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Die verborgenen Gesichter einer Universität
ОглавлениеJene Freundin von Frau Unnithan und wissenschaftliche Mitarbeiterin von Wertheim aus Amsterdam, Frau Dr. Vreede, hatte uns wachgerüttelt. Alles was danach geschieht, ist so etwas wie ein Pingpong–Spiel. Wir spielen den Ball zurück, nach Möglichkeit so, daß er nicht zurückkommt. Zum Nachdenken bleibt keine Zeit. Wir zehren aus Erfahrungsreflexen. Außerdem sind wir gewaltig unter Druck – psychisch wie materiell. Für die Durchführung der vor Ort entwickelten Forschungspläne aus eigener Tasche haben wir nicht genug Geld.
Außerdem müssen uns von dem täglichen Hickhack fernhalten. Deshalb habe ich mich am 27. Dezember 1966 an den Vice Chancellor gewendet. Der Konflikt soll auf der Ebene der Institutionen ausgetragen werden. Dadurch würde der Ballwechsel langsamer und die Vorgänge dokumentierbarer sein. Die so freigeschaufelte Zeit wollen wir für die Durchführung beider Erhebungen in Jaipur nutzen. Selbst bei dem Treffen mit dem Vice Chancellor am 30.Dezember ahne ich nicht, daß alles anders kommen wird als unsere Annahmen und Prognosen.
Das neue Jahr beginnt mit unerwarteten Überraschungen. Die Lehrveranstaltungen beginnen am 3. Januar 1967. Als ich mich dem Department nähere, sehe ich, daß alle Doktoranden sich vor dem Vorlesungsraum versammelt haben. Sie machen mir Platz, aber demonstrativ langsam, widerwillig und feindselig blickend. Sie murmeln deutlich wahrnehmbare unflätige Bemerkungen und kündigen Ärger an. Ich gehe schweigend an ihnen vorbei. Ich wundere mich, daß dieselben Personen in Gruppen und einzeln bei uns privat erschienen sind, um über die Betreuungsmißstände im Departement zu klagen. Nun sind sie zum Anpöbeln da. Am 4. Januar bitte ich Unnithan schriftlich, dafür zu sorgen, daß die Anpöbelei abgestellt wird, weil diese Atmosphäre nicht im Interesse der Lehrveranstaltungen sein kann. Eine Kopie dieses Schreibens stelle ich dem Vice Chancellor Mathur zu und bitte ihn, mir einen Termin zu geben. Auch um über unsere beiden Forschungsprojekte, die ja für das Kölner Institut laufen, zu beraten.
Ich treffe Mathur am nächsten Tag. Ich informiere ihn über unsere Erhebungspläne und bitte ihn um die formale Unterstützung der Universitätsleitung bei der Durchführung. Er bittet mich am nächsten Vormittag, in seine Residenz zu kommen. Unnithan habe er auch gebeten Er werde sich um eine universitätsinterne Beilegung der Konflikte bemühen. Für das Treffen fixiere ich die Chronologie der Ereignisse. Ich übergebe beiden jeweils eine Kopie.
Ich bin überrascht, als Mathur gleich zu Beginn kundtut, daß dieses kein offizielles Treffen sei, er auch nicht als Vice Chancellor zu uns spricht, sondern als ein älterer Kollege. Er erörtert die Einzelheiten des Konflikts nicht. Er bittet uns schlicht, die Streitigkeiten zu beenden und die ganze Vergangenheit, Vergangenheit sein zu lassen. Weder Unnithan noch ich stimmen diesem Vorschlag zu. Unnithan sagt auch unmißverständlich, daß die Einigungsformel vom 23. Dezember für ihn null und nichtig ist. Also insistiere ich darauf, daß Mathur sich nun inhaltlich mit meiner Eingabe beschäftigt.
Mathur überrascht mich ein zweites Mal. Er hätte von mir noch keine Eingabe über den Dienstweg (through the proper channel) bekommen. Ich beginne zu ahnen, welche tatkräftige Unterstützung ich vom Vice Chancellor Mathur zu erwarten habe, nämlich gar keine. Denn sonst hätte er mir schon am 30. Dezember gesagt, ich müßte den Dienstweg einhalten. Er will also die ganze Angelegenheit auf die Verzögerungsschiene leiten und darauf hoffen, daß meine Zeit in Jaipur bald abläuft.
Wieso soll für mich, so frage ich Mathur, der ich doch nur zu „Gastvorlesungen“ für ein akademisches Jahr eingeladen worden bin, der normale Dienstweg gelten? Die Universität zahle mir eine monatliche Aufwandsentschädigung, werde ich belehrt. Die Mittel dafür werden von Haushaltsposten der nicht besetzten Planstellen gedeckt. Für ihn gelte nicht, unter welchen Voraussetzungen sein Vorgänger mich nach Jaipur eingeladen hätte, ihn interessiere im Augenblick auch nicht, ob ich über diesen unklaren Status aufgeklärt worden bin oder nicht, er könne die Angelegenheit nur so und nicht anders handhaben. Dies sei nun seine Auffassung. Es stünde mir natürlich frei, diese seine Auffassung gesetzlich überprüfen lassen.
Uns wird unsere hilflose Situation immer klarer. Was tun? Wir können uns nicht vorstellen, daß Unnithan und Mathur alle Heads of the Department im Campus, die Leiter der ingenieurwissenschaftlichen und medizinischen Hochschulen auf eine Einheitsfront gegen unsere Untersuchungen bringen können. Mit welcher Begründung? Wir können uns auch nicht vorstellen, daß Unnithan im Campus zum ersten Mal auffällig geworden ist, daß alle Heads of the Department Unnithans Verhalten gegenüber uns billigen würden, daß alle Heads of the Department miteinander grün wären und keine Rechnungen offen hätten. Wir rechnen uns also gute Chancen für die Durchführung der Erhebungen aus, wenn wir den arbeitsintensiveren Weg der dezentralen Genehmigung zu gehen bereit sind.
So entscheiden wir, uns nicht allein auf den „proper channel“ einschränken zu lassen, alle Begegnungen, Besprechungen, Auseinandersetzungen schriftlich zu fixieren und mit allen uns verfügbaren und erschließbaren Mitteln die beiden Erhebungen im Feld durchzusetzen. So halten wir das bemerkenswerte Gespräch mit dem Vice Chancellor schriftlich fest, in dem ich ihm am gleichen Tag, also noch am 6. Januar geschrieben habe. Darin beschreibe ich den Verlauf des Gespräches, kündige meine Eingaben über den Dienstweg für den 9. Januar an und teile meine Einschätzung mit, daß wir wohl auch andere Institutionen um Hilfe bitten müßten.
Die Ereignisse jedoch stürzen auf uns ein. Sie erschließen uns aber auch immer facettenreichere Einblicke in die Universität und in die akademische Subkultur. Am späten Vormittag des 7. Januar besucht und informiert mich J. C. Sharma, einer der Doktoranden, daß zwei andere Doktoranden, Rajendra Singh (jener Bruder von Yogender Singh) und ein Mr. N. K. Mahla, auf der Straße auf mich warten würden, um mit mir zu sprechen. Ich sage Sharma, daß sie jederzeit willkommen sind, mich zu besuchen. Sharma geht zurück. Sie beraten kurz miteinander die Situation und schlendern langsam weg. Dieser J. C. Sharma hatte mich schon am 4. Januar gebeten, seinen Namen im Zusammenhang mit diesem Konflikt nicht zu nennen, auch wenn er mir gegenüber wiederholt freimütig den unhaltbaren Zutand beklagt habe und auch wenn er im Department Zeuge vieler unwürdigen Situationen gewesen sei.
Am 8. Januar, einem Sonntag, am späten Vormittag, stehen drei andere Doktoranden, Guruswami, Modi und Raj, auf der Straße vor der Toreinfahrt, rufen mich laut und wollen, daß ich auf die Straße komme. Ich fordere sie von der Veranda auf, hereinzukommen, wenn sie mit mir sprechen wollten. Nach einigen Beschimpfungen von draußen gehen sie wieder. Dies alles findet in der „residential area“ für die Hochschullehrer statt. Unsere unmittelbaren Nachbarn kriegen alles mit. Wir wundern uns darüber, daß keiner der beiden Nachbarn herauskommt oder sich aber später erkundigt, was eigentlich los sei.
Am selben Tag macht mich Mathur in einem „vertraulichen“ Brief darauf aufmerksam, daß ich ein auf Zeit bestelltes Mitglied des Lehrkörpers sei, mit allen Rechten, aber auch Pflichten. Sobald meine Eingaben (representations) auf dem Dienstweg eingehen, werden sie sorgfältig geprüft. Als Mitglied des Lehrkörpers werde von mir unbedingt erwartet, Eingaben nur an die Gremien der Universität zu richten und mich in dienstlichen Angelegenheiten an keine außeruniversitären Einrichtungen (outside agencies) zu wenden. Diese vorauseilende Abmahnung sollte uns einschüchtern. Wir sind auch eingeschüchtert. Als erste Reaktion. Dann fragen wir uns: warum diese Warnung? Warum wartet die Gegenseite nicht ab? Warum fürchtet die Gegenseite das Bekanntwerden der Geschehnisse, wenn sie es doch sind, die diese inszenieren? Aus diesem Schreiben lesen wir auch heraus, daß der Vice Chancellor nicht die einzige Instanz des „proper channels“ ist. Also bringe ich am 9. Januar dem Vice Chancellor eine Vorauskopie meiner Eingabe selbst zur Hauptverwaltung und beschaffe mir alle veröffentlichten Unterlagen über die Satzung der Universität.
Am 9. Januar kommt Mr. N. K. Mahla mir auf dem Weg zum Department demonstrativ entgegen. Ich weiche ihm aus und gehe weiter. Er schreitet hinter mir her und droht, mich zusammenzuschlagen, wenn ich mich nicht entschuldige. Ich hätte ihn beleidigt, weil ich nicht auf die Straße herausgekommen war, um mit ihm zu sprechen. Später am Tag kommt Singh (der Bruder von Yogendra Singh) in den Aufenthaltsraum des Department, verlangt von mir eine Entschuldigung, weil ich Übles über ihn im Department verbreitet hätte, wie ihm Mr. Shinghi (einer der drei Lecturer im Department) berichtet habe. Als ich nicht darauf reagiere, kündigt er an, daß er die Entschuldigung aus mir herausprügeln werde. Am frühen Nachmittag werde ich zum Head of the Department bestellt. Anwesend ist neben Unnithan auch Dr. Ahuja (Lecturer im Departement) und Rajendra Singh. Ich soll erklären, warum auf dem Deckblatt unserer Fragebögen die Namen von Unnithan und Singh fehlten. Außerdem soll ich erklären, wie ich dazu komme, mich an Dr. Ahuja ohne eine schriftliche Genehmigung des Head of the Department mit der Bitte zu wenden, mir eine seiner Vorlesungstunden für eine schriftliche Befragung zu überlassen. Ich entschuldige mich für meine Unkenntnis, daß ich für eine Anfrage dieser Art bei einem Kollegen im Department eine schriftliche Genehmigung des Heads benötige, und verlasse das Büro mit dem Hinweis, daß ein Fragebogen ein Forschungsinstrument sei. In meiner Eingabe vom 9. Januar an Mathur ist in 31 Punkten eine Chronologie enthalten, auch diese letzten Ereignisse. Am gleichen Tag habe ich auch im Namen des Kölner Instituts auf Institutsbogen den Antrag auf Genehmigung für die Durchführung der beiden Erhebungen im Campus gestellt.
Am 10. Januar habe ich meine erste Veranstaltung erst um 12.15 Uhr. Unser Haus wird von 10.00 Uhr an von „Unnithans Soldaten“ belagert. Meine Frau will mich nicht allein gehen lassen. Sie begleitet mich zum Department. Zufällig kommt der Stellvertreter des „Registrars“ (Kanzler) uns entgegen. Wir informieren ihn über die Belagerung und über die „anonymen“ Anrufe mit Drohungen und Beschimpfungen.
Nach meiner Veranstaltung mache ich mich auf den Weg, fachfremde Kollegen im Campus aufzusuchen und für die Erhebung Termine zu vereinbaren. Mit Erfolg. Bis zum späten Nachmittag des 11. Januar haben wir mit allen bis auf zwei Departments Termine vereinbaren können. Aber der erste Rückschlag kommt bereits in den Morgenstunden des 12. Januar per Boten.
Prof. Tikkiwal , Department of Statistics, zieht die Zusage zurück, weil wir auch Fragen – beim Verabreden haben wir natürlich einen Fragebogen zur Information übergeben – zu „Studentenunruhen“ gestellt hätten. Diese Problematik sei aber delikat (delicate matter). Er könne solche Informationen aus seinem Department ohne Genehmigung nicht zulassen. Er empfiehlt mir, zumindest ein Schreiben meines Head of the Department (your Head of the Department) zu besorgen.
Prof. Saraf, Department of Physics, ruft mich um 13.00 Uhr an. Er habe gerade ein Anruf vom Registrar (Kanzler) erhalten. Unnithan soll Widerspruch gegen unsere Untersuchung angemeldet haben. Bis zur Klärung sollten wir unsere Verabredung vertagen. Wir suchen den Registrar auf. Ja, Unnithan habe sich gegen die Erhebung ausgesprochen. Er weiß auch, daß der Vice Chancellor noch nicht entschieden hat. Wir möchten bis zu einer Entscheidung abwarten.
Am 13. Januar, um 9.00 Uhr ruft mich Prof. Daya Krishna, Department of Philosophy, an und schlägt vor, am 14. Januar um 12.30 Uhr in seiner Vorlesung die Befragung durchzuführen. Wir berichten ihm, daß der Registrar uns gebeten hat, bis zur Entscheidung des Vice Chancellor keine Befragung durchzuführen. Daya Krishna besteht auf diesen Termin. In seinem Department bestimme er. Wir nehmen diesen Termin wahr. Bis 12.00 Uhr des 16. Januar kommt es zu keinen besonderen Vorkommnissen, abgesehen von sichtbarer Belagerung und Beschimpfungen und Drohungen am Telefon. Den Stillstand im Campus haben wir genutzt, Termine in der technischen Hochschule zu machen.
Um 12.00 Uhr des 16. Januar übergibt mir ein Bote gegen Unterschrift eine vertrauliche Mitteilung von Unnithan, daß ich ab sofort bis zur weiteren Mitteilung keine Lehrveranstaltungen abhalten darf. Er befürchtet – so vermute ich –, ich könnte eine meiner Veranstaltungen für die Durchführung der studentischen Befragung nutzen.
Am 17. Januar bitten wir den Vice Chancellor formell auf Institutsbogen, um eine baldige Zulassung der beiden Erhebungen. Unnithan habe dem Vice Chancellor mitgeteilt, so der Vice Chancellor am Telefon, daß wir nicht befugt wären, im Namen des Kölner Instituts Forschungen durchzuführen. Wäre es so, würde König den Vice Chancellor entsprechend gebeten haben. Deshalb solle ich König bitten, sich mit einem entsprechenden Schreiben an die Universität Rajasthan zu wenden.
Also schreibe ich noch am 17. Januar gleich zwei Briefe an König. Einen auf Englisch, damit ich eine Kopie dem Vice Chancellor zustellen kann, und einen auf Deutsch. Den Inhalt dieses Briefes möchte ich im Wortlaut wiedergeben, weil das Original meine damalige Verfassung und Stimmung genau wiedergibt – die eines Missionars für die blond-blauäugig-weiß-christliche Kultur: „Sehr geehrter Herr Professor, wie recht hatten Sie mit Ihrer Annahme, daß ich mir nicht vorstellen könne, wie unterentwickelt Indien sei. Das unakademische Verhalten der großen Bosse an der Universität und das Fehlen jeglicher Courage hat meine Nerven ziemlich strapaziert. Die demokratische Fassade verdeckt ein feudalautokratisches System, das die Heads of the Department mit solcher Macht ausstattet, daß sie praktisch alles tun können, ohne dabei ein Risiko einzugehen. Dr. Unnithan, der unbedingt seinen Namen als Autor in unseren Untersuchungen haben wollte, ist nun wütend, daß wir ihm das nicht gestattet haben. Er versucht nun mit allen Mitteln, sehr gemeinen und sehr unakademischen Mitteln, die Untersuchungen zu stoppen. Und der Vice Chancellor ist machtlos. Ich weiß nicht, ob Ihr Schreiben an den Vice Chancellor tatsächlich helfen wird. Aber wir sollten nichts unversucht lassen. Wenn die Untersuchungen aus diesem Grund scheitern sollten, dann ist das auch ein Ergebnis, worüber ich schreiben sollte und will, denn nur durch die Unterminierung der auf Sand gebauten Reputation und durch die Bloßstellung der hiesigen Normen, die akademisch genannt werden, kann ein Wandel in dem System herbeigeführt werden. Mittlerweile habe ich eine interessante Akte, die veröffentlicht werden sollte. Ich hoffe, daß Sie trotz Ihrer vielen Belastungen das Schreiben an den Vice Chancellor ohne Zeitverlust schicken werden. Mit den besten Wünschen und Empfehlungen, bin ich stets Ihr“
Zwischenzeitlich hat Prof. Verma, Department of Political Science, seine Genehmigung von der Zustimmung der Universitätsleitung abhängig gemacht, weil diese Erhebungen durch eine ausländische Institution durchgeführt würden. Mit dieser Mitteilung stelle ich dem Vice Chancellor eine Kopie meines Schreibens an König auf englisch zu. Unsere Bemühungen, die Befragungen außerhalb des Campus durchzuführen, stoßen im „Law College“ (Ausbildungsstätte für Jurisprudenz) auf ein Hindernis. Der Leiter (Principal Prof. R. N. Varma) hat von dem Registrar erfahren, daß die Erhebungen vom Vice Chancellor noch nicht genehmigt worden sind. Außerdem habe er auch gehört (von wem, will er nicht sagen), daß in diesem Zusammenhang ein Disput über das „Copyright“ liefe.
In meinem Schreiben vom 19. Januar leite ich diese Information an den Vice Chancellor Mathur weiter. Ich teile ihm auch mit, daß meine Frau und ich uns als Vertreter des Forschungsinstituts für Soziologie an der Universität Köln nicht durch irgendeine interne Bestimmung der Universität Rajasthan gebunden fühlen, die Auseinandersetzungen um unsere Forschungsprojekte an die Öffentlichkeit zu tragen.
Am 24. Januar erhalte ich eine ausführliche Antwort von Mathur in freundlicher Diktion, aber mit vielen Tücken. Er bestätigt meine Schreiben vom 17., vom 19. und die Kopie meines Schreibens an König. Er vermerkt, daß er sich freue, daß ich nunmehr über meine Forschungsprojekte an König geschrieben habe (you have now written to Dr. König regarding your research project). Die unüberlesbare Unterstellung ist, daß König mit diesem Schreiben zum ersten Mal über diese beiden Studien unterrichtet wird, sie also bisher keine Projekte des Kölner Instituts gewesen sind.
Mathur sichert zu, daß, wie üblich, die Universität auch mir die größtmögliche akademische Freiheit gewähren wird. Ich sei als Reader auf Zeit im Department eingestellt und arbeite immer noch in dieser Eigenschaft. Keine ausländische Universität hätte bisher beantragt, mich als deren Vertreter anzuerkennen. Sollte dies geschehen, würde sich Mathur damit befassen. Selbst wenn dies nicht geschehe, sei er gern bereit, sich mit jeder vertretbaren Bitte (reasonable request) von mir zu befassen.
Seine Schwierigkeit im Augenblick sei, daß mein Erhebungsbogen etwa die Gebiete abdecken (cover more or less the same ground), die bereits in einer früheren Untersuchung im Department of Sociology abgedeckt wurden. Er hätte den Eindruck, daß ich diese Untersuchung kennen würde. Er wäre mir sehr dankbar, wenn ich ihm eine Notiz darüber zukommen ließe, inwiefern unsere Untersuchungen der des Departments gleiche, ob unsere auf der früheren basiere oder eine Erweiterung der früheren sei. Ich könnte mich ja, wenn notwendig, mit Unnithan kurzschließen. Erst nach Erhalt meiner Notiz würde er weitere Maßnahmen (take further action in this regard) treffen.
Ein bewundernswerter Reichtum an Einfällen, um die Durchführung der Erhebungen zu vereiteln. Die Maßnahmen Unnithans sind dagegen harmlos. Er veranstaltet den täglichen Psychoterror. Die Doktoranden und die Forschungsassistenten, alle älter als 22 Jahre und alle mit einem abgeschlossenen Universitätsstudium, lassen sich anstiften, täglich unser Haus ab dem späten Vormittag zu belagern, wenn ich aus dem Haus gehe, mir in einer Entfernung von 2–3 Metern zu folgen, Drohungen und Beschimpfungen auszustoßen und abends am Telefon schlimmste Drohungen auszusprechen. Dabei verweilen sie in der Universität doch eigentlich, um Forschungsqualifikationen zu erwerben. Es ist schmerzlich zu registrieren, daß kein einziger im Campus bisher in meiner Gegenwart zu diesem Zirkus irgendetwas gesagt hat.
Spätestens ab dem 9. Januar weiß Mathur hierüber Bescheid. In seinem etwas ausführlicheren Schreiben vom 23. Januar geht er auf diesen täglichen Psychoterror ein. Auch sonst ist dieses Schreiben augenöffnend. Mathur erblickt wahrscheinlich andere Zusammenhänge. Seine Verwaltung muß ihn informiert haben, daß wir Materialien über diese Universität seit ihrer Gründung sammeln. Nach den Statuten der indischen Universitäten ist die Veröffentlichungspflicht unbegrenzt. Es gibt keinen sogenannten vertraulichen Teil in den Sitzungen der Gremien. Zur Verschleierung der Regelwidrigkeit stehen nur drei Instrumente zur Verfügung: die Informationen im Protokoll auf ein Minimum zu beschränken, die Drucklegung der Dokumentation so lange wie möglich hinauszuzögern und den Verteiler dieser Berichte zu minimieren. Wer soll sich schon für diese Dokumente interessieren, wenn sie mit Verspätung von Jahren vorgelegt werden und wenn eh daran nichts mehr zu rütteln ist? Nun erfährt Mathur, daß zwei Leute sich bemühen, diese Dokumente vollständig zu sammeln.
Mathur sieht über den Tellerrand Unnithans hinaus. Er ist Mitglied der „Education Commission“. Sie arbeitet im Auftrag der Zentralregierung seit 1964 unter Beteiligung auch vieler ausländischer Gelehrter. Mathur weiß, daß der Bericht diese Tage veröffentlicht werden wird. Also wird die indische Universität einige Zeit in öffentlicher Diskussion bleiben. Den Ist–Zustand der indischen Universitäten kennt die Kommission ausschließlich von den bisherigen Veröffentlichungen der in– und ausländischen Gelehrten. Ihre empirische Grundlage ist mehr als mager. So haben die prominenten Vertreter aus den Universitäten wie Mathur ein großes Gewicht. Mathur erblickt in unserem Ansatz eine überzeugende empirische Beschreibung des Ist–Zutandes, wenn es uns gelänge, erfolgreich die Studierenden und die Lehrenden zu befragen und die Befragungen mit der faktischen Entwicklungsgeschichte der Universität zu verknüpfen. Auch wenn dies zunächst die Beschreibung einer indischen Universität ist. Also sucht Mathur nach einer Strategie, unsere Arbeiten elegant und effektiv zu Fall zu bringen.
Mathurs Schreiben von 23. Januar verlangt mehr Energie von uns als uns lieb ist. Am 24. Januar haben wir auch Post bekommen. Nicht aus Köln. König und die Kollegen lassen uns in der Wüste von Rajasthan wirklich schmoren. Nein, wir haben Post bekommen aus Amsterdam. Ein eingeschriebener Brief von Frau Dr. Vreede-de-Stuers. Das Schreiben ist an mich adressiert. Eine Kopie des Schreibens schickt sie an Frau Unnithan. Die umgekehrte Konstruktion diesmal. Sie reagiert auf ein Schreiben ihrer Freundin in Jaipur vom 10 Januar, also einen Tag nach meiner Eingabe auf den Dienstweg. Frau Unnithan bittet Frau Vreede darin, die unerträgliche Atmosphäre in Jaipur mit einem Schreiben an mich aufzuklären. Ich würde Unnithan mit angeblichen Informationen über seine akademische Karriere in Holland erpressen, die ich von Frau Vreede erhalten haben soll. Frau Unnithan will von Frau Vreede wissen, ob sie damit einverstanden sei, daß ich mit von Frau Vreede geschriebenen Briefen in Jaipur hausieren gehe.
Frau Vreede beginnt mit dem zweiten Punkt und meint, daß Frau Unnithan von Leuten falsch informiert worden sein muß, weil Frau Vreede mir bisher überhaupt keine Briefe geschrieben habe. Wie könnte ich also mit ihren Briefen hausieren gehen? Dieser Punkt allein zeige ihr aber auf, daß eine Kontroverse über eine Sache Formen angenommen hätte, mit Verleumdungen, Erpressungen usw., also mit Methoden, die, wie sie weiß, ich genauso verabscheuen würde wie sie („Methods, I know, you abhor as much as I do.“).
Was Frau Vreede zum ersten Punkt schreibt, möchte ich doch lieber wörtlich übersetzen:
„Was den ersten Punkt über Ihre Drohung mit enthüllenden kompromittierenden Informationen von mir (‚revealing compromising informations received from me‘) angeht, kann ich kaum sehen, wie Sie mit dem Wissen von Fakten jemand drohen könnten, worüber es weder Geheimnisse noch Gründe für Gerede geben kann, nämlich folgendes: Dr. Unnithan wollte ursprünglich an der Universität Amsterdam graduieren; als die angesprochenen Professoren ihm rieten, ein weiteres Jahr für die Bereicherung der Promotionsarbeit zu verwenden, konnte Dr. Unnithan offensichtlich diesem Rat nicht folgen, fand eine andere Universität für die Arbeit, so wie sie war. Es gibt sonst nichts ungeregeltes in seiner akademischen Karriere in Holland.
Dies war meine Erklärung, als Sie ihre Verwunderung über den engen Kontakt zwischen Dr. Unnithan und einem holländischen Soziologen zum Ausdruck brachten, dessen Arbeiten anderswo unbekannt sind, aber dessen Name im Department, wo Sie gegenwärtig arbeiten, von jedermann erwähnt (‚whose name was on everybody’s lips in the Department‘) wird. (...)
Weil dieses Schreiben gleichzeitig meine Antwort an Mrs. Unnithan ist, stelle ich ihr eine Kopie als meine exklusive Antwort an sie zu, die von beiden von Ihnen als mein endgültiger Standpunkt betrachtet werden soll.
Vertrauend darauf, daß weder Frau Unnithan noch Sie meinen Namen beliebig gebrauchen werden, Ihnen mentalen Frieden und Gesundheit wünschend, die Sie für die Verwirklichung Ihrer interessanten Forschungsprojekte brauchen (‚and wishing you the peace of mind and the health necessary to materialise you interesting research projects‘), Ihre, (C. Vreede-de-Stuers)“
Ich habe mit Frau Dr. Vreede nie korrespondiert. Vor unserem zufälligen Treffen habe ich sie nicht gekannt, und sie war eine langjährige Freundin von Frau Unnithan. Wir können ihr Verhalten nicht einschätzen. Es scheint, sie hatte irgendeine Rechnung mit Unnithans offen. Der letzte Satz ihres Schreibens deutet darauf hin, daß sie über die Realisierung unserer Forschungsarbeiten Skepsis hegte. Ich weiß nicht, ob ihre Sorge so weit ging, daß sie darüber je mit Wertheim gesprochen hätte und ob Wertheim mit König über die Geschichte beraten hätte.
Aber das Schreiben von Frau Dr. Vreede beunruhigt uns doch. Nach der Anordnung von Mathur soll für mich etwas gelten, was Frau Unnithan als ständiges Mitglied der Universität nicht einhält, das Verbot, außenstehende „Dritte“ in diesem Konflikt einzuschalten. Außerdem liegen uns Informationen über Strafanzeigen gegen uns vor. Also setze ich Mathur am 24. Januar in Kenntnis, daß
1 wenn die Universität eine Entscheidung über unsere Erhebungen um noch weitere zwei Wochen verzögert, sich die Angelegenheit von selbst negativ geregelt haben – akademische Freiheit hin, akademische Freiheit her;
2 Unnithan ohne Angabe von Gründen und ohne die Studierenden zu informieren, unterbunden hat, daß ich meine Lehrveranstaltungen abhalten kann;
3 Unnithan Doktoranden und Forschungsassistenten Papiere über den Konflikt gegen uns unterschreiben läßt, es uns aber untersagt ist, Dritte zu informieren;
4 Unnithans die Verleumdung auch im Ausland fortsetzen, wie das Schreiben von Frau Dr. Vreede belegt;
5 unsere Forschungsprojekte beim Geheimdienst als antinational angezeigt worden sind und daß der Geheimdienst Kopien des Fragebogens von der Druckerei bereits in Beschlag genommen hat;
6 wir auch bei der Zollbehörde angezeigt worden sind, mit der Anschuldigung, wir würden geschmuggelte Güter im Besitz halten.
Darüber hinaus halten wir in einem getrennten Schreiben am selben Tag die beiden folgenden Sachverhalte fest. Erstens: König ist stets über die Entwicklung im Department genauestens informiert gewesen. Weil es zu Konflikten gekommen ist, hat er uns nachträglich Institutsbriefbögen geschickt, damit wir die Durchführung der Befragungen im Namen des Instituts organisieren können. Und zweitens: Wir haben von der Existenz einer Untersuchung des Departments erst nach dem 24. Oktober Kenntnis erhalten, als Unnithan anregte, diese seine ältere Untersuchung in unsere neuen Untersuchungen mit einzubeziehen, was wir ablehnen mußten. Zu diesem Zeitpunkt waren wir bereits mit Voruntersuchungen beschäftigt. Außerdem gab es für die Ablehnung auch konzeptuelle Gründe: Unsere Untersuchungen sind von den neuesten soziologischen Theorien abgeleitet.
Während Mathur eine Entscheidung trickreich verzögert – er setzt nunmehr eine besondere Kommission für diese Angelegenheit ein –, verhandeln wir mit einzelnen Hochschullehrern über die Überlassung einer Vorlesungsstunde für die Befragung. Dank Unnithan, der mich de facto von meinen Dienstpflichten entbunden hat, habe ich mehr Zeit. Wir nutzen die Zeit nicht mit schlechtem Erfolg, was natürlich Mathur und Unnithan nicht verborgen bleibt. Sie sind wütend.
Am 25. Januar schließt Unnithan die Fragebögen unserer Voruntersuchungen in seinem Büro ein. Am 26. benachrichtige ich Mathur über diesen Vorfall und bitte ihn dafür zu sorgen, daß die ausgefüllten Fragebögen mir unverzüglich zurückgegeben werden. Am 27. wird mir ein „vertrauliches“ Papier, das fünf Unterschriften trägt, offiziell zugestellt. Das Papier, adressiert an Unnithan, enthält zunächst einen ausführlichen Bericht von ca. 75 Zeilen, unterschrieben von dem Sekretär Unnithans, der die Vermutung äußert, ich hätte von einem früheren Fragebogen im Department für unsere Untersuchung Fragen abgeschrieben. Unnithan leitet das Papier zur Überprüfung dieser Vermutung an J. C. Sharma, „Research Assistent“, weiter. Dies ist die zweite Unterschrift. Sharma erstattet Bericht. Einige Fragen seien abgeschrieben. Die Dritte Unterschrift. Unnithans Vermerk: Er ist zufrieden („I am satisfied that Dr. Aich has committed an offence under Indian Copyright Act. We shall report the matter to the Vice Chancellor and seek his permission to take legal action against Dr. Aich. In the meanwhile, the office may bring this to the notice of Dr. Aich“). Vierte Unterschrift. Eine Kopie des ganzen wird mir zugestellt. Unterschrieben von dem Sekretär. Alle fünf Unterschriften tragen das Datum des 24. Januar.
Am 28. schicke ich Mathur eine Kopie dieses Papiers und teile ihm mit, daß alles erfunden ist. Bei der Gelegenheit erinnere ich ihn, daß die ausgefüllten Fragebögen meiner Voruntersuchungen immer noch nicht zurückgegeben sind. Am nächsten Tag teilt mir Mathur mit, daß er Unnithan gebeten hat, mir die Fragebögen zurückzugeben. In einem gesonderten Brief bittet er mich, ich solle dazu Stellung nehmen, inwiefern unsere Fragebögen über „Education, Social Change and Modernisation – A Sociological Study of, Aspirations, Attitudes and Values of Indian Students and Teachers“ mit dem beigefügten, von der Studentin Kamla ausgefüllten Fragebogen über „A Sociological Study of Aspirational Level and Values of Youths“ Ähnlichkeiten aufweise. Über die Zustellung des von der Studentin Kamla ausgefüllten Fragebogens, bin ich froh. Ab jetzt bin ich in der Lage, jedem sachkundigen Dritten die beiden Fragebögen für ihre eigene Beurteilung vorzulegen und nicht selbst Stellung nehmen zu müssen.
Am 30. Januar habe ich etwas mehr Luft. Ich schreibe zwei Briefe an Mathur. In dem kürzeren der beiden Briefe danke ich ihm dafür, daß auf seine Veranlassung hin die Fragebögen endlich mir zurückgegeben worden sind. In dem langen Brief hebe ich zunächst den Widerspruch hervor: Warum soll Unnithan, seine Untersuchung in unsere Untersuchungen mitintegrieren wollen, wie dies schriftlich belegt ist, wenn unsere von seiner Untersuchung abgeschrieben worden sein sollten? Dann mache ich ihn darauf aufmerksam, daß Unnithans Fragebogen 75 Fragen und 8 Tabellen und unser Fragebogen 149 Fragen und zwei Tabellen enthalten. Selbst in der „Office Note“ wird festgestellt, daß 15 Fragen in Unnithans Fragebogen Ähnlichkeiten mit 25 Fragen in unserem hätten. Wie könnte dann unser Fragebogen von Unnithans abgeschrieben sein? Danach erwähne ich, daß unser Fragebogen mehr Ähnlichkeiten mit den Fragebögen hätte, die ich in Deutschland verwendet habe und weise schließlich darauf hin, daß alle Fragebögen einige statistische Grunddaten erheben, deren Erfragung naturgemäß nicht sehr unterschiedlich durchgeführt werden könne.
Konkret unterbreite ich Mathur noch zwei Vorschläge. Er könnte irgendeinen Sozialforscher bitten, jene in beiden Fragebogen erfaßten statistischen Variablen in Fragen zu operationalisieren. Das Resultat wird Mathur sicherlich überzeugen. Oder könnte er die beiden Fragebögen an die folgenden bekannten Soziologen für ihre Stellungnahme verschicken: Daniel Lerner (Harvard University), Erwin K. Scheuch (University of Cologne), Edward A. Shils (University of Chicago und Oxford), W. F. Wertheim (University of Amsterdam). Jede ihrer Entscheidung werde ich akzeptieren.
Am 30. Januar übersende ich sämtliche angelaufenen Schriftstücke mit dem folgenden Begleitbrief an König nach Köln:
„Sehr geehrter Herr Professor, bitte entschuldigen Sie, daß ich Ihnen so viele Kopien von Briefen zusende. Aber ohne den Briefwechsel zu kennen, werden Sie sich kaum vorstellen können, in welchen Dschungel ich hier geraten hin. Wäre mir diese Geschichte nicht selbst passiert, ich hätte sie niemandem geglaubt. Ich hoffe nur, daß wir die Untersuchungen doch irgendwie durchziehen können. Sobald die abgeschlossen sind, werden wir diesen Ort fluchtartig verlassen. Das heißt nicht, daß ich nicht von einem anderen Ort aus etwas gegen die Schikanen Dr. Unnithans und gegen die Untätigkeit des Vice Chancellors etwas unternehmen werde. Auch deshalb werden wir Jaipur baldmöglichst verlassen, weil ständig anonyme Anrufe mit Drohungen kommen und man mir auch auf der Straße Gewalt androht. Dem Vice Chancellor ist das alles bekannt.
Meine Eltern habe ich immer noch nicht besuchen können, ich warte immer noch auf das Visum. Ich hoffe, wir können wenigstens einmal nach Ostpakistan fahren. Wenn dieser Besuch nicht zustande kommt, dann war es den ganzen Ärger und die finanzielle Belastung wirklich nicht wert. (...)
Den Fragebogen und mein Schreiben vom 17. Januar haben Sie sicherlich bekommen. Ich nehme an, Sie haben dem Vice Chancellor schon geschrieben. Da im Campus nicht alle von der Sorte Unnithans sind, ist es uns gelungen, mit Ausnahme von 6 Departments die Klassenzimmerbefragung durchzuführen. Falls der Vice Chancellor nicht endlich entscheidet, werde ich immer noch etwa 400 bis 450 ausgefüllte Fragebogen von dieser Universität haben. Ich habe an den Vice Chancellor der Universität Delhi geschrieben. Eine Antwort steht noch aus. Wäre es Ihnen möglich, auch an den Vice Chancellor der Universität Delhi, Prof. Ganguli, zu schreiben, damit ich die Untersuchung auch dort durchführen kann? Ich hatte auch an den Vice Chancellor der Banaras Hindu University, Dr. Triguna Sen, geschrieben und ebenfalls an Prof. Dr. S.K. Srivastava, Head of the Department of Sociology, Banaras Hindu University. Im Prinzip war man dort einverstanden, aber wegen der Entfernung ist die Durchführung nicht ohne Unterstützung des dortigen Departments möglich. Könnten Sie vielleicht auch an Prof. Srivastava schreiben, damit er gewisse Unterstützung gibt? Ich habe pro Untersuchung 2000 Fragebögen drucken lassen, die ich nicht gern leer zurückbringen möchte.
Ich hoffe sehr, Ihnen in meinem nächsten Brief etwas Erfreulicheres berichten zu können. Mit den besten Empfehlungen, Ihr“
Am Vormittag des 31. Januar. werde ich mit einem 65zeiligen Schreiben von Unnithan beehrt, das mit „Dear Sir“ beginnt und mit „Professor & Head of the Univ. Dept. of Sociology“ endet. Dazwischen sind alle denkbaren Anschuldigungen, unter anderem auch, daß ich als Angehöriger der Universität Rajasthan ohne Genehmigung mit einem ausländischen Institut kollaboriere. Ich soll mich nicht später als um 17.00 Uhr des 1. Februar dazu äußern, („but not later than 5.00 p.m. of the first day of February 1967“).
Ich stelle Unnithan frei, alles zu unternehmen, was er will. Eine Kopie des Schreibens und meine Antwort dazu stelle ich Mathur zu. Bei der Gelegenheit erinnere ich Mathur auch daran, daß eine Entscheidung der Universitätsleitung über unsere beiden Untersuchungen immer noch aussteht und unterbreite als Entscheidungshilfe einen dritten konkreten Vorschlag. Mathur möge beide Fragebögen seinen beiden professoralen Kollegen Pande (Department of History) und Daya Krishna (Department of Philosophy) für deren Urteil vorlegen. Ich bitte ihn auch um die Erlaubnis, daß ich von der Studentin Kamla ausgefüllten Fragebogen in meine Akte legen darf.
In meiner Anhörung bei der von Mathur eingesetzten Kommission am Vormittag des 4. Februar erfahre ich, daß Unnithan viele Schriftstücke produziert und bei Mathur eingereicht hat, wovon ich keine Kenntnis habe. Auch die Kommission gewährt mir keinen Einblick. Sie will von mir wissen, welche Bewandtnis es hätte, daß ich auf den Fragebögen für die Voruntersuchungen das Copyright beansprucht hätte. Ich berichte, daß ich angesichts der Ausbeutungs– und Diebstahlspraxis in Unnithans Department meine mühsamen Operationalisierungen komplizierter soziologischer Konzepte schützen wollte. Ohne diese Benennung hätte ich die Unterlagen meiner Voruntersuchungen, die Unnithan sich angeeignet hatte, nicht zurückbekommen.
Die Kommission will von mir wissen, ob ich auf das Copyright verzichten könne. Unnithan hat der Kommission gegenüber die Befürchtung geäußert, durch die Benennung des Copyrights werde seinem Department verwehrt, später zum gleichen Thema Untersuchungen durchzuführen. Ich hebe hervor, daß unser Schutzbedürfnis bei der Voruntersuchung bereits zeitlich überholt ist, daß in den gedruckten Fragebögen eine solche Erwähnung nicht stattfindet und es ein Copyright über Forschungsthemen nicht gibt. Die Kommission nimmt meine Aussage zum Protokoll. Die Kommission will ebenfalls von mir wissen, ob ich nachweisen kann, daß wir als Beauftragte des Kölner Instituts diese Untersuchungen durchführen wollen. Ich wiederhole die bekannten Fakten und stelle die ausstehende Antwort von König in Aussicht.
Nach dieser Anhörung übersende ich ein Telegramm an König mit der Bitte, sofort Mathur telegraphisch um die Unterstützung unserer Erhebung zu bitten. Ein eingeschriebener Brief soll dem folgen. Die Zeit drängt. In zwei bis drei Wochen wird die Prüfungsphase anlaufen und keine Lehrveranstaltungen an der Universität Rajasthan in diesem akademischen Jahr mehr stattfinden.
Dem Vice Chancellor unterbreite ich einen weiteren praktischen Vorschlag am selben Tag. Nach der Durchführung der Befragung im Vorlesungssaal auf dem Campus kann er die Fragebogen solange in Verwahrung nehmen, bis König sich gemeldet hat. Wenn die Äußerungen Königs denen entsprechen, die ich angegeben habe, erhalte ich die ausgefüllten Fragebogen zurück. Ich fasse auch meine Anhörung bei der Kommission zusammen, weil sie selbst kein Protokoll erstellte, und bitte Mathur, mir alle Eingaben von Unnithan für meinen effektiven Schutz zur Verfügung zu stellen.
Noch am 04. Februar wende ich mich zum ersten Mal an die Vereinigung der Lehrkräfte RUTA (Rajasthan University Teachers’ Association) und informiere sie über die Vorgänge. Der Vorstand ist über die Vorgänge empört, aber durchaus nicht verwundert. Der Vorstand ist eine wahre Fundgrube für erste Informationen über den Zustand dieser Universität und über die statutenwidrigen Machenschaften der Leitungsgremien. Wir vereinbaren weitere Gespräche zum Informationsaustausch. Der Vorstand verspricht, sich der Sache anzunehmen. Er wendet sich schon am 05. Februar an Mathur, teilt seine Einschätzung über die Vorgänge und beantragt die sofortige Zulassungen der Befragungen auf dem Campus.
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Eigentlich ist es beschämend, daß ich das Schreiben von Fritz Sack vom 13. Dezember erst am 9. Februar beantworte. Es zeigt, unter welcher Hochspannung wir die vergangenen Wochen in Jaipur durchlebten. Verzweifelt informiere ich ihn, daß auf meinen dringenden Brief an König vom 17. Januar mit der Bitte, er möge uns bei dem Vice Chancellor sofort legitimieren, noch nichts geschehen ist, auch nicht nach meiner Mahnung vom 30. Januar oder nach meinem Telegramm vom 4. Februar. Vielleicht hätte er eine vage Vorstellung den Unterlagen entnehmen können, die ich König am 30. zuschickte. Nach unserer Rückkehr, stelle ich in Aussicht, ihm Geschichten zu erzählen, die er mir wahrscheinlich nicht glauben würde, denn auch ich hätte sie niemandem geglaubt. Könnte es sein, frage ich ihn, daß Briefe an uns hier unterschlagen würden. Ich gebe ihm unsere Privatadresse, damit die Briefe nicht mehr an das Department adressiert werden.
Auch meine Frau richtet einige Zeilen an Fritz Sack, deren ungekürzte Wiedergabe besser den Umständen gerecht wird:
„Lieber Herr Sack, lassen Sie mich einige Zeilen anhängen. Khokon (mein Rufname) ist von den Zuständen in seinem Land mehr als enttäuscht. Und ich frage mich oft, ob wir hier im Campus zwischen Akademikern leben oder in einem Haufen Krimineller. Die meisten haben keinerlei Qualifikation, keine Prinzipien und keine Skrupel. Das System ist so, daß ein Head of the Department eine Menge Dreck am Stecken haben muß, sonst kann er es gar nicht werden. Unnithan hat in diesem ganzen akademischen Jahr 6 mal seine Vorlesung gehalten und da hat er noch abgelesen. Dieses System muß man völlig bloßlegen, wenn man etwas ändern will. Wir sind eifrig dabei, Material zu sammeln für ein Buch über das indische Erziehungssystem. Das ist der einzige Weg, diesen Leuten ihre Gemeinheiten mit Zinsen heimzuzahlen. Was unsere Projekte betrifft, so werden wir im Juli und August unser Glück noch an zwei anderen Universitäten versuchen. Hier in Jaipur könnte nur Prof. Königs Brief an den Vice Chancellor sie noch retten, damit wir die sieben ausstehenden von den 20 Departments auch noch kriegen, das sind die 7 Social Science Departments, von denen Unnithan Direktor ist. Wir erleben hier so komische Geschichten, daß man lachen könnte, wenn sie nicht so traurig wären. Ich glaube, Sie hatten in Amerika eine bessere Zeit. Mein einziger Trost ist, daß wir mit unbezahlbaren Erfahrungen nach Hause kommen und Khokon von jetzt ab mit der indischen Realität etwas vertrauter ist als er je war, wenn das Vertrautwerden auch ziemlich schmerzhaft für ihn war. Für mich ist diese Zeit weniger schwierig, weil ich nie ein romantisches Indienbild hatte.“
Das war am 9. Februar. Dazwischen ist ein etwas tröstlicherer Brief vom 21. Februar aus Berkeley eingetroffen. Daheims sind dort schon in eine Wohnung gezogen. Aber sie schreiben darüber hinaus auch Interessantes:
„Heute ist ein Tag, der für Briefeschreiben besonders geeignet ist: Wir sitzen nicht nur noch immer im Hotel und die Arbeit hat nicht nur noch nicht richtig begonnen, sondern es regnet auch zum ersten Mal seit unserer Ankunft (genauer es gießt). Auch hat sich Ihr Brief vom 23.10. wieder eingefunden.
Wir hoffen, daß es mit Ihrem Umzug damals geklappt hat und daß Sie sich heute kaum noch an die Zeit im Gästehaus erinnern. Habe ich Sie richtig verstanden: Sie müssen 15 Stunden in der Woche Vorlesungen und Übungen halten? Kommen Sie denn, wenn Sie die Stunden auch nur halbwegs vorbereiten, noch zu etwas anderem? Ich stelle es mir schrecklich vor, auch nur sechs Stunden zu haben. Wenn ich denn Wochenplan hier richtig gelesen habe, hat keiner der Professoren mehr als 4 Stunden.
Erscheint Ihre Arbeit nun unter Ihrem Namen? Wir sind halt von König in dieser Beziehung wohl ziemlich verwöhnt. Aber auch Schmölders läßt eine ganze Menge erscheinen, das die Assistenten geschrieben haben. Aber eine Schweinerei ist es trotzdem. ...
Heute morgen hatte ich die erste Unterredung mit Prof. Smelser, der mein ‚faculty sponsor‘ ist. Damit hat die Arbeit gewissermaßen offiziell begonnen. Morgen werde ich mal in die Bibliothek gehen und mich nach einschlägiger Literatur umsehen. Ich fürchte, daß diese Zeit bald vorbei ist, wenn die Korrekturen von Köln kommen.
Hier auf dem Campus ist allerhand los: Im Dezember gab es einen Studentenstreik, der jetzt ein gerichtliches Nachspiel hat. Die nicht mehr immatrikulierten Führer der Free Speech Movement müßten vor den Richter. Die Verwaltung scheint ‚durchgreifen‘ zu wollen. Die Bevölkerung scheint auf die Studenten nicht gut zu sprechen zu sein (Rote). Außerdem ist ein konservativer Gouverneur gewählt worden, der die Mittel für die Universität kürzen will. Gestern wurde der Universitätspräsident abgewählt, was als Geste gegenüber den neuen Machthabern verstanden wird. Gestern demonstrierten 3000 Studenten gegen Vietnam und gegen die Einführung eines Hörergeldes. Aber selbst nach dem Bericht der Studentenzeitung war das Ganze etwas seltsam. Im ganzen scheint die Zeit der Streiks aber wohl vorbei zu sein.
Die Erregung über Vietnam ist übrigens nicht auf die Studenten beschränkt. Im Radio war dieser Tage ein sehr scharfer Kommentar zu der Vernichtung eines Dorfes zu hören. Das Vorgehen wurde mit Lidice verglichen.“
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Die Zeit verrinnt für uns in Jaipur. Die Universitätsleitung entscheidet nicht. Am 10. Februar wende ich mich wieder an Mathur. Ich bitte ihn auch um Auskunft darüber, wieso seine Kommission sich nur mit den Klagen Unnithans gegen mich und nicht mit meinen Klagen gegen Unnithan befaßt hat und um Akteneinsicht. Kurz nachdem ich mein Schreiben an Mathur zustelle, erhalte ich den allerersten Brief von König. Er trägt das Datum von 31. Januar und enthält eine Kopie seines Schreibens an Mathur als Anlage. Bevor ich daran gehe, diesen Brief in Ruhe einzuschätzen, beeile ich mich, mich an Mathur zu wenden, nachdem die letzte vermeintliche Hürde beseitigt ist. Nun, Mathur antwortet nicht. Er beauftragt statt dessen am 10. Februar den Registrar, mir mitzuteilen, daß das Department meine Dienste nicht mehr benötige („I am directed by the Vice Chancellor to inform you that the Deparment of Sociology does not need your services any longer.“) Ich solle sofort meine Dienstgeschäfte dem „Head“ übergeben und das Diensthaus räumen. Meine Entschädigungszahlungen bis zum 6. Juli werde von der Universität respektiert.
Diese fristlose Entbindung von meinen Verpflichtungen ohne Angabe von Gründen trifft mich unvermittelt. Damit ist die Unvollständigkeit der studentischen Befragung in Jaipur endgültig besiegelt. Die Studierenden der Zoologie und der 6 sozialwissenschaftlichen Fächer der Universität dürfen sich zu unseren Fragen nicht äußern. Mathur erreicht vorerst sein Ziel: Eine Beschreibung des Ist–Zustandes seiner Universität soll verhindert werden. Als das Schreiben von König doch zu zeitig eingetroffen ist, hat er einen Ausweg gesucht. Durch meine Entpflichtung gewinnt er Zeit. So bleibt die Befragung unvollständig. Auch unsere Vertreibung aus Jaipur ist auf den Weg gebracht. Mathur hat auch meine Gehälter gestoppt.
Ich nehme mir Zeit, das allererste Schreiben von König genau zu lesen. Aber hier ist zunächst der komplette Text des Schreibens:
„Köln, den 30. 1. 1967, besten Dank für Ihren Brief vom 17. 1., den ich, da eilig, sofort beantworte. Anbei finden Sie die Kopie des Briefes, den ich soeben an den Vice Chancellor, Mathur gerichtet habe, und hoffe, daß er die entsprechende Wirkung ausübt. Im übrigen würde ich empfehlen, sich besser mit Dr. Unnithan zu stellen. Ich finde es nur richtig, daß Sie ein acknowledgement seiner Hilfe geben, denn schließlich ist er ja Chairman des Departments, in dem Sie jetzt arbeiten, und es ist absolut üblich, diese Hilfe des Chairman anzuerkennen. Ich habe das Gefühl, daß Sie sich völlig überflüssigerweise in eine Situation manövriert haben, in der Sie nichts als Schwierigkeiten haben werden. Nur schnell diese paar Zeilen. Beide Briefe gehen eingeschrieben, damit sie auch ankommen. Mit allen guten Wünschen und den herzlichsten Grüßen, auch an Ihre Frau, bin ich stets Ihr Prof. Dr. René König.“
Ich kann beim besten Willen den Text nicht nachvollziehen. Wie kommt er dazu:
„Ich finde es nur richtig, daß Sie ein acknowledgement seiner Hilfe geben, denn schließlich ist er ja Chairman des Departments, in dem Sie jetzt arbeiten, und es ist absolut üblich, diese Hilfe des Chairman anzuerkennen.“
Wenn er wirklich auf mein Schreiben vom 17. Januar antwortet, muß er doch gelesen haben:
„Dr. Unnithan, der unbedingt seinen Namen als Autor in unseren Untersuchungen haben wollte, ist nun wütend, daß wir ihm das nicht gestattet haben. Er versucht nun mit allen Mitteln, sehr gemeinen und sehr unakademischen Mitteln, die Untersuchungen zu stoppen.“
Dann schreibt er:
„Ich habe das Gefühl, daß Sie sich völlig überflüssigerweise in eine Situation manövriert haben, in der Sie nichts als Schwierigkeiten haben werden“.
Wie kommt er zu diesem Gefühl, wenn er tatsächlich meine bisherigen Mitteilungen, genau gelesen hat? Auch Fröhlich und Sack haben diese Mitteilungen gelesen. Deren Reaktionen, die ebenfalls hier dokumentiert sind, können wir nachvollziehen. Nicht aber dieses Schreiben Königs. Wenn er meine Berichte nicht gelesen hat, wie kommt er zu der bemerkenswerten Einschätzung, „daß Sie sich völlig überflüssigerweise in eine Situation manövriert haben“? Dieses Schreiben erinnert mich an sein unpassendes, komplett aus dem Rahmen fallendes Schreiben vom 25. Januar 1966. Damals hatte ich den Einfluß von Königs neuem „Herrn Kollegen“, Scheuch, vermutet. Auf wessen Einfluß geht diese merkwürdige, eher diplomatische Redewendung „völlig überflüssigerweise“ zurück?
Fritz Sack reagiert schnell am 17. Februar, als er unser Schreiben vom 9. Februar erhält:
„Lieber Khokon, ich habe gestern Deinen Brief erhalten und möchte Dir schnell in aller Eile nur drei Begleitzeilen zu den anliegenden Fotokopien senden. Professor König hat sofort geschrieben, als Du ihn darum batest. Als Dein Telegramm ankam, war der Brief schon mehrere Tage an Dich unterwegs und wir sahen uns nicht veranlaßt, darauf noch besonders zu reagieren. Das wäre ja wirklich eine unerhörte Schweinerei, wenn man Dir Post von Professor König unterschlagen hätte. Das ist ja wirklich schlimmer als der hinterste Winkel des Balkan im größten Durcheinander der K+K–Donaumonarchie. Ich schreibe bald mal mehr. Viele Grüße, auch von meiner Frau, an Euch beide, Dein Fritz.“
Im Gegensatz zu König schreibt er noch ganz normal. Ich muß mir schmählich eingestehen, daß ich als promovierter Sozialwissenschaftler der Kölner Universität nicht gewußt habe, was „proper channel“, der Dienstweg, wirklich bedeutet. Dies sagt sicherlich etwas aus über meine Blindheit, aber auch über die Qualität meiner Ausbildung als Sozialwissenschaftler. In Jaipur habe ich Gelegenheit, durch die Praxis meine mangelhafte Ausbildung zu vervollständigen. Ich kann gegen die Entbindung meiner Dienstpflichten nur durch „proper channel“ etwas unternehmen. Ich blättere in den Statuten der Universität nach. Ich lerne: Widerspruch beim Vice Chancellor gegen die Verfügung vom Registrar, Appell an das Academic Syndicate, wenn dem Widerspruch vom Vice Chancellor nicht abgeholfen wird, Appell an den Chancellor wenn der Appell an Syndicate nicht gefruchtet hat, Appell an den Visitor, wenn der Chancellor dem Appell nicht statt gibt. Erst danach wird der Weg an das ordentliche Gericht frei. Von RUTA (Rajasthan University Teachers’ Association) erfahre ich, daß der „proper channel“ länger ist als die maximale Zeit, die mir zur Verfügung steht. Ich erfahre von einem Fall, der mir Anschauungsunterricht geben soll:
Mohan Sinha Metha als Vice Chancellor entläßt einen College–Principal (praktisch ein Rektor) wegen politischer Differenzen. Ohne Angabe von Gründen. Schon vor fünf Jahren. Der Entlassene legt Widerspruch beim Syndicate ein. Metha sorgt dafür, daß der Widerspruch nicht auf die Tagesordnung kommt. So ist sein Weg zum ordentlichen Gericht versperrt. Auch Mathur setzt ihn nicht auf die Tagesordnung. Im Augenblick sitzt sogar die Ehefrau des Entlassenen im Syndicate. Dennoch wird sein Widerspruch nicht auf die Tagesordnung gesetzt. RUTA rät mir, auf jeden Fall einen Rechtsanwalt zu nehmen und vielgleisig zu verfahren. Diesem Rat folge ich und verdränge vorläufig das verantwortungslose Schreiben Königs.
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Zwischen dem 11. und 28. Februar sehen wir uns vor vier verschiedene Aufgaben gestellt. Gegen die Entpflichtung auf allen Ebenen vorgehen, möglichst zeitgleich die Befragung der Lehrenden durchziehen, die Protokollsammlung (Minutes of the Universitity) vervollständigen und immer, wenn Zeit dazu ist, darin lesen und uns organisatorisch ausrüsten, unsere Befragungen an der Universität Delhi durchführen. Auch ohne daß König an den entsprechenden Personen geschrieben hatte, wie ich ihn in meinem Schreiben vom 17. Januar dringend gebeten hatte, haben wir von der Universität Delhi die Nachricht, daß wir bis zum 15. März willkommen seien. Trotz unserer miserablen Finanzsituation entscheiden wir, uns wie so häufig in Köln selbst auszubeuten und uns die sich bietende Möglichkeit in Delhi nicht entgehen zu lassen. Denn ein unerwarteter Umstand ist eingetroffen.
Natürlich wissen unsere Freunde in Deutschland, daß es uns finanziell dreckig geht. Wegen der Vollbeschäftigung durch die Auseinandersetzung kann ich die Angebote des WDR nicht wahrnehmen. Die Quelle der zusätzlichen Einkünfte ist versiegt. In absehbarer Zeit sehe ich auch keine Möglichkeit, meine publizistische Tätigkeit aufnehmen zu können. In einem Schreiben im Februar teilen Roshan und Regie mit, daß wir im Notfall uns an „Micky“ in Bangalore wenden könnten. Ob wir uns an Micky noch erinnern würden? Micky ist ein Colonel der indischen Army. Er ist auf Besuch in Europa. Wir wissen nicht mehr genau den Zusammenhang. Wir trafen ihn bei Roshan und Regie in Düsseldorf. Ein lustiger Mensch, aber englischer als die Engländer. Roshan glaubt, im Notfall würde Micky sicherlich kurzfristig einspringen. Also schreiben wir an Micky und erzählen, was uns so widerfährt. Er ist sofort hilfsbereit. Er will uns monatlich 1200,- Rs. überweisen. Er möchte gern das Geld von uns in Europa zurück haben, was de facto ein gesetzwidriger Devisentransfer wäre. Dies ist der einzige „Deal“, den wir während unseres Aufenthaltes außerhalb der Legalität getätigt haben. Aber dieser Umstand erleichtert uns die Selbstausbeutung. Und wir fahren nach Delhi. Davor erledigen wir in Jaipur alles, was erledigt werden mußte.
Also lege ich Widerspruch gegen die Entpflichtung bei dem Registrar, bei dem Vice Chancellor und beim Academic Syndicate ein. Zeitgleich. Zwei einflußreiche Mitglieder des Syndicates, die Professoren Heilig (der bereits erwähnte deutsche Arzt) und Pande (Historiker), erhalten Vorauskopien. Ich mache Eingaben an RUTA und an den „Chancellor“ der Universität, der auch der Gouverneur des Bundesstaates ist. Mein Rechtsanwalt will von dem Vice Chancellor die Gründe für meine Entpflichtung genannt wissen und setzt eine Frist von 24 Stunden (als Vorbereitung für eine einstweilige Verfügung gegen die Entpflichtung). Er entwirft auch eine ergänzende Begründung für meinen Widerspruch beim Syndicate.
Wir kämpfen nun um die Zulassung der Lehrendenbefragung durch die Universitätsleitung, was der Vice Chancellor uns übel nimmt und dazu führt, daß er seinen Registrar beauftragt, per Rundschreiben bekanntzumachen, daß wir für die Durchführung der Befragung nicht legitimiert sind. Unnithan startet eine Kampagne, daß die Befragung antinational sei. Leider kämpfen wir an dieser Front mit mäßigem Erfolg.
Erfolgreicher sind wir bei der Vervollständigung von Materialien über die Entscheidungen der Universitätsgremien. Bald stellen wir fest, daß nirgendwo sonst als in der Verwaltung und in der Bibliothek der Universität ein vollständiger Satz dieser „Minutes of the University of Rajasthan“ zu finden ist. Es ist ca. 1½ Meter im Umfang. Fotokopieren ist nicht möglich. Wir schreiben das Jahr 1967. Also suchen wir frühere Mitglieder des Syndicates auf und erläutern ihnen unser Anliegen. Wir hoffen, daß eventuell in ihren Bücherregalen noch Exemplare aus ihrer Amtszeit stehen könnten. Systematisch. Einige sind bereits verstorben, einige haben nur eine unvollständige Sammlung, einige wollen sich davon nicht trennen, aber die meisten sind entgegenkommend. Selbst die Kinder der Verstorbenen. Und alle haben Geschichten zu erzählen. Geschichten, die uns Hinweise auf Fälle geben, die uns in den Auseinandersetzungen mit der Universität vor Ort nützlich sind. Kurz, es gelingt uns, eine vollständige Sammlung zusammenzustellen.
Von der Universität Delhi bekommen wir die Bestätigung, daß wir während unserer Feldarbeit in den preiswertesten Gästeräumen eines Studentenheimes untergebracht werden können. Wir packen den Rest der Fragebögen bereits gesplittet sortiert in einen Überseekoffer, lassen uns frühmorgens mit zwei Fahrradrikshas zum Busbahnhof fahren und warten, bis der nächste Bus nach Delhi fährt. Dies ist die billigste Transportmöglichkeit, auch wenn sie wegen der Hitze und wegen der Enge im Bus physisch sehr beschwerlich gewesen ist.