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Abschied vom „Fördern und Fordern“

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Standen im Jahr 2019 den knapp 900.000 von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen in Österreich noch 521.000 beim staatlichen Arbeitsmarktservice (AMS) gemeldete offene Stellen gegenüber,5 so macht die abwechselnd aufbrandende und dann wieder schwelende Corona-Krise dieser noch halbwegs funktionalen Balance auf längere Sicht den Garaus.

Denn es ist nur mehr wenig sinnvoll, weiterhin davon auszugehen, die staatliche Stellenvermittlung mit ihren gesetzlichen Pflichten für Arbeitslose sei gerecht, wenn nur mehr der kleinere Teil der Betroffenen überhaupt Stellenangebote bekommen kann. Schon davor war das störrisch hohe Ausmaß der strukturellen Arbeitslosigkeit ein schmerzlicher Pfahl im Fleische einer sich partout optimistisch gebenden, gebetsmühlenartig auf Qualifizierung6 setzenden Arbeitsmarktpolitik. Dass die bekannten Asymmetrien und Diskrepanzen am Arbeitsmarkt weiterhin dialektisch-produktiv sind, scheint nur mehr für den kleineren Teil der Arbeitslosen plausibel und gültig.7

So verwundert es dann doch nicht, dass das „Fördern und Fordern“ stillschweigend in Abdankung begriffen ist. Was in Österreich als „AMS-Algorithmus“ zur Bewertung der Arbeitsmarktchancen von Betroffenen heftig und kontrovers diskutiert wurde, ist in Wirklichkeit nichts anderes als der erste ernsthafte, zur besseren Legitimation wissenschaftlich maskierte Versuch, viele sehr arbeitsmarktferne langzeitarbeitslose Menschen von der Vermittlungspflicht zu befreien. Politisch und rechtlich ist der Versuch noch heftig umkämpft8 und die Kriterien für einen bedingungsreduzierten Arbeitslosengeldbezug wurden wieder verwirrt und einer zwar nicht beliebigen, aber doch strategisch unreflektierten behördlichen Praxis überlassen. Aber das ist nur ein Aufschub.

Auf den ersten Blick paradox scheint, dass sich auch die politische Linke an die Ideologie der gegenwärtigen Arbeitsmarktpolitik klammert, die – einerseits – planwirtschaftlich vorgeht, um – andererseits – neoliberale Zielsetzungen zu erfüllen. Wie ihr Gegenüber schwärmt „die Linke“ weiter von der effizienten Steuerung der staatlichen Arbeitsmarktpolitik mittels „Balanced Score Card“ und „Management by Objectives“.9 Sie setzt, wie ihr Gegenüber, mittlerweile sogar auf eigene „Erhebungsdienste“ der Arbeitsmarktbehörde zur Verhinderung des Missbrauchs des Arbeitslosengeldes10 und versteift sich unbeirrbar auf die Idee, dass der Strukturwandel bloß ein temporäres Auseinanderklaffen von Qualifikationen und Qualifikationsanforderungen sei, das man mit Lehrstellenförderung und staatlichen Kursprogrammen eines Tages wieder gütlich korrigiert haben wird. Oder sie zeigt sich, anders als ihr politisches Gegenüber, fasziniert von der Idee einer staatlichen Jobgarantie für alle Langzeitarbeitslosen, selbst wenn nicht klar ist, wie man einen demütigenden Bürokratismus bei der Zuweisung individuell passender Jobs und die Stigmatisierung der auf diese Weise „Geretteten“ hintanhalten könnte.11

„Welfare to workfare“, die Welt-Version unseres „Förderns und Forderns“, löst, lange nach Tony Blair, Bill Clinton und Gerhard Schröder, immer noch bei Progressiven wie bei Konservativen prickelnde Gefühle aus, die aber in beide Richtungen schon ins Leere gehen.

Wir bedauern das nahende Ende des Förderns und Forderns nicht und wollen zeigen, wie sich vor allem das „Fordern“ befreiend und fruchtbar von der institutionellen auf die persönliche Ebene verlagern kann, wenn bedingungslose Elemente in die Systeme der sozialen Sicherung bei Arbeitslosigkeit Eingang finden. Einen groß angelegten Feldversuch dazu gab es erst kürzlich: Nach dem ersten Lockdown am Beginn der Corona-Krise, exakt vom 16. März bis 18. Mai 2020, mussten Arbeitslose in Österreich per ministerieller Verordnung keine Sanktionen befürchten, wenn sie ein Stellenangebot ablehnten. Diese Erfahrung legt nahe, dass die Arbeitswilligkeit keinen Schaden nimmt, wenn der staatliche Zwang wegfällt. Eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein, denn die Bereitschaft, offene Stellen auch außerhalb des angestammten Berufsbereichs anzunehmen, erlebte in der Corona-Krise geradezu Höhenflüge.12

Es ließ sich aber auch ein Phänomen beobachten, das für eine etwaige Systemreform zu denken gibt: Als die Regierung Anfang Juli bekannt gab, dass alle Personen, die zwischen Mai und August 2020 insgesamt zumindest 60 Tage arbeitslos waren, im September eine Einmalzahlung von 450 Euro erhalten, wirkte das fast so, als hätte jemand dem Rad der Arbeitsvermittlung in die Speichen gegriffen.13

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