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Kapitel 3

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»Da kommt Papa.« Tom ist als Erster zur Tür gelaufen und reißt sie auf, um seinen Vater stürmisch zu begrüßen. Schön zu sehen, wie sehr er sich auf seinen Papa freut. Nachdem ich ihnen einen Augenblick alleine gegeben habe, gehe ich nun auch zur Tür, um Paul hereinzubitten. »Magst du einen Kaffee?« Ich halte ihm die Haustür auf und lade ihn mit einer Handbewegung ein, in die Küche zu kommen. Er scheint mit sich zu kämpfen, ob er das Angebot annehmen soll. Doch tatsächlich folgt er meiner Einladung und kommt mit an den Frühstückstisch. Tom ist ganz begeistert angesichts der fast friedlichen Stimmung.

»Darf ich dir meine Schultüte zeigen, Papa? Die hab ich selbst gebastelt. Das ist ein richtiger Drache, so wie auf meinem Schulranzen.« Tommy kann seine Begeisterung nicht zurückhalten. Er nimmt Pauls Hand und versucht, ihn mit sich zu ziehen. »Komm mit hoch, ich zeig sie dir.« Um es Paul zu erleichtern, füge ich ebenfalls hinzu: »Ja, geht ruhig rauf.« Doch Paul entzieht ihm seine Hand. »Dafür müssen wir doch nicht extra hoch gehen. Die sehe ich doch bei deiner Einschulung.« Ist das zu glauben? Tom gibt nicht auf. »Dann hole ich sie runter. Warte.« Bevor Paul etwas antworten kann, ist Tom schon verschwunden. »Bring Benny mit nach unten.« Anscheinend hat mein Großer noch nicht mitbekommen, dass sein Vater vorgefahren ist.

»Bleibt es wie besprochen bei der Einschulung? Wir trinken hier gemeinsam einen Kaffee mit Omas und Opas und den Paten? Ich mache ein paar belegte Brötchen und backe einen Kuchen.« Paul verzieht das Gesicht. Anscheinend gefällt ihm die vor den Ferien abgestimmte Variante nicht mehr. Mein Gefühl ist, dass er sich hier einfach nicht so wohl fühlt, was ich ja im Grunde auch verstehen kann. »Bei Bennys Einschulung waren wir alle zusammen Mittagessen. Könnten wir ja auch irgendwo machen.« Da hat er natürlich Recht. Obwohl ich nicht glaube, dass es Tom etwas ausmachen würde. Erstens kann er sich daran sowieso nicht erinnern, und zweitens würde er sicher auch gerne zu Hause feiern.

»Ja, wäre auch eine Möglichkeit. Ist aber natürlich ein ganz anderer Kostenfaktor, als wenn wir es hier machen«, gebe ich zu Bedenken. »Wenn wir das teilen, ist das doch machbar.« Mir wird etwas mulmig bei dem Gedanken daran, 10 erwachsene Personen und 2 Kinder in einem Restaurant zu verköstigen. Ich will aber nicht schon wieder den Frieden in Gefahr bringen. »Na gut, ich frage mal nach einem Tisch für diesen Tag. Ist es dir Recht, wenn wir zu Dreckmanns gehen? Da, wo ich arbeite.« Vielleicht habe ich Glück, und meine Chefin macht uns einen guten Preis. Er nickt zustimmend. »Ja, mach den Tisch direkt fest.«

»Aua!« Gepolter auf der Treppe. Benny hat beim Hinabrutschen auf dem Treppengeländer die Kurve nicht bekommen und sitzt auf der letzten Stufe. Er hält sich den schmerzenden Knöchel. Schnell bin ich bei ihm und sehe, dass die Verletzung für seine Verhältnisse ziemlich harmlos ist. »Komm, ich packe dir Eis darauf und hole Arnica Kügelchen.« Auf dem Weg zum Esstisch stütze ich ihn und verschwinde kurz, um alles zu besorgen. Die Begrüßung mit seinem Vater fällt etwas zurückhaltend aus, da dieser kopfschüttelnd am Tisch sitzt und ihn gleich wieder vorwurfsvoll ansieht. Ich bin dankbar, dass er Bennys Umarmung trotzdem erwidert.

Wie gut, dass ich oben die Globuli holen wollte, denn Tom kommt mir auf der Treppe entgegen, mühevoll bepackt nicht nur mit seiner Schultüte, sondern gleich mit dem vollen Programm: Schulranzen, Turnbeutel und der Kunstkiste, die natürlich alles enthält, was er für den Schulstart benötigt. Wenn Tom mit all dem Kram die Treppe herunter purzelt – ich mag es mir gar nicht vorstellen. »Komm, ich nehme dir etwas ab.« »Aber nicht die Schultüte, die will ich selber zeigen.« Fröhlich und unbeschwert hüpft er nach unten. In seiner Euphorie bemerkt er nicht, dass die Stimmung etwas gedämpft ist. »Guck mal, das ist der Drachenkopf und das Papier hier oben ist das Feuer, das der spuckt. Wild fuchtelt er mit dem Drachenkopf vor Pauls Gesicht herum. Um seinem Papa zu zeigen, wie heftig das Feuer auflodert, wenn man das rote Papier immer wieder nach oben schwingt, reckt er ihm wieder und wieder schwungvoll die knallgrüne Schultüte entgegen. Ich ahne Böses, doch bevor ich Tom bremsen kann, beendet Paul abrupt den Drachenzauber.

»Ja, schön. Wir müssen jetzt aber wirklich los.« Mit einer Armbewegung wischt er den Drachen zur Seite und wirkt ungehalten. Schnell nehme ich Toms Arm und fange die Schultüte auf, die ihm zu entgleiten droht. »Ups, jetzt bringen wir den Drachen schnell wieder in seine Höhle und dann geht´s los. Ihr müsst jetzt fahren.« Tom ist enttäuscht, dass das Drachenspiel schon beendet ist. Doch die Aussicht auf Ferien mit Papa scheinen ihn etwas zu trösten. Er bringt die Schultüte zurück in sein Zimmer und stapelt die letzten Dinge, die er noch mitnehmen möchte, umständlich auf seinen Ärmchen. Buntstifte und einen Zeichenblock, einen Luftballon und 2 Fähnchen vom gestrigen McDonald´s Besuch, seinen Eisbär und Luna, seinen Kuschelhund.

»Darf ich Luna jetzt Sam nennen?« Peng, das trifft mich unvermittelt. Gott sei Dank hat Benny das nicht mitbekommen. Ich könnte eine Diskussion zu diesem heiklen Thema so kurz vor ihrer Abfahrt nicht ertragen. Der traurige Ausdruck in seinen Augen lässt mich jedoch erahnen, dass auch Bennys Gedanken wieder bei Sam im Tierheim sind, als ich mich von ihnen verabschiede. Einmal noch muss ich beide fest drücken. »Viel Spaß wünsche ich euch.« Statt einer Antwort nur ein Kopfnicken. Dann steigen sie ins Auto und schwungvoll verlässt Paul den Hof.

Puh, die Küche sieht aus wie ein Schlachtfeld. Lieber würde ich gleich mit dem Garten anfangen, dazu habe ich heute Nachmittag noch den Routinecheck beim Gynäkologen. Eigentlich etwas viel für den ersten Tag nach dem Urlaub und den letzten Tag, bevor ich wieder in die Kanzlei muss. Da wird sich auch schon die Arbeit stapeln. Was soll ich nur zuerst tun? Kurzerhand schnappe ich mir das Telefon und frage Michael, ob wir nicht später ein Glas Wein zusammen trinken sollen.

»Leider ist bei mir ziemlich viel liegen geblieben und ich muss dringend Besichtigungstermine planen. Tut mir leid, aber das wird dann wirklich zu spät, um noch rüberzufahren.« Wenn er nebenan wohnen würde, könnten wir uns auch kurz vor dem Schlafengehen noch ein Glas genehmigen und dann zusammen einschlafen. Oder so. Ist tatsächlich verlockend. Ich werde ihn doch darauf ansprechen, wenn sich eine Gelegenheit ergibt. Außerdem könnte er mir – falls er nicht hier einziehen möchte – bei der Suche nach einem geeigneten Mieter behilflich sein. Ich stelle gerade fest, dass ich in meinen Gedanken Lottes Angebot schon angenommen habe. Das würde mir wirklich Spaß machen.

So, jetzt muss ich aber langsam in die Gänge kommen. Das Wetter lädt einfach dazu ein, den Garten in Schuss zu bringen, und wenig später schiebe ich lauthals singend den Rasenmäher um den Kastanienbaum. Tief atme ich den Duft des frisch gemähten Grases ein. Die Fläche des Rasens, die nur durch den terracottafarbenen Steinweg unterbrochen ist, sieht aus, wie ein edler frischer Teppich der Natur. Ich bin so verzaubert von der Schönheit des Gartens, dass ich nicht aufhören kann, bis ich die Halme, die frech über die Steine auf den Weg ragen, fein säuberlich gekürzt habe und die Büsche ringsum von den vertrockneten Blüten befreit habe. Mit meiner Wasserflasche setze ich mich auf die Holzbank unter der Kastanie und stelle fest, dass diese harmonische Einheit aus farbenfrohen Blüten, dem perfekten Rasen im Innenteil des Hofes und den uralten, markant gewachsenen Bäumen eine unglaubliche Kulisse für einen Spielfilm bieten würden. Vielleicht sollte ich ihn als Drehort für einen Herzkino-Streifen anbieten. Ja, ein Film, im Paradies gedreht.

»Hey Annie. Du hast ja mal wieder ein Wunder vollbracht. Das sieht einfach traumhaft aus. Aber ist es nicht zu heiß für Gartenarbeit? Du siehst ganz schön erschöpft aus.« »Ach, Lotte, es macht einfach so einen Spaß, alles wieder schön zu machen.« Ich erzähle ihr von meiner Idee mit dem Spielfilm. »Dann könnte das freie Haus zum Drehen genutzt werden.« Lotte lacht. »Du hast vielleicht Ideen. Heißt das, du nimmst mein Angebot an und bist ab sofort meine Hausverwalterin?« Irgendwie fühlt es sich schon so an. »Ich könnte es mir tatsächlich vorstellen.« Lotte kommt eilig zu meiner Bank herüber, beugt sich zu mir herunter und schließt mich fest in die Arme. »Ich danke dir von Herzen. Das macht mich wirklich glücklich und um einiges ruhiger.« Wow, so eine heftige Reaktion hätte ich nicht erwartet. »Aber das mit dem Spielfilm schlägst du dir wieder aus dem Kopf, ja?« Ich stelle mir gerade vor, wie Dutzende von Menschen mitsamt der ganzen Technik durch unseren Hof laufen und Action rufen. Das hatte ich nicht zu Ende gedacht. Mit der Erholung zu Hause wäre es vorbei und Gott bewahre, wie der Garten am Ende aussehen würde.

»Einverstanden. Es wird mit Sicherheit kein Problem sein, das Häuschen zu vermieten.« »Aber eine Bitte hätte ich noch, Annie.« »Ja?« Lotte wird nachdenklich. Sie setzt sich neben mich auf die Bank und nimmt meine Hand. »Bevor wir es vermieten, möchte ich, dass das Anwesen rund um das Haus neu gestaltet wird. Das alles erinnert mich zu sehr an Lena und ihre eiskalte Art. Ich möchte, dass alles so farbenfroh und natürlich aussieht, wie der Rest des Hofes. Nicht so kalt und grau wie jetzt.« »Nichts lieber als das.« »Du musst das gar nicht selbst machen. Denk dir etwas Schönes aus und dann beauftragen wir den Gartenbauer aus dem Nachbardorf damit.« Jetzt bin ich überrascht, doch Lotte ahnt, was ich einwerfen möchte und kontert sofort. »Das Geld spielt keine Rolle, Annie. Ich hätte Edgar mein halbes Vermögen gegeben, um hier meinen Frieden zu haben, aber das hat sich durch sein neues Zuhause ja jetzt erledigt. Es wird das letzte Mal sein, dass ich wirklich große Summen investiere und dann soll es auch perfekt werden. Außerdem müssen wir uns über den Innenausbau unterhalten, denn ich möchte, dass ein kleiner Teil des Hauses abgetrennt wird, damit du dort dein eigenes Büro einrichten kannst. Aber das können wir später besprechen, ich muss jetzt los zu einem Termin in der Stadt.« Plötzlich fällt auch mir mein Termin wieder ein. Ich sollte schleunigst unter die Dusche, damit ich pünktlich bin. Damit vertagen wir unsere Planungen auf den nächsten Tag.

Doktor Kirschmann freut sich, mich zu sehen, empfängt mich allerdings mit mahnenden Worten. »Sie sollten die Vorsorgetermine zweimal jährlich schon ernst nehmen, Frau Sommer.« »Ja, sorry, ich weiß, aber mir fehlt nichts, ich fühle mich fit und habe keinerlei Probleme.« Ganz im Gegenteil, denke ich und bin froh, dass er meine Gedanken an den Abend vorgestern in Holland nicht erraten kann. »Ich weiß, ich weiß«, ergänze ich, als ich sehe, wie er erneut Luft holt, um mir die Meinung zu sagen, »Sie haben Recht und ich gelobe Besserung.« »Gut, denn es wird höchste Zeit, dass wir über eine Erneuerung der Spirale sprechen. Wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie ja jetzt wieder einen festen Partner….« Leicht verwirrt hake ich nach. »Wie, jetzt schon erneuern. Ich habe die Spirale doch gerade mal 6 Jahre.« »Ja, eben. Oder planen Sie eine weitere Schwangerschaft?« Moment, Moment, ich komme hier gerade nicht mehr mit. »Die Verhütung ist doch damit für 10 Jahre gesichert, oder nicht?«

Dr. Kirschmann sieht mich erstaunt und leicht amüsiert an. »5 Jahre, Frau Sommer, 5 Jahre.« Das kann ich nicht glauben. Sollte ich mich so geirrt haben? Dann fährt mir ein fürchterlicher Schrecken in die Glieder. Wieder muss ich an unseren Abend am Strand denken. Dann hatte ich wilden, hemmungslosen, UNGESCHÜTZTEN Sex am Strand von Holland. Oh mein Gott. Meine Gedanken wirbeln durcheinander. Im selben Augenblick, in dem ich Michael zum Thema Kinder befragt habe, haben wir vielleicht schon eins gezeugt? Er sagte zwar, wenn es passiert, dann passiert es, aber was, wenn es wirklich passiert ist? Dr. Kirschmanns Blick sieht nun erwartungsvoll aus. Nein, ich werde ihm auf keinen Fall sagen, dass ich zu dumm war, mich um das Thema Verhütung zu kümmern. Vielleicht ist ja auch gar nichts passiert. Er fragt auch nicht weiter nach dem Grund meiner aufgelösten Stimmung. So gut, wie er mich kennt, weiß er es sowieso schon.

»Denken Sie einfach darüber nach, ob wir die Spirale erneuern sollen, dann machen wir kurzfristig einen Termin und Sie haben für 5 Jahre wieder zuverlässigen Schutz.« 5 Jahre, ja, jetzt habe ich es auch gehört. Dann bittet er mich zum Untersuchungsstuhl und versichert mir kurz darauf, dass ich Recht hatte, und alles in Ordnung sei. Könnte er eine eventuelle Schwangerschaft nach 2 Tagen schon feststellen? Nein, natürlich nicht. Wann kann ich frühestens einen Schwangerschaftstest machen? Ich sehe die Werbung, die im Fernsehen läuft, gerade vor meinen Augen. Schon nach ?? Tagen weiß ich, ob ich schwanger bin. Wenn ich doch nur zugehört hätte. Aber das betrifft mich ja nicht – dachte ich – und habe dem Rest dieses unrealistischen Vorzeigefrauen-Gesprächs keine Beachtung mehr geschenkt.

Ich muss mich wirklich zwingen, mich zu beruhigen. Vorgestern habe ich das noch ganz locker gesehen, aber die Vorstellung, tatsächlich jetzt sofort schwanger zu sein, wirft mich völlig aus der Bahn. Ich verabschiede mich knapp und verlasse ziemlich aufgelöst die Praxis. In der nahegelegenen Apotheke kaufe ich mir sofort einen Schwangerschaftstest, reiße die Verpackung auf und lese nach, wann ich ihn frühestens machen kann.

2 Tage nach Ausbleiben der Regel. Na bravo. Durch die Spirale habe ich schon seit Jahren keine Regelblutung mehr. Als ob ich noch wüsste, wie normalerweise mein Zyklus war. Bislang habe ich das als wunderbaren Nebeneffekt dieser Verhütungsmethode angesehen. Jetzt lässt mich diese Tatsache völlig im Ungewissen, wann ich tatsächlich Bescheid weiß. Wenn ich jetzt zwei Wochen warten muss, werde ich irre. Wie eine Irre laufe ich auch im Haus herum und weiß nicht, was ich tun soll. Ob ich Michael davon erzählen soll? Zuerst denke ich, dass ich warten sollte, bis ich Gewissheit habe. Doch dann geht mir unser Gespräch nach Bennys Unfall wieder durch den Kopf. Michael war enttäuscht, dass ich ihn nicht ins Vertrauen gezogen und ihn mit eingebunden habe. Und in diesem Fall betrifft es ihn noch viel mehr.

Ich könnte es ihm sowieso nicht verheimlichen, dafür kann ich meine Gefühle zu schlecht verstecken. Kurzerhand setze ich mich ins Auto und fahre zu ihm. Er hat keine Zeit, das weiß ich. Aber am Telefon möchte ich so etwas nicht besprechen. Vielleicht erwische ich einen guten Augenblick und wir können uns kurz zurückziehen. Michael hat sein Immobilienbüro im Erdgeschoss des Hauses, in dem er wohnt. Als ich dort ankomme, verabschiedet er sich gerade von einer äußerst attraktiven, jungen Frau. Ihr graues Kostüm – geschätzte Größe 36 -, die pflaumenfarbenen Pumps und die passende Seidenbluse wirken sehr elegant und kostspielig. Ihr Blick wirkt sehr angetan von Michael. Er lässt wieder seine Grübchen blitzen. Sie scheinen ihre Wirkung auch bei anderen Frauen nicht zu verfehlen. Diskret und leicht säuerlich warte ich im Auto, bis die Dame in ihren Mercedes gestiegen ist.

»Annie, was machst du denn hier?« Michael ist völlig überrascht, aber glücklicherweise scheint er nicht sauer zu sein, dass ich hier einfach so aufkreuze. »Ich habe leider nicht viel Zeit, eigentlich muss ich schon auf dem Weg zu einem Termin in Endenich sein. Ist etwas passiert?« Statt ihm zu antworten, drücke ich mich an ihn und vergrabe mein Gesicht unter seinem Kopf. Er hält mich fest, gibt mir Zeit und Raum, obwohl er beides eigentlich gerade nicht hat und wartet, bis ich bereit bin, zu sprechen. »Können wir kurz nach oben gehen?« Er sieht die Besorgnis in meinen Augen und nickt. »Warte kurz.«

Während er die Türe des Büros abschließt, wählt er auf dem Smartphone eine Nummer. »Frau Friesing, Michael Klunie hier. So leid es mir tut, ich muss den Termin für heute leider absagen.« Eine kurze Pause, in der die Kundin ihm antwortet. »Ich weiß, dass es sehr kurzfristig ist, aber es handelt sich um einen Notfall. Können wir uns morgen sehen? Sagen wir um 16.00 Uhr?« Wieder eine Pause. Frau Friesing scheint ziemlich sauer zu sein, dass Michael sie für heute hat sitzen lassen. Das schlechte Gewissen steigt in mir auf. »Na gut, wenn Sie nur dann können, sehen wir uns um 20.00 Uhr morgen Abend. Dann lade ich Sie zum Essen ein.« Diese Aussicht scheint sie zu erfreuen. Mich erfreut sie ganz und gar nicht. Hat er eigentlich nur weibliche Kundinnen? Und nur solch attraktive Frauen mit dem Taillenumfang einer Wespe? Ich versuche, mein Kopfkino abzuschalten. Schließlich hat er für mich gerade seine ganze Planung über den Haufen geworfen.

»Was ist denn los?«, wendet er sich wieder mir zu. »Lass uns hoch gehen.« Geduldig wartet er, bis ich auf seiner weißen Couch Platz genommen habe und setzt sich zu mir. Er nimmt meine Hand und sieht mir fest in die Augen. »Annie Sommer, jetzt spann mich nicht länger auf die Folter. Was ist passiert?« Ich hole tief Luft und erzähle endlich von meinem Termin bei Dr. Kirschmann. Es fällt mir schwer, mich zu beruhigen bei dem Gedanken daran, so plötzlich schwanger zu sein. Gespannt auf seine Reaktion sehe ich in Michaels Gesicht. Er lächelt. Dann lehnt er sich entspannt zurück und zieht mich mit sich auf die Couch. Er scheint erleichtert zu sein. Hat er mir nicht zugehört? Sein Blick wandert an die Decke, er holt tief Luft und legt dann einen Zeigefinger unter mein Kinn, damit ich ihm direkt in die Augen sehe.

»Und wo genau ist jetzt das Problem?« Das verschlägt mir die Sprache. Und wieder lächelt er mich an. »Aber wie soll das denn gehen? Wir wohnen ja noch nicht einmal zusammen und…« Weiter komme ich nicht. Michael legt mir seinen Zeigefinger auf die Lippen und küsst mich sachte. Als ich wieder loslegen will, küsst er mich erneut. Aufgebracht wage ich einen letzten Versuch, doch auch diesmal erfolglos, also ergebe ich mich. Gezwungenermaßen schweige ich und lege meinen Kopf auf seine Brust, immer noch völlig angespannt. Außerdem fröstelt es mich. Mit einem Griff hat Michael die Decke erwischt und hüllt uns darin ein. Seine Hand streichelt zart meinen Nacken und dann höre ich seine wundervolle, tiefe und trotzdem warme Stimme. »Du weißt doch noch gar nicht, ob etwas passiert ist. Und wenn doch – dann sollte es so sein. Dann werden wir das gemeinsam schaffen. Wenn ich darüber nachdenke, fällt mir gar nichts ein, was wir beide nicht zusammen schaffen können.« Seine Hände streichen nun durch meine wilden Locken und heben dabei meinen Kopf an, so dass ich ihm in die blauen Augen sehe. »Du Zauberwesen.« Noch heute denke ich manchmal, dass ich nur träume, so einen wunderbaren Mann gefunden zu haben. Entspannt lege ich meinen Kopf wieder auf seine Brust und möchte am liebsten nicht mehr aufstehen.

»Kann ich heute bei dir bleiben?« »Musst du morgen nicht arbeiten?« »Doch, aber lieber würde ich morgen früh aufstehen und vor der Arbeit nach Hause fahren, als jetzt alleine zu Hause zu sein.« »Von mir aus, aber ich habe nicht viel im Haus. Ich könnte uns ein paar Brötchen aufbacken und einen Tee machen.« Ich küsse ihn zärtlich. »Hört sich perfekt an. Soll ich dir helfen?« »Nein, bleib ruhig liegen, ist ja nicht viel Arbeit.« Damit schält er sich unter mir hervor und steht auf, um unser Abendessen zu machen. »Außerdem musst du dich ja vielleicht jetzt schonen.« Sofort schnellt mein Puls wieder in die Höhe und aufgebracht werfe ich ihm ein Kissen an den Kopf. Lachend geht er in die Küche.

Michael scheint völlig entspannt zu sein. Ich habe das Gefühl, er würde sich sogar freuen. Aber mir ist das immer noch alles zu viel und zu schnell. Obwohl er es tatsächlich geschafft hat, dass ich nicht mehr ganz so verzweifelt bin. Sollte ich wirklich schwanger sein, dann würde er voll und ganz hinter mir stehen und mich unterstützen. Ich bin froh, dass ich Michael nicht angerufen habe und wir am Ende des Tages überraschend zusammen in seinem großen Bett liegen, und ich mich vor dem Einschlafen an ihn schmiegen kann. Es fühlt sich an wie eine Ladestation an Energie, Zuversicht, Schutz und Liebe.

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