Читать книгу Knallharte Schale – zuckersüßer Kerl - Poppy J. Anderson - Страница 10
2. Kapitel
ОглавлениеDas Leben konnte so scheiße sein!
Sarah Matthews war extrem froh, dass sie in keinem Großraumbüro arbeitete, als sie die Bürotür verschloss, sich dagegen lehnte und ihren Tränen freien Lauf ließ.
Von Anfang an hatte sie gewusst, dass es hart wäre, gerade diese Stelle anzunehmen und sich tagtäglich mit Brustkrebspatientinnen und deren Angehörigen zu beschäftigen, aber sie hatte sich gesagt, dass sie Gutes tun konnte und sich selbst einfach zurücknehmen musste. Ihr Job erfüllte sie, machte sie stolz und gab ihr das Gefühl, etwas bewirken zu können. An manchen Tagen jedoch wäre sie am liebsten verzweifelt und beklagte die Grausamkeit des Schicksals. Ihre Vorgesetzte Miranda behauptete zwar, dass es mit der Zeit besser würde, und Sarah wollte ihr da nicht widersprechen, dennoch hatte sie allein in den vergangenen vier Monaten so viele schlimme Schicksalsschläge miterlebt, dass sie das nicht glauben konnte.
Mit zittrigen Händen wischte sie sich die Tränen beiseite und starrte unglücklich auf die wunderschöne Geburtsanzeige eines kleinen Mädchens. Sarah hatte die rosafarbene Karte erst vor fünf Wochen an ihre Pinnwand geklebt und ständig lächeln müssen, wenn ihr Blick darauf gefallen war. Das Mädchen mit dem zerknautschten Gesicht und dem winzigen Mützchen auf dem Kopf trug den Namen Sophie und war zusammen mit ihrer Mutter Mary Sarahs erste Initiative in diesem Job gewesen. Zu dieser Zeit war Sophie nicht einmal geboren und doch der Grund gewesen, weshalb Sarah einen langen Bericht über sie und ihre dreiunddreißigjährige Mutter veröffentlichte. Mary hatte am Anfang ihrer Schwangerschaft die Diagnose Brustkrebs erhalten und sich gegen eine Chemotherapie entschieden, um den Fötus zu schützen. Sie hatte gewusst, dass die aggressive Therapie, die bei ihr nötig gewesen wäre, das Baby höchstwahrscheinlich geschädigt hätte. Im Gegensatz zu ihr, die sich keine Illusionen über ihre Krebserkrankung gemacht hatte, war ihr Mann sehr hoffnungsvoll gewesen, dass Mary gleich nach der Geburt den Krebs besiegen könnte, wenn sie sofort mit der Therapie begann. Fünf Wochen später war Mary nun tot.
Sarah stieß sich von der Tür ab und ging um ihren Schreibtisch herum, bevor sie nach ihrem Handy griff. Sie fühlte sich hilflos und rief den einzigen Menschen an, der sie jetzt aufmuntern könnte.
„Hallo, Mom ... ich bin’s.“
„Liebling“, erklang die tröstliche Stimme ihrer Mutter. „Geht es dir nicht gut? Du klingst schrecklich.“
Mit wackligen Beinen setzte sich Sarah in ihren Sessel und schluckte. „Ich habe dir doch von Mary erzählt – der schwangeren Frau mit dem inflammatorischen Karzinom.“
Ihre Mutter schwieg einen Moment, bevor sie leise erklärte: „Ja, das hast du. Sie hat ein kleines Mädchen bekommen, richtig?“
„Ja“, mit einem Kloß im Hals flüsterte sie. „Mary ist gestern gestorben. Gerade eben hat ihr Mann angerufen.“
„Das tut mir sehr leid.“
„Mir auch.“
Eine kurze Zeit herrschte Stille am anderen Ende, bevor ihre Mom mit sanfter Stimme erklärte: „In der nächsten Woche kann ich mir freinehmen, Schatz. Möchtest du, dass ich dich besuchen komme? Du weißt, dass ich dich vermisse und mir sehr gerne deine neue Wohnung anschauen würde.“
„Ich vermisse euch auch, aber du musst nicht extra von Florida nach New York fliegen und meine Wohnung vorschieben, um mich zu trösten, auch wenn ich das sehr lieb finde und dich sehr gerne sehen würde.“
Ein tiefer Seufzer war die Antwort. „Ach, Sarah ...“
„Nein, wirklich. Weißt du, ich bin mittlerweile erwachsen“, erklärte sie amüsiert.
Dieses Mal antwortete ihre Mom mit einem Schnauben. „Auch wenn du erwachsen bist, bleibst du mein Baby.“
Lächelnd lehnte Sarah den Kopf zurück. „Du hast gar nicht die Zeit, um mich zu besuchen, Mom. Wie soll Jamie denn seine Collegebewerbung fertigbekommen ...?“
„Dein Bruder wird sicherlich ohne mich diese Bewerbung schreiben können. Außerdem ist dein Vater auch noch da und kann ihm helfen.“
Mit einem kleinen Lachen stellte sich Sarah vor, wie ihr Dad und ihr Bruder zusammen über der Bewerbung fürs College hingen und sich vermutlich nach wenigen Minuten vor den Fernseher setzten, um Sportnachrichten zu schauen und sich eine Pizza zu bestellen. Sobald ihre Mom das Haus verließ, herrschte daheim in Pensacola Anarchie. Sarahs zwei Brüder, die beide um ein paar Jahre jünger waren, tanzten ihren Eltern auf der Nase herum.
„Danke, Mom. Du musst wirklich nicht kommen.“
„Wenn du meinst ...“
„In der nächsten Woche habe ich außerdem einige Termine, die ich nicht verschieben kann.“
„Mit dem Footballspieler?“
Sarahs Gesicht verschloss sich für einen Moment, als sie an das gestrige Telefonat mit dem wortkargen Dupree Williams dachte. In der nächsten Woche würde sie ihn treffen und sah dieser Begegnung mit Magenschmerzen entgegen.
„Frag’ ihn doch bitte nach zwei Autogrammen für deine Brüder. Die beiden sind große Fans und bekommen sich vor lauter Aufregung, dass du ihn kennst, gar nicht mehr ein.“
„Ich kenne ihn nicht wirklich ...“
„Du erstellst seine Werbekampagne, Schatz.“ Mit einem amüsierten Laut kicherte ihre Mom in den Hörer. „Das ist doch schon etwas.“
„Natürlich frage ich ihn nach den Autogrammen“, entgegnete Sarah, da sie keine Lust hatte, ihrer Mom erklären zu müssen, weshalb sie auf den Star-Tackle der New York Titans nicht gut zu sprechen war. Nachdem sie versprochen hatte, sich in den kommenden Tagen wieder zu melden, legte sie auf und griff nach einem Stift, um sich ein paar Notizen zu ihren kommenden Terminen zu machen, doch schon bald schweiften ihre Gedanken ab. Beinahe nervös kaute sie auf dem Stift herum und fixierte den Computermonitor, bevor sie sich unwirsch durch ihren blonden Pony fuhr.
Dupree Williams hätte ihr gestohlen bleiben können, wenn nicht er ausgerechnet das Aushängeschild der New Yorker Brustkrebshilfe gewesen wäre. Vor zwei Jahren war er als einziger Spieler mit einem T-Shirt, auf dem die rosafarbene Schleife der Brustkrebshilfe abgedruckt gewesen war, zum jährlichen Spendenlauf erschienen und hatte die Herzen der New Yorker Frauen im Sturm erobert. Jedenfalls wurde es sich genauso erzählt. Seitdem war er der Pate ihrer Organisation und machte ehrenamtlich Werbung, was zwar lobenswert war, Sarah jedoch nicht beeindruckte, da sie ihn auch anders kannte.
Vor vier Monaten war sie gerade erst nach New York gekommen und hatte ihre Stelle angetreten, als eine Arbeitskollegin sich mit ihr in einem Club verabredet hatte. Sarah, die von dem Großstadtflair beeindruckt gewesen war, hatte im besagten Club auf ihre Kollegin warten wollen und sich an die Bar gesetzt, während sie sich eingeschüchtert umgesehen hatte. Dabei war ihr Blick auf einen Mann gefallen, der sie ein wenig zurückhaltend gemustert hatte. Sie hatte das ausgesprochen sympathisch gefunden und hatte ihm zugelächelt, als er zögernd nähergekommen war. Trotz seiner riesigen Erscheinung und wahren Muskelbergen, die beinahe das Shirt mit dem Totenkopf gesprengt hätten, das er an jenem Abend getragen hatte, hatte er ein unverfängliches und nettes Gespräch mit ihr begonnen, bei dem sie bemerkt hatten, dass sie sogar aus der benachbarten Gegend stammten, da Mobile und Pensacola zwar in zwei verschiedenen Bundesstaaten lagen, jedoch nicht weit voneinander entfernt waren.
Sarah hatte Dupree und seinen Irokesenhaarschnitt sogar richtig niedlich gefunden und hing gebannt an seinen Lippen, bevor er den Macho markierte und sich in einen widerlichen Idioten verwandelte, der sie lediglich ins Bett bekommen wollte. Als er dann auch noch erzählte, dass er Footballspieler sei, war ihr alles klar. Footballspieler waren sowieso völlig hirnlose Typen, die andere hirnlose Typen in den Boden rammten und mit einem Ball über ein Feld rannten, wofür sie Unsummen an Geld kassierten.
Dupree hatte augenscheinlich gedacht, dass er ihr lediglich seinen Superbowlring zeigen müsste, um sie aufreißen zu können. Sarah war maßlos enttäuscht gewesen, da sie ihn anfangs für einen wirklich netten Kerl gehalten hatte, der putzigerweise sogar schüchtern erschienen war.
Leider hatte sie sich getäuscht. Wenige Tage später war sie von der Nachricht, dass sie für die Öffentlichkeitsarbeit um den erfolgreichen Footballspieler und Werbepartner Dupree Williams zuständig war, überrollt worden und hatte ihn erst vor ein paar Wochen beim Spendenlauf wiedergesehen. Sein erschrockener und ungläubiger Blick hätte sie beinahe versöhnt, wenn sie nicht die dummen Sprüche einiger seiner Mitspieler gehört hätte. Sarah konnte Menschen, die lediglich auf die äußere Erscheinung achteten und furchtbar oberflächlich waren, einfach nicht leiden, was vermutlich auch mit ihrem Job zusammenhing. Man lernte sehr schnell, worauf es tatsächlich im Leben ankam und dass Schönheit vergänglich war, wenn man tagtäglich mit todkranken Menschen zu tun hatte. Wer das nicht verstehen konnte, war ihrer Meinung nach nicht nur furchtbar gefühlskalt, sondern schlicht und ergreifend dumm.
Sie fand Dupree Williams Engagement zwar löblich, aber hielt es für nichts anderes als für einen Marketingtrick. Eigentlich hätte ihr das egal sein sollen, solange es ihrer Organisation nützte, aber sie war immer noch aufgebracht, dass sie sich kurze Zeit von einem Mann hatte täuschen lassen, der nicht anders als all die anderen Typen war, die sich nie für das Innere einer Frau interessierten, sondern allein das Äußere betrachteten.
Nachdem Sarah einige Telefonate erledigt hatte, verließ sie das Büro und kaufte sich in einem kleinen Bistro einen Salat, um im Park Mittagspause zu machen und den Skateboardern zuzusehen, die sich spektakuläre Tricks einfallen ließen. Sie hatte sich an New York noch nicht gewöhnen können, freundete sich jedoch immer mehr mit dieser Stadt an. Früher hatte sie es nie für möglich gehalten, nicht in Florida zu wohnen und jederzeit zum Strand zu fahren, doch dann hatte sie in Boston studiert und die Ostküste zu schätzen gelernt. Im Gegensatz zu Boston war New York wiederum völlig anders.
Erst vorgestern hatte sie nach der Arbeit in der U-Bahn gesessen und entsetzt einen älteren Obdachlosen bemerkt, der in aller Ruhe masturbierte, während Teenager direkt vor ihm standen. Viel schockierender als der sich selbst befriedigende Mann waren die Reaktionen der anderen U-Bahnfahrer gewesen, die sich nämlich nicht gerührt hatten. Anstatt empört auf die Szenerie zu reagieren, hatten sie sich mit ihrer Zeitung oder ihrem Smartphone beschäftigt. Sarah war vor lauter Entsetzen beinahe der Kaugummi herausgefallen und sie hatte bemerkt, dass sie tatsächlich ein Dorfkind war, wenn sie sich als einzige an einem masturbierenden Obdachlosen störte, während pubertierende Teenager das Ganze hinnahmen und lässig Fotos davon machten, was den älteren Mann wiederum nicht zu stören schien.
Sarah stocherte in ihrem Salat herum und pickte die Karotten heraus, da sie die nicht mochte. Sie hoffte inständig, dass ihr heutiger Nachhauseweg ohne Komplikationen verlief und sie sich bei einem heißen Schaumbad entspannen könnte. Wenn sie ganz viel Glück hatte, waren vielleicht sogar ihre Nachbarn, ein heißblütiges Paar aus Albanien, das bereits zum Frühstück geschmorte Lammkeule mit Knoblauchsauce zu verzehren schien, für einen Abend ruhig und verschonten sie mit ihrem Lärm. Heute wollte sie nicht mehr an den Termin mit Dupree Williams nachdenken, der ihr in der nächsten Woche bevorstand, sondern ein wenig abschalten.
Morgen könnte sie sich Gedanken darum machen, was sie diesem arroganten und selbstherrlichen Footballspieler für eine Werbemaßnahme vorschlagen könnte, aber heute hatte sie ihm schon genügend Gedanken gewidmet.