erste Großrechner wurde aufgebaut. Alle Mitarbeiter wurden auf einer Versammlung informiert. Die Mitglieder des Arbeitskreises hatten das Feld gut vorbereitet. Die neue Technik wurde akzeptiert. Und die Investition ins Personal machte sich bezahlt. Es gab wenig Anlaufkosten und Probleme. Seine Arbeitsgruppe erwies sich auch in der Anlaufphase als hervorragender Kommunikator. Sie führten abteilungsweise Informationsveranstaltungen durch, erklärten das System und nahmen so den Mitarbeitern die Scheu, damit umzugehen.
Auch Dasers Buschtrommel verstummte zeitweise, denn Felix erhielt im ganzen Haus Anerkennung. Vogt lud ihn zu einer Dienstagsrunde. Das empfand er als eine besondere Auszeichnung. Nach dem er kaum ein Jahr zuvor die Ausbildung beendet hatte, stand er selbst vor den Auszubildenden und erklärte ihnen die Bedeutung der Computertechnik. „Die Maschinen befreien den menschlichen Geist, sie nehmen ihm langweilige Routinearbeit ab, machen den Kopf frei für schöpferische Gedankenarbeit. Und das ist auch notwendig. Gebraucht werden Spezialisten, keine Buchhalter, sondern Bilanztechniker, Statistiker und Operators. Diese Reform der Organisation steht noch am Anfang. Gestalten Sie mit. Bringen Sie sich ein. Die Zukunft gehört den Computern“.
Felix verstand es, seine Zuhörer in seinen Bann zu ziehen. Er konnte überzeugen, motivieren. Und er genoss das Vertrauen seines Vorgesetzten. Als Anerkennung für die erfolgreiche Einführung des Großrechnersystems erhielt Felix Handlungsvollmacht. Natürlich war damit auch eine kräftige Gehaltserhöhung verbunden. Es ging auch finanziell steil aufwärts. Und im Verhältnis zur Mutter hatte er endlich die Souveränität und Eigenständigkeit erreicht, um seinen Willen ohne die zermürbenden Grabenkämpfe durchzusetzen. Sie hatte sich mit seiner Bankkarriere abgefunden. Und wenn es Felix nicht hören konnte, so erzählte sie mit Stolz im Dorf von seinem Aufstieg und der Verantwortung, die man ihm zutraute.
Felix spürte davon allerdings wenig. Nach wie vor las er in Mutters Augen einen stummen Vorwurf. Aber ihre offene Aggressivität war verschwunden. „Ich werde ausziehen, Mutter.“
„So, hast du was gefunden?“
„Ja, in Kronberg in einem Neubaugebiet. Da liegt ein hübsches Haus mit einer Einliegerwohnung. Gestern habe ich den Vertrag unterschrieben.“
„Ich hätte sie mir gerne vorher angesehen. Männer verstehen davon nichts.“
„Du kannst mir ja beim Einrichten helfen, die Handwerker beaufsichtigen, es muss noch ein Duschbad eingebaut werden.“
„Willst du nichts von zu Hause mitnehmen, keine Möbel, kein Geschirr?“
„Nein, das hast du nun schon oft genug angeboten. Ich kann wirklich in meiner Junggesellenwohnung nichts gebrauchen. Ich werde mich neu und vor allem praktisch einrichten. Da gibt es in Frankfurt viele neue Geschäfte. Vielleicht bekommst du ja auch Anregungen für dich. Du solltest dich endlich auch verkleinern. Das habe ich auch schon oft gesagt.“
„Du weißt, das kommt nicht in Frage. Das hier ist auch dein Zuhause, auch wenn du es nicht zu schätzen weißt.“
„Ich weiß es schon zu schätzen, Mutter. Nur du willst mir vorschreiben, wie ich es zu schätzen habe. Ich schätze es auf meine Weise.“
35 Quadratmeter klein war Felix Wohnung. Das Wohnschlafzimmer war mit einer gemütlichen Sitzgruppe und einer Schlafcouch ausgestattet. Am Balkonfenster stand sein Schreibtisch. Felix' liebstes Möbelstück war ein Schaukelsessel. Er genoss das Junggesellenleben. Endlich brauchte er keine Rücksichten mehr zu nehmen.
Für sein persönliches Wohlergehen engagierte er eine Putzfrau, die auch seine Wäsche pflegte und den Kühlschrank füllte. Abends zog er sich gerne in den Schaukelstuhl zurück, um in Ruhe Geschäftspapiere zu studieren oder eine neue Sitzung des Arbeitskreises vorzubereiten. Gerade der Arbeitskreis erwies sich als ein entscheidendes Instrument zum Aufbau von Felix' Position und zum Vorantreiben der Computertechnik.
Obwohl die zwei Jahrzehnte nach dem Krieg eine Zeit des Aufbruchs und des Aufschwungs waren, und die Menschen der Technisierung aufgeschlossen gegenüberstanden, gab es ein fest sitzendes Misstrauen gegenüber einem intelligenten geschlossenen Kasten, der funktionell operiert, ohne dass dem Nutzer transparent wird, nach welchen Kriterien er arbeitet. Felix erkannte, dass man die Wissenskluft zwischen den Eingeweihten und den Nutzern füllen musste. Gleichzeitig musste man die Konservativen herüber ziehen oder neutralisieren. Denn bei aller Fortschrittsgläubigkeit fürchteten sich die meisten Menschen vor Veränderungen, sie wollen stets die alte Welt erhalten, ihre Umwelt, die Zukunft überblicken und kontrollieren.
Diese Erkenntnisse gewann Felix erst allmählich, sie wuchsen in ihm, während er mit den Menschen kommunizierte.
Seit er sich mit Donovan ausgetauscht hatte, wurde ihm auch klar, dass es in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich an positiven Visionen fehlte, ganz besonders mangelte es an akzeptierten Visionen einer computerisierten Zukunft.
Hier einen Anstoß zu geben, einen Funken zu zünden, darin erkannte Felix mehr und mehr eine Aufgabe. So legte er gezielt um den Arbeitskreis „Neue Technik“ weitere konzentrische Kreise von mehr oder weniger Interessierten oder auch nur neugierigen Mitarbeitern. Netzwerkartig bildete er Knoten und Geflechte von engagierten Angestellten, die mit seiner Person verbunden waren und die als Botschafter die Vision einer computergesteuerten Zukunft in der Bank verbreiteten.
Dies hatte den Nebeneffekt, dass Felix' Arbeit gesehen und geschätzt wurde. Die Neider verstummten. Niemand wagte mehr offen über den Arbeitskreis zu frotzeln oder heimlich zu sticheln. Die Fortschrittselite hielt zusammen.
„Wie ich immer wieder höre, halten Sie sehr erfolgreich Sitzungen während des Essens ab“, sagte Sell eines Tages zu ihm.
„Abgesehen von der Fachsimpelei bietet das gemeinsame Essen eine ausgezeichnete Gelegenheit, unvoreingenommene Meinungen zu neuen Problemen zu hören“, erklärte Felix.
„Nun, dann stößt mein Vorschlag zu einer gemeinsamen Tafelrunde vielleicht nicht auf taube Ohren?“
„Aber, Herr Sell. Das würde mich freuen. Ich würde den Ratskeller vorschlagen.“ Fräulein Sindermann bestellte einen Tisch.
„Wie lange sind Sie jetzt schon mein Assistent, Herr Admont?“
„Fast genau zwei Jahre. Ich habe ja sofort nach meiner Abschlussprüfung angefangen.“
,,Ich habe das Gefühl, Sie sind schon viel länger bei mir. Sie haben viel bewegt. Ich glaube auch, dass bei der Rechnerentwicklung die Zukunft liegt.“
„Davon bin ich fest überzeugt. Diese Zukunft zu gestalten, das ist mein Ziel. Aber ich bin auch unsicher. Es gibt immer wieder technische Rückschläge. So genau weiß ich auch nicht, wohin die Reise geht. Und die Menschen sind oft so zaghaft, und man tastet sich im Schneckentempo vorwärts.“
„Das war schon zu meiner Zeit so. Betrachtet man die Mitarbeiter als Gesamtheit, so ist die überwiegende Mehrheit bestrebt, die Position zu halten. Nur einer kleinen Gruppe lag es am Herzen, neue Strukturen, neue Verfahren, neue Geräte zu entwickeln und einzuführen. Es waren die Ingenieure, die die Welt in den letzten hundert Jahren intensiv bewegt haben. Was die Informationstechnik angeht, wirkt da noch eine andere Angst. Denken sie an George Orwell und seinen Roman 1984. Der Große Bruder, von dem er spricht, der steht auch für die Terminologie der Computerwelt, für ein allumfassendes Expertensystem. Orwell hat als erster darauf hingewiesen, dass nur ein kleiner Teil der Menschheit am Großen Bruder teilnimmt. Der Rest hält sich raus oder wird rausgehalten.“
„Mein Ziel ist es ja gerade, dass jeder, der teilnehmen will, auch eine Chance bekommt. In den Schulen, auch in den Universitäten wird auf diese Zukunft nicht vorbereitet. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass die Produkte der Computer- und Informationstechnik nicht aus Deutschland, sondern aus den USA kommen.“
„Ja, wir sind da ein Entwicklungsland, aber das ändert sich bei uns ja täglich. Wir holen auf. Dank Ihrer Vorgabe. Übrigens, ich habe vorgeschlagen, dass Sie ab 1. Juni Prokura erhalten. Das war überfällig. Es erleichtert Ihre Arbeit. Und schließlich müssen Sie doch in die Verantwortung hineinwachsen, die sie spätestens in drei Jahren übernehmen sollen. Prost, Herr Admont!“
„Wie darf ich das verstehen?“
„Man muss sein Feld bestellen. In drei Jahren bin ich 65 Jahre. Zeit aufzuhören. Ich bin mit Generaldirektor Carwitz übereingekommen, dass Sie meinen Platz im Vorstand übernehmen. Und nun, Herr Ober, zahlen!“
Felix blieb die Luft weg. Dieses Abendessen hatte es in sich. Zum Hauptgang wurde ihm die Prokura angetragen, zum Dessert, eher beiläufig, ein Platz im Vorstand serviert. Sell wollte ihm keine Gelegenheit geben, darauf einzugehen. „Ich hoffe, das war ein anregendes Arbeitsessen für Sie. Ich jedenfalls bin jetzt überzeugt von dieser Einrichtung. Sie dürfen mich gelegentlich wieder einladen“, scherzte Sell gutgelaunt zum Abschied und stieg in seinen Dienstwagen. Diesen Abend hat Felix nur ungern alleine verbracht. Er vermisste Mirja, er vermisste eine Gesprächspartnerin. Mein bester Freund bin ich selbst. Ich bin ein Einzelgänger, erkannte er. Aber ein erfolgreicher Einzelgänger. Wie spät war es in den USA? Donovan war Nachtarbeiter. Dann griff Felix Zum Telefon und meldete ein Gespräch nach Kalifornien an.
„Oh, Felix, ich bin begeistert. Das ist grandios, wundervoll! Hattest du damit gerechnet? Das ist ja eine Blitzkarriere, die du da vorlegst.“
„Nein. Damit konnte ich wirklich noch nicht rechnen. Vielleicht irgendwann einmal, daran habe ich schon gedacht. Ich arbeite ja an meiner Karriere, so wie du auch.“
„Aber du hast auch gut gearbeitet. Sonst wäre jetzt nicht das großartige Angebot gekommen. Was bedeutet das jetzt konkret. Bist du jetzt ein Vorstand in spe, wie man bei euch sagt?“
„Sell hat ja gesagt, dass der Generaldirektor Professor Carwitz schon zugestimmt hat. Ich denke, dass ich in absehbarer Zeit zum Stellvertretenden Vorstandsmitglied ernannt werde und mit dem Ausscheiden von Sell dann als ordentliches Vorstandsmitglied nachrücke. So ist, glaube ich, der Weg“.
„Also, ich möchte gerne mit dir anstoßen, Herr Direktor Admont! Vielleicht machen wir das bald hier bei mir!“
„Wie meinst du das?“
„Abwarten, lass uns nächste Woche telefonieren. Ich habe ein neues Projekt, aber es ist noch nicht spruchreif.“
Dieser Donovan! Er war schon wieder auf der Jagd. Ein phantastischer Realist, der mit dem Morgen und Übermorgen auf Du und Du stand. Kaum war eine Entwicklung geboren, dann war sie schon überholt. Felix war gespannt, was er nun auf der Pfanne hatte.
Zwei Tage später konferierte er wieder mit Felix am Telefon. ,,Es geht weiter Felix. Der Großrechner ist nicht das Ende der Geschichte. Er ist der Anfang. Stell dir vor, was möglich ist, wenn wir die Großrechner vernetzen. Das wäre doch ein Riesenschritt. Es wäre möglich, alle Filialen mit der Zentrale zu verknüpfen. Es wäre möglich, in der Zentrale schon am selben Tag einen Überblick über die Tagesaktivitäten zu bekommen! Phantastisch. Nicht wahr?“ Da war er! Der neue Quantensprung. Es ging nicht mehr nur um den Einsatz der Informationstechnologie als Rationalisierungsinstrument, es ging um die organisatorische Verknüpfung von Strukturen. Das war die Hypertechnik, an die er auch schon gedacht hatte. Von der er aber glaubte, dass sie erst in der nächsten Generation realisiert werden könnte. War das nun ein wahrer Schritt in Richtung Orwells 1984? Felix verwarf die Horrorvision. Sie war im Grundsatz falsch und irreführend, weil sie eine diktatorische Struktur voraussetzte. Aber die Herausforderung war ungeheuerlich. Ihr zu begegnen, seine Aufgabe, der er sich stellen würde.
Eine Woche später hatte Felix die Unterlagen über das „Arpanet“ in der Hand. Abends sprach er mit Sell und erklärte ihm die Lösung für ein Problem, das jener noch gar nicht erkannt hatte. Sell ließ sich überzeugen, ja begeistern.
Diese Entwicklung konnte der entscheidende Vorsprung sein, den jedes Unternehmen braucht, um sich erfolgreich und auf Dauer von seinen Konkurrenten abzusetzen.
„Informieren Sie sich ausführlich. Ich denke, Sie müssen vor Ort alles in Erfahrung bringen. Bereiten sie Ihre Reise in die USA gut vor. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg!“
„New York ist nicht Amerika, aber ohne New York warst du nicht in Amerika! Dort hole ich dich ab!“ hatte Donovan versprochen.
Der erste Eindruck: New York ist ein Moloch, eine Arche Noah, in der sich alle Hautfarben, Sprachen, Weltanschauungen, alle Temperamente treffen, eine Stadt, die ständig ihre Sensationen schafft, ein Nährboden für Neugierige und Abenteuerlustige. Da sind die Wolkenkratzer von Manhattan, die City mit ihrer himmelsstürmenden Architektur. Um jeden Quadratmeter Boden wurde hier gerungen, um dann die Stockwerke weit in die Höhe zu stapeln. Hier war man dem Himmel näher als anderswo. Die Stadt aus Glas und Stahl gleicht einem architektonischen Gesamtkunstwerk. Felix war überwältigt. Und erstaunt, denn Manhattan war trotz seiner Ausmaße geografisch schnell erfassbar, da das Straßensystem systematisch und konsequent logisch aufgebaut war.
„New York erleben, heißt New York erlaufen“, scherzte Donovan, und Felix begriff bald, das diese Atmosphäre dem Temperament seines Freundes kongenial entsprach. Alles ist immer und ständig in Bewegung. Wo in Frankfurt vielleicht ein Schritt gemacht wird, hat man hier schon drei hinter sich. Stillstand, das wäre Rückschritt. Also vorwärts! Das ist die Melodie, die hier gespielt wird.
„Gibt es New York wirklich, oder habe ich das alles nur im Film gesehen?“, flachste er am Abend in der Hotelbar von Rumpelmayer's St. Moritz am Central Park mit Charles Donovan.
„Man kann“, behauptete Donovan, „hier 30 Jahre lang jeden Abend essen gehen, ohne auch nur ein Restaurant zweimal besucht zu haben. Es ist die kulinarische Hauptstadt der Welt. Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Ob Feinschmecker oder Vielfraß, hier bekommt jeder sein Fett weg!“
Felix war überwältigt. Obwohl er sich theoretisch durch viel Lektüre und praktisch durch die Freundschaft mit Donovan im Land von Onkel Sam zurecht zu finden glaubte, fühlte er sich in einer Neuen Welt.
Und die Arbeitswelt eröffnete ungeahnte Perspektiven. Auch wenn der Deutsche Konrad Zuse der erste war, der Anfang der 40er Jahre ein funktionierendes vollautomatisches Rechnersystem gebaut hatte – die Computerindustrie war in den USA zu Hause.
„1946 bereits gab es den ersten UNIVAC in den USA mit einem Konzept der Integration von Programm und Daten im Speicher eines Rechners“, erklärte Donovan stolz. „Der größte Innovationspool ist bei uns die NASA und die Raumfahrttechnik. So etwas habt ihr nicht. Auch deshalb gibt es bei uns fast keine Bank, kein Industrieunternehmen ohne seinen Großrechner.“ Die Zukunft aber liege in der Entwicklung der Mikrochips, in der Entwicklung von Schaltkreisen, die mit winzigen Transistoren bestückt sind.
„Die werden noch erheblich kleiner und leistungsfähiger werden.“ Und Donovan schwärmte: „Das ist überhaupt ein entscheidendes Merkmal der neuesten Entwicklung in der Technik und in der Wissenschaft in Amerika, dass man sich nicht mehr um das Größte oder das Überdimensionale kümmert, sondern dass man sich jetzt mit dem Kleinsten beschäftigt. Da liegt das Potenzial der Zukunft.“ Es gebe bereits die ersten elektronischen Datenverarbeitungsanlagen auf Mikrochip-Basis in den Washingtoner Regierungsbüros. Aber nicht nur in der Technik gingen die Amerikaner neue, unbekannte Wege. Jeder größere Konzern, der etwas auf sich hält, baut sein eigenes Research Center eine Zentrale für Forschung und Entwicklung“, wusste Donovan. „Und da die gut ausgebildeten Gehirne knapp waren, offerierte man ihnen Jahresgagen, die über den Politikergehälter lagen. Talentjäger seien unterwegs, um die Spezialisten abzuwerben.
„Die neueste Entwicklung ist, dass die egg heads eigene Unternehmen gründen, um den finanziellen Rahm ihrer Erfindungen abzuschöpfen.“
Felix interessierte aber nicht nur die Elite, er sah, dass unterhalb der Spitze ein Heer von Spezialisten gebraucht wurde, das ausgebildet werden musste. Ein gut funktionierendes, ausgeklügeltes Fortbildungs- und Umschulungssystem in Banken und großen Konzernen sorgte in Amerika dafür, dass die Hochtechnologie angewendet und auch akzeptiert wurde.
Zum Abschluss entführte ihn Donovan nach Las Vegas. Die Stadt der Kasinos und der Glitzerwelt. Felix versuchte sieh an Roulettetischen, Black Jack und Craps, dem schwer durchschaubaren Würfelspiel. Neben den Spielhöllen gehört das Showbusiness zu dieser Stadt. Unvergesslich für Felix: die Show von Frankieboy. Felix' Resümee dieser ersten USA-Reise: Es war wunderschön, es war zu kurz, ich habe viel gesehen und wieder auch viel zu wenig, um mir wirklich ein umfassendes Bild machen zu können.
Ein deutliches Bild allerdings hatte er von der neuen Technologie und der Etablierung in der Bank. Entscheidend war die personelle Weiterentwicklung. Gleich am ersten Tag nach seiner Rückkehr wollte er einen Bericht an den Vorstand schreiben.
Es brodelte, als er wieder an seinem Schreibtisch Platz genommen hatte. Daser hatte die günstige Gelegenheit genutzt und in seiner Abwesenheit kräftigt intrigiert. Ziel war, Felix' Ernennung als Nachfolger von Sell zu hintertreiben. Die Taktik zielte auf seine Ausbildung. Ein Vorstandsmitglied ohne Studium, das ist undenkbar!, hieß die Parole. Daser schickte seine Zwerge aus, die in den Abteilungen ihr Gift verspritzten. Sicher, Felix sei ein fähiger Mann, das sei nicht zu bestreiten. Sicher, er setze auch auf das richtige Pferd. Die Computerentwicklung liege in der Luft. Da habe er das notwendige Quäntchen Glück. Langfristig müsse man aber erst mal abwarten. Er sei ja noch so jung, ohne Erfahrung. Schließlich fehle auch die wissenschaftliche Ausbildung. Ohne dieses feste Fundament sei langfristig eine Arbeit an der Spitze der Bank nicht möglich. Wissenschaftliches Arbeiten sei unabdingbar.
Felix, der von Dr. Vogt über das Geraune informiert wurde, wunderte sich nicht. Er war nur ärgerlich über seine Naivität. Wie hatte er glauben können, dass Daser diese Entscheidung hinnehmen würde. Wie hatte er hoffen können, dass er seine Abwesenheit nicht nützen würde, um an seiner Kompetenz zu zweifeln. Und das fehlende Studium, das war der einzige Fleck in Felix' Karrierebiografie, ein Fleck allerdings, den er nicht selbst verursacht hatte.
Sicher, Daser würde kaum zum Ziel kommen, denn Sell hatte Generaldirektor Carwitz von Felix' Qualitäten überzeugen können, wie er mehrmals versichert hatte. Aber es wurmte ihn permanent, dass es in der Bank immer noch so viele Menschen gab, die auf Herkunft, Titel und Orden starrten und dabei die Leistung und Einsatzbereitschaft hinten anstellten. Felix vergewisserte sich noch mal bei Sell.
„Sie selbst haben doch schon erkannt, dass die Menschen im Kern konservativ sind. Sie wollen keine Veränderung, auch nicht im Denken. Sie hinken den Entwicklungen hinterher. Und dann kommt die Erziehung. Der Untertanengeist liegt vielen noch im Blut. Schauen Sie, was mit Menschen passiert, die eine Uniform bekommen, wie Sie ein Post- oder Bahnbeamter schuhriegeln kann. Also, Herr Admont, machen Sie sich keine Gedanken. Meine Nachfolge ist geregelt. Sie treten sie an.“
Beruhigt machte sich Felix an seinen USA-Bericht für den Vorstand. Er wusste, auch darin war Sprengstoff, denn seine Vorschläge griffen in Dasers Kompetenzen ein. Da er an der Computerentwicklung kein Interesse hatte, Arbeitskreise, wie sie Felix betrieb, ablehnte, kam in den Ausbildungsplänen der Lehrlinge die Zukunftstechnologie noch nicht vor. Nun forderte Felix in seinem Papier umfassende und sofortige Maßnahmen in der personellen Weiterbildung. Datenverarbeitung müsse Bestandteil der Ausbildungspläne werden und regelmäßig in Abendkursen angeboten werden.
„Wir werden unseren Vorsprung nur halten und ausbauen, wenn wir schon in der Ausbildung des Bankennachwuchses eine breite Wissensbasis über die Datentechnik schaffen und darüber hinaus ein Bewusstsein für den ungeheuren Fortschritt erzeugen, den diese neue Technik bringen wird. Unser Arbeitsleben wird sich revolutionieren. Darauf müssen wir vorbereitet sein. Wir werden unsere Prognosen nur erfüllen, die Spitze nur halten können, wenn wir rechtzeitig und umfassend die Weichen stellen.“
Das war eindeutig. Die Frage, weshalb nichts in dieser Richtung bei den Auszubildenden getan wurde, lag in der Luft. Vogt konnte nicht gemeint sein, denn der hatte sich redlich bemüht, Felix so oft wie möglich zu einem Vortrag einzuladen. Seine Vorschläge waren bekannt, aber es fehlte der Druck. Jetzt lag das Papier auf dem Vorstandstisch, und Daser kochte, wie Felix von Sell erfuhr.
„Es gibt in diesem Hause keine einheitliche Linie. Da werden Arbeitskreise gegründet, und man weiß nicht, was da eigentlich geschieht. Was wird geschult in diesen Schulungszirkeln? Dann wird von Arbeitsessen geredet, zu denen neuerdings auch Mitarbeiter der unteren Ebenen gebeten werden. Was wird da eigentlich verspeist und nach welchem Speiseplan? Wieso werden wir nicht einbezogen? Dann werden jetzt plötzlich Schulungen verlangt? Also, meine Herren, ich als Betriebswirtschaftler kann dem nicht mehr folgen. Sind wir zu Statisten degradiert? Ich darf hier doch um Aufklärung bitten!“
Dasers Angriff verpuffte. Keiner der Vorstände pflichtete ihm bei. Das hatte sicher mit der eigenen Unsicherheit zu tun. In die neue Technik war keiner eingeweiht. Und schließlich wirkte auch die Erkenntnis: Erfolg ersetzt alle Argumente. Erfolg braucht keine Erklärungen, er spricht für sich selbst. Der Erfolg hatte sich an Felix´ Fahne geheftet. Und die Entwicklung war nicht mehr rückgängig zu machen, auch wenn es Daser noch so gern wollte.
Irgendwann rief jemand aus dem Zwergenstaat an und bat um schriftliche Unterlagen zur Vorbereitung von Schulungsangeboten. Zwei Wochen später fand Felix Vorschläge zu den erweiterten Ausbildungsplänen auf seinem Schreibtisch. Das war ein erstes Signal. Felix war erleichtert. Er nahm Kontakt zu Daser auf, bot ihm Unterstützung an. „Ich könnte Ihnen auch die Vorlagen aus den USA besorgen.“
„Das ist sehr freundlich von Ihnen. Wie heißt es doch so schön: Von den USA lernen, heißt siegen lernen. Es wird sowieso immer schwieriger, geeigneten Nachwuchs zu finden.“
„Wir dürfen uns nicht mit dem Durchschnitt abfinden. Das ist auch eine Erfahrung aus Amerika. Dort werden fähige Leute abgeworben. Natürlich mit besonderen Anreizen und der Zusage auf ein schnelles Vorwärtskommen. Ein Heer von Agenten hat sich darauf spezialisiert. Dies ist zwar kostspielig, aber auf Dauer lohnt sich das. Die Unternehmen verlieren sonst an Boden.“
„Also, ich zweifle daran, ob sich diese Strategie lohnt. Wen züchtet man da hoch? Bedenken Sie die Auswirkungen auf das übrige Personal, das ein ganzes Berufsleben lang an seiner Karriere gestrickt hat. Das gibt böses Blut.“
„Ich meine ja nicht, dass wir die Förderung der Belegschaft vernachlässigen sollen, im Gegenteil. Ich meine nur, dass wir eventuell darüber nachdenken müssen, ob wir nicht neues Blut zuführen müssen, das würde ja vielleicht auch alle ein bisschen wacher machen. Man muss mit offenen Karten spielen in diesen Fällen, das baut einer Missstimmung vor.“
„Möglich, Herr Admont. Ich habe schon einige Missstimmungen hier erlebt, und es lässt sich gar nicht ausrechnen, wie teuer die uns zu stehen gekommen sind. Die Leute werden krank, kündigen innerlich. Ich bin schließlich für diese Entwicklung verantwortlich. Wir müssen eine langfristige Personalentwicklung betreiben. Daran liegt Ihnen ja auch. Ich werde mir Ihre Gedanken durch den Kopf gehen lassen.“
Das war keine Ablehnung. Aber die Distanz war spürbar. Es war wie bei einem Boxkampf, bei dem keiner so recht zum Ausholen kam. Man tänzelte um den Gegner, versuchte sich keine Blöße zu geben, Deckung zu halten. Aber man musste jederzeit mit einem Angriff rechnen.
Felix war mulmig nach diesem Gespräch. Sicher, er hatte seine Mitarbeit nur angeboten, damit Daser nicht sagen konnte, er hätte sich nicht bemüht. Aber Daser hatte dies als Einmischung verstanden. Vielleicht sollte er nicht mit den Erfahrungen der Amerikaner kommen? Das war schließlich ein Feld, auf dem sich Daser überhaupt nicht auskannte. Er wollte sich mit Dr. Vogt beraten.
„Ich weiß, lieber Herr Admont. Da gibt es Animositäten. Ein schwieriges Feld. Ich bin ja zum Glück nicht direkt involviert. Aber eine aggressive Grundstimmung und unterschwellige Anspielungen bekomme auch ich mit. Von den USA lernen, heißt siegen lernen, ist so ein Spruch, den ich auch schon gehört habe. Das ist etwas mehr als nur eine rhetorische Formel, wie wir sie von Daser kennen. Das hat was zu bedeuten. Das ist doch der Spruch, den die Machthaber in der Sowjetzone immer für Sowjetrussland gebrauchen. Damit soll wohl unterstellt werden, sie sind ein Erfüllungsgehilfe der USA-Computerindustrie. Natürlich ist das nur ein Scherz, wird Daser immer behaupten. Und seine Gefolgsleute werden dazu gefällig applaudieren. Aber es gibt in jedem so genannten Scherz einen ernstzunehmenden Kern. Er neidet Ihnen wahrscheinlich nicht nur die Körpergröße, sondern jetzt auch noch die USA-Erfahrung. Obwohl er doch studiert hat, haben sie einen Wissen- und Erfahrungsvorsprung, das ist für einen Menschen wie Daser nur schwer zu verkraften. Mir fällt es auch schwer, Ihnen einen guten Rat zu geben, außer, dass Sie sich vorsehen müssen. Dass Sie bei allem, was Sie tun, diese Konstellation einbeziehen müssen.“
„Haben Sie in Ihrer Laufbahn ähnliche Erfahrungen mit Daser gemacht?“
„Also, ich habe auch so manchen Streit mit ihm ausgefochten. Aber vieles lief verdeckt, und ich suchte mir Pfade, um ihn zu umgehen. Andererseits muss man in Betracht ziehen, er ist eine wichtige Größe im Haus mit einer sehr starken Position, auch im Vorstand.“ Der liberale Geist hatte auch einen Trost bereit: „Wer mit uns ringt, stärkt unsere Nerven und macht uns noch tüchtiger. So werden aus Feinden ungewollt Helfer“.
Felix hätte sich gerne eine andere Nervenstärkung gewünscht. Vogt hatte recht, er musste vorsichtig sein. Jeder Fehler konnte verhängnisvoll werden. Daser hielt den Dolch im Gewand. Seine Stunde sollte noch kommen.