Читать книгу Lügen mit langen Beinen - Prodosh Aich - Страница 9

Prolog
Wir sind, was wir wissen

Оглавление

Und wir wissen das, was Berufene uns erzählen. Wie gesagt, wenn die Erzählung stimmig ist, wenn sie in uns kein Unbehagen erzeugt, wenn die Erzählung nicht in Widerspruch zu unserer Erfahrung und zu unserem bereits gespeicherten Wissen gerät, sehen wir keine Veranlassung, das Erzählte nicht anzunehmen. Wir ordnen die neuen Bestandteile zu den übrigen ein und wir wissen etwas mehr. Erzählungen aus fernen Bereichen nehmen wir argloser an. Ansonsten ist eine innere Auseinandersetzung fällig. Vorausgesetzt, unser Gedächtnis funktioniert, wir haben Zeit und können den Widerspruch nicht ohne weiteres verdrängen. Daran haben wir uns gewöhnt. Meist haben wir auch keine Zeit zu fragen, wer der Erzähler ist, wie er zu seiner Erzählung kommt, wie er seinen Lebensunterhalt verdient, wem die Erzählung dient, wen sie schadet, usw.

Wir wollen alles über „Arier“, „Indogermanen“ und „Indoeuropäer“ wissen. Und wir finden Geschichten. Wer kennt sie nicht? Wir finden sie in Nachschlagewerken, in den „Standardbüchern der Geschichte“ und ausführlicher in den speziellen Geschichtsbüchern. Demnach sollen „Arier“ als Nomadenhirten in den Steppen zwischen dem Kaspischen Meer und der heutigen chinesischen Westgrenze beheimatet gewesen sein. In „vorgeschichtlicher“ Zeit. Wie definiert sich vorgeschichtlich? Wie auch immer. Diese weidenden Nomaden sollen sich als die ersten Menschen Pferde und Kühe für das tägliche Leben nutzbar gemacht haben. So etwa vor 6000 Jahren. Sie entdecken Kupfer, Eisen und andere Edelmetalle. Sie erfinden Bronze und Stahl. Ihnen geht es gut. Sie vermehren sich heftig. Sie erweitern ihren „Lebensraum“. Wessen „Lebensraum“ sie dabei wegnehmen? Wer soll uns das erzählen? Ist es wichtig zu wissen? Vielleicht haben sie sich nur den „Lebensraum“ der Tiere angeeignet. Ein frühes „Entdeckungszeitalter“ etwa? Es ist uns halt nicht überliefert. Wären Fragen, wie wir sie stellen, wichtig genug, würden wir sie auch beantwortet finden. Oder etwa nicht?

Teile dieser weidenden Nomadenvölker sollen mit Kühen, Pferden, Kupfer, Eisen, Bronze und Stahl ausgewandert sein. Nach Westen und nach Süden. Die näheren Umstände der Erweiterung des „Lebensraumes“ sollen durch die Tücken der „Früh– und Vorgeschichte“ verschleiert, gar verschüttet sein. Wenn diese weidenden Nomaden tatsächlich ausgewandert sein sollen, können wir uns in etwa vorstellen, warum sie nicht nach Norden, in die Kälte, in die unwirtliche Gegend gegangen sind. Aber warum haben sie nicht ihren „Lebensraum“ nach Osten ausgedehnt? Keiner erzählt es uns. Keiner hat gefragt.

Aber über den Tatbestand der Ausweitung des „Lebensraumes“ soll kein Zweifel bestehen. Als Kulturmenschen haben sie selbstverständlich eine gemeinsame Sprache. So wandert die Sprache mit ihnen. Ein Teil dieser „arischen“ Wandersleute soll Nordwestindien erreicht haben. Der Hindukush ist der einzige Paß durch das Himalaja–Massiv. Wie diese Nomaden aus der turkmenischen Steppe diesen Tausende Kilometer entfernten einzigen Paß gefunden haben? Müssen wir uns mit solchen nutzlosen Fragen aufhalten? Wichtig scheint nur, daß sie den Paß gefunden haben. Sonst wären sie ja nicht in Indien angekommen. Sie sollen groß, stark, hellhäutig, hellhaarig, blau– bzw. grauäugig gewesen sein. Und „dynamisch“ natürlich auch! Sonst würden sie ja den weiten Weg nicht geschafft haben.

Sie werden in Nordwestindien seßhaft. Sie haben ihre Sprache mitgebracht. Logisch. Sanskrit soll sie gewesen sein. Aber keine Schrift. Die Schrift sollen sie erst in Indien erfunden haben. Hätten sie auch eine Schrift mitgebracht, hätten wir diese ja auch in ihrem ursprünglichen Heimatgebiet finden müssen. Aber nirgendwo ist diese Schrift gefunden worden. Also wird gefolgert, daß sie erst im nordwestlichen Indien den Bedarf einer Schrift für die Speicherung ihrer Kenntnisse für künftige Generationen spüren und an die Arbeit gehen. Wie lange dauert es, bis eine Kulturgemeinschaft eine Schrift erfindet? „Philologen“ oder „Vergleichende Sprachwissenschaftler“ haben uns nichts darüber erzählt. Wir müssen uns damit begnügen, daß sich jene „Arier“ aus Zentralasien auf die Wanderschaft begeben, den Hindukushpaß entdecken, die Bewohner des wirtlichen nordwestlichen Indien nach Süden verdrängen, selbst seßhaft werden, sich neues Wissen aneignen, eine Schrift erfinden und dann eine Menge anspruchsvoller Schriften produzieren. Wir wissen natürlich auch nicht, wohin die aus dem Norden vertriebenen Menschen ihrerseits jene im Süden lebenden Menschen vertrieben haben.

So weit, so gut. In den ältesten dieser Schriften sollen sich die Neu–Inder „Arier“ genannt haben. So wird uns erzählt. Wir werden uns noch mit jenen beschäftigen müssen, die uns diese Geschichten zum erstenmal erzählt haben. Es wird aber von keinem erzählt, warum nur dieser Teil sich „Arier“ genannt haben soll, nicht aber ihre Brüder, Schwestern und Vettern anderswo auch, beispielsweise im Westen und/oder die daheim Gebliebenen, wenn sie doch alle „Arier“ gewesen sind? Wieso nicht? Sollten wir es nicht wissen wollen?

Also bleiben wir noch eine kurze Weile bei dem uns verfügbarem Wissen. Es wird uns versichert, daß die Neu–Inder sich „Arier“ genannt haben und die mitgebrachte Sprache dieser „Arier“ „Sanskrit“ gewesen ist. Sanskrit gilt allseitig als die am besten geordnete Sprache. Weil aber Sanskrit sonst nirgendwo gefunden worden ist, so wird logisch gefolgert, müssen wohl die nomadisierenden „Arier“ in Zentralasien eine einfachere Form von Sanskrit gesprochen haben. So wird uns erzählt. Diese einfachere Form, das frühe Sanskrit, Sanskrit im Kindesalter etwa, wird das „Protosanskrit“ genannt. Dieses frühe Sanskrit also breitet sich aus. Dieses „Protosanskrit“ nehmen die „Arier“ aus der Steppe Zentralasiens auch nach Westen mit. Klingt absolut logisch, nicht wahr? Aber es bleibt nicht in seiner ursprünglichen Form. Mit der Zeit und durch die Berührung mit anderen Sprachen im unterschiedlichen Erdteil haben sich Sprache und Kultur der „Arier“ unterschiedlich weiterentwickelt. Aber die Verwandtschaft ist natürlich geblieben. Sowohl in der Sprache und auch sonst. So wird uns erzählt. Eine einleuchtende Erzählung.

Es soll hinreichend nachgewiesen sein, daß zwischen Sanskrit, der Sprache der nordwestindischen „Arier“ einerseits und Griechisch, Latein, germanischen und keltischen Sprachen andererseits, eine enge sprachliche Verwandtschaft besteht. Die Familie der „indoeuropäischen“ Sprachen, sozusagen. Und wer diese Verwandtschaft erkannt und nachgewiesen hat? Nicht die „Arier“, die über den Hindukush nach Nordwestindien passierend ihre weltbekannten Schriften, – Veden, Upanishaden, Puranas, Sutras, usw. – verfaßt und sich in ihnen als „Arier“ verewigt haben sollen. Nein. Sie haben in ihren vielen Schriften nicht einmal erwähnt, daß ihnen ihr „Lebensraum“ einst zu eng geworden ist und viele ihrer Brüder, Schwestern, Kusinen und Vettern wie sie selbst auch, auf der Suche nach neuem „Lebensraum“ gewesen und auch anderswo eingewandert sind. Nein. Die „Sanskrit–Arier“ haben keine Erinnerungen mehr, außer daß sie „Arier“ gewesen sein sollen. Ein absolutes „black-out“, was dies angeht. Reklamiert wird die Verwandtschaft durch die entfernten Kusinen und Vettern aus dem „Abendland“. Als sie mittendrin auf Beutepfad im „Morgenland“ sind. Sie rauben zwar Indien aus, schleppen alles weg, was nicht niet– und nagelfest ist, besetzen das Land und beuten es dauerhaft aus. Aber sie bescheren ihren entfernten Kusinen und Vettern zunächst die „Sprachverwandtschaft“ und dann die „Sprachwissenschaft“. Dieser „Wissenschaftszweig“ hat auch den Begriff „Sprachfamilie“ erfunden, aber erst im 19. Jahrhundert nach Chr., genauer zwischen dem Ende des 18. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts.

Begriffe wie Familie und Verwandtschaft aber, auch wenn sie in Zusammenhang mit Sprachen kreiert werden, entwickeln ihre Eigendynamik. Der „abendländische“ Erfindergeist ist auch damals rege gewesen. Wenn also, haben die weitläufigen Verwandten aus dem „Abendland“, eher Vettern als Kusinen, gedacht, wenn also ihre Sprachen einen gemeinsamen Ursprung haben, dann gehören sie auch zur gleichen Familie, dann besteht doch auch eine „Blutsverwandtschaft“, selbst wenn sie durch die Jahrhunderte in Vergessenheit geraten ist. So wird der „Arischen Sprache“ kaum fünfzig Jahre später die „Arische Rasse“ hinzugefügt. Und uns werden auch noch weitere „Wissenschaftszweige“ beschert. Die Ethnologie, die Anthropologie, die Psychologie, die Psychoanalyse, usw.

*****

In der Encyclopaedia Britannica 1995 lesen sich diese Erfindungsvorgänge so: „Während des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Theorie einer ‚Arischen Rasse‘ – besonders emsig propagiert durch den Comte de Gobineau und später durch seinen Jünger (disciple) Huston Stewart Chamberlin –, die ‚Indoeuropäische‘ Sprachen sprechend, alle fortschrittlichen Errungenschaften für die Menschheit bewerkstelligte und moralisch überlegener war als die ‚Semiten‘, ‚Gelben‘ und ‚Schwarzen‘. Die ‚Nordischen‘ und die ‚Germanischen‘ Völker wurden als besonders reine ‚Arier‘ angesehen. Eine Theorie, die im zweiten Viertel des 20. Jahrhunderts von Anthropologen zurückgewiesen worden ist, die aber Adolf Hitler und die Nazis ergriffen hatten und zur Liquidierung von Juden, Zigeunern und anderen ‚Nicht–Ariern‘ durch die Deutsche Regierung als Grundlage diente.

Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hat aber bewiesen, daß diese Zurückweisung der „Arischen Theorie“ durch Anthropologen keinerlei Wirkung gehabt hat. Hätten die Anthropologen, Historiker, Indologen, Politologen und Sozialwissenschaftler dieser Kultur nicht auch aus ihrer eigenen beruflichen Erfahrung heraus wissen müssen, daß eine bloße Zurückweisung eher bestätigend wirkt? Hätten sie nicht als Macher einer „Mediengesellschaft“ wissen müssen, daß „Dementis“ das Gesagte verstärken? Was haben die Anthropologen oder Vertreter anderer neuen Wissenschaften unternommen, nachdem feststand, daß die Zurückweisung der Theorie über die angebliche Überlegenheit der „Arischen Rasse“ nichts gefruchtet hat?

1990 wird vom „Max Mueller Bhawan (Haus)“ in Neu Delhi die zweite revidierte Ausgabe der Biographie deutscher Indologen herausgegeben. Die deutsche Kulturvertretung heißt in Indien nicht „Goethe Institut“, sondern sinnigerweise Max Mueller Haus, genannt nach Friedrich Maximilian Müller. Auf ihn kommen wir noch ausführlich zurück. Diese revidierte Ausgabe enthält 130 Biographien deutscher Indologen, die durch Veröffentlichungen über die frühe Geschichte Indiens auffällig geworden sind. Der letzte in dieser „Ahnengalerie“ ist 1931 geboren. Es ist nicht so, daß es danach keine Indologen mehr gegeben hat. Es wird in Deutschland und auch anderswo noch emsig „geforscht“. Viele Bücher werden gedruckt. Die „Arische Rasse“ lebt.

Helmuth von Glasenapp (1891–1963) hat viel über Religion und Philosophie geschrieben. Hohe Auflagen. Wir zitieren aus einer „ungekürzten Taschenbuchausgabe“, gedruckt 1997 als 6. Auflage, seines 1963 erschienen Buches: Die fünf Weltreligionen. Das Judentum hat er nicht dazu gezählt. Wir lesen auf Seite 29 unter der Überschrift „Die geschichtliche Entwicklung“: „Die alte Stadt Prayāga (d. h. Opferstätte), welche die Mohammedaner mit dem uns geläufigem Namen ‚Allâhâbâd‘ (Wohnsitz Allâhs) belegten, ist der heiligste Ort Indiens, weil sich hier die beiden heiligen Ströme Ganges und Yamunā vereinigen. Das ist sinnbildhaft für den Hinduismus: er ist seinem Wesen nach selbst gleichsam der Vereinigungspunkt von zwei großen Entwicklungsströmen, die, aus verschiedenen Ursprüngen stammend, für ihren weiteren Lauf zu einer neuen Einheit verschmolzen: der eine dieser Ströme ist das Ariertum, das vor vier Jahrtausenden aus dem Norden nach Indien eindrang und es in sprachlicher und kultureller Hinsicht weitgehend umgestaltete, der andere Strom wird durch das bodenständige Element repräsentiert, das, in sich vielgestaltig, schon vor der arischen Einwanderung in Indien saß und bis heute seine Eigenart zu behaupten gewußt hat. Der schöpferischen Synthese dieser beiden Komponenten verdankt die indische Kultur ihre Entstehung; durch sie erhielt die indische Religion ihre einzig in der Welt dastehende Ausprägung.

Ist das nicht hübsch, leichtgängig und einleuchtend geschrieben? Unter der Überschrift: „Die vorarische Zeit“ lesen wir auf Seite 31: „Die älteste Geschichte Indiens ist uns heute noch ein Buch mit sieben Siegeln. Ethnographen nehmen an, daß die ältesten Bewohner des vorderindischen Kontinents, der allerdings damals noch nicht seine heutige Gestalt hatte, Negride gewesen sind, die zu ihren Stammesgenossen in Afrika und Melanesien in räumlichem und genetischem Zusammenhang standen. Diese sollen dann durch aus dem Norden kommende Europide nach dem Süden und in abgelegene Gebiete abgedrängt und allmählich aufgesogen worden sein, so daß sie heute nicht mehr in reinem Zustande vorhanden sind. Unter den Europiden, die, in mehreren Wellen vorrückend, in dem weiten Lande ihren Wohnsitz nahmen, repräsentierten den am meisten entwickelten Typus die Vorfahren der heute noch im Süden dravidische Sprachen redenden grazilen braunen Völker. ... Noch vor fünfzig Jahren (also um 1913) ging die herrschende Ansicht dahin, daß erst die Arier eine höhere Kultur und Religion nach Indien gebracht hätten, daß die vorarischen Bewohner des Gangeskontinents aber kulturarme Primitive gewesen seien. Diese Vorstellung änderte sich von Grund auf durch die großen archäologischen Entdeckungen, die seit den Jahren 1921/1922 im Indusgebiet gemacht worden sind. In Mohenjo Daro (in der Landschaft Sindh) und in Harappa (im Panjâb) wurden damals die Ruinen großer Städte freigelegt. Die dort gefundenen geräumigen Bauten, kunstvollen Werkzeuge und formschönen Plastiken verraten einen Stand der Kultur, der dem der nur in Dörfern wohnenden Arier, die noch keine ausgebildete Technik und Kunst besaßen, hoch überlegen war. Diese sogenannte Induskultur weist eine auffallende Ähnlichkeit mit der gleichzeitigen Kultur Vorderasiens auf, trägt andererseits aber wieder so individuelle Züge, daß sie nicht als bloßer Ableger derselben betrachtet werden kann, sie ist deshalb als ein selbständiges Glied der internationalen Weltkultur des 3. Jahrtausends anzusehen. ... Während einige Forscher die Indusleute für Indogermanen halten, die nicht dem arischen Zweige, sondern einer älteren Gruppe dieser Sprachfamilie angehörten, nehmen die meisten an, daß sie Vorfahren der Draviden waren und als solche zu den Sumerern und vor–indogermanischen Mittelmeervölkem in nähere Beziehung zu setzen sind.

Ist das nicht entzückend erzählt? Warum kommt Helmuth von Glasenapp nicht auf die naheliegende Schlußfolgerung, daß nach den Ausgrabungsergebnissen die bisher erzählten Geschichten gründlich abgestürzt sind? Leider können wir ihn nicht mehr fragen. Wir können aber auf Seite 32 unter der Überschrift „Die Vedische Periode“ weiter lesen: „Die Arier, welche im 2. Jahrtausend v. Chr. über die Gebirgsstraße des Nordwestens in das Stromgebiet des lndus einwanderten und in ständigem Kampfe mit den Vorbewohnern sich den Nordwestzipfel Indiens unterwarfen, waren ein jugendfrisches Volk von Hirtenkriegern, die zwar schon etwas Ackerbau trieben, denen jedoch der Städtebau und ein höheres Kunstschaffen noch fremd war.

Wir entschuldigen uns für das lange Zitieren. Wie gesagt, wir haben ein Taschenbuch mit hoher Auflage vor uns. Es hat einen anspruchsvollen Anhang: „Vergleichende Übersicht über Lehre und Brauchtum der Fünf Religionen“, „Vergleichende Zeittafel“, „Zur Aussprache der Wörter der Asiatischen Sprachen“, „Verzeichnis der Abkürzungen“, nach Abschnitten orientierte „Literatur“ und „Namen und Sachregister“. Ein „wissenschaftliches“ Buch in Reinkultur also. Wir enthalten uns an dieser Stelle einer inhaltlichen Kritik. Wir stellen nur die schlichte Frage: woher kennt Helmuth von Glasenapp alle diese Geschichten, die er uns in diesem anscheinend anspruchsvollen Buch erzählt?

Also schauen wir ins Literaturverzeichnis. Für den ersten Abschnitt „Religionsgeschichte, Religionswissenschaft allgemein“ gibt es eine Dreiteilung. Die älteste erwähnte Quelle für den Teil „Gesamtdarstellungen“ datiert von 1920, für den Teil „Nachschlagewerke“ von 1956 und für den Teil „Quellen“ von 1908. Für den nächsten Abschnitt: „Brahmanismus und Hinduismus“ gibt es eine Zweiteilung. Aus Gründen, die wir nicht kennen. „Nachschlagewerke“ und „Gesamtdarstellungen“ sind zusammengefaßt. Darin ist die älteste erwähnte Quelle von 1891 und für „Quellen“ 1912. An keiner Stelle des Buches ist eine Quellenkritik zu finden. Ist denn für Helmuth von Glasenapp jedes gedruckt überlieferte Wort heilig? Welchen Nutzen soll eine Quellenkritik auch haben? Ist es nicht deprimierend, was als Wissenschaft verkauft wird? Wie sieht es in anderen „wissenschaftlichen“ Büchern aus? Wir haben bislang eine andere „wissenschaftliche Kultur“ nicht feststellen können. Deshalb haben wir uns vorgenommen, bevor wir uns mit der Erzählung eines „modernen Geisteswissenschaftlers“ auseinandersetzen, schlicht zu fragen, wer der Erzähler ist, wie er seine Brötchen verdient hat, wer seine Erzählungen fördert, wem seine Erzählungen Nutzen gebracht haben und wie seine Quellen aussehen. Das bisherige Ergebnis unserer Übung ist noch deprimierender. Aber alles der Reihe nach. Bei Helmuth von Glasenapp haben wir keine Urquelle entdecken können. Aber Kenntnisse über menschliche Rassen unterschiedlicher Wertigkeit sind ihm nicht fremd gewesen. Im „Tausendjährigen Reich“ hat er keinen Karriereknick erleben müssen.

Angesichts dieser modernen Wissenschaftskultur, offenbart durch das Buch von Helmuth von Glasenapp, hat uns nicht weiter verwundert, daß in der neuesten Ausgabe dieses Buches Quellen angegeben werden, die nach 1963, also nach seinem Tod, überhaupt erst entstanden sind. Natürlich nicht Quellen, sondern neue Druckerzeugnisse. Aus dem Kleingedruckten können wir erfahren, daß es „eine Anzahl anderer Werke, vorwiegend jüngeren Datums, die für eine weitere Beschäftigung mit den fünf großen Religionen geeignet erscheinen“ gibt. Wir hätten gern gewußt, welcher „Geist“ diese ‚Anzahl anderer Werke‘ ausgewählt hat und ob dieser „Geist“ auch in dem Text herumgefummelt hat. Damit sich das Buch besser verkaufen läßt!

In einem „Standardgeschichtsbuch“ in Deutschland, Geschichte Indiens: von der Induskultur bis heute / Hermann Kulke; Dietmer Rothermund. – 2. Verbreiterte und aktualisierte Auflage, Beck, München 1998; erste Auflage 1982 –, liest sich der gleiche Erfindungsvorgang auf den Seiten 44–45 so: „Das zweite Jahrtausend v. Chr. wurde – nach dem Untergang der Induskultur – Zeuge eines weiteren bedeutenden Ereignisses der frühindischen Geschichte, als Gruppen zentralasiatischer Nomaden, die sich in ihren Schriften ‚Arya‘ nannten, über den Hindukush nach Nordwestindien einwanderten. Im Jahre 1786 entdeckte William Jones, der Begründer der Asiatic Society in Calcutta, die enge sprachwissenschaftliche Verwandtschaft zwischen Sanskrit, der Sprache der Aryas, Griechisch, Latein, und den germanischen und keltischen Sprachen. Diese epochale Erkenntnis legte den Grundstein für die Erforschung der indo–europäischen Sprachgemeinschaft, zu der nach unserem heutigen Wissen weit mehr Sprachen zählen als Jones zunächst angenommen hatte. Seit dem späten 19. Jahrhundert setzte sich in der Forschung mehr und mehr die Überzeugung durch, daß der Ursprung dieser indo–europäischen Sprachfamilie in den Weiten der osteuropäischen und zentralasiatischen Steppe zu suchen sei (Diesen Entdecker William Jones nehmen wir als Merkposten auf.).

Die bedeutenden Erkenntnisse der frühen Sprachwissenschaftler über die engen linguistischen Beziehungen innerhalb der indo–europäischen Sprachfamilie wurden jedoch zunehmend von rassistisch–nationalistischen Ideologien überschattet, die den Ursprung der eigenen Nation in einer mystisch–arischen Rasse postulieren. Dies trifft seit dem 19. Jahrhundert besonders auf deutsche nationalistische Historiker und in etwas jüngerer Zeit auch auf nationalistische Historiker Indiens zu. Diese Entwicklung hatte in Europa verheerende Folgen und führte in jüngster Zeit auch in Indien zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Historikern und zu schweren kommunalistischen Unruhen. Im Kontext der frühen indischen Geschichte erscheint es daher geboten, in der deutschen Sprache von ‚Aryas‘ zu sprechen, um diese frühgeschichtlichen Sprachgruppen Nordwestindiens von dem neuzeitlichen, ideologischen Konstrukt der ‚Arier‘ als einer mystischen Urrasse der Indo–Europäer deutlicher als bisher zu unterscheiden.

Ist diese Darstellung nicht um einige Grade zynischer als sie in der Encyclopaedia Britannica verbreitet wird? Stehlen sich diese „Historiker“ nicht aus der moralischen Verantwortung ihrer eigenen sogenannten wissenschaftlichen Tätigkeiten? Sie reden auch heute von ‚der indo–europäischen Sprachfamilie‘, sagen uns aber nicht, wer nicht dieser Sprachfamilie zuzurechnen ist. Sie tun so, als ob für sie das Problem mit dem Ende des „Tausendjährigen Reichs“ längst erledigt sei. Vor allem, wenn sie den Begriff „Arier“ aus ihrer Wissenschaft tilgen. Nicht ganz. Aber deutlich anders buchstabieren. Nun sollen die indischen Historiker mit dem Problem fertig werden. Geht es noch scheinheiliger?

Die eingewanderten „Arier“ bringen also die „arische“ Sprache „Protosanskrit“ mit nach Nordwestindien. Danach verfeinern sie ihre Sprache zu Sanskrit, erfinden die Sanskritschrift und überliefern uns eine Fülle von anspruchsvoller Literatur. Die auf diese Zeit und auf diese Region spezialisierten „modernen Historiker“ in Europa sind emsig damit beschäftigt, das Entstehungsdatum dieser in Sanskrit verfaßten umfangreichen Literatur zu bestimmen. Denn: was kann schon wichtiger sein, als das genaue Entstehungsdatum der einzelnen Schriften bestimmen zu wollen und darüber mit den Fachkollegen „wissenschaftlich“ zu streiten?

Seit der Entstehung des Jainismus und des Buddhismus vor etwa 2600 Jahren ist die Geschichte Indiens gut dokumentiert. Schon damals wird Sanskrit nicht mehr gesprochen. Die alten Schriften der Metaphysik, der Wissenschaften, der Geschichte, der Literatur wie Veden, Upanishaden, Puranas, Sutras und auch die epischen Bücher Ramayana und Mahabharata sind aber schon zu dieser Zeit, im 7. Jahrhundert v. Chr. bekannt. Also schließen die „modernen Wissenschaftler“ haarscharf, daß diese Fülle von Sanskritliteratur nur vor dem 7. Jahrhundert v. Chr. entstanden sein kann. So weit so gut. Die Eroberung bzw. Einwanderung ist aber erst um das 15. Jahrhundert v. Chr. datiert. Wie diese Datierung zustande gekommen ist? Wir halten diese Frage als Merkposten. Älter kann also demnach die überlieferte Sanskritliteratur nicht sein, weil ja Sanskrit die Sprache der eingewanderten „Arier“ ist.

Von den vier Veden soll der Rigveda der älteste sein. Denn im Rigveda findet keine Erwähnung der übrigen Veden statt. Rigveda soll auch die älteste aller Sanskritschriften sein, entstanden etwa 1200 Jahre v. Chr. Inwiefern wir durch diese „wissenschaftlich“ genaue Bestimmung, welche Bücher wann entstanden sind, besonders erleuchtet worden sind, können wir nicht beurteilen. Uns fehlen die Meßlatten dafür. Auffallend ist für uns nur, daß wir die Erzählungen der „modernen Historiker“ und Indologen über die Entstehung der Sanskritliteratur nicht nachvollziehen können. Es wäre ungerecht, an dieser Stelle nicht zu erwähnen, daß die Datierungsakrobatik auch unter diesen „Wissenschaftlern“ umstritten ist, also nicht nur unter unterschiedlichen fachlichen Disziplinen.

Woran sich bislang alle neuzeitlichen Wissenschaftler festhalten, ist der Tatbestand, daß so etwas wie eine „arische Eroberung“ oder eine „arische Einwanderung“ in Indien stattgefunden haben muß. Denn sonst wäre die Sprache „Sanskrit“ nicht nach Indien gekommen. Eine bestechende Logik, nicht wahr? Wo soll denn Sanskrit hergekommen sein? Wo hat es sonst noch Sanskrit gegeben? Wir wissen es nicht. Keiner sagt es uns. Auffällig ist aber der Tatbestand, daß die Erfinder der Theorie der „arischen Eroberung“ oder der „arischen Einwanderung“ selbst ihrer äußeren Erscheinung nach „arisch“ aussehen. Zufällig? Die eifrigen Buddeler unter ihnen haben bislang leider nichts gefunden, das eine „arische Eroberung“ hätte andeuten können. Diese Faktenlage hat diese „arisch“ aussehenden „Wissenschaftler“ nur kurzweilig geschockt, aber ihnen ihre Theorie nicht vermiesen können. Denn die Buddeler haben doch die Einwanderung einer Sprache namens Sanskrit nach Indien nicht in Frage stellen können. Wie auch? Sanskrit ist in Indien tatsächlich da. Und die Präsenz von Sanskrit in Indien beweist, daß die „Arier“ zumindest in Indien eingewandert sind.

Und wie schon erwähnt, sind die „Arier“ groß, stark, hellhäutig, hellhaarig, blau– bzw. grauäugig. So wären sie durchaus in der Lage gewesen, Nordwestindien zu erobern, wenn ihre Einwanderung auf Widerstand gestoßen wäre. Und die Präsenz der „Arier“ in Indien steht auch jenseits jeden Zweifels. Jeder Einfaltspinsel, der Indien besucht, sieht doch die „nordische Rasse“ in Nordwestindien. Im Süden dagegen sind die Menschen kleinwüchsig, dunkelhäutig und dunkeläugig. Die den Ebenbildern der „Arier“ gleichenden Wissenschaftler sind besessen von der äußeren Erscheinung der „Arier“. Die „Arier“ sind, wie gesagt, groß, stark, hellhäutig, hellhaarig, blau– bzw. grauäugig, und Menschen mit diesen Erscheinungsmerkmalen sind natürlich auch anderen gegenüber „überlegen“. Deutet die Besessenheit dieser Wissenschaftler nicht auf einen dringenden Bedarf nach Identifikation eben mit diesen „Ariern“? Ist dieser Bedarf an Identifikation eher ein Zeichen der „Ich–Stärke“ oder der „Ich–Schwäche?

Jene angeblich den „Ariern“ unterlegene Rasse von Menschen hat auch einen Namen. Es sind die „Draviden“. Leider ist uns noch kein so herausragender „Forscher“ von der „Güteklasse“ eines Friedrich Maximilian Müller (auf ihn kommen wir ausführlich zurück) begegnet, der mit seiner durch das Studium der „dravidischen“ Literatur entwickelten Treffsicherheit nachweisen kann, daß auch die „Draviden“ sich in ihren frühen Schriften „Draviden“ genannt haben. Haben auch die „Draviden“ frühe Schriften? Haben sie Literatur überhaupt? Wir wissen es nicht. Wir sind jedoch erstaunt, daß die sonst so dynamischen, selbstbewußten und klugen „Arier“ offensichtlich sich selbst nicht mit den „Draviden“ verglichen haben, um das eigene Wir–Gefühl zu entwickeln. In keiner alten Sanskritschrift ist die Rede von zwei „Rassen“, noch von einer „Dravidenrasse“, noch überhaupt von Rassen.

Hätten die „modernen Wissenschaftler“ dieses Fehlen nicht merken und darüber nachdenken müssen? Wie dem auch sei. Wir sind noch nicht mit den uns erzählten Geschichten durch. Die „Arier“ fallen oder wandern in Indien ein, verdrängen die „dravidischen“ Bewohner nach Süden, werden seßhaft, entwickeln ihre mitgebrachte Sprache „Protosanskrit“ fast zur Vollendung, erfinden eine Schrift, verfassen Schriften von hoher kultureller Bedeutung, bringen diese Kultur zu den einst vertriebenen „Draviden“ und setzen die „arische“ Kultur im ganzen Land durch. Bei Helmuth von Glasenapp haben wir sogar den Hinweis bekommen, daß die „Draviden“ auch keine Ureinwohner Indiens sein sollen. Sie sollen in der frühen „frühgeschichtlichen“ Zeit aus ‚Afrika und Melanesien‘ nach Indien eingewandert sein. Wir wollen uns in diesen Streit nicht einmischen. Wir nehmen diese immer noch allseitig akzeptierte Markierung der frühen Geschichte dieser Region zur Kenntnis. Aber wir haben viele Fragen. Es versteht sich von selbst, daß wir in der „modernen wissenschaftlichen Literatur“ auf unsere Fragen keine Antworten gefunden haben. Es ist noch trauriger. Die meisten dieser Fragen sind noch gar nicht gestellt.

Wie soll beispielsweise das zahlenmäßige Größenverhältnis zwischen den erobernden bzw. einwandernden „Ariern“ und den nach Süden vertriebenen Einwohnern, den „Draviden“, gewesen sein? Können sich diese Wissenschaftler nicht vorstellen, daß je ungünstiger das Zahlenverhältnis der Eroberer oder der Einwanderer zu den Einheimischen gewesen ist, um so unwahrscheinlicher eine Vertreibung der ansässigen Einwohner vom Norden nach Süden gewesen sein muß? In großer Zahl können die „arischen Eroberer bzw. Einwanderer“ den Hindukush nicht passiert haben. Welche Wege standen den Auswanderern aus der Steppe nach Süden zur Verfügung? Wie ist die Beschaffenheit der Wege gewesen? Sind sie während ihrer Wanderschaft auch Menschen begegnet? Welchen? Welche Entfernung müßten sie zurückgelegt haben, bis sie den einzigen Paß, den Hindukush, gefunden haben?

Was ist über ihre Logistik bekannt? Welche Voraussetzungen für logistische Überlegungen könnten es bei den ihre Tiere Weidenden irten in der zentralasiatischen Steppe gegeben haben? Konnte es überhaupt welche geben? Werfen diese Historiker auch einmal einen Blick auf die Landkarte? Selbst wenn wir die Geschichte bis zur „Bevölkerungsexplosion“ bei diesen Nomaden akzeptierten, können wir uns nicht vorstellen, daß sie in der Lage gewesen sein sollten, auf unwägbarem Gelände zielbewußt eine Richtung zu halten. Hätten sie nicht zielbewußt eine Richtung eingehalten, würden wir rund um die zentralasiatische Steppe Nachfahren dieser „Arier“ finden. Bekanntlich ist dies nicht der Fall. Und schauen Nomaden nicht eher nach unten und gerade aus? Richtungsorientierung auf unbekanntem und in weitem unwägbarem Gelände aber setzt Kenntnisse über die Bewegung der Himmelskörper voraus. Wann haben Nomaden Zeit, viele Generationen lang Astronomie zu betreiben?

Und was hat Helmuth von Glasenapp uns zu berichten gewußt? Auf Seite 32 unter der Überschrift „Die Vedische Periode“? „Die Arier, welche im 2. Jahrtausend v. Chr. über die Gebirgsstraße des Nordwestens in das Stromgebiet des lndus einwanderten und in ständigem Kampfe mit den Vorbewohnern sich den Nordwestzipfel Indiens unterwarfen, waren ein jugendfrisches Volk von Hirtenkriegern, die zwar schon etwas Ackerbau trieben, denen jedoch der Städtebau und ein höheres Kunstschaffen noch fremd war.

Statt zumindest einige der vielen offensichtlichen Fragen zu stellen, beschreiben „die Glasenapps“, wie unterschiedlich die beiden Rassen, „Arier“ und „Draviden“ ausgesehen haben. Wie gesagt, die „Arier“ sollen groß, stark, hellhäutig, hellhaarig, blau– bzw. grauäugig gewesen sein, die „Draviden“ kleinwüchsig, dunkelhäutig und dunkeläugig. Kann es wirklich an dieser äußeren Erscheinung gelegen haben, daß die „Draviden“ den „arischen“ Eroberern unterlegen gewesen sein sollen? Trotz einer großen Überzahl an Menschen „dravidischer Rasse“? Liegt nicht die Frage der zahlenmäßigen Größenverhältnisse näher als das äußere Aussehen der beiden vermeintlichen „Rassen“? Und wie können die „modernen Wissenschaftler“ überhaupt feststellen, wie das äußere Aussehen der beiden Menschengruppen vor 3500 Jahren gewesen sein soll? Gibt es ein nachvollziehbares Verfahren dafür? Kann es ein nachvollziehbares Verfahren geben?

Es ist unübersehbar, daß die Erfinder der beiden unterschiedlichen Rassen und deren Nachfahren nicht nur mit den „Ariern“ sympathisieren, sondern sie auch bewundern und sich mit ihnen identifizieren, d. h. auch mit den einzelnen dieser ihnen zugeschriebenen äußeren Merkmale. Diese Merkmale werden positiv bewertet und die positive Bewertung wird verinnerlicht. Anders ausgedrückt, projizieren die Erfinder der „zwei Rassen Theorie in Indien“ eigentlich ihr eigenes Ebenbild auf die angeblich überlegene Rasse und entwickeln mit ihr ein gemeinsames „Wir–Gefühl“ gegenüber den anderen, wer diese anderen auch sein mögen. Es sind eben „die Anderen“. Diese sind auf jeden Fall nicht groß, stark, hellhäutig, hellhaarig, blau– bzw. grauäugig. Und was nicht sein darf, ist auch nicht.

Nach der Herstellung des „Wir–Gefühls“ verselbstständigen sich die einzelnen äußerlich wahrnehmbaren Merkmale. Wir müssen uns nicht an die eindrucksvolle Begegnung von Hitler und Mussolini in der Inszenierung „Der große Diktator“ von Charles Chaplin erinnern, um die wuchtige Macht des verinnerlichten Wertes von groß = Größe zu verstehen. Die beiden Diktatoren sitzen bekanntlich auf Drehstühlen und jeder versucht beim Sprechen immer höher zu sitzen als der andere. Charles Chaplin muß zu diesem drastischen Stilmittel greifen, um die „Ich–Schwäche“ der beiden Diktatoren zu verdeutlichen. Wir haben das Glück der Spätgeborenen. Wir können auf die etwas klein Geratenen, wie beispielsweise die deutschen Politiker Franz Josef Strauß, Helmut Schmidt, Heiner Geißler oder Gerhard Schröder hinweisen, die stets auch von den Pressephotographen aus der Froschperspektive aufgenommen werden. Wir wollen nicht auch noch der Frage nachgehen, wie die Pressephotographen verinnerlicht haben, was sich gehört und was nicht. Politiker in herausragender Position müssen auch in der Länge herausragen. Sollte es einmal anders sein, warum sich nicht der Froschperspektive bedienen?

Wir belassen es bei dem Hinweis, daß jedes „Wir–Gefühl“ tatsächliche oder vermeintliche positive Eigenschaften voraussetzt, welche „die Anderen“ selbstverständlich nicht besitzen. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob es nun Wissenschaftler, Publizisten oder Journalisten sind. Ob sie so etwas schreiben wie, ‚im Kontext der frühen indischen Geschichte es daher geboten erscheint, in der deutschen Sprache von „Aryas“ zu sprechen, um diese frühgeschichtlichen Sprachgruppen Nordwestindiens von dem neuzeitlichen, ideologischen Konstrukt der „Arier“ als einer mythischen Urrasse der Indo–Europäer deutlicher als bisher zu unterscheiden‘ oder auch nicht. Denn die zugeschriebenen äußerlichen Eigenschaften und deren Wertungen haben eine eigene eingebildete und verinnerlichte Erhabenheit und Überlegenheit gegenüber den anderen in Kopf und Bauch abgebildet.

Eigentlich sind ja die „Kleinwüchsigen“ nicht klein, sondern „unberechenbar und falsch“; dunkelhäutige Menschen sind eigentlich „finstere Gesellen“, nicht so offen wie hellhäutige. Und wenn sie auch noch eine dunkle Augenfarbe haben, wer möchte schon so einem begegnen, vom „Hereinholen“ in die „Wir–Gruppe“ ganz zu schweigen. Staatsbürgerschaft hin, Staatsbürgerschaft her. Eine Kultur, die sich seit Jahrhunderten dieses Bewußtsein der Überlegenheit der blond-blauäugig-weißen Menschen eingeprägt hat, muß auch so genannt werden, und wir müssen nicht länger hinnehmen, daß uns „Kulturwissenschaftler“ durch ihre Erfindung immer neuer Namen für diese Kultur verwirren. Etwas ist da noch hinzu gekommen, was die vermeintlichen „Arier“ nicht hatten: das Christsein. Sind die „Indoeuropäer“ nicht eben die christlichen Nachkommen der „Arier“, Produkte der blond-blauäugig-weiß-christlichen Kultur, deshalb auch zivilisierter als die „indischen Arier“? So ein bißchen auch überlegener?

Und eine Überlegenheit ist keine Überlegenheit, wenn sie nicht immerfort unter Beweis gestellt wird. Nicht anders verhält es sich mit den Übergriffen gegen jene Mitbewohner in Europa, „Amerika“, „Australien“, „Neuseeland“, die offensichtlich nicht blond-blauäugig-weiß-christlich sind. Also, nicht nur in Deutschland. Die öffentlichen Appelle der Promis gegen die Übergriffe? Ist es mehr als das Geschehene „abfeiern“? Nachzutragen bleibt noch, daß nicht alle Vorkämpfer dieser Kultur blond-blauäugig-weiß-christlich sein müssen. Wir haben noch nicht vergessen, daß Adolf Hitler oder Josef Göbbels „eintausend Jahre“ lang Prototypen nordischer „Arier“ in Deutschland gewesen sind. Damit kein Mißverständnis entsteht. Auch wir gehören zu dieser Kultur, obwohl uns die Grundmerkmale fehlen; aber die verinnerlichten „Werte“ können wir nicht ohne weiteres löschen.

Aber zurück zu den ursprünglichen „Ariern“, die alles angezettelt haben sollen. Sie sollen zwar einfach gestrickte Hirtenkrieger gewesen sein, denen ‚der Städtebau und ein höheres Kunstschaffen noch fremd war‘, die aber immerhin ‚in das Stromgebiet des lndus einwanderten und in ständigem Kampfe mit den Vorbewohnern sich den Nordwestzipfel Indiens unterwarfen‘. Sie ‚waren ein jugendfrisches Volk von Hirtenkrigern‘. Eben! In welchem Zeitraum soll aber die Vertreibung der ursprünglichen Bewohner, die Konsolidierung des neuen Besatzungsgebietes und die Entwicklung einer eigenständigen Kultur stattgefunden haben? Wollen wir wissen. Fehlanzeige. Und dann noch die Ausbreitung dieser Kultur bis zur äußersten Südspitze dieser Region? Denn von jener Zeit an, als Vardhamana, der erste Mahavira, die Jainische Lehre und Siddharta Gautama die Buddhistische Lehre propagierten, ist die Geschichte Indiens belegt. Da hat keine „arische“ Invasion, Besetzung und Ausbreitung der Kultur in das verkleinerte „Draviden Land“ im Süden Indiens stattgefunden. Dies müßte also in jenem Zeitraum zwischen dem 15. und 7. Jahrhundert v. Chr. stattgefunden haben. Wieso wird in den umfangreichen Schriften in „arischem Sanskrit“ darüber nicht berichtet? Auch nicht einmal ein kleinster Hinweis?

Selbst wenn wir die Geschichte bis zur „Bevölkerungsexplosion“ bei den Weidewirtschaft treibenden Nomaden akzeptieren würden, müssen wir uns nicht fragen, welche Bevölkerungsteile für eine kollektive Auswanderung in Frage kommen konnten? Die „Wohletablierten“ oder die „Außenseiter“? Verweilen wir kurz bei dieser Einteilung der Gesamtbevölkerung. Bei welchem der beiden Teile ist die gemeinsame Sprache besser aufbewahrt: bei den Etablierten oder bei den Außenseitern? Wandern eher Außenseiter aus? Bewahren eher die Etablierten die eigene Sprache besser? Wenn also die „Arier“ „Protosanskrit“ nach Indien mitgebracht haben sollen, müßten wir denn nicht annehmen, daß die daheim gebliebenen ebenso „Protosanskrit“ gesprochen haben? Wenn die „Arier“ in der Fremde jene Fülle an Sanskritliteratur produziert haben, muß nicht die gleiche „Zucht“ daheim auch Literatur produziert haben? Welcher Fülle und welcher Qualität auch immer? Aber doch Literatur? Wo ist sie? Wo ist ihre Geschichte? Und warum haben die übrigen ausgewanderten „Arier“, die Griechen, die Römer, die Germanen und die Kelten, keine „Sanskrit ähnliche Literatur“ produziert?

Wir fragen nun, wie die „modernen Historiker“ all dies in Erfahrung gebracht haben, was sie uns auch heute noch auftischen. In dem bereits beispielhaft herangezogenen „Standardgeschichtsbuch“ von 1998 lesen wir über die Quelle ihres Wissens auf Seite 49: „Die Datierung der Texte und der sie tragenden Kulturen war lange Zeit auch unter westlichen Indologen heftig umstritten. Aufgrund astronomischer Angaben hatte der berühmte indische Freiheitskämpfer Bal Gangadhar Tilak Anfang dieses Jahrhunderts in seinem Buch «The Arctic Home in the Vedas» geglaubt, den Ursprung der Veden bis ins 5. und 6. Jahrtausend v. Chr. zurückdatieren zu können. Der deutsche Indologe H. Jacobi kam unabhängig davon zu ähnlichen Schlußfolgerungen und datierte den Beginn der vedischen Periode auf die Mitte des 5. Jahrtausends. Meist folgte man in der Datierung der vedischen Texte jedoch dem berühmten deutschen Indologen Max Müller, der im späten 19. Jahrhundert in Cambridge lehrte. Von der Lebenszeit des Buddha um 500 v.Chr. ausgehend, datierte er die Entstehung der Upanishaden, deren Philosophie ohne Zweifel der Zeit vor Buddhas Wirken entstammte, in die Jahrhunderte von 800 bis 600 v. Chr. Ihnen gingen die Brahmana– und Mantra–Texte in den Jahrhunderten von 1000 bis 800 bzw. von 1200 bis 1000 v. Chr. voran. Heute datiert man den ältesten vedischen Text, den Rigveda, in die Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. Da die Veden sehr bald nach ihrer Entstehung als göttliche Offenbarung nicht mehr verändert werden durften und in einer für unsere heutige Zeit unfaßbar genauen Weise in Priesterfamilien mündlich überliefert wurden, können sie nun, nachdem ihre Datierung zumindest in bestimmten Jahrhunderten als gesichert angesehen werden kann, als historische Quellen ersten Ranges für die Geschichte der vedischen Gesellschaft in Nordindien angesehen werden.

Ist der Stil nicht beeindruckend? Der Abschnitt: „Einwanderung und Seßhaftwerdung der Aryas“, ja das ganze Buch, ist genau so beeindruckend geschrieben. Und so überzeugend. Es ist doch saubere wissenschaftliche Arbeit! Jeder Satz, jeder Absatz, einleuchtend präsentiert. Das Buch, vom ersten bis zum letzen Wort, ist ein Lehrbeispiel für die Qualität der „modernen Geisteswissenschaft“. Wer kann daran noch Zweifel haben? Der wichtigste Grundsatz dieser Wissenschaft ist: andere überzeugen, nein, andere „glauben machen“. Die Schwachstellen wo möglich so verpacken, daß sie erst gar nicht auffallen. Die übrigen möglichen Kritikpunkte sollen benannt, aber nicht behandelt werden. Ja, der ewige Platzmangel! Nicht wahr?

Zu Beginn der „modernen Geisteswissenschaft“ – so stellen wir uns vor – war das „glauben machen“ schwieriger. Aber heute ist die Methode der Manipulation perfektioniert. Nicht, daß die Wissenschaftler unserer Zeit schlauer geworden wären und sie ihre Botschaften gerissener verpackten. Nein. Wir verlernen immer mehr unsere Fähigkeit, die Manipulationen zu erkennen. Diese beginnen in der Familie. Das Prinzip Macht. Hauptsache, sich erst durchsetzen. Auf die Wahl der Mittel kommt es nicht an. Scheinheiligkeit ist Trumpf. Macht und Scheinheiligkeit setzen sich fort über die Schule, über die Betriebe, über die Subkulturen und ergreifen schließlich die gesamte Kultur. Die Massenmedien verstärken sie immerfort. Auf die eigentliche Wahrheit kommt es nicht an. Denn: wahr ist, was problemlos verkauft werden kann. Die Leute würden doch nichts kaufen, wenn es nicht wahr wäre. Oder? Haben wir die Kriegsberichterstattung über „Golfkrieg“, „Kosovo– Luftschläge“ und „Afghanistan–Kreuzzug“ schon verdrängt? Und die mit Uran angereicherten Geschosse?

Wir entschuldigen uns wegen dieser provokativen Sätze. Wir sind auch deshalb so zornig, weil wir lange Opfer dieser Manipulation gewesen sind. Es macht nicht viel Sinn, unseren Befreiungsweg in allen Einzelheiten zu beschreiben. Es könnte aber sinnvoll sein, daß wir den eben zitierten Absatz einmal gemeinsam lesen. Dieser Absatz ist beispielhaft. Wir lesen ihn einmal langsam Wort für Wort, Satz für Satz. „Die Datierung der Texte und der sie tragenden Kulturen war lange Zeit auch unter westlichen Indologen heftig umstritten (Was soll ‚war lange Zeit auch unter westlichen Indologen‘ in diesem Zusammenhang? Ist es wichtig zu wissen? Ist es nicht wichtiger zu wissen, warum ‚lange Zeit auch unter westlichen Indologen heftig umstritten‘ gewesen ist? Ja, warum? Und was soll uns ‚auch unter westlichen Indologen‘ besonderes mitteilen? Und alles im gleichen Satz? Warum wird uns nicht schlicht mitgeteilt, daß: ‚Die Datierung der Texte war lange Zeit unter Indologen heftig umstritten.‘ Und danach die Gründe. Ein Versehen?).

Aufgrund astronomischer Angaben (Sind diese Angaben richtig oder falsch?) hatte der berühmte indische Freiheitskämpfer (‚berühmte indische Freiheitskämpfer‘? Für was sollen wir nun programmiert werden?) Bal Gangadhar Tilak Anfang dieses Jahrhunderts in seinem Buch «The Arctic Home in the Vedas» geglaubt (‚geglaubt‘?), den Ursprung der Veden bis ins 5. und 6. Jahrtausend v. Chr. zurückdatieren zu können (hat Bal Gangadhar Tilak das inhaltlich nicht begründet?). Der deutsche Indologe H. Jacobi kam unabhängig davon zu ähnlichen Schlußfolgerungen und datierte den Beginn der vedischen Periode auf die Mitte des 5. Jahrtausends.

Der ‚berühmte indische Freiheitskämpfer Bal Gangadhar Tilak‘ ist für uns nicht leicht greifbar. Wohl aber ‚der deutsche Indologe H. Jacobi. Hermann Jacobi (1850–1937) ist von Haus aus ein Mathematiker. Er promoviert 1872 über das Thema: „De astrologiae Indicae ‚Hora‘ appellatae originibus“. Auf Deutsch würde es etwa heißen: Über die Ursprünge des Begriffs ‚Hora‘ in der indischen Astrologie. Er hat sich mit Jainischen Texten mit mathematischem und rechnerischem Hintergrund befaßt. Er ist des Prakrit und des Pali mächtig, beide später gesprochene Versionen von Sanskrit in der östlichen Region in Indien, im heutigen Bundesstaat Bihar vor 2600 Jahren. Bis zu seinem mittleren Lebensalter bleibt er Mathematiker und Naturwissenschaftler. Er hat auch eine Prakrit–Grammatik geschrieben. Er hat anläßlich einer Festschrift für den Indologen Rudolf von Roth einen Aufsatz über das Alter der Veden auf der Grundlage astronomischer Berechnungen geschrieben, den er 1908 auch in der Zeitschrift: „Journal of the Royal Asiatic Society“ veröffentlicht hat. In seiner veröffentlichten Biographie finden wir keinen Hinweis auf seine Sanskritkenntnisse. Mit diesem Hintergrundwissen erscheinen uns die nächsten drei Sätze in unserem beispielhaften Absatz in einem anderen Licht.

Meist folgte man (warum ‚folgte man‘?) in der Datierung der vedischen Texte jedoch dem berühmten deutschen Indologen Max Müller, der im späten 19. Jahrhundert in Cambridge lehrte (War er berühmt, weil er als Deutscher im Cambridge lehrte, oder lehrte er in Cambridge, weil er berühmt war? Wurde er ‚Leithammel‘, weil er berühmt war, oder wurde er berühmt, weil er zum ‚Leithammel‘ aufgestiegen war? Wir hätten stattdessen lieber gewußt, wie dieser Indologe die Datierung der Veden begründet hat. Leider Fehlanzeige. Außerdem hat es nie einen ‚deutschen Indologen Max Müller in Cambridge gegeben.). Von der Lebenszeit des Buddha um 500 v.Chr. ausgehend, datierte er die Entstehung der Upanishaden, deren Philosophie ohne Zweifel der Zeit vor Buddhas Wirken entstammte, in die Jahrhunderte von 800 bis 600 v. Chr.. Ihnen gingen die Brahmana– und Mantra–Texte in den Jahrhunderten von 1000 bis 800 bzw. von 1200 bis 1000 v. Chr. voran (Sind das Begründungen? Uns wird unterschoben, daß der berühmte deutsche Indologe Max Müller diese Texte meisterhaft lesen und beurteilen konnte, und daß aus diesen Texten hervorginge, wann die einzelnen Texte entstanden sind. Dem ist nicht so. Wir werden auf Friedrich Maximilian Müller, so heißt der „Max Müller“, auf seine Sanskritkenntnisse im besonderen und auf die Indologen im allgemeinen noch zurückkommen. Aber lesen wir weiter).

Heute datiert man (einfach so?) den ältesten vedischen Text, den Rigveda, in die Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. Da die Veden sehr bald nach ihrer Entstehung (was war davor?) als göttliche Offenbarung (Ist eine ‚göttliche Offenbarung‘ nicht immer an die Person gebunden? Wem wurde der Rigveda offenbart und von welchem Gott?) nicht mehr verändert werden durften und in einer für unsere heutige Zeit unfaßbar genauen Weise (welche Meßlatte gibt es hierfür?) in Priesterfamilien (‚Priesterfamilien‘?) mündlich überliefert wurden, können sie nun, nachdem ihre Datierung zumindest in bestimmten Jahrhunderten als gesichert angesehen werden kann (sind das Begründungen?), als historische Quellen ersten Ranges für die Geschichte der vedischen Gesellschaft in Nordindien angesehen werden.“

Wieso ‚Geschichte der vedischen Gesellschaft?Göttliche Offenbarunghistorische Quellen ersten Ranges‘ und ‚die Geschichte der vedischen Gesellschaft in Nordindien‘ begreifen wir auch nicht. Noch etwas ist uns bei diesem beispielhaften Absatz aufgefallen. Es wird mit positiv und negativ besetzten Adjektiven gearbeitet, wie: ‚lange Zeit‘, ‚westlichen Indologen‘, ‚heftig umstritten‘, ‚der berühmte indische Freheitskämpfer Bal Gangadhar Tilak‘, ‚der deutsche Indologe‘, ‚meist folgte man‘, ‚dem berühmten deutschen Indologen Max Müller. Wir lassen uns durch die Überlegung nicht ablenken, ob die Anwendung von Adjektiven bewußt geschieht. Wir wissen, daß häufig genug solche Scheinüberlegungen eingestreut werden, um uns von wesentlichen Fragen abzuhalten. Beispielsweise kennen wir alle Auseinandersetzungen um Abhörprotokolle und deren oft widerrechtliche Veröffentlichung in vielen Ländern. Meist geht der öffentliche Streit um die Rechtmäßigkeit des Bekanntwerdens. Die wesentliche Frage bleibt ausgeblendet: Was können eigentlich honorige Politiker ihren politischen Freunden, Gegnern und leitenden Beamten denn gesagt haben, was die demokratische Öffentlichkeit nicht erfahren darf? Ablenkung als moderne Manipulationstechnik.

Wir entschuldigen uns an dieser Stelle für eine kleine Bosheit unserseits. Zu Beginn haben wir „arische Eroberer“ erwähnt. Später haben wir begonnen, „arische Eroberer bzw. Einwanderer“ zu erwähnen. Es sollte die Einstimmung für eine gemeinere Art von Manipulation durch die „Historiker“ sein. Der 2. Abschnitt in dem Buch Geschichte Indiens: von der Induskultur bis heute / Hermann Kulke; Dietmer Rothermund. – 2. Verbreitete und aktualisierte Auflage, Beck, München 1998; erste Auflage 1982“ ist betitelt: „Einwanderung und Seßhaftwerdung der Aryas“. Nun, „Einwanderung der Aryas“ ist ein Vorgang, der noch im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts „Eroberung durch die Arier“ geheißen hat. Durch die Tücke der unterschiedlichen Fachdisziplinen der „modernen Wissenschaft“ sind die „Historiker“ und Indologen mit den Archäologen in mehr als einen Datierungskonflikt geraten. Die archäologischen Funde widerlegen die Eroberungstheorie insofern, als jene kaputten Trophäen als Beleg für die Niederlage der „Draviden“, leider schon kaputt gewesen sind, bevor die „Arier“ in der zentralasiatischen Steppe ihre „Bevölkerungsexplosion“ erleben und sich auf den Weg über den Hindukush, den einzigen Paß durch das Himalaja–Massiv gemacht haben sollen.

Damit müßten eigentlich nicht nur die Theorie der „arischen Eroberung“, sondern auch jene Theorie über Indien als ein Land von zwei Rassen zusammengefallen sein. Wenn nicht: ‚meist folgte man der‘ Wendefähigkeit der „Historiker“ und Indologen. Wenn nicht Eroberung, dann doch Einwanderung! Denn nur so kann der Fall der Theorie der überlegenen „arischen Rasse“ abgewendet werden. Sie sind nicht nur im Bauch schon immer von der eigenen Überlegenheit überzeugt. Es ist nicht auszudenken, was mit dem Fall der „arischen Rasse“ alles noch hinfällig werden könnte. Schöne Märchen! Aber wissenschaftlich verbrämt!

Außerdem wissen diese Meinungsmacher genau, wie tief das rassische Bewußtsein in dieser blond-blauäugig-weiß-christlichen Kultur verwurzelt ist, die immer noch auf der Suche nach einem unschuldigen Namen ist. Sie sind sich dessen sicher, daß auch wenn sie wiederholt von „Einwanderung“ sprechen, sich diese in den Köpfen der Angehörigen dieser Kultur doch als „Eroberung“ abbildet. Ihre Selbstsicherheit kennt keine Grenze. Sie brauchen nicht einmal beim Schreiben besonders darauf zu achten, daß ihre innerste Überzeugung von der Überlegenheit der „Arier“, deren Nachfahren sie ja sind, sich nicht durch Fahrlässigkeit nach außen kehrt. So können wir bereits auf Seite 50 des 2. Abschnitts lesen: „Der Sieg der Indo–Aryas über die einheimische Bevölkerung scheint, wie im Falle anderer erobernder Völkerschaften im Vorderen Orient, wesentlich auf ihrem hochentwickelten, zweirädrigen Pferdestreitwagen (ratha) beruht zu haben. Ihre Speichenräder waren so wertvoll und empfindlich, daß die Wagen bisweilen auf Ochsenkarren verladen wurden, um sie bis zum Beginn der Schlacht zu schonen. Die Landnahme der Aryas scheint sich dennoch nur schrittweise und langsam vollzogen zu haben. Der Grund hierfür dürfte zwar auch in der Weite des Landes und in der großen Zahl seiner schwer passierbaren Flüsse gelegen haben.

Schwerwiegender aber scheint der Widerstand der einheimischen Bevölkerung gewesen zu sein. Als dunkelhäutige Dasa oder Dasyu werden sie in den Texten immer wieder als die eigentlichen Widersacher der Eroberer genannt. Sie verteidigten sich auf befestigten Plätzen (purah, später = Stadt), die vornehmlich von mehreren Palisadenringen oder Wällen umgeben waren, oder sie zogen sich in die Berge in ihre Fliehburgen zurück. Zahlreiche Hymnen besingen den Gott Indra als den «Burgenbrecher» (purandara) und vom Somatrank berauschten Götterkönig der Aryas, der die Burgen stürmte und die Dasyu tötete.

Abgesehen davon, daß sich die „Historiker“ und Indologen den archäologischen Befunden zum Trotz an der Rassenüberlegenheit der „Arier“ orientieren, fallen uns zwei andere, nicht weniger schwerwiegende Tatbestände auf. Es wird durch den Einwurf einfacher Sanskritwörter, der Eindruck erweckt, daß diese Wissenschaftler des vedischen Sanskrits mächtig seien. Ob dem so sein kann, werden wir noch untersuchen. Wir werden systematisch nachspüren, wie Sanskrit und das vedische Sanskrit oder das, was dafür ausgegeben wird, nach Europa gekommen ist.

Der zweite Aspekt ist noch deprimierender. ‚Schwerwiegender aber scheint der Widerstand der einheimischen Bevölkerung gewesen zu sein. Als dunkelhäutige Dasa oder Dasyu werden sie in den Texten immer wieder als die eigentlichen Widersacher der Eroberer genannt.‘ Wir haben schon erwähnt, daß nach der Darstellung dieser Historiker und Indologen die „Arier“ groß, stark, hellhäutig, hellhaarig, blau– bzw. grauäugig gewesen sein sollen. Weil auch heute die äußeren Körpermerkmale positiv bewertet werden und diese Bewertung den Angehörigen dieser Kultur in Fleisch und Blut eingedrungen ist, werden wir ebenfalls nachspüren, seit wann Körpermerkmale für die Unterscheidung von Menschen überhaupt herangezogen werden und wo diese Unterscheidung ihren Anfang genommen hat.

Eine allerletzte Anmerkung über die trügerischen Künste der „modernen Geisteswissenschaftler“. Seit dem 3. Drittel des letzten Jahrhunderts buddeln Archäologen ganze Städte aus, die Jahrtausende unter der Erde verdeckt waren. Es sind geplante Städte. Mit zusammenhängenden Siedlungen, geraden Straßen, Spielfeldern mit Stadion, effizienter Wasserwirtschaft, öffentlichen Bädern, Abwasserkanälen, künstlichen Bewässerungsanlagen, Kanalsystemen, Trockendocks usw. an Bänken riesiger durch Dürre ausgetrockneter Flüsse. Die Städte hatten keine Paläste und keine Tempel. Eine ernsthafte Diskussion hätte zumindest über eine Frage längst beginnen müssen. Ist es denkbar, daß eine derartige Zivilisation ohne Sprache, ohne Schrift, ohne Literatur, ohne Wissenschaft, ohne Philosophie hätte existieren können? Fehlanzeige. Aber die Antwort auf diese Frage ist unzweifelhaft „nein“. Wo sind diese Kulturleistungen?

Und was wäre dann, wenn wir begründeten Zweifel haben müßten, daß Sanskrit die Sprache der ‚Arier, welche im 2. Jahrtausend v. Chr. über die Gebirgsstraße des Nordwestens in das Stromgebiet des lndus einwanderten und in ständigem Kampfe mit den Vorbewohnern sich den Nordwestzipfel Indiens unterwarfen, ein jugendfrisches Volk von Hirtenkriegern (waren), die zwar schon etwas Ackerbau trieben, denen jedoch der Städtebau und ein höheres Kunstschaffen noch fremd war‘, gewesen ist? Ja, was sollten wir dann sagen? Was müßten wir dann tun?

Lügen mit langen Beinen

Подняться наверх