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2. Tag, Besichtigung der Memnonkolosse, Tal der Könige und Tempel der Hatschepsut, danach Habu-Tempel

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Ich tastete schlaftrunken nach dem Telefonhörer, als es um fünf Uhr morgens klingelte. Der Hörer fiel mir aus der Hand. Ich setzte mich im Bett auf und suchte nach dem Hörer. „Hello, this is your wake-up-call.“ Die Stimme am anderen Ende hatte aufgelegt. Ich torkelte ins Bad. Was für ein Morgen! Kein gemütliches Rekeln im Bett! Als ich im Bad fertig war, setzte ich im Teekocher Wasser aus der Plastikflasche auf. Das Leitungswasser durften wir Touristen nicht trinken. Das hatte uns der Reiseleiter eingeschärft. Als es kochte, übergoss ich den Nescafé und den Kaffeeweißer mit dem Wasser. Tür auf und erste Morgenzigarette auf dem Minibalkon. Es war noch fast dunkel, aber ich sah, wie eine Katze an der Kaimauer nach Fressbarem suchte. Der Sprechgesang des Muezzins ertönte. Der Kaffee schmeckte so, als ob ich die dreifache Menge an Kaffeepulver genommen hätte, so stark war er. Ich hörte, wie drinnen die Badtür ging. Paul war aufgestanden. Mein Darm war von gestern noch leer, also kein Klogang. Ich rauchte noch eine, ging wieder zurück in die Suite und packte ein paar Sachen für den Reisetag, denn wir hatten nur eine Stunde Zeit für Bad, Ankleiden, Frühstück und Abmarsch. Paul kam aus dem Bad und ich fragte:

„Bist du fertig?“

„Ja, gleich.“ Er zog sich gerade die Schuhe an.

Kurz darauf gingen wir auf der mit weinrotem Samtteppich bezogenen Treppe mit dem goldenen Geländer hinunter in den Essraum. Hier wurden alle Mahlzeiten serviert, und das regelmäßig. Jeden Tag gab es Frühstück, Mittagessen und Abendessen. Die ägyptischen Ober trugen weinrote Westen und weiße Hemden. Ich setzte mich wieder auf denselben Platz am Rand gegenüber von Toni, mit einem „Guten Morgen“. Sie hatte schon etwas auf ihrem Teller. Ägyptisches Brot und Käse. Paul steuerte sofort auf das Buffet zu und kam mit seinem Joghurt mit Früchten zurück. Als er sich gesetzt hatte, stand ich auf und holte mir nur ein hartes Ei, ein Toastbrot und Käse. Irgendwie musste ich meinen verletzten Darm zustopfen. Toni war nicht geschminkt und sah dadurch sehr blass und fad aus.

Ich fragte sie: „Und, hast du geschlafen?“

„Ja, aber nicht lange, ich bin um vier Uhr aufgestanden, um mich im Bad fertig zu machen.“

„Hä, eine Stunde vorher?“

„Die ganzen Cremes auf meiner Haut und das Waschen der Haare, das dauert ewig.“

„Und jetzt bist du nicht mal geschminkt?“

„Dazu hatte ich keine Zeit mehr.“

Ich verstand es nicht und wollte es auch nicht wissen, schließlich war sie zehn Jahre älter als ich. Würde ich dann diese ganze Prozedur auch auf mich nehmen? Schönheitscremes und der ganze Mist? Ich beantwortete die Frage mit einem Nein. So würde ich nicht altern wollen. Ich würde in Würde altern.

Gisela schälte gerade eine Orange. Mehr hatte sie nicht auf dem Teller. Sie sah nicht gut aus. Ihre Falten hatten sich noch tiefer ins Gesicht eingegraben und sie nieste die ganze Zeit vor sich hin. Sie sagte zu Toni, die sich gerade noch ein Brot mit Wurst geholt hatte:

„Wenn du so weiterfrisst, wirst du noch fett.“

Ich fragte mich, warum sie das gesagt hatte. Toni war nicht fett. Sie war eher zerbrechlich. Hatte sie das gesagt, weil sie gestern Nacht Toni und Reiner an Deck zusammen gesehen hatte? Ich sagte nichts dazu. Vielmehr versuchte ich, meiner eigenen Gefühle Herr zu werden. Da war so ein Gefühl von Empathie gegenüber Toni. Sie tat mir leid, wie damals meine Tante, die ich immer als Kind begleiten musste, denn sie konnte wegen ihrer Kinderlähmung nur an einer Schiene gehen und humpelte. Ich durfte ihr als Kind nie davonrennen, da sie so langsam war. Es war Mitleid, das ich Toni gegenüber empfand, aber es war überhaupt nicht negativ, es war eher eine Art Zuneigung, vielleicht war ich sogar verliebt in sie. Oder verwechselte ich Mitleid mit Liebe? Ich hatte mich schon öfters in Frauen verliebt, aber es war nie eine Beziehung daraus entstanden, denn ich hatte mich immer in Hetero-Frauen verliebt. Diese Verliebtheiten mussten auch etwas mit meiner Mutter zu tun haben, nicht nur mit meiner Tante, denn meine Mutter hatte mich immer niedergemacht, weil sie in ihrem eigenen Leben immer zu kurz gekommen war. Sie war die Zweitgeborene von drei Kindern. Meine Tante stand immer im Mittelpunkt wegen ihrer Krankheit, und dann später wahrscheinlich der jüngere Bruder meiner Mutter, das Nesthäkchen. Sie war immer dazwischen gewesen. Gehässige Bemerkungen kamen ihr wie Öl über die Lippen. Wenn ich beruflich erfolgreich war und ein gutes Buch geschrieben hatte, meinte meine Mutter, nachdem sie es gelesen hatte, das hätte sie auch zustande gebracht. Diese Worte von ihr! Sie hatte in ihrem Leben gar nichts auf die Reihe gekriegt, das Einzige war, dass sie kochen konnte, aber da war sie mit ihren Rezepten in der Nachkriegszeit stehen geblieben. Nie war sie berufstätig gewesen. Als mein Bruder und ich aus dem Haus waren, sagte sie: „Ich setze mich doch nicht an die Kasse in einem Supermarkt!“ Dafür war sie sich zu fein. Als ich klein war, unterhielt sie sich lautstark über meinen Kopf hinweg mit irgendwelchen Nachbarinnen und erzählte ihnen, dass ich zu schüchtern sei und kein Wort herausbrächte. Später, als ich schon ausgezogen war, sagte sie mir ständig am Telefon, dass ich eine Piepsstimme hätte. Dabei kam das alles nur durch ihre blaffende Art. Mundtot hatte sie mich gemacht mit ihren Gehässigkeiten. Obendrauf, wenn bei ihr die Gäule total durchgingen, versohlte sie mich mit dem Latsch. Wenn sie mit dem Ding ankam, flüchtete ich mit Herzklopfen unters Bett, so weit, dass sie mich nicht erreichen konnte. Durch all diese Gemeinheiten mir gegenüber hatte ich nie eine richtige Mutter gehabt. Später hatte ich mir immer gewünscht, so eine Art Freundin-Mutter zu finden. Es passierte aber nichts. Ich war immer noch auf der Suche nach einer neuen Mutter.

Paul kam mit seinem zweiten Gang an. Spiegelei, Brot und Wurst. Ich hatte fertig gegessen. Eine halbe Toastbrotscheibe lag noch auf meinem Teller. Alle waren schon nach oben zu den Kabinen gegangen. Eigentlich hätte ich jetzt aufstehen können, aber ich blieb sitzen wegen Paul. Ich sah auf die Uhr. Die Zeit wurde knapp. Um sechs Uhr war Abfahrt.

Ich schaue vom Bildschirm auf. Meine Augen tropfen Benzin. Paul sagt, ich solle mir mehr Licht machen. Dabei küsst er mich sacht aufs Haar. Draußen ist es Nacht und der Mond hat sich als Sichel in den Himmel gemeißelt. Warum heißt es Sichel? Sollte man den Mond mit einer Sichel umsicheln? Umbringen? Wenn jemals jemand den weißen Mond umsicheln kann, dann wird das nur ein Schriftsteller können, der mit seinem schwarzen Buchstabenmeißel die Leere der Seiten graviert. Die Waschmaschine piept misophonisch an mein Ohr.

Im Morgengrauen war die Gruppe abfahrbereit. Über einen winzigen, wackeligen Steg, der Reiseführer vorneweg, gelangten wir ans Ufer und wurden wieder von ägyptischen Händlern überfallen. Schnell zwängten wir uns in den kleinen Bus. Paul und ich saßen direkt hinter dem Fahrer, dahinter Linda und Jakob und noch weiter hinten Gisela, Reiner und Toni. Wir fuhren an einem Kanal entlang. Der Reiseführer erzählte von der Wurmkrankheit der Ägypter, der Bilharziose. Nur in den Kanälen würden sich die Ägypter diese Krankheit zuziehen. Am Nil nicht, da er fließt. Die Würmer im Wasser würden sich in die Haut bohren. Man bekäme einen Hautausschlag und letztendlich könnte Blasenkrebs daraus entstehen. Mittlerweile gebe es Tabletten gegen die Krankheit.

Jakob hinter uns meldete sich, dass ihm schlecht sei. Ich glaube, wir waren alle mies drauf an diesem Morgen wegen des frühen Aufstehens.

Der Bus fuhr in die Morgenröte. Und dann kamen wir an der ersten Stätte an. Die Memnonkolosse. Zwei riesige Statuen, ungefähr vierzehn Meter hoch aus dem Jahr 1379 vor Christus, rammten sich in den Morgenhimmel. Als wir ausstiegen, war es eiskalt. Wir konnten unseren Atem als Rauchwolken sehen. Ich fror in meiner silberfarbenen Sommerjacke. Um uns waren keine Touristen. Wir waren die Ersten. Die Ägypter waren zurückhaltend. Es gab nur ein paar Stände. Und die Kolosse, König Amenophis III. und seine Gattin Teje, sahen großartig in der Morgenröte aus. Sie glänzten terrakottafarben im Licht, dahinter die ganzen Ballonfahrer, die in den Himmel aufstiegen, um das Tal der Könige von oben zu sehen.

Linda fotografierte Jakob. Jakob fotografierte Linda. Ich packte Paul und sagte, er solle mich vor König Amenophis III. fotografieren. Ich, die winzige Autorin, der Gott Toth, der mit dem Ibis- oder Paviankopf mit dem Griffel in der Hand. Ich in meiner silberfarbenen Sommerjacke im ägyptischen Winter. Paul hatte alles, war erfolgreich, hatte Geld, und ich hatte nur diese Worte, die wie Lebertrankleister aus mir herauskrochen, um sich wieder in meinem Gehirnlabyrinth festzusetzen. Toni lief zwischen den Statuen wie ein kleines verlorenes Hündchen hin und her, aber sie tat etwas, sie fotografierte. Man musste sich um sie keine Sorgen machen. Trotzdem ging ich auf sie zu und fragte, ob ich sie vor den Kolossen fotografieren solle. Sie bejahte. Gott sei Dank hatte sie nicht so eine schrille geifernde Stimme wie meine Mutter. Ihre Stimme war angenehm tief, eine Altstimme. Ich zückte den Fotoapparat. Sie sah so winzig aus vor diesen zwei riesigen Statuen! Ich hatte ein Ziehen im Magen. Wieder das Mitleid? Als ich ihr den Fotoapparat zurückgab, berührten sich unsere Hände und ich dachte, es elektrisiert. Aber vielleicht war es nur meine Einbildung. Wünschte ich mir überhaupt, dass sich Toni in mich verliebte?

Als wir wieder in den Bus einstiegen, sagte Paul: „Hinter den Memnonkolossen, da war eine riesige Tempelanlage. Das wurde alles geräubert. Die Steine wurden als Steinbruch für neue Tempelanlagen benützt.“ Wir fuhren weiter zum Tal der Könige, während wir uns alle die Hände rieben, so kalt war es.

In meinem Garten huschen kleine Feldmäuschen. Sie haben sich in das Igelhotel eingenistet. Die Igel kommen nicht mehr. Damals vor zwei Jahren, als ich ihnen das Igelhotel gekauft hatte, hatten sie es verschmäht. Auf der Verpackung des Hotels stand, es könne auch sein, dass sich andere Tiere dort einnisten. Jetzt sind es die Mäuschen. Mäuse haben für mich eine besondere Bedeutung. Als Kind hatte ich eine weiße Stofftier-Maus von Steiff. Sie war ganz abgerubbelt, so sehr habe ich sie geliebt. Ich verlor sie bei einem Spaziergang. Dieses Drama! Meine Eltern kauften mir genau die gleiche Maus noch einmal, aber das war nicht meine abgerubbelte Maus. Die war künstlich neu. Ich ließ sie in der Ecke vergammeln. Ein paar Jahre später fing ich auf der Terrasse meiner Eltern eine echte weiße Maus. Sie hatte rote Augen. Meine Mutter holte das kleine Terrarium, in dem wir früher Kaulquappen zu Fröschen gezüchtet hatten, aus dem Keller. Dort bekam die kleine weiße Maus abends ihren Platz. Am nächsten Morgen war sie weg. Manchmal nenne ich Paul Maus, obwohl er über einen Meter neunzig groß ist.

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