Читать книгу Das halbe Grundeinkommen - Philipp Hacker-Walton - Страница 7
Einleitung
ОглавлениеDie Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ist der zweite Schritt. Der erste Schritt auf unserer Reise zu einer gerechteren Arbeitsgesellschaft ist die Einführung eines halben Grundeinkommens. Vor dem Abmarsch muss aber noch die moralische Arbeitsmarktreform in den Rucksack, deren Verwirklichung, von der Öffentlichkeit noch unbemerkt, bereits begonnen hat.1
Die Planungsarbeiten für diese Reise haben durch die Corona-Krise eine unerwartete Beschleunigung erfahren und gleichen plötzlich eher der hastigen Vorbereitung einer Flucht: Mit der neuen Massenarbeitslosigkeit hat ein tektonisches Beben die ethischen Grundfesten unserer Arbeitsgesellschaft erschüttert, nachdem Strukturwandel und Digitalisierung, maulwurfsgleich, das Erdreich darunter schon an vielen Stellen ausgehöhlt hatten. Niemand kann mehr mit Gewissheit sagen, ob nicht bereits das ganze Haus einzustürzen droht.
Die Corona-Krise ist ohne Zweifel eine „Leben und Bewusstsein tief zerklüftende Wende und Grenze … mit deren Beginn so vieles begann, was zu beginnen wohl kaum schon aufgehört hat.“2 Vor „Corona“ regierte jedenfalls noch das „Fördern und Fordern“ in nahezu ungetrübter Herrlichkeit. Diese schmale Formel prägte drei Jahrzehnte lang unser Verständnis von Gerechtigkeit in Wirtschaft und Staat und faszinierte nicht nur die leitenden Beamten der Sozialbehörden und die Interessenvertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sondern weite Teile der Bevölkerungen in allen reichen demokratischen Nationen. In dieser Formel schienen die guten und die bösen Engel unserer Seelen glücklich erkannt und versöhnt. Das alte Prinzip von „Geben und Nehmen“, gefühlt so uralt wie die Evolution selbst und gleichzeitig so jung wie die Vorstellung einer solidarischen Hochleistungsgesellschaft3, hatte nicht nur seinen griffigen Ausdruck, sondern auch seine mächtige technokratische Praxis in den Institutionen gefunden.
Auch philosophisch betrachtet schien alles plausibel: Wenn der Staat tatsächlich „die Wirklichkeit der sittlichen Idee“4 in ihrer jeweiligen geschichtlichen Form ist, dann durften fast zwei Generationen mit dem „Fördern und Fordern“ einen sittlichen Höhepunkt erleben, indem sie Idealismus und Realitätssinn im Hinblick auf die moralische Vertrauenswürdigkeit des Menschen integriert fanden. Eine recht lange Zeit schien nichts verständlicher und vernünftiger als dieses Prinzip, das unter dem leuchtenden Banner der Chancengerechtigkeit zu segeln behauptete. Jetzt, mit Corona, wissen wir: Ein geschichtlicher Endpunkt war auch das meritokratische „Fördern und Fordern“ nicht. Schon allein, weil nicht mehr so recht klar ist, was genau noch von den Arbeitslosen gefordert werden kann und darf, wenn die Arbeitsplatzlücke immer tiefer klafft.