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Tal der Könige

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Als Erstes mussten wir dort durch den Basar. Wieder einmal wurden wir von den Händlern bedrängt. Ich fragte mich, wer diesen Schrott kaufen sollte? Damit konnte man in Europa nichts anfangen. Ägyptische Kleider. Kleine Götterstatuen, die billige Repliken waren. Tücher mit grässlichen Mustern. Paul und ich gingen so schnell es ging hindurch und gelangten zur Eingangshalle, wo ich bei einem Pseudoscanner meinen Rucksack röntgen lassen musste. Schließlich standen wir vor dem riesigen Modell unter einer Glashaube. Es war ein Abbild des Tals der Könige. Man konnte die vielen unterirdischen Gänge sehen, die die Gräber der großen Pharaonen ausmachten. Das ganze Tal war unter der Erde durchlöchert. Weiter ging es mit einer kleinen Bahn zum Tal der Könige. Ein Kollege hatte mir erzählt, dass dort auf den Bergen, als er im Jahr 1999, zwei Jahre nach dem Terroranschlag, im Tal der Könige war, rund um das Tal militärische Wachposten mit Schnellfeuerwaffen zum Schutz der Touristen gestanden hätten. Heute sah man keine Militärpolizei mehr. Wir besuchten drei Gräber. Sie funktionierten alle nach dem gleichen Modell. Man lief vom Eingang aus steil hinunter, an mit Hieroglyphen geschmückten Wänden vorbei. Die Decke wurde, je weiter man hinunterkam, immer höher, bis man ganz unten beim Allerheiligsten, dem Grab, ankam. Dort waren auch die Decken bemalt.

Die Hieroglyphen sind friedlich, stumm. Eine fremde Sprache, die ich nicht verstehe. Sie beruhigt mich mit ihren Symbolen, die für mich genauso wie mathematische Codes undurchdringlich sind. Ich liebe tote Sprachen, die nur noch eingemeißelt in Wände ohne Laut sprechen. Ich liebe die Stille, sie kann einen nicht verletzen.

Als wir im ersten Grab ganz unten waren, sah Toni in das Allerheiligste hinein. Im Moment waren noch keine Touristen da. Toni war alleine unten am Ende des Tunnels. Gisela hatte sich hinter sie gestellt. Da hörte ich, dass Gisela mit spöttischer Miene, die Mundwinkel herabgezogen, zu Toni sagte: „Hoffentlich stürzt jetzt das Grab nicht ein, dann wären wir lebendig begraben.“

Toni konnte daraufhin nur schwer die Tränen zurückhalten. Während wir in dem Grab nach oben in Richtung Tageslicht stiegen, sagte ich zu ihr:

„Lass dich von der nicht kleinkriegen! Die hat doch einen Dünkel.“ Daraufhin wich Toni nicht mehr von meiner Seite, als wir die restlichen Gräber besuchten. Wie ein Schatten lief sie mir hinterher. Und ich genoss es!

Alle Gräber in dem Tal sind damals ausgeraubt worden. Nur ein Grab ist verschont geblieben. Das von dem kleinsten aller Pharaonen, das Grab von Tutanchamun. Die Schätze des Grabes, darunter auch die goldene Maske, befinden sich heute im Ägyptischen Museum in Kairo. Während der Reiseleiter nach der Besichtigung über die Todeszeremonie der Ägypter berichtete, sah ich, dass sich Toni in die Morgensonne gestellt hatte und von einem Fuß auf den anderen trat. Ich ging zu ihr und fragte sie, ob sie auch aufs Klo müsse. Wir verdrückten uns zu einem heruntergekommen Wagen, der sich Klo nannte. Wir gaben dem Ägypter, der uns ein paar Blatt Klopapier reichte, einen Euro und betraten den Vorraum der Toiletten. Es gab nicht einmal Seife im Spender. Nur ein verbrauchtes einsames Stück Seife lag auf dem verdreckten Waschbecken. Die Klos selber sahen nicht besser aus. Wie froh war ich, als ich wieder draußen war. Als wir zurück bei der Gruppe waren, erzählte der Reiseleiter gerade über die Reise der Toten.

„Die Verstorbenen kamen vor das Totengericht des Osiris. Osiris war der Gott der Unterwelt. Die Toten machten sich auf den Weg in die Unterwelt, Duat genannt. Der Eingang zur Unterwelt lag im Westen, deshalb liegen auch alle Gräber im Westen vom Nil. Dort kam der Tote an ein riesiges Tor, wo Himmel, Erde und Unterwelt aufeinandertrafen. Außerdem war da ein riesengroßes Gewässer. Es rauschte um die Pforten des Tores. Weitere Pforten folgten. Dort wanden sich riesige Schlangen und spitze Dolche warteten. Außerdem lauerten böse Dämonen dort. Der Verstorbene musste die Zaubersprüche kennen. Am Schluss kam das Totengericht. Erst wenn er dort bestand, konnte er ins ewige Leben eingehen.“ Toni hatte angespannt dem Reiseführer gelauscht. Als er seinen Vortrag beendet hatte, sagte sie zu mir: „Vielleicht sollte ich mir eine Pistole kaufen. Das wäre auch ein schneller Tod.“

„Toni, lass diese Gedanken, das ist doch Quatsch!“

Es ging weiter zum Totentempel der Hatschepsut. Als wir dort angelangten, musste Toni schon wieder aufs Klo. Ich ging ihr hinterher, um sie zu bewachen. Schließlich war sie selbstmordgefährdet. Als sie nach dem Warten in der Schlange dran war, um in einer der Kabinen zu verschwinden, ging sie gar nicht hinein, sondern stellte sich vor den Spiegel und richtete ihr Haar. Die ist aber eitel, dachte ich. Die ganze Reisegruppe hatte wieder fünfzehn Minuten auf sie warten müssen, denn die Schlangen auf den Klos bei den Sehenswürdigkeiten waren lang.

Wenn man in weiter Entfernung vor dem in Kalkstein erbauten Tempel stand, wirkte er winzig in den ihn umgebenden Felsen. Er fügte sich wie ein Kunstwerk in die Berge ein, denn der Tempel und die Felsen hatten die gleiche Farbe. Der Reiseleiter erklärte, dass Hatschepsut nur deswegen Pharaonin bleiben konnte, weil sie sich als Göttin ausgab. Ich sagte zu Toni:

„Überleg dir, da wird 1479 Jahre vor Christus eine Frau Pharaonin. Bis wir eine deutsche Bundeskanzlerin hatten, dauerte dies 2005 Jahre nach Christus. Hatschepsut muss ein Phänomen gewesen sein. Dass die alten Ägypter eine Frau als Königin akzeptiert haben! Unfassbar!“ „Ja, aber sie hat sich ja zuerst als Mann und dann als Göttin ausgegeben.“

Wir gingen die ganzen Treppen hoch. Es war ein erhebendes Gefühl, als ob man schweben würde. Paul fotografierte mich zusammen mit einem Ägypter in seiner Tracht vor einer der gut erhaltenen Statuen der Hatschepsut, die in Richtung Tempel Karnak blickte - die Statue und ich mit gekreuzten Armen.

Später klärte der Reiseführer über den Terroranschlag auf.

„Am 17. November 1997 fand das Massaker von Luxor statt. Es waren Islamisten, die mit automatischen Waffen und Messern 62 Personen töteten. Vor allem die Körper der Frauen wurden verstümmelt. Später wurden die Leichen der Attentäter gefunden. Sie hatten wahrscheinlich gemeinschaftlich Selbstmord begangen.“

Toni murmelte in sich hinein, sodass nur ich es hören konnte: „Ja, Selbstmord, das ist der einzige Ausweg.“ Diesmal tat ich so, als ob ich nichts gehört hätte, denn ich wollte kein Öl ins Feuer gießen.

Der Reiseleiter fügte hinzu:

„Es war das Ziel, den erfolgreichen Tourismus von Ägypten zu treffen. Am nächsten Tag war die Hälfte aller Touristen abgereist. Das war aber nicht die Religion des Islam, die das Attentat verübt hat. Jede Weltreligion ist friedlich. Allein die Menschen machen die Religion.“ In den Mundwinkeln des Reiseführers hatte sich Speichel gesammelt. Er trank einen Schluck aus seiner kleinen Wasserflasche.

Ich sagte zu Toni:

„Erstaunlich, erst vier Jahre später war der Anschlag auf das World Trade Center.“

Die Fahrt ging weiter zum Habu-Tempel. Am Eingang des Tempels lagen auf hinuntergehenden Treppen zwei schwarze Hunde in der Sonne. Sie rührten sich kaum, als wir an ihnen vorbeiliefen. Der Reiseführer sagte: „Manchmal finden sich die Hunde zu Rudeln zusammen, um Fressen zu erbetteln. Die Ägypter mögen die frei laufenden Hunde nicht.“

Der Habu-Tempel war riesengroß und gut erhalten. Als wir direkt vor dem Eingang standen, sagte der Reiseleiter, dass es heute den Kalender mit 365 Tagen gebe. Er fragte in die Runde: „Und wer hat den Kalender erfunden? Die alten Ägypter!“ Darauf machte er ein Handzeichen und wir gingen in den Tempel hinein, vorbei an der Göttin Sachmet, einer Statue mit einem Löwenkopf. Der Tempel wurde nach hinten zu immer dunkler und enger im Gegensatz zu den Gräbern im Tal der Könige, die nach hinten hin immer höher und weiter werden. Als wir beim Allerheiligsten angelangt waren, sagte Toni, sie müsse schon wieder aufs Klo. „Mein Richard hat immer gesagt, wenn ich alte Steine sehe, müsste ich aufs Klo.“ Ich fragte mich, ob das eine faule Ausrede war. Sie verdrückte mal wieder eine Träne und schaute Paul an, der ein paar Meter weiter weg von uns mit dem Reiseführer über eine Hieroglyphe fachsimpelte.

Draußen vor dem Tempel stand ein kleiner Kiosk, wo man Postkarten kaufen konnte. Toni suchte in den ganzen von der Sonne verblichenen blaustichigen Karten nach neueren, besser erhaltenen Karten, wurde aber nicht fündig. Wir gingen weiter in Richtung Bus, und wieder umringten uns Händler. Einer von ihnen hatte eine kleine Statue mit einem Katzenkopf aus milchig weißgrüner Jade in der Hand. Ich kaufte sie ihm für fünf Euro ab, ohne zu handeln. Wir wurden daraufhin ihn und die anderen Händler nicht mehr los. Als wir schon im Bus saßen, riefen sie durch die geöffnete Tür herein, irgendwelche Gegenstände hochhaltend: „Ein Euro, zwei Euro! Fünf Euro für drei!“ Reiner sagte zu mir: „Du bist schuld, die kriegen wir nicht mehr los!“ Dabei lachte er aber.

Auf dem Rückweg zum Kreuzfahrtschiff machten wir nicht den Umweg über eine Nilbrücke, sondern wir konnten eine kleine Fahrt in einem bunten Boot über den Nil genießen. Eine steile Treppe führte zum Boot. Oben standen ägyptische Kinder, die die Touristen an der Hand zum Boot geleiteten. Dafür wollten sie Geld. Ich fragte mich, warum die Kinder nicht in der Schule waren.

Meine Worte verorten sich so lange, bis sie in den Abflussrohren der Kanalisation verrotten.

Nach der Mördertour hatte ich versucht zu schlafen, aber der Einzige, der schlief, war Paul. Sein gesegneter Schlaf! Also ging ich hoch an Deck. Ich suchte nach Toni. Sie lag in einem Liegestuhl und schlief. Ich bemerkte, dass ihr Dekolleté schon ganz rot war und sich kleine eitrige Bläschen gebildet hatten. Ich stellte mich so vor sie hin, dass sie in meinem Schatten lag, und rief:

„Toni, du musst aus der Sonne!“

Sie wachte auf.

„Komm, lass uns einen Kaffee trinken gehen.“

„Der Kaffe hier schmeckt schrecklich.“

„Trotzdem, steh auf, du bist schon rot wie ein Krebs.“

Sie stand auf und wir setzten uns in den Schatten. Der Ober kam nach der Bestellung mit den Kaffees.

Toni rührte in ihrer Tasse und sagte:

„Ich verstehe das nicht, dass Gisela so ekelhaft zu mir ist.“

„Ich habe dich und Reiner gestern um Mitternacht an Deck gesehen.

Das sah sehr vertraut aus. Was habt ihr gesprochen?“

Toni wurde rot im Gesicht. Dort hatte sie noch keinen Sonnenbrand. „Ich wollte euch nicht stören. Ihr standet ja am Heck. Ich habe am Bug noch eine Zigarette geraucht. Dann ging ich wieder hinunter in die Kabine. Dort kam mir Gisela entgegen. Sie muss euch gesehen haben. Die sind seit dreißig Jahren ein Paar. Da kannst du jetzt nicht reingrätschen. Was glaubst du, wie du reagiert hättest, wenn eine Frau versucht hätte, dir deinen Richard wegzunehmen.“

Tonis Augen weiteten sich.

„Gisela war noch an Deck?“

„Du darfst dich mit Reiner nicht mehr treffen. Außer, du willst die Bösartigkeiten von Gisela aushalten. Glaubst du, dieses Verhalten von ihr kommt von ungefähr? Das hat einen Grund!“

„Es ist so, ich kenne Reiner von früher, ich habe doch damals meine Weiterbildung zur Kauffrau gemacht, und Reiner hat eines der Seminare geleitet.“

„Ach so, und war da was?“

„Nee, da war nichts. Ich will ja gar nichts von Reiner, das mit Richard ist doch noch viel zu nah. Aber Reiner ist so lustig. Er bringt mich auf andere Gedanken.“

„Ich warne dich hiermit. Treib es nicht auf die Spitze!“

„Ich? Nein! Ich gehe doch in die Trauergruppe und breche ständig in Tränen aus. Wie sollte ich jetzt an einen anderen Mann denken? Das Schlimmste war das, was die Psychologin mir in der Kur gesagt hat: ‚Es wird nichts mehr, wie es einmal war.‘ Und da hat sie recht. Was soll bloß werden? Ich sehe nur einen Tunnel, aber am Ende kein Licht.“

Mir tat sie wieder leid wegen dieser Gemeinheit. Dass die Leute kein Taktgefühl hatten! Ich sah sie an, als ob ich sehr vertraut mit ihr wäre. „Blöde Kuh, was soll der Scheiß? Ein, zwei Jahre Trauer und dann wirst du wieder jemand Neues finden. Glaub mir. Wie wär‘s diesmal mit einer Frau?“

„Eine Frau? Hm … Weiß nicht.“

Ich taxierte sie. Schließlich wollte ich herausfinden, ob ich eine klitzekleine Chance bei ihr hätte.

Sie fuhr aber fort und überging das Frauenthema:

„So einfach ist es nicht. Entweder sind die Männer in den Jahren in Beziehungen, oder sie sind krank, oder sie sehen scheiße aus, oder sonst was. Ich will nicht mal ins Internet auf so eine Datingplattform. Ich glaube, da würde es mich nur gruseln. Ich will meinen Richard wieder zurück.“

„Wir sehen uns nachher beim Abendessen, ich muss jetzt mal nach Paul sehen.“

An dem Abend war Silvester. Als ich mich an meinen Platz setzte, sah ich, dass Toni jetzt einen unübersehbaren Hautausschlag hatte. Gisela beugte sich gerade zu ihr hinüber und fragte:

„Hast du etwa die Wurmkrankheit der Ägypter?“

Toni antwortete nicht. Stattdessen stierte sie in ihren leeren Teller. Eine Minute später stand sie auf und holte sich etwas vom Buffet. An diesem Abend gab es Truthahn. Ich holte mir viele Salate, da ich die Gewürze Koriander und Minze liebe. Toni mochte die Gewürze nicht und sie holte sich eher pure Leckereien. Die Salate an Bord konnte man anscheinend problemlos essen, denn sie wurden mit Chlorwasser abgespült und die Salatwäscher trugen Handschuhe.

Kurze Zeit später gab Reiner einen Witz zum Besten:

„Was ist der gefährlichste Ort auf der Welt?“

Alle spitzten die Ohren. Toni vermied es, Reiner anzusehen.

„Das Bett!“

„Nee, das Bett?“, fragte Toni, immer noch ohne aufzublicken.

„Da sterben die meisten Leute.“

Toni brach in Lachen aus und sah Reiner begeistert ins Gesicht. Gisela saß stoisch am Tisch und verzog keine Miene. Paul lächelte ein wenig. Linda und Jakob hatten den Witz nicht mitbekommen, da sie am Buffet waren.

Plötzlich öffnete sich die Tür zur Küche und die gesamte Küchenmannschaft fiel mit lautem Singen in den Speisesaal ein. Der Vorderste der Truppe trug eine Torte. Jemand hatte an diesem Abend Geburtstag. Toni stand das Wasser in den Augen und sie sagte, so ähnlich sei es vorletztes Jahr an Richards Geburtstag gewesen, als sie in Thailand waren. Gisela beugte sich zu Toni hinüber und sagte lautstark mit ihrer krächzenden, erkälteten Stimme:

„Deine Heulerei nervt. Du bist wie eine Zecke, du saugst die Energie deiner Mitmenschen ab.“

Ich proste mit einem Glas Rotwein meinen schwarzen Worten zu, die ich soeben auf das weiße Blatt gehämmert habe. Schwarz-weiß-rot … Meine Farben, meine Sinne … Meine Seele ist ein Gespenst, das nachts ruhelos in den Geistern nach dem sucht, was sie verdursten lässt. Ich denke, ich könnte irgendwann Mondkühe bauen, wenn ich aus dem Fenster schaue.

In der Kabine erzählte ich Paul von der Dreiecksbeziehung zwischen Toni, Gisela und Reiner. Meine Verliebtheit erwähnte ich nicht. Schließlich hatte Paul mir auch nie gestanden, dass er früher öfters mal fremdgegangen war. Ich hatte es nur immer gerochen wie ein Jagdhund, der die Spur des Wilds aufnimmt.

Er sagte nur: „Halt dich da raus!“

Ich entgegnete: „Aber das ist doch eine geile Story!“

„Hey, Süße, das ist unser Urlaub! Musst du immer ans Schreiben denken? Ich bitte dich, schalte ab und genieße den Urlaub. Von Toni würde ich mich ab sofort zurückziehen. Das ist ihre Sache.“

Das Schiff legte nachts von Luxor in Richtung Assuan ab. Ich saß auf meinem kleinen Raucherbalkon und starrte ins Dunkle. Händler auf Ruderbooten riefen laut „Holla!“ zu mir hinauf. Sie warfen eine Plastiktüte nach oben, in der ein Kleidungsstück war, das ich kaufen sollte. Ich öffnete die Tüte, legte drei Zigaretten hinein und warf die Tüte wieder hinunter mit den Worten: „I don‘t want your clothes, but I give you cigarettes. Kurz darauf drehten sie, anscheinend zufrieden, wieder ab.

Der schwarze Nil verteilte seine weißen Schaumkronen am Rand des fahrenden Schiffs. Die Silhouetten der Palmen klebten am schwarzen Uferrand. Vorne ein einziges kleines Licht. In der Ferne hörte man noch den Muezzin zum Gebet rufen. Ich bete nicht. Gott ist nicht in dieser Welt, dachte ich. Manchmal schaute ich nur auf das weiße Geländer des Schiffs, das in die Ewigkeit fuhr, bis zum Tor der Toten, wo am Eingang die Schlangen warteten.

Auf Rabenschwingen verlassen die Buchstaben den Geist in die Gestade der aufkommenden Nacht, während ich nur wie eine Statue aus Marmor auf einer Stelle sitzen und die Sätze nicht mehr in ihren Bedeutungen erfassen kann.

Nachts versuchte ich zu schlafen, aber von dem Stockwerk über mir dröhnte Silvestermusik aus den 80er Jahren. Irgendwann war die Musik aus. Ich dachte an Toni, aber meine erotischen Fantasien gingen über einen Kuss nicht hinaus. Nach dem fantasierten Kuss dachte ich, ich müsste jetzt doch ihren Körper weiter erforschen, aber da war eine Art Blockade in meinem Hirn. Trotzdem hatte ich Herzklopfen. Ich war also verliebt. Da an Schlaf nicht zu denken war, ging ich noch mal an Deck und sah, dass Reiner jemanden küsste. Eine Frau mit schwarzen kurzen Haaren, die ich an Bord noch gar nicht bemerkt hatte. Ich ging vorsichtig etwas näher heran. Die Frau hatte ein seltsames Ding in der Hand, das wie ein Wischmopp aussah. Ich kam noch näher. Das war eine Perücke, und die Frau, die Reiner küsste, war Toni. Ich spürte einen Stich im Herzen. Wenn ich es mir eingestand, dann hätte Toni jetzt mich küssen sollen und nicht Reiner. Schade, ich war wieder bei einer Hetero-Frau gelandet. Oder vielleicht war sie wenigstens bisexuell. Dann hätte ich vielleicht eine Chance, aber ich verwarf diese Fantasie wieder. Als ich gerade enttäuscht umkehren wollte, zogen befremdliche Gedanken auf. Warum trug Toni diese Perücke? Warum ging sie ständig aufs Klo, um ihr Haar zu richten? Irgendetwas stimmte da nicht und ich fand es auch richtig peinlich, ich schämte mich für sie, sie hatte zu viel von sich offenbart. Das war so, als ob der Papst bei einer Audienz einen Pups lassen würde.

Das Schiff fuhr in die Schleuse. Nach der Zigarette ging ich wieder in die Kabine und dachte: So, jetzt kannst du schlafen, doch jetzt war es so, als ob jemand an Deck Metalltische auf den Boden knallen würde. Am nächsten Morgen hatte niemand diese Geräusche gehört und ich wunderte mich.

Paul hat die Dunstabzugshaube angeworfen. Das Geräusch verbreitet in meinen Gedanken solch einen Nebel, dass ich an den Abzug einer Pistole denke. Ich könnte mich jetzt in das Flussbett des Nils legen, aber in Wahrheit wanke ich in mein Schlafzimmer, wo ich lange wach liege, denn die Sätze lassen meinen Geist nicht los. Wie Schlangen winden sie sich in meinen Gehirnwindungen. Ich will sie loslassen, aber sie halten mich so besetzt, als hätten sie meinen Geist als Haus eingenommen. Ich stehe wieder auf und schütte noch ein Glas Rotwein in mich hinein. Danach schaue ich in Yogastellung an die Decke, während meine Hände auf der Bettdecke ruhen.

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