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2118 A.D.

Die Feen waren erledigt. Die meisten. Der Rest hatte sich – hoffentlich auf Nimmerwiedersehen – aus dem Staub gemacht. Ich war müde.

Fix und fertig.

Vollkommen erledigt. Mit ein paar Kratzern, aber die konnte ich unter Ulk verbuchen. Ich lebte – das war die Hauptsache.

Nur mit Romans Shirt bekleidet, stand ich in meiner Wohnstube. Roman neben mir. „Alles ok?“ Ich nickte. Mir war nach einer Dusche. Einer langen, ausgiebigen Dusche. Ob Roman so lange wartete? „Geh nur. Ich lauf nicht weg.“ Guter Mann. Meist störte es mich, wenn er meine Gedanken las. Im Moment war mir das vollkommen schnuppe. „Warte! Soll ich mich um deine Verletzungen kümmern?“ Die paar Schrammen? Oh… er würde das mit seiner Zunge tun. Oder? Ein interessanter Gedanke. Aber ich war dreckig. Außerdem käme nur ich ins Schwärmen. „Sie bluten nicht mehr. Von daher, nein.“ Mit einem kurzen Nicken seines Kopfes schickte er mich Richtung Bad. Sehr wohl, der Herr… Meister.

Wo kam das denn her?

Ich unterdrückte ein Kichern. Hoffte, dass Roman dieser Gedanke entgangen war.

Unter der Dusche begann ich mich allmählich wieder menschlich zu fühlen. Nach einer guten halben Stunde war ich so sauber wie ein Neugeborenes. Ich roch gut. Ich fühlte mich noch viel besser. Der Stress der letzten Tage fiel gänzlich von mir ab. Ich atmete tief ein und ließ die letzten Stunden Revue passieren. Es hätte schlimm ausgehen können. War es glücklicherweise nicht. Die Feen waren weg.

Ich hoffte, sie blieben auch weg.

Und die Gargoyle? Was war mit denen? Mach dir nicht so viele Gedanken, Sam. Stépan hat sich um alles gekümmert. Gut. Roman lauschte also. Nur bedingt gut, aber nicht zu ändern. Freilich könnte ich versuchen eine dieser ominösen Mauern in meinem Kopf aufzubauen. Doch das hatte ich in letzter Zeit nicht trainiert. Außerdem bezweifelte ich, dass Roman sich davon aufhalten ließ.

Also auf zu neuen Taten.

Hm, Küche klang für den Moment ausreichend. Ich stellte mir vor, wie Roman am Herd stand und mir ein paar saftige Steaks briet. Daraufhin hörte ich ein Schnauben in meinem Kopf. Gefolgt von der Aussage, dass er mir einen Kaffee machte. War vertretbar. Gerade so. Denn Roman als Koch? Er mochte ein Meisterirgendwas sein; ein Meisterkoch jedoch gewiss nicht.

Typisch für jemanden, der allein lebte, hatte ich natürlich keine Klamotten mit ins Bad genommen. Solange Roman in der Küche stand, sollte ich unbemerkt vorbei sausen können. Und selbst wenn – er hatte mich erst vorhin nackt gesehen. Ich wickelte das Handtuch um mich und flitzte auf Fußspitzen in mein Schlafzimmer. Gleichzeitig verdrehte ich die Augen. Ob Fußspitzen oder nicht – Roman hörte mich trotzdem.

Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

Schnell zog ich mich an. Oh ja, das fühlte sich gleich nochmal einen Tick besser an. Bevor ich zu Roman in die Küche ging, hing ich das Handtuch im Bad zum Trocknen auf.

Der Kaffeeduft lockte mich allerdings in die Wohnstube. Zwei dampfende Tassen standen auf dem Tisch.

Köstlich. Genau richtig nach einem anstrengenden Tag. Oder zweien.

Gut gelaunt eilte ich zu Roman, umarmte ihn, zog ihn ein Stück zu mir herunter und pflanzte einen Kuss auf seine Wange. „Danke, du bist der Beste.“, sagte ich im Loslassen und wand mich dem Kaffee zu. Hatte ich zumindest vor. Mir wurde schummrig.

Hatte ich mich zu schnell bewegt?

Eine Nachwirkung der Feen?

Oh man… Kopfkarussell…

Ich fühlte mich an den Abend erinnert, an dem ich den Unfall gehabt hatte. Nicht, dass ich mich tatsächlich erinnerte, aber genau so hatte es begonnen und war mir seitdem noch mehrmals passiert. Glücklicherweise kein wiederholtes Mal im Straßenverkehr. Mein Blickfeld trübte sich von der Seite her ein. Meine Beine begannen zu schwanken. „Ist es wirklich vorbei? Ich fühl mich so…“, keuchte ich kraftlos, bevor meine Beine vollends nachgaben und ich vor Roman auf die Knie sank. „Sam, was ist los?“ Das war eine gute Frage. Gab es dafür einen Telefonjoker? „Ganz… blöd…“

Ich konnte nichts mehr sehen, mein Körper war taub.

Nur Romans Reaktion hatte ich zu verdanken, dass ich nicht gänzlich auf den Boden krachte. Oh bitte, nicht schon wieder so ein dämlicher Ohnmachtsanfall! So musste man sich fühlen, wenn man einem sämtliche Muskeln abhandengekommen waren. „Sam? Sprich mit mir! Hörst du das? Die Stimmen?“

Stimmen?

Keine Ahnung.

Schon möglich.

Zumindest bevor meine Beine nachgegeben hatten. Jetzt hörte ich nur noch Roman und ein komisches Summen. Ich wollte schreien und um mich schlagen, doch mein Körper reagierte überhaupt nicht.

Vollkommene Stille, als wäre ich in einem fensterlosen Raum.

Schwerelos.

Völlig allein.

Ohne Licht, ohne Geräusche.

Und dann…

… gab es gar nichts mehr.

Rein gar nichts.

Ich blinzelte schwerfällig. Roman beugte sich über mich. Der Geruch, den ich einatmete, erinnerte mich an ein Krankenhauszimmer. „Du bist wach.“ Hm, war ich. Aber ich fühlte mich schwach. Schwächer als schwach. Ich befürchtete, dass ich nicht dazu in der Lage wäre zu laufen. Und…

Oh Scheiße, hatte ich einen Schlauch im Arm?

Erst jetzt dämmerte mir, dass ich tatsächlich im Krankenhaus lag. „Was ist passiert?“ Meine Stimme war ein dünnes Wispern, das in meiner Kehle kratzte. „Ich weiß es nicht, und das macht mir Sorgen. Du bist umgefallen, wieder einmal, und ich dachte, es wäre klug dich in ein Krankenhaus zu bringen, da ich keine Ahnung hatte, wie ich helfen sollte.“ Sehr schön. Jetzt fiel ich nach einer gewonnen Schlacht also um. Gott sei dank erst danach und nicht mittendrin. Aber warum?

Was brachte meinen Körper dazu, sich ab und an auszuschalten? Ein interner Schalter?

Dürfte ich denn überhaupt noch krank werden, nachdem ich nicht nur Stewards, sondern auch Romans Blut in mir hatte?

„Wie lange war ich weg?“ Roman schmunzelte nahezu menschlich. „Beinah 24 Stunden.“ Oha, einen ganzen Tag? „Die Ärzte haben schon einige Tests gemacht, aber sie finden nichts. Laut deren Aussage bist du kerngesund, was ich sogar glaube. Du hast mein Blut in dir, du dürftest gar nicht krank werden.“ Sag ich doch! „Die Ärzte meinen, es könnte am Stress liegen. Oder dass du momentan einiges durchzumachen hast, was dir an die Nieren geht. Ich gebe es dir exakt so weiter, wie die Ärzte es mir gesagt haben.“ Normalerweise dürften sie ihm gar keine Auskunft erteilen. Pfff... als ob Roman um Erlaubnis fragte!

Sein wissendes Grinsen bestätigte mir, dass ich sowohl richtig vermutete als auch, dass er meine Gedanken las. „Du wirst noch einen Tag hierbleiben. Nur zur Beobachtung.“

Ganz. Sicher. Nicht.

Ich war so lange in einem dieser Zimmer gewesen, dass ich es nicht länger als nötig aushielt. „Nein. Ich will nach Hause.“ Roman legte den Kopf schief. „Sie können dich nicht aufhalten. Aber sie werden jemanden bitten, sich um dich zu kümmern.“ Ich könnte zu meinen Eltern fahren. Doch ich wollte nicht, dass sie sich zu sehr um mich sorgten.

Seufzend schloss ich die Augen.

Meine Brüder vielleicht? Die hatten genug mit sich selbst zu tun.

Chris? Besser nicht.

Bei Claudia wollte ich nicht als Notfall ins idyllische Familienleben platzen. Trudi?

„Wenn du willst, kann ich für dich sorgen.“ Würde Roman nicht so ernst dreinblicken, würde ich es glattweg für einen Scherz halten. Er war viel zu beschäftigt. Und ich war mir ganz und gar nicht sicher, ob es gut wäre, weiterhin in seiner Nähe zu sein. Ich kam auf die verruchtesten, glibberflutschigsten Gedanken, wenn wir uns zu nah waren. „Du?“ Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. „Ist der Gedanke derart abwegig für dich?“ Ähm, abwegig nicht, aber gefährlich. Obendrein saukomisch.

„Tja, du hast nur zwei Optionen. Die erste“, Roman hielt einen Finger in die Luft, „du bleibst hier. Und die zweite…“, er streckte einen zweiten in die Höhe und beugte sich zu meinem Ohr, wobei sein Atem mich kitzelte, „…du findest dich damit ab, dass ich auf dich aufpasse.“ Als ob ich einen Babysitter bräuchte! Doch hierbleiben wollte ich auch nicht. „Setzt du dir ein weißes Mützchen auf und trägst einen Schwesternkittel?“ Roman lächelte. „Willst du das denn?“

Jaha, das würde ich zu gern sehen wollen.

„Keine Chance.“ Dachte ich mir schon. „Ich werde Bescheid geben, dass sie deine Entlassungspapiere fertig machen. Denkst du, du kannst dich allein anziehen?“ Glaubte ich nicht. Ich wusste nicht mal, wo meine Sachen waren. „Macht nichts. Ich regle das gleich, du wartest hier.“ Lustig. Als ob ich wegrennen könnte. Aber was meinte er mit regeln? Wollte er mich anziehen?

Du meine Güte!

Ich trug einen dieser blöden Kittel, die hinten offen standen. Langsam tastete ich mich unter der Bettdecke vorwärts. Ha! Noch schlimmer. Ich trug nur diesen hässlichen, weiß-blauen Umhang. Ok, Sam. Bewege deinen Arsch aus dem Bett und versuche wenigstens, in dein Höschen zu steigen. Bevor Roman wieder da ist. Ja, genau. Besagtes Höschen musste ich erst noch finden.

So, wie ich zitterte und heftig atmete, als Roman wieder ins Zimmer kam, musste dieser annehmen, ich hätte in der Zwischenzeit den Mount Everest bestiegen. Oder mir einen Orgasmus verschafft. Dabei hatte ich es nur mit Mühe und Not geschafft in meinen Slip zu steigen und diesen – ohne vorzeitig ins Bett zurückzufallen – über meinen Hintern zu ziehen. Roman verengte seine Augen zu schmalen Schlitzen. Sagte aber nichts. „Es ist alles bereit. Wir können aufbrechen.“ Ohne Vorwarnung zog er mich auf die Füße, umfasste meine Schultern, drückte mich an sich. Im nächsten Moment waren wir in Romans Haus – und ich trug meine Klamotten. Wie um alles in der Welt hatte er das hinbekommen?

Ah ja, Vampire und ihre Fähigkeiten.

„Fühl dich wie zuhause, Sam. Wenn du etwas brauchst, musst du nur rufen.“ Ein schlanker Mann Ende Vierzig, mit dichtem schwarzen Haar erschien so leise, dass ich zusammenzuckte. Er begrüßte Roman ehrfürchtig. Mit einer tiefen Verbeugung, die beinah aussah, als würde er seine Knie küssen. Roman gab dem Angestellten diverse Anweisungen, die allesamt mein Wohlbefinden betrafen. „Verzichte bitte auf ein Bad oder eine Dusche. Wenigstens heute, sonst werde ich dir dabei Gesellschaft leisten müssen. Oder Edgar.“ Oh… er würde nackt… mit mir… unter der Dusche stehen? Oder in der Wanne sitzen? Njamm! Also Roman… nicht Edgar. Nun, wenn er das anbot, hieß das, er hatte keine weiblichen Angestellten.

Oder es lag in seiner Absicht, mich zu verunsichern.

Zugegeben: Dieses Haus kannte ich bisher nur von außen. Ich versuchte, mich zu erinnern, ob ich in dem anderen je eine Frau bemerkt hatte. Hm … gesehen hatte ich keine. Das hieß jedoch nicht, dass er keine in seinem Schlafgemach versteckte.

Noch immer hielt Roman mich fest an sich gedrückt. Wahrscheinlich wusste er, dass ich sonst zusammenklappen und den Boden aus nächster Nähe betrachten würde. „Willst du dich lieber setzen?“ Ich nickte; froh, dass Roman mich langsam auf die Couch sinken ließ.

Nur eine Minute später läutete es.

Edgar vermeldete kurz darauf Besuch. Solchen, dem ich auf gar keinen Fall unter die Augen treten wollte. Jegliche Farbe verließ mein Gesicht. Mein Herz begann abrupt eine Rallye gewinnen zu wollen – war bestimmt ungesund. Eigentlich wollte ich Alan die Meinung geigen. Ihm in den Arsch treten.

Doch im Moment war ich dafür kaum in der Verfassung.

Gleich recht nicht für seine verbalen Attacken, die definitiv kämen.

„Ich kann ihn wegschicken, wenn du willst.“ Warum sollte er das tun? Alan war sein Freund, oder nicht?

Irgendwie.

Immer noch.

Glaubte ich.

Mein Stirnrunzeln begleitete ein zaghaftes Kopfschütteln. Alan und ich waren lang genug getrennt. Doch nach wie vor bereitete es mir kein Vergnügen ihn zu sehen. Selbst wenn mein Herz in Romans Nähe oft genug ein wenig schneller schlug – es schlug nicht so schnell wie in Alans.

„Nein, musst du nicht. Wenn du mich nur in ein anderes Zimmer bringen …“ Ich musste nicht aussprechen, was ich fühlte. Erneut zog mich Roman in seine Arme und zappte uns in eins der fürstlichen Gästezimmer. „Ich schicke Edgar gleich zu dir. Sag ihm, was du essen möchtest und rufe nach ihm, wenn du etwas anderes brauchst. Einfach das Telefon dort nehmen und die eins drücken.“ Ich nickte und wollte mich bedanken, aber da war er schon verschwunden.

Edgar kam tatsächlich fast im selben Moment, doch ich hatte keinen Appetit. Er versicherte mir, ich bräuchte nur zu rufen und er käme sofort zu mir geeilt. Dankbar, dass er mich allein ließ, fiel ich zurück aufs Bett und starrte Gedanken verloren an die Decke.

Ich machte mir nichts vor. Alan war unten bei Roman, und ich konnte davon ausgehen, dass es ihm überhaupt nichts ausmachte, wenn er mich sah. Ich hingegen hätte einen Kloß im Hals gehabt und wäre todsicher in Tränen ausgebrochen. Zumindest fühlte ich mich so. Wieso hatte ich mich auch in ihn verlieben müssen? Verdammt, hätte Roman sich nicht eingemischt…

Super, ich heulte.

Das war doch zum Kotzen!

Als mir gegen zehn die Augen zugefallen waren, war Alan immer noch da gewesen. Ich hatte ihn lachen gehört – obwohl ich mich im ersten Stockwerk befand. Wütend hatte ich mich in die Kissen gedrückt, so dass es herrlich still wurde und bis eben durchgeschlafen.

Die Sonne schien hell und zauberte mir ein kleines, wehmütiges Lächeln aufs Gesicht. Langsam stand ich auf, vorsichtig testend, ob meine Beine mich wieder trugen. Jepp, alles wieder beim Alten. Sehr schön.

Ohne Eile lief ich ins Bad, machte mich frisch und zog mir neue Sachen an. Edgar hatte mir gestern Abend welche gebracht. Woher die waren, wollte ich gar nicht wissen. Hauptsache sie passten.

Beschwingt verließ ich das Zimmer und hüpfte froh gelaunt die Treppen hinunter. Ich war topfit, nichts schmerzte. Was auch immer mich ausgeknockt hatte, es ging mir wieder wunderprimaprächtig. „Guten Morgen. Möchten Sie frühstücken?“ Edgar. Den hatte ich ganz vergessen. „Ja, das wäre nett.“ Er verbeugte sich leicht vor mir und wies mich an, im Salon Platz zu nehmen. „Ist dort noch jemand?“ Edgar verneinte. „Darf ich dann in der Küche essen?“ Hui, seine Augen wurden riesig. Er nickte wohlwollend, wobei ein kleines Lächeln um seinen Mund bis zu den Fältchen um seine Augen huschte. „Wenn Sie das möchten? Folgen Sie mir.“ Und ob ich das wollte. In dem riesigen Salon käme ich mir mutterundvaterseelenallein völlig verloren vor.

Frischer Kaffeeduft kitzelte meine Nase, als ich Edgar in die Küche folgte und er mir einen Platz an dem kleinen, gemütlichen Tisch bot. „Haben Sie schon gefrühstückt?“, fragte ich, als er mir eine Tasse einschenkte. „Nein, ich esse später.“ Hm. Dabei wäre es viel netter, wenn er sich zu mir an den Tisch setzen würde. „Leisten Sie mir doch Gesellschaft. Allein zu essen ist nur halb so amüsant. Es sei denn, ich halte sie damit von ihrer Arbeit ab.“ Obwohl er ein Mann war, erinnerte mich sein warmes Lächeln an das meiner Oma. „Sehr gern.“

Er deckte den Tisch für zwei und nahm mir gegenüber Platz. Während wir gemeinsam frühstückten, plauderten wir. Eine recht angenehme Unterhaltung. Etwas, was ich in letzter Zeit immer mit Roman in Verbindung brachte. Erst durch ihn selbst, dann durch sein Einmischen mit meiner Mutter und jetzt sogar mit seinem Angestellten. Ich erfuhr, dass Edgar seit etwa einem Jahr für Roman arbeitete und ich in dieser Zeit die erste Frau war, die dieser je in sein Haus geholt hatte.

Zumindest über Nacht.

Roman gab gern Partys, was mir nicht neu war, aber keiner seiner weiblichen Gäste übernachtete. Ähm, hatte ich einen Sonderstatus? Ach ja, wie hatte er gesagt? Er sah in mir eine kleine Schwester.

Das erklärte einiges.

„Na sieh mal einer an. Dich hätte ich hier nicht erwartet. Edgar, lassen Sie uns kurz allein?“

Oh nein, um Gottes, Jesus, Marias und Himmels Willen, bitte, gehen Sie nicht!

Doch Edgar erhob sich, nickte mir aufmunternd zu und verließ die Küche. Meine gute Laune ertränkte sich im Kaffee. „Lässt du dich jetzt von Roman vögeln?“

Was war sein gottverdammtes Problem?

Ich überlegte, was ich antworten sollte, während ich kaute und das Brötchen hinunter schluckte. „Guten Morgen, Alan.“ Ich musste seine Unterstellungen nicht beantworten. Sollte er doch denken, was er wollte. Warum war er eigentlich schon wieder hier? Wohnte er jetzt bei Roman oder hatte er übernachtet? Schätzungsweise Letzteres. Wenigstens musste ich ihn nicht ansehen. Ich dachte nämlich nicht im Traum daran, mich zu ihm umzudrehen, sondern widmete mich weiter meinem Frühstück. Hoffentlich fiel ihm nicht auf, dass meine Hände zitterten. Meine Beherrschung hing an einem sehr dünnen Fädchen. Die Genugtuung, diese in seiner Gegenwart zu verlieren, würde ich ihm nicht bieten.

Soviel dazu, ihm kräftig in den Hintern zu treten. Immerhin hatte ich mir das nach seinem blöden Alphabiss fest vorgenommen.

„Willst du meine Frage nicht beantworten?“ Nonchalant zuckte ich mit den Schultern. „Nein.“ Er schnaubte hämisch. Denk doch, was du willst! „Hätte ich geahnt, dass du auf gröberen Sex stehst, hätte ich dir den auch geboten. Vielleicht wäre ich dann sogar in dir gekommen. Es ist mir nach wie vor schleierhaft, wie du es angestellt hast, dass ich auf deine Hand ejakuliere und beim Sex gar nichts passiert. Möglicherweise hätte ich dir wehtun sollen, hm?“

Also… wehgetan hatte er mir!

Das könnte ich ihm gern schriftlich geben. Nur dass er es vermutlich anders auslegte. „Ich frage mich, ob du dich von ihm flachlegen lässt, um es mir heimzuzahlen. Meinst du, ich werde eifersüchtig? Nun, da muss ich dich enttäuschen. Es funktioniert nicht. Im Gegenteil, es widert mich an. Aber wenn du schon mit meinen Freunden fickst, kann ich dir die Adressen von ein paar weiteren geben.“ Was versuchte er zu bezwecken? Dass ich mich mies fühlte? Konnte er nicht anders? Und welches gottverdammte Recht hatte er überhaupt, mich als Hure hinzustellen, nur weil ich bei Roman übernachtete?

Er war doch derjenige, der seine Hosen nicht zulassen konnte!

Selbst wenn ich mit Roman durchs Bett gepflügt wäre, durfte er mir keine Vorbehalte machen. Nach unserer Trennung konnte er nicht annehmen, dass ich ins Kloster ging und zölibatär lebte.

Ich trank den restlichen Kaffee, räumte das Geschirr in die Spülmaschine und ging lächelnd zu Alan. Der lehnte wie ein Großkotz im Türrahmen und betrachtete mich abwertend. Als wollte er mich anspucken. Oder mir ein Bein stellen. Obwohl der Kloß in meinem Hals riesig groß war, hielt ich das Lächeln aufrecht. Ich würde nicht vor ihm zusammen brechen.

Niemals!

„Ich weiß das Angebot zu schätzen. Aber danke, ich komme allein zurecht. Einen schönen Tag noch.“ Ich wollte an ihm vorbei aus der Küche treten, doch er hielt mich fest. Aua! Denkt er, meine Knochen sind aus Stahl? „Warum ausgerechnet Roman?“, zischte er aufgebracht. Seine Augen funkelten wütend. Dass er mir fast meinen Arm brach, schien er nicht zu bemerken. Eine Augenbraue in die Höhe ziehend, legte ich meinen Kopf in den Nacken und gönnte ihm einen gefühllosen Blick. Das kostete mich mein gesamtes zusammengekratztes schauspielerisches Talent. „Lass mich los!“ Ich legte sämtliche Autorität, derer ich habhaft werden konnte, in diese drei Worte. Ohne dass meine Stimme zitterte oder krächzte.

Es erleichterte mich ungemein, dass er meiner Aufforderung nachkam.

Somit konnte ich stolz erhobenen Hauptes aus der Küche gehen, den Flur entlang und die Treppe hinauf nach oben. Den Drang zu rennen unterdrückte ich. Ebenso den Wunsch, die Tür des Gästezimmers laut hinter mir zuzuschlagen. Kaum war ich drinnen, verriegelte ich von innen, sank an der Tür herab und ließ meinen Tränen freien Lauf. Diese Vorwürfe hatte ich nicht verdient! Nicht im Geringsten.

Jahre vergingen oder auch nur Minuten – ich konnte meinen Heulkrampf partout nicht abstellen!

Gleichzeitig war ich wütend.

Auf Alan.

Auf mich.

„Ich habe ihn heimgeschickt. Beruhige dich, Sam.“ Zwischen all den Schluchzern entrang sich meiner Kehle ein trostloses Lachen. Und ein paar derbe Flüche. Alle betrafen Alan und was ich ihm wünschte. „Tut mir leid. Es war nicht geplant, dass ihr euch über den Weg lauft.“ Roman hockte vor mir, streckte seine Arme aus und zog mich an sich. Wie ist er reingekommen? Äh… dumme Frage… Vampire sind auf so was Neckisches wie Türen nicht angewiesen.

Auf Knien hockte ich zwischen seinen Beinen. Er tätschelte meinen Kopf, als wollte er mich trösten.

Ich brauchte keinen Trost.

Ich brauchte einen Auftragskiller, der Alan schöne Grüße von mir ausrichtete. Er musste ihn keinesfalls gleich töten. Es reichte, wenn er ihm ein paar Löcher verpasste.

Ich war traurig, wütend und antriebslos. Ein leidlicher Gefühlswirrwarr. Schon komisch, dass ich hier vor Roman hockte. Vor einer Weile hätte ich noch geglaubt, in einer Parallelwelt gelandet zu sein. Doch inzwischen war es mein alltägliches Leben; der Vampir mein Fels in der Brandung. „Ich hätte dir seinen Anblick gern erspart.“ Roman strich sanft über meinen Rücken, während ich zwanghaft versuchte, meine Schluchzer zu unterdrücken. Verdammt noch eins! Die könnten langsam wieder aufhören. „Es war nicht sein Anblick, sondern das, was er gesagt hat.“, raunte ich heiser, war mir aber sicher, dass Roman es trotzdem hörte. „So? Was hat er denn gesagt? War er eifersüchtig?“ Ich biss mir auf die Lippen und schüttelte den Kopf. „Eher… widerwärtig.“

Endlich löste ich meine ineinander verknoteten Hände voneinander und legte sie auf Romans Brust. Damit schob ich ihn gleichzeitig ein Stück von mir weg. „Danke.“, murmelte ich, mir meiner tränennassen Wangen sehr wohl bewusst. Ich musste wirklich umwerfend aussehen! „Schhh, nicht dafür.“ Mit klopfendem Herzen ließ ich es geschehen, dass er mein Gesicht umfasste und mit den Daumen sanft meine Tränen abwischte. „Ich bin so wütend auf ihn, Roman.“

„Ich weiß.“

„Warum kann er mich nicht in Ruhe lassen?“

„Willst du das denn?“ Und ob! „Natürlich. Er will nichts mit mir zu tun haben. Warum ignoriert er mich nicht einfach? Wenn er keine Gefühle für mich hat, dürfte ihm das doch nicht so schwer fallen.“ Ich rappelte mich auf, lief zum Bett und ließ mich darauf nieder, als lasteten die Sorgen der gesamten Welt auf mir. Roman drehte sich lächelnd um. Er erhob sich ebenfalls, kam langsam zu mir und ging vor mir in die Knie. Ich öffnete meine ganz automatisch. Roman rutschte näher. Stützte seine Hände neben meinen Oberschenkeln ab. Ich spürte seinen warmen Oberkörper. Ich fragte mich, warum ich mir das freiwillig antat. Gleichzeitig ignorierte ich das aufkommende Verlangen. „Eine schwierige Frage. Ich kann sie dir nicht beantworten.“ Empört spitzte ich die Lippen. „Du könntest mal in seinen Kopf spazieren und den ein bisschen durchpusten.“

„Könnte ich. Soll ich?“ Ich nickte bestimmt. „Wenn es irgendwie hilft? Er muss weiß Gott nicht über mich herfallen. Er soll mich doch bloß in Ruhe lassen.“ Abgehackt holte ich Luft. Erneut bahnte sich ein Heulkrampf an.

Ich wollte nicht heulen.

Nicht wegen Alan.

Das war er nicht wert.

Mühsam blinzelte ich die neuen Tränen weg. Atmete tief ein und aus. „Da habe ich einen knackigen Kerl zwischen meinen Beinen und heule wegen einem anderen. Ist das denn zu fassen?“ Mein Lachen klang eingerostet. Vermutlich wegen des Drangs, ein paar Tränen zu vergießen, den ich nicht abschütteln konnte. Als würde mir das helfen, meine Sorgen wegzuwaschen. „Schade, dass er weg ist. Sonst könnte ich ihn ein bisschen ankokeln.“

„Das willst du doch gar nicht, Sam.“

„Doch, will ich.“

„Aber nicht in meinem Haus.“

„Dann eben vor deinem Haus.“

„Das könnte jemand sehen.“

„Mir doch wurscht!“ Roman lachte. „Ist es dir nicht. Komm schon. Hast du keine besseren Vorschläge?“ Auf Anhieb fiel mir nichts ein. Ihm in den Hintern zu treten klang verlockend. Doch ich würde mir an seinem Gesäß den Fuß brechen. Außerdem würde er kaum stillhalten. „Du könntest ihn in die Badewanne verfrachten und dich auf ihn drauf hocken. Oder mit etwas Vampirhokuspokus darin festhalten. Ich dreh das Wasser auf und wenn die Wanne voll genug ist, bringe ich das Wasser zum Kochen.“ Roman lüpfte eine Augenbraue. Ich seufzte. „Du hast recht. Ziemlich umständlich. Ich könnte ihn auch gleich ersäufen.“ Grübelnd biss ich mir auf die Unterlippe. Brach in Gelächter aus, weil die Vorstellung einfach zu idiotisch war. „Ich bin dämlich. Sag nichts.“ Roman kam meinem Wunsch nach. Er sah mich lediglich an.

Das Schweigen zog sich in die Länge. Angenehm. Doch es schlug um in etwas Anderes. Innerlich grinsend – noch ein bisschen breiter als Alices Grinsekatze – registrierte ich, dass seine Hände an meinen Oberschenkeln auf und ab glitten.

Langsam.

Mit leichtem Druck.

Ich bemerkte seinen hungrigen Blick, der auf meine Lippen gerichtet war. Ich könnte die Initiative ergreifen. Mehr als einen Korb konnte ich mir kaum einhandeln. Doch noch während die Idee in meinem Kopf reifte, blinzelte Roman, klapste leicht auf meine Oberschenkel und stand auf. „Wie fühlst du dich?“ Als hätte ich verpasst auf den Zug aufzuspringen. Ansonsten ganz prima.

Hatte ich neuerdings etwas an mir, dass Männer mich nicht ins Bett zerren wollten?

Roch ich?

„Gut. Es ist sicher noch Kaffee da. Nimm dir, wenn du willst. Und fühl dich wie zu Hause. Wenn was ist, ruf Edgar. Ich muss… etwas erledigen. Dauert nicht lange.“

Roman verschwand.

Mal wieder.

Es kam mir vor wie eine Flucht.

Toll. Falls er vor seinen Hormonen floh – besaßen Vampire sowas überhaupt – war er blöd. Meine tanzten nämlich Hula samt anschließendem Striptease.

Unauffällig schnüffelte ich an meinen Achseln. Ich roch gut. Nach frischer Wäsche. Nach mir. Roman hatte seine Nase nicht gerümpft. Doch woher sollte ich wissen, was er auszusetzen hatte? Ich könnte nämlich Stein und Bein schwören, dass er ganz kurz davor gewesen war, seine Zunge in meinen Mund zu schieben. Zugegeben: Ich war ein wenig aus der Übung. Bedeute jedoch keinesfalls, dass ich Signale derart gründlich missverstand. So sah man keine Schwester an. Außerdem hatte ich schon zwei Brüder. Ein dritter war überflüssig. Sollte ich Roman irgendwann mitteilen. Aber wozu?

Tja, das war die Eine-Million-Euro-Frage.

Viel leichter war zu beantworten, ob es mir nach einem weiteren Kaffee gelüstete. Tat es. Also verließ ich das Gästezimmer.

Edgar fand ich nicht auf Anhieb. Dafür die Kaffeekanne. Sie war voll. Extra frisch angesetzt. Ich könnte Edgar knutschen! Ach nein…, besser nicht. Wenn der auch noch wegrannte, wäre mein Selbstvertrauen völlig im Eimer.

Ich nahm mir einen Kaffee, stibitzte eins der leckeren, süßen Teile, die unter einer Haube auf dem Küchentisch standen und trollte mich damit in Romans Wohnstube.

Fernsehend verbrachte ich den Vormittag. Mittags aß ich zusammen mit Edgar. Von Roman keine Spur. Auch am Nachmittag lief ich ihm nicht über den Weg. Er war eine miserable Krankenschwester – glänzend durch Abwesenheit.

Ha!

Sollte ich nochmal umkippen, bekäme er davon jedenfalls nichts mit.

Irgendwann entschied ich mich für einen Spaziergang. Es war herrliches Wetter. Und entgegen Romans Aussage, die Nachbarn könnten etwas sehen – den angebrannten Alan zum Beispiel – gab es weit und breit kein Haus. Womit auch immer Roman sein Geld verdiente, knapp war es jedenfalls nicht. Sonst könnte er sich kaum ein solches Anwesen leisten. Ausgeschlossen! Zudem war es nicht das einzige. Ich wusste, dass es da noch eine ganze Menge mehr Häuser gab, die ihm gehörten.

Ich vertrödelte den Nachmittag, die Sonne genießend. Sowie ich das Haus betrat, war Roman da. Schmunzelte und tadelte mich gleichzeitig. Was konnte ich denn dafür, wenn die Krankenschwester sich anderweitig vergnügte?

Den Abend verbrachten wir mit Scrabble und Monopoly.

Ganz bestimmt das erste und letzte Mal.

Roman spielte unfair.

Er schummelte… was er beharrlich abstritt.

Aber ich las es in seinen amüsiert funkelnden Augen. In meiner Nähe vergaß Roman hin und wieder, sich wie ein Vampir zu benehmen.

Das wusste ich durchaus zu schätzen.

Seine menschliche Seite gefiel mir sehr, sehr viel besser; wenn wir nicht gerade in einen Kampf auf Leben und Tod verstrickt waren. Und dabei auf der gleichen Seite standen. Vielleicht fiel es ihm aber auch gar nicht so schwer, zwischen seinem vampirischen Selbst und dem menschlichen Schauspiel, zu wechseln. Möglicherweise war dies ein untrügerisches Zeichen für seine raubtierhafte Spezies. Das Opfer in Sicherheit wiegen. Klar. Wären Vampire weniger anpassungsfähig, hätten sie kaum so lange überlebt.

Wäre doch schade, wenn einem das Essen ständig davon lief.

Obwohl… Herrje!

Ich fragte mich, wohin meine Gedanken führen sollten. Roman verhielt sich so, weil er mein Freund war. Ein platonischer Freund, der sich in meiner Gegenwart wohl fühlte. Der wollte, dass ich mich wohl fühlte. Das war eine plausible Erklärung.

Wäre es ihm egal, würde er wie eine Statue verharren. Das konnten Vampire ziemlich gut – wie ich eben feststellte. Wahrscheinlich so ein Vampirdings… das Äquivalent zu einem Telefongespräch. „Ich würde dir gern noch ein wenig Gesellschaft leisten, Sam. Doch ich fürchte, das muss warten.“ Ich winkte ab. Ich war schon groß. „Keine Sorge. Mach du dein Ding. Ich bin sowieso müde. Bis morgen.“ Gleich nach Romans Verschwinden hievte ich meine müden Glieder ins Gästezimmer.

Ich nutzte das integrierte Bad und fiel kurz darauf ins Bett.

Augenblicklich schlief ich ein.

Homo sapiens movere ~ geliebt

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