Читать книгу Homo sapiens movere ~ geliebt - R. R. Alval - Страница 7

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Am frühen Nachmittag wachte ich auf. Schlaftrunken taumelte ich aus dem Bett, direkt ins Bad und dort unter die Dusche. Ganz bestimmt hatte ich diesen langen, tiefen Schlaf Romans Trickkiste zu verdanken. Allein schlief ich niemals so lang. Es sei denn, ich ging spät ins Bett.

Von Roman weit und breit keine Spur. Auf meine gedanklichen Rufe reagierte er sofort. Wie geht es dir, Sam? Ich konnte nicht klagen. Es ging mir fantastisch. Sehr schön. Wir reden später. Er klang, als sei er mit Wichtigerem beschäftigt. Gut. Ich war nicht auf ihn angewiesen. Reden konnten wir auch später. Jetzt hatte ich erst mal einen Bärenhunger.

Ein Blick in meinen Kühlschrank ließ mich die Augen rollen und den Mund verziehen. Das war so was von typisch! Das Ding war randvoll – mit Nichts zu essen.

Zum Kochen hatte ich keine Lust und so entschied ich mich, Chris anzurufen und ihn zu fragen, ob er mit mir Essen ging. Zur Not könnte ich auch allein gehen, aber in Gesellschaft war es allemal schöner. Falls er verhindert war, konnte ich Trudi anrufen. Oder Claudia. Aber die war sicher mit ihren Kindern vollauf beschäftigt. Und der unschönen Aufgabe einer Scheidung. Außerdem war es mitten am Tag. Meine Freundinnen würden noch auf Arbeit sein.

Während ich mir das Telefon schnappte und Chris’ Nummer wählte, loggte ich mich ins Internet ein und schaute nach Aufträgen. Zu meinem Glück lagen keine vor. Meine Güte, wenn ich bedachte, dass ich bei einem meiner Streifzüge in Ohnmacht fiele, das wäre… ähm… blöd, saudämlich, beschissen, volldeppert, unschön.

Ene, mene Muh…

Bloß… welche Ursache gab es dafür? Laut den Ärzten – und Stépan – war ich kerngesund. Eine Schwangerschaft war ausgeschlossen, und durch Romans Blut war ich quasi in einen allheilenden Jungbrunnen geplumpst. Die Ohnmachtsanfälle hatten nichts mit meinen Fähigkeiten als movere zu tun. Dessen war ich mir absolut sicher.

Mein Anteil als Saphi vielleicht?

War ich überlastet?

Zu viel Energie?

Zu wenig?

War das möglich?

Hatte es doch was mit Alan zu tun?

Es war zum Haare raufen. Niemand konnte mir eine Antwort geben; ich mir selbst am Allerwenigsten.

Mit einem Blick auf meine gut gefüllten Bankkonten und einem in die Website, auf dem meine letzten ‚Fundstücke’ versteigert wurden, legte ich mir einen selbst auferlegten Zwangsurlaub zu. Meine Anfrageoption wurde gesperrt. Solange, bis ich wusste, wie ich diese blöden Umfallattacken aufhielt. Beziehungsweise welche Ursache sie hatten und wie ich diese bekämpfte.

Chris, den ich inzwischen am Telefon hatte, sagte mir direkt zu. Er schien eben erst aufgestanden zu sein. Hoffentlich musste er nicht erst eine seiner vielen Frauen heimschicken. Oder noch schlimmer: Brachte sie mit!

„Soll ich dich abholen?“

„Ja, bitte.“ So gern ich auch selbst gefahren wäre, das Risiko einen weiteren Unfall zu bauen, weil sich unangemeldet sämtliche Körperfunktionen einstellten, konnte und wollte ich nicht eingehen.

In der Zwischenzeit machte ich mich ein bisschen zurecht. Im Schlabberlook brächten mich keine zehn Pferde in die Stadt. Dann schnappte ich meinen Rucksack, den ich im letzten Moment gegen eine Handtasche eintauschte und wartete auf Chris. Nach gut einer viertel Stunde hielt er vor dem Haus. Natürlich zog Chris mich wegen der Handtasche auf, aber ich grinste und bat ihn, mich daran zu erinnern, sie nirgends liegen zu lassen.

Während des Essens in einem schicken Lokal, plauderten wir über alltägliche Dinge, und ich heulte mich bei Chris aus, dass ich viel zu jung sei, um Abend für Abend allein vor der Glotze zu hängen. Dabei war ich oft genug mit Trudi und Claudia unterwegs gewesen. Sogar in einem Club, indem man sich vergnügte, tanzte und neue Leute kennen lernte. Aber hatte ich einen neuen Mann kennengelernt?

Nein.

Naja, ich war mit Roman… äh… intim geworden. Hieß das jetzt, wir hatten eine Beziehung? Ich glaubte nicht so recht daran. Wusste auch nicht, ob ich das wirklich wollte.

Umso erfreuter war ich über Chris’ Vorschlag, dass wir am Abend unbedingt einen draufmachen sollten. „Treffen wir uns um neun?“ Ich nickte. „Und wo?“ Chris ließ seine Augenbrauen hüpfen und senkte seine Stimme eine Oktave tiefer. „Im Reißzahn.“ Was? Kein Wunder, dass ich ihn nie im Cluchant entdeckt hatte. „Meinst du den neuen Club im Dom? Wirklich?“ Er nickte ernst, aber mit freudig glühenden Augen. „Super Stimmung. Nette Leute. Ein bisschen verrückt, aber da passen wir wunderbar rein.“ Dieser Club wäre nicht meine erste Wahl gewesen.

Vermutlich auch nicht die zweite.

Um ehrlich zu sein, hatte ich den gar nicht in Erwägung gezogen. Ich konnte nur hoffen, dass sich dort nicht nur Andersweltler herum trieben. „Vertrau mir Sam, es wird lustig.“ Sein Wort in Gottes Gehörgang! Aber da ich mit meinem Schicksal haderte – beziehungsweise dieses mit mir – war ich mir ziemlich sicher, dass irgendetwas schief gehen würde.

Die Stunden bis zum Abend rasten förmlich dahin. Von Roman hörte ich nichts. Also hatte ich auch kein schlechtes Gewissen. Warum auch?

Punkt Neun betrat ich den Club. Und, uh… ich sah heiß aus. Richtig heiß! Wenn sogar Chris bei meinem Anblick nach Luft schnappte, hatte ich erreicht, was ich wollte. Ich trug ein nagelneues Outfit, was geradezu nach Sünde schrie. Sündhaft teuer zum Beispiel. Aber das war es allemal wert. Eine sehr knappe, wie auf die Haut gemalte, dunkelrote Lederhose, dazu passende Highheels und ein weißes, bauchfreies Top, das einen großzügigen Blick auf mein Dekolleté gewährte. Meine Haare waren zwar seit dem letzten Friseurbesuch etwas gewachsen, trotzdem hatte ich sie mit Gel in eine fetzige Stachelfrisur verwandeln können. Mein Make-up passte, und ich hatte sogar eins der Parfums aufgelegt, die keinem Gestaltwandler in der Nase juckten oder zu einem Amoklauf trieben.

Chris, der eine schwarze Jeans und ein weißes Hemd trug, strahlte wie ein Grand-Prix-Gewinner, als er mich erspähte. Er pfiff sogar anerkennend durch die Zähne. „Oh lala, meine Süße, wen willst du denn aufreißen?“ Meine Augenbrauen hüpften belustigt. „Schauen wir mal. Der Abend ist noch jung.“ Chris lachte, schnappte meine Hand und zog mich hinter sich her zur Bar. Dort bestellte er uns ein Bier.

In der Zwischenzeit schaute ich mich um. Hier im Reißzahn war wirklich alles vertreten: Vom Möchtegernrocker, der von den Weren beachtet werden wollte. Über den Gothikanhänger, der um die Gunst der Vampire warb. Zur Lolita, die wahrscheinlich viel älter war, als sie aussah. Bis hin zu absoluten Normalos und diversen Spezies der Anderswelt, die nicht unbedingt durch ihren Kleidungsstil ins Auge fielen.

Mit dem Bier schoben wir uns an einen Tisch. An diesem hatten wir einen Großteil des Clubs im Auge. Wir unterhielten uns prächtig. Eigentlich schrien wir mehr, als das wir sprachen, denn der Geräuschpegel war extrem hoch.

Natürlich wollte Chris wissen, was ich die letzte Zeit so getrieben hatte. Wie es mir ging. Ich erzählte ihm vieles, aber nicht alles. Die brisanten Details ließ ich aus. Bei Chris hatte sich nicht viel getan. Noch immer hüpfte er von Frau zu Frau. Und noch immer lebte er in den Tag hinein. Um ehrlich zu sein, konnte ich ihn mir auch gar nicht anders vorstellen. Chris und verantwortungsbewusst?

Eher fror die Hölle zu.

Samt aller Insassen.

Im Sommer.

„Los. Wir amüsieren uns. Ich schnapp mir die Süße da drüben und du dir den Kerl gleich daneben.“ Chris lief los, ehe ich kapierte, wovon er sprach. Ah. Die Brünette fiel genau in sein Beuteschema. Der Kerl – nicht unbedingt – in meines. Was tat man nicht alles für gute Freunde.

Eine halbe Stunde später standen wir wieder am Tisch. Chris mit der Hübschen im Arm; ich allein. Den Typ war ich Gott sei Dank wieder losgeworden. Da sah ich ihn.

Verdammt!

So viel Pech konnte doch nur ich haben, oder?

Was – zum dreifaltigen, bunt getupften Kuckuck – machte Alan hier?

Hoffentlich sah er mich nicht. Meine Hoffnung wurde zerstört. Es schien beinah so, als suche er gezielt nach mir. Denn so wie er mich sah, kam er mit schnellen Schritten auf mich zu. Ihm musste jemand gezwitschert haben, dass ich hier war. Chris und seine neue Flamme waren beschäftigt. Neben denen könnte jetzt eine Bombe einschlagen. Also keine Deckung von dieser Seite.

„Sam.“

„Alan.“

„Komm mit.“ Ich schüttelte den Kopf. „Mit dir gehe ich nirgendwo hin.“ Meine Worte ignorierend hob er mich schwungvoll hoch und warf mich über seine Schulter. Dass ich mich wehrte und wie eine Irre auf seinen Rücken einprügelte, interessierte ihn kein bisschen. Meine Schreie, dass er mich sofort abzusetzen hatte, wurden übertönt von der grölenden Masse, die Alan lauthals anfeuerte.

Vermutlich gingen die davon aus, dass er mit mir gleich eine flotte Nummer schob.

Ich hatte die viel grauenvollere Vorahnung, dass er mir, sobald wir allein wären, den Kopf abriss.

Weswegen auch immer. Leider hielt mich mein Gewissen davon ab, ihn inmitten der Massen vor aller Augen zu frittieren.

Er trug mich durch eine massive Stahltür, so dass der Lärm abrupt verstummte, als diese hinter uns zufiel. Jetzt könnte ich ihn brutzeln. Aber hinterher wäre er vermutlich noch angepisster. Es sei denn, ich fackelte ihn komplett ab. Hm… zu viele Zeugen, die mich mit ihm gesehen haben…

Alan lief weiter. Einen langen, spärlich beleuchteten Flur entlang. Dort stieß er eine weitere Tür auf, die in einen separaten Bereich des Clubs führte. Ich war mir sicher, dass hier kein Mensch freiwillig seinen Fuß herein setzte. Viel sah ich nicht, aber das mulmige Gefühl, was sich in meinem Nacken ausbreitete, das rote Licht, die schwarze Auslegeware und der Geruch nach Vampiren, verhieß nicht unbedingt eine Kuschellounge.

Zügig durchquerte Alan den Raum.

Nichts und niemand hielt ihn auf. Schon gar nicht mein Gezeter. Er öffnete eine weitere Tür, hinter der setzte er mich ab.

Die Tür verriegelte er, bevor er sich bedrohlich vor mir aufbaute.

Da die Wände allesamt mit erstaunlich echt aussehenden Folterwerkzeugen, Handschellen und Ketten dekoriert waren – Oh Scheiße, ist das Blut? – traute ich mich nicht, zurückzuweichen. Mein Arsch ging auf Glatteis. Genau das musste Alan bezweckt haben. „Hier sind wir ungestört. Allzu unwohl kannst du dich hier nicht fühlen, stimmt’s?“ Äh… wie bitte? Mir war vollkommen neu, dass ich auf Folterspielchen stand. Keine Ahnung, woher Alan diese Vermutung nahm. Er lag mit seiner Anspielung falsch.

Wartete er auf eine Antwort?

Da konnte er lange warten.

Ich war stinksauer auf ihn. Was bildete er sich eigentlich ein? Wütend verschränkte ich die Arme. Dabei ließ ich mir nicht anmerken, wie unwohl ich mich fühlte. „Machen wir es kurz. Wo warst du gestern Abend?“ Bitte? Was ging denn ihn das an? „Du kannst mich mal, Alan. Es geht dich einen Dreck an, wo ich mich wann aufhalte.“ Der hatte wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank. Verächtlich schnalzte er mit der Zunge. „Das hättest du wohl gern, hm?“ Au backe, er war wütend. Richtig wütend! So wütend, dass sich seine Augenfarbe änderte und seine Hände…

Oh Mist, das sah überhaupt nicht gut aus.

„Ähm… Alan? Beruhige dich, ja?“ Verdammt, ich wollte ihm nicht sagen, dass ich daheim gewesen und umgekippt war. Sein Mund verzog sich zu einem verhassten Grinsen, wobei er ein eindrucksvolles Raubtiergebiss entblößte. Dass ich mich rückwärts von ihm weg bewegte, merkte ich erst, als die Wand mich aufhielt. Doch blöderweise war der Abstand zu ihm dadurch nicht geringer geworden. Mit einem Krachen schlug seine Faust unmittelbar neben meinem Kopf gegen die Wand, aus der jetzt feiner Putz rieselte. „Sag mir, verflucht nochmal, wo du warst!“

Ich brauchte eine Weile, um meine Stimme zu finden, die mit meinem in meinem Hals pochenden Herzen einen unfairen Kampf ausfocht. „Zu Hause.“ Alan kniff seine Augen zusammen. „Mit Roman?“ Ähm… so könnte man es unter Umständen sagen. Ich schüttelte den Kopf und schluckte, während ich ihm leise mitteilte, dass ich mit Trudi zusammen gewesen war. Naja, und anschließend mit Roman, der Trudis Erinnerung ein wenig umsortiert hatte – was ich ihm nicht sagte. „Äußerst praktisch für ein Alibi, meinst du nicht?“

Ok… So nicht! Für was sollte ich jetzt schon wieder der Sündenbock sein?

„Ich kapiere nicht, was es daran auszusetzen gibt. Es ist die Wahrheit. Und wenn du deswegen alle Wände einschlagen willst oder auf mich, bitte, nur zu!“, fauchte ich in einem kurzen Wutausbruch, der meine Angst um Kilometer überragte. Ich hoffte allerdings, dass er meine Worte nicht ernst nahm.

Immerhin war ich mir nur allzu bewusst, dass es ihm egal war, ob er mich verletzte. Das hatte er mir oft genug eindrucksvoll bewiesen. Tja, sollte es so weit kommen, würde ich mich verteidigen. Solange er jedoch nur mit Worten um sich schlug, konnte er mich mal kreuzweise.

Alan hatte sich immer noch nicht beruhigt. Aber er dachte nach. Das konnte ich an seiner gerunzelten Stirn erkennen. „Bist du den ganzen Abend daheim gewesen?“ Vorsichtig nickte ich. „Ab wann war deine Freundin da?“ Es war ein Verhör. Worauf er hinauswollte, ahnte ich nicht mal ansatzweise. „Und anschließend bist du direkt ins Bett?“ Langsam nickte ich. „Allein?“ Darauf antwortete ich nicht.

Alan zuckte mit keiner Wimper, gab sein Raubtierimage allerdings trotzdem noch nicht auf. Nach wie vor hatte ich meine Arme verschränkt. Es kostete mich einige Anstrengung, diese Haltung beizubehalten, als er mir sehr nah kam und an meinem Hals schnupperte. Dabei streifte sein Brustkorb meine Arme, was ähnliche Auswirkungen auf meinen Körper hatte wie ein Stromschlag. „Du scheinst die Wahrheit zu sagen. Ich rieche keine Lüge.“ So was konnte er? War ja abgefahren! „Bist du fertig? Dann kann ich mich wieder amüsieren.“ Alan schenkte mir einen Blick, der meine Beine weich werden ließ, wobei mir die Gründe schleierhaft waren. „Du meinst, wieder flirten.“ Tief Luft holend hob ich meine Schultern. „Ist das nicht dasselbe?“ Alan lachte leise. „Du scheinst die Gefahr zu lieben. Oder macht es dich an, wenn Roman dich bestraft?“ Aus welchem Grund sollte der das tun?

Ach ja, Alan hatte ja seine eigene Vorstellung… von mir und Roman.

Zeugte es nicht von einem gewissen Grad an Eifersucht, wenn er ständig darauf zu sprechen kam? Nein, Sam. Tu dir das nicht an. Es ist Alan egal! Du bist ihm unwichtig! Das sollte mein Verstand lieber meinem Körper sagen, der erwartungsvoll summte, als Alan meine Handgelenke umfasste, sie an die Wand tackerte, seinen Körper an meinem rieb und meinen Hals küsste. Ich hörte ein Klicken und meine Hände hingen in Handschellen. Alans Hände strichen an meinen Seiten nach unten. Fuhren unter mein Shirt und schoben dieses nach oben.

Moooo-ment mal; ohne mich!

So viel Verstand besaß ich noch.

Ohne Mühe öffnete ich die Schlösser, befreite meine Hände und stieß Alan heftig von mir. Einen kurzen Augenblick schien er irritiert zu sein. Doch schon in der nächsten Sekunde hatte er sich wieder gefangen. Vielleicht hatte ich mich auch getäuscht. „Keine Lust? Ein Quickie mit dem Ex soll ziemlich berauschend sein.“ Hm, da müsste er eine andere Ex fragen. „Werde ich mir merken. Und jetzt bring mich zurück.“

Schnaubend packte er mich am Handgelenk und zog mich im Laufschritt hinter sich her, bis wir den Raum mit den Vampiren durchquert hatten. Dann ließ er mich augenblicklich los. Als hätte er sich an mir verbrannt.

Ich war stolz darauf, dass ich nicht weich geworden war. Und noch stolzer, dass ich keinen Drang verspürte in Tränen auszubrechen.

„Viel Spaß noch.“, raunte er, als wir endlich wieder den richtigen Teil des Clubs betraten. „Werde ich haben.“ Weder dankte ich ihm noch wünschte ich ihm dasselbe. So viel Nettigkeit hatte er von mir nicht verdient.

Chris war nach wie vor mit der Brünetten beschäftigt – ähm… sehr beschäftigt – und ich zwängte mich an die Bar, an der ich mir ein weiteres Bier bestellte.

Und einen Whiskey.

Und noch einen.

An Flirten war nicht mehr zu denken. Ich war angepisst. Aber sowas von! Dass ich den Club nicht vor lauter Wut abfackelte, machte mich stolz. Ich könnte es tun. Stattdessen trank ich weiter.

Als ich endlich daheim war, war es draußen schon hell. Notdürftig schminkte ich mich ab, wusch mich und fiel ins Bett.

Nur wenige Minuten später klingelte es. Warum um alles in der Welt klingelte mein Kopfkissen? Oder war es der Wecker?

Hatte ich den gestellt?

Nur langsam hob ich meine schweren Augenlider und warf einen Blick auf den Wecker, der mir zeigte, dass ich nur zwei Stunden Schlaf abbekommen hatte. Erst jetzt registrierte ich, dass das Klingeln von meiner Wohnungstür kam. Welcher Volltrottel schmiss mich an einem Samstagmorgen um sieben aus dem Bett? Ich wollte es ignorieren, aber wer immer seinen Finger auf den Knopf drückte, schien entschlossen zu sein, notfalls den ganzen Tag zu klingeln. Fluchend quälte ich mich aus dem Bett. Mit halb geschlossenen Augen trottete ich zur Gegensprechanlage und fauchte dort hinein, welcher Blödmann mich um meinen Schönheitsschlaf brachte.

Natürlich.

Alan.

Wer sonst sollte so unverschämt sein?

„Verpiss dich! Du bist hier unerwünscht.“

„Mach die Tür auf, Sam oder ich schwöre dir, ich trete sie ein!“ Oh bitte, für wen hielt er sich? „Versuch es und ich rufe die Polizei.“ Alan lachte leise. „Du weißt, dass die sich nicht in Rudelangelegenheiten einmischen.“ Selbst mit meinem halbkomatösen Hirn musste ich lachen. „Klar. Aber ich gehöre zu keinem Rudel. Und jetzt lass mich in Ruhe.“

Sein Fauchen war sehr, sehr eindrucksvoll.

„Mach. Die Tür auf. Sam! Es sei denn, du möchtest, dass ich den menschlichen Ordnungshütern einen gewissen Tipp gebe?“ Oh bitte! Wenn er noch lauter brüllte, würde die gesamte Nachbarschaft hellhörig werden.

Nur widerwillig drückte ich auf den Summer, ließ meine Wohnungstür angelehnt und taperte mit immer noch halb geschlossenen Augen in meine Schlafstube, schlüpfte in einen Jogginganzug, schmiss mir im Bad kaltes Wasser ins Gesicht und prallte auf dem Weg in die Küche gegen Alan. Erschrocken keuchte ich auf.

Das ‚Guten Morgen‘ sparte ich mir – es wäre ohnehin eine Lüge.

Ich zwängte mich an ihm vorbei in die Küche und setzte mir einen Kaffee an. Mir! Eine Tasse. Sollte er doch den Geruch inhalieren. „Ist Roman bei dir?“ Gedanklich schnappte ich nach Luft. Sonst noch was? Ich kochte vor Wut. „Jepp, ist er. In meinem Schlafzimmer. Im Wandschrank. Weitere Fragen?“ Seine Mundwinkel zuckten. Offenbar hatte er meinen Sarkasmus bemerkt.

Ich schenkte mir meinen Kaffee ein und lehnte mich – provozierend an diesem schlürfend – an die Anrichte. „Was willst du?“ Er war doch nicht hier, um Roman zu finden. „Das Rudel braucht deine Hilfe.“ Gut, dass ich nur an meinem Kaffee nippte. Sonst hätte ich mich daran verschluckt und ihn in Tröpfchenform in meiner Küche und über Alan verteilt. „Abgelehnt. Das hätte ich dir auch am Telefon sagen können.“ Alan schüttelte den Kopf. „Du verstehst mich nicht. Wir beanspruchen deine Dienste. Wir bezahlen dich dafür.“ Vorsichtig setzte ich die Tasse ab und verschränkte meine Arme. „Meine Dienste sind für dich und das Rudel nicht verfügbar. Das ist das schöne an meinem Job: Ich kann ablehnen. Zudem nehme ich im Moment aus gesundheitlichen Gründen gar keine Jobs an. Nimm es also nicht persönlich.“ Ich könnte mein Gesicht zu einem Grinsen verziehen, nur um ihn zu ärgern. Doch mir war nicht nach Lachen zumute. Noch nicht. „Wir bezahlen dich.“, fauchte Alan, der ein Nein nicht akzeptierte. Meine Problemchen überging er kurzerhand. „Das habe ich durchaus verstanden. Es ändert aber nichts an meiner Entscheidung. Such dir jemand anderen. Ich kann nicht.“

Ein Glucksen bildete sich in meiner Kehle, als er mir erklärte, er bräuchte jemanden, dem er und das Rudel vertrauten.

Es brach vollends aus mir heraus, als er erwähnte, dass ich nicht nur für, sondern mit ihm zusammen arbeiten sollte.

Ich bemerkte zu spät, dass Alan das nicht ebenso amüsant fand wie ich.

Doch da lag ich schon auf dem harten Boden meiner Küche. Alan hockte auf mir und fletschte seine Zähne. Trotzdem konnte ich das blöde Lachen partout nicht abstellen. Sobald ich sein todernstes Gesicht sah, brach ich erneut in wieherndes Gelächter aus. Vor lauter Lachen kamen mir die Tränen. „Reiß dich zusammen, Sam. Das ist nicht witzig!“ Jahaaa, für ihn vielleicht nicht. Ich hingegen fand es zum Brüllen komisch.

Mein Lachen erstarb durch einen gequälten Laut aus meinem Mund, weil Alan meine Handgelenke so fest auf den Boden drückte, dass sie knirschten. „Meinst du, ich werde dich anbetteln? Du wirst für das Rudel arbeiten, Sam. Entweder freiwillig oder ich zwinge dich dazu. Deine Entscheidung.“ Meine Entscheidung, hm? Entweder brach er mir alle Knochen oder ich gehorchte? Oh man, ich hasste ihn. Inbrünstig! War das wirklich der Mann, in den ich mich verliebt hatte? Der mir im ungünstigsten Moment immer noch das Herz brach?

Also, wenn ich die Wahl hatte zwischen gebrochenen Knochen und ein paar Tagen, die ich mit ihm aushalten musste und die mir auch noch bezahlt würden – haha, was waren schon ein paar gebrochene Knochen?

Wollte er mich mit etwas anderem zu einer Kooperation zwingen?

Das Risiko musste ich eingehen.

Mit geballten Fäusten und zusammen gebissenen Zähnen schüttelte ich den Kopf. „Nein. Ich werde nicht für dich arbeiten. Und jetzt geh von mir runter und verschwinde aus meiner Wohnung.“ Alan grinste eisig. „Sonst was?“ Oh, wie wäre es mit geröstetem Alpha? „Willst du mir drohen, Sam? Vergiss nicht, wer ich bin.“ Ok, sein grausiges Grinsen bekam ich ebenso gut hin. Wie könnte ich vergessen, dass er der größte, lebende Kotzbrocken war? Wo war Roman, wenn ich ihn brauchte? Oder Stépan?

Ah ja, Rudelangelegenheiten – wie ich das Wort hasste!

Ich gehört nach wie vor dazu, auch wenn ich das Alan nie im Leben auf die Nase binden würde. „So blöd bin ich nicht. Und jetzt verpiss dich endlich!“ Sein Glück, dass er mich losließ und aufstand.

Geräucherten Gestaltwandler brauchte ich nun wirklich nicht in meiner Küche. Den Gestank würde ich wochenlang nicht loswerden.

„Du wirst für mich arbeiten, Sam. Ich erwarte dich heute Abend um sieben auf meinem Anwesen. Sei pünktlich!“ Oh bitte! Diese Stimme funktionierte bei mir nicht. „Zwang hat auf mich keine Wirkung, schon vergessen?“ Er grinste, wobei er seine makellosen Zähne zeigte und sich zu meinem Ohr neigte. „Ich wollte dir nur in Erinnerung rufen, was ich kann. Denn selbst, wenn es bei dir nicht funktioniert, bei deinen Freunden tut es das sehr wohl.“ Vor Entsetzen schnappte ich nach Luft. „Lass meine Freunde da raus!“ Nonchalant zuckte er mit den Schultern. „Dann solltest du dich lieber schnell entscheiden. Arbeite für mich oder lebe mit den Konsequenzen.“ Das konnte nicht sein Ernst sein, oder? „Das würdest du nicht tun. Ich kann wirklich nicht für dich arbeiten. Ich habe im Moment ein paar… Probleme.“, flüsterte ich mit flatterndem Herzen und abgehacktem Atem. „Sam, Sam.“, tadelte mich Alan, „Dir sollte klar sein, dass das Rudel für mich immer an erster Stelle steht. Deine Freunde sind unwichtig. Deine Probleme sind unwichtig. Du bist unwichtig. Aber ich brauche dich für diese Aufgabe. Ein anderer kommt nicht in Frage.“ Er wusste, dass er mich damit in den Händen hatte.

So ein Arschloch!

Mit zusammengebissenen Zähnen und zu Fäusten geballten Händen nickte ich. „Also gut. Normaler Tarif und Gefahrenzulage.“ Alan schnaubte belustigt. „Falsch, Sam. Nachdem du nicht sofort zugesagt hast, wirst du natürlich mit Freuden deine Hilfe umsonst anbieten. Um sieben bei mir. Sei pünktlich!“ Damit drehte er sich um und marschierte aus meiner Wohnung. „Du dämlicher Lackaffe, du selten blöder. Du …“ Verflucht! Was bildete sich dieses Arschloch ein? Ich ließ ihn ungeschoren davon kommen und fügte mich meinem Schicksal, ohne ihn auch nur ein winziges bisschen anzubrutzeln. Arrrgh!

Tja… welche Wahl blieb mir? Wenn meinen Freunden etwas passierte… Claudia, Trudi, Chris… das konnte ich nicht auf mich nehmen.

Noch einen Verlust würde ich nicht verkraften.

Ich hätte mich ohrfeigen können, dass ich mich darauf einließ.

Darauf einlassen musste, weil er meine einzige Schwäche ausnutzte. War ich nicht erbärmlich?

Ich heulte.

Schon wieder. Wirklich, das war doch das Letzte.

Das Allerletzte!

Viel zu wütend, um wieder ins Bett zu gehen, begann ich wie ein Taifun durch meine Wohnung zu sausen und diese gründlich zu putzen. Obwohl das überhaupt nicht notwendig war. Für ihn arbeiten, hm? Und was, wenn ich umfiel? In Alans Gegenwart? Würde er sich in Fäustchen lachen? Ich versuchte, es zu verdrängen. Der Versuch, Roman zu kontaktieren, schlug fehl. Den gesamten Tag über. Also musste ich ohne Rückendeckung los.

Gefiel mir nicht.

Meine Lady stand noch immer in der Werkstatt. Ich könnte das Auto nehmen. Ich war mir jedoch sicher, dass ich nach meinem Aufenthalt bei Alan dermaßen wütend wäre, dass ich als aktiver Autofahrer eine Gefahr für die Menschheit darstellte. Sofern ich das nicht schon tat, weil die Möglichkeit eines weiteren Aussetzers bestand. Darum rief ich mir ein Taxi.

Punkt sieben stand ich in der Lobby von Alans Anwesen und wartete auf den werten Herrn am-liebsten-würde-ich-ihm-die-Visage-umgestalten-Garu, der durch Abwesenheit glänzte. „Ein wichtiges Gespräch wird ihn noch ein Weilchen aufhalten.“, gab Scott mir räuspernd zu Verstehen. Gleichzeitig bat er mich, im kleinen Salon Platz zu nehmen.

Dankend lehnte ich ab.

Dort zerpflückte ich womöglich vor lauter Raserei die Kissen. Atmete dabei eine Feder ein.

Läge röchelnd am Boden…

Ungeduldig tippte ich mit den Fußspitzen auf den spiegelblanken Fußboden, trommelte mit den Fingern auf meine Oberarme, bis ich meine Hände schließlich in die Hosentaschen schob und beschloss, möglichst gelangweilt auszusehen. Ein schwieriges Unterfangen, weil ich stinksauer war. So stinksauer und kochend vor Wut, dass ich mich wunderte, dass noch keine Dampfwolken aus meinen Nasenlöchern und Ohren stiegen. Oder ich einfach in Alans schicker Eingangshalle explodierte und diese mit meinen Innereien dekorierte.

Dreimal in der nächster Stunde tauchte Scott lautlos wie ein Geist neben mir auf und fragte, ob er mir eine Erfrischung oder etwas zu Essen anbieten könnte.

Ich lehnte jedes Mal ab.

Nur einmal war ich ganz kurz davor, mir Alan al dente zu bestellen.

Während der Wartezeit überlegte ich mir mehrere Varianten für Alan möglichst schmerzhaftes Ableben und kam irgendwann sogar zu dem Schluss, dass er mich nicht erpressen könnte, wenn ich den Spieß umdrehte. Was, wenn ich sein geliebtes Rudel massakrierte? Ein Blitz hier, einer da… Alan würde mich durchschauen. Ich konnte keinem der Were absichtlich Schaden zufügen. Vielleicht sollte ich mir Alans Moral borgen? Beziehungsweise das Nichtvorhandensein derselben. Dann hätte ich keine Gewissensbisse. Aber nö! Obgleich ich tödlich war wie ein rasender Gestaltwandler oder ein wütender Vampir, besaß ich zu viele menschliche Skrupel und die Sanftheit eines Lämmchens.

Määäh.

Roman könnte mir ein wenig Rücksichtslosigkeit anzaubern…

Ich schloss die Augen, holte tief Luft und schüttelte den Kopf über diese absurde Idee. Nein, denn sobald der Zauber verblasste, würde ich mich verabscheuen.

Halb neun hörte ich, wie sich oben eine Tür öffnete. Kurz darauf eilten zwei kichernde Damen die Treppe herunter. Ihre Haare ein wenig zerzaust, leicht gerötete Wangen und freudig glänzende Augen. Zwei hübsche, zierliche Frauen. Derart zierlich würde ich nie sein. Dafür war ich zu muskulös. Und beide hatten lange Haare. Etwas, was in meinem Job gänzlich ungeeignet war.

Grundgütiger!

Ich verglich die zwei doch tatsächlich mit mir. Als würde ich mir eine weitere Chance ausmalen. Einatmen – Ausatmen. „Ladys, ihr habt was vergessen.“ Alan stieg die Treppe herunter und reichte den beiden je ein buntes Tüchlein… ähm, okaaay… keine Tüchlein. Du bist absolut uninteressiert und gelangweilt, rief ich mir in Erinnerung, so dass ich die darauf folgende Abschiedsszene nicht an mich herankommen ließ.

Nicht zu sehr.

Trotzdem nagte sie an mir wie ein böser, flüsternder Schatten.

Alan tat das absichtlich. Schlimmer noch, er genoss es. Doch es wurmte ihn, dass ich mir nichts anmerken ließ.

Hey, wow!

Ich schaffte es, dermaßen gelangweilt auszusehen, dass ich von ganz allein gähnte. Na wenn das keine Meisterleistung war. „Schön, dass du pünktlich bist, Sam.“ Ich schon.

Er nicht.

Hatte er eine andere Reaktion erwartet als mein blasiertes Lächeln? Nein. So wie er die beiden hinaus delegierte und sich nahtlos an mich wandte, als wäre ich nur ein x-beliebiger Besucher, wohl kaum. „Wie geht’s Roman?“

Avancierte ich jetzt zum Hellseher? „Ruf ihn an und frag ihn. Ich kann schlecht an zwei Orten gleichzeitig sein.“ Alan grinste hinterhältig, während er mich in den kleinen Salon dirigierte. „Stimmt. Tut mir leid, wenn ich dir den Abend versaue.“ Den Abend?

Das war die Untertreibung des Jahrtausends.

Seine hämisch in die Luft geschmetterte Entschuldigungsfloskel konnte er sich sonst wohin stecken. Doch auch die ignorierte ich. „Komm zur Sache, Alan.“ Nickend wies er mich zur Couch, an der ich provokativ vorbei lief und mich breitbeinig in den Sessel hockte. Ist der neu? Egal.

Meine Ellenbogen baumelten über meinen Knien. Gedachte er mir heute noch eine Antwort zu geben? „Ich habe mich erkundigt und die Bestätigung erhalten, dass du tatsächlich daheim warst. Du hast sogar Pizza bestellt.“ Und? Das wusste ich selbst. Das war aber sicher nicht der Grund, aus dem er mich herbestellt hatte.

Abwartend hob ich eine Augenbraue in die Höhe und neigte den Kopf leicht zur Seite. „Vielleicht hat Roman den Angestellten eine andere Erinnerung gegeben? Oder auch deiner Freundin. Aber daran glaube ich weniger. Außerdem habe ich an dir keine Lüge gerochen. Demzufolge gehe ich davon aus, dass du mich nicht bestohlen hast.“

Aha!

Jetzt kamen wir der Sache schon näher. Was hatte man ihm denn geklaut? Einen Kuli? Eine gebrauchte Unterhose? Ein Auto? Herr Gott, er hatte doch Tonnen von Dingen, die er überhaupt nicht vermissen konnte. „Mir wurde ein Buch von unschätzbarem Wert entwendet. Du hast nicht zufällig einen ähnlichen Auftrag erhalten?“ Mit ‚ähnlich’ meinte er, ob jemand an mich herangetreten war? „Nein.“ Alan nickte bedauernd. „Zu schade. So hätten wir wenigstens einen Ansatzpunkt.“ Ich unterbrach ihn. „Wir? Wenn du mich schon zwingst für dich zu arbeiten, dann tue ich das allein.“ Mit einem undefinierbaren Blick in den Augen schüttelte er den Kopf. „Das ist nicht möglich. Du musst herausfinden, wo das Buch ist und mich dorthin bringen, damit ich es wieder an mich nehmen kann.“ Gekränkt biss ich mir auf die Unterlippe. „So viel zum Thema Vertrauen, huh?“ Fluchend stand Alan auf und fuhr sich angespannt durch die Haare. „Das hat nichts mit Vertrauen zu tun, Sam.“, donnerte er wütend und kam verdammt schnell auf mich zu. Instinktiv presste ich mich tiefer in den Sessel. „Das Problem ist, dass nur Were das Buch anfassen können. Derjenige, der den Auftrag erteilt hat, weiß das entweder nicht oder es ist ihm scheißegal.“ Ähm, oh… „Was passiert, wenn jemand das Buch berührt, der kein Wer ist?“ Rastlos schritt Alan durch den Raum. Typisch das Raubtier, was er in seinem Inneren beherbergte. Nach einem tiefen Atemzug und ohne mir in die Augen zu sehen, antwortete er. „Derjenige… verändert sich. Mit viel Glück bringt er sich um, bevor er komplett ausrastet. Allerdings wird er eine Menge Leute mit in den Tod nehmen.“ Das klang gar nicht gut. „Und was steht in dem Buch? Irgendjemand scheint das Risiko schließlich eingegangen zu sein.“ Alan presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. „Das geht dich nichts an.“ Was so viel hieß wie rudelintern. Noch so ein Wort, das auf meiner ganz persönlichen Liste der Unwörter rangiert.

Hm, meinetwegen.

Ich musste folglich nur einen verstaubten Wälzer finden und Alan ungesehen an den Ort von dessen Aufbewahrung bringen. Damit wäre die Sache erledigt.

Warum hatte er angenommen, dass ich das Buch gestohlen hatte? Sah ich etwa wahnsinnig aus? Oder verhielt mich so? Nun ja, irgendwie war es schon Wahnsinn für das Rudel zu arbeiten.

Wenn auch ohne Bezahlung und nur widerwillig.

„Ok, ich sehe, ob ich was übers Internet herausfinde und kontaktiere meine Quelle. Wenn ich etwas entdecke, melde ich mich bei dir.“ Alan drehte sich blitzschnell zu mir um, stand in einem Sekundenbruchteil vor dem Sessel und drückte meine Arme schmerzhaft auf dessen Lehne. „Du meldest dich aller zwei Stunden. Beginnend ab dem Moment, in dem du mein Anwesen verlässt. Haben wir uns verstanden?“ Aller zwei Stunden? Wann sollte ich seiner Meinung nach schlafen? Gar nicht? „Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie arrogant und vergess …“ Vielleicht hätte ich das arrogant weglassen sollen.

Alan zerrte mich mit einem festen Griff um meine Kehle aus dem Sessel. Im nächsten Moment flog ich durch den Salon. Ächzend landete ich mit dem Gesicht voran auf dem Fußboden und sah für einen Moment Sternchen. Als ich mich aufrichten wollte, sah ich meinen Arm, der schlaff an mir herunter hing. Gleich darauf spürte ich den dumpf kreischenden Schmerz in meiner Schulter. Etwas Warmes lief über meine Lippe. Ich leckte es ab. Hoffentlich war es nur Nasenbluten. Eine gebrochene Nase wäre das Letzte. Und im Vergleich zu einer ausgerenkten Schulter definitiv das größere Übel. Mein Kopf dröhnte, meine Schulter, meine Lippe – hm, ich sollte lieber aufzählen, was mir nicht wehtat. Ich zitterte wie Espenlaub, aber ich heulte nicht.

Komisch, oder?

Mit der Zunge fuhr ich über meine Zähne. Gott sei Dank war keiner locker oder ausgeschlagen. Langsam stand ich auf, meinen lädierten Arm festhaltend und drehte mich zu Alan. Der schnappte doch tatsächlich überrascht nach Luft. Arschloch! Erinnerte er sich etwa, dass ich ein Mensch war?

„Sam… ich…“ Er kam auf mich zu, doch ich wich vor ihm zurück. „Fass mich nicht an!“, zischte ich, schniefte, um das Nasenbluten aufzuhalten und wand mich zur Tür. „Ich rufe dich an, wenn ich etwas weiß.“

„Sam!“ Mit zusammen gebissenen Zähnen öffnete ich die Tür, trat aus dem Salon in die Vorhalle, in der Scott stand und bei meinem Anblick entsetzt schluckte. Ich schüttelte – sehr langsam – den Kopf. Ich wollte keine Hilfe. Hoch erhobenen Hauptes ging ich hinaus, ignorierte meine jaulenden Knochen, schritt durch das Tor, an dem mich Alans Wachen ebenso erschüttert musterten und fischte umständlich das Handy aus meiner Hosentasche.

Ein Taxi wäre wunderbar.

Aber ich bezweifelte, dass ich das mit meiner Schulter aushielt. Ins Krankenhaus wollte ich nicht, weil ich wusste, dass ich in der Notaufnahme einige Stunden warten müsste. Trudi, Claudia, Chris, meine Eltern oder meine Brüder? Nein, keiner von denen könnte meine Schulter einrenken. Außerdem hatte ich keine Lust ihnen zu erklären, was passiert war. Wo zum Teufel war Roman? Oder Stépan? War meine Verletzung nicht wichtig genug, weil sie etwas mit dem Rudel zu tun hatte? Ach was, ich kam auch ohne die beiden klar. Mir blieb noch Vine. Aber in meiner jetzigen Verfassung würde ich sofort in schallendes Gelächter ausbrechen, sobald er den Mund aufmachte.

Zu schmerzhaft.

Seufzend entschied ich mich doch für das Taxi. Ich hoffte nur, dass ich nicht ewig in der Notaufnahme säße. Die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt.

Oder nach ein paar Stunden.

Nachts halb vier hatte ich mich sehr vorsichtig in mein Bett gelegt. Die Schmerztabletten halfen nicht wirklich, dafür aber die anderen Pillen.

Sowie mein Kopf das Kopfkissen berührt hatte, war ich weggetreten.

Wieder weckte mich ein Klingeln. Es war schon fast zwei Uhr nachmittags. Ich fühlte mich grauenvoll. Langsam schälte ich mich aus dem Bett und schlurfte zum Telefon. „Hast du schon was herausgefunden?“ Leck mich doch, du elender Hurensohn! „Nein.“ Kurzes Schweigen, dann ein Räuspern. „Wie geht’s Roman?“ Ich legte auf.

Für meinen Geschmack zeigte Alan zu viel Interesse für meine nicht existente Beziehung zu dem Vampir.

Als es erneut klingelte, zog ich das Kabel aus der Telefonbuchse.

Wenn ich Alan richtig einschätzte, würde er in spätestens einer halben Stunde auf meiner Fußmatte stehen. Leise fluchend zog ich mich an, wusch mich, putzte mir die Zähne. Dann fädelte ich meinen ramponierten Arm in die vom Arzt verordnete Stoffschlinge und rief per Handy ein Taxi. Gleichzeitig streckte ich meinem geschwollenen Gesicht die Zunge heraus. Anschließend kämmte ich meine Haare, steckte Handy sowie Geldbörse ein und verließ auf schnellstem Weg die Wohnung.

Das automatisierte Taxi wartete schon auf mich. Diese Autos fuhren quasi auf Autopilot. Somit gab es niemanden, der mir auf den Weg in die Stadt peinliche Fragen stellte. Unterwegs rief ich Vine an. Zu meinem Glück war er verfügbar. Sofort machten wir einen Treffpunkt aus. „Kein Café. Ich bin derzeit nicht vorzeigbar.“, scherzte ich leichthin, was Vine ohne Kommentar aufnahm. Er bestellte mich zum Park.

Seine dortige Begrüßung wurde begleitet von einem anklagenden Stirnrunzeln. „Du siehst schrecklich aus. Was ist passiert?“ Ich seufzte. „Bin gegen eine parkende Kuh gerannt.“ Vine lachte leise. „Wohl eher ein parkender Wer, hm? Schon gut, ich behalte es für mich.“ Wusste er es oder war es geraten?

Dankbar nickend nahm ich seinen mir angebotenen Arm an und schlenkerte mit ihm durch den Park. Dabei stellte ich meine Fragen. „Du willst wirklich für ihn arbeiten? Obwohl er dich dermaßen zugerichtet hat?“ Mein unglückliches Schnauben sagte alles. Trotzdem sprach ich es aus. „Von ‚wollen‘ kann keine Rede sein. Er lässt mir keine andere Wahl.“ Vine versuchte nicht, mir zu erklären, dass es immer eine andere Möglichkeit gäbe. Das mochte durchaus auf rein menschliche Beziehungen zutreffen, aber nicht, wenn sich verschiedene Spezies über den Weg liefen. Er versprach sich umzuhören. Ich beglich die Kosten, die ich für seine Dienste zu zahlen hatte und verabschiedete mich von ihm.

Wow! Wir hatten fast eine Stunde geredet.

Das wurde mir erst bewusst, als ich die Rathausuhr läuten hörte. Aber heimgehen wollte ich noch nicht. Das angenehme Wetter inspirierte mich zu einem gemütlichen Schlendern durch die Stadt, wobei ich die Blicke der Passanten ausblendete. Besonders die der Andersweltler. An einer Apotheke blieb ich stehen, zögerte kurz, ging dann aber doch hinein, um mir ein stärkeres Schmerzmittel zu kaufen. Das Pochen in meinem Gesicht war unangenehm. Ebenso das in der Schulter. Weswegen sollte ich mir die notwendigen Dinge versagen? Ich war kein Held. Und ich stand absolut, überhaupt, definitiv und so was von gar nicht auf Schmerzen! Vielleicht wären die kleinen Dinger sogar dermaßen gut, dass auch mein Herz endlich aufhörte den sterbenden Schwan zu mimen. Ich brauchte Alan nicht. Ich verstand nicht, warum ich immer noch an gebrochenem Herzen litt, obwohl Alan sich wie ein arroganter Widerling aufführte.

Wie schön wäre es, wenn dieses Gefühl einfach verschwinden könnte.

So wie damals bei mir und Humphrey. Oder bei Roman und seinem Rachedurst wegen des Todes seiner Geliebten. Doch leider funktionierte diese Magie nur zwischen Briam und Saphi – hatte mir Roman erst kürzlich erklärt. Nicht zwischen movere und Wer. Echt doof!

Das Taxi hielt vor meinem Haus.

Direkt neben einem schnittigen Sportwagen, der mir sehr bekannt vorkam. Alan konnte ich nirgends entdecken.

Schnell bezahlte ich, wie üblich bei automatisierten Taxis mit meiner Kreditkarte, stieg aus und lief mit klopfendem Herzen zur Haustür.

Wartete Alan unten vorm Fahrstuhl oder oben?

Tja, unten war er nicht. Und als ich oben aus dem Lift stieg, konnte ich ihn auch nirgends entdecken.

Vielleicht zählte er aus lauter Langeweile die Trepp…

Was ist das denn? Okaaaay, also das war ganz sicher nicht auf Alans Mist gewachsen. Abgesehen vom normalen Türschloss gab es eine magische Falle, die ich nicht nur deutlich spüren, sondern sogar sehen konnte. Direkt an der Tür! Außerdem an der Klingel sowie am Türknopf. Sollte mich das aufhalten oder bewegungsunfähig machen? Ich klingelte nicht an meiner eigenen Wohnungstür. Aus reiner Neugierde sah ich mir die Klingel ein wenig genauer an. Also… das war wirklich eine fiese, kleine Gemeinheit. Sobald ich diese anfasste, würde sich die Magie erweitern und auf mich zugreifen – warum auch immer ich an meiner eigenen Wohnungstür klingeln sollte. Ich lebte allein. Wer sollte mir öffnen? Mein Hausgeist?

Na gut. Alan vielleicht.

Aber wie hätte der in meine Wohnung kommen sollen? Vielleicht vertrat er sich draußen irgendwo die Beine. Hm, nur irgendwer musste sich hier dran zu schaffen gemacht haben. Tja, weder so noch so wurde ein Schuh draus. Hätte ich es nicht rechtzeitig bemerkt, hätte ich sie wohl einfach absorbiert. Was erwartete mich da drinnen? Falls überhaupt jemand drin war.

Wozu sollte Alan derartige Maßnahmen ergreifen?

Das ergab überhaupt keinen Sinn.

Wenn ich weiter im Treppenhaus stehen blieb, würde ich auch nicht schlauer werden. Ich absorbierte die Magie und entriegelte die Schlösser. So wie die Falle außer Gefecht war, offenbarte sich mir mein ganz normaler Eingangsbereich. Ich zog meine Schuhe aus, schloss sehr behutsam die Tür und schlich auf Socken hinein. Im Flur war es still, aber aus der Wohnstube hörte ich wütendes Knurren. Nicht sehr laut, aber gut vernehmbar. Alan?

Sein Auto stand schließlich nicht vor meinem Haus, um gesehen zu werden. Höchst konzentriert, auf weitere Magie achtend, glitt ich über den Flur zum Wohnzimmer, in dem mich das mich erwartende Szenario fast zum Lachen brachte.

Fast!

Dafür war es zu grotesk.

Bis jetzt hatten mich die Ladys, die um einen stinksauren Alan herum standen, noch nicht bemerkt. Hätte ich raten müssen, hätte ich gesagt, sie seien Menschen. Aber ihre Chakren wiesen einen entscheidenden Mangel auf. Laut denen besaßen sie nämlich keinen Kopf.

Äußerst suspekt.

Alans Energiepunkte waren normal. Für einen Wer. Auch wenn er momentan in meinem Teppich eingerollt war, mit einem wütenden Funkeln in den Augen und durch dunkle, pulsierende Magie geknebelt. Dieselbe, die auch mich an der Tür erwartet hatte. Zudem war er geschminkt. Mit meinem Lippenstift! Sogar die Fußnägel hatten die Ladys ihm bemalt. Purple Passion. Ebenfalls von mir. Hm, der Nagellack mit dem Glitzer hätte bestimmt hübscher ausgesehen. Der blaue Lidschatten passte nicht zu Alan. Der mit meinem Kajal angemalte Schnauzer auch nicht. Und die knallroten Lippen… ähm ... zurück zu den Ladys. Warteten die auf mich? Auf jemand anderen? Oder war denen nur langweilig gewesen, so dass sie sich mal eben auf Alan stürzten und ihn als… äh… Make-up Model benutzten?

In meiner Wohnung?

Höflichkeit war hier unangebracht. Selbst wenn ich dazu erzogen worden war, mich vorzustellen. Ich feuerte ohne Vorwarnung drei gezielte Energieblitze in deren Richtung. Stumm sackten sie in sich zusammen.

Sie atmeten noch.

Ihre Hirnströme – nun, dafür wollte ich keine Garantie geben.

Mit wenig Mitgefühl zerrte ich sie mit einem Arm aus dem Weg, damit genügend Platz für Alan wäre. Als nächstes nahm ich die Magie, die Alan festhielt, in mich auf und wickelte ihn mit einem Glucksen und bebenden Lippen aus dem Teppich. Auch wenn ich ihn zu gern noch ein wenig in seiner Rolle als Polyestersushi schmoren lassen sollte. „Benutz die Hände, ich bin doch kein Fußabtreter!“, fauchte er, was ich lediglich mit einem einseitigen Schulterzucken quittierte. Er sah doch sicher, dass mein linker Arm in einer schicken, dunkelblauen Schlaufe hing. Daraufhin sagte er nichts mehr, obwohl es spürbar in ihm kochte. Alan konnte froh sein, dass ich ihn überhaupt von dem Teppich befreite. Wenigstens lag der nach der Aktion wieder an Ort und Stelle. Wo mein Stubentisch abgeblieben war, war eine ganz andere Frage.

Hastig sprang Alan auf die Beine, fragte nach dem Bad und sprintete los. Aus diesem hörte ich ihn laut stöhnen und fluchen. Sollte ich ihm sagen, dass der Kajal und auch der Lidschatten wasserfest waren?

Nö, das würde er schon selbst herausfinden.

Während Alan im Bad beschäftigt war, ging ich auf die Suche nach meinem Tisch. Doch der blieb verschwunden.

Zurück in der Wohnstube betrachtete ich die drei Gestalten, die mehr tot als lebendig wirkten. Die waren auf keinen Fall freiwillig hier. Blieb die Frage, wer sie geistig kastriert und dann auf Alan gehetzt hatte. Beziehungsweise auf mich.

In meinem Bad fiel irgendetwas knallend zu Boden. „Lass mein Bad ganz!“, brüllte ich in dessen Richtung, verbot es mir jedoch, nachzusehen. Viel konnte freilich nicht kaputt gehen. Aber was wusste ich denn, was ein wütender Wer alles zerschlagen konnte.

Abgesehen von meinen Knochen.

In der Zwischenzeit sah ich mir die drei jungen Frauen genauer an. Sie waren zwischen 18 und 25; recht hübsch. Eine ein bisschen kräftiger, aber das stand ihr ganz gut. Sie hatten unterschiedliche Haarfarben. Rot, brünett, blond. Ihre Art und Weise sich zu kleiden war grundverschieden. Wenn ich raten müsste, würde ich behaupten, sie stammten aus unterschiedlichen Gesellschaftsklassen. Die hatten als nicht gehirnamputierte Individuen wahrscheinlich nie etwas miteinander zu tun gehabt.

Verflixt, wer hatte ihnen das angetan?

Sollte ich die Polizei verständigen?

Ich entschied abzuwarten, was Alan dazu meinte. Immerhin war er angegriffen worden und damit fiel die Zuständigkeit nicht in die Hände der menschlichen Behörden. Allerdings war es in meiner Wohnung passiert, und die Täterinnen waren ausschließlich Menschen. Nachdem ich sämtliche Hosentaschen durchsucht hatte, stellte ich frustriert fest, dass wer auch immer die Fäden zog, keinen Hinweis darauf hinterlassen wollte, wer die jungen Frauen waren. Kein Ausweis. Keine Schlüssel. Keine persönlichen Sachen.

Nichts.

Einer der Frauen hatte ich die dünnen schwarzen Handschuhe ausgezogen, woraufhin mich schlagartig ein heftiger Würgereiz überkam. Ich vermutete, bei den anderen beiden war es identisch. Und diese Vermutung bestätigte sich, wobei ich nur vorsichtig tastete. Anhand der Fingerabdrücke konnten sie jedenfalls nicht identifiziert werden. Es fehlten die ersten Glieder der Finger.

Aller Finger!

Mit einem trockenen Würgen stopfte ich die Handschuhe zurück auf die kalten Hände der jungen Blondine. Sie tat mir leid. Alle drei taten mir leid. Erst jetzt fiel mir auf, dass ihre Augenlider extrem eingefallen waren.

Nein, ich wollte nicht nachsehen.

Und ich wollte auch nicht daran denken, was es bedeutete. Lass mich falsch liegen, bitte!

Ich bemerkte erst, dass ich die weiche, kühle Wange des blonden Mädchens streichelte, als Alan aus dem Bad gepoltert kam. Auffallend laut für einen Wer. „Wer sind diese durchgeknallten Weiber?“ Vielen lieben Dank, Sam, dass du mich gerettet und aus dem Teppich gewickelt hast. Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber sie tun mir leid.“ Alan schnaubte und hockte sich neben eins der Mädchen. „Sie leben noch. Gut. Sobald sie wach sind, werden die sich wünschen tot zu sein.“ Er verzog dabei solch ein vorfreudiges Grinsen, dass mein Magen drohend grummelte. „Ich glaube, das sind sie bereits.“ Immer noch in der Hocke, schaute Alan zu mir auf. Was ich ihn seinen Augen sah, war reinste, fröhlich hechelnde Mordlust. „Sie atmen.“ Ich nickte unsicher und schluckte. „Hast du… hatten sie ihre Augen offen, als sie…“ Er schüttelte den Kopf und betrachtete eins der Mädchen, bevor er seinen Mund verzog und ein Augenlid anhob.

Oh Scheiße! Ich hätte wegschauen sollen!

Ich legte eine Hand auf meinen Mund, um einen erstickten Aufschrei zu unterdrücken. Die andere auf meinen Bauch, um meinen Magen zu beruhigen. „Was zum Teufel…“, fluchte Alan. Ich für meinen Teil hatte genug gesehen, aber er musste sich bei allen davon überzeugen, dass sie keine Augäpfel besaßen. „Man hat ihnen auch die Fingerkuppen abgeschnitten.“, sagte ich in die Stille, während Alan seine Inspektion fortsetzte und ich mich hastig umdrehte und aus dem Fenster starrte.

Ich hörte den Stoff seiner Hosen rascheln, nahm an, dass er sich wieder aufgerichtet hatte, drehte mich um und schaute zu ihm auf. „Hast du eine Ahnung, was sie von dir wollten?“ Alan blies wütend den Atem aus seiner Nase aus. „Verdammt, nein! Ich habe geklingelt und dann konnte ich mich plötzlich nicht mehr bewegen.“ So wie er sich durch die Haare fuhr, war er mehr als angepisst. „Ich dachte, das ist deine neueste Art mich zu empfangen.“ Hey, gute Idee! Das sollte ich mir unbedingt merken. „Warum hast du nicht unten geklingelt?“

„Die Tür unten war offen. Warum sollte ich da unten klingeln?“ Gutes Argument. Zeit für die nächste, sehr wichtige Frage. „Was meinst du, wollten die dich oder mich?“ Empört schob er eine seine Augenbrauen in die Nähe seines Haaransatzes und verzog seine Lippen zu einem Grinsen. „Das ist deine Wohnung!“ Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Die Sache hatte nur ein paar winzige Haken. Im Normalfall klingelte ich nicht an meiner Tür und brauchte auch keine Schlüssel. Außerdem war ich in letzter Zeit ganz bestimmt niemandem auf die Füße getreten. Die Überlegung hatte ich erst vorgestern gehabt: Kein Wandler, keine verrückte Ker-Lon, kein durchgeknallter Vampir, keine rachedurstigen Exgeliebten von Alan. Außerdem musste jemand mein Verlassen der Wohnung abgepasst haben.

Nur, wie waren die reingekommen?

„Was meintest du damit, dass du dir nicht sicher bist, ob sie leben?“, unterbrach Alan meine Gedanken. „Sie, wie soll ich das sagen? Ihre Energiepunkte, na ja, die im Körper sind intakt. Aber von ihrem Kopf her existiert nur gähnende Leere. Als hätte ihnen jemand das Gehirn weggepustet.“ Alan nickte nachdenklich „Weißt du, was mich nervt? Ich habe keine Ahnung, wie sie es geschafft haben mich anzumalen oder in den Teppich zu wickeln. Erst stand ich bewegungsunfähig vor deiner Tür und dann lag ich verschnürt auf dem Boden.“ Mein Blick fiel auf seine Fußnägel. „Du hast da… was übersehen.“ Mit einem Nicken deutete ich auf seine Füße. Kopfschüttelnd schloss Alan die Augen, holte tief Luft und gab mir zu verstehen, dass er etwas bräuchte, um den Lack zu entfernen. Ich ging ins Bad, kramte nach dem Fläschchen und hielt es ihm, samt einem Papiertaschentuch, vor die Nase. „Wenn du nicht wusstest, dass sie dich geschminkt haben, warum bist du dann sofort ins Bad gestürmt?“ Ein Mundwinkel schob sich nach oben und er wackelte mit den Brauen. „Ich musste pissen.“ Belanglos zuckte ich mit der gesunden Schulter und deutete auf die Frauen. „Was machen wir mit denen?“ Er sah mich an, als wäre das nicht sein Problem. Doch schließlich pulte er sein Handy aus den Jeans und telefonierte.

Theoretisch hätte ich die Polizei rufen sollen.

Praktisch hatte ich weder Lust auf stundenlange Aussagen noch auf fremde Leute, die durch meine Wohnung stapften, alles fotografierten und dann doch unverrichteter Dinge abzogen.

Während Alan telefonierte und seine Nägel säuberte, schaute ich mich um. Ich lief durch alle Zimmer und überzeugte mich davon, dass nirgendwo noch eine vierte Frau herumhing oder der Tisch irgendwo an der Decke klebte.

Meine Schminkutensilien waren alle an Ort und Stelle, so dass ich mich fragte, wie es den Frauen dennoch gelungen war, Alan damit anzupinseln. Noch dazu, weil der sich an den Vorgang nicht erinnern konnte. Hier war definitiv eine Menge Magie im Spiel. Aber von den jungen Frauen konnte sie nicht ausgegangen sein. Die waren nichts weiter als ersetzbare Marionetten.

Verflixt noch eins!

Wer machte denn so was? Warum?

Dass ich eigentlich sauer auf Alan war, vergaß ich für einen Moment. In der Küche setzte ich Kaffee an, den wir beide gut vertragen konnten. Noch besser wäre etwas Alkoholisches, aber dafür ging es mir noch nicht schlecht genug. Außerdem war Alan mit dem Auto da und ich hatte vor, ein paar Schmerztabletten einzuwerfen. Ich wollte keineswegs riskieren, dass er bei mir blieb, weil wir beide unsere Sinne benebelten.

Das köstliche braune Zeug war eben durchgelaufen, und ich füllte es in zwei Tassen, als Alan unvermittelt hinter mir stand. „Wenn du irgendwem erzählst, wie du mich vorgefunden hast, wirst du es bereuen, Sam!“ Typisch, dass er mir drohen musste. Augen rollend stellte ich die Kanne zurück, kramte zwei Löffel aus den Schubkästen, stellte Milch und Zucker hin und nahm mir meinen Anteil davon. „Mist, ich hätte ein paar Fotos machen sollen. Zu schade, dass ich soweit nicht gedacht habe.“, seufzte ich theatralisch und deutete kopfnickend auf seinen Kaffee.

Eigentlich hätte ich ihm alles Mögliche dagegen halten können. Zum Beispiel, was er bei mir wollte. Ich hatte ihm schließlich gesagt, dass ich mich bei ihm meldete. Oder dass er vergessen hatte danke zu sagen. Obendrein hatte er mich gestern Abend nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst. Daran erinnerte mich meine jetzt wieder heftig pochende Schulter. Zwei von den Tabletten, die ich mir vorhin gekauft hatte, drückte ich aus der Verpackung und schluckte sie pur hinunter, bevor ich mit Kaffee nachspülte.

In die Stille unserer Gedanken hinein fragte Alan plötzlich, ob seine Leute gefahrlos klingeln konnten, was mich meine Stirn runzeln ließ. Ich nickte, noch während ich den Ansatz, der sich in meinem Hirn zu formen begann, weiter verfolgte. „Was?“ Alan sah mich mit zusammen gekniffenen Augen an. Meine Hand in die Höhe haltend, bedeute ich ihm, mir noch ein wenig Zeit zu lassen. Wenn es diese Frauen, aus welchem Grund auch immer, auf mich abgesehen hatten, wüssten sie, dass ich kein normaler Mensch war. Wären es irgendwelche Groupies von Alan, passten wiederum weder die Magie noch die Verstümmelungen dazu. Wäre ich mächtig genug, um selbst solch eine perplexe Magie anzuwenden, würde ich sicher gehen wollen, dass sie nur auf die Zielperson gerichtet wird. Was nicht der Fall gewesen war. Denn sie hatten bei Alan zugeschlagen und hätten auch mich erwischt, wäre ich nicht ich. Doch falls es jemand auf mich abgesehen hatte, musste derjenige einen Grund haben und würde bestimmt wissen, dass ich mehr war, als ich auf den ersten Blick schien. Besonders bei der Menge Magie, die eingesetzt worden war. Die drei Frauen hatten Alan nichts getan. Außer ihn zu fesseln und ihn ein wenig zu verschandeln. Aber sie hatten ihm keinen Schaden zugefügt. Was mich nun zu der Frage brachte, ob sie auf jemanden gewartet hatten. Auf eine vierte Person oder auf mich? Für die weitere Person sprachen die fehlenden Hirnströme der Mädchen.

Aber: Es war nun mal meine Wohnung. Nicht Alans. Hatten die Frauen einen Fehler gemacht und die falsche Person erwischt oder…

Kacke, ich drehte mich im Kreis.

Um Ordnung in dieses Chaos zu bringen, erzählte ich Alan, was ich dachte „Weißt du, wenn ich es auf dich abgesehen hätte, würde ich dich nicht direkt angreifen.“ Oh ja, er hatte mir selbst mit meinen Freunden gedroht. „Entweder weiß derjenige nicht, was du bist…“

„Oder du bist derjenige, auf den sie es abgesehen haben. Was aber auch keinen Sinn ergibt. Überleg doch mal. Wie oft warst du bisher in meiner Wohnung? Abgesehen von gestern Morgen und heute?“ Gar nicht. Und das wusste Alan so gut wie ich. „Ich hätte einfach klingeln sollen und abwarten, was sie tun. Ich wette mit dir, diese drei Ladys sehen keine Magie. Ich hätte so tun können, als wäre ich gefangen und dann, denke ich, wäre noch jemand aufgetaucht. Sie hätten irgendjemanden informiert.“ Weder nickte Alan noch schüttelte er den Kopf. „Wir können es nicht ändern. Außerdem hätten sie genauso gut auf dich warten und dich erschießen können.“ Ok, da war was dran. Aber inzwischen wusste ich, dass sie keine Waffe besaßen. „Gut, dass du noch lebst. Ich wüsste sonst nicht, wie ich an das Buch komme. Es gibt niemanden, der besser ist.“ Das versetzte mir einen Stich ins Herz.

Warum war er eigentlich hier?

Dumme Frage.

Er war Alan.

Wenn ich ihm sagte, dass ich mich melden würde, sobald ich etwas erfuhr, hieß das für ihn, ich schaue nach so oft ich will und gehe ihr auf die Nerven. Dann arbeitet der Mensch schneller. „Ich warte noch auf Informationen. Du siehst, es geht nicht schneller.“ Alan verzog seinen Mund. „Du solltest dir vielleicht einen anderen Informanten suchen. Einen, der effektiver arbeitet. Menschen sind dafür nicht gut genug.“ Oh? „Tja, wie wär’s, wenn du dir dann statt mir auch lieber jemand anderen suchst? Ich bin schließlich auch nur ein Mensch.“ Alan atmete tief ein, so dass sein Brustkorb drohte sein Hemd zu sprengen. „Du bist gut, in dem was du tust. Ich rede von deiner Quelle.“

Warum habe ich Alan gleich nochmal aus dem Teppich gewickelt?

„Hör mal, ich habe mich erst vorhin mit ihm getroffen, ihm den Auftrag erteilt und ihn bezahlt. Natürlich erstattest du mir die anfallenden Kosten. Und glaub mir, wenn Vine nichts findet, dann tut es auch keine andere Quelle.“ Alans Blick verdunkelte sich und jagte mir eisige Schauer über den Rücken. „Vine?“ Vielleicht hätte ich seinen Namen nicht erwähnen sollen, ging mir aber an meinem Hintern vorbei. Es war nicht mein Problem, dass Alan ihn nicht leiden konnte. Also zuckte ich nur mit den Schultern. „Und?“ Alan holte tief Luft und fuhr sich aufbrausend durch die Haare. „Was weißt du über ihn?“ Was sollte denn diese Frage? „Dass er gut in dem ist, was er tut. Mehr muss ich nicht wissen.“ Alan stellte sehr geräuschvoll seine Tasse ab, nahm mir meine aus der Hand und packte meine Oberarme, um mich kräftig zu schütteln… mir zu drohen, mir kostenlose Fingerabdrücke zu verpassen oder was auch immer.

Das war jedenfalls der Moment, in dem ich die Kontrolle verlor.

Gepeinigt von dem heftigen Schmerz, der von meiner Schulter ausging, entlud ich genug Energie, um Alan quer durch meine Küche gegen den Küchenschrank zu schleudern. Nur das Klingeln hielt mich davon ab, ihm noch ein paar Wörtchen zu sagen.

Meine ächzende Schulter festhaltend, lief ich zur Tür, schaute durch den Spion und öffnete den drei Rudelmitgliedern die Tür. Einer von ihnen war Josh. Er fragte mich sofort, wo Alan sei. Ich deutete mit dem Kopf Richtung Küche. Mir war egal, was Josh dachte. Oder Alan. Ich hatte es satt, ständig für das Rudel oder andere Kreaturen den Sandsack zu spielen. In meiner Wohnstube lagen drei Frauen ohne Gehirnströme. Praktisch gesehen waren sie tot, obwohl sie noch atmeten.

Mein Stubentisch war verschwunden, meine Schulter pochte dröhnend und ich musste ein blödes, altes Buch finden.

Meine Nerven flatterten wie junge Vögel, die das erste Mal versuchten zu fliegen. Gleich würden sie auf den Boden klatschen. Bloß gut, dass ich keine Katze hatte…

Die Augen weit aufgerissen, sank ich am Türrahmen zu Boden und fing an zu lachen. Ein schrilles, hysterisches Lachen, das von Bitterkeit getränkt war. Obwohl ich lachte wie eine Irre, liefen mir brennende Tränen über die Wangen. „Kannst du die Frauen zurückbringen?“ Joshs tiefe Stimme durchdrang meine Niedergeschlagenheit effektiver als das liebevolle Streicheln einer Mutter. Mein Lachen verebbte. Nur die Tränen blieben, die ich mir wirsch von der Wange wischte. „Zurück? Wohin?“ Josh hockte neben mir. „Du hast Alan gesagt, dass ihre Chakren im Kopf nicht da sind. Kannst du das umkehren?“ Ich zuckte vorsichtig mit den Schultern. „Ich kann es probieren, aber ich gebe keine Garantie. Ich tue es auf keinen Fall in meiner Wohnung. Und ich weiß nicht, wie sie es aufnehmen. Ich meine, hast du sie dir angesehen? Ihre Augen fehlen, ihre Finger sind…“ Ich hatte Mitleid mit den Mädchen, aber ich war nicht blöd.

Er nickte, stand auf, hielt mir seine Hand hin und zog mich nach oben. Gott sei Dank mit wenig Schwung. Das hätte meine Schulter nicht vertragen. „Du fährst mit Alan.“ Irritiert mustere ich Josh, der wiederum mich mit kritischen Augen betrachtete. „Ist das ein Problem?“ So, wie er sein Grinsen unterdrückte, hätte er sich die Frage auch sparen können. „Solange er mich nicht anfasst, wird er die Fahrt schon überleben.“ Das ließ ihn nun endgültig grinsen. „Gut. Dann los.“

Niemand auf der Straße sprach die Gestaltwandler an, die drei bewusstlose Frauen in ihrem Van verstauten.

Vermutlich war das Alan zu verdanken. Mir war es egal – ich musste mit diesem Vollpfosten mitfahren.

Während der Fahrt sagte Alan kein einziges Wort, was mir ganz recht war. Wir hatten heute schon genug miteinander gesprochen.

Zwei Stunden später saßen die Mädchen reichlich verwirrt auf der Couch in Alans großem Salon. Es war schwierig gewesen, ihre Energiepunkte wieder herzustellen. Doch dank meinem Status als Saphi, wenn auch keiner vollwertigen, ließ mich das Anwenden meiner Kraftstimme wenigstens nicht mehr in Ohnmacht fallen. Ich hatte sie angewiesen ihre Augen geschlossen zu halten, ihre Hände auf die Knie zu legen und ein paar Fragen zu beantworten. „Denkst du, sie werden so bleiben?“ Ich zuckte mit den Schultern und sah zu Josh, der mir diese Frage stellte. Ich hatte keine Ahnung, was mit den Mädchen passieren würde, vermutete jedoch, dass ihr jetziger Zustand nur von kurzer Dauer wäre. Die Energiepunkte in ihren Köpfen flackerten. Lange würden sie nicht leuchten.

„Sam?“, Alan sah zu mir, „Du kannst jetzt gehen.“ Verdutzt sah ich ihn an. „Was? Vergiss es, ich habe das Recht hier zu sein.“ Alan lachte anmaßend. „Nein, hast du nicht. Es sei denn, ich habe etwas verpasst und du gehörst wieder zum Rudel.“ Oh, meine Anwesenheit war nur erwünscht, wenn es ihm gerade in den Kram passte? Perfekt. „Das trifft sich gut, Alan. Der Deal ist hiermit geplatzt. Ich werde dir mitteilen, was Vine herausfindet. Alles andere ist dein Problem und das des Rudels. Mach dir keine Mühe, ich finde allein raus.“ Ich hörte, wie Josh fragend murmelte, ob ich tatsächlich Vine, den Vampir meinte.

Nein, ich meinte Vine, den Zirkusclown!

Die Tür des Salons fiel hinter mir zu und mit großen, wütenden Schritten durchquerte ich die Eingangshalle. Wenn es mir nicht um die Mädchen ginge, hätte ich sie aus ihrer Trance geholt und es den Weren überlassen, mit ihnen klar zu kommen. Aber damit war niemandem geholfen.

Alan kam hinter mir her. „Was soll das heißen, der Deal ist geplatzt?“ Abrupt blieb ich stehen, drehte mich zu ihm um und schaute in sein fragendes Gesicht. „Dass du dein Buch alleine suchen kannst. Ich bin da raus.“ War ich denn nicht deutlich genug gewesen? „Das kannst du nicht. Denk an deine Freunde.“, drohte er leise mit einem bösartigen Lächeln. „Und du an dein Rudel.“ Sein Lächeln wurde noch grimmiger, bis er schallend lachte. „Dazu bist du doch gar nicht fähig. Du und deine menschliche Moralvorstellung können es doch gar nicht verkraften, einem anderen weh zu tun.“ Ich legte meinen Kopf schräg. „Meine Moral, was dich und dein Rudel betrifft, ist eben erschreckend gesunken und nicht mehr annähernd so hoch, wie du es erhoffst. Ich mag ein paar deiner Leute. Die meisten allerdings nicht; was durchaus auf Gegenseitigkeit beruht. Und wenn du meinen Freunden auch nur einen schiefen Blick gönnst, werde ich dir zeigen, wie niedrig meine Toleranzschwelle wirklich ist. Oder meinst du, du bist vorhin in meiner Küche gestolpert?“

Jeglicher Ausdruck auf seinem Gesicht verschwand.

„Willst du mir drohen, Sam?“ Ich erwiderte seinen bohrenden Blick. „Nein, nur ein gut gemeinter Ratschlag, Alan. Was du daraus machst, ist dir überlassen. Aber mache mich nicht für die Konsequenzen verantwortlich. Ich habe es satt von dir und deinesgleichen nur gebraucht zu werden, wenn es euch in den Kram passt. Die Frauen waren in meiner Wohnung und sie hätten mich ebenso angegriffen wie dich, wenn ich meine Fähigkeiten nicht hätte. Ich habe dasselbe Recht, wie dein ach so wertvolles Rudel, zu erfahren, was sie dort zu suchen hatten.“

„Sie haben mich angegriffen, nicht dich!“, brüllte er zischend, und ich erkannte, dass es keinen Sinn hatte mit ihm zu diskutieren. Er wollte es nicht begreifen; er hatte mir nicht mal gedankt. Denn hätte ich meine Fähigkeiten nicht eingesetzt, wäre er immer noch geschminkt und in einem Teppich gewickelt. „Stimmt, das habe ich vergessen.“, murmelte ich leise, drehte mich und ging zur Tür. Doch bevor ich hinausging, schaute ich ihn über meine Schulter hinweg an. „In deiner Welt dreht sich alles nur um dich.“ Alan ließ mich gehen.

Sein Glück.

Der Rest des Abends war schrecklich. Ich fühlte mich in meinen eigenen vier Wänden unwohl.

Wie waren die Frauen hier rein gekommen?

Wann waren sie in meine Wohnung gekommen.

Hatten sie abgewartet, bis ich ging oder war es purer Zufall, dass ich bereits fort gewesen war?

Was, wenn andere kämen und mich im Schlaf überraschten?

Ich schüttelte lächelnd den Kopf. Es wäre egal. Ihre Magie konnte mir nichts anhaben. Waffen hatten sie nicht getragen. Aber was, wenn die nächsten besser vorbereitet waren? Tja, dann würde ich sie grillen. Bäh. Und anschließend die Leichen entsorgen müssen. Doppelt bäh.

Frustriert schaute ich in den Kühlschrank, weil mein Magen mir knurrend meldete, dass er dringend Nahrung brauchte. Ich wünschte, Alan würde anrufen und mir erzählen, was die Frauen gesagt hatten. Und ich wünschte, ich könnte Magie ebenso effektiv anwenden wie Humphrey oder Roman. Natürlich war beides reines Wunschdenken.

Hm, Roman könnte mir den einen oder anderen Kniff zeigen. Ich könnte lernen Magie anzuwenden. Schließlich hatte ich sie in mir. Wenn auch als Energie. Jederzeit griffbereit. Andererseits war es bestimmt gut so, wie es war. Roman konnte zwar Magie wirken, aber dafür war er nicht in der Lage, diese als reine Energie zu benutzen. Es sei denn, ich gab sie ihm vorher ab. Allein schaffte er das nicht. Vielleicht wäre er dann zu mächtig. So wie ich mit beidem zu mächtig wäre. Ich stellte mir vor, wie ich an zwanghaftem Höhenkoller litt und nach der Weltmacht strebte.

Ach quatsch, das war lächerlich.

Ich war und blieb Samantha Bricks. Nicht mehr und nicht weniger. Trotzdem war es interessant mir vorzustellen, was ich alles tun könnte… wenn ich die Macht besäße.

Oh weh, genau so fing es an.

Mit Vorstellungen.

Und sobald ich die Macht hatte, würde ich sie auch benutzen. Wäre das richtig? Ja. Ein glasklares Ja! Bis ich meine Träume aus den Augen verlor. Dann könnte die ganze Sache tierisch aus dem Ruder laufen.

In meinem Kühlschrank gab es nichts, was mich ansprach. Gemüse. Ich hatte Gemüse im Kühlschrank! Verdammt, ich wollte ein Steak. Oder zwei. Oder am besten noch mehr. Im Gefrierfach fand ich Fleisch. Ich könnte es in die Mikrowelle werfen, auftauen und braten. Schon beim Gedanken daran lief mir das Wasser im Mund zusammen. Während das Fleisch in der Mikrowelle seine Runden drehte, schälte ich Zwiebeln, die ich in Ringe schnitt.

Wenig später brutzelte das in Scheiben geschnittene und gewürzte Fleisch in einem großen Tiegel.

Ich schnitt gerade einige Scheiben Brot ab, als plötzlich Roman in meiner Küche auftauchte, mich von hinten umschlang, seine Nase in meiner Halsbeuge vergrub und an mir schnupperte. „Ähm, hi. Was tust du hier?“, stammelte ich, immer noch das Brot festhaltend. „Mich vergewissern, dass es dir gut geht.“ Ich drehte mich in seinen Armen um und schob ihn ein Stück von mir. Fragend sah ich ihn an.

Oh Gott.

Roman wirkte so… menschlich!

„Alan hat mich angerufen und mir gesagt, ich solle nach meiner Frau sehen.“ Spöttisch lachend drehte ich mich von ihm weg und wendete das Fleisch. „Ich wusste gar nicht, dass du verheiratet bist.“ Ich drehte mich wieder zu ihm um. „Wusste ich auch nicht. Es hat eine Weile gedauert, bis ich begriffen habe, dass er von dir spricht. Was zum Geier hast du ihm bloß erzählt?“ Oh ja, er wirkte absolut menschlich. Mit Gefühlen! Ein verschmitztes Lächeln im Gesicht, als würde er sich köstlich über Alan amüsieren. „Gar nichts. Er scheint mehr zu wissen als wir. Schon, seitdem er mich das erste Mal bei dir gesehen hat.“ Roman lehnte sich an den Küchentisch und stützte sich mit beiden Händen nach hinten ab. „Typisch für ihn. Ich würde es als Eifersucht bezeichnen, er als… ach, was weiß ich. Er würde es jedenfalls abstreiten.“ Jepp, genau das tat Alan auch. „Erzähl, was ist heute passiert, dass er der Meinung ist, ich solle mich um dich kümmern? Ich weiß zwar, dass innerhalb des Rudels etwas vorgefallen ist, aber ich hatte Verpflichtungen, von denen ich mich nicht entfernen konnte. Stépan ist in solchen Dingen ziemlich penibel.“ Stépan? Was hatte Roman denn mit dem Pir zu schaffen? Egal… es war eine Rudelsache gewesen, in die er sich sowieso nicht einmischen durfte.

Und konnte.

Nur im Anschluss.

Aber hey, ich wollte mich nicht beschweren, wenn ich meine verworrenen Gedanken mit ihm teilen konnte. Und ich wollte nicht allein sein!

Während ich mich um die Steaks kümmerte, erzählte ich Roman vom gestrigen Abend, von Alans Auftrag, von seiner Drohung und von heute Nachmittag, den Frauen, der Magie und wie ich ihre Chakren wieder hergestellt hatte. Leider nur vorübergehend und ohne den Frauen die Verstümmelungen nehmen zu können. „Das klingt mir sehr nach Hexen.“, überlegte Roman laut. Nachdem ich seine Meinung – was Alan betraf – in meinem Kopf gehört hatte. „Kennst du welche?“ Sein leises Lachen war angenehm. „Mein Vater kannte welche. Früher mal.“ Ich vergaß immer wieder, wie alt er war. „Wie waren sie früher?“ Roman holte tief Luft, legte seinen Kopf in den Nacken und schaute an meine Küchendecke. „Soweit ich weiß, nervig. Sie dachten, sie seien etwas Besseres als normale Menschen. Mit all ihrer Zauberkunst. Habgierige Miststücke, die alles taten, um Missgunst zu säen. Ihnen ging es immer nur um Ansehen und Geld. Je mehr, desto besser. Sie wussten von der Anderswelt und waren bestrebt danach, ein Teil davon zu sein. Aber im Endeffekt waren sie auch nur Menschen. Zu schwach. Aber größenwahnsinnig.“

Stirnrunzelnd sah ich ihn an. „Du meinst, die Hexenverfolgungen im Mittelalter, das waren echte Hexen?“ Roman lachte schallend. „Sam, ich bitte dich! Die hätten sich niemals einfangen, geschweige denn foltern oder töten lassen. Nein, ich fürchte, damals hat es ausschließlich Unschuldige erwischt. Einige aus der Anderswelt, die von den Hexen verzaubert waren, so dass sie ihre Fähigkeiten nicht einsetzen konnten. Vor allem Gestaltwandler. Du hast selbst gesagt, Alan war mit Magie geknebelt.“ Ja, das hatte ich. Außerdem mit einem Teppich. Aber der war nicht die Ursache seiner Bewegungsunfähigkeit gewesen. Das hatte ich Roman bisher verschwiegen. Was jetzt ein Glucksen in meiner Kehle formte.

Schnell drehte ich mich wieder zu meinem Fleisch, was ich mit einer Gabel auf einen Teller legte, um die Zwiebel braten zu können. „Was ist so lustig?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nichts.“ Roman trat hinter mich und legte die Hände auf meine Schultern. Ziemlich schmerzhaft, was mich sofort zusammen zucken ließ. Die Schlinge hatte ich vor dem Kochen abgenommen. Ein Fehler, wie ich jetzt bemerkte. „Du bist verletzt!“, zischte er und lockerte seine Hände. „Das wird schon wieder. Sie war nur ausgekugelt, ok?“ Stoisch stocherte ich im Tiegel, aber Roman sagte das, was ich nicht hören wollte. „Dein Gesicht ist auch nicht ok. Deine Nase meine ich. Waren das die Frauen?“ Als ich nichts sagte, las er es in meinen Gedanken. „Ich hoffe, du hast dich revanchiert.“ Ich hörte mich selbst lachen. „Du hättest sehen sollen, was die Frauen mit ihm gemacht haben. Eigentlich soll ich es keinem sagen, aber da wir in seinen Augen eine Beziehung führen, kann ich dir das schlecht vorenthalten, oder?“ Roman strich sanft über meine Oberarme und küsste spielerisch meinen Nacken. „Das ist wahr. Also?“ Ich erzählte es ihm – während er es nebenbei live in meinem Kopf sah. Wie erwartet entlockte es sogar ihm eine Reaktion. „Zu schade, dass du keine Fotos gemacht hast.“ Jepp, das bereute ich ebenfalls. Sehr sogar. „Und dein Wohnstubentisch ist weg?“ Ich nickte. Außerdem waren auch Alans Schuhe und Socken verschwunden. Aber das interessierte mich weniger. „Der Tisch hat sich in Luft aufgelöst.“ Erneut küsste er meinen Nacken, was sich viel zu gut anfühlte. „Das gefällt mir gar nicht.“, sinnierte er, „Wenn Hexen dazu in der Lage sind, etwas verschwinden zu lassen, dann sind sie sehr mächtig. Und was du über die Mädchen erzählt hast …“ Er seufzte. „Ich werde mit meinem Vater sprechen. Vielleicht kann er sich an etwas Ähnliches erinnern. Wenn es wirklich Hexen sind, und davon bin ich überzeugt, muss es sich um einen bestimmten Zirkel handeln. Und wenn wir den finden …“

„... können wir ihn ausräuchern.“, beendete ich seinen Satz, was er mit einem knappen Nicken quittierte. „Ich hätte es ein wenig anders ausgedrückt, aber das passt auch.“ Er zwinkerte mir zu. „Noch was: Ich bin ein Vampir, Sam und ich habe die ein oder andere Eigenart, die dir fremd ist. Das heißt aber nicht, dass ich es gut heiße, wenn Alan dich wie seinesgleichen behandelt.“ Betroffen schaute ich auf meine Fußspitzen und lachte leise. „Ich auch nicht. Ich wollte ihn darauf hinweisen, dass er vergisst, dass ich kein Wer bin. Wie du siehst, bin ich damit nicht sehr weit gekommen.“ Roman verschränkte seine Hände hinter seinem Rücken und sah an mir vorbei in die Ferne. „Er betrachtet dich als meine Frau. Und trotzdem wagt er es, Hand an dich zu legen. Ich frage mich, ob ich ihm später einen Besuch abstatten soll. Ein kleiner Schlagabtausch unter Freunden soll erholsam sein… Habe ich gehört.“ Bei diesem letzten Satz drehte er den Kopf zu mir und sah mir direkt in die Augen. In seinem Blick lag ein Versprechen, das mir nicht behagte.

Nur eine Sekunde lang, und es jagte mir Schauer über den Rücken.

Vielleicht hatte ich es mir auch nur eingebildet.

„Komm her.“ Langsam zog Roman mich in seine Arme und küsste mich. Vorsichtig und sanft, als befürchtete er, er könnte mich zerbrechen. Sein Mund wanderte an meinem Hals entlang nach unten. Das Schaben seiner Zähne schickte ein köstliches Schauern durch meinen Körper. „Schhhh.“, murmelte Roman, leckte über meine Halsschlagader und biss zu. Am Schlimmsten war der Schmerz des Eindringens. Doch der verging. Stattdessen spülte eine angenehme Wärme durch meine Adern. Erst da erkannte ich, dass Roman nicht von mir trank, sondern mich heilte. Ich war ihm wirklich dankbar, aber gegen ein wenig mehr hätte ich auch nichts einzuwenden. „Ein faszinierender Gedanke, den ich gern in die Tat umsetzen würde. Aber leider kann ich nicht. Behalte ihn im Kopf. Ich komme darauf zurück.“, flüsterte er mir ins Ohr, drückte sich eng an mich, so dass ich seine Erregung deutlich fühlte und seinen angenehm vampirischen Duft tief einatmen konnte. Sein Abschiedskuss glich einem Versprechen. Einem, bei dem mich die Vorahnung beschlich, dass er es nie einhalten würde. „Einen schönen Abend noch, Sam.“ Er neigte leicht den Kopf zum Abschied und verschwand.

Auf Vampirart.

Wusch und weg.

Also das würde ich wirklich gern können.

Nachdem Roman gegangen war, hatte ich die Steaks gegessen, mir anschließend ein Buch geschnappt, es mir auf der Couch gemütlich gemacht und war schließlich sehr spät ins Bett gegangen. Obwohl ich todmüde war, schlief ich schlecht. Beim kleinsten Geräusch schreckte ich auf, streckte meine Sensoren aus und ließ mich, für den Moment beruhigt, zurück ins Bett fallen.

Bis zum nächsten Geräusch.

Missbilligend schaute ich an den Wecker, dessen Zeiger auf die Sieben vorrückte. Ich konnte ebenso gut aufstehen.

Seufzend schlug ich die Bettdecke zurück, stand leise vor mich hingrummelnd auf, stampfte ins Bad, schmiss mir einen Liter kaltes Wasser ins Gesicht, putzte die Zähne und kämmte meine vom hin- und herwälzen zerzausten Haare.

Hallöchen!

Ich sah wirklich hübsch aus mit den blaugrauen Augenringen. Und abartig phänomenal mit den Haaren, die in alle Richtungen abstanden. Abgesehen davon zeigte mein Gesicht keine Spuren mehr von der Verletzung; meine Schulter schmerzte nicht mehr. Jepp, der Tag konnte nur besser werden.

Solange Alan nicht klingelte.

Oder ein paar Frauen auftauchten, die von Hexen manipuliert wurden.

Vorausgesetzt, Romans Theorie stimmte.

Hexen… Hatte Roman die nicht erst im Zusammenhang mit meinen Ohnmachtsanfällen angedeutet? Hm… wie hatte er es genannt? Eine Beschwörung? Das musste ich ihn definitiv fragen. Vielleicht hing das eine mit dem anderen zusammen. Meine Laune hob sich trotz meiner nicht mehr vorhandenen Blessuren erst, als ich mit einer Tüte frischer Brötchen vom Bäcker zurückkam, keine Magie oder unwillkommene Besucher auf mich warteten und mich der Duft von frischem Kaffee empfing. Den hatte ich vor meinem kurzen Ausflug zum Bäcker angesetzt.

Doch sie sank wieder auf den Nullpunkt, als ich nach dem Frühstück die Zeitung aufschlug. Mir sprang ein Artikel direkt ins Auge. Er ließ mich wünschen, ich hätte nichts im Magen. Die Fotos der drei Frauen blickten mich anklagend von der ersten Seite an. Die Überschrift ließ mich die Hände zusammenballen.

Mysteriöser Tod – neue Seuche?

Am gestrigen Abend wurden drei junge Frauen von besorgten Bürgern ins nahe gelegene Krankenhaus gebracht, nachdem sie im Bus zusammengebrochen waren. Laut Zeugenaussagen waren die Frauen an der Haltestelle ‚Zum Brunnen’ eingestiegen und hatten Platz genommen. Nach etwa fünf Minuten seien sie von ihren Plätzen aufgesprungen und kurz darauf schreiend zusammen gebrochen. Im Krankenhaus fielen dem Personal barbarische Verstümmelungen auf. Der Chefarzt, Dr. Cassius, meint, er hätte in seiner medizinischen Karriere noch nie etwas Derartiges erlebt. Es schien, als wären sie bereits seit mehreren Tagen tot, obwohl zum Zeitpunkt der Untersuchung sämtliche Vitalfunktionen messbar waren. Der Verwesungsprozess hatte zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits eingesetzt. Dagegen seien die Verstümmelungen, auf die er aus ästethischen und kriminaltechnischen Gründen nicht näher eingehen wollte, den jungen Frauen vermutlich bei vollem Bewusstsein zugefügt worden. Es sei ein Segen, so Dr. Cassius, dass die Mädchen nur eine Stunde nach ihrer Einlieferung eingeschlafen seien. Eine weitere Angestellte, die anonym bleiben möchte, sagte aus, dass es mysteriös gewesen sei. Bei allen dreien war zur selben Zeit ohne jegliche Vorwarnung das Herz stehen geblieben, und die schon vorher nur schwach vorhandenen Hirnströme seien einfach verschwunden. Der Tod der Frauen gibt dem Krankenhaus und der Gesundheitsbehörde Rätsel auf ...

Es folgte das Übliche bla, bla, indem man um die Mithilfe der Bürger bat und den Hinterbliebenen sein Mitleid aussprach. Ich fand das fadenscheinig. Die Zeitungen waren auf eine Story aus, die möglichst viele Leser gewann. Die interessierte einen Scheißdreck, wie sich die Familien fühlten. Andererseits: Wer war ich schon, dass ich das beurteilen sollte?

Dann traf mich die Erkenntnis wie ein Schock: Ich hatte Tote zum Leben erweckt. Und Alan hatte sie in einen Bus gesetzt? Die Haltestelle lag ziemlich zentral. Wie waren sie dort hingekommen?

Oh, oh… das war … zum Kotzen.

Warum hatte ich das getan? War mir nicht klar gewesen, dass sie sowieso keine Chance hatten? Hatte Alan etwas von ihnen erfahren?

Oh Gott, oh Gott, oh Gott.

Wenigstens hatte er sie nicht einfach entsorgt. So bekamen zumindest ihre Familien eine Chance zu erfahren, was mit ihren Töchtern passiert war. Außerdem würde es aber auch die Hexen alarmieren – falls Roman mit seiner Annahme richtig lag.

Wäre das gut oder schlecht?

Das wollte ich gar nicht wissen. Nein, wirklich nicht.

Natürlich gab es auch noch andere sensationslüsterne Reportagen. In einem Kuhkaff, nur zehn Kilometer von meiner Stadt entfernt, hatte ein Familienvater erst seine zwei kleinen Kinder, dann seine Frau und schließlich sich selbst erschossen. Ein Teenager war vergewaltigt und erdrosselt worden. Ein Vampir zur Ader gelassen und seitdem geistig völlig instabil und nicht in der Lage zu erzählen, was passiert war. Mehrere junge Paare wurden vermisst. Ein Gestaltwandler war mit gebrochenem Genick im größten und dreckigsten Fluss der Stadt aufgetaucht. Kein schöner Anblick.

Meine Güte!

Drehte denn die gesamte Welt durch?

Es sah beinah so aus.

Homo sapiens movere ~ geliebt

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