Читать книгу Homo sapiens movere ~ gezähmt - R. R. Alval - Страница 8
Alisas Bilanz
ОглавлениеAlisas Sorgen, sich mit dieser Frau noch mehr Ärger eingehandelt zu haben, waren unbegründet. Rosalie war ein Mensch. Ein einfacher, netter, sehr zurückhaltender Mensch mit einem freundlichen Lächeln. Kein movere, kein Mischling. Außerdem war Alisa ziemlich stolz auf sich. Abgesehen von dem Desaster auf dem Parkplatz war bisher nichts anderes zu Bruch gegangen. Weder sie selbst noch etwas der gemütlichen Einrichtung des heimeligen, fast nostalgisch wirkenden Cafés. Vielleicht lag es daran, dass sie ihre Hände fest auf die Knie gelegt hatte, um keineswegs wild herum zu fuchteln oder irgendwo hängen zu bleiben. Mit ihrer Uhr zum Beispiel, mit der sie vorhin die blöde Papiertüte zerrissen hatte. „Bingham? Ihr Name ist Bingham? Wie die Agentur?“ Rosalies Augen waren weit aufgerissen und wurden sogar noch größer, als Briony nickte.
Fast hätte Alisa gegrinst, als die Frau ehrfurchtsvoll hauchte, dass sie sich geehrte fühlte mit ihnen am Tisch zu sitzen. Nach kurzem Zögern erzählte Alisa ihr jedoch, dass nur Briony als Bingham zählte. Im Gegensatz zu ihr. Sie arbeitete für Bingham. Und war Brionys Freundin. Außerdem war sie anfällig für Missgeschicke jedes Kalibers. Wie unschwer zu erkennen war.
Rosalie betrachtete Alisas Gips und kommentierte seine Farbe. Ohne es zu bemerken, waren die drei Frauen innerhalb kürzester Zeit in das vertraute Du gefallen. „Es gab noch quietschgrün und grellgelb. Aber noch mehr Aufmerksamkeit, als ich das eh schon tue, wollte ich nicht auf mich lenken. Warum, brauche ich dir nicht zu erklären. Du hast es selbst gesehen.“ Rosalies verständnisvolles Nicken zeugte von Mitleid. Eine Sache, die Alisa ganz und gar nicht brauchte. Sowas war nichts für jemanden wie sie. Würde sie ihre andere Seite nicht permanent untergraben, wäre sie sicher kaum anfällig für all diese dummen und manchmal hochnotpeinlichen Zwischenfälle. Es war ihre eigene Schuld, dass sie ein solcher Trampel war – daran gab es nichts Schönzureden.
Unendlich froh, dass Briony sämtliche Daten für Rosalie weitergab und sich deren notierte, bemerkte Alisa, wie Rosalie sich allmählich entspannte. Sie schien nicht oft mit anderen Leuten zusammen zu sein. Und sie zuckte jedes Mal zusammen, wenn man sie korrigierte. Wie jetzt, als sie behauptete, Alisas Namen schon einmal gehört zu haben. Alisa wies sie lediglich daraufhin, dass dies nicht der Fall sein konnte. Schließlich war sie erst vor ein paar Monaten in die Stadt gezogen.
Trotzdem zuckte die andere Frau zusammen und entschuldigte sich sogar.
Was bei Alisa natürlich die Frage aufwarf, was diese Rosalie dazu veranlasste, sich derart duckmäuserisch zu benehmen. Weder sie noch Briony spuckten, knurrten, drohten ihr oder waren mit einem bösen Fluch belegt. Nun ja, Briony zumindest nicht. War es Aufregung, weil Briony zu den stadtbekannten Binghams gehörte? Oder hatte die Frau schlechte Erfahrungen gemacht? Häusliche Gewalt?
Tief in Alisa regte sich ein Gefühl, welches sie sich nicht erklären konnte und das ihr völlig neu war: Beschützerinstinkt. Warum bei einer erwachsenen Frau? Einer, die älter war als sie? Alisa schätzte Rosalie auf Ende 20.
Um nicht weiter darüber zu grübeln, beschloss Alisa das Thema vorerst ad acta zu legen. Fakt war, Rosalie war nett. Gütig. Freundlich. Und Alisa hätte sie gern auf ihrer kurzen Liste der ihr wichtigen Personen als Freundin hinzugefügt.
Haha, genau!
Nachdem Alisa Rosalies Auto ramponiert hatte, würde diese sie sicher freudig strahlend mit offenen Armen empfangen. Man musste schon gänzlich verblödet oder mit einem starken, reichen, mächtigen Mann verheiratet sein, um eine Freundschaft mit ihr einzugehen. Alisa hielt Rosalie weder für dumm noch für verheiratet. Zumindest trug sie weder einen Ring, noch war ein Abdruck eines solchen zu erkennen. Alisa hatte keine Ahnung, was sie dennoch ritt, danach zu fragen. Es ging sie nichts an. Leicht errötend erklärte Rosalie, dass sie den richtigen Mann noch nicht gefunden hatte. „Dann geht’s dir wie mir.“, entgegnete Alisa mit einem verschwörerischen Lächeln. „Vielleicht sollten wir einen Kochkurs belegen und uns den richtigen backen?“ Rosalie brach in zustimmendes, schallendes Gelächter aus. Rosalie besaß also auch Humor. „Das machen wir. Wie soll deiner denn aussehen? Wie soll er sein?“ Nach kurzem Überlegen flossen Alisa die Worte sehr freimütig über die Lippen. Briony schmunzelte. „Und deiner?“, fragte Alisa an Rosalie gewandt. „Ein bisschen größer darf er gern sein. Nett. Vielleicht ein kleiner Bauch. Nicht allzu schmächtig. Ich will ihn schließlich nicht aus Versehen zerquetschen.“ Sie grinste. „Außerdem humorvoll, charmant, mit guten Manieren. Ein wenig Bildung wäre auch nicht schlecht.“
Rosalie nippte an ihrem Kaffee, während es ungeduldig aus Alisa herausplatzte, wie er denn nun aussehen sollte. „Och, das ist mir egal. Hauptsache, er hat keine Haare auf der Brust.“ Alisa würde das nicht stören. Nur, wenn der Kerl auch Haare auf den Zähnen hätte.
Die drei Frauen plauderten weiter, tranken Kaffee und bemerkten dabei kaum, wie die Zeit verging. Als sie sich trennten, kam es Alisa so vor, als würde sie Rosalie schon ewig kennen. Beinah, als wäre sie eine verwandte Seele.
„Sie ist nett.“, sagte sie deshalb laut auf dem Weg zum Auto. Nur für den Fall, dass Briony diese Bestätigung benötigte. „Hm, ich mag sie auch.“ Alisa hatte nicht gesagt, dass sie sie mochte. Obwohl das der Fall war. Es war auch ziemlich schwer, Rosalies schüchterne, doch gleichzeitig offene und liebevolle Art nicht zu mögen. „Sobald sich mit ihrem Auto und der Versicherung alles geklärt hat, werde ich sie einladen. Es war übrigens unnötig von dir zu sagen, dass es gruselig ist, im Haus eines Vampirs zu sein. Roman ist nicht gruselig. Und er ist ein Pir!“ Alisa kämpfte vergebens gegen das Glucksen, das sich aus ihrer Kehle quetschte. Pir… Vampir… das war doch dasselbe. Und außerdem: „Doch, dein Mann ist gruselig. Du merkst das bloß nicht mehr. Besonders, wenn er zu einer Statue erstarrt. Hast du dir schon mal überlegt, was ist, wenn er so bleibt? Muss ich ihn dann abstauben? Oder in den Garten stellen und hoffen, dass er kein Moos ansetzt?“ Briony schmollte kurz, fing dann jedoch herzhaft an zu lachen. „Du bist einmalig. Unmöglich, ein bisschen tollpatschig und… ach ja… unmöglich. Ah, aber darum mag ich dich ja auch!“ Immer noch lachend entriegelte sie das Auto.
Briony lachte sogar noch, als sie längst den Parkplatz verlassen hatten.