Читать книгу Ihr mich auch - Pia Herzog - Страница 7

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Wie eine Raubkatze im Käfig tigerte ich durch unsere Küche. Diese blöde Zicke hatte das bestimmt mit Absicht gemacht, nur um meine Mutter gleich am ersten Tag wieder loszuwerden.

„Warum kümmert sich nicht ihre eigene Mutter um diese Tussi?“

„Weil sie bei dem Unfall ums Leben gekommen ist.“

Ich hielt inne.

„Autsch“, sagte Rhys. Er saß auf dem E-Herd und ließ die Beine baumeln.

„Aha“, war das Einzige, was mir dazu einfiel, doch es machte mich nachdenklich. Blöde Sache, wenn die eigene Mutter bei einem Unfall stirbt, den man selbst überlebt hat. Allerdings war das noch lange kein Grund, sich so aufzuführen.

„Ihr Vater hätte sie lieber zurück ins Internat schicken sollen“, knurrte ich.

„Geht nicht. Zuerst muss der Arzt das Okay für die Ersatzteile geben.“

Ich warf meine Stirn in Falten. „Ersatzteile?“

„Bei dem Autounfall hat Viola einen Arm und ein Auge verloren.“

Und das erzählte sie uns jetzt erst? Mit offenem Mund starrte ich meine Mutter an. Halbwaise und nur noch ein Arm und ein Auge – vorausgesetzt, dass Viola vorher von beidem zwei besessen hatte –, das war ganz sicher nicht lustig.

„Trotzdem“, knurrte ich, nachdem ich mich von dem Schock erholt hatte, „trotzdem rufst du Kunzendorff an und sagst ihm, dass er in Zukunft auf deine körperliche Anwesenheit verzichten muss.“

Sie tat es. Sogar, ohne dass ich danebenstand und ihr auf die Finger guckte. Das hatte zur Folge, dass der gute Mann zwanzig Minuten später mit einem riesigen Blumenstrauß in der Hand bei uns vor der Tür stand. Zufällig hatten Rhys und ich seinen Audi in unseren Hof einbiegen sehen und waren vorbereitet. Kaum klingelte er, riss ich die Tür auf. „Und tschüss!“

Ich wollte sie gleich wieder zuschmeißen, doch der Typ musste Vertreter sein oder so was. Schneller, als ich gucken konnte, schob er seinen Fuß in den Spalt. Mit aller Kraft stemmten Rhys und ich uns gegen die Tür, damit er nicht reinkam.

„Hallo Luisa. Mein Name ist Kunzendorff. Ich würde gerne mit deiner Mutter sprechen. Darf ich ...?“ Es klang nicht so, als wolle er ihr wegen unterlassener Hilfeleistung an den Kragen.

„Nein, die duscht grad“, behauptete Rhys.

„Was machst du denn da?!“ Das war meine Mutter, die ausgerechnet in diesem Moment nachgucken kam, was los war. Entschieden bestand sie darauf, dass ich Kunzendorff hereinließ.

Unter tausend hektischen Entschuldigungen, was zum einen mein Verhalten und zum andern die Unordnung betraf, bat sie ihn in die Küche. Die Tür drückte sie fest hinter sich zu. Keine Sekunde später klebten Rhys und ich unsere Ohren dran.

Drinnen überließ Kunzendorff nichts dem Zufall. Er fing sofort an zu reden. Für das Chaos, das seine Tochter angerichtet hatte, entschuldigte er sich mindestens ebenso wort­reich wie meine Mutter zuvor für die unaufgeräumte Küche. Er erhöhte sein Angebot auf hundertfünfzig Euro am Tag. Selbstverständ­lich vergaß er auch nicht, den Blumenstrauß zu über­­­reichen. Als kleine Versöhnung. Er wisse, dass nichts den Schock wiedergutmachen könne, den meine Mutter erlitten hatte. Bla, bla, bla.

Rhys und ich kriegten das Kotzen. Wenn das so weiterging, machte meine Mutter ihre Entscheidung womöglich wieder rückgängig. Das durfte nicht passieren. Schließlich hatte ich keine Lust, jeden Abend ein seelisches Wrack wieder aufzu­bauen!

Eine halbe Stunde später ging er. Voll des Triumphes. An der Wohnungstür verabschiedeten sie sich mit „Bis Freitag“ und meine Mutter stand, ein belämmertes Grinsen im Gesicht, so lange auf der Treppe und starrte ihm hinterher, bis der angeberische Audi vom Hof gefahren war.

Ich tobte. In der Küche riss ich die Blumen aus der Kaffeekanne und schleuderte sie auf den Boden. Dabei kippte die Kanne um und das Blumenwasser ergoss sich über den ganzen Tisch.

„Bist du jetzt verknallt oder bloß korrupt?!“

Die Gesichtszüge meiner Mutter verhärteten sich. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sagte: „Pack deine Sachen, sonst kommst du zu spät zum Boxen.“

Ich fauchte nur und drängte mich an ihr vorbei in mein Zimmer. Dort suchte ich ein paar Klamotten zusammen, warf sie in meine Sporttasche und stürmte damit aus dem Haus.

Mit Willis Mutter war verabredet, dass sie mich zum Box­training mitnahm, aber nur wenn ich pünktlich an der Land­straße stand. Rhys und ich schafften es auf den letzten Drücker. Da Willi vorne saß, hatten wir hinten genug Platz.

Willi Lorenz war kein Boxer und würde nie einer werden. Er war ein Wiesel ohne Rückgrat, aber dafür mit einer Vorliebe für schmieriges Haargel. Aus verständlichen Gründen hielt seine Mutter es für nötig, dass er sich zu verteidigen lernte. Deshalb fuhr sie ihn unermüdlich an zwei Abenden in der Woche in die Stadt. Was sie während des Trainings tat, wusste niemand. Jedenfalls hatte sie es noch nie übers Herz gebracht, ihrem Sohn beim Boxen zuzugucken.

Überflüssig zu erwähnen, dass in der Halle heute eine brutale Hitze und eine Luft zum Schneiden herrschten. Der Trainer spürte meine schlechte Laune und nahm mich hart ran. Hinterher war ich klatschnass geschwitzt. Sowohl der Schweiß als auch meine neue Haarfarbe liefen mir in Strömen den Nacken runter. Zumindest fühlte es sich so an.

Rhys hatte in der Zwischenzeit Seilspringen geübt. Außerdem zählte er mit, wie oft Willi den Punchingball ins Gesicht bekam.

Als Rhys damals davon erfahren hatte, dass ich boxe, hatte er mir einen Vogel gezeigt. Und überall herumposaunt, dass er dann zum Ausgleich Ballettstunden nehmen wolle. Das zog er auch tatsächlich ein paar Wochen lang durch, bis er eines Tages mit verknoteten Beinen nach Hause kam und die ganze Sache hinschmiss. Da half selbst das pinke Tutu nichts mehr.

Kurz nach unserem Umzug aus Ghetto-Neustadt hatte mich meine Mutter auch mal zum Ballettunterricht geschleppt. Allerdings dauerte es nicht lange, bis sie einsah, dass Pirouetten und Pas-de-deux’ nicht ausreichten, um mich richtig auszu­powern. Für sie lag der Sinn von Sport schließlich darin, dass ich meine überschüssige Energie loswurde, weshalb sie es auch so hasste, wenn ich mein Boxtraining verpasste.

Während wir draußen standen und darauf warteten, abgeholt zu werden, bemerkte ich, dass Willi sich bei seinem Tête-à-Tête mit dem Punchingball ein blaues Auge zugezogen hatte. Das brachte ihm vermutlich auf Wochen das Mitgefühl seiner Mutter ein, der er weismachen würde, dass er diese Verletzung im Ring errungen hatte. Ob die sich aber dadurch erweichen ließ, ihm in Zukunft das Boxtraining zu erlassen?

Ein Dröhnen näherte sich und wenig später rollte ein schweres Motorrad auf den Parkplatz. Der im Vergleich zu der Maschine eher schmächtige Fahrer bockte sie mit einiger Mühe auf, zog den Schlüssel ab und steckte ihn in die Tasche seiner Jeans. Dann schob er sein Visier hoch. Als er mich sah, stutzte er. Langsam und vor Coolness strotzend kam er zu uns rüber.

Es war der Parallelo von heute Morgen. Unbewusst wich ich zurück, wo ich gegen Rhys prallte, der direkt hinter mir stand.

„War ja klar, dass du hier rumhängst“, spottete der Typ. Sein Lispeln irritierte mich.

„Ich kann rumhängen, wo ich will!“

Er lachte. „Chill, Baby!“

Das hätte er nicht sagen dürfen. Niemand nannte mich ungestraft Baby. Ich tickte aus und stürzte mich auf ihn, doch Rhys und Willi hielten mich zurück.

Der Parallelo pfiff durch die Zähne und wies mit dem Daumen auf Willi. „Ist das etwa dein Freund?“

Der ließ mich los, spuckte in den Dreck vor seinen Füßen und sagte: „Luisa hat keine Freunde.“

Dafür bekam er von Rhys eine Kopfnuss.

Trotzdem saß die Bemerkung. Ich knirschte mit den Zähnen. Schließlich war Willi auch kein Kandidat für den Titel des beliebtesten Knaben im Universum. Die Jungs mochten ihn nicht, weil er eine Petze war, und die Mädchen ignorierten ihn, weil er die glitschige Anziehungskraft eines Stücks Seife besaß.

Der Parallelo musterte Willi von oben bis unten und in seinem Blick konnte ich erkennen, dass das Bild, das er sich von ihm machte, den Nagel auf den Kopf traf. Anscheinend beschloss er, dass Willi es nicht wert sei, sich weiter mit ihm zu beschäftigen. Stattdessen widmete er sich wieder mir. „Boxt du hier?“

„Nein, ich lecke da unten nur den Schweiß von den Wänden.“

Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse und er machte ein angewidertes Geräusch. Dennoch hätte ich schwören können, dass er von meiner Schlagfertigkeit beeindruckt war.

„Mein großer Bruder trainiert hier“, informierte er mich.

War das ’ne Drohung oder ein Smalltalk-Versuch? Er erwartete doch nicht von mir, dass ich seinen Bruder kannte. Dachte er, ich hätte massenhaft Zeit, nach den Namen und Verwandt­schaftsverhältnissen zu fragen, während ich die Angriffe meines Sparringpartners abwehrte?

Wie auf Kommando ging die Tür der Boxschule auf und drei ältere Typen kamen heraus. Wenn man von den kurzgeschorenen Haaren mal absah, bestanden sie nur aus Muskeln und Tattoos.

Die drei kannte ich tatsächlich. Wo deren Fäuste hinschlugen, sprudelten Blut und Tränen. Auf einmal fühlte ich mich merk­­würdig unterwürfig.

Unter Gelächter verabschiedeten sich die Kerle voneinander. Der Größte von ihnen steuerte auf das Motorrad zu. Auf dem Weg dahin kam er an uns vorbei und schlug seinem kleinen Bruder mit der Pranke auf die Schulter, sodass der in die Knie ging und nach Luft schnappte.

„Hör auf zu flirten, Kleiner, und komm endlich.“

Flirten? Jeden anderen hätte ich für diesen Kommentar gekillt!

Der Parallelo trottete brav hinterher und gab seinem Bruder die Schlüssel.

„Ey, warum ist denn der Motor so heiß? Bist du etwa damit gefahren, du Penner?“

„Was kann ich dafür, wenn du deine Kiste in der prallen Sonne abstellst?“

Sein Bruder knurrte nur unwillig und schwang sich in den Sattel, woraufhin der Parallelo sich hinter ihn klemmte. Der Motor heulte auf und die Maschine röhrte vom Parkplatz. Irgendwie kam sie mir jetzt lange nicht mehr so groß und schwer vor. Bestimmt hatte der Kerl sie bloß frisiert, um anzugeben.

„Flirten! Ausgerechnet mit dir!“ Wiesel Willi schlug sich auf die Schenkel und wollte sich totlachen, doch ich verhinderte das, indem ich ihm aus meinen Augen eine Reihe Giftpfeile in den Schädel schoss. Sein Lachen erstickte. Stattdessen machte er einen Schritt zurück, stolperte und landete rücklings auf der Erde.

Im nächsten Augenblick bremste der Wagen seiner Mutter vor uns. Entsetzt stürzte sie auf ihren Sohn zu und wollte wissen, was um Himmels willen passiert sei.

„Kreislaufschwäche“, sagte Rhys trocken.

Ich presste meine Faust in den Mund, um nicht laut loszulachen.

Das Ende vom Lied war, dass Willi die Rückbank für sich allein bekam und Rhys und ich uns auf den Beifahrersitz quetschen mussten.

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