Читать книгу Meine Real Life Story - Philipp Mickenbecker - Страница 10
WENN SICH DIE BEHANDLUNG SCHLIMMER ANFÜHLT ALS DIE KRANKHEIT Die Chemo macht mich fertig
ОглавлениеAls Nächstes begann die Chemotherapie. Das bedeutet, dass man den Körper mit sogenannten Zytostatika vollpumpt – das ist quasi ein Gift, das vor allem die Tumorzellen schädigen soll, weil die eine besonders schnelle Zellteilung haben und damit empfindlicher sind. Trotzdem vergiftet man damit natürlich auch den Rest des Körpers gleich mit, und das ziemlich heftig.
Ich hatte mich vorher nie damit beschäftigt, was es heißt, Krebs zu haben, und was so eine Behandlung bedeutet. Und das war auch gut so.
Die erste Runde Chemo wurde mir verabreicht. Das Gift tröpfelte durch meine Venen in meinen Körper und ich spürte erstmal gar nichts. Doch am nächsten Tag kam es dann umso heftiger: extreme Übelkeit und Schwäche, krasseste Kopfschmerzen – es war wie der schlimmste Kater, den man sich vorstellen kann, nur dass der leider nicht mit Kaffee und Ruhe wieder weggeht, sondern immer schrecklicher wird.
Ich war so schwach, dass ich überhaupt nichts mehr machen konnte, als in meinem Bett zu liegen. Gerade für einen freiheitsliebenden Menschen wie mich die reinste Folter. Ich weiß noch, wie ich das Rollo an meinem Fenster ein bisschen weiter hochkurbeln wollte und es einfach nicht geschafft habe. Unter Aufbietung aller Kräfte hab ich die Kurbel einmal drehen können und musste mich erstmal wieder hinlegen und etwas erholen, bevor ich das Teil schließlich weitere zwei Zentimeter hochkurbeln konnte. Fünfmal ging das so, bis das Rollo oben war.
Gott sei Dank habe ich immer wieder Kraft und Ermutigung in der Bibel gefunden, in Stellen, die genau gepasst haben. Damals habe ich das auch alles in einem Buch aufgeschrieben, all diese Ermutigungen und Erlebnisse in der Zeit. Ich weiß nicht mehr, ob ich es später weggeschmissen habe, als ich nichts mehr von Gott wissen wollte. Jedenfalls finde ich es nicht mehr. Das war auf jeden Fall voll von schönen Erlebnissen mit Gott gewesen. Schade eigentlich.
Oft hat es mich einfach überwältigt, wenn ich draußen im Park war und mal wieder eine Ermutigung gebraucht habe. Dann habe ich meine kleine Bibel ausgepackt, und Gott hat immer zu mir gesprochen, immer so passend gesprochen, dass ich einfach überwältigt war, dass er sich um mich gekümmert hat. Gerade um mich, einen von über 80 Millionen Deutschen, der gerade in irgendeiner Klinik war, in der es doch so viel Leid und so viele verzweifelte Menschen gab. Ausgerechnet zu mir hat er gesprochen. Dann hab ich oft im Park gesessen und konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Nicht vor Verzweiflung, wie die anderen Patienten sicher dachten, die den bleichen Jungen auf der Bank gesehen haben. Sondern vor Glück, darüber, dass Gott gefühlt bei mir war.
Die meisten dieser Erlebnisse habe ich wieder vergessen. Aber eine Situation hat sich in meinen Kopf eingebrannt, die definitiv kein Zufall war. Ich meine, es gibt viele ermutigende Stellen in der Bibel, da kann es schon sein, dass man zufällig mal was Passendes aufschlägt. Aber das war echt krass.
Zwischen den Chemos durfte ich immer wieder nach Hause, und ich rechnete jederzeit damit, meine Haare zu verlieren – eine der üblen Nebenwirkungen, die das Gift mit sich brachte. Für mich war die Vorstellung nicht das Schlimmste, und trotzdem hatte ich gehofft, dass ich das nie erleben müsste. Eigentlich hätten sie mir schon längst ausfallen müssen, aber die Ärzte hatten mir gesagt, dass es tatsächlich nicht bei jedem passiert. Also hab ich insgeheim gehofft, dass ich zu denjenigen gehören würde, die ihre Haare behalten durften. Schon seit über drei Wochen empfing mich die Krankenschwester jedes Mal mit einem freudigen Lächeln, wenn sie mich sah und überrascht feststellte, dass ich immer noch alle Haare auf dem Kopf hatte.
Aber dann kam der Tag, an dem ich aufgewacht bin und mein Kopfkissen voller Haare war. Mein ganzes Bett war voller Haare. Ich konnte sie einfach so abnehmen, als würden sie nur auf dem Kopf liegen.
Trostsuchend hab ich wieder meine Bibel genommen. Ich hatte jetzt jeden Tag immer weiter im Neuen Testament gelesen. Und genau an dem Tag kam diese Stelle:
„Welchen Wert hat schon ein Spatz? Man kann zwei von ihnen für einen Spottpreis kaufen. Trotzdem fällt keiner tot zur Erde, ohne dass euer Vater davon weiß.
Bei euch sind sogar die Haare auf dem Kopf gezählt. Darum habt keine Angst!
Ihr seid Gott viel mehr wert als ein ganzer Spatzenschwarm.“
Matthäus 10, 29-31
Das hat mich wieder getröstet. Und auf einmal war es mir wirklich egal, mir hat es nicht mehr so viel ausgemacht, jetzt mit Glatze herumzulaufen. Wenn Gott sogar die Haare auf meinem Kopf gezählt hatte, konnte er sich auch darum kümmern, dass später wieder alle genauso wachsen würden.
Das Problem war daher nicht, dass ich plötzlich eine Glatze hatte. Aber an der Sache mit den Haaren hab ich erst so richtig gemerkt, wie krass diese Medikamente sind und dass sie den Körper so schädigen.
Meine Blutwerte rutschten natürlich in den Keller, ich bekam starkes Herzrasen – ein mega unangenehmes Gefühl, weil der ganze Körper dabei ständig in Alarmbereitschaft ist. Mein Gesicht war so aufgedunsen, dass ich mich selbst im Spiegel nicht mehr erkannte. Die ganze Zeit hatte ich so krasse Kopfschmerzen, dass ich wie benommen war und nur noch die Hälfte von dem mitbekam, was um mich herum passierte. Das Gift machte meine Haut und mein Bindegewebe kaputt, ich habe heute noch die Narben aus dieser Zeit. Auch meine Venen wurden durch die ständige Giftzufuhr irreparabel geschädigt. Und das war nicht der Tumor, der mir all das bescherte, sondern die Behandlung des Tumors!
Und dabei wurde mir noch gesagt, dass ich die Chemo „besser“ vertrug als viele andere, denen es sogar noch schlechter ging. Tatsächlich habe ich mich immer nach einer Runde Chemo einigermaßen gut erholt und konnte sogar wieder ein bisschen draußen herumlaufen oder Fahrrad fahren. Doch immer gerade dann, wenn sich das Leben so nach zwei Wochen wieder etwas erträglicher anfühlte, kam die nächste Chemo, und alles ging wieder von vorne los. Es war eine einzige Qual.
Als die Chemo endlich abgeschlossen war, folgte noch die Bestrahlung. Dabei erzeugt ein Gerät (ein sogenannter Linearbeschleuniger) ionisierende zellzerstörende Strahlen, die gezielt auf den Tumor gerichtet werden und die Krebszellen weiter schwächen sollen.
Ich wurde mehrmals wöchentlich in eine Röhre geschoben, mein Kopf und Körper exakt auf der Liege fixiert, mit einem Gitter, das jede Bewegung unmöglich gemacht hat. Dann hat die Bestrahlung begonnen. Sehen konnte ich diese Strahlen nicht, spüren auch nicht, höchstens das leise Brummen der Maschine konnte ich hören. Und doch hat sich dadurch etwas in meinem Körper verändert. Irgendwie seltsam war das, irgendwie beängstigend. Die Nebenwirkungen waren fast so krass wie bei der Chemo: Kopfschmerzen, Schwäche, Übelkeit.
Die ganze Zeit hat es mich getröstet, dass Gott das alles weiß, dass er da ist und mir helfen will. Dass er genauso da war und genauso real ist wie diese unsichtbaren Strahlen. Sehen konnte ich sie nicht, aber die Auswirkungen spüren. So konnte ich Gott tatsächlich auch spüren; spüren, wie er mein Leben und meine Gedanken zum Positiven verändert hat.
Ich hab darüber aber leider mit niemandem geredet oder diese Erfahrungen geteilt. Vielleicht wollte ich nicht zugeben, dass ich was mit Gott erlebt hatte, dass ich irgendwie an ihn glaubte. Nicht mal mit Johannes habe ich darüber gesprochen, denn zum ersten Mal erlebte ich etwas völlig anderes als er, machte komplett andere Erfahrungen, mit denen er gar nichts anfangen konnte und die er genauso kritisch sah, wie ich selbst sie noch vor Kurzem betrachtet hatte. Schließlich hatte ich immer gedacht, dass Leute, die so etwas glauben, irgendwie merkwürdig sind. Vielleicht war es einfach deshalb, weil ich nicht so werden wollte wie meine Eltern.
Und vielleicht denkst du gerade ähnlich. Aber hör jetzt bitte nicht auf zu lesen. Das war nämlich alles erst der Anfang. Der Anfang einer unglaublichen Reise, die ich selbst nicht für real halten würde, hätte ich sie nicht erlebt. Wenn du nichts damit anfangen kannst, dann bleib bitte trotzdem dran. Du wirst dann nämlich sehen, dass ich das alles auch wieder angezweifelt habe. Ich bin ein sehr rational denkender Mensch, mir fällt es nicht leicht, von Erfahrungen auf übernatürliches Eingreifen zu schließen. Da musste sich Gott schon etwas ganz Besonderes ausdenken. Und er hat die Challenge angenommen. Aber mehr dazu später.
Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich diese Erfahrungen geteilt hätte. Ich glaube, es hat viel Gutes, anderen davon zu erzählen. Ein richtiges Vorbild hatte ich auch nicht, oder zumindest kannte ich niemanden, der für meine Begriffe „normal“ tickte und mit Gott lebte. Es wäre cool, wenn ich so jemand für dich sein könnte – ein Beispiel, dass Gott nicht nur mit seltsamen Personen Kontakt aufnehmen will, die irgendwie einen psychischen Schaden haben, sondern mit jedem. Na ja, gut, wenn du unsere Videos kennst, bist du dir vielleicht wegen des psychischen Schadens nicht so sicher . Klar haben wir alle unsere Schäden. Aber ich hoffe, dass wir in einer positiven Weise verrückt sind. Normal ist doch langweilig.
Wie auch immer, es wäre wichtig für mich gewesen, von jemandem zu hören, dem Gott auch im ganz normalen Leben begegnete. Mir war nämlich sehr bewusst, wie anders man alles wahrnimmt, wenn man krank ist. Wie sehr man auch auf Kleinigkeiten achtet und vielleicht auch Sachen übersensibel wahrnimmt.
Zum Beispiel die Sache mit den Haaren. Den Vers habe ich nochmal gelesen, ein paar Monate später, in einem anderen Evangelium, in Lukas 12,6-7: „Welchen Wert hat schon ein Spatz? Man kann fünf von ihnen für einen Spottpreis kaufen. Und doch vergisst Gott keinen Einzigen von ihnen. Bei euch sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Darum habt keine Angst! Ihr seid Gott mehr wert als ein ganzer Spatzenschwarm.“
Da hab ich mir über den Kopf gestrichen und auf einmal gemerkt, dass meine Haare wieder anfangen zu wachsen. Das hat mich wirklich berührt. Einmal, das erste Mal, hätte es noch ein Zufall sein können, aber das zweite Mal nicht mehr. Diese Stelle gibt es tatsächlich nur zwei Mal in der Bibel und genau an diesen beiden Tagen, Monate auseinander, hatte ich genau diese Stelle gelesen. Einmal, als mir die Haare ausfielen, und dann wieder, als sie anfingen nachzuwachsen. Eigentlich war ich mir also sicher, dass das Gott sein musste, der mir sagen wollte, dass er auf mich aufpasste und dass ich keine Angst haben musste.