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Lehrer Frandsen setzte die Trillerpfeife an den Mund und blies aus allen Kräften, so daß seine Backen wie zwei aufgepustete Ballons aussahen. Gleichzeitig winkte er mit den Armen, um den Kindern klarzumachen, daß sie sich versammeln sollten. Es war ein Uhr, und er selbst hatte einen Bärenhunger. Es war Zeit, zum Essen zu gehen.

Außer Atem und mit glühenden Wangen kamen die Kinder von allen Seiten angelaufen. Fräulein Kaer zählte an den Fingern ab – ja, sie waren vollzählig.

»Was meint ihr, Kinder?« fragte Herr Frandsen. »Sollen wir zu der kleinen Berghütte gehen, wo wir gestern gegessen haben, oder wollt ihr lieber bleiben, wo ihr seid?«

»Hierbleiben«, war die nahezu einstimmige Antwort.

»Gut, meinetwegen. Dann wollen wir mal unseren Proviant auspacken.«

In Norwegen ist es ja so wie in der Schweiz; selbst wenn die Temperatur einige Grad unter Null ist, empfindet man es gar nicht als kalt, auch im Freien nicht, im Gegensatz zu Dänemark, wo die Luft feuchter und es fast nie windstill ist.

Auch heute schien die Sonne wieder von einem wolkenlosen Himmel herab, und kein Lüftchen rührte sich.

Die Kinder schnallten ihre Schier ab und suchten sich einen Sitzplatz, wo sie ihre mitgebrachten Brote verzehrten. Asger fand bald einen kleinen Felsblock, von dem er den Schnee herunterfegte; dort sollte Lone sitzen. Aber ehe er sich versah, ließ Fräulein Kaer sich auf den Stein niedersinken. »Ich danke dir schön, Asger.« Sie lächelte ihm zu und setzte sich bequem zurecht. »Hier sitze ich wirklich gut, wenn es auch ein wenig hart ist. Hat nicht jemand von euch etwas, worauf ich mich setzen kann?« Asger wollte gerade seine Windjacke ausziehen, überlegte es sich jedoch im letzten Augenblick anders; die sollte Lone haben. »Du, Bjarne«, sagte er, »gib du Fräulein Kaer deine Windjacke zum Draufsitzen.« Er sah wohl, daß Bjarne keine rechte Lust dazu hatte, aber in Gegenwart von Fräulein Kaer wagte er nicht zu widersprechen.

»Es ist Platz genug, hier können ruhig noch zwei sitzen«, sagte Fräulein Kaer und klopfte einladend auf den großen Stein. Asger fegte den restlichen Schnee von der Sitzfläche. »Bitte sehr, Lone«, sagte er und legte seine Windjacke als Unterlage zusammen.

»Nein, vielen Dank, nimm sie nur selbst«, meinte Lone, aber als Asger beteuerte, er sitze am liebsten hart, ließ sie es sich doch gern gefallen.

Außer den Butterbroten hatte man einige große Thermosflaschen mit warmem Kakao mitgebracht. In kleine Gruppen verteilt, machte man sich jetzt über den Proviant her. Vom Herumtollen in Sonne und Schnee hatten alle jetzt tüchtigen Hunger, und es dauerte daher nicht lange, bis auch der letzte Krümel verzehrt war.

»Hat jemand noch etwas Kakao?« rief Fräulein Kaer über die Schulter. »Ich könnte noch eine Tasse voll vertragen.«

Herr Frandsen erhob sich und winkte mit einer Thermosflasche. Seine Heiserkeit erlaubte ihm nicht, seine Stimme mehr als unbedingt notwendig anzustrengen. »Bitte sehr, gießen Sie sich lieber selbst ein«, krächzte er, indem er ihr die Flasche von rückwärts reichte.

»Wollt ihr auch noch was haben?« fragte sie Lone und Asger. »Ich glaube, es reicht noch für eine Tasse für jeden von euch.« Sie goß ein und reichte die Flasche dann über die Schulter zurück. »Schönen Dank, Herr Frandsen.«

Als er ihr die Flasche nicht abnahm, und sie auch keine Antwort erhielt, drehte sie sich um. »Ja, aber – wo ist er denn geblieben?« Fräulein Kaers Gesicht’ glich einem großen Fragezeichen.

»Er hat doch eben noch hier gestanden«, rief Lone und sah sich ebenfalls um, völlig verwirrt über das plötzliche Verschwinden des Lehrers. Fräulein Kaer stand auf und guckte sogar in die Luft hinauf, als könne sie sich die Möglichkeit denken, daß Herr Frandsen, wie der Prophet Elias, in einem Feuerwagen gen Himmel gefahren sei.

»Herr Frandsen! – Herr Frandsen!« rief sie ganz kläglich vor Schreck. »Rufen Sie doch wenigstens mal Kuckuck!«

»Ja, so helft mir doch endlich!« ertönte eine dumpfe Stimme, die aus dem Erdinnern zu kommen schien.

Wie der Blitz huschte Fräulein Kaer um den großen Stein herum. »Du meine Güte, was ist denn bloß passiert?« rief sie. Im selben Augenblick reckte sie beide Arme in die Höhe und verschwand mit einem Schrei in der Tiefe. Gleich darauf hörte man ein Stöhnen, als sei jemandem etwas Schweres auf den Kopf gefallen.

Lones Augen weiteten sich und wurden groß wie Teetassen. Das sah geradezu so aus, als habe irgendein unterirdisches Wesen einen Fangarm aus der Tiefe heraufgestreckt, Fräulein Kaer an den Beinen gepackt und sie mit einem Ruck zu sich hinabgezogen. Unwillkürlich sah sie Asger an, als erwarte sie von ihm eine Erklärung für diesen seltsamen Vorgang, aber im selben Augenblick ließ sich Fräulein Kaers Stimme böse und schrill vernehmen:

»Was fällt Ihnen denn ein, Herr Frandsen? Sorgen Sie sofort dafür, daß ich wieder hochkomme. Was sollen denn die Kinder denken? Für solche Narrenstreiche sind Sie wahrhaftig schon reichlich alt.«

Herr Frandsen widersprach ihren Beschuldigungen heiser und energisch, und bald tönte eine heftige Schimpferei zu den verblüfften Kindern herauf.

Asger kam als erster zur Besinnung. »Sie sind eingebrochen!« rief er und lief auf die andere Seite des Steins, wo ein tiefes Loch im Schnee seine Vermutung bestätigte.

Das Rätsel war bald gelöst. Hinter dem großen Stein hatte sich ein kleiner Bergbach im Laufe der Jahre ein Stück in das Erdreich eingegraben, doch war diese Vertiefung jetzt vom Schnee zugeweht worden. Herr Frandsen war unversehens über den Rand hinausgetreten und dann in die Tiefe gerutscht, ohne daß es jemand bemerkt hatte.

Halb erstickt von unterdrücktem Gelächter, halfen die Kinder mit vereinten Kräften, die beiden »Verunglückten« wieder an die Oberfläche zu ziehen. Sie sahen wie Schneemänner aus, aber keiner hatte sich verletzt, denn die Rinne war nicht sehr tief und mit lockerem Schnee ausgefüllt.

Fräulein Kaer spuckte einen Mundvoll Schnee aus. »Das nenne ich einen Reinfall«, pustete sie, und als sie mit vorwurfsvollem Ton hinzufügte: »Da sollte auch wirklich ein Warnungsschild angebracht sein«, konnten sich die Kinder nicht länger beherrschen. Sie lachten aus vollem Halse.

»Da gibt es gar nichts zu lachen«, schnaufte sie beleidigt. »Ich hätte mir ebensogut Arme und Beine brechen können.«

Lone wäre beinahe von neuem losgeplatzt. »Etwas anderes als Hautabschürfungen und gebrochene Knochen hätte sie sich auch kaum holen können, so mager wie sie ist«, flüsterte sie Asger ins Ohr.

Die meisten der dänischen Kinder wohnten bei ihren norwegischen Kameraden; nur einige, für die kein Platz mehr geblieben war, hatte man in einer kleinen Pension untergebracht; zu diesen gehörte auch Lone. Da die norwegischen Mädchen und Jungen ihre dänischen Gäste ja nicht im voraus kannten, waren diese willkürlich untergebracht worden; man hatte nur angegeben, wie viele Kinder man aufnehmen konnte, und ob man Mädchen oder Jungen haben wollte. Aber schon am ersten Tage hatten sich viele der Kinder in kleine Gruppen zusammengeschlossen, je nachdem wie sie miteinander auskamen. Und da man die meiste Zeit draußen schlief, war es ganz natürlich, daß diejenigen, die das gut konnten, besonders zusammenhielten.

Aus diesem Grunde bildeten auch Lone, Asger, Bjarne und eine von Lones Klassenkameradinnen, Tove, eine kleine Gruppe für sich.

Asger und Bjarne waren geradezu Meister im Schilaufen, und wenn Lone und Tove sich auch in gar keiner Weise mit ihnen messen konnten, so waren sie doch entschieden die Besten unter den dänischen Kindern. Was ihnen an Erfahrung fehlte, ersetzten sie durch unverwüstlichen Mut und Begeisterung, was dem ängstlichen Fräulein Kaer jeden Tag wieder neuen Schrecken einjagte.

Die vier vertrugen sich großartig, obwohl sie rein äußerlich völlig verschieden wirkten. Lone war mittelgroß, sie hatte kastanienbraunes Haar und braune Augen. Tove dagegen war hochaufgeschossen, mit hellen Augen und einer unbestimmbaren Haarfarbe, die an welkes Gras erinnerte. Der ziemlich große, schlanke Asger hatte dunkles Haar und blaue Augen; er war ein direkter Gegensatz zu Bjarne, der eher klein und vierschrötig wirkte, dabei rothaarig war und voller Sommersprossen. Seine kleinen, graugrünen Augen lachten immer verschmitzt.

Als man sich von der Schule aus bei Pastor Hanner erkundigt hatte, ob er und seine Frau in den Osterferien eventuell ein Kind bei sich aufnehmen würden, sagte Pastor Hanner sofort zu, und da Asger gern einen Kameraden bei sich wohnen haben wollte, bat man um einen Jungen. Bisher hatte Asger es immer unter seiner Würde gefunden, »mit Weibsen« zu spielen. Jetzt bereute er das allerdings, denn hätte die Pastorenfamilie um ein Mädchen gebeten, wer weiß, vielleicht wohnte dann sogar jetzt Lone bei ihnen. Sie war bestimmt genauso in Ordnung wie ein Junge, und immer lustig und dann – ja, sie hatte irgend etwas an sich, weshalb er gern die ganze Zeit hindurch mit ihr zusammen war.

Er fand sie so ganz anders als die Mädchen sonst, und er freute sich am Abend immer schon darauf, daß er sie am nächsten Tage wiedersehen durfte.

Mit dem Jungen, der auf dem Pfarrhof einquartiert worden war, war nicht viel los. Das heißt, nett war Jens schon, und Frau Hanner war sogar ganz gerührt darüber, daß er jeden Morgen sein Bett selbst machte, bevor er sein Zimmer verließ; aber er war so zurückhaltend und vorsichtig, und vom Schilaufen hatte er überhaupt keine Ahnung. Er hielt sich deshalb die meiste Zeit neben Herrn Frandsen und nahm es in keiner Weise übel, daß Asger sich mit den Kameraden zusammentat, die auch gut laufen konnten.

»Na, habt ihr euch gut amüsiert?« fragte Pastor Hanner beim Abendbrot.

»Ja, und ob«, lachte Asger, und dann erzählte er von Herrn Frandsen, der plötzlich von der Erde verschlungen worden, und von Fräulein Kaer, die ihm auf den Kopf gefallen war.

»Ein Glück für ihn, daß nicht ich ihm auf den Kopf gesprungen bin«, bemerkte seine Mutter lächelnd, »denn dann wäre er plattgedrückt worden wie ein Pfannkuchen.« Frau Hanner durfte sich nicht gerade zu den Schlanken zählen.

Als das Gelächter sich gelegt hatte, fragte Asger, ob er am nächsten Abend Bjarne und ein paar dänische Kameraden mit nach Hause bringen dürfe.

»Mit Vergnügen«, sagte sein Vater. »Nicht wahr, Inga?« Frau Hanner nickte. »Ja, es wäre wirklich nett, ein paar von den dänischen Jungen kennenzulernen.«

Asger rutschte verlegen auf seinem Stuhl hin und her. »Ja – hm –, es sind eigentlich keine Jungen – ich meine . . .«

»Ja, wenn es keine Jungen sind, dann müssen es ja wohl Mädchen sein«, sagte Pastor Hanner. »Andere Möglichkeiten sehe ich nicht. Aber deshalb sind sie nicht weniger willkommen. Ich bin nur erstaunt, weil du dir sonst aus Mädchen nicht viel machst.«

»Tja, an und für sich nicht.«

»Wieso an und für sich?« fragte sein Vater.

»Ja, ich meine, mit den beiden – ach –, in diesem Falle ist es etwas anderes. Sie laufen nämlich prima Schi.«

Sein Vater nickte verständnisvoll. »Aha! Aber du hast doch hoffentlich nicht vor, hier auf dem Teppich einen Schilauf zu veranstalten?«

»Ach, du weißt schon, was ich meine, Vati. Mit ihnen kann man reden, das ist es. Und dann könnten wir zum Beispiel für Sonntag einen Ausflug zum ›Bären‹ besprechen.«

»Wenn die Mädchen von ihrem Lehrer die Erlaubnis dazu bekommen, dann meinetwegen gern. Ich weiß ja, daß ihr vernünftig seid, Bjarne und du. – Wie heißen eigentlich die beiden Mädchen, wenn ich so neugierig sein darf?«

»Die eine heißt Tove, und die andere, ja, die andere heißt Lone.«

Seine Mutter lächelte. »Lone, wirklich ein hübscher Name.« Sie zwinkerte ihrem Mann verstohlen zu. »Wie sieht sie denn aus?«

»Oh, sie sieht wirklich . . .«, begann Asger begeistert, unterbrach sich aber, als er bemerkte, daß seine Eltern sich zulächelten. »Ach, sie ist ganz hübsch«, meinte er gleichgültig, »aber ihr könnt sie euch ja morgen selbst ansehen.«

Lone in Norwegen

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