Читать книгу Roboter: Fading Smoke - R. M. Amerein - Страница 8

Eintrag 3

Оглавление

Nachdem ich mich einige Meter vom Forscherlager entfernt habe, stupse ich mit einem kurzen Gedanken mein Kommunikationsmodul an. »Erny?«

»Du schon wieder? Und wie oft soll ich es dir noch sagen? Es heißt 3RNY«, antwortet der Biobot genervt.

»Kannst du reden?«

Es herrscht für einen Moment Schweigen, was darauf hindeutet, dass sich Erny zu einer sicheren Position begibt. »Was willst du?«

»Ich bin deinem Tipp nachgegangen. Sie suchen ein Mädchen.«

»Aha.« Erny seufzt. Manchmal ist es schon lustig, was für menschliche Reaktionen uns einprogrammiert wurden und wie viele Roboter sie beibehalten. Ich bin da keine Ausnahme.

»Demnach ist es nicht bei euch gelandet?«

»Ich habe nichts dergleichen gehört. Aber du weißt genauso gut wie ich, dass wir nicht der einzige Posten innerhalb des Biotops sind, dafür ist es zu groß. Ich kann die anderen Basen kontaktieren.«

»Mach das, ich bleibe in der Nähe und erreichbar.«

»Ich bin unsicher, ob es gut war, dir von den Forschern zu berichten. Noch weiß keiner von ihnen, aber sobald sie das Biotop anzapfen, sind sie geliefert. Ich will nicht, dass ihre Anwesenheit etwas kaputtmacht. Deshalb habe ich nichts gesagt. Einige würden sofort ausrücken und Stunk machen«, bricht es plötzlich aus Erny heraus. Offenbar liegt ihm dieses Thema schon länger auf den Synapsen. So viel zum Thema, die Biobots würden die Anwesenheit der Forscher dulden.

»Mal ehrlich, du verweigerst mir Extraenergie, weil ihr euch an die Gesetze halten müsst, aber hältst vor deinen Geschwistern diese Entwicklung geheim? Hoffentlich rächt sich dieses widersprüchliche Verhalten nicht.« Erny schnaubt, aber bevor er etwas erwidern kann, füge ich hinzu: »Beschaff mir einfach Informationen. Je schneller ich das Mädchen finde, desto eher verschwinden die Forscher. Sie sind nur auf der Durchreise, ihr Camp ist nicht für die Dauer gedacht. Mach dir weniger Sorgen, okay?«

Ich stecke mir eine Zigarette in den Mundschlitz und will die Verbindung trennen, doch Erny meldet sich noch einmal: »Jaja. Und du vergiss nicht, dass du im Biotop nicht rauchen darfst. Da schlagen unsere Sensoren direkt an und du kannst deinen Auftrag und die Energiespritzen vergessen.«

Ich stöhne gequält. »Bis später!«

Die Zigarette wandert wieder in den Beutel, der an meiner Seite baumelt. Natürlich könnte ich die imitierte Sucht umprogrammieren. Will ich aber nicht. Und selbst wenn, würde die Umsetzung dauern. Ich muss hier wohl durch. Typisch menschliches Problem. Nicht alle von uns streben danach, wie unsere Schöpfer zu sein, einige wollen so roboterhaft wie möglich bleiben. Sie schalten jegliche Gefühls- und Reaktionsprogrammierungen ab und sind statische Maschinen. Manchmal sind sie nützlich, da sie extrem logisch denken. Logischer als die Forscher, welche immerhin Wissenschaftler sind.

Meine komplette Außenhülle fühlt sich wie statisch aufgeladen an. Sich länger in einem Biotop aufzuhalten, kann ziemlich quälend sein. Besonders dann, wenn man so wie ich auf Sparflamme läuft. Überall ist potenzielle Energie, die man nicht aufnehmen darf. Das ist echt schräg, das verstehen die Synapsen nicht. Ich bilde mir ein, dass alles viel farbenfroher aussieht als sonst. Schmackhafter. Saftig grüne Blätter wehen im Wind und erwecken den Anschein, dass sie mir willig zuwinken. Die Blüten und Stiele sämtlicher Blumen und Büsche fächern sich wie ein essbarer Regenbogen vor mir auf. Selbst die Furchen in der Rinde der Bäume sind wie Gesichter. Ich habe das Gefühl, als würden sie mir zuzwinkern oder mit ihrem Mund die Worte »Iss mich!« formen.

Verzweifelt richte ich den Blick auf den Boden, was die Sache jedoch nicht besser macht. Ein Hase hoppelt genau in diesem Moment vor meine Füße und sieht schnuppernd zu mir hoch. Furchtlos. Als würde er nicht merken, dass gerade ein Raubtier vor ihm steht, das nur die Hand ausstrecken müsste, um ihn zu verspeisen. Ich habe kein Problem damit, Pflanzen zu mir zu nehmen. Bei allem, was mich mit traurigen Augen anschauen kann, sieht es jedoch anders aus. Glück für den Hasen. Vielleicht könnte man mich einen vegetarischen Roboter nennen, denn es gibt durchaus welche, die vor Tieren keinen Halt machen. Ich aber schon. Und vor Menschen ohnehin, abgesehen davon, dass wir ohne Erlaubnis an die eh nicht randürfen. Ich werde nicht müde, dies zu erwähnen, denn es ist von enormer Wichtigkeit, dass wir diese Grenze niemals überschreiten.

Das Tier wackelt mit dem Puschelschwanz und hüpft weiter seines Weges. Du fragst dich mittlerweile vielleicht, was uns Roboter davon abhält, uns einfach am Biotop zu bedienen. Ich sprach vorhin von dem Koexistenzvertrag. Daran sind einige Gesetze geknüpft. Beim Bruch der meisten gibt es die höchste Strafe – den Shutdown, oder anders ausgedrückt, den Tod. Dazu gehört auch das Anzapfen des Biotops ohne Erlaubnis. Kommt eventuell etwas krass rüber, wenn sich jemand nur an einem kleinen Blümchen bedient. Aber überleg mal: Was wäre, wenn das alle tun würden? Und womöglich auch noch gleichzeitig. So, wie es teilweise außerhalb der Biotope üblich ist. Diese riesigen Grünflächen müssen unantastbar bleiben, damit Keld keinen Kollaps erleidet und wir alle – auch die Menschen, wohlgemerkt – nicht sterben.

Die Biobots müssen gar nicht omnipräsent im gesamten Dschungel sein. Sie können sehen, wo sich jemand genährt hat, und durch die entstandene Verbindung zwischen Natur und Technik auch, wer. Die Oberhäupter der Clans wissen jede Seriennummer ihrer Schützlinge und können sie aufspüren. Keine Chance, einfach zu verschwinden. Das Urteil wird immer vollstreckt. Ich kenne nicht einen Fall, in dem eine Einheit entkommen ist.

Die meisten Roboter machen deswegen einen Bogen um die Biotope und gehen nur hinein, wenn sie keine andere Wahl haben. Oder wenn sie sterben wollen. Ich bin wegen meines Auftrags hier und war so dumm zu glauben, dass bei meinem Botengang genug Energie rausspringen würde, damit ich das Biotop wieder verlassen kann. Das hat man davon, wenn man einmal gegen seine Prinzipien verstößt.

Während ich über all das nachdenke, stapfe ich weiter und vergleiche das Suchraster der Forscher mit meinem Weg. Die abgesuchten Bereiche färbe ich blau. Falls ich die Kleine nicht finde, bevor mir die Energie ausgeht, kann ich den Forschern zumindest zeigen, wo ich schon gesucht habe. Dabei versuche ich, einen Anflug von Panik abzuwenden. Hätte ich den Auftrag ablehnen sollen? Aber raus hätte ich es niemals geschafft. Das hier ist meine einzige Chance. Oder habe ich etwas übersehen? Nie wieder werde ich so dumm sein und in ein Biotop gehen. Ehrlich, nie wieder!

Die Funkverbindung knackt und ich bleibe stehen, um das Signal zu empfangen.

»Smoke, bist du noch da?« Es ist Erny.

Ich knurre ein »Ja«. Meine Laune ist echt am Boden angelangt.

»Die anderen Basen wissen nichts, doch mir ist etwas eingefallen. Vor ein paar Stunden haben unsere Sensoren eine Energieaufnahme angezeigt. Es war aber falscher Alarm, da ein Spender-Empfänger-Pärchen durch das Biotop reist. Ich habe das Signal erneut aufgerufen. Sie sind bei dir in der Nähe. Vielleicht haben sie etwas gesehen.«

Na großartig! Wenn es eine Kaste gibt, die ich noch weniger leiden kann als die Forscher, ist es diese. »Kannst du mich lotsen?«

»Ich schicke dir die Koordinaten.«

Nach ein paar Sekunden blinkt es grün auf meinem Visierinterface. Wäre ich ein Mensch, würde ich jetzt die Augen zusammenkneifen, um es von den ganzen anderen schmackhaften Pflanzenfarben unterscheiden zu können. »Ist angekommen.«

»Dann weiterhin viel Erfolg bei der Suche!«

»Jaja …«, brumme ich und kappe die Verbindung.

Es ist wirklich nicht weit, aber mir kommt gerade jegliche Bewegung zu viel vor. Und dann stolpere ich auch noch. Beim Abfangen büße ich ein weiteres Prozent meiner Energieanzeige ein. Langsam blicke ich nach unten und trete sofort einen Schritt zurück. Denn dort liegt ein rostiger Roboterkörper, leblos und halb mit der Natur vereint. Feuchtes Moos zieht sich über die Beine, während sich das Efeu des Baumes, an dem der Körper lehnt, des Brustkorbes bemächtigt hat. Zwischen den gespreizten Fingern wachsen kleine Blumen mit violetten Blüten. Eigentlich ein schönes Bild. Aber auch ein trauriges. Ich weiß, wer hier zum Sterben hingeht: der Naturclan. Sie haben ihren Ursprung in den ersten Jahren nach dem Sundown. Trotz Umprogrammierung der Energieslots haben sie sich irgendwann geweigert, Biomasse aufzunehmen. Ihre Meinung ist, dass Keld den Menschen gehört. Dem organischen Leben, keinem künstlich erschaffenen. Sie sind damals in Scharen in die frisch angelegten Biotope gereist, um in den Armen von Mutter Natur zu sterben. Bis heute gibt es sie – die Roboter, die diese Ansicht erlangen und sich für den Freitod entscheiden.

Ich wende mich ab. Der Anblick geht mir eigentümlich nah. Vielleicht, weil ich kurz davor bin, ebenso zu verenden. Nur nicht in der Überzeugung, Keld damit einen Gefallen zu tun – sondern weil ich aus Dummheit hier gelandet bin. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen und so will ich ganz bestimmt nicht sterben.

* * *

Ich wandere weitere Minuten durch die Wildnis, die mir wie eine Ewigkeit vorkommen, bis ich Geräusche wahrnehme.

»Komm, wir müssen weiter«, höre ich eine mechanische Stimme sagen. Etwas zu scheppernd für meinen Geschmack.

»Ja, aber … sie lässt mich nicht los.« Die zweite Stimme ist menschlich und klingt erschöpft.

Ich schnaube und schreite an den Bäumen vorbei, die mich von der Szenerie trennen. »Finger weg!«

Vor mir steht ein schimmernder, schwarzer Roboter. Ohne Gesicht oder Kontur. Sein Metall pulsiert in stetiger Dunkelheit, was bedeutet, dass er dauerhaft Energie aufnimmt. Jedoch nicht vom Biotop. Die Kabel und Schläuche an seinem Körper führen zu einer menschlichen Frau. Ihre Haut hat einen kränklichen Gelbton. Das dünne Haar hat sie zu einem schrägen Zopf zurückgebunden. Ein grauer Overall hängt schlabberig um ihren Körper. Ihr Lebenslicht flackert wie ein trauriges Feuerchen und an manchen Stellen sind schon Zeichen einer Umwandlung zu sehen.

Das ist ein vertrauter Anblick für mich. Mitglieder der Spender-Kolonien sind zwar selten außerhalb ihrer Siedlungen anzutreffen, aber auf meinen Reisen habe ich schon so gut wie alles gesehen. Die Roboter dieses Zusammenschlusses haben ihre Unterscheidungsmerkmale aus Respekt vor ihren Spendern abgelegt. Die Spender sind Menschen, die freiwillig kommen und ihre Biomasse abtreten. Sie werden mit einem einzigen Roboter verbunden, die Symbiose hält bis zu zehn Jahre an, aber auch nur, weil den Menschen zwischendurch Regenerationsphasen erlaubt werden. Nach dieser Zeit werden sie in 27,658 Prozent der Fälle umgewandelt. Warum, weiß niemand. Zwar haben die Forscher das untersucht, konnten es angeblich aber nicht erklären. Die Versammlung unserer Oberhäupter räumt dem keine Priorität ein und nennt es Evolution. Es gibt genug Menschen, die sich diesen Kommunen anschließen, aber nicht so viele, dass der Rat tätig werden müsste. Es ist geduldet, solange die Roboter nicht aktiv Spender anwerben oder zwingen. Immerhin haben die Menschen einen freien Willen. Warum sie sich das freiwillig antun? Manche hoffen vielleicht auf die erwähnte Metamorphose. Einige tun es, um die Natur zu entlasten. Und manchen geht dabei wahrscheinlich einer ab. Wenn sie ihr Leben derart wegwerfen wollen, bitte. Ich habe dafür nichts als Verachtung übrig. Selbst jetzt, wo ich dringend Energie benötige, würde ich mich niemals auf Dauer auch nur irgendeinem Individuum anschließen. Diese Ernährung über Jahre hinweg klingt nach klarer Folter.

Viel interessanter ist jedoch das dritte Wesen, das ich vor mir sehe. Offenbar muss ich nicht länger suchen, wie praktisch. Auf meinem Interface findet sich automatisch das Bild des Ziels ein und vergleicht die Gesichtszüge miteinander. Das Haar ist so dunkel, dass es meiner Panzerung echte Konkurrenz macht. Dagegen steht die Blässe der Haut, nur Nase und Augen sind ein wenig gerötet. Mag an den Tränen liegen, die dem Mädchen über die Wangen laufen. Die Lider öffnen sich just in dem Moment, in dem ich den Kopf etwas schräg lege und die Musterung intensiviere. Stahlgraue Augen starren zurück und ich muss zugeben, dass ich noch nie so gefühlsintensive Seelenspiegel gesehen habe. Es ist ein wenig so, als würde das Mädchen jegliche Empfindungen auf einmal in sich tragen und alle würden um die Vorherrschaft kämpfen. Am Ende ist es Furcht, die siegt und mir entgegenblickt. Fast bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Oder vielmehr ein ungutes Gefühl. Manchmal ist es schwierig, ein passendes Synonym zu finden, wenn man nichts Echtes empfindet.

Das Mädchen klammert sich an der Frau fest. Es trägt nur ein paar Lumpen, die in Fetzen an ihm herunterhängen. Die Füße sind nackt und ich erkenne an seinem Knöchel das Zeichen der Forscher, einen blauen Kreis. Die Kleine ist ihr Material, ihr Versuchskaninchen. Auch ohne das Interface weiß ich, dass ich das Ziel gefunden habe. Dort erscheinen grüne Punkte und Linien, weil durch das Abgleichungsprogramm Übereinstimmungen entdeckt werden. Es ist, als strahle mir ein ganzes Biotop entgegen. Hätte ich einen Magen, würde der jetzt knurren. So prickeln meine Außenplatten nur stärker und ich muss mich beherrschen, mir das Mädchen nicht einfach über die Schulter zu werfen und zu den Forschern zu sprinten. Wobei … warum eigentlich nicht?

Ich marschiere auf das Trio zu. »Tritt zur Seite!«, fahre ich die Frau an. Bevor ich diese Worte mit einer Geste unterstreichen kann, spüre ich ein Ziehen an meiner Schulter. Irritiert bleibe ich stehen und betrachte die dunkel pulsierende Hand, die dort liegt und mich zurückhalten will.

»Runter damit!«, knurre ich und drehe meinen Kopf langsam zu dem anderen Roboter herum. Für diesen Spender-Empfänger-Wahnsinn habe ich absolut nichts übrig, ich schätze, das erkennen beide an meinem Auftreten.

»Was willst du von ihr?«, fragt dieser Widerling.

Ich seufze und wische mir die Hand von der Schulter, bevor ich die schwächliche Frau fortschubse. Das Kind halte ich am Arm fest, damit es bei mir bleibt und nicht mit ihr davonwirbelt.

Die Spenderin landet mit einem undeutlichen Laut der Überraschung rücklings im Gras, wobei sich die Schläuche zu ihrem Empfänger bedenklich straffen. Mir ist egal, ob sich ihre Verbindung löst. Keine Ahnung, was dann passiert. Vielleicht verpufft ja etwas Biomasse in der Luft, die ich aufnehmen kann. Andererseits möchte ich das gar nicht. Nicht so. An Menschen vergreift man sich einfach nicht.

Jetzt frage ich mich zum ersten Mal, was das Kind und die Forscher miteinander verbindet. Bis zu diesem Zeitpunkt hat es keine Rolle gespielt, ich brauche viel zu dringend Energie, als dass ich bei meinen Aufträgen wählerisch sein könnte.

Ich schaue auf das Mädchen hinunter und erneut in diese Augen, in denen ein stetiger Machtkampf zu herrschen scheint. Furcht dominiert immer noch, jedoch auch Schmerz. Mein Blick wandert weiter zu meinen Fingern, die den Arm der Kleinen umklammern. Ich halte sie ziemlich fest, vielleicht ein wenig zu sehr? Ruckartig lockere ich den Griff, aber ziehe sie trotzdem näher zu mir.

Der Empfänger-Roboter hat seiner Dame aufgeholfen und macht nun einen Schritt auf mich zu. »Ich frage noch mal. Was willst du von ihr?«

»Das geht dich nichts an. Was habt ihr überhaupt in einem Biotop zu suchen?« Das erschließt sich mir nicht und ein bisschen neugierig bin ich schon. Es ist schließlich nicht so, als würden Empfänger-Roboter jemals an Energiemangel leiden und deshalb sollten sie auch nie dazu genötigt sein, diese riesigen Waldflächen zu betreten. Ich lache, weil die beiden schweigen. »Tja, da haben wir wohl einen ähnlichen Kodex. Wie wäre es, wenn ihr euch um euren Mist kümmert und ich mich um meinen, hm?«

Mühelos hebe ich das Mädchen hoch. Zwar werfe ich es mir nicht über die Schulter, aber ich habe den Eindruck, dass es mir nicht freiwillig folgen wird, also trage ich es eben auf Händen. Kurz sehe ich zu ihm hinunter. Warum wehrt es sich nicht? Es sagt nicht mal etwas. Stattdessen klammert es sich um meinen Oberkörper. Das ist mir so suspekt, dass ich aus Reflex mit den Schultern zucke. Ohne mich noch einmal umzusehen, marschiere ich davon.

»Hey!«, ruft mir der Widerling hinterher. »Du solltest schleunigst mit ihr aus dem Biotop raus. Nur ein gut gemeinter Tipp.«

»Jaja«, knurre ich und stampfe unbeirrt weiter durch das Energieparadies, das mir gleichzeitig wie die Roboterhölle erscheint.

Ich wünsche mir wirklich, nicht mehr an dieses Pärchen zu denken und der Warnung nicht so viel Bedeutung beizumessen. Sie beunruhigt mich, doch Angst habe ich keine. Wenn jemand die komplette Natur über Nacht zerstören würde – dann hätte ich Schiss. Vor allem um mein Leben und weil ich mir nicht vorstellen kann, wer oder was dies bewerkstelligen könnte. Andererseits hat auch niemand daran geglaubt, dass die Sonne uns mal ihre Energie verweigern würde.

Ich zwinge meine Synapsen, sich nicht weiter mit dem Sundown zu beschäftigen. Und bereue es einfach noch ein bisschen, überhaupt ins Biotop gegangen zu sein. Manchmal scheine ich nicht ganz zurechnungsfähig zu sein.

»Warte!«

Ich halte inne. Das Wispern ist so leise, dass es ein Windhauch hätte sein können. Würde auf meinen Armen nicht gerade ein Mädchen liegen, hätte ich auch daran geglaubt. So wandert mein Blick langsam herunter, bis er auf das kindliche Gesicht gerichtet ist und wieder alles so fröhlich grün blinkt. Genervt schalte ich den Abgleich mit einem kurzen Gedanken aus und frage: »Was?«

Sie hebt eine Hand und tatscht auf meinem Visier herum.

Unwirsch nehme ich sie weg. »Lass das.«

»Hilfst du mir?«, fragt sie und blinzelt. »Bringst du mich von hier fort?«

»Du kommst zurück zu den Forschern«, antworte ich total taktvoll.

Der folgende Aufschrei bringt fast die Kabel in meinen Ohren zum Schmelzen. Ich bin überrascht, wie viel Kraft das Kind besitzt, als es sich aufbäumt und mit den Beinen strampelt.

»Woah, beruhig dich mal wieder. Du gehörst zu ihnen, du hast sogar ihr Zeichen.« Mein Rufen geht in ihrem verzweifelten Heulen unter, das Zappeln wird stärker. Gut, ich war nicht besonders feinfühlig, allerdings gehe ich grundsätzlich davon aus, dass sich die Forscher an die Gesetze halten. Das ist vermutlich ein naiver Gedanke, sie sind äußerst geheimnistuerisch und das wird bisher vom Rat akzeptiert. Also dulde ich es ebenfalls und stelle nichts infrage. Auch nicht, warum sie ein Mädchen bei sich haben, das ganz offensichtlich nicht angetan davon ist. Roboter dürfen keine Menschen gefangen halten. Energie von ihnen aufzunehmen, ist nur den Empfängern vorbehalten, und das auch nur von den Spendern. Was also ist die Geschichte des Mädchens?

Ich schlucke die Neugierde herunter. Vielleicht sollte ich die Forscher doch meine Außenhülle neu justieren und die Synapsen einer Kontrolle unterziehen lassen. Söldner hatten Aufträge, ohne zu hinterfragen, auszuführen. Wenn etwas mit ihrem Kodex nicht vereinbar ist, lehnen sie die Aufgabe ab. Ganz einfache Sache. Ich habe diesen Auftrag angenommen, weil ich dringend Energie brauche, und nicht weiter darüber nachgedacht. Besser, ich bleibe dabei.

Ich stelle das Kind kurzerhand vor mir ab und halte es am Handgelenk fest, als es weglaufen will. »Hiergeblieben!« Schade, dass ich keine quarzen kann, es wäre ziemlich cool, diese Worte mit ein paar Rauchwolken aus meinem Visier zu unterstreichen.

»Ich will nicht zurück«, heult das Mädchen und bleibt zusammengesackt vor mir stehen. Seine freie Hand hat es zur Faust geballt und wischt sich damit schniefend durch das Gesicht.

»Du hast ihr Zeichen und gehörst zu ihnen. Das ist ganz einfach so«, erwidere ich mit eben erwähnter Naivität. So viel zum Badass-Söldner. Gerade kann ich mich selbst nicht ernst nehmen.

Die Kleine senkt schuldbewusst den Kopf und starrt auf den Boden. Das Haar fällt strähnig vor ihr Gesicht und verbirgt ihre Mimik vor mir. »Ich hatte die Roboter lieb, sie haben gesagt, dass sie mir helfen. Aber sie haben mir wehgetan.«

»Manchmal tut Helfen weh.«

Das Häufchen Elend schüttelt den Kopf. »Nicht so. Was sie tun, hilft nur ihnen. Mir nicht.«

Wenn ich lebende Wesen transportieren muss, sorge ich für gewöhnlich dafür, dass sie mich nicht vollquatschen, damit ich den Auftrag ungestört ausführen kann. Erneut bemerke ich, dass mein Kodex dieser Mission hier nicht gewachsen ist, denn ich kann kein Kind schlagen. Gut, ich kann schon, aber ich möchte es nicht. Ein Teil von mir wünscht sich, weitaus skrupelloser zu sein, doch selbst als Söldner sind strenge Regeln wichtig. Wir sind der einzige Clan, der tun und lassen kann, was er will. Mehr oder weniger. Vielleicht ist das schon zu viel Freiheit. Es ist der erste Auftrag, der mich an meine Grenzen bringt, was mich selbst wohl am meisten wundert. Obwohl er idiotensicher ist. Schnapp das Kind und bring es zurück. Lass dich dabei in keine Gespräche verwickeln.

»Klappe!«, sage ich also ein bisschen verzweifelt und gehe weiter. Seinen Arm habe ich nach wie vor erbarmungslos im Griff, aber ich achte darauf, dass ich ihn nicht auskugele, während ich das Mädel hinter mir herzerre.

»Bist du einer von ihnen? Du siehst anders aus«, wimmert es.

»Damit hast du deine Frage selbst beantwortet. Hast du die letzten Jahre geschlafen? Du solltest wissen, wie es auf unserer Welt zugeht.«

»Ja«, ist das Einzige, was die Kleine daraufhin sagt, und ich hüte mich davor nachzuhaken, was genau sie meint, und hoffe, damit ist das Gespräch beendet.

Leider umsonst. »Kann ich nicht bei dir bleiben?«

»Bei mir? Was lässt dich glauben, dass ich besser als die Forscher bin?«

»Stimmt. Du tust mir auch weh.« Ihr anschließendes Schniefen hätte ein menschliches Herz gebrochen. Wie gut, dass ich ein mechanisches habe. Trotzdem mag ich es nicht, mit den Forschern auf eine Stufe gestellt zu werden, und packe sie weniger hart an als zuvor. Wenn sie tatsächlich damit liebäugelt, bei mir zu bleiben, stehen die Chancen wenigstens gut, dass sie nicht mehr versucht wegzulaufen.

»Tut mir leid.« Ich habe mich noch nie bei jemandem entschuldigt. Allerdings musste ich bisher auch kein Menschenkind gewaltsam mit mir schleppen. Irgendwie hatte ich gedacht, das hier wäre leichter. Manchmal vergesse ich, dass der freie Wille der Menschen anders funktioniert als bei uns Robotern. Er ist komplizierter. Wenn bei uns einer den Clan wechseln möchte, ist das in der Regel ohne Probleme erlaubt. Man entscheidet sich dazu und hat vorher vermutlich Dutzende Berechnungen durchgeführt.

Menschen hingegen sind extrem sprunghaft. Heute denken sie so, morgen so, manchmal ohne jegliche erkennbare Logik. Unsere Individualität ist künstlich, ihre natürlich. Und da liegt das Problem. Echtheit ist komplex und dieses Mädchen hier ist echter und ehrlicher als jeder Mensch, der mir bisher begegnet ist. Die meisten verstecken ihre Gefühle, doch die Kleine trägt sie offen zur Schau. Weil sie ein Kind ist? Oder steckt noch etwas anderes dahinter? Durchaus möglich, wenn die Forscher ein derartiges Interesse an ihr haben.

Jetzt erst merke ich, dass wir stehen geblieben sind und uns gegenseitig anstarren. Nach meiner Entschuldigung habe ich nichts mehr gesagt, nur noch gedacht. Ich hasse es, mir solche philosophischen Fragen während eines Auftrages zu stellen.

»Du bist keine böse Maschine«, stellt das Mädchen fest. Es sieht ernst aus und blickt mich ohne Scheu an, ist absolut überzeugt von seinen Worten.

»Ich schleppe dich zurück zu den Robotern, die du fürchtest. Nicht gerade sanft. Und ich lasse mich von meinem Vorhaben nicht abbringen. Warum bin ich in deinen Augen nicht böse?«

»Du hast dich entschuldigt. Die anderen machen das nie. Und was sie tun …«, die Kleine schluchzt auf, »ist viel, viel schlimmer. Bitte, bring mich nicht zu ihnen zurück!«

Sie presst sich mit einer Intensität an meinen Körper, die mich verwirrt verharren lässt. Ihre Arme hat sie um das linke Bein geschlungen, während ihr Kopf an meiner Seite ruht und sie haltlos meine Legierung vollheult. Na großartig! Wie geht das noch mal mit dem Trösten? Vorsichtig tätschele ich ihr Haar, was sicher genauso mechanisch aussieht, wie man es sich bei einem Roboter vorstellt. »Ich habe keine andere Wahl. Söldnerkodex und so. Außerdem brauche ich dringend Energie. Jede Minute, die wir vertrödeln, kann mich mein Leben kosten.« Ja, warum bin ich eigentlich so geduldig? Unfassbar, und doch bleibe ich stehen.

Das Mädchen sieht mich mit großen Augen an. Dann streckt es mir seine Händchen entgegen und sagt: »Du kannst was von mir haben.«

Schockiert trete ich einen Schritt zurück. »Das kommt gar nicht infrage. Niemals, auf keinen Fall!« Ja, dieser Gedanke löst regelrechte Panik in mir aus. Vor allem, weil meine eingestaubten Energieslots laut »Ja!« schreien und ich mittlerweile echt kämpfen muss, nicht willkürlich Biomasse aus der Umgebung zu saugen.

»Warum nicht?«, fragt die Kleine. »Die Frau vorhin hat sich auch bei dem Roboter eingestöpselt.«

Irritiert blicke ich sie an. »Wie viel weißt du von unserer Welt?«

Sie hebt die Schultern und streckt erneut ihre Hände aus. »Du kannst wirklich. Aber … tut es weh?« In ihren Augen sind plötzlich Zweifel zu erkennen.

»Ich … glaube schon«, verrate ich und muss an die immerzu erschöpft und leidend aussehenden Spender denken. »Und ich werde dir das bestimmt nicht antun.« Wenigstens weiß ich jetzt, dass die Forscher das Mädel nicht anzapfen, was mich beruhigt. Aber was tun sie dann mit ihm? »Komm. Wenn ich dich zurückbringe, muss ich niemandem Energie klauen. Und du kannst weiter deinen Zweck erfüllen, du bist doch nicht umsonst bei ihnen, oder?«

Mit einem müden Nicken lässt die Kleine die Schultern hängen und tritt neben mich. Ihre Finger verhaken sich mit meinen. Das geflüsterte »Nein, bin ich nicht«, ist kaum zu hören, aber für mich Bestätigung genug, dass diese Diskussion endlich beendet ist.

Roboter: Fading Smoke

Подняться наверх