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Abschnitt 1: MENSCHENWÜRDIGE ARBEITSLOSIGKEIT

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„Mit einem Dach und seinem Schatten dreht sich eine kleine Weile der Bestand von bunten Pferden, alle aus dem Land, das lange zögert, eh es untergeht.

Rainer Maria Rilke, Das Karussell

Zwei Beteuerungen vorweg:

Wer reformieren will, muss das zu Reformierende genau kennen und richtig schätzen. Er muss es genauer kennen als die meisten Dinge im Leben28 und er muss es in ähnlicher Weise schätzen, wie man einen geliebten Menschen schätzt, für den man vor allem will, dass es moralisch gut um ihn steht. Das nehmen wir für uns in Anspruch,29 wenn wir Reformvorschläge zur österreichischen Arbeitsmarktpolitik machen.

Wir sind überzeugt, dass Reformvorschläge überhaupt nur dort von Bedeutung sind, wo sich der Wandel bereits ereignet.30 Der „Abschied vom Fördern und Fordern“ in der Arbeitsmarktpolitik, den wir vor allem als einen „Fortschritt des moralischen Wissens“31 verstehen, ist bereits im Gange: Die individuellen Sanktionen bei der Ablehnung von offenen Stellen erweisen sich angesichts der gigantischen Dimensionen der Arbeitslosigkeit nur mehr als punktuelle Versuche, die Idee einer fordernden und strafenden Gerechtigkeit in der Arbeitsvermittlung am Leben zu erhalten. Wenn politische Akteure heute nach strengeren Zumutbarkeitsbestimmungen für die Arbeitssuche rufen,32 dann verhallt das nur noch wie der ewige Gleichklang einer Beschwörung, es müsse doch endlich ein Weg gefunden werden, Arbeitslose zu zwingen, das zu wollen, was sie nicht mehr wollen können und was auch der Großteil der (noch) nicht Betroffenen für sich keinesfalls wollen würde.33 Es ist nicht verwunderlich, dass anlässlich solcher Aufrufe sogar in der tagespolitischen Debatte immer öfter verlangt wird, man möge doch „endlich Ideen und kreative Konzepte“ einbringen34.

28So wie der Philosoph Peter Bieri in seinem Vortrag an der Pädagogischen Hochschule in Bern am 4. November 2005 mit dem Titel „Wie wäre es, gebildet zu sein?“ meinte: Bildung „… ist (auch) ein Sinn für Genauigkeit: ein Verständnis davon, was es heißt, etwas genau zu kennen und zu verstehen: ein Gestein, ein Gedicht, eine Krankheit, eine Symphonie, ein Rechtssystem, eine politische Bewegung, ein Spiel. Es gibt niemanden, der mehr als nur einen winzigen Ausschnitt der Welt genau kennt“

29Denn: Georg Grund-Groiss arbeitet seit 26 Jahren beim österreichischen Arbeitsmarktservice und hat dort seine berufliche Berufung gefunden. Philipp Hacker-Walton berichtet als Journalist seit vielen Jahren kundig und wohlwollend-kritisch über die österreichische Arbeitsmarktpolitik, so ist sie ihm auch ans Herz gewachsen.

30Man könnte es auch als eine transzendentale Bedingung jeder Reformidee verstehen, dass es keinen Start „from nowhere“ gibt.

31Jürgen Habermas: Auch eine Geschichte der Philosophie. Band 1. Berlin 2019, S. 136.

32Wie z. B. der Präsident der österreichischen Wirtschaftskammer am 11. 9. 2020: Arbeitslose müssten per Sanktionsdruck dazu angehalten werden, weiter als bislang verlangt zu pendeln oder auch dorthin zu übersiedeln, wo es noch offene Stellen gibt.

33Das erinnert an den „Urzustand“, wie ihn John Rawls, der wichtigste Philosoph der Gerechtigkeit im 20. Jahrhundert, in seiner „Theorie der Gerechtigkeit“, Frankfurt 1975, beschrieben hat: Wenn wir völlig unparteilich wären, hinter einem „Schleier des Nichtwissens“ unseres Standes und unserer Interessen die Regeln festlegen müssten, würden wir viele Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose wohl nicht mehr akzeptieren.

34So z. B. im „Standard“ am 11. 9. 2020 gefordert von Redakteur András Szigetvari.

Das halbe Grundeinkommen

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